Tauziehen um den Kunden
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Tauziehen um den Kunden
VERGLEICHSPORTALE Tauziehen um den Kunden Durch Onlinedienste wie Verivox, Check24 oder TopTarif hat sich der Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt verschärft. Stadtwerke setzen Billiganbietern regionale Präsenz und nachhaltige Projekte entgegen. T reu sein ist out. Zumindest wenn es um die immer höhere Wechselbereitschaft von Kunden gegenüber ihrem Energielieferanten geht. Laut Bundesnetzagentur haben allein im Jahr 2013 knapp vier Millionen Verbraucher den Stromversorger und 1,1 Millionen Haushalte den Gasanbieter gewechselt – ein Anstieg von 11,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Der Trend zeigt: Wer einmal wechselt, wechselt wieder“, weiß Jan Lengerke, Produktchef und Mitglied der Geschäftsleitung beim Vergleichsportal Verivox. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen ist die Zahl der Anbieter deutlich gestiegen. Pro Postleitzahl gibt es im Schnitt mittlerweile 143 Strom- und 90 Gasanbieter. Zum anderen genießt das Thema Energie mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, die Markttransparenz ist durch die Digitalisierung größer geworden. „Vor zehn Jahren funktionierte der gesamte Strom- und Gasmarkt offline, inzwischen werden 50 Prozent aller Verträge online abgewickelt“, weiß Lengerke. Kein Wunder, dass sechs Millionen Energiekunden mittlerweile den größten Markt beim Vergleichsportal Verivox PRODUKTCHEF JAN LENGERKE: Energiekunden machen für Verivox mittlerweile die größte Nutzergruppe aus. 16 GASWINNER „Die Tarifmodelle mit sehr niedrigen Erstjahrespreisen sind durch den hohen Wettbewerbsdruck entstanden.“ AUSGABE 2_2015 Text: Erik Wegener | Fotos: Markus Hintzen NIEDRIGE TARIFE UND HOHE BONI: Wer einmal wechselt, wechselt wieder. ausmachen. Verbraucher, die mithilfe von Verivox zu einem günstigeren Anbieter wechseln, sparen pro Jahr insgesamt laut Lengerke rund eine Million Euro. Dazu genügen ein paar Mausklicks. Verivox etwa listet mehr als 13.000 Stromtarife, mehr als 8.000 Gastarife und knapp 3.500 Heizstromtarife. Wer will, kann hier innerhalb weniger Minuten seinen Versorger wechseln – online oder telefonisch. Um schnell wieder für einen anderen, günstigeren Versorger frei zu sein, wählen rund 80 Prozent der Nutzer auf Verivox eine Vertragslaufzeit von einem Jahr. Außerdem ist die Nachfrage nach Verträgen mit Boni extrem groß. Rund 85 Prozent der Kunden entscheiden sich für einen solchen Tarif. Dies ist ein neues Phänomen. „Die Tarifmodelle mit sehr niedrigen Erstjahrespreisen sind durch den hohen Wettbewerbsdruck entstanden. Dem folgt das wirtschaftliche Muss, im zweiten Jahr die Preise anzupassen“, erklärt der Verivox-Produktchef. Kommt die Preiserhöhung, wechseln die Kunden erneut den Anbieter. Es ist also fraglich, ob dieses Modell zukunftsfähig ist. R STREITIGKEITEN NEHMEN ZU echtsstreitigkeiten mit neu in den Markt gestarteten Billiganbietern nehmen zu. So musste die Schlichtungsstelle Energie in Berlin allein im Jahr 2013 in 9.600 Fällen zwischen Strom- bzw. Gasanbietern und Kunden vermitteln. Bei den Verfahren geht es häufig um die Auszahlung von Prämien, die Wirksamkeit von Kündigungen GASWINNER 17 WETTBEWERB / VERGLEICHSPORTALE W EIGENES PROFIL ENTWICKELN er per Mausklick lediglich Verbrauch, Postleitzahl und Zahl der Nutzer eingibt, kann ein verzerrtes Ergebnis bekommen, wenn etwa automatisch der einmalig gewährte Bonus mit in den Jahrespreis gerechnet wird. Der Tarif ab dem zweiten Jahr der Vertragslaufzeit ist damit auf den ersten Blick nicht erkennbar. Auch Michael Teigeler, Vertriebschef bei den Stadtwerken Heidelberg, kennt solche Fälle und hat festgestellt, dass einige Portale die Voreinstellungen der Tarifrechner so wählen, dass eine hohe Preisdifferenz zwischen den Angeboten dargestellt wird. „Vertragsdetails wie Vorkasse oder Kaution muss der Nutzer aktiv abschalten.“ Ohne solche Voreinstellungen fiele der Preisunterschied unter den Angeboten dann nicht mehr so groß aus. Der Wechselwille der Kunden könnte sinken. Genau darauf aber seien Vergleichsportale angewiesen, die von der Vermittlungsprovision leben. „Die Tarifrechner sorgen zwar für einen Überblick, aber sie arbeiten kommerziell“, meint Teigeler. Natürlich profitieren Portale davon, dass sich der Strom- und Gasmarkt aktuell in einem Preiskampf befindet. Marktführer Verivox ermöglicht es seinen Nutzern beispielsweise, beim Strompreisvergleich aktiv auf einen Seriositätsfilter der Zeitschrift „Finanztest“ umzustellen. Doch nicht alle Verbraucher schauen nur aufs Geld. „Das Image des Versorgers spielt eine immer wichtigere Rolle“, betont Verivox-Geschäftsleiter Lengerke. Diese Erfahrung haben auch die Stadtwerke Heidelberg gemacht. „Man kann nicht jeden als Kunden gewinnen“, weiß Vertriebschef Teigeler. „Aber man sollte als Stadtwerk ein eigenes Profil entwickeln“. Das Konzept in Heidelberg: Energie dort zu erzeugen, wo sie verbraucht wird. „Als Stadtwerk ist es uns wichtig, eine regionale Marke zu verkörpern. Wir wollen für die Bürger vor Ort da sein“, erklärt Teigeler. 18 GASWINNER Starke Konkurrenz durch Vergleichsportale Wie Stadtwerke darauf antworten Gratis Hotspots: Es gilt, innovative Lösungen zu entwickeln, die einen Mehrwert schaffen und nachhaltig im Kopf der Kunden bleiben, auch abseits von Strom und Gas. Die Stadtwerke München (SWM) etwa bieten einen modernen WLAN-Service. An 14 Hotspots in der Innenstadt können die Bürger gratis im Netz surfen. Hinzu kommen ein CarsharingProgramm und ein neues Mietradsystem. Ökoprojekte: Energieversorgung ist Vertrauenssache. Hier können Stadtwerke mit jahrzehntelanger Erfahrung punkten. Außerdem ist gut beraten, wer Marketingstrategien entwickelt. Dazu könnten gehören: ein Kundenmagazin, lokale Events mit den Bürgern, soziales Engagement in der Region sowie nachweisbare Investments für Ökologie und Energiewende. Smart Service: Smart Metering und Smart Home sind nur der Anfang. Laut einer Studie des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft und Ernst & Young sind klassische Versorger darauf eingestellt, künftig neue Geschäftsfelder zu erschließen. Dazu gehören Abrechnungs- und IT-Dienstleistungen, Consulting für Prosumenten, der Betrieb virtueller Kraftwerke und Smart Grids. Kooperation: Um Kompetenzen zu bündeln, Investitionen zu finanzieren und Synergien zu schaffen, schließen sich kleinere Stadtwerke teilweise mit anderen Versorgern zusammen. Vorzeigebeispiele hierfür sind die führende Stadtwerkekooperation in Europa Trianel, aber auch 8KU und Thüga. Immer mehr Stadtwerke ziehen zudem Kooperationen mit Branchenfremden wie Anlagenherstellern, Technologieunternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien oder IT-Dienstleistern in Erwägung. Die Stadtwerke Heidelberg versorgen rund 250.000 Menschen mit Gas bzw. Strom. Der Kundenkreis reicht in der Rheinebene bis nach Karlsruhe und ins Neckartal. „Die Menschen hier sind sehr daran interessiert, wie es mit der Energiewende weitergeht. So haben wir mit unserem Holzheizkraftwerk und dem Biomethan-BHKW in den vergangenen drei Jahren fast 30 Millionen Euro vor Ort investiert. Mit unseren Produkten geben wir nun auch Kunden die Möglichkeit, für die Energiewende aktiv zu werden.“ U NEUES ROLLENVERSTÄNDNIS nd genau diese Kunden werden zunehmend zu Energieproduzenten. Da gilt es, vielschichtige Geschäftsmodelle aufzubauen. Wie hoch ist mein Eigenverbrauch? Wie viel kann oder muss ich speichern? Wie viel speise ich aus? Wie manage ich das alles? „Das sind energiewirtschaftliche Fragen – zu komplex für den Einzelnen“, weiß Teigeler. Mit „Heidelberg Energiedach“ erhalten Hausbesitzer eine Photovoltaik anlage auf ihr Dach, die eigenen Strom liefert. Die Stadtwerke planen und installieren die Anlage, lösen alle verwaltungstechnischen Aufgaben und erstellen den individuellen Business Case. Außerdem übernehmen sie alle Investitionskosten. Ein ähnliches Modell gibt es für Hausbesitzer, die eine neue Heizungsanlage einbauen wollen. Hierfür gibt es den „Heidelberg Energieblock“. Dies ist ein Mikro-BHKW, speziell ausgelegt für Einfamilienhäuser. „Unsere Rolle wandelt sich“, sagt Teigeler dazu. „Wir werden vom reinen Energielieferanten zum Gestalter der Energiewende, der Lösungen für die Energieversorgung anbietet und damit ein flexibles, modernes Energiesystem entwickelt.“ J MODELLE FÜR KUNDEN: Michael Teigeler von den Stadtwerken Heidelberg macht es vor. VERLÄSSLICHKEIT IST WICHTIG ohannes Haas, Geschäftsführer der Marketingfirma Digitale Werbung, glaubt, dass viele Kunden durch Pleiten – wie die von TelDaFax, FlexStrom und EnerGen Süd – verunsichert sind. Sie setzen nun mehr auf Sicherheit und Beständigkeit. Eine repräsentative Umfrage der Kölner Agentur ServiceRating bestätigt dies. Demnach sind 89 AUSGABE 2_2015 Illustrationen: C3 Visual Lab oder um die Vertragslaufzeit. Verbraucherschützer kritisieren, dass nur wenige Billigstromtarife fair gestaltet und durchschaubar seien. Prozent der Befragten der Meinung, dass der Energieversorger in erster Linie verlässlich sein sollte. Fast genauso wichtig ist ihnen die finanzielle Stabilität (87 %). Doch wie gelingt die Kundenbindung? Laut Marktexperte Haas gelte es, weitere Produkte ins Portfolio aufzunehmen, die Zielgruppe deutlich schärfer anzusprechen und Kundendaten gezielter auszuwerten. Das Datenmaterial sei vorhanden. Smart Metering, intelligentes Haus, Micro Grids – das sind weitere Felder, auf denen die Firmen aktiv werden müssen. Wichtig für Kunden ist heute: Was bietet der Versorger noch an? AUSGABE 2_2015 „Wir werden vom reinen Energielieferanten zum Gestalter der Energiewende.“ Michael Teigeler, Stadtwerke Heidelberg Dabei gehe es um die Zukunftsthemen, sagt Berater Haas, der früher als Leiter Internet und Online Marketing bei den Stadtwerken München tätig war. Sein alter Arbeitgeber ist hier durchaus Vorbild. Als einer der ersten Energieversorger haben die Stadtwerke Windparks in Brandenburg, in der Nordsee und in Bayern gebaut. Darüber hinaus betreiben sie eine der modernsten Bäderlandschaften Deutschlands. Das sind Pluspunkte, die jeder Kunde schätzt. Ähnlich sieht es Verivox-Manager Lengerke: „Regionale Versorger können mit ihrer Nähe zum Kunden und ihrem Beitrag für die lokale Wertschöpfung punkten.“ Das sollten sie konsequent tun. Denn: Laut einer aktuellen Umfrage der Wirtschaftsprüfungsund Beratungsgesellschaft PwC denkt über die Hälfte der Deutschen darüber nach, in den kommenden zwölf Monaten den Stromanbieter zu wechseln. GASWINNER 19