Corfu-Trail

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Corfu-Trail
Corfu-Trail
Weitwanderung in 10 Etappen durch die Insel Korfu von Süd nach Nord
Per Zufall entdecke ich eine Weitwanderung, die noch nicht so lange besteht. Beim genaueren
googeln kann ich nicht viele Details finden, der Trail scheint weitgehend unbekannt zu sein. Es ist die
Rede von „einziger Weitwanderweg in Griechenland“, „Natur ähnlich wie auf den übrigen MittelmeerInseln“, „kein gutes Kartenmaterial vorhanden / Wanderführer zum Corfu-Trail vergriffen / Neuauflage
in Arbeit“, „Unterkünfte für Wanderer des Corfu-Trails ausserhalb der Saison schwierig zu finden“,
„viele Schlangen auf Korfu“, „von Alleinbegehungen wird abgeraten“. Das tönt spannend, mein
Interesse ist geweckt. Leider habe ich erst ab Mitte Oktober Zeit, diesen Trail zu begehen. Dazu heisst
es: „Direktflüge ab Zürich nur bis Mitte Oktober“, „ab Anfang Oktober die meisten Hotels geschlossen“,
„Temperaturen zum wandern ideal“. Aha. Ein versierter Corfu-Trail-Begeher gibt mir noch einige Tipps
und ich rüste mich mit einer 50’000er-Strassenkarte, Wanderführer und Reiseführer aus. Etwas
anderes ist in der Tat nicht erhältlich.
Sicherheitshalber packe ich Schlafsack, Biwaksack und Mätteli ein und los geht’s. Etwas mühsam mit
Umsteigen in Athen und Ankunft spätabends auf dem Flughafen Kerkyra, wie Korfu (und
insbesondere dessen Hauptort Korfu-Stadt) auf griechisch heisst. Wegen eines Gewitters kann das
Flugzeug nicht landen und kreist unendlich lange über dem Meer. Die Blitze rund ums Flugzeug sehen
toll aus, sind aber auch nicht ungefährlich. Schliesslich ist wohl alles Kerosin verbraucht und wir
landen. Erleichtertes Geklatsche an Bord. Im Flughafen finde ich meinen Rucksack nicht auf dem
Gepäckband, sondern muss ihn am Zoll auf einem separaten Band abholen. Ich käme eben von
ausserhalb Europas, wird mir beschieden. Aha. Und wie war jetzt das mit Schengen?
Es giesst in Strömen. Taxis sind bei dem Sauwetter alle unterwegs. Ich rüste mich regenfest aus und
suche die Busstation, die 200 Meter entfernt sein soll. Finden tue ich sie in der stockdunklen Nacht
und bei Gewitterregen nicht, so wird halt in die Stadt gelaufen. 40min später – es ist mittlerweile 21.30
Uhr - bin ich dann im Zentrum und suche nach dem vorreservierten Hotel. Den entscheidenden
Hinweis im Strassenlabyrinth (entweder nicht angeschrieben oder dann mit griechischen
Hieroglyphen) gibt mir ein Polizist, der bei laufendem Blaulicht in seinem Wagen eine Pause zu
machen scheint. Willkommen auf Korfu, das geht ja gut los...
Das im Reiseführer als günstig gepriesene Hotel Hermes („Zimmer im Mai ab 25 Euro, Hochsaison 40
Euro“) stellt sich mit neuem Besitzer als deutlich teurer (50 Euro ohne Frühstück) heraus. Notabene
trotz der Nachsaison und einem verlotterten, schmuddeligen Zustand (jemand sagt, es sei frisch
renoviert worden. Dies merkt man aber nur, wenn mans weiss...). Der Besitzer thront mit seinen 200
Kilogramm und schmutzigem, ehemals weissem Unterleibchen an der Reception. Er ist hoch erfreut,
dass mal jemand aus der Schweiz kommt, weil er einige Jahre in Neuchâtel gelebt hat. Er gibt mir das
Zimmer für 45 ("Freundschaftspreis"), und schenkt mir das Frühstück (Zwieback mit Confi). Mir ists
egal, ich will nur noch schlafen gehen.
Zum Glück gibt es viele Private mit „Rooms to let“-Zimmern auf Korfu, da die Vermietung von
Gesetzes wegen in Griechenland viel unkomplizierter ist als in anderen Teilen Europas. Ich hoffe, in
den nächsten Tagen jeweils so etwas zu finden, bin mir aber bewusst, dass so spät in der Saison
sicher viele Unterkünfte bereits geschlossen haben werden.
Sonntag, 17.10.10
Kaliméra - es schüttet schon wieder wie aus Eimern. Das Wetter wird in den ersten Tagen noch nicht
so recht mitspielen. Danach soll ein stabiles Hoch kommen. Wenigstens ists warm, über 20°.
Ich suche den Fernbusbahnhof mit mehr Glück als das Hotel gestern. Doch heute ist Sonntag, der
angepeilte Bus um 8.15 Uhr nach Kavos fährt nicht. Dies aus dem Busfahrplan herauszufinden war
jedoch unmöglich. Aber ich bin auf Überraschungen eingestellt und weiss, dies wird nicht die letzte
sein... Um 9.30 Uhr geht dann die Fahrt bis ganz in den Südzipfel Korfus los. Dort ist der Start des
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Corfu-Trails, etwa 220km lang, vielleicht auch etwas länger, so genau weiss das niemand. Es existiert
auch keine Zeitberechnung für die Wanderetappen.
Ich bin spät dran und starte gleich nach Ankunft. Und merke bald, dass die spärlichen gelben
Markierungen nicht einfach zu finden sind. Man muss quasi unter jeden Olivenbaum gucken - und bei
total 4 Millionen auf der Insel wird das schwierig ;-) Die 50’000er-Karte gibt zwar den Weg
einigermassen vor, ich weiss aber das GPS mit vorgezeichnetem Track von Beginn weg sehr zu
schätzen. Trotzdem muss man die Augen offen halten; gedankenverlorenes Wandern wird umgehend
bestraft.
Aufgrund des Dauerregens sind die lehmigen Wege durch die Olivenhaine extrem schmierig, man hat
bei steilen Passagen (von denen es hier unten im Süden zum Glück nicht viele gibt) fast keine
Chance, auf den Füssen zu bleiben. Kaum zu Ende gedacht, knalle ich der Länge nach in ein
Schlammloch. Ich sehe aus wie ein Schwein. Eine Stunde unterwegs auf dem Corfu-Trail und schon
alles dreckig. Super.
Doch es kommt noch schlimmer: Eine lange Strandpassage entlang einer Steilküste sieht zwar toll
aus (ist es auch), aufgrund des starken Seegangs schlagen die Wellen aber an einer Stelle bis an die
Felsen. Meterhoch spritzt die Gischt an der Steilküste auf. In einem Wanderführer steht, dass einige
Strandweg-Abschnitte bei hohem Seegang unpassierbar seien. Doch ich muss da durch, ich habe
keine Wahl. Es gibt keine Umgehungs-Möglichkeiten. Na prima. Der Corfu-Trail entwickelt sich mehr
und mehr zur Camel-Trophy. Ich schaue mich um – weit und breit niemand zu sehen. Also werden
Schuhe, Socken und die dreckige Hose ausgezogen und der geeignete Zeitpunkt für den Spurt um die
Felsnase abgepasst. Um es kurz zu machen: Ich habe ihn verpasst. Zweimal schlugen die Wellen
über mir zusammen. Triefend rette ich mich zum Ende des Strandes. Bilanz nach 1 ½ Stunden auf
dem Corfu-Trail: Klatschnass und völlig dreckig. Ich glaube, Korfu will mich nicht.
Nach einigen weiteren Stunden in Lefkimmi angekommen, gilt es, eine Unterkunft für die Nacht zu
finden. Dafür habe ich mich in einer Pfütze mit Regenwasser einigermassen sauber gemacht. Der
Nieselregen verstärkt sich leider, auch Regenzeug wird wieder nötig. Am Dorfeingang steht ein
Verkaufswagen mit einem grossen Haufen Äpfel und einer Waage. Ich möchte zwei Äpfel kaufen,
doch der Verkäufer schenkt sie mir. Ich bin gerührt von so viel Gastfreundlichkeit. Oder sehe ich
schon so heruntergekommen aus?
Hotel ist keines zu sehen; die einzigen Appartements im Dorf seien schon geschlossen, wie mir ein
Grieche mit Händen und Füssen erklärt. In einer Bar können sie mir auch nicht weiterhelfen. Ich folge
einer Hotel-Reklametafel zum 2.5km entfernten Molos Beach, in der Hoffnung, dass dort noch was
geöffnet hat. Unterwegs komme ich an einem Appartement-Gebäudekomplex vorbei. Ein älterer
Grieche arbeitet gebückt in der Gartenanlage. Als ich ihn vom Zaun aus anspreche, erschrickt er - mit
Gästen hat er so spät im Jahr nicht mehr gerechnet. Ich frage ihn, ob er ein Zimmer habe.
Ich habe Glück: Es sind zwar keine Gäste mehr hier, aber jemand hat gerade abgesagt und der
Grieche entpuppt sich als sehr gut Deutsch sprechend. Seit 40 Jahren wohnt er in Ulm, ist mit einer
Deutschen verheiratet und nun pensioniert. Er lädt mich zum Kaffee ein und wir plaudern lange über
Gott und die Welt. Spyros ist sein Name. Das sei der Kurzname von Spiridon, dem Inselheiligen von
Korfu. Er gibt mir noch seine Telefonnummer und fordert mich auf, ihn anzurufen, falls unterwegs mal
was wäre.
Da er die Wasserversorgung bereits auf Regenwasser umgestellt hat, ist das Wasser nicht trinkbar
und ein Supermarkt meilenweit weg. Er bringt mir aber eine Flasche Trinkwasser - zusammen mit
einem grossen Stück Brot und Butter. Honig habe ich in der Küche meines Appartements gefunden.
Prima. Ich beschliesse, nicht mehr extra ins Dorf zurück zu laufen, um zu Abend zu essen. Plötzlich
fällt der Strom aus. Aber es hat eine Kerze und ich ein Feuerzeug sowie eine Stirnlampe.
Beim Einschlafen wackelt die ganze Hütte. Das erste Erdbeben meines Lebens, das ich bewusst
miterlebe. Korfu will mich definitiv loshaben.
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Montag, 18.10.10
Ich sitze beim Nachtessen in der Taverne Sunset (sicher schön, wenn die Sonne untergehen würde...)
bei meiner ersten warmen Mahlzeit auf Korfu. Zeit, den langen Tag (8 Stunden Netto-Wanderzeit,
dafür habe ich nun zwei Etappen zusammenhängen können und einen Reservetag bekommen)
Revue passieren zu lassen. Los gings wieder wie am Vortag: Kaum zurück auf der Originalroute, die
weiter dem Strand entlangführt, waren die Schuhe auch schon wieder salzwassergetränkt. Dies, weil
ich auf den 20cm des Übergangs von Wasser zu Sand gelaufen bin. Dort ist’s am kraftsparendsten nicht unwesentlich heute, denn es gab viele superschöne aber auch anstrengende Sand-Kilometer am
Strand und in den Dünen zu bewältigen. Unterwegs traf ich in einem Touristenort auf einen
Supermarkt und konnte meine Vorräte auffüllen. Frisch gestärkt gings in die spektakulären Dünen
zwischen Meer und Korission-See, ein sehr interessanter und faszinierender Wegabschnitt. Mittendrin
an der engsten Stelle dann eine völlig morsche Brücke ohne Umgehungsmöglichkeit! Doch schon
zuvor - der Weg führte durch die nun dichte Vegetation ganz nah am Seeufer - wieder mal eine
Überraschung: Durch die vielen Niederschläge ist der See über die Ufer getreten und hat den Weg
komplett verschluckt. Zudem attackierten mich dort plötzlich Millionen von Stechmücken. Ich blies
erstmal zum Rückzug. Den Abschnitt zu umgehen, klappte nicht: Die Vegetation ist zu dicht und im
wahrsten Sinne des Wortes undurchdringbar. Also mit Mückenspray einsprayen, Gring ache und los.
Die Schuhe wurden schon wieder völlig nass; das Wasser stand knöcheltief. A propos Knöchel: Die
hatte ich vergessen einzusprayen. Sie sind jetzt rot gepunktet... Man konnte kaum atmen, die
Stechmücken kamen in Mund und Nasenlöcher. So muss es sommers im hohen Norden in der Tundra
sein...
Bei Nieselregen - ansonsten war es heute trocken - traf ich in Paramonas ein. Nun eine Unterkunft
suchen. Ich suchte und fand das einzige Hotel. Zum Glück ist der Besitzer erst am schliessen, so darf
ich noch eine Nacht übernachten. Ganz genial ist der Haarfön im Bad - damit kriege ich endlich wieder
mal alles trocken! Falls es Strom hat - denn kurz bevor ich das Zimmer zum Nachtessen verlasse, fällt
er schon wieder aus.
Dienstag, 19.10.10
Es ist verhangen und nass, als ich heute morgen aus dem Fenster meines Eckzimmers schaue. Die
Wellen donnern an den Strand - zum Glück geht’s heute über zwei Höhenzüge und nicht mehr dem
Strand entlang. Die schwarzen, tiefhängenden Wolken verheissen definitiv Regen. Schade - jetzt
wären alle meine Sachen wieder trocken. Dank dem Haarfön! Denn auch über Nacht trocknet nichts,
nicht mal dünne Funktionswäsche. Die Luftfeuchtigkeit ist einfach zu hoch. Baumwolle ist morgens
feuchter als am Abend zuvor...
Der Weg führt mit einigen 100 Metern Höhendifferenz von der West- an die Ostküste. Korfu will mich
heute loswerden, indem es Sturm (6-7 Beaufort Wind) und Gewitter um Gewitter schickt. Begleitet von
sintflutartigem Regen und Hagel. Die teils schmalen und total verwachsenen Pfade sind rutschig und
völlig überflutet. Deren Begehung kommt mir stellenweise wie kneippen vor. Schade um die trockenen
Schuhe - es läuft von oben rein. „Kako“ heisst „schlecht“ auf griechisch. Also haben wir kako Wetter.
Mein Tagesziel ist Stavros, ein Weiler auf dem östlichen Hügelzug ohne Übernachtungsmöglichkeiten.
Ich muss deshalb dort weg vom Corfu-Trail und einen Abstecher nach Benitses runter ans Meer
machen, um etwas zum Übernachten zu finden. Somit wird’s heute nochmals ein sehr langer
Wandertag. Als ich in Benitses eintreffe, sehe ich aber sofort, dass auch hier alles geschlossen hat.
Läden, Tavernen und Hotels sind verriegelt. Dann entdecke ich einen offenen Mini-Market. Einige
Einheimische stehen dort und unterhalten sich. Ich frage einen, der Englisch versteht, wo ich hier ein
offenes Hotel finden könne. Es stellt sich heraus, dass ich just den Inhaber des Hotels Benitsa
erwischt habe. Er heisse Andreas und habe sein Hotel schon geschlossen. Woher ich denn heute
komme. Als ich ihm sage, dass ich von Paramonas hierhin gelaufen bin, muss er das zuerst mal
verdauen - Griechen nehmen für jeden Meter einen fahrbaren Untersatz und verstehen unsere
Wanderleidenschaft nicht.
Als er dann auch noch erfährt, dass ich aus der Schweiz komme, ist klar, dass ich in seinem Hotel
übernachten kann. Er geht voraus und schwärmt von Basel, dem Luganersee und der Sauberkeit in
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der Schweiz. Da muss ich ihm beipflichten: Beim Wandern hier auf Korfu trifft man auf Berge von Müll,
vor allem PET und anderes Plastik. Aber auch Kühlschränke, Kochherde, Autowracks und leere
Schrotpatronen sind im Angebot. Falls Sie ein Ersatzteil zu Ihrem Auto aus den 70er und 80er-Jahren
suchen: Wandern Sie den Corfu-Trail! Sie finden bestimmt, was Sie brauchen.
Da der eben erst angestellte Boiler zuerst noch das Wasser aufwärmen muss, entschliesse ich mich
nach dem Zimmerbezug zu einem kurzen Dorfbummel. Dieser verkommt jedoch zu einem
zweistündigen Unterfangen: Es stürmt immer noch, die Hauptstrasse wird von riesigen Wellen
überflutet, im Hafen hat sich ein Boot losgerissen (da musste ich natürlich helfen) und schliesslich
gibts noch ein Mega-Gewitter inkl. Hagel... Da habe ich doch abends die sehr feine Pizza aus dem
Holzofen der Taverne "Pergola" verdient.
Solch schlechtes Wetter habe man sonst nur im Dezember, erklären die Einheimischen unisono. Ein
schwacher Trost... Wenigstens ist es mit tagsüber ca. 22° angenehm warm. Das Wetterinstitut meldet,
dass seit 44 Jahren kein Oktober mehr so nass gewesen sei wie dieser. Na toll, und ich musste mir
natürlich mal wieder genau diesen aussuchen.
Mittwoch, 20.10.10
Andreas verabschiedet mich mit den besten Wünschen und gibt mir seine Handynummer mit - falls
irgendwas unterwegs sein sollte. Efcharisto, danke – ein Wort, das ich täglich brauche. Dies spiegelt
die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Korfioten wieder.
Mit einem Taxi lasse ich mich zum Weiler Stavros zurück chauffieren, wo ich gestern mangels
Unterkunft nach Benitses runter bin. Der Taxifahrer verdreht kurz die Augen, als er das Fahrziel
erfährt. Kein Wunder, die Strassen hier auf Korfu sind wirklich nicht gerade toll und die nach Stavros
an einer Stelle stark unterhöhlt von einem Hangrutsch.
Glücklich oben angekommen, freue ich mich zuerst mal, dass es zwar verhangen, aber trocken ist.
Kein Regenzeug anziehen! Doch zu früh gefreut: Der Pfad hinauf auf den Berg Pandokratoros (hier
heissen übrigens alle höheren Erhebungen so, wie mir scheint) ist total verwachsen - man muss sich
lange Zeit regelrecht durchs Dickicht kämpfen. Dabei bekomme ich die volle Ladung Wasser von den
Blättern und Zweigen ab (es hat in der Nacht noch geregnet). Innert Minuten ist mal wieder alles
triefend nass. Regenzeug wäre doch die bessere Wahl gewesen. Mit dem Rucksack bleibe ich
fortwährend im Geäst hängen. Man wähnt sich manchmal fast wie in einer anderen Welt, als Teil der
"Unendlichen Geschichte". Die uralten, dicht mit Moos bewachsenen und mit Efeu behangenen
Bäume, die fast schon fühlbare Stille, die aussergewöhnlichen Felsformationen und die Findlinge aus
Konglomeraten: Noch nirgends habe ich eine solch faszinierende Landschaft gesehen. Es läuft einem
unweigerlich kalt den Rücken runter. Gleich kommt Indiana Jones um die Ecke, in Begleitung eines
Dinosauriers ;-) Eigentlich fantastisch: Wo gibt es solche verwunschenen Pfade noch? Doch ich kanns
nicht recht geniessen, denn es beginnt wieder zu regnen und das Unterfangen gerät zur veritablen
Plackerei. Durchbeissen, lautet die Devise.
An einem interessanten Kloster und mehreren charaktervollen Weilern vorbei erreiche ich nach 6
Stunden Wanderzeit schliesslich Pelekas, mein heutiges Etappenziel. Nun beginnt wieder die
Sucherei nach einer Unterkunft. Doch eine Griechin namens Agnes hat sich anscheinend eine
Offensiv-Strategie zugelegt und spricht mich auf der Strasse an. Ich frage nach dem Preis für die
Unterkunft. Sie zeigt mir das Zimmer mit Terrasse und herrlichem Blick über die Insel und aufs Meer
und fragt dann, was ich zahlen wolle. Aha, Kuhhandel. Natürlich alles an der Steuerbehörde vorbei...
Kein Wunder, ist der Staat Griechenland bankrott. Ich bekomme hier fast nirgends Quittungen. Agnes
hat 2 Jahre in Küsnacht am Zürichsee in einer Boutique als Schneiderin gearbeitet und spricht recht
gut Deutsch. Nimmt mich bloss Wunder, welcher Korfiote noch NICHT in der Schweiz war...
Sie hat sich hier in Pelekas ein kleines Imperium aufgebaut, zu dem Zimmer, Studios, Taverne,
Souvenir-Shop und Supermarkt gehören. Sie ist sehr geschäftstüchtig, mit einem leichten Hang zur
Gier. Ich quartiere mich ein und mache noch eine Dorfrunde. Zu oberst am Aussichtspunkt schaue ich
mir den Sonnenuntergang mit herrlichem Blick über die ganze Insel an. Wenn sie denn schon mal
untergeht! „Kaisers Thron“ nennt sich diese Kanzel, weil Kaiser Wilhelm II. sich hier immer den
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Sonnenuntergang angeschaut hat, wenn er auf der Insel war. Ich bin fast alleine hier oben am
beliebten Ausflugsziel. Super - und eine Entschädigung für die entgangene Aussicht auf dem Berg
oben, der heute ganz im Nebel war bei Sichtweiten um die 10 Meter. Mein erster Sonnenuntergang
auf dem Corfu-Trail... Und das Wetter soll nun bis Sonntag gut sein! 4 Tage lang! (Die Einheimischen
sagen, vorher sei es 4 Monate lang jeden Tag sonnig gewesen).
Abendessen in einer Taverne, wie immer draussen, es ist genug warm dazu. Wenigstens das...
Donnerstag, 21.10.10
Heute ist der Tag der "ersten Male": Zum ersten Mal muss ich kein Regenzeug anziehen, zum ersten
Mal sehe ich 2x zwei andere (Tages-)Wanderer und zum ersten Mal studiere ich, ob ich sogar
Sonnencrème einstreichen soll...
Es geht zum Mirtiossia-Kloster, das noch von Mönchen bewohnt ist. Leider ist das Kloster
verschlossen und sie machen nicht auf, obwohl ich während den offiziellen Öffnungszeiten dort bin.
So gehts halt ohne Klosterbesichtigung weiter, wieder runter zur Ropa-Ebene. Dies ist ein grünes momentan aber unter Wasser stehendes - fruchtbares Bassin im Landesinnern. Sogar einen Golfplatz
gibts hier. Sieht toll aus, so völlig überflutet. Nur die Rasenbesprenger schauen noch aus den
ausgedehnten Wasserflächen raus...
Wieder verläuft der Corfu-Trail durch kleine Dörfer und gewährt so Einblick in das Leben der
Einheimischen. Die Welt scheint hier in den 50er Jahren stillgestanden zu sein. Die Männer sitzen im
Kafenion am Dorfplatz und ein altes Mütterchen befreit gerade einen Esel von Brennholz, das sie mit
ihm im Olivenhain geholt hat.
Unterwegs finde ich in einem dieser ausgedehnten Haine eine verlorene Jacke auf dem Weg und
nehme sie mit, um sie an einem geeigneten Ort am Wegrand aufzuhängen. Doch ein Grieche kommt
mir entgegen - er habe sie schon gesucht, wie er mir auf Englisch (die Verständigungssprache Nr. 1
hier für nicht griechisch sprechende Touristen) erklärt. Ich nutze die Gelegenheit und frage, ob in
Liapades noch ein Hotel offen hat. Ja, meint er, am Strand unten. Prima, dann bin ich meine
Unterkunftssorgen mal wieder für einen Tag los.
Das Elly Beach Hotel unten am Strand von Liapades/Gefira entpuppt sich als Volltreffer. Ich bekomme
ein riesiges Zimmer mit ebensolcher Terrasse direkt zum Meer hin. Da kann man doch glatt darüber
hinwegsehen, dass - wie gestern schon - der Duschvorhang fehlt, und ich bestimmt wieder eine kleine
Überschwemmung anrichten werde. Mit Hilfe der Sonne könnten auf der Terrasse draussen sogar die
letzten nassen Sachen trocken werden!
Freitag, 22.10.10
Über alte Trockensteinwege gehts heute nach Agios Georgios (sprich "Ajos Jeorjos"). Einmal gilt es,
eine zwei Meter hohe, senkrechte Felswand zu erklimmen, was sich aber dank einer angelehnten
Bockleiter als einfach gestaltet (das daneben hängende Seil ist völlig morsch, was man von unten
aber nicht sieht!).
Der Corfu-Trail kommt heute in der Nähe der byzantinischen Burgruine Angelokastro vorbei, was ich
für einen - lohnenswerten - Abstecher nutze. Mit herrlicher Aussicht von dieser ehemaligen
Verteidigungsanlage, die wie ein Adlerhorst hoch oben über dem Meer auf einem steilen Felsen
thront, macht das Picknick doppelten Spass. Auch wenn der Eintritt 2 Euro kostet.
Bis zum Ferienort Agios Georgios, das in einer langgezogenen Bucht mit Sandstrand liegt, ist es dann
nicht mehr weit. Insgesamt gut 4 Stunden, was bei den 6 Stunden, die es sonst täglich etwa zu laufen
gilt, fast schon einem Ruhetag gleichkommt. Soll es auch, denn die morgige Etappe wird deutlich
länger werden, da es vermutlich lange Zeit keine Unterkünfte haben wird.
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Heute sehe ich damit kein Problem - bei einem so bekannten Ferienort. Schon von Beginn weg habe
ich dieses Etappenziel als am Unproblematischsten eingeschätzt. Doch weit gefehlt: Alles hat schon
zu oder macht heute Freitag zu. Ab morgen also wirds auf der Insel nochmals bedeutend schwieriger
werden, zumal ich dann noch ins Gebirge komme. Erst beim fünften Anlauf finde ich was. Der Mann
machts ganz schlau: Er habe ein Appartement. Aber das sei zu teuer für mich, meint er, mich von
oben bis unten musternd. Sehe ich schon so abgewrackt aus? Ich frage, wieviel - wenn der wüsste,
dass ich drauf angewiesen bin... 40 Euro. Na, ist doch prima. Immer noch weniger als in der HermesBruchbude in Korfu-Stadt. Er sei schon in vielen Ländern arbeiten gewesen, erzählt er, aber noch nie
in der Schweiz. Aha. Dann waren also doch noch nicht alle Korfioten in der Schweiz. Das
Appartement ist mit einer Küche ausgestattet; ich beschliesse, Spaghetti zu kochen. Im Innenhof der
Appartementanlage finde ich auf einem Mäuerchen eine Flasche Spülmittel, im Supermarket
Teigwaren und Sauce.
Ich solle morgen früh den Schlüssel einfach stecken lassen, hat der Grieche zur Verabschiedung noch
gesagt. Er gehe diese Nacht fischen und wisse nicht, wann er zurück sei. Und übrigens, ab
Übermorgen-Abend sei im Fall wieder schlechtes Wetter. Na prima. Ich hatte mich schon an die
Sonne und die T-Shirt-Temperaturen gewöhnt, sowieso, seit ich weiss, dass zu Hause auf meinem
Sitzplatz 35cm Schnee liegen. Ich werfe einen Blick ins Internet und dies bestätigt für Korfu: Montag
und Mittwoch sintflutartiger Regen.
Samstag, 23.10.10
Der Plan für heute sieht vor, ein möglichst grosses Wegstück zurückzulegen. Trockenes Wetter und
keine Unterkünfte unterwegs zwingen mich dazu. Einige Höhenmeter sind heute auch wieder zu
bewältigen, deshalb gehts noch vor dem Morgengrauen los.
Der Corfu-Trail verläuft im ersten Teil via Pagi nach Aspiotades, ich nehme jedoch die Abkürzung und
gehe direkt nach Aspiotades. Dies hat nebst der Einsparung von einigen Kilometern den angenehmen
Nebeneffekt, dass ich damit auch Einiges an Höhenmetern einsparen kann. Bei der heutigen langen
Etappe und mit dem schweren Rucksack kommt mir das sehr gelegen.
Ich bin in einer abgelegenen Gegend unterwegs und treffe wieder einmal auf eines der unzähligen
Klöster hier auf Korfu. Meist sind sie verfallen oder unbewohnt, doch dieses scheint noch aktiv zu sein.
Interessant. An der Pforte hängen diverse Hinweise für Besucher, anscheinend sind diese also
erwünscht. Ich gehe durch die offenstehende Pforte hinein und finde mich in einem begrünten
Innenhof mit Kirche wieder. Ein kleines, friedliches Paradies. Es scheint mir fast, die Vögel
zwitscherten hier etwas melodischer, die Blätter der Bäumchen seien etwas grüner und die Kakis
daran leuchteten etwas intensiver. Eine Schwester in schwarzem Gewand kommt freudig überrascht
auf mich zu. Wahrscheinlich haben sie hier an diesem abgelegenen Ort nur wenig Besuch. Sie kann
nur griechisch, die Verständigung beschränkt sich deshalb auf freundliches Lächeln und das
Austauschen unserer Namen. Schwester Theodora heisst sie. Sie zeigt mir die wirklich wunderschöne
Kirche, die an allen Wänden sowie der Decke mit Wandgemälden geschmückt ist. Wieder draussen,
fragt sie, ob ich einen Kaffee wolle. Um Gottes Willen - ablehnen darf ich nicht, aber Kaffee habe ich ja
nicht gerne. Egal, wird schon irgendwie gehen. Nur schon dem Erlebnis wegen stimme ich zu. Freudig
nickt sie, bittet mich vor der Kirche auf dem Mäuerchen Platz zu nehmen und rennt - ja, rennt dienstfertig in eine der Zellen, die um den Innenhof herum angeordnet sind. Dreimal läutet sie ein
Glöckchen, vermutlich heisst das, dass Besuch da ist. Kurze Zeit später kommt sie mit einem
silbernen Tablett zurück. Darauf ein Riesenbecher dampfender griechischer Kaffee (mit Satz), ein
Becher Wasser und ein Gebäck. Der Kaffee ist siedend heiss, meine verbrannte Zunge erinnert mich
jetzt noch daran. Wir versuchen uns irgendwie zu verständigen, möchten beide mehr voneinander
erfahren, aber es klappt nicht richtig. Sie zupft an meinem (schweiss-)nassen T-Shirt und legt mir
dann ihre Hand auf den Kopf. Keine Ahnung warum; zum Glück habe ich gestern Abend die Haare
gewaschen. Nun wird Schwester Theodora von Schwester Macrina abgelöst. Diese bringt zwei
verschiedene Ansichtskarten vom Kloster als Erinnerung mit und schenkt sie mir. Auch mit ihr klappt
die Verständigung nicht besser, schade. Ich habe mehr und mehr den Eindruck, dass sich kaum je
Besucher hierhin verirren. Schwester Macrina will wissen, woher ich komme. Switzerland - das hat sie
noch nie gehört. Wir zeichnen France, Spain und Italy an die Kirchenmauer, aber dieses Switzerland
kann sie nicht einordnen. Doch plötzlich hat sie eine Idee. Sie verschwindet kurz in ihrer Zelle und
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kehrt mit einem Buch zurück, das sich als Weltatlas entpuppt. Sie blättert darin. "Arizona, Nevada..." "No, Europe." - "Ah." Schliesslich findet sie eine Doppelseite, die ganz Europa darstellt und ich zeige
ihr die Schweiz. "Oh, micro!", ruft sie aus und ich muss mir ein Grinsen verkneifen.
Schliesslich ist der Kaffee ausgetrunken. Ich gebe ihr einen Geldschein und deute auf Kirche und
Opferstock. Während ich den Innenhof fotografiere (sie darf ich nicht), zündet sie für mich in der
Kirche eine Kerze an. Hoffentlich bittet sie den Herrn auch gleich noch, mir heute Abend eine
Unterkunft zu senden.
Beschwingt verlasse ich das Kloster und damit ein Stück heile Welt. Es sind solche Dinge, die das
Weitwandern einzigartig und interessant machen. Und die ganze Schlammschlacht vergessen lassen.
Nach total 6 Stunden Wanderzeit erreiche ich mein heutiges Ziel Spartilas (sprich: Spartillas) und
muss wie befürchtet feststellen, dass es hier keine Unterkünfte gibt. Also 1 1/4 Stunden runter an den
Strand laufen. Plan B sieht vor, in Barbati an der Küstenstrasse eine Unterkunft zu suchen. Um es
kurz zu machen: Eine weitere Stunde, viele Fragen und Kilometer später bin ich - mittlerweile in
Kalami und bei Plan C - immer noch ohne Zimmer. Alle machen dieses Wochenende zu. Irgendwie
gabs da im Kloster wohl auch mit dem Herrn Verständigungsschwierigkeiten. Ein Grieche, der mich in
seinem Auto ein Stück mitgenommen hatte (am Wochenende fahren die Überlandbusse nur sehr
selten), empfahl mir, mich in Cassiopi nach einer Unterkunft umzusehen. Doch das ist weit weg vom
Trail und würde mehrere Taxitransfers erfordern... Als ich in Kalami die nächste Absage erhalte, gebe
ich auf. Plan D sieht nun vor, dass ich mich für den Rest des Trails in Cassiopi stationiere und die
restlichen Etappen mit Transfers von dort aus und nach Cassiopi zurück absolviere. Dies hat den
angenehmen Nebeneffekt, dass ich nur mit einem (wesentlich leichteren) Tagesrucksack laufen muss.
Und so kann ich sogar die restlichen drei Etappen in zwei Tagen absolvieren. Da das Wetter ab
übermorgen ja auch wieder schlecht sein soll, möchte ich so viel wie möglich des restlichen Trails
morgen absolvieren, auch wenns mal wieder ein sehr langer Tag werden wird.
James, ein englischer Tourist, dem ich im Verlaufe der heutigen Odysse mal noch beim Radwechsel
an seinem Mietauto geholfen habe, fährt zufällig an mir vorbei Richtung Cassiopi und nimmt mich
gleich mit. Dort sondiere ich das Terrain, aber nicht zu lange - es ist mittlerweile 17.30 Uhr und ich bin
müde von 9 Stunden laufen. Ich gehe in ein Travel Agency hinein. Es sieht darin eher aus wie in einer
Anwaltskanzlei. Ich komme mir ziemlich deplatziert vor, mit den dreckigen Hosen, dem verschwitzten
Leibchen und den verkratzten Armen - heute gings durch die zugewachsenen Wege mal wieder richtig
zur Sache.
Ich habe schliesslich doch noch Glück: Der "Anwalt" hat ein Studio in einer Appartement-Anlage zu
vermieten. Und ein Taxi für die nötigen Transfers kann er auch besorgen. Er fischt einen Schlüssel
aus der Schreibtischschublade und meint, ich solle es mir mal anschauen. Es sei etwa 200 Meter die
Strasse rauf rechts. Schliesslich finde ich das richtige Haus und beschliesse, hier zu bleiben. Im
Schrank hängt zwar noch ein Herrenhemd inkl. Hose, Jacke und Schuhe, aber jetzt bin ich da. Dieser
Typ kann sonstwo hin. Ich will nicht mehr weitersuchen und bin müde.
Ich richte mich für die nächsten drei Nächte häuslich ein und gehe im Supermarkt in der Nähe
einkaufen - aus Kostengründen habe ich beschlossen, selbst zu kochen. Bettwäsche hat es keine toll, so kann ich meinen Schlafsack, den ich über die ganze Insel geschleppt habe, nun doch noch
zum Einsatz bringen!
Sonntag, 24.10.10
Heute geht’s auf den Pantokrator, den höchsten Berg Korfus mit 900m.ü.M.. Die Aussicht von dort
oben ist super. Auch der Weg dorthin ist wieder einer der schmalen, zugewachsenen Sorte. Nur das
Kloster zu oberst auf dem Berg ist verschandelt worden, indem mitten in den Innenhof eine riesige
Antenne gesetzt wurde.
Als nächstes habe ich mir die Schlaufe zur Küste runter und wieder rauf vorgenommen, die der CorfuTrail macht. Ich kann jedoch den Sinn dahinter trotz intensivem Studium der vorhandenen Dokumente
nicht entdecken. Tatsächlich ist denn auch der gesamte Abstieg elend mühsam: Zuerst einige
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Kilometer von einem Bagger zwecks Strassenbau umgepflügte Strasse, danach endlose Kilometer
(ganz neue) Teerstrasse in eintöniger Umgebung. Nach einer weiteren Stunde habe ich genug
gesehen und beschliesse abzukürzen und auf direktem Weg zum mit dem Taxi vereinbarten
Treffpunkt zu laufen. Dies kann man einem Wanderer nun wirklich nicht zumuten. Eine Umgehung ist
nicht möglich, deshalb sei jedem zukünftigen Begeher geraten, die Schlaufe zur Küste hinunter
wegzulassen und vom Pantokrator direkt weiter nach Alt-Perithia zu wandern. Wie mir kürzlich jemand
sagte, sei es sowieso vorgesehen, den Trail dementsprechend anzupassen.
Einen Lichtblick gibt es dann doch noch: Plötzlich stolpere ich über eine Marroni und sehe, dass da im
Strassengraben noch viele mehr sind. Grosse, schöne. Die gibts zum Dessert heute Abend! Und zum
Einschneiden der Marroni kann ich mein Taschenmesser, das bisher ebenfalls unbenutzt über die
ganze Insel getragen wurde, einsetzen. Es hat nämlich kein scharfes Messer in der Küche.
Bis zum Abendessen sehe ich mir noch das pittoreske Cassiopi und den kleinen Hafen an. Zwar hätte
die Appartement-Anlage hier einen Swimmingpool mit verlockenden Liegestühlen, um die Beine etwas
hochzulegen... Aber morgen wird es regnen, deshalb ist es wohl klüger, die Stadtbesichtigung heute
zu machen anstatt morgen im Regen rumzulatschen.
Montag, 25.10.10
Das Taxi bringt mich zurück zu meinem gestrigen Endpunkt Mengoulas. Ein verlassenes Bergdorf,
das aber – wohl wegen den Wochenendhäusern der reichen Korfioten – noch unterhalten wird. Der
Taxifahrer fragt, woher ich komme. "Switzerland." - "Oh, cold!". Prima. Ich sollte mal mit den
Schweizer Marktforschern sprechen. Im Ausland gilt die Schweiz als "micro" und "cold". Nichts von
Käse, Kühen und Schokolade...
Ich sehe heute Morgen bedeutend lieber nach Osten als nach Westen: Wunderschönes Morgenrot
kontra dunkle Wolken. Es fängt denn auch bald an zu tröpfeln. Alt-Perithia (das th spricht man wie im
Englischen aus), ein weiteres verlassenes Bergdorf, passiere ich im Regen und habe keine Musse, es
näher anzuschauen. Lohnen würde es sich zwar; es ist das älteste Dorf Korfus und vereint das Flair
längst vergangener Zeiten mit einem spannenden Geisterdorf. Efeuüberwachsene Steinmauern und
ein uralter Friedhof sehen toll aus. Das Dorf steht unter Denkmalschutz und einige Tavernen haben
sich jüngst wieder angesiedelt, da Touristen das Dorf besuchen kommen.
Der steinige Pfad ist nass und deshalb gefährlich rutschig. Die Steine fühlen sich unter den Sohlen an
wie Eis. Ich laufe über Krinias zum Strand und diesem entlang bis zum nördlichsten Punkt der Insel.
Geschafft! Scharfkantige, weisse Kalkklippen und ein Leuchtfeuer. Sonst nichts. Der Blick schweift
hinüber nach Albanien, das wegen dem Regen nur schemenhaft auszumachen ist. Der Corfu-Trail
geht noch eine Viertelstunde weiter und hört dann am verlassenen Kloster Agios Spiridonas auf, dem
offiziellen Ende des Trails. Genau als ich davorstehe, öffnet der Himmel vollends seine Schleusen.
Schon gut. Korfu, ich habe verstanden... Trotzdem werde ich bestimmt wiederkommen. Dieser
herrliche Trail ist es wert, auch anderen Weitwanderern zugänglich gemacht zu werden. Mit einer
Gruppe lassen sich zudem die Etappen dank Transfers auf max. 6 Stunden limitieren und
Hotelkomfort mit Gepäcktransport liegt auch drin. Und auf was man sich sonst noch so einstellen
sollte, das weiss ich ja jetzt. Ich nehme mir vor, den Trail erstmals im Wanderprogramm 2012
anzubieten.
Ich laufe ins nächste Dorf, finde aber die Bushaltestelle des Überlandbusses zurück nach Cassiopi
nicht. In einer Tankstelle frage ich. Ja, der halte hier an der Tankstelle. Prima. Dann muss ich jetzt nur
noch den richtigen dieser „Green Bus“ genannten Busse erwischen. Denn sie sind mal gelb, mal auch
rot, und haben vielleicht irgend etwas grünes auf der Karrosserie. Einen Streifen oder vielleicht auch
nur den Raddeckel. Beim Chauffeur bekommt man keine Tickets. Dafür ist ein speziell mitfahrender
Kassier zuständig. Hier hat die Rationalisierung eben noch keinen Einzug gehalten. Ich habe Glück:
Schon in einer Dreiviertelstunde soll der nächste Bus kommen und ich kann solange bei der
Tankstelle unterstehen. Und so geht der Trail zu Ende, wie er angefangen hat: Nass. Sehr nass.
Interessantes Detail am Rande: Als ich heute zurück ins Appartement komme, sind die Herrenkleider
im Schrank verschwunden...
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Dienstag, 26.10.10
Mit dem Überlandbus gehts nach Kerkyra. Diesmal wähle ich das Hotel Atlantis, gleich beim
Fährhafen (New Port). Es ist gleich teuer wie das Hermes, bietet aber doppelt so hohen Komfort. Und
ist sauber - das erste saubere Zimmer, das ich seit meiner Ankunft auf Korfu antreffe. Ausser der
Dusche ist alles geputzt! Leider liegt das Hotel an der lauten Hauptstrasse, dafür kann man den
Fähren und Kreuzfahrtschiffen beim Ein- und Auslaufen vom Balkon aus zuschauen.
Mittwoch, 27.10.10
Bei ordentlichen Wetter - es regnet zwar ab und zu, aber wenigstens nicht dauernd - setze ich die
gestrige Stadtbesichtigung fort. Eine recht interessante Stadt; aber sich in Kerkyra zurechtzufinden, ist
gar nicht so einfach. Es scheint mir, dass alle Strassen gleich heissen: I. Theotoki, N. Theotoki, M.
Theotoki, D. Theotoki, G. Theotoki. Und mehr als die Hälfte aller Strassenschilder - so es denn
überhaupt hat - sind nur in griechischen Buchstaben beschriftet. Auf dem Stadtplan (in lateinischer
Schrift) wiederum sind nich alle Gässchen verzeichnet und nicht alle Strassennamen angegeben.
Jeweils innert 10 Minuten schaffe ich es, den Durchblick zu verlieren. Doch so langsam fange ich an,
gewisse Plätze und Strassenzeilen wiederzuerkennen.
Donnerstag, 28.10.10
Heute wäre es möglich, mit der Fähre einen Tagesausflug nach Paxos zu machen. Doch die späte
Rückkehr abends und das nicht sonderlich schöne Wetter halten mich davon ab. Korfu-Stadt und
Umgebung, wie zum Beispiel Kanoni, bieten genügend Sehenswürdigkeiten und die Zeit vergeht
schnell. Zudem ist heute auf Korfu der Nationalfeiertag und in der Stadt findet ein grosser Umzug mit
Musikgesellschaften, Schülergruppen in ihren schicken Uniformen usw. statt. Alles ist auf den Beinen
und zwar im besten Gewand. Der Verkehr kommt bei soviel Andrang fast zum Erliegen. Ein schöner
und spezieller Abschluss meiner Korfu-Reise.
Freitag, 29.10.10
Heute ist Rückflugtag. Ich beschliesse, die paar Kilometer stilecht auf den Flughafen zu laufen.
Wenigstens verbrauche ich dann dabei genau die Kalorien, die ich im Flughafen-Mc Donalds in Athen
beim Warten an den Anschlussflug wieder zu mir nehmen werde...
Fazit dieser Reise:
Der Corfu-Trail ist zu Unrecht fast unbekannt. Hoffen wir aber, dass das noch lange so bleibt! Ich habe
während der gesamten Zeit keinen einzigen anderen Corfu-Trail-Wanderer angetroffen und nur eine
Handvoll Tageswanderer. Ein Geheimtipp also, der es auch bleiben soll.
Corfu-Trail-Wanderer müssen sich aber auf einfache oder sehr einfache Unterkünfte einstellen, denn
manchmal hats halt nichts anderes. Zudem nehmen es die Griechen mit der Sauberkeit nicht so
genau. Verschimmelte oder fehlende Duschvorhänge, überall tote Fliegen, nicht gereinigte Lavabos
und Toiletten sowie millimeterdicke Schmutzablagerungen (nicht nur in den Ecken) stört sie
anscheinend nicht im Geringsten. Auch weder Katzen im Frühstückssaal noch Hunde in der Küche.
Am besten macht man es - auch beim Abfall am Wegesrand - wie sie: Ignorieren. Ich war schon in
vielen Ländern ausserhalb Mitteleuropas, aber soviel Dreck habe ich noch nirgends gesehen. Schade
um die schöne Insel. Aber vielleicht hatte ich auch falsche Vorstellungen. Oder werde älter ;-)
Zum wandern fand ich den Oktober temperaturmässig (Luft und Meer) ideal, die Unterkunftssuche
gestaltet sich aber schwieriger als in der Sommersaison (ca. ab Mitte Mai bis Mitte/Ende September).
Kleine oder kleinste Supermärkte findet man genügend. Das Trinkwasser sollte man in Flaschen
kaufen, die Wasserqualität ist auf der Insel sehr unterschiedlich (und die Auskünfte dazu auch).
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Ein richtiggehendes, ab und an abenteuerliches Durchschlagen durch dichte Vegetation auf kaum
sichtbaren, verwachsenen Pfaden gehört genauso dazu wie mitunter längere Passagen auf geteerten,
wenig befahrenen Strässchen. Sehr steinige Wege sind eher die Ausnahme, gut begehbare
Wirtschaftswege durch die unendlichen, schattenspendenden Olivenhaine überwiegen. Als
Abwechslung genial sind die Strandpassagen und die vielen kleinen, urigen Dörfchen, durch die der
Weitwanderweg bewusst hindurch führt. Man sieht dabei hinter die Kulissen und bekommt einen
echten Einblick in die Lebensweise der Korfioten.
Schlangen habe ich keine gesehen, nur mal den hinteren Teil einer flüchtenden Natter. Vielleicht wars
ihnen zu nass. Einige Eidechsen, kaum eine Grille, viele Vögel, einige Bussarde. Ein paar Esel und
Pferde sowie viele verwilderte Katzen und Hunde, die einem nachlaufen wollen.
Die Markierung des Trails ist manchmal schlecht oder fehlt - auch an wichtigen Abzweigungen - ganz.
Sie ist von Süd nach Nord besser als umgekehrt. Ein GPS mit voreingespeichertem Track ist deshalb
hier immens viel wert, will man nicht täglich unzählige Male auf Wegsuche - und dies bei
unzureichendem, mit Fehlern behaftetem Kartenmaterial. Somit ist der Corfu-Trail eher versierten
Wanderern mit einem ausgeprägten Orientierungssinn zu empfehlen. Überhaupt kein Verständnis
habe ich bei der schlechten Markierung für die Forderung nach Geld von den Wanderern. Die Frau,
die den Trail markiert hat, hat diese Bitte im Internet veröffentlicht. Die Markierungen sind jedoch
durchwegs sehr schludderig und lieblos an Steine und Pfosten gemalt, oft an strategisch falschen
Stellen und in deutlich ungenügender Anzahl angebracht. Und Metallschilder an lebende Bäume zu
nageln, das sollte in der heutigen Zeit definitiv passé sein (der Trail wurde erstmals vor 7 Jahren
markiert). Vielleicht schaue ich die ganze Sache auch aus einem anderen Blickwinkel an, da ich
ebenfalls als offizieller Wanderwegmarkierer tätig bin.
Übrigens: Die Marroni waren sehr fein und kein bisschen wurmstichig!
© Mirjam Maag, Oktober 2010, www.Bergtraeume.ch
(geschrieben während dem Corfu-Trail auf meinem Smartphone)
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