- Alternate Reality Games - Master - GMF

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- Alternate Reality Games - Master - GMF
Alternate Reality Games
Master Thesis
zur Erlangung des akademischen Grades
Master of Science – MSc
im Universitätslehrgang
MSc Interactive Media Management 1
verfasst von
Gerolf Nikolay
Eingereicht am Department für Interaktive Medien und Bildungstechnologien
der Fakultät für Bildung und Medien an der Donau-Universität Krems
Betreuer: Rektor Univ.-Prof. Dr. Michael Wagner, MBA
Tag der mündlichen Prüfung: 15.11.2011
Krems, November 2011
Abstract
Die vorliegende Master Thesis versucht einen Einblick in die Welt der Alternate
Reality Games (ARGs) zu geben und deren Einsatzgebiete aufzuzeigen. Aufgrund des
verstärkten Einsatzes von Pervasive Technology und ihres immersiven Charakters
empfiehlt es sich dieses Genre als ‚nongame‘ Phänomen, unter Berücksichtigung des
sozialen Aspekts zu betrachten. ARGs schaffen für die Teilnehmer eine Alternate
Reality in dem sie Game Mechanics in das reale Leben der Spieler integrieren.
Die Thesis versucht die Alleinstellungsmerkmale von ARGs herauszuarbeiten,
insbesondere als neue Form des Geschichtenerzählens und angewandte kollektive
Intelligenz. Anhand dieser speziellen Merkmale wird zunächst eine Begriffsdefinition
vorgenommen. Die zahlreichen Einflüsse auf dieses Genre, seit Beginn des 20.
Jahrhunderts, wurden intensiv studiert, die zum ersten ARG namens The Beast im
Jahr 2001 führten. Daraufhin folgt ein Versuch der Kategorisierung von ARGs, die
keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit hat, sondern die Vielfältigkeit der
Einsatzzwecke aufzeigen soll. Analysiert wurde das ARG 1-18-08, als Fallstudie eines
Promotional ARG zum Kinofilm Cloverfield, sowie World Without Oil, EVOKE und
Ghosts of a Chance, als Stellvertreter der sogenannten Serious ARGs, unter
Berücksichtigung des Aspekts der Bildung von Communities und als Einsatz als
Social Learning Tool.
Da die unklaren Grenzen zwischen Fiktion und Realität auch zu Problemen führen
können, werden in einem Kapitel, zudem die Ethik und der soziale Kontext
diskutiert. Zum Schluss gibt diese Master Thesis Ausblick auf die zukünftige
Entwicklung von ARGs und aktuelle technologische Einflüsse, die maßgeblich an der
Weiterentwicklung dieses Genres beteiligt sind.
i
Inhaltsverzeichnis
Abstract .......................................................................................................................................................... i
Inhaltsverzeichnis ........................................................................................................................................ ii
1
Einführung ........................................................................................................................................... 1
2
Definition ..............................................................................................................................................5
2.1.1
3
2.2
Definition als Spiel ..................................................................................................................... 13
2.3
Transmedia Storytelling ............................................................................................................ 15
2.4
Collective Intelligence ............................................................................................................... 23
2.4.1
Smart Mobs ....................................................................................................................... 24
2.4.2
Spoiling .............................................................................................................................. 28
Geschichte .......................................................................................................................................... 30
3.1
4
Merkmale .............................................................................................................................. 7
Einflüsse ..................................................................................................................................... 33
3.1.1
Orson Welles’ War of the Worlds ..................................................................................... 33
3.1.2
Paul-Is-Dead Conspiracy ................................................................................................. 34
3.1.3
Ong’s Hat: Incunabula ..................................................................................................... 35
3.1.4
Treasure Hunts ..................................................................................................................37
3.1.5
London’s treasure hunt riots ............................................................................................ 38
3.1.6
We Lost Our Gold .............................................................................................................. 39
3.1.7
Publius Enigma .................................................................................................................. 41
3.2
The Beast .................................................................................................................................... 43
3.3
Majestic ...................................................................................................................................... 45
Kategorien ..........................................................................................................................................47
4.1
Cloverfield .................................................................................................................................. 48
4.1.1
In-Game Websites .............................................................................................................. 51
4.1.2
Out of game ....................................................................................................................... 58
4.1.3
Cloverfield Communities .................................................................................................. 60
4.1.4
Weiterentwicklung der Cloverfield Communities .......................................................... 65
4.2
Serious Games ........................................................................................................................... 69
ii
5
4.2.1
World Without Oil ..............................................................................................................72
4.2.2
EVOKE: A Crash Course in Changing the World ............................................................74
4.2.3
Ghosts of a Chance ............................................................................................................ 78
4.3
ARGs als Social-Learning Tool ................................................................................................. 81
4.4
Erfolgsmessung ......................................................................................................................... 83
4.5
Partizipation in ARGs ............................................................................................................... 84
Ethik und sozialer Kontext ............................................................................................................... 88
5.1
6
Unaware Participation ............................................................................................................. 89
5.1.1
Jackass Entführung .......................................................................................................... 89
5.1.2
Totes Mädchen auf Google Street View ........................................................................... 90
5.2
Ethik und Selbstverantwortung ............................................................................................... 90
5.3
Verantwortung der Puppet Masters ........................................................................................ 92
5.4
Kultureller Kontext .................................................................................................................... 95
5.5
Vem gråter ..................................................................................................................................97
5.6
Real World Detectives ............................................................................................................... 98
5.7
Lynch Mobs .............................................................................................................................. 100
Ausblick ............................................................................................................................................. 101
6.1
Location Based Gaming .......................................................................................................... 102
6.2
SCVNGR ................................................................................................................................... 104
6.3
Augmented Reality .................................................................................................................. 106
6.4
Dexter ARG - Hunt for Infinity Killer .................................................................................... 108
6.5
ARGs im deutschsprachigen Raum......................................................................................... 110
7
Schlussfolgerungen .......................................................................................................................... 112
8
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................................... 116
9
Bibliographie .................................................................................................................................... 118
iii
Einführung
Einführung
Gezeigt werden wackelige Videoaufnahmen einer Abschiedsparty eines jungen
Mannes namens Rob in einer New Yorker Wohnung. Plötzlich wird die Party von
einem metallischen Dröhnen und einem Stromausfall unterbrochen. Es verbreitet
sich Panik als brennende Objekte aus dem Himmel explodierend in die Straßen
stürzen. Alles flüchtet, das wilde Gewackel der Kamera verzerrt Bild und Ton, als
plötzlich der Kopf der Freiheitsstatue auf der Straße landet. Dann die Einblendung
„IN THEATERS 1-18-08“. Kein Titel, kein Star, keine Erklärung. (Reeves 2007)
Dieser Teaser wurde vor dem Kinofilm Transformers (Bay 2007) gezeigt. Zahlreiche
User analysierten diesen darauf Bild für Bild, um mehr darüber in Erfahrung zu
bringen, und nach weiterführenden Hinweisen zu suchen.
Nach und nach entdeckten die Teilnehmer eine Reihe von Websites, die mit dieser
Geschichte in Verbindung standen. Daraus entwickelte sich eine regelrechte
Schnitzeljagd im World Wide Web, über zahlreiche Websites, Videoclips, MySpace
Profile und auch Manga-Comics. Die Spieler mussten Communities bilden, um
gemeinsam die Puzzleteile zusammenzusetzen und die Rätsel lösen zu können.
„Having all the information isn't always better.” so J.J. Abrams (2009, p.2),
Produzent dieses Kinofilms. Und genau diese Geheimniskrämerei brachte auch den
gewünschten Erfolg.
1-18-08, wie es in Spielerkreisen hieß, ist eine neue Form von „Interactive Fiction“
(Rose 2011, chap.1), ein sogenanntes Alternate Reality Game (ARG).
In diesem ARG erforschten die Spieler die Vorgeschichte des Kinofilms Cloverfield,
rund um die Monsterattacke auf New York. Der Kinofilm selbst war nur ein Teil der
Geschichte und bildete den Abschluss dieses ARG. Viele Details und die gesamte
Hintergrundgeschichte kamen darin nicht vor. Dies war rein den Spielern, die am
ARG teilnahmen, vorbehalten.
Die Geburtsstunde der ARGs war aber bereits im April 2001, als aufmerksame
Zuschauer im Abspann des Trailers zu dem Kinofilm A.I. Artificial Intelligence
(Spielberg 2001) einen Eintrag namens ‚Jeanine Salla, Sentient Machine Therapist’
entdeckten. Wenn man nach ‚Jeanine Salla’ googlete, führte dies zum nächsten
1
Einführung
Hinweis. Diese Schnitzeljagd entwickelte sich über zahlreiche Websites, bei der
Tausende von Menschen daran teilnahmen. Das Ziel war herauszufinden, wer die
fiktionale Person namens Evan Chan ermordet hat.
Drei Monate später, als das Spiel endete, nahmen insgesamt ca. 7-10.000 Spieler
daran teil. Weitere Zigtausend Leute kamen, aufgrund der Berichterstattung in den
Medien und des WWW, damit in Berührung. The Beast, so wurde dieses Spiel
inoffiziell bezeichnet, legte damit den Grundstein eines neuen Spielgenres.
Drei Jahre später, im Sommer 2004, fand das zweite ARG statt, welches
richtungsweisend für dieses Genre war. I Love Bees war Teil einer Promotion
Kampagne zum Computerspiel Halo 2. Die Hinweise und Rätsel waren hier quer in
den USA verteilt, sodass es unmöglich für den einzelnen Spieler war, sämtliche
Puzzleteile auf eigene Faust zu finden.
Die Neuen Medien und der Zugang zu Technologie haben unser Verhalten verändert,
wie wir zusammenarbeiten und Probleme lösen. Insbesondere das World Wide Web
und mobile Internettechnologie in Form von Smartphones erlaubt uns, innerhalb des
Kollektivs zusammenarbeiten, auch wenn wir uns an unterschiedlichen Orten
befinden.
Digitale Spiele waren schon immer Vorreiter, wenn es darum ging, neue
Technologien einzusetzen, deren Potenzial auszuschöpfen und die damit
verbundenen Möglichkeiten und Einsatzzwecke aufzuzeigen.
Alternate Reality Games sind speziell dazu gestaltet, um kollektives Problemlösen zu
fördern, indem sie umfangreiche Game Mechanics in eine spannende Geschichte
einbetten.
Die Erfahrung der Spieler bei ARGs beschränkt sich dabei nicht nur auf die virtuelle
Welt, sondern weitet sich dabei auf die reale Welt bzw. auf das Leben der Spieler
selbst aus. Telefonnachrichten, SMS Nachrichten und auch Begegnungen mit
fiktionalen Personen im realen Leben können Bestandteile der Spielerfahrung sein.
Beschränkten sich ARGs vor 2007 noch hauptsächlich auf Promotion- und
Marketingzwecke, so ist in den letzten Jahren ein Trend Richtung Serious Games zu
erkennen, nämlich Spiele, die auch einen positiven Einfluss auf das reale Leben der
Spieler haben. Dabei setzt man auf das enorme Potenzial der Teilnehmer, als
2
Einführung
Community und deren Fähigkeiten Probleme kollektiv zu lösen, die in unserer realen
Welt von Bedeutung sind.
Alternate Reality Games sind daher mehr als nur virales Marketing und bieten sich
für zahlreiche Anwendungsgebiete an. Da es sich um ein sehr junges Genre handelt,
entdecken wir erst allmählich deren volles Potenzial.
In meiner Arbeit untersuche ich daher ARGs als Beispiel für kollektives
Problemlösen und neue Form des Geschichtenerzählens.
Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile:
Im ersten Abschnitt befasse ich mich mit der Definition von ARGs. Aufgrund der
sehr unterschiedlichen und vielschichtigen Einflüsse ist ein Definitionsversuch
schwierig, da die Grenzen zu anderen Spielformen oft sehr fließend sind. Trotzdem
bilden gewisse Merkmale die Basis solcher Spiele, die dieses Genre einzigartig
machen und auszeichnen.
Im zweiten Teil werfe ich einen Blick auf die zahlreichen Einflüsse der ARGs, die erst
diese neue Spielform ermöglichten. Ich beschränke mich in diesem Fall auf die
Neuzeit, seit Beginn des 20. Jahrhunderts.
Im dritten Teil nehme ich den Versuch einer Einteilung der ARGs in unterschiedliche
Kategorien vor. Dies erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dient in
erster Linie dazu, aufzuzeigen, wie vielfältig deren Einsatzzweck sein kann. Zudem
lassen sich viele ARGs oft keiner eindeutigen Kategorie zuteilen, sondern sind
zumindest zwei oder sogar mehreren zuordenbar.
Dabei analysiere ich einige dieser Spiele und zeige deren Möglichkeiten auf. Das ARG
zum Kinofilm Cloverfield dient als Fallstudie eines Promotional ARG.
Anhand von Serious Games zeige ich den Trend der letzten Jahre auf, die wieder
Aufschwung in dieses Spielgenre gebracht haben. Beispiele dafür sind Fallstudien
von World Without Oil, EVOKE und Ghosts of a Chance. Abschluss bildet, als
Beispiel eines Organizational ARG, nämlich die New Yorker Charter School Quest to
Learn. Dabei werden Spiele nicht nur im Unterricht eingesetzt, sondern das Konzept
wird auf die gesamte Schule und das Leben der Schüler ausgeweitet.
3
Einführung
Im vierten Teil beleuchte ich die Ethik und den sozialen Kontext, in dem ARGs
stehen. Da die Grenze zwischen Fiktion und Realität dabei ganz bewusst verwischt
wird, wirft dies allerdings auch einige Fragen und Probleme auf.
Im fünften und letzten Teil versuche ich, einen Ausblick auf die Zukunft von ARGs zu
geben. Pervasive Technology, in Form von Smartphones und mobilem Internet,
eröffnet seit Kurzem komplett neue Möglichkeiten, um solche Spiele in das reale
Leben zu integrieren. Social Networks, wie Facebook, Twitter oder SCVNGR, spielen
dabei ebenso eine große Rolle, wie Augmented Reality Technologien. ARGs bauen in
der Regel auf bestehende Technologien auf und integrieren sich so nahtlos in das
Leben der Spieler. Noch nie gab es so viele Möglichkeiten, wie bisher, die als
Spielplattform für ARGs dienen können. Neuere ARGs schöpfen bereits aus diesem
Potenzial und zeigen deren Einsatzzwecke auf.
4
Definition
Definition
Alternate Reality Games (ARGs) sind relativ leicht zu erkennen, aber schwierig zu
definieren.
Im Grunde gehören sie im weitesten Sinn der Kategorie der Pervasive Games an, die
eine Vielzahl von Bezeichnungen haben können:
„adaptronic games, alternate reality games, ambient games, appropriative
games, augmented reality games, big games, brink games, context aware
games, crossmedia games, geogames, hybrid games, immersive games,
invasive games, location-based games, locative games, massive games,
mixed reality games, mobile games, pervasive games, reality games,
supergames, total games, transreality games, ubiquitous games, urban
games, …” (Montola et al. 2009, p.xix)
Das bekannteste Genre darunter sind die Alternate Reality Games. Viele dieser
Begriffe sind nicht immer ganz eindeutig und werden oft unterschiedlich gebraucht.
So kann es mitunter vorkommen, dass ARGs unter einer anderen Bezeichnung
auftauchen. Gemeint ist natürlich dasselbe.
Ebenso gibt es sehr unterschiedliche Definitionen um Alternate Reality Games zu
beschreiben.
Nieuwdorp (2007 cited in Montola et al. 2009, p.12) unterscheidet hierbei zwischen
einem technologischen und kulturellen Ansatz.
Aus technologischer Sicht wird untersucht, wie Pervasive-Computing-Technologie in
den Spielen verwendet wird, wohingegen der kulturelle Ansatz sich darauf
konzentriert, wie sich solche Spiele auf die reale Welt auswirken.
Sich nur auf den technologischen Aspekt zu konzentrieren hat den Nachteil, dass
manche Spiele aus dieser Kategorie herausfallen, manche andere aber wiederum
inkludiert werden.
ARGs, die anfangs ein rein nordamerikanisches Phänomen waren, werden oft mit
Pervasive Games, die hauptsächlich in Europa und Asien verbreitet sind, verglichen.
Pervasive Games kombinieren auch Web-Fiction und Multiplayer-Communities mit
5
Definition
SMS und GPS Technologie. Beispiele dafür sind das Nokia Game, Supafly und
Botfighters. Der größte Unterschied zwischen den beiden Genres besteht darin, dass
Pervasive Games in der Regel ganz klar als Spiel erkennbar sind. Das gesamte
Interface ist als Spiel aufgebaut und die Spieler interagieren zwar mit anderen
Teilnehmern, arbeiten aber in der Regel nicht als Kollektiv zusammen. (McGonigal
2003, p.5)
Daher bevorzuge ich folgende Definition von Jane McGonigal, Game Designer von
zahlreichen Alternate Reality Games, da sie ARGs als ‚nongame‘ Phänomen
betrachtet:
„An interactive drama played out online and in real-world spaces, taking
place over several weeks or months, in which dozens, hundreds, or thousands
of players come together online, form collaborative social networks, and
work together to solve a mystery or problem that would be absolutely
impossible to solve alone.” (McGonigal 2004)
Interessant ist auch bei dieser Definition, dass McGonigal es als ‚interactive drama’
und nicht als ‚game’ beschreibt, denn die wichtigste Philosophie von ARGs lautet
‚This Is Not A Game‘ (TINAG oder TING):
„[The Players] must believe “this is not a game” in order to enjoy the
immersive pleasures of its realistic aesthetic. They must disbelieve “this is not
a game” in order to maintain the ludic mindset that makes realistic murders,
apocalyptic science, cyberterrorism, and other dark plots pleasurably
playable.” (McGonigal, 2006 cited in Montola et al. 2009, p.143)
Dieses Mantra, welches Sinnbild für Spieler und Entwickler wurde, stammt aus
einem Werbespot für den Kinofilm A.I. Artificial Intelligence, als für einen
Sekundenbruchteil, in roten Buchstaben, der Satz ‚This Is Not A Game’ zu lesen war.
Dies war Teil des ARG namens The Beast, welches als Promotionkampagne für
diesen Film entwickelt wurde. The Beast wurde niemals als Spiel angepriesen, und es
wurde stets von den Entwicklern bestritten, dass es sich hierbei um ein solches
handelt. Daher gab es niemals einen offiziellen Titel für dieses ARG. ‚The Beast‘ war
der inoffizielle ‚Spitzname’.
6
Definition
Die Grundidee hinter ARGs ist die, dass Spieltechnologie dazu verwendet wird,
Aktivitäten im realen Leben zu organisieren. Dieses Konzept versucht das, was wir an
Spielen am meisten mögen mit dem was wir am meisten an unserem realen Leben
schätzen, zu kombinieren, indem eine Alternate Reality geschaffen wird. (McGonigal
2011, chap.7)
1.1.1 Merkmale
Laut McGonigal (2004) gibt es sechs Merkmale die ARGs näher beschreiben:
•
cross-media
•
pervasive
•
persistent
•
collaborative
•
constructive
•
expressive
7
Definition
Cross-media
Die Handlung des Spiels, Hinweise, Rätsel und Missionen werden auf mehrere
Medien aufgeteilt und komplettieren sich untereinander - dies können digitale, aber
genauso gut, traditionelle Medien, wie Zeitungen oder, aber auch reale Artefakte
sein.
Folgende Medien können Bestandteil eines ARG sein:
•
Websites
•
Emails
•
Blogs
•
Telefonanrufe
•
MP3s and DVDs
•
USB Sticks
•
Webcams
•
Text-Nachrichten (SMS)
•
Instant Messages/Chat
•
Spielkonsolen
•
GPS Geräte
•
Post/Pakete
•
Artefakte aus der realen Welt, die mit dem Spielgeschehen in Zusammenhang
stehen
•
Zeitungsartikel, Kleinanzeigen
•
Smartphones
8
Definition
Abbildung 1 Ein reales Artefakt aus dem ARG zur Fernsehserie Dexter: „This morning, a knock on my door
woke me up. A package greeted me on my doorstep, addressed to me. Inside was a tiny, elegant package and a
postcard with the picture of a grisly kill room and a bloody infinity sign. […] Inside the box was a realistic
chocolate heart, along with a USB taped to the lid of the box containing a video message […].“ (Andersen 2010)
ARGs sind meist durch eine Vielzahl von Websites charakterisiert. Dadurch ist es
manchmal sehr schwierig zu unterscheiden, ob eine Internetseite Bestandteil des
Spiels ist oder es sich gar um eine ‚reale‘ Website handelt, die mit der Geschichte gar
nicht in Zusammenhang steht (‚Out of Game‘ – OOG). Diese Websites bilden das
Fundament des Spiels. Sie werden dazu verwendet, um die Handlung
voranzutreiben. Oben genannte Medien kommen meist zusätzlich zum Einsatz.
‚Cross-media‘ ist das einzige Merkmal, welches auch die technologische Komponente
beinhaltet. Da ARGs immer sehr eng an die technologische Entwicklung gekoppelt
sind, ist diese Liste auch ständig zu erweitern. Social Networks, wie Facebook und
Twitter, gehören ebenso dazu, wie Augmented Reality Technologien. ARGs sind so
vielschichtig, dass beinahe jedes erdenkliche Medium, Bestandteil der Geschichte
sein kann.
Diese Form des Geschichtenerzählens bezeichnet man auch als Transmedia
Storytelling.
9
Definition
Pervasive
Die Spielfläche wird dabei auf die reale Welt erweitert. ARGs können in gewohnter
Umgebung stattfinden - dies können Straßen, leer stehende Fabrikshallen,
aufgelassene Bergwerksstollen und auch Restaurants sein.
Aber auch Events und Veranstaltungen in der realen Welt, bei denen Schauspieler
mit den teilnehmenden Spielern interagieren, können Bestandteil sein.
Die Hinweise und Rätsel können auch in dieser realen Umgebung eingebettet sein.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Spieler ist es, dabei herauszufinden, welche Orte,
Objekte, Gebäude, Fahrzeuge oder Gegenstände Bestandteil des Spiels sind. Es gibt
oft keine klaren Regeln um deren Relevanz im Spiel zu erkennen. (Montola et al.
2009, p.77) Dies ist eine ähnliche Problematik, wie man sie von ‚Out of Game‘
Inhalten bei Websites kennt. Allerdings kann dies auch Teil der Herausforderung an
die Spieler sein.
Moderne mobile Internettechnologie wird oft gerne dafür eingesetzt, um Spielern
eine Hilfestellung zu geben, indem realen Gegenständen und Plätzen eine zusätzliche
virtuelle und ludische Bedeutung verliehen wird, aber auch, um die Position der
Teilnehmer und deren Fortschritt im Spiel bestimmen zu können.
Abbildung 2 I Love Bees Payphone Gathering: Einige Spieler warten bei einer Telefonzelle auf einen Anruf.
(Unfiction, 2004 cited in McGonigal 2004)
10
Definition
Persistent
Im Idealfall entfaltet sich die Geschichte eines ARG in Echtzeit, 24 Stunden am Tag,
7 Tage die Woche, und das über einen mehrwöchigen Zeitraum.
Die Ungewissheit der Spieler, nie zu wissen, wann es weitergeht, macht den
besonderen Reiz aus und trägt zu einem besonders intensiven Erlebnis bei.
Durch mobiles Internet und Smartphone Technologie lässt sich das ‚Always on’
Konzept sehr gut realisieren. Man ist immer und jederzeit erreichbar und kann von
überall aus auf die Geschehnisse im Spiel reagieren.
Dies kann aber auch zu einem erheblichen Stressfaktor für die Spieler werden, z. B.
wenn diese gerade am Arbeitsplatz befinden. Manche dieser Spielprinzipien sind oft
schlecht in den beruflichen Alltag integrierbar.
Daher haben die meisten ARGs einen inoffiziellen Zeitplan zur Veröffentlichung
neuer Hinweise, Rätsel und Aufgaben entwickelt (z. B. immer an einem bestimmten
Wochentag bzw. Uhrzeit). Eine gewisse Routine, auch wenn sie diesem Prinzip
widerspricht, ist oft sehr förderlich für das Spielgeschehen.
Auch die verschiedenen Rollen, die Spieler im Verlauf des ARG annehmen, können
Abhilfe schaffen, da diese ohnehin kollaborativ ausgelegt sind.
Collaborative
ARGs sind so gestaltet, dass es unmöglich ist, die Rätsel und Aufgaben alleine oder
als kleine Gruppe zu lösen bzw. zu entschlüsseln. Durch den sehr hohen
Schwierigkeitsgrad kann eine Lösung nur im Kollektiv gefunden werden. Eine
Zusammenarbeit mit anderen Spielern ist dabei zwingend erforderlich.
Um die komplizierten und zeitaufwendigen Puzzles zu lösen, sind oft sehr
unterschiedliche Fähigkeiten gefragt, wie das Beherrschen von verschiedenen
Programmiersprachen, Hacking, und das Wissen über Literatur, Geschichte und
Kunst. Es ist daher ein wesentliches Spielmerkmal, kollaborative Communities zu
schaffen, um sich gegenseitig austauschen zu können. Zudem verbergen sich
Hinweise oft an geographisch sehr unterschiedlichen Orten, sodass es praktisch
unmöglich ist, allen auf eigene Faust nachzugehen.
11
Definition
Constructive
Die Spielplattform muss in der Regel von den Spielern selbst entwickelt werden.
Zudem müssen sich die daraus entstandenen Communities selbst organisieren. Die
Spieler nehmen dabei im Verlauf des ARG oft unterschiedliche Rollen an, wie die der
Organizers, Detectives oder Hunters, die ihren Fähigkeiten bzw. Bedürfnissen
entsprechen.
Selbst Kommunikationssysteme werden des Öfteren auch von den Spielern selbst
entwickelt, um sich während des Spiels besser austauschen zu können.
Durch die Entwicklung der Social Networks ist allerdings vieles einfacher geworden,
da die Teilnehmer die bestehende Infrastruktur nützen und darauf aufbauen können.
Auch eine internationale Vernetzung und Informationsaustausch ist somit einfacher
realisierbar. Zudem wird die Hemmschwelle an der Teilnahme für neue Spieler
herabgesetzt und eine größere Zielgruppe erreicht.
Expressive
Teilnehmende Spieler werden auch zum Selbstausdruck ermutigt.
Dies findet sich vor allem in von Spielern gestalteten Websites und Blogs wieder, die
zum Teil eine wichtige Kommunikationsplattform mit anderen Teilnehmern sind.
Aus diesem Umfeld heraus entsteht oftmals Fan-Art, Fan-Fiction aber auch FanARGs. Im Rahmen des BIOS Programs des ARG Majestic wurden Spieler sogar
ermutigt, eigene Spiele und Rätsel zu entwerfen.
Bei umfangreichen ARGs werden oft sehr ausführliche Wikis und Player Guides
entwickelt. Zum einen ermöglicht dies Quereinsteigern sich über die bisherigen
Geschehnisse zu informieren und das bisher gewonnene Wissen zentral zu sammeln,
und zum anderen, Interessierten indirekt am ARG teilzunehmen bzw. dessen
Vorgänge mitzuverfolgen:
„Over 7,000 Cloudmakers made the experience of The Beast possible for
over 3 million people, and around 10,000 players answered payphones so
that nearly two-and-a-half million people could casually trace I Love Bees. It
is because of the cultural production of grassroots communities that people
are able to watch.“ (Dena, 2008 a cited in Montola et al. 2009, p.121)
12
Definition
1.2 Definition als Spiel
ARGs schöpfen auch aus seiner Vielzahl an Einflüssen, sodass alleine schon
deswegen eine Einordnung sehr schwierig ist. Auch die unterschiedlichen
eingesetzten Medien machen dies nicht leichter.
Nach Johan Huizinga prägten Katie Salen und Eric Zimmerman das Konzept des
‚Magic Circle‘. Der Magic Circle ist die Grenze, die das reale Leben vom
Spielgeschehen trennt. Nach Huizinga muss Spiel in einem bestimmten Bereich zu
einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden.
Salen und Zimmerman sehen dagegen den Magic Circle eher metaphorisch.
(Montola et al. 2009, p.7)
Abbildung 3 Nicht immer ist es so klar, wie beim Sumo Ringen, bei dem das gesamte Spiel innerhalb des Kreises
stattfindet (Montola et al. 2009, p.8)
Bei ARGs hingegen wird der Magic Circle erweitert. Die Grenzen zwischen Realität
und Spiel verschwimmen. Die Spieler nehmen den Magic Circle überall mit sich mit:
„[An ARG] is a game that has one or more salient features that expand the
contractual circle of play spatially, temporally, or socially.” (Montola et al.
2009, p.12)
13
Definition
Der Magic Circle ist keine Grenze mehr, der die ludischen Elemente von den realen
trennt, sondern eine geheime Vereinbarung, welche Aktionen sich von den normalen
Handlungen unterscheiden. Die Handlungen im Magic Circle bekommen eine
besondere soziale Bedeutung.
Sowohl das Spiel als auch das normale Leben können von dieser unklaren Grenze
profitieren:
„[ARGs] can take the pleasure of the game to ordinary life.“ und „[ARGs] can
take the thrill of immediacy and tangibility of ordinary life to the game.”
(Montola et al. 2009, p.21)
Der Magic Circle verschwimmt, das reale Leben und das Spiel ergänzen sich dabei.
Dies eröffnet Chancen, birgt aber auch einige Risiken in sich. Aus diesem Grund
sollten ARGs nicht nur als Spiel, sondern auch als ‚nongame‘ Phänomen betrachtet
werden. (Montola et al. 2009, p.19)
14
Definition
1.3 Transmedia Storytelling
Traditionelle Geschichten wurden bisher immer für ein einzelnes und spezifisches
Medium geschaffen, z. B. um auf einer Theaterbühne aufgeführt, in einem Buch
abgedruckt oder als Kinofilm verfilmt zu werden. Manchmal wurden diese aber auch
im Nachhinein für ein weiteres Medium adaptiert. Diese Adaptionen wurden aber
selten im Vorfeld geplant. (Miller 2008, p.150)
Abbildung 4 Traditionelles Modell: Das einzelne Media-Artefakt ist dafür verantwortlich, die ‚Story World‘ zum
Vorschein zu bringen (Watson 2010, p.5)
In den letzten Jahren hat sich eine neue Form des Geschichtenerzählens etabliert,
nämlich das ‚Transmedia Storytelling‘. Im Gegensatz zum traditionellen Modell wird
diese Geschichte gleichzeitig über unterschiedliche Medien erzählt:
„Transmedia storytelling represents a process where integral elements of a
fiction get dispersed systematically across multiple delivery channels for the
purpose of creating a unified and coordinated entertainment experience.
Ideally, each medium makes its own unique contribution to the unfolding of
the story. […]There is no one single source or ur-text where one can turn to
gain all of the information needed to comprehend the [Story World].”
(Jenkins 2007)
15
Definition
Abbildung 5 Das Transmedia Modell: Es gibt keinen ‚Ur-Text‘, der die gesamte Geschichte erzählt; die ‚StoryWorld‘ setzt sich dagegen aus mehreren Texten/Media-Artefakten zusammen.
Da Transmedia Storytelling noch relativ jung ist, gibt es viele Bezeichnungen dafür,
die aber nicht immer ganz richtig sind. ‚Multiplatforming‘ oder auch ‚Cross-Media
Producing‘ wird es manchmal genannt. Manche kennen es auch als ‚Networked
Entertainment‘ oder ‚Integrated Media‘. Bei Projekten, bei denen die Geschichte
eine besondere Rolle spielt, heißt es ‚Distributed Narrative‘, bei welchen mit einer
spielerischen Komponente ist es eben ein Alternate Reality Game.
Bekannt ist Transmedia Storytelling in erster Linie durch das Blair Witch Project
aus dem Jahre 1999 geworden. Es bestand aus zwei Komponenten: dem Film und
der Website.
Der Film erzählt die Geschichte von drei jungen Filmemachern, die bei Dreharbeiten
zu einer Dokumentation über eine legendäre Hexe, unter mysteriösen Umständen in
den Wäldern verschwinden.
Der Film selbst ist aus dem Material der Videokassetten geschnitten, die angeblich,
nach deren Verschwinden gefunden wurden. Es wird als Dokumentation über ein
fiktives Ereignis präsentiert, welches tatsächlich stattgefunden haben soll.
Die Website konzentriert sich auf dieselbe Geschichte, um den ‚dokumentarischen‘
Inhalt des Films zu unterstreichen. Es handelt sich hierbei um keine übliche
Promotion-Website, bei der Interviews mit Schauspielern und Backstage Fotos
präsentiert werden. Es ist nicht einmal der Hinweis zu finden, dass es sich hierbei
16
Definition
um einen Film handelt.
Stattdessen wurden Tagebuchauszüge der Filmemacher, Interviews mit deren
Verwandten, Dorfbewohnern und Polizisten präsentiert, sowie weiteres
Archivmaterial.
Dies war anscheinend so glaubwürdig, dass viele Fans dachten, The Blair Witch
Project sei tatsächlich real. Jeder konnte sich daraus seine eigene Geschichte über,
die stattgefunden Geschehnisse konstruieren. (Miller 2008, p.150)
Abbildung 6 The Blair Witch Website zeigte eine Vielzahl an ‚realem’ Material inklusive einem fiktiven Tagebuch
(The Blair Witch website cited in Askwith 2008, p.16)
Selbst der Soundtrack wurde als Audiokassette aus dem verlassenen Auto
präsentiert. Statt der üblichen Kinoplakate wurden ‚Missing Person‘ Flyer verteilt
und Zeitungsanzeigen geschaltet, die jeden mit der Bitte um Hinweise über die
‚verschollenen‘ Filmemacher auf die Website blairwitch.com weiterleiteten. (Askwith
2008, p.16)
17
Definition
Als Ed Sanchez (cited in Jenkins 2008, p.103), ein Mitglied des Projekt Teams, ein
Diskussions-Forum auf der Website hinzufügte, war er überrascht, wie rasch sich
eine große Fan-Basis bildete, die von der Blair Witch Mythologie fasziniert war:
„What we learned from Blair Witch is that if you give people enough stuff to
explore they will explore. Not everyone but some of them will. The people
who do explore and take advantage of the whole world will forever be your
fans, will give you an energy you can’t buy through advertising… We ended
up exploiting the web in ways that as far as movies were concerned, nobody
had ever done before.”
The Blair Witch Project, welches an sich, noch kein echtes ARG war, ist einer der
wesentlichen Einflüsse und Grundstein für dieses Spielgenre.
Im Herbst 2002 wurde das Transmedia Projekt Push, Nevada ins Leben gerufen.
Dieses basierte auf der gleichnamigen Fernsehserie und versuchte dabei die Grenze
zwischen Fiktion und Realität verschwimmen zu lassen, in dem Geschichte und Spiel
miteinander verbunden wurden. Es hatte viele Charakteristiken eines ARG, aber da
die Geschichte, die über mehrere Medien erzählt wurde, den Mittelpunkt bildete,
lässt sich Push, Nevada eher als ‚Distributed Narrative‘ einordnen.
Dieses Projekt wurde von LivePlanet produziert, einer gemeinsamen Firma von Ben
Affleck und Matt Damon.
Die Mystery Fernsehserie war zwar ein zentrales Element, aber eben nur ein
Bestandteil der Geschichte. Komplettiert wurde diese durch zahlreiche Websites,
Wireless Applications, ein Buch und ein Telefon Nachrichten Service.
Schon in der Vorproduktion wurde großes Augenmerk auf die nahtlose Integration
der Elemente untereinander gelegt. LivePlanet konzipierte dafür eine ‚Integrated
Media Bible‘, sowie eine ‚Integrated Media Timeline‘, die die Abhängigkeiten der
unterschiedlichen Medien untereinander zeigen. (Miller 2008, pp.153–154)
18
Definition
Abbildung 7 Integrated Media Timeline (LivePlanet cited in Miller 2008, p.154)
LivePlanet bezeichnete dies als ‚Integrated Media Approach‘. Push, Nevada machte
sich dabei drei Plattformen zunutze:
•
traditionelle Medien (TV, Film und Radio), der Ausgangspunkt dieses Projekts
•
interaktive Medien (Internet, Wireless Devices, …), welche es erlauben den
Konsumenten an der Geschichte teilzunehmen zu lassen
•
und im Endeffekt die physische Welt, welche die Geschichte in das reale
Leben der Leute integriert.
Das Ziel war es, diese drei Plattformen so zu überlappen, dass sich diese im Zentrum
‚integrieren‘. (Miller 2008, p.155)
Bailey (cited in Rose 2011, chap.13) bezeichnete dies auch als die „three-ball theory“:
“Our content lived in all three.”
19
Definition
Abbildung 8 Integrated Media Approach: three-ball-theory (LivePlanet cited in Miller 2008, p.155)
Laut dem Fernsehsender ABC nahmen ca. 600.000 Leute daran teil. Trotz der
ursprünglich hohen Erwartungen und der regen Teilnahme wurde Push, Nevada
nach nur sieben Folgen abgesetzt.
Bei dem Sequel zu The Matrix, ein Jahr nach Push, Nevada, wurde die Geschichte
wiederum über drei Kinofilme, eine animierte Kurzfilmserie, zwei Comic Book Serien
und mehrere Computerspiele transportiert. Es gibt dabei keine einzelne Quelle oder
‚Ur-Text‘, der die gesamte Information über das The Matrix Universum enthält.
Jemand der das Computerspiel spielt erlebt den Kinofilm anders, als jemand der
eben nur diesen gesehen hat. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
(Jenkins 2008, p.102)
Die Tiefe und Umfang des The Matrix Universums macht es zudem für ein
Individuum unmöglich, sämtliche Bestandteile der Geschichte und Hinweise zu
erfassen. Daraus bildeten sich eine Reihe von Fan-Websites und Diskussionsforen,
eine sogenannte ‚Knowledge Culture‘, um diese Informationsschnipsel zu sammeln
und auszutauschen. Es wurde Hinweisen nachgegangen, Zeittafeln angefertigt,
20
Definition
Dialoge transkribiert und auch die Geschichte durch eigene Fan Fiction erweitert.
(Jenkins 2008, p.127)
Laut Murray (cited in Jenkins 2008, p.119) sprechen solche Projekte drei
verschiedene Typen von Konsumenten an:
„the actively engaged real-time viewers who must find suspense and
satisfaction in each single episode and the more reflective long-term
audience who will look for coherent patterns in the story as a whole … [and]
the navigational viewer who takes pleasure in following the connections
between different parts of the story and in discovering multiple
arrangements of the same material.“
Die große Herausforderung besteht hierin, sämtliche Typen von Konsumenten zu
befriedigen.
Die Wachowski Brüder, Regisseure der The Matrix Trilogie, machten die Spiele,
Comics und die animierte Kurzfilmserie, zu einem zentralen Kern der Geschichte,
sodass sie das Risiko ganz bewusst eingingen, traditionelle Kinobesucher
abzuschrecken, indem sie ihnen wesentliche Teile der Geschichte vorenthielten.
(Jenkins 2008, p.111)
Wenn man solche Arbeiten nach traditionellen Kriterien beurteilt, erscheinen diese
stark fragmentiert. Aber diese Fragmentierung existiert deswegen, damit die
Konsumenten die Querverbindungen selbst herstellen können. Kinobesucher, die
mit nonlinearen Medien, wie Computerspiele, aufgewachsen sind, erwarten sich
eben eine neuartige Form der Unterhaltung. (Jenkins 2008, p.119)
Das Genre der Horrorfilme war, wenn man an The Blair Witch Project zurückdenkt,
immer sehr richtungsweisend für Transmedia Storytelling. Dies mag damit zu tun
haben, dass Filme, die eine fiktive Geschichte im Dokumentarstil erzählen, um diese
glaubwürdiger zu gestalten, eine sehr gute Ausgangsbasis dafür sind, um die Grenzen
zwischen Fiktion und Realität verschwimmen zu lassen.
Dass dafür immer wieder nach neuen Medien und Möglichkeiten gesucht wird, zeigt
auch das Beispiel der Promotionkampagne zum Kinofilm The Last Exorcism (2010).
Dieses nützte dafür Chatroulette, ein Video-Chat-Service, welches Teilnehmer nach
dem Zufallsprinzip untereinander verbindet. Bekannt wurde dieses Service in erster
21
Definition
Linie durch die Nacktheit und Entblößung bestimmter Körperteile. Und genau dieses
Prinzip nützte die Kampagne zu The Last Exorcism aus.
Ein nettes Mädchen, welches den Anschein machte, sich vor laufender Webcam zu
enthüllen, zog die ahnungslosen Zuschauer zunächst in dessen Bann, bevor sie sich
in einen vom Teufel besessenen Dämonen verwandelte.
Abbildung 9 The Last Exorcism - BEST OF Chatroulette reactions (thelastexorcism 2010)
Die ‚besten‘ Reaktionen der Chatpartner wurden als Video auf YouTube hochgeladen.
Dieser Clip entwickelte sich unmittelbar zum viralen Erfolg mit über vier Millionen
Views.
Zunächst wurde vermutet, dass die gezeigten Reaktionen nicht echt seien, sondern
gestellt. Mittlerweile hat aber das dafür verantwortliche Filmstudio Lionsgate
bestätigt, dass diese in der Tat ‚real‘ sein sollen. (Tsotsis 2010)
22
Definition
1.4 Collective Intelligence
Die Spielercommunity der Cloudmakers, die aus dem ARG The Beast
hervorgegangen sind, bezeichneten sich nach dem Spiel in ihren Online-Profilen,
Websites und Email Signaturen als ‘a collective intelligence unparalleled in
entertainment history’. Als Kollektiv lösten sie Rätsel, die bisher als scheinbar
unlösbar galten. (McGonigal 2003, p.1)
Elan Lee (cited in McGonigal 2003, p.2), neben Jordan Weisman einer der
Produzenten von The Beast, erklärte 2002 auf der Games Developer Conference :
„We created strings of puzzles that no single person could solve on their own
and we found to our delight it was working. The audience was forming
teams, sharing ideas, writing applications, posting theories, arranging
group meetings, programming distributed-client password crackers,
creating art.”
Sehr schnell lernten die Puppet Masters 1, dass die Cloudmakers sehr viel
intelligenter waren, als sie selbst. Die erstellten Puzzles wurden in Farbkategorien
eingeteilt, die die Schwierigkeitsgrade kennzeichneten. Es gab Puzzles, die geschätzt,
einen Tag oder eine Woche in Anspruch nehmen sollten. Aber es gab auch welche,
von denen gingen die Puppet Masters aus, dass diese gar nicht zu lösen seien.
Zumindest so lange nicht, bis sie den Spielern entsprechende Hinweise gaben. Die
Cloudmakers lösten alle Rätsel an einem einzigen Tag!
Auf Antwort auf diese äußerst effiziente kollektive Zusammenarbeit wurden die
Rätsel zunehmend schwieriger. Zudem wurden die Hinweise bei Live-Events in
unterschiedlichen Städten verteilt. Die Spieler in der jeweiligen Stadt
kommunizierten mit den zu Hause gebliebenen in Echtzeit, um die einzelnen
Puzzleteile aneinanderzufügen. (McGonigal 2003, pp.2–3)
Diese neu gewonnene kollektive Identität und damit verbundene kollektive
Intelligenz war für viele Cloudmakers das Highlight dieses Spiels. Eine Erfahrung,
die sie bisher noch nicht gemacht haben.
Ein Cloudmaker (cited in McGonigal 2003, p.7) beschrieb diese Erfahrung so:
Ein Puppetmaster (PM) ist eine Person, die für das Gamedesign oder die Durchführung eines
verantwortlich ist.
1
23
Definition
„The 7500+ people in this group … we are all one. We have made manifest
the idea of an unbelievably intricate intelligence. We are one mind, one voice
… made of 7500+ neurons… We sit back and look at our monitors, and our
keyboards … our window to this vast collective consciousness… we are not
alone. We are one person secluded from the rest of the world … kept apart by
the technology we have embraced. We have become part of it through the
technology. We have become a part of something greater than ourselves.”
Pierre Lévy (1999, pp.13–14) beschreibt diese Form von kollektiver Intelligenz, wie
folgt:
„It is a form of universally distributed intelligence, constantly enhanced,
coordinated in real time, and resulting in the effective mobilization of skills.
[…] No one knows everything, everyone knows something, all knowledge
resides in humanity. […] knowledge is simply the sum of what we know.”
‚Knowledge Communities‘, wie Lévy diese bezeichnet, schöpfen aus der Vielfalt ihrer
Mitglieder und deren Fähigkeiten und Wissen. Vieles was wir als einzelne Personen
nicht bewerkstelligen können, schaffen wir als Kollektiv.
Diese kollektive Intelligenz zeigt sehr gut, welches Potenzial Spieler in sich selbst
sehen, um Probleme zu lösen und gemeinsame Herausforderungen anzunehmen.
Allerdings vorwiegend in Spielen und nicht in der realen Welt
Einige Game Designer haben das Potenzial dieser kollektiven Spielergruppierungen
erkannt und möchten dieses Spielprinzip zum Lösen von Problemen in der realen
Welt anwenden. Viele ARGs, die nach 2007 entstanden sind, zählen zur Kategorie
der Serious Games und nehmen sich dieser Thematik an.
1.4.1 Smart Mobs
Einen ähnlichen Ansatz wie Lévy, vertritt Howard Rheingold mit seinem Konzept der
Smart Mobs, welches kollektive Intelligenz beschreibt. Es setzt hingegen aber eine
technologische Komponente voraus.
Howard Rheingold (2003) beschreibt in seinem Buch Smart Mobs: The Next Social
Revolution, welches 2002 erstmals erschienen ist, wie vor allem ‚Pervasive
Technology’ mobähnliches Verhalten beeinflusst. Vor allem mobile Technologie ist
dafür maßgeblich verantwortlich, dass sogenannte Smart Mobs entstehen können.
24
Definition
Als Howard Rheingold 2001 dieses Buch schrieb, klang vieles noch, wie Science
Fiction. Ein Jahrzehnt später ist vieles bereits alltäglich. Informations- und
Kommunikationstechnologien dringen in die physikalische Welt vor:
„Watch smart mobs emerge when millions of people use location-aware
mobile communication devices in computation-pervaded environments.
Things we hold in our hands are already speaking to things in the world.
Using our telephones as remote controls is only the beginning. At the same
time that the environment is growing more sentient, the device in your hand
is evolving from portable to wearable. A new media sphere is emerging from
this process, one that could become at least as influential, lucrative, and
ubiquitous as previous media spheres opened by print, telegraphy,
telephony, radio, television, and the wired Internet.“ (Rheingold 2009)
Erst, als in den letzten Jahren mobile Internettechnologie in unser Leben Einzug
gehalten hat, und Smartphones allgegenwärtig sind, wissen wir, wie Facebook,
Twitter und Co. unser Leben beeinflussen können.
Diese Technologie fördert und ermöglicht die Bildung von erschwinglichen, Echtzeit
Kommunikations-Netzwerken, die die Menschen auf einfachste Art untereinander
verbinden und dabei die rasche Ausbreitung begünstigen.
Die daraus entstehenden Smart Mobs sind bei ARGs essenziell, da diese
Communities Voraussetzung für das kollektive Problemlösen sind.
Auch Flash-Mobs sind ein Abkömmling dieser Smart Mobs. Diese sind ein gutes
Beispiel dafür, wie rasch spontane Menschenaufläufe an öffentlichen oder
halböffentlichen Plätzen mittels digitaler Kommunikationslösungen organisiert
werden können.
Der Begriff Smart Mobs muss aber nicht zwangsmäßig positiv besetzt sein. So
beschreibt Rheingold (2003, p.4) eine beunruhigende Anekdote von ‚e-tribalism’ in
2001, als die Polizei fünf Teenager, die der virtuellen Motorrad-Gang ‚Mad Wing
Angels’ angehörten, festnahm. Die Mitglieder verständigten sich mittels SMSTechnologie und versammelten sich nie an einem einzigen Ort zur selben Zeit. So
konnten sie sich lange Zeit der Verhaftung entziehen.
25
Definition
Ein weiteres Negativbeispiel sind die sogenannten Lynch-Mobs, Bürger, die das
Gesetz selbst in die Hand nehmen und betroffene Personen, nach Gutdünken,
bestrafen. Oftmals kommen hier zu Unrecht beschuldigte Personen zu schaden, da in
vielen Fällen oft vorschnell geurteilt wird.
Ein besonderer Fall wurde im August 2010 bekannt, als eine Frau, in einem YouTube
Clip Hundewelpen in den Fluss warf. Die User der Website 4chan riefen darauf die
Jagd nach dieser Person aus. Als diese glaubten, im Video eine britische Frau
identifiziert zu haben, wurde deren Name und Adresse im Forum veröffentlicht.
Daraufhin gab es zahlreiche Todesdrohungen gegen die vermeintliche Täterin, die
seitdem unter Polizeischutz steht. Vieles deutet darauf hin, dass diese Frau
unschuldig ist, und sich dieser Zwischenfall gar nicht in Großbritannien ereignete,
sondern in Bosnien Herzegowina. (Martinez 2010)
Für Rheingold zählen diese Beispiele allerdings als Anomalie.
Anhand seiner Beobachtung auf Shibuya Crossing in Japan erläutert Rheingold
(Rheingold 2003, p.2) das Konzept der Smart Mobs näher:
„The crosswalk works on the scramble system. Every time the light turns
green, 1500 people cross from 8 directions at once, performing a complex,
collective, ad hoc choreography that accomplishes the opposite of flocking;
people coordinate with immediate neighbors to go in different directions.”
Zusätzlich zur Koordination mit den sich bewegenden Menschen, führen viele
parallel dazu noch Telefongespräche mit Leuten, die sich an an anderen Orten
befinden. Und das alles zur selben Zeit.
Dieses ‚Scramble System’ zeigt die Unterschiede in Motivation, Aktion und Reaktion,
und keinesfalls unbeirrbares oder unkritisches mobähnliches Verhalten. (McGonigal
2003, p.8)
26
Definition
Abbildung 10 Shibuya Crossing Tokyo - Scramble System (TOKYOLUV 2010)
Auch waren Smart Mobs wesentlich an politischen Ereignissen beteiligt. Die ‚People
Power II‘ Demonstrationen brachen 2001 auf den Philippinen aus, als Präsident
Estradas Amtsenthebungsverfahren plötzlich von den Senatoren gestoppt wurde. Die
Demonstrationen wurden mittels SMS-Technologie organisiert und koordiniert und
führten schließlich zur Amtsenthebung des Präsidenten. (Rheingold 2003, pp.157–
159)
Ähnliches ließ sich auch 2009 im Iran bei der Revolutionsbewegung, die auch unter
‚The Green Path of Hope‘ bekannt ist, beobachten.
Die Ereignisse im Iran zeigen aber, dass der Zugang zu digitalen Medien und Social
Networks kein Garant dafür ist, die Bevölkerung von der Unterdrückung zu befreien,
aber es macht es unmöglich die gesamte Welt nicht davon wissen zu lassen.
Die Macht und der Einfluss der Smart Mobs darf nicht unterschätzt werden, und
viele diktatorische Regimes sehen diese auch als große Bedrohung.
Nicht ohne Grund, lies Präsident Mubarak 2010 in Ägypten das Internet abschalten,
um den Protesten Einhalt zu gebieten. Dies führt zu einem Abfall von 90% des
Internet-Datentransfers. Das wichtigste Kommunikationsmittel der Demonstranten
27
Definition
wurde damit massiv eingeschränkt. Online Aktivisten im In- und Ausland tauschten
aber Informationen aus, um diese ‚Abschaltung’ zu umgehen, z. B. mit Dial-Up
Connections in anderen Ländern. (Richtel 2011)
Howard Rheingold (2009) sieht aber Smart Mobs nicht als alleinige treibende Kraft
bei politischen Aufständen:
„The victory of smart mobs is not guaranteed by the power of the tools they
hold in their hands. That’s just magical thinking. However, the events I
described in my book were real. There were other forces at work in the
Philippines — there are always other forces at work — but the SMSorganized People Power II demonstrations were a large part of what
brought down the Estrada regime.”
1.4.2 Spoiling
Spoiling ist angewandte kollektive Intelligenz. Dieses Phänomen beschreibt Henry
Jenkins (2008) in seinem Buch Convergence Culture, anhand der TV-Show
Survivor. Survivor ist eine der populärsten TV-Shows des Fernsehsender CBS, in der
18 Teilnehmer gegeneinander im Wettbewerb antreten. Diese TV-Show hat nicht nur
den Trend zu Reality-TV ins Leben gerufen, sondern ist für die Internetgeneration
geschaffen. Die Zuschauer sollten über die Show diskutieren, untereinander
debattieren, die Inhalte analysieren, und über den zukünftigen Verlauf spekulieren,
denn der Gewinner dieser TV-Show ist eines der bestgehütetsten Geheimnisse in der
Fernsehgeschichte.
Und genau daraus entwickelten sich sogenannte Spoiling-Communities. Ziel dieser
Gruppen ist es, den Gewinner vorauszusagen. Dabei werden einzelne Episoden Bild
für Bild analysiert, um versteckte Hinweise zu finden und Crew-Mitglieder
ausgeforscht und befragt. Auch Hotels, in denen sich die die Teilnehmer vor der
Show befinden, werden besucht und sogar Satelliten-Bilder ausgewertet.
Es entwickelt sich regelrecht zu einem Katz-und-Maus Spiel zwischen den
Mitgliedern dieser Gruppen, den sogenannten Spoilers, und den Produzenten der
TV-Show.
Diese Spoilers haben die Show komplett verinnerlicht und sind davon besessen, den
Gewinner herauszufinden, bevor dieser von den Produzenten der Sendung enthüllt
wird. Dieser Prozess nennt sich Spoiling.
28
Definition
Spoiling ist aber nicht nur auf TV-Shows beschränkt. Man denke nur an die
Hersteller zahlreicher elektronischer Gadgets, wie Apple.
Alljährlich tauschen sich tausende von Usern in Online Foren und Blogs über die
neuesten Gerüchte der nächsten Generation des iPads oder der iPhones aus. Man
versucht einzelne Bauteile oder sogar fertige Prototypen in die Hände bekommen,
die zerlegt und genauestens analysiert werden, um möglichst viel darüber zu
erfahren.
Hier sind Paralellen zu Survivor ganz klar erkennbar. Ein Spiel zwischen
Konsumenten und Produzenten. Die Herausforderung an die ‚Spieler‘ ist, die
kommende Gerätegeneration vorherzusagen, noch bevor die Produkte der
Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Dieses Prinzip von Spoiling findet sich auch in aktuellen ARGs wieder. Bei
Cloverfield war das erklärte Ziel herauszufinden, wer oder was das Cloverfield
Monster ist. Diese wesentliche Frage bildete eine breite Basis für viele Fan-Sites und
Blogs und war auch Inspiration für Fan-Art.
29
Geschichte
Geschichte
Es gibt zahlreiche Einflüsse und Beispiele, die das Genre der ARGs geprägt haben.
Viele davon reichen bis zu den prähistorischen Menschen zurück.
Martin Ericsson (2004 cited in Montola et al. 2009, p.53) untersuchte antike
ägyptische Religionsrituale nach den Kriterien eines Rollenspiels (Larp):
„The Games at Abydos were not the first participatory dramas and they
were not the last. Through the ages and across the globe we find similar
spectacles of serious role-taking creating phenomena ranging from intimate
initiatory rites to sprawling carnivals.”
Der italienische Schriftsteller Luigi Pirandello (1867-1936) schrieb einige
Theaterstücke, die die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwimmen ließen.
Die ‚Fourth Wall‘, die unsichtbare Grenze zwischen Schauspielern und Publikum,
wurde absichtlich durchbrochen. In seinem Theaterstück Six Characters in Search
for an Author durchbrach Pirandello diese Mauer, in dem sich Darsteller wie reale
Personen verhielten, und unter dem Publikum nach einem Autor für das
unvollendete Stück suchten. Für seine bahnbrechende Arbeit erhielt Pirandello 1934
den Literaturnobelpreis. (Miller 2008, p.16)
Aber auch ludische Literatur hatte einen wesentlichen Einfluss.
Die Asterix-Gamebooks der Alea Jacta Est Reihe, die um 1987 erschienen, weisen
bereits eine interaktive Rollenspiel Komponente und ein Kampfsystem auf.
30
Geschichte
Abbildung 11 Asterix Abenteuerspiel Band 1: Das Gipfeltreffen (Goscinny & Uderzo 1987)
In diesem Abenteuerspiel Band nimmt man die Rolle von Grautvornix an und muss
verschiedene Abenteuer bestehen. Zu Beginn stattet man die eigene Person mit
persönlichen Eigenschaften, wie Kampfgeist, Geschicklichkeit und Charme aus. Das
Heft wird dann Abschnitt für Abschnitt gelesen, wobei man jeweils am Ende eine
Entscheidung treffen muss. Daraus entwickelt sich eine nonlineare Geschichte, die
sich unterschiedlich weiterentwickeln kann. Auch Kämpfe mit römischen Legionären
sind Bestandteil dieses Spiels, die man mit seinem Kampfgeist und dem Würfel
austrägt.
Hypertext Fiction, wie Zork (Blank & Lebling 1979), und ‚online real-time gaming
environments‘, wie Everquest (McQuaid et al. 1999), trugen ebenfalls zur
Entwicklung bei.
Die Campus Kultur von Universitäten war auch ein fruchtbarer Boden für die
Entwicklung von sogenannten Pervasive Games, von denen sich zahlreiche Elemente
in ARGs wiederfinden. Hier seien als Beispiel die sogenannten ‚Assassination
Games‘, wie Killer erwähnt.
31
Geschichte
Interessant ist auch die Wechselwirkung und der gegenseitige Einfluss von
Kinofilmen und den daraus resultierenden Spielen.
Das ‚Assassination Game‘ Killer wurde z. B. vom Kinofilm La decima vittima (Petri
1965) inspiriert. Daraus resultierten wiederum weitere Filme, die den
Spielmechanismus einem breiteren Publikum zugänglich machten (Montola et al.
2009, p.66)
Stephen Sondheims The Game, eine groß angelegte Schnitzeljagd quer durch Los
Angeles, wurde wiederum von den ‚high society treasure hunts’ aus den 1920er
Jahren und dem Film The Last of Sheila (Ross 1973) inspiriert.
Diese reale Schnitzeljagd diente wiederum für The Walt Disney Company als Vorlage
für den Kinofilm Midnight Madness (Nankin 1980).
Interessanterweise waren viele Teilnehmer bei Sondheims Schnitzeljagd The Game
Angestellte von Microsoft. Jahre später wurde The Beast, welches als erstes ARG gilt,
wiederum von Microsoft produziert (Montola et al. 2009, p.68)
Als Beispiel für das Pervasive Game schlechthin wird immer wieder gerne der
Kinofilm The Game (1997) von David Fincher erwähnt, bei dem die Grenzen
zwischen Fiktion und Realität verschwimmen. In diesem integriert sich das Spiel
nahtlos in das Leben der Protagonisten:
Zu seinem 48. Geburtstag bekommt Nicholas van Orton (Michael Douglas) ein
mysteriöses Geschenk von seinem Bruder. Ein Spiel, welches von der Firma
Consumer Recreation Services (CRS) angeboten wird.
Im Büro dieser Firma muss sich Nicholas einen ganzen Tag lang physischen und
psychischen Untersuchungen unterziehen. Die einzige Information, die er von CRS
(cited in Fincher 1997) zu diesem Spiel bekommt ist diese:
„It’s a game. Specifically tailored for each participant. Think of it as great
vacation, except you don’t go to it, it comes to you.”
Am nächsten Tag wird ihm von CRS mitgeteilt, dass er für dieses Spiel nicht geeignet
sei. Darauf beginnt das Spiel erst richtig, ganz im Sinne der TINAG Ästhetik.
Viele Konzepte daraus und auch aus Midnight Madness finden sich in ARGs, wie The
Beast und I Love Bees wieder.
32
Geschichte
1.5 Einflüsse
Neben den oben genannten Beispielen gibt es weitere Einflüsse, die das Genre der
ARGs geprägt haben.
Dies sind vor allem Beispiele, die von den Puppet Masters oft explizit als
wesentlicher Einfluss zitiert werden. Von Orson Welles War of the Worlds bis hin zu
Publius Enigma, einem Vorläufer der späteren ARGs, welches bereits Bulletin
Boards verwendete.
Oftmals stellt sich die Frage, ob gewisse Spiele als ARG kategorisiert werden dürfen
oder nicht. Als wesentliches Merkmal eines ARG, sollte zumindest eine Website in
den Spielablauf integriert sein.
Das Genre der ARGs ist sehr eng mit der technologischen Entwicklung des Internets
und der Neuen Medien verbunden. Alleine aus diesem Grund sind diese Beispiele als
Vorläufer und Pre-ARG zu sehen.
1.5.1 Orson Welles’ War of the Worlds
Am 30. Oktober 1938 übertrug CBS Orson Welles Radioadaption von HG Welles
War of the Worlds, einem klassischen Roman, in dem eine Invasion der
Marsmenschen auf der Erde stattfindet.
Das Besondere daran war, dass es nicht als Hörspiel präsentiert wurde, sondern als
fiktive Reportage. Viele Hörer verpassten den Hinweis, dass es sich dabei um Fiktion
handelt, und glaubten, dass der Angriff der Außerirdischen tatsächlich stattfindet.
Laut einer Statistik gab es 6 Millionen Zuhörer dieser CBS-Übertragung; 1,7
Millionen glaubten es sei real und 1,2 Millionen waren richtig verängstigt. Orson
Welles nutzte damals die bestehenden Normen dieses neuen Mediums, um die
fiktiven Ereignisse, so real und immersiv, wie möglich, zu präsentieren. (Askwith
2008, p.12)
Schilderungen von landesweiter Massenpanik sind aber etwas mit Vorsicht zu
genießen, und dürften von den Zeitungen, die sich gegenseitig in der Auflage
übertrumpfen wollten, stark übertrieben worden sein. Auch das Anrufaufkommen
bei CBS dürfte wohl nur etwas höher als gewohnt gewesen sein. (Wikipedia 2010)
33
Geschichte
1.5.2 Paul-Is-Dead Conspiracy
Am 12. Oktober 1969 rief ein Zuhörer bei einer Radiosendung an, und erklärte, dass
Paul McCartney bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei.
Dieses Gerücht griff, wie ein Lauffeuer, um sich und verbreitete sich rasend schnell.
Beatles-Fans trugen ominöse Beweise zusammen – von McCartneys nackten Füßen
auf dem Abbey Road-Cover über zahlreiche Symbole auf der Sgt. PeppersPlattenhülle bis hin zu Ausschnitten von Songtexten und versteckten Botschaften,
die man angeblich beim Rückwärtsspielen hören konnte. Ob die Beatles selbst das
Gerücht in die Welt setzten, ist bis heute unklar. Viele vermuten dies zwar, die
Beatles selbst haben es bisher immer bestritten.
Auf jeden Fall profitierten die Beatles von dieser ernormen kostenlosen Publicity.
Jordan Weisman, einer der Puppet Masters von The Beast, gab an, dass der Paul-IsDead Scherz ein wesentlicher Einfluss auf das gesamte Genre der ARGs war.
(Askwith 2008, p.14)
Dieses Beispiel zeigt sehr gut die Stärken der This Is Not A Game (TINAG) Ästhetik,
wie diese zum einen die Neugierde der Leute weckt und zum anderen zu
kollaborativen Spekulationen und Diskussionen führt.
Abbildung 12 Paul McCartney is dead (Askwith 2008, p.14)
34
Geschichte
1.5.3 Ong’s Hat: Incunabula
Es lässt sich nach heutiger Sicht schwer nachvollziehen wann das interaktive OnlineRätsel Ong’s Hat: Incunabula tatsächlich begann. Die Online-Aktivität lässt sich
durch die 1990er Jahre verfolgen. Hinweise auf dieses Spiel gab es aber bereits schon
1988, als Teile davon in diversen Science Fiction Magazinen erschienen.
Abbildung 13 Das Cover des Buchs Ong’s Hat: The Beginning (Szulborski 2005, p.86), ein Teil der Geschichte
von Ong’s Hat: Incunabula
Wie es für heutige ARGs üblich ist, wurde die Geschichte, die sich über Jahre
entwickelte, in Teilen über unterschiedliche Medien erzählt und erforderte oft die
Interaktion des Spielers um weiter in die geheimnisvolle Welt einzutauchen.
(Szulborski 2005, p.83)
Es war ein ‚literary/digital crossover‘ Spiel, welches Fotokopien, BBS 2, spätere
Internettechnologie, CD-ROMs und traditionelle Druckerzeugnisse, wie Bücher,
A Bulletin Board System, or BBS, is a computer system running software that allows users to connect
and log in to the system using a terminal program.
2
35
Geschichte
verwendete. Auf der ursprünglichen CD-ROM befanden sich 23 Puzzles, wobei laut
Hersteller, viele nie gelöst wurden. (Szulborski 2005, p.84)
Denny Unger (2001 cited in Szulborski 2005, pp.85–87) versuchte den Ablauf des
Spiels, nachdem er jahrelang das Material von Ong’s Hat, analysierte, in fünf
einfachen Schritten zu beschreiben:
1. Create an interactive medium that immerses the public in an addictive,
tantalizing story but keep the content restricted to certain personality types.
Reveal concepts and ideas that generally represent your beliefs.
2. Along the way, feed this portion of the public information which may or may
not be true about the story. (Filtration of the idiots)
3. Those that breach the truths and untruths may pass to the next level of
information. (Further idiot filtration)
4. As this select group narrows, inject information that more specifically
reveals their personal belief systems, ideals, and goals.
5. If the users’ ideals, beliefs and goals have been properly modified by the
process or the user already fits the mold, those persons are then accepted
into the ‘fold’.
Unger schrieb diese Worte, im August 2001, also lange bevor man The Beast nach
diesen Kriterien analysierte.
Auch wenn Ong’s Hat: Incunabula nicht alle Kriterien eines ARG erfüllte, sind die
Ähnlichkeiten zu heutigen ARGs sehr stark.
36
Geschichte
1.5.4 Treasure Hunts
1979 schrieb und illustrierte Kit Williams ein Kinderbuch namens Masquerade,
welches verborgene Hinweise auf jeder Seite und in den Bildern hatte. Diese sollten
zu einem sehr wertvollen versteckten Juwel führen, welches irgendwo in
Großbritannien vergraben ist.
Abbildung 14 Masquerades vergrabener Schatz: Ein Juwel
aus 18 Karat Gold und Edelsteinen, von Kit Williams
persönlich angefertigt (Askwith, Ivan 2008, p.13)
Abbildung 15 Masquerade, eine der sogenannten
Armchair Treasure Hunts (Askwith 2008, p.13)
Die Schatzsuche dauerte bis 1982, als ein Geschäftsmann namens Ken Thomas das
Juwel im Bedforsdhire Park entdeckte.
Sechs Jahre später stellte sich aber heraus, dass dieser Ken Thomas in Wirklichkeit
Dugald Thompson hieß, und Williams Ex-Freundin ihm den Standort des
vergrabenen Juwels verriet.
1988 wurde das Juwel bei Sotheby’s um £ 31.900 versteigert.
Masquerade war einer von vielen Wettbewerben, die als ‚Armchair Treasure Hunts‘
bekannt wurden. Diese hatten auch einen großen Einfluss auf spätere ARGs, da sie
die reale Welt als Spielfläche nutzten. (Askwith 2008, p.13)
37
Geschichte
1.5.5 London’s treasure hunt riots
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts waren sogenannte ‚Treasure Hunts‘ in
Großbritannien sehr populär.
1904 startete die britische Zeitung Weekly Dispatch The Greatest Treasure Hunt on
Record, um ihre Auflage zu steigern. Sie vergruben Medaillons, die gegen £ 50,- in
ihren Büros eingetauscht werden konnten.
Abbildung 16 Einige der glücklichen Gewinner (Slade 2006, p.6)
Trotz Hinweise und Warnungen gruben die Leute öffentliche Parks und private
Gärten um. Oftmals beschädigten sie auch Straßen und Gebäude. Dies nahm solche
Auswüchse an, dass sogar Polizei und Militär einschreiten mussten.Viele dieser
Schatzsucher wurden zwar vor Gericht bestraft, aber der Euphorie tat dies keinen
Abbruch.
„The interest taken in the treasure hunt has far surpassed the most optimistic
expectations” gab es von der Zeitung zu hören. Die Leute belagerten sogar deren
Büros, um als Erste eine aktuelle Ausgabe in die Hände zu bekommen, in der der
38
Geschichte
nächste Hinweis zu lesen war. In die Zeitungsredaktionen wurde sogar eingebrochen,
um die Standorte der Medaillons in Erfahrung zu bringen.
Es war natürlich nicht die erste, von einer Zeitung veranstaltete, Schatzsuche. Die
erste wird einem wöchentlichen Magazin namens Tib-Bits zugeschrieben. Bei dieser
gab es aber keinerlei Probleme. Dies wird darauf zurückgeführt, dass es sich hierbei
um eine intellektuellere Version des Spiels handelte und nicht für die breite Masse
konzipiert wurde.
Da die Probleme mit den Behörden stark zunahmen, beschloss die Zeitung Weekly
Dispatch im Endeffekt, deren Schatzsuche harmloser zu gestalten:
„Readers would get another serialized story full of clues to hidden booty, but
this time be asked to mark its location on a printed map. The first reader to
send in a map marked in the right place would get his prize through the post.
[...] Real-world treasure hunts caused too many headaches.” (Slade 2006)
Auf die Zeitungsauflage bezogen waren diese Schatzsuchen ein großer Erfolg und
wurden letztlich in ganz Europa kopiert.
1.5.6 We Lost Our Gold
Dass Schatzsuchen noch nichts von ihrer Faszination eingebüßt haben, beweist das
ARG We Lost Our Gold, welches 2010 in New York City stattfand.
We Lost Our Gold 3 ist eine ‚true modern-day treasure hunt’ quer durch New York
City um einen $ 10.000 Schatz zu entdecken, der in einem der fünf Bezirke versteckt
ist. Offizieller Start für das Spiel war am 1. August 2010. Wer dahinter steckt, ist bis
heute unklar.
Drei Piraten und ein Ninja waren die Hauptcharaktere einer achtteiligen MiniWebserie, wobei jede Folge neue Hinweise beinhaltete, die einem dem Schatz näher
bringen sollten.
Die Protagonisten der Serie konnten auch per Email kontaktiert werden. Der Captain
und sein ‚first mate‘ Mulligan hatten zudem einen eigenen aktiven Twitter Account.
3
www.welostourgold.com
39
Geschichte
Der Captain teilte darin Piraten-Tipps mit, und Mulligan lernte, die Stadt per UBahn zu erkunden. Zudem gab es eine eigene Facebook Seite mit Updates.
Abbildung 17 We Lost Our Gold (Welostourgold 2010)
Den Puppet Masters dürften auch die einhergehenden Probleme bei Schatzsuchen
bekannt sein. Um Chaos zu verhindern, und dass der komplette Central Park
umgegraben wird, gab es folgenden Hinweis auf ihrer Website:
„…It’s buried. And it’s one of the five Boroughs of New York City. Also, don’t just
start digging randomly. You’ll know when you’ve found it. Oh, and for the record…
it’s NOT in Central Park.” (We Lost Our Gold 2010)
Der Schatz ist bisher nicht gefunden worden, und dürfte noch immer in New York
City vergraben sein.
40
Geschichte
1.5.7 Publius Enigma
1994, kurz nachdem Pink Floyd ihr Album The Division Bell veröffentlichte, postete
ein ‚Messenger‘ namens Publius kryptische Nachrichten in der Usenet
Diskussionsgruppe von Pink Floyd. Er gab an, dass ein Rätsel (Enigma) im Album
versteckt ist, und derjenige der es entziffert sollte einen Preis erhalten.
Abbildung 18 CD Cover von Pink Floyd’s Album The Division Bell (Askwith 2008, p.15)
Da viele der Fans sehr skeptisch waren, machte Publius eine Voraussage, um einen
Beweis für dessen Echtheit zu erbringen:
„Monday, July 18, East Rutherford, New Jersey. Approximately 10:30pm.
Flashing white lights. There is an enigma.”
An dem besagten Abend gaben Pink Floyd ein Konzert in East Rutherford. Um 10:30
Uhr wurden die Worte PUBLIUS und ENIGMA auf die Bühne projiziert. (Askwith
2008, p.15)
41
Geschichte
Abbildung 19 Ein Standbild aus dem Video des Pink Floyd Konzert vom 16. Juli 1994, welches das Wort
‚ENIGMA‘ zeigt. (Askwith 2008, p.15)
1997 postete Publius eine letzte Nachricht in die Usenet Gruppe.
Darauf folgte eine Nachricht eines Users, der angab, das Rätsel gelöst zu haben. An
der Authentizität der beiden Nachrichten wurde aber stark gezweifelt. (Szulborski
2005, p.90)
Erst Jahre später, im April 2005, enthüllte Nick Mason (cited in Askwith 2008, p.15),
der Drummer von Pink Floyd, dass Publius Enigma real war und von deren
Plattenlabel inszeniert wurde:
„That was a ploy done by EMI. They had a man working for them who
adored puzzles…. He was working for EMI and suggested that a puzzle be
created that could be followed on the Web. The prize was never given out. To
this day it remains unsolved.”
Auch hier gibt es zahlreiche Stimmen gegen die Klassifizierung als ARG, da keine
einzige Website im Rahmen von Publius Enigma verwendet wurde. Die
Ähnlichkeiten sind aber nach unserem heutigen Verständnis unübersehbar.
Außerdem wurden Medien und Techniken verwendet, die auch in heutigen ARGs
Anwendung finden. Es war die erste groß angelegte kommerzielle Kampagne um ein
Produkt zu bewerben, in dem man die Aufmerksamkeit auf eine mysteriöse
Geschichte lenkte, und einen Preis für die Lösung des Rätsels versprach.
42
Geschichte
1.6 The Beast
Von vielen wird The Beast als erstes Alternate Reality Game bezeichnet. Es war Teil
einer Marketingkampagne für Steven Spielbergs Film A.I. Artificial Intelligence
(2001) und wurde von Microsoft für Dreamworks entwickelt.
Es kombinierte die Interaktionsmöglichkeiten des Internets mit einer fesselnden
Geschichte und legte mit seiner Umsetzung praktisch den Standard für alle
zukünftigen ARGs fest.
Jordan Weisman rief Sean Stewart im Sommer 2000 an und fragte ihn, ob er an
einem innovativen Marketing-Projekt von Microsoft für Steven Spielbergs
kommenden Film A.I.: Artificial Intelligence mitarbeiten möchte.
Deren Aufgabe sollte es sein, eine virtuelle Welt für das Jahr 2142 zu erschaffen, bei
denen unterschiedliche Aspekte zum Thema künstliche Intelligenz erforscht werden.
Es sollte keine Kopie der Geschichte des Films sein, sondern die Hintergründe
erörtern.
In seinen ‚Introductions to the A.I. Web Game’ legte Stewart (cited in Szulborski
2005, p.94) die Ziele für das Spiel fest:
1. The narrative would be broken into fragments, which the players
would be required to reassemble.
2. The game would – of necessity – be fundamentally cooperative and
collective, because of the nature of the internet.
3. The game would be cooler if nobody knew who was doing it, or why.
4. The game would be cooler if it came at you, through as many different
conduits as possible.
Aus seiner Aufzählung lässt sich schon das Leitmotiv eines jeden ARG ableiten: ‚This
Is Not A Game.‘
Ein ARG würde sich niemals als Spiel bezeichnen. Nur so ist es möglich, die fiktive
und reale Welt miteinander zu verschmelzen. Das Geheimnis bleibt dadurch gewahrt
und der Nervenkitzel erhalten:
„The mantra – this is not a game – had another meaning particularly
important to me. I didn’t want this to be a strictly intellectual experience. I
43
Geschichte
didn’t want you to be able to view the characters as …. Game tokens. I
wanted it to work like art. I wanted people to care, to laugh to cry – to be
engaged the way a novel engages. To put all this ingenuity into the
storytelling method, and then to tell a stupid story – that would be an
unbearable waste.” (Stewart cited in Askwith 2008, p.17)
Sein Wunsch war es traditionelle Erzählungen und das Medium Spiel miteinander zu
verbinden. Ziel war es, diese neue Form der Geschichten über alltägliche
Kommunikationsmittel erlebbar zu machen und dabei eine immersive und fesselnde
‚Alternate Reality‘ zu schaffen.
Die ersten Hinweise für den Einstieg in das Spiel, die sogenannten Rabbit Holes,
waren im Trailer und in den Kinoplakaten enthalten.
In den Credits im Trailer war eine Person namens ‚Jeanine Salla, Sentient Machine
Therapist‘ angeführt. Viele taten dies anfangs als harmlosen Scherz ab, der im
Zusammenhang mit dem Thema des Films stand. Nach und nach wurden weitere
Hinweise gefunden. Diesmal waren es kleine Buchstaben auf der Rückseite der
Promotion Posters. Die Silber umrandeten Zeichen ergaben den Hinweis ‚Evan Chan
was murdered’, die anderen, die goldumrandet waren, ‚Jeanine is the key’.
Wenn man nach ‚Jeanine Salla‘ googlete, gelangte man über einen Link zur
Bangalore World University, einer der ersten ‚In-Game‘ Websites.
Ein weiterer Hinweis war im Trailer in den Worten ‚Summer 2001‘ verborgen. Wenn
man diesen korrekt entzifferte, ergab dies eine Telefonnummer, die bei Anruf, den
nächsten Hinweis preisgab.
Abbildung 20 This Is Not A Game (Artificial Intelligence Trailer, 2001 cited in Askwith 2008, p.18)
44
Geschichte
Dieser Pfad entwickelte sich zu einer unglaublich komplexen Geschichte und einer
Schnitzeljagd über mehr als 30 Websites und Hunderte von anderen ‚In-Game
Assets‘, wie Email Nachrichten, Video Clips und extrem schwierige Rätsel, die man
nur kollektiv lösen konnte.
Bis zu 10.000 Spieler kamen zusammen um The Beast zu lösen, die später als ‚the
Cloudmakers‘ bekannt wurden. Alleine in den vier Monaten gab es ca. 43.000
Online-Nachrichten, um gemeinsam die Rätsel und Hinweise zu entziffern.
(Szulborski 2005, p.98)
The Beast legte den Grundstein für viele ARGs in den kommenden Jahren und
definierte gemeinsam mit dem sehr erfolgreichen I Love Bees, einem ARG zur
Promotion des Computerspiels Halo 2 von Microsoft, dieses neue Spielgenre.
1.7 Majestic
Nach dem Erfolg von The Beast gab es seitens einiger Spielehersteller den Wunsch
solche ARGs zu kommerzialisieren. Sie wollten ein profitables Produkt, welches nicht
Teil einer kostenlosen Marketingkampagne ist.
Beschrieben wurde Majestic als ‚the first Internet-based suspense thriller’ und mit
‚the game plays you!’. Hinter diesem Projekt stand der Spielehersteller EA, und
dieses Online-Spiel sollte jedem Spieler $ 10,- pro Monat kosten. Dies war einer der
ersten Versuche ein subskriptionsbasiertes Spiel auf den Markt zu bringen, lange
bevor World of Warcraft ein Welthit wurde.
Dass EA im Vorfeld Majestic als Spiel bezeichnete, war generell etwas Neues und
eigentlich verpönt im Genre der Alternate Reality Games. Es ist damit praktisch
ausgeschlossen, dass Spieler sich fragen, ob die Geschichte nun real sei oder nicht. Es
widersprach dem Grundsatz This Is Not A Game, von dem eigentlich die große
Faszination ausging.
Das Besondere an Majestic war aber, dass es sich zwar anfangs als Spiel bezeichnete,
um ein größeres Publikum anzusprechen, aber kurz nach dem Start bekamen alle
Teilnehmer eine automatisierte Nachricht, dass das Spiel auf unbestimmte Zeit
verschoben werden musste. Der Grund dafür war ein Brand im Hauptquartier des
Herstellers. Danach begann das Spiel erst wirklich. Dies war Teil der fiktiven
Geschichte und es stellte sich im Verlauf des Spiels heraus, dass es sich hierbei um
45
Geschichte
einen Terroranschlag handelte. Damit wurde Majestic auch wieder dem
Grundgedanken von This Is Not A Game gerecht. (McGonigal 2003, p.4)
Die ‚Majestic Alliance application‘ war der Mittelpunkt dieses ARGs und
benachrichtigte die Spieler über alle relevanten Neuerungen und Inhalte im Spiel.
Die Inhalte selbst wurden episodenweise aufbereitet und bestanden aus Websites,
Rätseln, Videos und Telefonanrufen, in denen Audiodateien Teile der Geschichte
erzählten.
Es war so gedacht, dass jeder Spieler täglich nur eine bestimmte Zeit in das Spiel
investieren musste. Den Großteil des Tages war das Spiel aber auf ‚Stand-by‘ - in
dieser Zeit konnten die Spieler auch nicht mit der Welt von Majestic interagieren.
Dies trug dazu bei, dass das Spiel nicht als besonders immersiv empfunden wurde.
Als die erste Saison des Spiels fortschritt, wurde die Anzahl der Episoden deutlich
verringert. Viele Spieler beschwerten sich auch wegen des geringen Umfangs der
einzelnen Episoden und erlebten dabei auch noch technische Schwierigkeiten, z. B.
beim Abspielen der Videos. Dadurch versäumten sie wichtige Hinweise, die sie in der
Geschichte weiterbringen hätten sollen.
Einer der Gründe, warum das Spiel frühzeitig endete, dürfte die Unterbrechung nach
den Terror Attacken am 11. September 2001 gewesen sein. Der Grund dafür war,
unnötige Belastungen für das nationale Telefonsystem zu vermeiden. Auch gab EA
an, dass manche fiktionale Elemente der Geschichte zur Zeit nicht angemessen seien.
Im November 2001 brachte EA eine CD-ROM mit den bisherigen 4 Episoden und der
Einführungsepisode heraus. Viele Spieler sahen dies bereits als das Ende des Spiels
und behielten damit auch recht, als am 19. Dezember Majestic eingestellt wurde.
Einiges machten die Entwickler von EA richtig, vieles aber auch falsch.
Eine der größten Errungenschaften von Majestic war, dass es die Spieler ermutigte,
im Rahmen des ‚BIOS Programs‘, selbst Minigames, Fan-Fiction, Fan-Sites und
kleine ARGs selbst zu entwickeln. (Szulborski 2005, pp.105–117)
46
Kategorien
Kategorien
Ivan Askwith (2008, pp.22–27) unterteilte die ARGs in vier Kategorien: Promotional
ARGs, Grassroots ARGs, Narrative Extension ARGs und Monetized ARGs.
Ich möchte hier noch die Kategorie der Serious Games ergänzen, die seit 2007 an
Bedeutung gewonnen haben.
Ein Promotional ARG ist z. B. The Beast oder I Love Bees, die ein konkretes Produkt
oder einen Kinofilm bewerben. Grassroots ARGs sind Spiele, die von unabhängigen
Entwicklern produziert werden. Exocog zählt zum Beispiel dazu. Mit wenig
personellen Ressourcen und beschränkten finanziellen Mitteln werden ARGs für
gleichgesinnte Spieler geschaffen. Diese entstehen aus Begeisterung für dieses Spiele
Genre oder als eine Art Fan Fiction, in der die Geschichte vorangegangener ARGs
weiterentwickelt wird. Oft stehen diese Spiele den professionellen Vorbildern um
nicht viel nach.
Zu den Narrative Extension ARGs zählt z. B. Push Las Vegas, in dem die Geschichte
der Fernsehserie vertieft und erweitert wird, und bei den Monetized ARGs ist
Majestic das bekannteste Beispiel. Monetized ARGs sind wohl die problematischte
Form von ARGs, da es den Entwicklern bisher nicht gelungen ist, dafür ein
funktionierendes Modell auf die Beine zu stellen.
Die meiner Meinung nach zukunftsträchtigste Kategorie sind aber die Serious
Games, auf die ich in diesem Teil meiner Arbeit noch näher eingehen werde. Die
kollektive Problemlösungsfähigkeit der Communities wird hierbei auf reale Probleme
angewendet. Ein Einsatzzweck für solche ARGs wäre z. B. als Social Learning Tool.
Die Einordnung von ARGs ist generell schwierig, da auf viele oft mehrere Kategorien
zutreffen. The Beast ist z. B. ein Promotional ARG, aber ebenso ein Narrative
Extension ARG, da es die Geschichte hinter dem Film vertieft.
Diese Kategorisierung sollte daher lediglich beitragen, ein größtmögliches Abbild der
Vielfalt zu schaffen und unterschiedliche Einsatzzwecke aufzuzeigen.
47
Kategorien
1.8 Cloverfield
Cloverfield (2008) ist ein Filmprojekt von Produzent J.J. Abrams, der durch Serien
wie Lost, Felicity oder Alias bekannt wurde. Regie führte Matt Reeves und das
Drehbuch stammt von Drew Goddard.
Der Film selbst wurde im Dokumentarstil, mit einer ‚Handkamera‘ gedreht, und als
‚gefundenes‘ Videomaterial, ähnlich, wie bei The Blair Witch Project präsentiert, um
die Authentizität zu verstärken.
Der erste Teaser zu diesem Film wurde erstmals vor dem Kinofilm Transformers
gezeigt. Allerdings ohne Titel. Es war lediglich ein Datum zu sehen (01-18-08 oder
18. Jänner 2008). Später stellte es sich heraus, dass dies das Datum des Kinostarts
bzw. der Geschehnisse im Film ist. Da kein anderer Titel bis zum zweiten Trailer
bekannt gegeben wurde, galt 01-18-08 auch als Arbeitstitel.
Abbildung 21 Cloverfield Teaser 1-18-08 (Reeves 2007)
Gezeigt werden wackelige Videoaufnahmen einer Abschiedsparty für einen jungen
Mann namens Rob in einer New Yorker Wohnung. Plötzlich wird die Party von
einem metallischen Dröhnen und einem Stromausfall unterbrochen. Es verbreitet
sich Panik als brennende Objekte aus dem Himmel explodierend in die Straßen
stürzen. Alles flüchtet, das wilde Gewackel der Kamera verzerrt Bild und Ton, als
plötzlich der Kopf der Freiheitsstatue auf der Straße landet. Dann die Einblendung
‚IN THEATERS 1-18-08‘. Kein Titel, kein Star, keine Erklärung. (Reeves 2007)
48
Kategorien
Nur so viel lässt sich darüber in Erfahrung bringen: Es dreht sich um eine MonsterAttacke auf New York aus der Sicht einer Handvoll Menschen.
Kurz darauf erschienen bereits die ersten mit Handy abgefilmten Kopien auf
YouTube, und amerikanischen Fernsehstationen, die darüber berichten wollten,
wurde eine Kopie des Teasers verweigert. Das Filmstudio Paramount leitete
rechtliche Schritte ein und forderte YouTube auf die Clips zu löschen. Wenige Tage
später wurde der Teaser auf Apples Quicktime Website veröffentlicht.
Am 19. November 2007 erschien der erste offizielle Trailer zum Film, in dem der
Titel Cloverfield offiziell vom Studio Paramount bestätigt wurde.
Nicht nur die Geheimhaltung seitens Paramount und J.J.Abrams verhalf dem Film
zu dem Hype, sondern auch das ARG, welches im Vorfeld zu Marketingzwecken
stattfand.
Mit einem geschätzen Budget von etwa $ 25 Millionen und einem Einspielergebnis
von über $ 170 Millionen, kann der Film durchaus als Erfolg angesehen werden.
(Wikipedia 2008)
Der Film selbst konnte zudem mit keinen bekannten Stars aufwarten. Lediglich
durch den Hype im Vorfeld konnte die hohe Erwartungshaltung geschürt werden.
Produzent J.J. Abrams hatte bereits diese Form von Marketing benutzt, um zwei
Lost-Staffeln zu überbrücken, und zwar mit dem Online-ARG The Lost Experience.
Seine dadurch gesammelten Erfahrungen haben gezeigt, wie schnell Communities
mit eigenen Theorien und Nachforschungen reagieren und für den Film Werbung
machen. Und das vor allem sehr kostengünstig:
„When the trailer hit the screens right before Transformers, people freaked
out. Not necessarily because of the content of the trailer, but because it was a
surprise—they knew nothing about it beforehand. That was the point: The
intended effect was to make a teaser trailer that actually teased. It worked
like gangbusters, all because we hadn't prepublicized the film on
entertainment shows and in magazines. It was a small experiment that
proved what most everyone knows: Having all the information isn't always
better.” (J.J. Abrams 2009, p.2)
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Kategorien
Im Fall von Cloverfield nutzte man die Möglichkeiten des Internets und eröffnete
verschiedene Websites, die von den Fans nach und nach entdeckt wurden. Der
Teaser/Trailer wurde von zahlreichen Usern Bild für Bild analysiert, um nach
möglichen weiterführenden Hinweisen zu suchen. Manche analysierten sogar die
Tonspur.
Die Geheimnistuerei brachte den gewünschten Hype und führte zu einer
Schnitzeljagd im World Wide Web. Es gab zahlreiche In-Game Websites, YouTube
Videoclips, MySpace Profile der Hauptdarsteller und auch Mangas, welche die
Vorgeschichte zu diesem Film erzählten. Details, die im Kinofilm selbst nicht
vorkamen, und einen tieferen Einblick in die Geschichte ermöglichten.
Selbst der Soundtrack wurde im Rahmen der TINAG Ästhetik als Rob’s Party Mix
veröffentlicht. Es war das ‚Mixed-Tape‘ des Protagonisten Rob Hawkins, für den die
Abschiedsparty im Film veranstaltet wurde.
In Cloverfield selbst kam selbst, bis auf den Abspann, keine Musik vor.
Abbildung 22 Rob’s Party Mix: iTunes Has the Cloverfield Soundtrack (djspankypants 2007)
Daneben spielte der User Generated Content eine große Rolle. Dies waren Wikis, in
denen die Spieler sämtliche Hinweise austauschten, aber auch Fan-Art, um z. B. das
Aussehen des Monsters, welches das bestgehüteste Geheimnis des Films war, zu
rekonstruieren.
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Kategorien
1.8.1 In-Game Websites
1-18-08.com
Dies gilt als die erste offizielle Seite. Unmittelbar nach Erscheinen des ersten Teasers
wurde nach 01-18-08 gegoogelt und prompt diese Seite gefunden.
Abbildung 23 Cloverfield Website (Cloverfield 2007)
Sie stellt eine Fotosammlung mit Personen des Films dar, mit denen der Zuseher
bereits aus dem Trailer vertraut ist. Die Fotos lassen sich per Mausklick drehen und
wenden und auf geheimnisvolle Hinweise untersuchen. Alle Aufnahmen sind mit
Datum- und Zeitangaben versehen und lassen sich chronologisch in zwei Kategorien
einteilen: vor dem Monsterangriff und danach.
Im ersten Fall zeigen die Fotos Partygäste mit persönlicher Botschaft an ‚Rob‘ auf der
Rückseite. Die zweite Gruppe der Fotos zeigt den Verlauf der Monsterattacke. Das
Monster selbst wird nicht gezeigt. Fast jeden Monat kam ein neues Foto hinzu.
Obwohl von J.J. Abrams ‚01-18-08‘ als einzige offizielle Website genannt wird, sind
eine Reihe von anderen Seiten entstanden, die die Vorgeschichte des Films erzählen.
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Kategorien
MySpace.com
Alle Hauptdarsteller des Films sind mit einem eigenen Profil im sozialen Netzwerk
MySpace vertreten.
Abbildung 24 Rob Hawkins MySpace Profil (Hawkins 2008)
Es gibt zwar keine offizielle Bestätigung dieser Benutzerprofile, jedoch stellen hier
die im Film mitwirkenden Schauspieler ihre Charaktere dar. Als Beweis gelten die
jeweiligen Fotosammlungen der Charaktere.
Die Charaktere führen nicht nur einen regen Gedankenaustausch untereinander und
mit ihren Freunden. Die Besonderheit liegt in der Interaktivität dieser Profile. Fans
haben die Möglichkeit sich mit diesen fiktionalen Personen zu unterhalten, ihre
Tagebücher zu kommentieren und sogar an einer interaktiven Comic Geschichte
gemeinsam zu schreiben.
52
Kategorien
Genau diese Interaktivität erlaubt es, die Hintergründe bzw. die Beziehungen
zwischen den Charakteren kennenzulernen. Hinweise über das Monster sind keine
zu finden, da die Erzählzeit der jetzigen Zeit, also der, vor der Katastrophe glich und
der Angriff erst im Jänner 2008 stattfand.
In seinem letzten Blogeintrag am 5. Jänner 2008 berichtet Rob Hawkins (2008)
über seinen neuen Job als Marketing-Manager bei Slusho in Japan:
„So I got a job offer, and it's everything I wanted. More money, more power,
more creative freedom. I'd even have up to five people working under me,
and you know how much I've always wanted underlings. One catch -- I need
to move to freakin' JAPAN! The job is the V.P. of Marketing and Promotions
for SLUSHO! brand "happy drink." […]”
Seine Abschiedsparty ist der Beginn des Films Cloverfield. Sie findet am 18. Jänner
2008 statt (01-18-08) statt, also jenem Tag, an dem das Monster über New York
herfällt.
Im Teaser zu Cloverfield trägt er auch jenes ominöse T-Shirt mit dem Logo-Aufdruck
von Slusho, einem der ersten wichtigen Hinweise des ARG.
Slusho.jp
Diese Seite wurde kurz nach Erscheinen des ersten Teasers entdeckt. Auf den ersten
Blick steht diese in keiner direkten Verbindung zum Film. Es ist eine Werbung für
das aus Japan stammende Getränk ‚Slusho!‘. Das Getränk wurde bereits in einer
anderen J.J. Abrams Serien, wie Alias gesichtet. Auch in der Fernsehserie Fringe hat
es schon einen Gastauftritt.
Slusho ist zudem Rob Hawkins zukünftiger Arbeitsgeber, da sie am westlichen Markt
Fuss fassen möchten. Zudem ist die Firma ein Tochterunternehmen von Sagruato,
einem Erdölkonzern, der auch in dieser Geschichte eine bedeutende Rolle spielt.
Die wichtigste Zutat diese Getränks ist der Seabed's Nectar (Kaitei no mitsu). Dieser
wird nur am Boden des Ozeans gefunden, unter hohem Druck und sehr niedrigen
Temperaturen. Zudem sollte das Getränk mit dem Slogan ‚You Can’t Drink Just Six.‘
stark süchtig machen, hat aber anscheinend ansonsten keine bedeutenden
Nebenwirkungen. Daher wurde es auch von der American Food Association
zugelassen. (Cloverpedia 2007)
53
Kategorien
Abbildung 25 Slusho Website des fiktiven Getränkeherstellers (Slusho 2007)
Auf der offiziellen Slusho Website konnten auch T-Shirts bestellt werden. Und zwar
dieselben, die auch Rob Hawkins im Teaser trägt.
Spieler berichten darüber, dass diese auch im japanischen Zeitungspapier eingepackt
waren. Einige von ihnen glaubten, dass diese Zeitungsseiten auch eine bestimmte
Bedeutung hatten. Lediglich verdeutlichten diese nur die Herkunft.
Tagruato
Tagruato ist eine Firma, die auf Tiefseebohrungen spezialisiert ist und ist zugleich
Mutterkonzern der Getränkemarke Slusho.
2007 wurde eine neue Bohrinsel namens Chaui Station, in der Nähe von New York,
eröffnet.In diesem Jahr schickte Tagruato auch deren ersten Satelliten ins All.
Dieser hatte die Aufgabe den abgestürzten Satelliten ChimpanzII, der am Ende des
Kinofilms Cloverfield kurz zu sehen ist, aufzuspüren. Zumindest dürfte dies der
Vorwand dafür gewesen sein.
Tatsächlich hatte er die Aufgabe, Aufnahmen von Tiefseegräben rund um die
Bohrinsel Chaui Station zu machen. Dort dürften sie nicht nur den mysteriösen
Seabed’s Nectar entdeckt haben, sondern auch das Monster, wie Sonar Bilder
54
Kategorien
beweisen. Diese hatte der ‚Whistle Blower‘, in Informat aus dem Tagruato HQ,
einigen Spielern übermittelt. (Cloverpedia 2008a)
Abbildung 26 Tagruato Firmenwebsite (Tagruato 2007)
Am 27. Dezember 2007, also kurz vor dem Angriff in New York, wurde Chaui Station
von einer mysteriösen Explosion zerstört.
Auf YouTube berichteten zahlreiche Fernsehsender darüber. Diese bestanden aus
fiktivem Videomaterial an Bord der Bohrinsel, sowie Luftaufnahmen. Diese
Fernsehberichte wurden in zahlreichen Sprachen veröffentlicht. Die Spieler selbst
55
Kategorien
koordinierten sich untereinander und übersetzten diese Reportagen in deren
Landessprache um etwaige zusätzliche Hinweise zu finden.
Abbildung 27 Mysteriöse Explosion auf Ölplattform (26 Local 2008)
Mit etwas Fantasie ist ein dunkler Schatten unter der Meeresoberfläche zu erahnen,
der anscheinend das Cloverfield Monster sein dürfte.
Die Schuld an diesem Unglück wurde anfangs einer militanten Umweltschutzgruppe
namens TIDO zugewiesen, die den Anschlag verübt haben sollte. Tatsächlich
handelte es sich um den ersten Angriff des Cloverfield Monsters.
TIDO wave
Einer der erbittertsten Gegner von Tagruato ist eine Umweltschutz Gruppe namens
TIDO wave. Tagruato wird von ihnen beschuldigt durch ihre Bohraktivitäten die
Ozeane zu zerstören.
Auf ihrer Website verwendeten sie einen Geheimcode um untereinander zu
kommunizieren. Sie hatten das Ziel herauszufinden, wo sich die, zunächst geheime,
Chaui Station befindet, und welchen Zweck damit Tagruato verfolgte. (Cloverpedia
2008a)
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Abbildung 28 T.I.D.O. WAVE (T.I.D.O. WAVE 2007)
Manga
Ein weiterer wichtiger Bestandteil dieser Transmedia Story ist das Manga zu
Cloverfield, welches monatlich online veröffentlicht wurde. Allerdings nur auf
japanisch. Die Spieler koordinierten sich online, um die jeweiligen Ausgaben ins
Englische zu übersetzen. So erfuhren sie mehr über die Vorgeschichte des Monsters
und den dunklen Machenschaften von Sagruato. Zeitlich ist dieses vor dem
Zwischenfall auf der Chaui Station einzuordnen. (Cloverpedia 2008b)
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Kategorien
Abbildung 29 Cloverfield Manga (Togawa 2008)
1.8.2 Out of Game
Der Begriff ‚Out of Game‘ (OOG) bezeichnet in der Terminologie von Alternate
Reality Games die Websites, Quellen und Themen, die zunächst von den ARGTeilnehmern in die Entwicklung der Hypothesen über die Alternate Reality
miteinbezogen werden, sich jedoch später als, in keinem (oder im zufälligen)
Zusammenhang stehende Elemente entpuppen.
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Die Despoiler 01-18-08 Wiki (2007) hat daher einen eigenen Leitfaden für
Newcomer veröffentlicht, um In-Game und Out-Of-Game Inhalte unterscheiden zu
lernen. Auch gibt es immer wieder Trittbrettfahrer, die vom Marketing-Hype
profitieren möchten.
Das wohl prominenteste Beispiel für ein solches Missverständnis war eine Reihe von
Websites, die sich mit Ethan Haas (Mind Storm Labs 2007) beschäftigten. Eine Seite
mit animierten Rätseln, bei der im Hintergrund eine zerstörte Stadt zu sehen war.
Diese Stadt erinnerte sehr stark an die Plakate von Cloverfield. Viele Medien
brachten diese Website direkt in Verbindung mit Cloverfield. Tatsächlich entpuppte
sich diese Seite als Teil einer viralen Marketingkampagne für das Spiel Alpha
Omega.
Abbildung 30 OOG Website Ethan Haas Was Right (Mind Storm Labs 2007): www.ethanhaaswasright.com
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Kategorien
1.8.3 Cloverfield Communities
Im Rahmen von Cloverfield sind in der kurzen Zeit einige sehr umfangreiche
Communities entstanden. Mittels Blogs, Foren und Wikis wurde untereinander
kommuniziert. Aber auch Portale, wie MySpace oder YouTube fanden Verwendung.
Die Bestandteile des ARG bildeten zwar eine Basis für die Vorgeschichte zu
Cloverfield, viele Fragen blieben aber dennoch unbeantwortet. Die Spieler hatten
genügend Freiraum durch Spekulationen und deren eigene Fantasie die Geschichte
zu komplettieren.
Daher wird in den Wikis zwischen diesen Spekulationen und ‚Tatsachen‘
unterschieden. Es ist anzunehmen, dass dies von den Puppet Masters so beabsichtigt
war, den Spielern Teile dieser Geschichte bzw. Schlüsselelemente zugänglich zu
machen, aber keine komplette lineare Geschichte zu liefern.
Diese Spekulationen der Spieler waren eine wichtige Grundlage und Auslöser für die
zahlreichen Diskussionen in den Foren.
Cloverfield Clues
Ein sehr prominenter Blog zu diesem ARG war Cloverfield Clues 4 (2007). Dieser
fasste die wichtigsten News zusammen, berichtete über Veränderungen auf den in
Verbindung stehenden Websites, zeigte heimlich fotografierte bzw. mit dem Handy
gedrehte Videos vom Set und vieles mehr.
Sämtliche von den Spielern gesammelten Hinweise liefen hier zusammen, wurden
ausgetauscht und analysiert. Zudem diente der Blog als Anlaufstelle für neue Spieler
um sich einen Überblick über den Verlauf der bisherigen Geschichte zu verschaffen.
Weiters wurde in einem eigenen Podcast über die neuesten Erkenntnisse berichtet.
4
http://cloverfieldclues.blogspot.com/
60
Kategorien
Abbildung 31 Cloverfield Clues (Cloverfield Clues 2007)
Aus den zunächst sehr spärlichen Hinweisen zum Cloverfield Monster, fertigten Fans
Skizzen und Zeichnungen nach deren Vorstellung an und veröffentlichten diese auf
der Website. Das Monster selbst war im Vorfeld nie zu sehen, und selbst im Trailer
nur zu erahnen. Die zusammengetragenen Erkenntnisse beflügelten deren Fantasie,
und es entstanden daraus oft richtige Kunstwerke.
Abbildung 32 This Is NOT The Monster(Cloverfield Clues 2008)
61
Kategorien
Unforums.com ARG: Cloverfield Forum
Unfiction.com, eine Website spezialisiert auf Alternate Reality Games, konnte seit
3. Juli mehr als 6000 Posts zum Thema Cloverfield verzeichnen, die bisher über
400.000-mal angesehen wurden.
Dabei steht der Meinungsaustausch und das gemeinschaftliche Rätsel lösen im
Vordergrund. Hilfestellungen gibt es für Spieleinsteiger, um ihnen eine erste
Orientierung zu bieten.
Abbildung 33Unfiction Forum zu 1-18-08 (unfiction 2007)
62
Kategorien
Cloverfield Wiki (cloverfield.despoiler.org)
Eigens für den Film wurden Wikis eingerichtet, die alle bisher gesammelten
Hinweise zusammenfassten. Inhalte konnten von einer Vielzahl an Redakteuren
gemeinschaftlich ergänzt werden.
Abbildung 34 The Despoiler 1-18-08 Wiki (Despoiler 2007)
63
Kategorien
YouTube
Auf YouTube gab es zahlreiche selbst produzierten Analysen zum Teaser und Trailer.
Teilweise wurden diese Bild für Bild analysiert um mögliche Hinweise zu finden.
Kommentare und Antworten der User ermöglichten Interaktion und
Kommunikation untereinander.
Abbildung 35 YouTube Analyse des Cloverfield Teasers (johnnylawdog 2007)
64
Kategorien
1.8.4 Weiterentwicklung der Cloverfield Communities
Die rasante Entwicklung dieser Fan Communities lässt sich laut Shirky (2010, p.89)
auf die „low discovery costs“ zurückführen. Vor den Zeiten des Internets war es
extrem schwierig, Gleichgesinnte, mit denselben Interessen, zu finden („high
discovery costs“). Es geht ihnen nicht darum, das größtmögliche Zielpublikum zu
erreichen sondern um Leute, die die gleiche Leidenschaft und kulturelle Werte mit
ihnen teilen. (Shirky 2010, p.90)
Laut Jenkins (2008, p.57) sind diese Communities, die er als „emerging knowledge
cultures“ bezeichnet, durch „voluntary, temporary, and tactical affiliations“
miteinander verbunden. Da diese auf freiwilliger Basis basieren, bleiben die Leute
den Communities erhalten, solange sie deren emotionale und intellektuelle
Bedürfnisse befriedigen.
Solche Communities können sich aber auch neu definieren, in dem sie eine Plattform
für neue ARGs bieten bzw. für deren Fortsetzungen. In der Regel suchen die
Mitglieder aber nach neuen Aufgaben und Spiele, bei denen sie ihre Fähigkeiten
einsetzen können. Sie bewegen sich in viele Richtungen und probieren neue ARGs
aus. Für viele ist eine solche Community oft der Einstieg in dieses Spielgenre, wenn
sie das erste Mal mit ARGs konfrontiert werden.
Die Cloudmakers 5, die aus The Beast hervorgegangen sind, haben sich zu einer
generellen Plattform und Forum zum Austausch über ARGs weiterentwickelt. Auf
ihrer Website definieren sie ihr Mission Statement, wie folgt:
„Though the original game, The Beast, has ended, Cloudmakers now serves
as a clearinghouse for online gaming. Members can find out about new
games, find fellow players, and reminisce about and discuss The Beast.”
(Cloudmakers 2011)
Da sämtliche Forenbeiträge von damals archiviert wurden, bietet diese Website eine
sehr gute Basis um den damaligen Verlauf von The Beast zu rekonstruieren.
Bei den Cloverfield Communities lässt sich ähnliches beobachten. Viele der Foren
und Blogs zum Austausch existieren auch heute noch. Sie dienen zum Austausch
5
http://www.cloudmakers.org/
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über alles, was mit dem Film zu tun hat, sowie diverse Cloverfield Merchandising
Artikel, aber auch für Spekulationen über die Fortsetzung des Films. Ein Augenmerk
wird auch auf andere ARGs von J.J. Abrams gelegt, wie z. B. für den Kinofilm Super
8 (Abrams 2011), den er gemeinsam mit Steven Spielberg produzierte. Wie auch bei
den Cloudmakers zu sehen ist, dürfte eine Loyalität zu den jeweiligen Puppet
Masters bestehen bleiben.
Wie in vielen anderen Bereichen lässt sich auch bei ARGs das Phänomen von FanFiction feststellen. Besonders Filme, Fernsehserien und Bücher sind dafür besonders
bei Fans beliebt. Oft, weil sie mit dem Ende unzufrieden sind, eine Fortsetzung
wünschen, oder Nebencharaktere und derer Geschichten weiterentwickeln möchten.
ARGs sind dabei keine Ausnahme. Bei sogenannten Fan-ARGs werden die jeweiligen
Geschichten weiterentwickelt und eigene, neue ARGs geschaffen. Das jeweilige
Medium im Original bildet dafür die Basis.
Die Ersten dieser Fan Sites lassen sich auf The Beast zurückführen. Sie spiegelten die
Themen und Geschehnisse dieses ARGs wieder. Die ersten unabhängigen ARGs
wurden von den Cloudmakers entwickelt. Ein Spiel namens Ravenwatchers, welches
2001 startete, endete aber frühzeitig.
Lockjaw war der nächste Versuch von den Cloudmakers, unabhängige ARGs zu
etablieren. Diesmal aber mit größerem Erfolg. Szulborksi (2005, p.121) hebt dabei
besonders die Geschichte und die entwickelten Charaktere hervor, die das Spiel so
glaubhaft machten und die Spieler emotional fesselten.
Lockjaw endete Mitte 2002 mit großem Erfolg. Es galt als Beweis, dass unabhängige
Produzenten ein erfolgreiches ARG gestalten konnten:
„Overall, Lockjaw successfully recaptured many of the best elements of the
Beast, with its intricate storyline and well written characters, its challenging
and thematically diverse puzzles, and its development of an active and
passionate community of players.” (Szulborski 2005, p.122)
Im April 2002 tauchte ein mysteriöses Rabbit Hole auf, welches zu dem ARG Exocog
führte. Es hatte allen Anschein, dass dieses mit dem kommenden Kinofilm Minority
Report (Spielberg 2002) in Verbindung stand. Jeder dachte, dass es sich dabei um
ein offizielles ARG handelte.
Dem war aber nicht so. Es war ein Experiment von Jim Miller und den Miramontes
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Studios, um dabei zu lernen, wie immersives Marketing funktioniert.
Aufgrund der gut entwickelten Geschichte und den Websites erweckte es den
Anschein, dass es sich um eine offizielle Promotion für Minority Report handelte,
obwohl es in Realität ‚nur‘ Fan-Fiction war, die als Spiel umgesetzt wurde und nicht
von den Filmproduzenten sanktioniert wurde. (Szulborski 2005, pp.122–125)
Bei Majestic wurden die Fans sogar im Rahmen des ‚BIOS Program‘ dazu motiviert,
eigene Fan-Sites und Mini Games zu schaffen. Es wurde nicht nur akzeptiert, dass
die Fans die Geschichten weiterentwickelten, sondern sie wurden dazu ermutigt.
Am Höhepunkt dieses Programms umfasste das ‚BIOS Program‘ mehr als 30
verschiedene Websites, die sich um die Nebencharaktere drehten und entweder
Geschichten dazu lieferten oder überhaupt eigene kleine ARGs beinhalteten.
Viele wurden überhaupt dazu motiviert, zukünftig eigene unabhängige ARGs zu
produzieren. Trotz des Flops von Majestic dürfte dieses ARG einen erheblichen
Beitrag für die zukünftige Entwicklung dieses Spielgenres geleistet haben.
(Szulborski 2005, pp.116–117)
Aus Hingabe zu solchen Spielen und auch aus persönlichen Motiven schuf Bryan
Haggerty eine eigene iPhone App um Jeannie Choe einen Heiratsantrag zu machen.
Mittels einer interaktiven Karte von San Francisco wurde sie von einem Standort
zum nächsten geführt. An jedem Ort gab es ein Video mit einem Hinweis, wo der
nächste Punkt zu finden ist. Alle diese Punkte ergaben im Endeffekt auf der Karte ein
<3 Symbol, welches zum Dolores Park führte, wo Haggerty auf einem Hügel saß und
ihr den Heiratsantrag machte. (Chen 2009)
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Abbildung 36 (Jea Jea/Flickr, 2009 cited in Chen 2009)
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1.9 Serious Games
In den letzten Jahren, seit 2007, zeichnet sich ein Trend zu sogenannten Serious
ARGs ab, verglichen mit den ARGs zwischen 2001-2006, die fast ausschließlich zu
Marketingzwecken dienten. Im Gegensatz zu den früheren ARGs zeichnen sich diese
dadurch aus, dass sie als Ziel haben, die Lebensqualität explizit zu verbessern bzw.
die Welt zu verändern. (McGonigal 2011, chap.7)
Themen können dabei z. B. Umweltschutz (World Without Oil), Armut und
Hungersnöte (Evoke) oder aber auch Bewegungsmangel (Cryptozoo) sein.
Für McGonigal sind die Computerspieler überhaupt eine wertvolle menschliche
Ressource um viele alltägliche Probleme unserer Welt in Angriff zu nehmen und
auch zu lösen. Als Kollektiv verbringen wir Menschen jede Woche mehr als drei
Milliarden Stunden mit Computerspielen. 210 Millionen Stunden alleine davon
verbringen Spieler mit dem erfolgreichsten MMORPG aller Zeiten, nämlich World of
Warcraft. Laut Clay Shirkys Schätzung betrug die Erstellung der gesamten
Wikipedia etwa 100 Millionen Stunden. Die WoW Community könnte somit zwei
komplette Wikipedias pro Woche erstellen. (McGonigal 2011, chap.11)
Zudem zeichnen diese Spieler vier ‚Superkräfte‘ aus. Und zwar „Urgent Optimism“,
„the ability to weave a tight social fabric”, „Blissful Productivity“und „Epic
Meaning” (McGonigal 2010a):
„Blissful productivity is the sense of being deeply immersed in work that
produces immediate and obvious results.” (McGonigal 2011, chap.3)
„[Epic] meaning is the feeling that we’re part of something bigger than
ourselves. It’s the belief that our actions matter beyond our own individual
lives.” (McGonigal 2011, chap.6)
„[Urgent optimism] is the moment of hope just before our success is real,
when we feel inspired to try our hardest and do our best.” (McGonigal 2011,
chap.4)
Laut McGonigal führt dies zu folgender Schlussfolgerung, dass Computerspieler
sogenannte „super-empowered hopeful individuals“ sind. Das einzige Problem dabei
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ist, dass viele daran glauben, nur etwas in der virtuellen und nicht in der realen Welt
bewerkstelligen zu können. (McGonigal 2010a)
„How are we going to solve real world problems in games?“ ist die Forschungsfrage
von Jane McGonigal (2010a), die sie sich in ihrer Arbeit am Institute for the Future,
stellt. World Without Oil, EVOKE und auch Cryptozoo sind die ersten Resultate
ihrer Arbeit, für die sie sich als Creative Director verantwortlich zeichnet.
Bereits 2003 stellte sie sich aber die Frage„How collaborative play techniques can
instruct real-world problem-solving.“ (McGonigal 2003, p.1) als sie The Beast und
deren Spieler-Community untersuchte.
Speziell bei den Cloudmakers zeichnete sich schon damals ab, dass sie reale
Probleme lösen wollten, und nicht nur von den Puppet Masters vorgefertigte Rätsel.
Viele wollten die für 9/11 verantwortlichen Attentäter entlarven bzw. auch später den
Oklahoma-Schützen ausfindig machen. Auch am Beispiel von The Kitten Killer, lässt
sich sehr gut zeigen, dass eine reales Problem als Spiel und Rätsel gesehen werden
kann. Das Ziel hierbei war, die Tierquälerin ausfindig zu machen und sie zur
Rechenschaft zu ziehen.
Bislang fehlte es aber an entsprechenden Spielen, die eine Plattform für die
Teilnehmer zur Verfügung stellten und die kreative Energie in die richtige Richtung
lenkten. ARGs, wie World Without Oil waren daher richtungsweisend.
Die Motivation an solchen Spielen teilzunehmen dürfte darauf beruhen, indem ein
reales Problem als freiwillige Hürde präsentiert wird. Daher gibt es mehr ‚echtes‘
Interesse, Neugierde, Motivation, Anstrengung und Optimismus, als sonst. Spieler
werden hauptsächlich durch positiven Stress motiviert, sich in das Spiel
einzubringen. Daher fällt es ihnen leichter, deren Verhalten im realen Leben leichter
im Kontext eines fiktionalen Spiels zu verändern. Viele Spieler wollen zudem zu
einem höheren ideellen Gut beitragen, welches tatsächlich Bedeutung für die reale
Welt hat. (McGonigal 2011, chap.14)
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Ein Spieler fasste seine Erfahrung bei World Without Oil so zusammen:
„Looking back at World Without Oil, I think it is the most amazing, best
multiplayer game I have experienced. Usually gaming takes time away from
accomplishing useful things in real life, but WWO taught me a lot, lowered
my electric bill, and get me more focused on doing things that matter to me.”
(WWO Player cited in McGonigal 2011, chap.14)
Dies bestätigt die Untersuchungen von Jane McGonigal. Diese zeigen, dass ARGs, die
im Kontext der realen Welt gespielt werden, beinahe immer den Nebeneffekt haben,
das reale Leben der Spieler zu verbessern. Nicht nur Serious Games, sondern
beinahe jedes ARG hat das Potenzial unsere Lebensqualität zu verbessern:
„[…] my research shows that because ARGs are played in real-world
contexts, instead of in virtual spaces, they almost have at least the side effect
of improving our real lives.” (McGonigal 2011, chap.7)
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1.9.1 World Without Oil
World Without Oil wurde 2007 gestartet und simulierte als Online Game eine fiktive
Knappheit von Öl. Das Ziel dieses Spiels war es, diese Krise zu überstehen.
Um das Szenario glaubhaft zu gestalten, wurde genug fiktiver Inhalt produziert.
Es gab Echtzeit-News und eine Preisanzeige, wie sich der Öl- bzw. Benzinpreis
veränderte, die darüber Auskunft gaben, was es nicht zu kaufen gab, wie die
Nahrungsversorgung davon betroffen ist, ob Schulen geschlossen sind und ob es
gewaltsame Übergriffe gab.
Die Herausforderung an die Spieler war, deren Leben so zu gestalten, als wäre dieses
Szenario real. Sie sollten darüber bloggen, Videos und Fotos hochladen.
Abbildung 37 World Without Oil (World Without Oil 2007)
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Dieses sechswöchige Experiment sollte darüber Auskunft geben, wie die Menschen
sich verhalten würden, wenn der Bedarf an Öl die Nachfrage übersteigt; den
Verbrauch reduzieren oder stärker um das noch vorhandene Öl kämpfen?
Mit World Without Oil wollte man einen Blick in die Zukunft werfen.
Die zunächst sehr düsteren und apokalyptischen Voraussagen der Spieler wandelten
sich im Verlauf des Spiels zu einer vorsichtig optimistischen Einstellung mit sehr
kreativen Lösungsansätzen. Sie entwickelten Möglichkeiten, um als Gemeinschaft
weniger zu konsumieren, die lokale Community und Nachbarschaft zu verstärken
und weniger mit dem Auto zu fahren. Die Voraussagen waren laut Veranstalter hoch
qualitativ, und die Spieler konnten sich sehr gut in eine komplexe Materie
hineinversetzen. Viele von den ca. 1900 Spielern behielten ihre Gewohnheiten, die
sie aus dem ARG gelernt haben, in ihrem weiteren Leben bei.
Die gesamte Simulation lässt sich mittels einer Art Online-Zeitmaschine auf
www.worldwithoutoil.org nachvollziehen. Jeder Tag zeigt die Entwicklung des
Spiels und wie sich daraus die Zusammenarbeit der Spieler entwickelte.
Darüber hinaus gibt es einen Leitfaden, wie man heute selbst, oder mit Freunden,
Kollegen oder auch in der Schulklasse, an dieser Simulation teilnehmen kann.
(McGonigal 2011, chap.13)
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1.9.2 EVOKE: A Crash Course in Changing the World
Das ARG EVOKE wurde gestaltet, um jungen Menschen, vor allem in Afrika, neue
Perspektiven zu zeigen. Probleme, wie Armut, Hungersnöte, erneuerbare Energie,
Zugang zu Trinkwasser, Vorbereitung auf Naturkatastrophen und Menschenrechte
standen dabei im Mittelpunkt.
Der zehnwöchige ‚crash course in changing the world‘ wurde für das World Bank
Institute, dem Ausbildungsarm der Weltbank, produziert.
EVOKE ist ein Social Network, welches den Spielern helfen sollte, deren eigene
Unternehmungen zu starten. Es ist auf Computer als auch auf Mobiltelefonen
spielbar, dem wichtigsten Kommunikationsmittel in Afrika. Neben der normalen
Website wurde zudem eine Version für Internetzugänge mit geringer Bandbreite
entwickelt. Obwohl EVOKE in erster Linie für Spieler aus Entwicklungsländern
konzipiert war, nahmen zahlreiche Spieler aus den westlichen Ländern, wie USA und
Europa, daran teil.
Die Handlung von EVOKE wurde zehn Jahre in der Zukunft angesetzt und die
Geschichte in Form eines Comic-Buches präsentiert.
Die Geschichte handelt von einem geheimen ‚Superhero Network‘ in Afrika. Dieses
Netzwerk besteht aus sogenannten ‚stealth social innovators‘, ein Konzept, welches
das Team rund um Jane McGonigal entwickelte.
Wenn man das Spiel komplettierte, wurden man vom World Bank Institute als
‚Social Innovator, class of 2010‘ ausgezeichnet. Damit endete das Spiel aber nicht.
Aus den zahlreichen Ideen, die im Spielverlauf gesammelt wurden, entwickelten die
Teilnehmer Projekte, um reale Probleme, zu lösen. (McGonigal 2011, chap.14)
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Abbildung 38 Urgent Evoke – A crash course in changing the world (Urgent Evoke 2010)
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Zur Verwirklichung dieser Projekte wurden finanzielle Mittel über GlobalGiving
mittels Crowdfunding gesammelt – insgesamt ca. $ 30.000. Das ARG EVOKE
kostete hingegen etwa $ 500.000. (McGonigal 2011, chap.14)
Abbildung 39 EVOKE Challenge – GlobalGiving (GlobalGiving 2010)
Laut World Bank Institute übertraf die Teilnahme an dem Spiel die Erwartungen:
„By the time the EVOKE adventure ended on May 19, 19,324 people from 150
countries registered to play. Players had submitted over 23,500 blog posts
(about 335 each day), 4,700 photos and over 1,500 videos highlighting
challenges and solutions to the development issues featured each week.”
(World Bank Institute 2010)
Interessant ist auch, dass EVOKE, die Parodie INVOKE, einem ‚crash course in
saving capitalism‘, inspirierte, welche sich sehr kritisch über die Ansichten der
Weltbank äußerte.
Die Basis bildeten die Comics von EVOKE, die als Mashup, mit neuen Texten
versehen wurden. Auch die Aufgabestellungen wurden zugunsten des Kapitalismus
und der Globalisierung überarbeitet. (INVOKE 2010)
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Abbildung 40 INVOKE – Die Comics wurden aus EVOKE verwendet und mit neuen kritischen Texten versehen
(INVOKE 2010)
INVOKE ist Teil der Kritik, die an EVOKE geübt wurde. In der Blogosphäre gab es
zahlreiche Diskussionen darüber, dass EVOKE, hauptsächlich als
Kommunikationsmittel für die Weltbank diente, um vieles aus deren ideologischer
Sicht zu zeigen:
„[…] it must be a cunning PR ruse to brainwash the masses into blind
acceptance of structural adjustment, privatization, and the Washington
consensus.” (Brynen 2010)
Vieles in dieser Kritik spiegelt sich in der satirischen Website von INVOKE wider.
Für Game Designer Adrian Hon kommt bei diesen Spielen überhaupt der Spaßfaktor
zu kurz, der ein wesentliches Merkmal anderer ARGs ist. Dieser beschreibt dies so:
„On the whole, though, Urgent Evoke – and the rest of these projects [like
World Without Oil] – appear to be more like networked creative writing
exercises than games that improve the world in a direct, measurable way.
Perhaps they’ve some people have changed their behaviour as a result of
playing, but it doesn’t seem like a whole lot.” (Hon 2010)
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1.9.3 Ghosts of a Chance
Das ARG Ghosts of a Chance fand vom 18. Juli bis 25. Oktober 2008 im Luce
Foundation Center des Smithsonian American Art Museum statt.
Das Luce Foundation Center zeigt mehr als 3.500 Arbeiten amerikanischer Kunst.
Darunter befinden sich Skulpturen, Gemälde und Handwerkskunst.
Abbildung 41 Ghosts of A Chance (Smithsonian American Art Museum 2011)
Die Idee für dieses ARG entstand daraus, dass das Smithsonian Institute eine
neuartige Art von Mitgliedschaft für die Besucher ermöglichen wollte. Bislang nahm
das Stammpublikum nur die Angebote des Museums wahr und interagierte nicht mit
den anderen Besuchern bzw. wusste gar nicht, wer diese überhaupt sind.
Es sollte kein passiver Museumsbesuch mehr sein. Besucher sollten reale Objekte für
die Kunstsammlung entwerfen und dafür mit anderen Museumsbesuchern
zusammenarbeiten.
Die Aufgabe des Museums ist es den Besuchern aufzuzeigen, was die Kunstwerke
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einem zu erzählen haben. Sie sind ein Blick in das Leben und der Epoche der
jeweiligen Künstler:
„There’s a sense in the museum that history lingers in the art objects almost
like a ghost, waiting to whisper its tale to visitors. Learning how to hear
those tales, and how to whisper our own histories through artwork, was the
inspiration for the Ghosts of a Chance game.” (McGonigal 2011, chap.9)
Die beiden Kuratoren des Museums, Daniel und Daisy kommunizieren regelmäßig
mit den Geistern, die die Galerie heimsuchen. Diese drohen damit, die kostbaren
Kunstwerke zu zerstören, wenn deren Geschichte nicht in den Glasvitrinen
dargestellt wird. Da Geister selbst keine Kunstwerke erschaffen können, bitten sie die
Besucher diese für sie anzufertigen. In der ersten Mission galt es ein Halsband
anzufertigen, welches so beschrieben wurde:
„The Necklace I want should fit perfectly around her neck, but remain there
only long enough for me to steal it right off again.” (Smithsonian American
Art Museum 2008)
Abbildung 42 Die angefertigten Kunstwerke der Museumsbesucher - NECKLACE OF THE SUBALTERN
BETRAYER (Smithsonian American Art Museum 2008)
Die Spieler diskutierten die Aufgabe in Online Foren, um die darin enthaltenen
Hinweise zu entschlüsseln. Daraus resultierend wurden unterschiedliche Kunstwerke
angefertigt und dem Museum übermittelt, welches diese dann anschließend
ausstellte.
Da das ARG nicht als Wettbewerb, sondern als Spiel aufgebaut war, nahmen auch
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Personen daran teil, die unter anderen Umständen Angst gehabt hätten sich mit
deren ‚Kunstwerk‘ zu blamieren. Zudem konnten neue Zielgruppen, wie in diesem
Fall, Teenager und Studenten, erschlossen werden. Auch wenn diese oft selbst keine
Kunstwerke beisteuerten, arbeiteten diese als virtuelle Kuratoren, die maßgeblich an
den Online Diskussionen und der Analyse beteiligt waren. (McGonigal 2011, chap.9)
Weitere Ziele, die sich das Smithsonian American Art Museum setzte, waren ‘To get
people talking about the museum, to get our name out there.’, ‘To bring a new
audience into the museum.’ und ‘To encourage discovery.’ All diese wurden erreicht
bzw. wurden die Erwartungen, laut Aussage des Teams, bei Weitem übertroffen.
(Bath 2008, p.17)
Obwohl das Spiel beendet ist, können Gruppen, nach Voranmeldung, an gewissen
Modulen des Spiels, nach wie vor teilnehmen. Diese beeinhalten die beliebtesten
Aufgaben des großen Abschlussevents vom 25. Oktober 2008.
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1.10 ARGs als Social-Learning Tool
Ganz egal, um welches Genre von ARGs es sich dabei handelt, die Spieler erbringen
während des Spielverlaufs Höchstleistungen in den unterschiedlichsten Disziplinen.
Während I Love Bees kollaborierten 9.000 ‚real-world‘ Spieler mit über 600.000
Online Spieler um eine fiktive Programmiersprache zu lernen und über 1,5 Millionen
Blog- und Foren-Beiträge zu verfassen. Zudem waren zahlreiche Fähigkeiten aus den
unterschiedlichsten Disziplinen gefragt.
Game Designer Jane Mc Gonigal (2005, p.6) fasste die gelernten Fähigkeiten
zusammen:
•
interpret and analyze texts and data
•
persuasive argument
•
verbal expression (written and oral)
•
logistical planning
•
facility with new digital technologies
•
construct, extend and operate successfully in social networks
•
collective intelligence: large-group, differentiated collaboration
Vieles davon hat mit Ausdrucksfähigkeit und Lese- und Schreibkenntnissen zu tun.
Aber auch der Erwerb der Medienkompetenz steht im Mittelpunkt. An der
Auseinandersetzung mit den Neuen Medien führte kein Weg vorbei.
Die soziale Komponente und die erlebte kollektive Intelligenz waren für viele Spieler
das wahre Highlight dieses ARG. Es war die Erkenntnis, zu welchen großartigen
Leistungen sie als Gruppe imstande waren. Erfolge die von keinem einzigen Spieler
alleine errungen werden konnten.
Priscilla Harding (cited in Mascioni 2010), die am Institut für Advanced Media
Research der VU University in Amsterdam arbeitet, kommt zu einem ähnlichen
Schluss, dass es sich bei ARGs um das ideale „social learning tool“ handelt.
Für diesen Zweck führte sie Interviews und gestaltete einen Online-Fragebogen für
81 Teilnehmer. 45 davon waren ARG Spieler und 36 waren MMORPG Spieler. Die
Teilnehmer setzten sich aus MMORPG Foren, World of Warcraft Spielern, ARG
81
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Chaträume und dem ARG Unfiction Forum zusammen.
Dabei kommt sie zu folgendem Schluss:
„ARG players experience a higher perceived reality while in-game compared
with MMORPG players. [Due to the] fact that physical reality is already
incorporated in ARGs, players themselves act as platforms, bringing all their
experiences and expectations into the games.” (Harding cited in Mascioni
2010)
Ein weiteres Element, welches die soziale Erfahrung verstärkt ist laut Haring, dass
das Gameplay von ARGs generell auf kollaborative Zusammenarbeit ausgelegt ist
und sich ARG Spieler hinter keinem Avatar verstecken können. Dies verstärkt die
soziale Erfahrung.
Interessant ist bei dieser Untersuchung aber vor allem, welchen Einfluss ARGs bzw.
MMORPGs auf das reale Leben der Spieler haben. In beiden Fällen werden In-Game
Erfahrungen in einem hohen Ausmaß auf das reale Leben der Spieler übertragen:
„The combination of an ARGs' perceived realism and their capacity to afford
transference of in-game experiences to real life make them a very effective
social learning tool.” (Harding cited in Mascioni 2010)
Trotz der geringen Anzahl der Teilnehmer an dieser Studie stimmen diese Aussagen
weitgehend, mit den aus anderen ARGs gewonnenen Erkenntnissen überein.
Diese neu gewonnenen Erfahrungen sind richtungsweisend für die zukünftige
Entwicklung, insbesondere der Serious Games. ARGs, wie World Without Oil und
EVOKE zeigen, dass dies ein Schritt in die richtige Richtung ist.
Noch einen Schritt weiter geht der Schulversuch Quest to Learn , ein sogenanntes
Organizational ARG. Quest to Learn ist eine öffentliche Charter School in New York
City für Schüler von der sechsten bis zwölften Schulstufe und gilt als erste ‚gamebased‘ Schule der Welt. Das Besondere daran ist, dass Spiele nicht nur den
Unterricht bereichern, sondern die gesamte Schule selbst das Spiel ist:
„Every course, every activity, every assignment, every moment of instruction
and assessment would be designed by borrowing key mechanics and
participation strategies from the most engaging multiplayer games.”
(McGonigal 2011, chap.7)
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Dies hat das Ziel den negativen Schulstress zu eliminieren und das Engagement der
Studenten zu fördern.
1.11 Erfolgsmessung
Speziell bei ARGs, die zu Marketingzwecken verwendet werden, stellt sich öfters die
Frage nach dem ROI. Für The Beast wurde angeblich eine Million US Dollar für die
Produktion veranschlagt (Szulborski 2005, p.100). Bei einer komplett neuen
Marketingform ist diese Frage durchaus berechtigt: Wie wird der Erfolg bei einem
ARG nun gemessen?
Generell lässt sich sagen, dass der Erfolg, wie bei anderen Social Media Marketing
Kampagnen gemessen wird: Traffic der Websites und aktive Partizipation der User
(Spieler).
Laut Tuten (2008, p.135) sind die wesentlichen Indikatoren, die Anzahl der Spieler,
die Anzahl der aktiven Spieler, die Anzahl der Lurkers und Rubberneckers, die
Anzahl der Registrierungen bei Start des Spiels bzw. bei bestimmten Events, die
Anzahl der generierten Nachrichten durch die Spieler, Traffic der Websites, die mit
dem ARG in Verbindung gebracht werden, die Anzahl der Forumsbeiträge (z. B. auf
unfiction.com) und die durchschnittliche Spieldauer.
Wie Cloudmaker Eric Ng schrieb (cited in McGonigal 2003, p.8), war die Promotion
Kampagne für den Kinofilm A.I. ein durchschnittlicher, aber aus einer ‚social
engineering‘ Perspektive ein unglaublicher Erfolg.
Zusätzlich sollte der Erfolg eines ARG auch nach Media Impressions beurteilt
werden, die das Spiel durch Publicity erlangt. The Beast generierte z. B. über 300
Millionen Media Impressions in Zeitungen, Magazinen, Nachrichten und auf
Websites. In der Regel kommt es darauf an, wie diese Ziele im Vorfeld definiert
werden. Bei Audis Art of Heist waren nicht nur die Media Impressions wichtig,
sondern es ging darum tatsächliche Verkäufe für deren Händler zu erzielen. (Tuten
2008, p.136)
Es gibt viele Kriterien ein ARG zu beurteilen. In der Regel sind aber der
Enthusiasmus der Spieler sowie deren aktive Beteiligung zu wenig um den Erfolg
einschätzen zu können. Das ultimative Ziel ist es natürlich so viele passionierte und
obsessive Spieler, wie möglich zu bekommen. Diese machen zwar den geringsten Teil
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der Spielergruppe aus, sind aber die treibende Kraft, da sie die Communities mit
großem persönlichen Zeitaufwand unterstützen und ihr Wissen teilen. Deren
Leidenschaft ist die beste kostenlose Werbung für das Spiel und natürlich deren
Marke, die dahinter steht.
Ein weiterer Vorteil von ARGs besteht darin, dass diese nicht direkt als Werbung
wahrgenommen werden, sondern als Erweiterung der Handlung. Sie verleihen der
Geschichte mehr Tiefe und eine persönliche Note.
1.12 Partizipation in ARGs
Es gibt immer kritische Stimmen zu ARGs zu hören, die der Meinung sind, dass
solche Spiele nur eine sehr kleine Zielgruppe bzw. Nische an Spielern ansprechen.
Ähnliches gab es auch beim ARGfest 2010 in Atlanta, GA, einer jährlichen
Konferenz, die sich dem Thema Alternate Reality Games widmet, zu hören:
„ARGs are dead. But Transmedia is lightning in a jar.
ARGs have failed to break into mass media, because the interaction is in the
wrong place. Right now, the interaction is finding the story. When someone
doesn’t know what to do next, it’s easy to stop, and every time we ask
someone to change platforms, we lose audience. But the experience of
transmedia is powerful, immersive and emotional. We have to find new
ways to tell stories across multiple platforms using interactivity.
It’s evolve or die.” (McHugh, 2010 cited in May 2010)
Zum einen wird der Erfolg von ARGs nicht nur an der Anzahl der Spieler gemessen,
und zum anderen sehe ich es eher als Problematik des Game Designs, und nicht des
Genres an sich.
Viele ARGs machen den Fehler die Spielerfahrung nur auf eine ganz bestimmte
Zielgruppe zu beschränken. Die Kunst liegt darin, unterschiedliche Spielergruppen
anzusprechen. Die Gruppe der sogenannten Casual Gamer wird oft gänzlich
ausgeschlossen, da sie schlichtweg mit der Komplexität des Spiels und dem
Schwierigkeitsgrad der Rätsel überfordert ist, und so keinen Anschluss in der
Community findet.
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Transmedia Storytelling ist eines der wesentlichen Elemente und Merkmale von
ARGs. Jede Komponente davon kann auch für sich alleine existieren. Jeder kann sich
an der Geschichte erfreuen, auch wenn er nicht alle Bestandteile kennt. Der
Zuseher/Fan entscheidet selbst, wie tief er in die Geschichte eintauchen möchte. Je
tiefer man jedoch eintaucht, desto mehr Vielfalt und Inhalt gewinnt die Geschichte.
Den ARG Spielern sollte es daher auch selbst überlassen sein, wie intensiv sie sich
mit dem Spiel bzw. der Geschichte auseinandersetzen möchten.
Selbst innerhalb der ARG Communities gibt es zahlreiche Rollen, die auf die
unterschiedlichen Persönlichkeiten der Spieler zugeschnitten sind. Dies
unterscheidet sich nicht wesentlich von den Konsumenten anderer Medien. Selbst
Fernsehzuschauer können gelegentliche Zuseher bis hin zu exzessiven Konsumenten
einer Fernsehserie sein. ARGs sprechen daher auch verschiedene Spielertypen an,
die sich in erster Linie durch die Art der Partizipation unterscheiden.
Game Designer Richard Bartle (Askwith 2008, p.19) klassifiziert die Spieler in
Massive Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs) in vier Rollen:
Achiever, Explorer, Socializer oder Killer. Diese Einteilung erfolgt nach Motiven, an
dem Spiel teilzunehmen, sowie dem Verhaltensmuster im Spiel selbst.
Ein ähnlicher Ansatz kann auch bei ARGs angewandt werden. Einzelne Spieler
können unterschiedliche Aufgaben in verschiedenen ARGs übernehmen, die auch
während des Spiels wechseln können. (Askwith 2008, p.19)
Askwith (2008, p.19) unterteilt die Spieler in vier Typen, je nach Aufgabe und
Intensität der Partizipation im Spiel: Organizers, Hunters, Detectives, Lurkers. Auch
wird manchmal noch zwischen ‚pure‘ Lurkers und Rubberneckers unterschieden.
Organizers: die Organizers haben, aufgrund der stark kollaborativen ARGs, eine
sehr wichtige Rolle inne. Ihre Aufgabe ist die ‚crowdcontrol‘. Sie ermöglichen den
Spieler-Communities sich zu finden, auszutauschen, um den zahlreichen Spuren und
Hinweisen nachzugehen. Organizers zeichnen in der Regel sehr gute technische
Kenntnisse aus, insbesondere die Entwicklung von Blogs, Datenbanken und anderen
kollaborativen Tools.
Obwohl manchmal Organizers an der Entschlüsselung der Rätsel mitwirken, ist
deren Hauptaufgabe die des Moderators, Mediators und Kommunikators. Erfahrene
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Organizers sind auch sehr gute Networker, die entsprechende Leute kennen, falls ein
besonderes Talent gefragt ist.
Hunters: Für viele Spieler besteht der besondere Reiz von ARGs darin, neue
Hinweise zu finden. Sie verbringen oft Stunden damit zahlreiche Spielinhalte zu
durchforsten, indem sie den Quellcode analysieren, nach weiteren Websites suchen,
die mit dem Spiel in Verbindung stehen und die Ergebnisse an die Organizers
weiterzuleiten. Hunters haben auch meistens Erfahrung bei früheren ARGs
gesammelt, und wissen nach was sie suchen müssen bzw. welche Strategie für die
Puzzles anzuwenden ist.
Detectives: Viele Hunters sind auch Detectives. Dies sind Spieler, die Spaß daran
haben, Codes zu entschlüsseln, Puzzles zu lösen, und deren Bedeutung zu entziffern.
Als Basis für die Arbeit der Detectives dienen gemeinsame Diskussionen. Da die
meisten ARGs sehr unterschiedliche Qualifikationen zum Lösen der Rätsel erfordern,
ist eine Zusammenarbeit als Community unabdingbar.
Lurkers: Zugriffsstatistiken zeigen, dass Leute, die ARG-bezogene Websites
besuchen, bei Weitem die Zahl der aktiven Teilnehmer (die auch die Rätsel lösen)
übertreffen. Die größte Gruppe bei ARGs sind daher die Lurkers. Das Verhältnis von
Lurkers zu aktiven Spielern beträgt von 5:1 bis hin zu 20:1,22. Viele dieser Lurkers
sind fasziniert von der Idee der ARGs, aber wollen nicht als aktive Teilnehmer daran
teilhaben. Man kann sie am ehesten als ‚Voyeure‘ sehen. Sie suchen selbst nach
keinen neuen Hinweisen und nehmen nicht an den Rätseln teil. Viele warten, bis
eine Lösung des Rätsels gefunden wurde, und besuchen dann die relevanten
Websites und versuchen die neuen Rätsel selbst zu ‚lösen‘, als eine Herausforderung
für sich selbst. Allerdings ohne großen Erfolg, da diese Rätsel und Puzzles meist nur
als Kollektiv lösbar sind.
Erfahrene ARG Spieler unterscheiden zudem zwischen reinen ‘Lurkers’ und
‘Rubberneckers’. Rubberneckers sind Teilnehmer, die zwar an Chats und
Diskussionsforen teilnehmen und sich auch auch an der Lösung der Rätsel
beteiligen, aber direkten Kontakt mit den In-Game Characters vermeiden und sich
auch oft nicht bei In-Game Websites registrieren.
Conspiracy of Good in London, ein ARG aus einer Mischung von Schnitzeljagd mit
Puzzles, ‚pervasive interaction’ und Rollenspiel-Komponente, versuchte ein größeres
86
Kategorien
Publikum anzusprechen, in dem es verschiedene Interaktionsformen für
unterschiedliche Spielertypen anbot.
Stenros (2010) berichtet darüber, dass manche Teilnehmer nur an der Schnitzeljagd
teilnehmen wollten, und nicht an der Interaktion mit den Ractors (‚interactive
actors‘), wobei andere hingegen, gerne mit den Charakteren spielten, die sie online
kennengelernt haben und auch versuchten, die Sicherheitswachen im Spiel
auszutricksen.
Im Spiel selbst wurde daher auf die verschiedenen Spielertypen Rücksicht
genommen. Jeder entschied für sich selbst, in welchem Ausmaß er interagieren
wollte:
„The players also had wristbands that marked them as players, so in essence
there were two levels on ludic markers: the I-am-a-player wristbands and
the I-want-to-play-with-other-people logo. A great way to establish multiple
interaction patterns for different player types.” (Stenros 2010)
87
Ethik und sozialer Kontext
Ethik und sozialer Kontext
Wenn die Grenzen zwischen Spiel und Realität verschwimmen, wirft dies jede Menge
an ethischen Fragen und auch Probleme auf.
Generell unterscheiden sich Alltag und Spiel grundlegend voneinander.
DasVerhalten im ‚Magic Circle‘ ist meistens im realen Leben nicht akzeptabel oder
auch umgekehrt.
Bei einem Box-Match ist es sehr wohl erlaubt, seinem Gegner einen Schlag zu
verpassen, bei einer Begegnung im Alltag hingegen nicht:
„When the sumo wrestler enters the ‘magic circle’ or the dohyo or the
professional boxer enters the space and time of the bout, the rules of what
social behaviors are desirable and forbidden are suddenly, radically
changed. Violent and powerful physical attacks against another person,
which are normally forbidden by law and social norms, become the
obligatory mode of conduct. At the same time, polite and acceptable behavior
may become inappropriate. For a boxer in the midst of a bout to attempt
polite conversation with an opponent would be a gross breach of decorum.
As one court noted: ‘subjecting another to unreasonable risk of harm, the
essence of negligence, is inherent in the game of football…’” (Lastwoka, 2007
cited in Montola et al. 2009, p.197)
Würde ein Boxkampf außerhalb des Rings stattfinden, wäre man mit zahlreichen
Problemen konfrontiert. Bei Alternate Reality Games tritt genau diese Problematik
auf. Viele dieser ARGs erfordern daher eine doppelte Wahrnehmung von den
Spielern:
„Players need to be aware of both the game world and ordinary life. It is
difficult to make the right choice if one does not comprehend the
consequences of one’s actions.” (Montola et al. 2009, p.199)
88
Ethik und sozialer Kontext
1.13 Unaware Participation
Das größte Problem bei ARGs ist die ‚Unaware Participation‘.
Dies sind Menschen, die mit dem Spiel eigentlich nichts zu tun haben, aber trotzdem
mit den Spielgegenständen, Bestandteilen des Spiels, und den Spielern selbst in
Berührung kommen. Ihnen fehlt der Kontext, um dem Verhalten und den
Gegenständen die entsprechende ludische Bedeutung zuordnen zu können. Sie
besitzen keine doppelte Wahrnehmung und nehmen nur das reale, alltägliche Leben
wahr.
Folgende zwei Beispiele verdeutlichen diese Problematik sehr gut, wenn Spiel im
öffentlichen Raum stattfindet.
1.13.1
Jackass Entführung
In Tulln, Niederösterreich, stellten fünf Jugendliche eine Entführung nach Vorbild
der MTV-Fernsehserie Jackass nach, und lösten damit eine groß angelegte
Alarmfahndung der Polizei aus:
„Es sah offenbar echt aus. Mehrere Augenzeugen schilderten die
vorgetäuschte Entführung glaubwürdig der Polizei: Fünf Jugendliche
zwischen 15 und 17 entschlossen sich, eine Entführung nachzustellen - vor
einem Lokal mit einer großen Fensterfront im Zentrum von Tulln, um
besonders viel Aufmerksamkeit zu erregen.
Zwei der Jugendlichen, die die „Täter“ spielten, stülpten einem weiteren, dem
„Opfer“, einen Jutesack über den Kopf und zerrten ihn in den Kofferraum
eines Autos. Dann fuhren sie mit quietschenden Reifen davon.“ (ORF 2010)
Die Beamten gingen von einem Entführungsfall aus und konnten schließlich die
‚Täter‘ ausforschen. Da sie eine strafbare Handlung vorgetäuscht haben, wurden sie
bei der Staatsanwaltschaft St. Pölten angezeigt.
Im Endeffekt entschied der Staatsanwalt jedoch, dass kein strafrechtlicher
Tatbestand erfüllt wurde, da die Entführung nicht direkt vor den Polizisten stattfand.
Dies ist bei Weitem kein Einzelfall, bei dem Spiel von unbeteiligten Personen in
einem anderen Kontext wahrgenommen wird.
89
Ethik und sozialer Kontext
1.13.2
Totes Mädchen auf Google Street View
Gizmodo (Golijan 2010) berichtet über ein Mädchen, welches sie sich tot gestellt hat,
als ein Google Street View Wagen vorbeifuhr.
Dabei wollte sie nur ihre Freundinnen erschrecken. Während der Fahrer des Google
Wagens dies nicht einmal bemerkte sorgte sie für Panik bei vielen Leuten, die die
lokale Polizei verständigten.
Abbildung 43 Not quite Google Corps View (Golijan 2010)
1.14 Ethik und Selbstverantwortung
Die Ethik und Selbstverantwortung der Spieler selbst spielt bei ARGs eine große
Rolle. Oftmals nimmt man im Spiel Verhaltensweisen an, die im realen Leben nicht
akzeptabel sind. Durch die fehlende Grenze zwischen Realität und Fiktion sehen
viele dies als Freibrief für andernfalls nicht tolerierbares Verhalten.
Im Bereich der Urban Exploration, wird die Stadt bzw. deren Gebäude erkundet, zu
denen man normalerweise keinen Zugang hat. Dies können Bürogebäude,
Krankenhäuser, leer stehende Fabrikhallen, aber auch Kanalisationen und
Bergwerksstollen sein.
Solche Gebäude werden von den Urban Explorers oftmals illegal betreten. Von
solchen Plätzen geht eine große Faszination aus. Es sind oft ‚mystische‘ Orte, zu
denen nur wenige Zugang haben. Dies weckt in vielen die Abenteuerlust, in dem sie
sich auf eine Art Schatzsuche begeben.
90
Ethik und sozialer Kontext
Abbildung 44 Urban Explorers in den Katakomben von Paris (Zoriah 2009)
Solche Plätze können auch Bestandteil von ARGs sein, da sie den pervasiven
Charakter des Spiels unterstreichen. Die Puppet Masters tragen jedoch Sorge dafür,
dass hierbei kein illegales Verhalten unterstützt wird, und das Betreten solcher Orte
ungefährlich ist (z. B. Einsturzgefahr).
Dass diese neu gewonnene Freiheit beim Betreten aber kein Freibrief für
untadelhaftes Verhalten ist, und bestimmte ethische Grundsätze zu befolgen sind,
beschreibt Ninjalicious (2005 cited in Montola et al. 2009, p.198), einer der
Vorreiter dieser Bewegung, so:
„Beyond the “do not enter” signs and outside the protected zone, you and
your friends are free to behave as you really are […] [A] lot of people who
usually behave well do so because they’re mindlessly obeying rules and laws,
not because they’re carefully considering which actions are helpful and right
and which are harmful and wrong. People who think laws are more
important than ethics are exactly the sorts who will wander into an
abandoned area and be so confused by their sudden freedom and lack of
supervision that they’ll start breaking windows and urinating on the floor.
91
Ethik und sozialer Kontext
[…] [I]t’s important to seek out people with positive ethics, who will show
respect for the sites by not breaking anything, taking anything, defacing
anything or even littering while exploring.”
Eine ähnliche Problematik ließ sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts beobachten,
als die von Zeitungen veranstalteten Treasure Hunts in Großbritannien stattfanden.
Leute gruben, trotz Warnhinweise, private Gärten um, beschädigten Straßen und
öffentliche Gebäude, sodass sogar Polizei und Militär einschreiten mussten. (Slade
2006)
1.15 Verantwortung der Puppet Masters
Es ist Aufgabe der Puppet Masters klare Regeln für die Teilnehmer festzulegen, um
bestimmtes Verhalten zu vermeiden, bzw. wenn gewisse Verhaltensweisen
vorherzusehen sind, eine sichere Umgebung dafür zu schaffen:
„[A]s a [puppet master] I am responsible for the safety and well-being of the
players – but up to a point: As long as the characters behave in manner that
is consistent with their character backgrounds, demeanor and reasonably
expanded goals – I am responsible. But if a player/character just goes off the
bend (decides to run naked in the middle of a street with filled cars), that is
no longer my problem as that is not a part of the game in any way. If I think
such a thing would be part of the game, I would have to arrange a place
where such behavior is possible with safety.” (Parann, 2008 cited in Montola
et al. 2009, p.200)
Trotz zahlreicher Vorsichtsmaßnahmen und Hinweise ließ sich auch folgendes
tragisches Schicksal bei Shelby Logan’s Run nicht verhindern:
„This clue, printed on a CD cover, led the players of Shelby Logan’s Run to
Argentena mines in the Nevada desert. The warning in the corner did not
stop one player from entering mine number 1296 instead. Maybe he
interpreted it as a game clue, maybe he was excited by the game, or maybe
he did not understand its context. In any case, he fell 10 meters down a mine
shaft. The accident left him permanently paralyzed and almost completely
blind. Sued for damages, five of the six game organizers settled out of court
92
Ethik und sozialer Kontext
for a $ 10.6 million dollar compensation (paid by their insurance
companies).” (Montola et al. 2009, p.202)
Abbildung 45 Shelby Logan’s Run (Montola et al. 2009, p.202)
Bei dem Assassination Game Killer gibt es auch ganz klare Regeln.
Es ist erlaubt seinen Gegner durch das Fenster auszuspionieren, aber nicht
einzubrechen. Wenn man sich vor einem Angriff schützen möchte, sollte man auch
selbst eine Waffenattrappe mit sich tragen. Anstelle von nachgebildeten Pistolen
kommen oft Alltagsgegenstände, wie auch Obst (z. B. Bananen), zur Anwendung.
(Montola et al. 2009, p.5)
Nicht auszudenken wäre der Einsatz von täuschend echten Waffennachbildungen.
Speziell auf einem amerikanischen Universitätscampus würde dies einen
93
Ethik und sozialer Kontext
Polizeieinsatz provozieren bzw. man würde das Risiko eingehen, selbst ‚real‘
erschossen zu werden. Bedingt durch die zahlreichen Amokläufe in amerikanischen
Schulen ist hier besonders auf den sozialen Kontext Rücksicht zu nehmen.
Abbildung 46 A Killer player is using a long lens camera as a sniper rifle to kill his targets from a distance. The
bananas represent pistols. Picture from Deathgame, Sweden. (Montola et al. 2009, p.5)
Oft gibt es Hotlines, an die sich Spieler, die Fragen haben oder das Spiel verlassen
möchten, wenden können. Dies ist auch eine gute Anlaufstelle für Journalisten und
Interessierte. (Montola et al. 2009, p.203)
Selbst ludische Markierungen, die In-Game Content kennzeichnen, können falsch
interpretiert, wie folgendes Beispiel von Momentum zeigt. In diesem Fall
verwechselten die Spieler eine reale Person mit einem Schauspieler. Die Aufgabe war
es, ein Artefakt von einer gespielten obdachlosen Person zu bekommen. Diese Person
sollte auf einem öffentlichen Platz zu finden sein. Zusätzlich kennzeichneten die
Puppet Masters diese Person mit einem am Boden gezeichneten Kreis aus magischen
Symbolen. Es war aber nicht vorauszusehen, dass die Spieler mit stundenlanger
Verspätung eintrafen und der Schauspieler mittlerweile seinen Platz verlassen hatte.
94
Ethik und sozialer Kontext
Mittlerweile saß aber eine andere obdachlose Frau im Kreis, die ‚real‘ war. Die
Spieler meinten, dass es sich hierbei um ein hervorragendes Kostüm handelte. Sie
durchsuchten ihre Habseligkeiten und versuchten das Artefakt zu bekommen, indem
sie Reinigungsrituale ausführten. Erst eine halbe Stunde später stellte sich der
Irrtum heraus. (Montola et al. 2009, p.199)
Es gab allen Grund anzunehmen, dass es sich bei dieser Person um einen Darsteller
des Spiels handelte. Die ludischen Zeichen wurden in diesem Fall aber falsch
interpretiert. Im Spiel selbst war es selbstverständlich erlaubt, die Sachen der Frau
zu durchsuchen, im realen Leben stellt dies aber ein inakzeptables Verhalten dar.
1.16 Kultureller Kontext
„WARNING: NOT EVERYONE HAS THE SAME CULTURAL CONTEXT AND
NOT EVERYONE IS RELAXED ABOUT PUBLIC SPACES” (Blade Diary
2006)
Dieser Hinweis war nach einem Vorfall auf der Website von Posterchild zu lesen, die
ein Kunstprojekt namens Mario Question Blocks in das Leben riefen.
McGonigal (2006a cited in Montola et al. 2009, pp.206–207) berichtet über diesen
Vorfall in Ravenna, Ohio, wobei 17 gelbe Würfel, inspiriert vom Computerspiel Super
Mario Bros, quer in der ganzen Stadt verteilt wurden.
Die Behörden forderten darauf ein Entschärfungskommando an, da diese
Kunstobjekte mit Bomben verwechselt wurden. Die fünf verantwortlichen Teenager
wurden angezeigt, aber die Anklage später wieder fallen gelassen. Diese Würfel
wurden zuvor an vielen verschiedenen öffentlichen Plätzen, quer in den USA und in
Europa, verteilt, und nirgends gab es dabei Probleme mit den Behörden.
Je nachdem, wie stark das Terrorbewusstsein ausgeprägt ist, werden solche
Kunstinstallationen unterschiedlich wahrgenommen. Es kommt auch hier, sehr auf
den sozialen und kulturellen Kontext an.
95
Ethik und sozialer Kontext
Abbildung 47 Mario Question Blocks als Kunstinstallation in Toronto (Blade Diary 2006)
Ein weiteres Beispiel stammt aus Schweden, bei dem Spieler des ARG Momentum
ein Ritual, welches Bestandteil des Spiels war, gegenüber der amerikanischen
Botschaft abhielten.
Ein Spieler berichtet:
„[The police] came with, you know, a whole strike force, you know, these
buses, it was a full bus, but only two people in the front came out, because the
others, they were suddenly in there prepared with submachine guns and
everything, in the car. […] And, and they came out with, you know, their
hands on the guns and walked up to us […] [T]hey were really jumpy, and
[the players] started to explain that this is a game, and, of course, that was
the easiest explanation. […] And [the police] were like, you can be shot for
having one of these things. In Israel you would’ve been dead by now.”
(Stenros et al., 2007c cited by Montola et al. 2009, p.208)
Die Spieler verlassen sich auf die Puppet Masters, dass sie keinerlei Probleme
während des Spiels bekommen, solange sie nach deren Regeln spielen.
96
Ethik und sozialer Kontext
1.17 Vem gråter
Selbst wenn Behörden und verantwortliche Stellen im Vorfeld informiert werden, ist
dies noch kein Garant für die problemlose Ausführung eines Spiels, wie Vem gråter 6
zeigt.
Ursprünglich als crossmediales Poltergeist Abenteuer konzipiert, erschuf dieses Spiel
eine Gruppe von Studenten gemeinsam mit Künstler und Game Designer Martin
Ericcson.
Als Vem gråter im Frühling 2005 an einer schwedischen Universität startete, lief
vieles nicht, wie geplant.
Zum einen erreichten sie das falsche Zielpublikum. Während das Spiel sicher
anderen Studenten und manchen Professoren gefallen hätte, wurden komplett
andere Leute mit den Rätseln in den Korridoren der Universität konfrontiert.
Hausmeister und Reinigungspersonal wurden zum primären Zielpublikum. Und für
diese war es weder ein Spiel noch ein Puzzle, sondern ausschließlich Vandalismus.
Zum Zweiten ist ein ‚Reality Game‘, welches mit einem glaubhaften Horrorszenario
spielt nicht lustig, sondern Furcht einflößend.
Zum Dritten mangelte es an Verständnis, wie Geschichten erzählt, weitererzählt
werden und sich entwickeln. Viele Details gingen dabei verloren und wurden aus
dem Zusammenhang gerissen, als die Geschichte dem Direktor, lokalen Zeitungen
und selbst einer Hotline für verängstigte Frauen der Polizei erzählt wurde.
Der vierte Grund war, dass das Spiel an Plätzen stattfand, an denen die Leute es
nicht vermeiden konnten, damit in Berührung zu kommen. Das Personal der
Universität war zuerst irritiert, dann verängstigt und zum Schluss zornig. Nachdem
Polizei und Direktion der Universität informiert wurden, folgten darauf
Entschuldigungen der Macher des Spiels. (Montola et al. 2009, pp.193–194)
Viele Game Designer können aus Vem gråter eine wertvolle Lektion lernen, vor
allem, wie schnell solche Spiele außer Kontrolle geraten können und welche
Vorkehrungen dafür zu treffen sind.
6
„Who is Crying.“ auf schwedisch
97
Ethik und sozialer Kontext
Abbildung 48 Vem gråter in den lokalen Zeitungsberichten (Widing, 2007 cited in Montola et al. 2009, p.195)
1.18 Real World Detectives
Nur drei Stunden nach den 9/11 Attacken auf das World Trade Center und das
Pentagon meldeten sich die Cloudmakers im Forum zu Wort. Beiträge mit dem
Betreff, wie „The Darkest Puzzle“ und „Cloudmakers to the Rescue!“ waren zu lesen.
(McGonigal 2003, p.1)
Beflügelt durch ihren Erfolg als Kollektiv im ARG The Beast, Rätsel und Aufgaben zu
lösen, die anfangs schier unmöglich schienen, nahmen sie in diesem Fall ‚real world
problems‘ in Angriff.
Dies mag auch mit der ‚This Is Not A Game‘ (TINAG) Ästhetik von The Beast zu tun
gehabt haben. Dadurch war ihr Verstand derartig geschärft, dass sie im Alltag nach
98
Ethik und sozialer Kontext
Rätseln und verborgenen Hinweisen suchten. Sie sahen überall Rabbit Holes um in
neues Spiel einzusteigen.
Ihre Erfahrung als Gruppe beschränkte sicher aber bisher nur auf virtuelle Rätsel des
ARG namens The Beast.
Jane McGonigal (2003, p.1) fasste die Geschehnisse so zusammen:
„We can solve the puzzle of who the terrorists are," one member wrote.
Another agreed: "We have the means, resources, and experience to put a
picture together from a vast wealth of knowledge and personal intuition".
One Cloudmaker suggested: "Let's become a resource. Utilize your computer
& analytical talents to generate leads". Someone else implored: "We like to
flout [sic] our 7,000 members and our voracious appetite for difficult
problems, but when the chips are down can we really make a difference?”.
The Cloudmakers, who proudly identified themselves in member profiles,
home pages and email signatures as "a collective intelligence unparalleled in
entertainment history," were on the case— a very real case".”
Zwei Tage später wurde aber von den Gründern der Cloudmakers Einhalt geboten:
Es handle sich hierbei um die Realität: ‚This is not a game.‘ Dieses tragische
Ereignis als Puzzle zu sehen sei nicht angebracht. (McGonigal 2003, p.1)
Ähnliche Geschehnisse ereigneten sich auch bei der Suche nach dem D.C. Sniper im
Oktober 2002. Mittels gebündelten technologischen Ressourcen und kollektiver
Intelligenz begaben die Cloudmakers sich auf die Suche nach dem Attentäter. Im
Endeffekt wurde dieser aber dennoch von der Polizei verhaftet. (McGonigal 2003,
p.6)
Im März 2003 schlossen sich erneut 70 Spieler zu einem Think Tank zusammen um
‚real world problems’ zu lösen. Die Collective Detectives hatten folgende Absicht:
„[...] unleashing the collective effort of real world issues and challenging
conventional problem-solving methods.“ (Fuzzymelon2K , 2003 cited in McGonigal
2003, p.7)
Auch wenn diese Bemühungen damals nicht erfolgsgekrönt waren, war dies ein
erster Ansatz, die kollektive Intelligenz zur Lösung von ‚real world problems‘
heranzuziehen.
99
Ethik und sozialer Kontext
1.19 Lynch Mobs
Lynch Mobs des 21. Jahrhunderts, die aus den sogenannten Smart Mobs
hervorgegangen sind, sind auch ein gutes Beispiel für ‚real-world problem solving
communities‘. Sie nehmen Probleme, bei denen Politik und Justiz versagen, selbst in
die Hand.
Im Februar 2006 stellte eine Frau, die durch den Namen ‚Kitten Killer of Hangzhou‘
bekannt wurde, ein Video auf YouTube online, in dem sie ein Kätzchen mit einem
Stöckelschuh umbrachte.
Abbildung 49 Kitten Killer of Hangzhou (China Daily cited in Kramer 2009)
Zahlreiche aufgebrachte chinesische Bürger analysierten den Hintergrund des
Videos, um den Standort zu bestimmen, und die verwendeten Schuhe führten zu
dem Online-Shop, bei dem sie einkaufte. Mit diesen Informationen ließ sich ihre
Identität und Wohnadresse bestimmen. Tausende Telefonanrufe und Drohungen
folgten. Im Endeffekt verlor sie ihre Anstellung und musste ein Video mit ihrer
Entschuldigung online stellen, obwohl Tierquälerei in China keine strafbare Tat ist.
(Alex Lightman cited in Kramer 2009)
Diesmal führte die kollektive Detektivarbeit zum Erfolg. Dies wirft aber wiederum
eine Menge neuer ethischer Fragen auf, ob und in welchen Fällen, Selbstjustiz
überhaupt gerechtfertigt ist.
100
Ausblick
Ausblick
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ARGs immer sehr eng mit der technologischen
Entwicklung verbunden waren. Das Internet hat dieses Spielgenre überhaupt erst
möglich gemacht.
Im letzten Jahrzehnt, seit The Beast, wurde die Social Layer auf das Internet
aufgebaut. Die Konstruktion dieser Ebene ist nun abgeschlossen und das
‚Framework for Connections‘ heißt Facebook. (Priebatsch 2010)
Seth Priebatsch, Gründer von SCVNGR, möchte nun basierend auf dieser mit dem
Aufbau der Game Layer beginnen:
„The game layer is all about influence. It's not about adding a social fabric to
the Web and connecting you to other people everywhere you are and
everywhere you go. It's actually about using dynamics, using forces, to
influence the behavior of where you are, what you do there, how you do it.
That's really, really powerful, and going to be more important than the
social layer. It's going to affect our lives more deeply and perhaps more
invisibly.“ (Priebatsch 2010)
ARGs können Teil dieser Game Layer sein. Die bestehende Social Layer eröffnet
nicht nur ungeahnte Möglichkeiten, sondern macht dieses Spielgenre einer breiten
Öffentlichkeit zugänglich. Die Infrastruktur ist bereits vorhanden, jetzt gilt es, diese
Basis auch zu nutzen. Das ARG Dexter ist bereits ein Schritt in die richtige Richtung.
Dieses Spiel will ein größeres Publikum erreichen und setzt dabei auf diese neuen
Möglichkeiten. Smartphones, Location-based und Augmented Reality Technologien,
reifen langsam aus und werden zunehmend zum Einsatz kommen, wie aktuelle ARGs
zeigen. Epidemic Menace (Montola et al. 2009, p.160) wurde 2007 noch mit teuren
Forschungs-Prototypen gespielt. Heutzutage trägt fast jeder diese Technologie in
Form eines Smartphones mit sich. Diese sind bereits fix in den Alltag integriert und
eröffnen damit komplett neue Möglichkeiten der Kommunikation, über Texting
(SMS) hinaus. Die Nutzung des mobilen Internets ist alltäglich geworden. Vieles was
vor zehn Jahren noch futuristisch schien, ist jetzt möglich.
101
Ausblick
Social Networks bieten eine ideale Infrastruktur auf der eine Game Layer überlagert
werden kann. SCVNGR ist nur ein Schritt in diese Richtung, aber zeigt, wie man eine
breite Öffentlichkeit erreichen kann. Ziel sollte es sein, ARGs einem viel breiteren
Publikum zugänglich machen, auch den Casual Gamers.
1.20 Location Based Gaming
Diese Technologien erklären auch den Trend zu Location-Based-Services in den
letzten Jahren. Foursquare und Gowalla waren die Vorläufer, und mit Facebook
Places werden diese Dienste noch bekannter.
Grundidee ist mittels Checkin, indem man anderen Leuten seine Position mitteilt,
sogenannte Badges zu lukrieren und Mayor eines gewissen Standorts, Geschäfts
oder Lokals zu werden. Dies ist derjenige, der z. B. ein Lokal am öftesten besucht. Als
Mayor genießt man gewisse Privilegien, wie z. B. besondere Vergünstigungen oder
einfach einen Gratis-Kaffee.
Solche Location-Based-Services sind mehr als nur ein Spiel, sondern ermöglichen
für lokale Betriebe und Lokale neuartige Formen des Marketings und der
Kundenbindung. Negativ-Schlagzeilen machten Gowalla und Foursquare, indem
Einbrecher, diese Information nutzten, und feststellen konnten, wann jemand nicht
zu Hause anzutreffen war.
Lionsgate versuchte eine spielerische Komponente in Foursquare einzubringen,
indem Followers in bestimmten Lokalen Tipps, die das Expendables Motto hatten,
entdecken konnten. Propaganda Tattoo in San Diego hatte dafür folgenden Hinweis
„Ask for Thad! The most bad ass tattoo artist in SD! Brought to you by THE
EXPENDABLES opening August 13!”
102
Ausblick
Abbildung 50 The Expendables – Location Based Gaming (Van Grove 2010)
Wenn man in Santa Monica im The Shack eincheckte und zum Barkeeper sagte „Sly
sent me” bekam man sein Glas Bier um $2 günstiger. (Van Grove 2010)
Auch versuchen Spielehersteller, die in die Smartphones integrierten GPS
Empfänger zu nutzen, und traditionelle Brettspiele in die reale Welt zu portieren.
Basierend auf dem Brettspiel Scotland Yard wurde Mister X für die reale Welt, als
Location-Based Multiplayer Game, portiert.
103
Ausblick
Abbildung 51 Mister X Mobile, ein Location-Based Multiplayer Game (Gamesload 2010)
„Das Spielfeld ist die ganze Stadt. Die Spieler bewegen sich in der realen Welt
und übernehmen selbst die Rollen der Spielfiguren. Ein Spieler ist Mister X®
und begibt sich auf die Flucht vor den anderen Mitspielern. Diese sind die
Detektive und müssen zusammenarbeiten, um Mister X® einzukreisen und
zu stellen.„ (Gamesload 2010)
Viele dieser Elemente finden sich in ARGs wieder bzw. sind eine technologische
Weiterentwicklung der Spielprinzipien.
1.21 SCVNGR
Seth Priebatsch möchte mit SCVNGR 7 (sprich Scavenger) eine Game Layer auf die
reale Welt aufbauen. Statements, wie „blur a line between digital interactivity and
real-world interaction" und „a massive experiment in building a mobile game
together" klingen sehr verdächtig nach einem ARG. (SCVNGR 2010)
Es ist allerdings eine technologische Plattform, auf der Geschäfte, Lokale und
Institutionen, wie Museen, sogenannte Challenges erstellen können.
Im Gegensatz zu reinen Location-Based-Services, wie Foursquare oder Gowalla,
reicht es bei SCVNGR nicht aus, bloß einzuchecken.
Um sich eine Belohnung zu verdienen, wie z. B. besondere Vergünstigungen (GratisEis, Gratis-Kaffee, Rabatte, usw.), müssen Challenges an bestimmten Orten
absolviert werden, um die dafür notwendigen Punkte zu bekommen.
7
www.scvngr.com
104
Ausblick
Abbildung 52 SCVNGR für iPhone (SCVNGR 2010)
Diese Challenges können quer in der ganzen Stadt verteilt sein; gespielt wird über
das Smartphone. Die Aufgaben können ganz unterschiedlich sein. Manchmal reicht
ein Checkin aus oder man muss etwas fotografieren, Texte vervollständigen oder
sonstige Rätsel lösen.
Im Gegensatz zu klassischen Scavenger Hunts ist dies ein ‚short-form casual game’,
welches sich in das Leben integriert. (SCVNGR 2010)
Im Gegensatz zu Rabatten, die den Wert einer Ware oder Dienstleistung
herabsetzen, ist dies eine vor allem sehr interessante Möglichkeit des Marketings für
Betriebe, die eine bestimmte lokale Zielgruppe erreichen möchten. Aber auch in
anderen Bereichen, wie Tourismus und Museen, eröffnet eine Game Layer sehr
interessante Möglichkeiten. Der Vorteil besteht in SCVNGR, dass diese Plattform
bereits die passenden Applikationen mit sich bringt und gleichzeitig ein eigener
Builder verfügbar ist, um solche Challenges einfach und großen Aufwand selbst zu
erstellen. Die gesamte technische Infrastruktur wird zur Verfügung gestellt.
Vieles mag für hartgesottene ARG Fans viel zu rudimentär klingen. Und tatsächlich
ist man in vielen Bereichen sehr stark eingeschränkt. Das volle Potenzial eines
immersiven ARGs kann man damit kaum ausnützen. Aber diese Plattform bringt das
Genre der ARGs einer breiten Masse näher, und dient oft als Einstiegspunkt, um in
die Materie tiefer einzutauchen. Die Integration mit Facebook Places schafft zudem
105
Ausblick
eine noch ein größere Game Layer. Daher nutzte auch das erste Kapitel des ARG
Dexter, SCVNGR als Einstiegsplattform.
1.22 Augmented Reality
Als 2005 das erste Mal Epidemic Menace gespielt wurde, ging für die Teilnehmer
besonders von den High-Tech Prototypen eine große Faszination aus. Das Szenario
war Folgendes: Von einem Forschungslabor wurde ein tödlicher Virus freigesetzt.
Die jeweiligen Teams hatten die Aufgabe diesen wieder einzufangen, bevor die
gesamte Bevölkerung damit infiziert wird. Mittels Augmented Reality Brillen
konnten die Spieler den unsichtbaren Virus visualisieren und mit einem Rucksack
voll Elektronik und einem modifizierten Smartphone konnte dieser auch eingefangen
werden. (Montola et al. 2009, p.160)
Abbildung 53 Promotion Bild zu Epidemic Menace. So erschien der ‚unsichtbare‘ Virus den Spielern. (Montola et
al. 2009, p.160)
Das Spiel war adaptronic, das heißt, dass Ereignisse in der realen Welt, die virtuelle
Welt beeinflussten. Bei Epidemic Menace bestimmte z. B. das Wetter, wie und vor
allem, wie schnell, sich der Virus verbreitete. (Montola et al. 2009, p.161)
106
Ausblick
Seit Smartphone Apps, wie Wikitude, hat Augmented Reality auch in den Alltag
Einzug gehalten. Über das Kamerabild werden zusätzliche Informationen, wie Points
of Interest, eingeblendet. Viele Hersteller haben das Potenzial erkannt und sind
dabei, Lösungen für Spiele zu entwickeln.
KA-BOOM ist ein sogenanntes Augmented Reality based Game. Eine Art Real-Life
Bomberman, bei dem die Stadt bzw. deren Straßen als Spielfeld dienen. Technisch
basiert es auf der Sekai Camera Plattform von Tonchidot. (Toto 2010)
Abbildung 54 KA-BOOM (Toto 2010)
Vieles ist zwar technisch noch nicht ganz ausgereift, aber nachdem die Smartphone
Technologie immer leistungsstärker wird, können wir damit rechnen, dass
Augmented Reality Gaming in ein paar Jahren allgegenwärtig sein wird.
Man stelle sich nur vor, dass dadurch Fabelwesen und Monster zum Leben erweckt
werden können. Gegenstände in der realen Welt können mit einer zusätzlichen
ludischen Bedeutung versehen werden, die nur für die Teilnehmer sichtbar ist. Hier
gibt es noch sehr viel Potenzial zu entdecken.
107
Ausblick
Zudem löst dies in vielen Fällen das Problem mit der Unaware Participation, da
unbeteiligte Personen, zwar mit den Spielern, aber nicht mit den virtuellen
Spielgegenständen, in Berührung kommen.
1.23 Dexter ARG - Hunt for Infinity Killer
Dexter Game On 8 ist ein ARG, welches Teil der viralen Marketingkampagne zum
Start der neuen Staffel von Dexter war. Dies alleine macht das ARG noch nicht
außergewöhnlich. Das Besondere daran war, wie Dexter Game On, auf der Social
Layer aufbaute, um ein größtmögliches Publikum zu erreichen.
Abbildung 55 Integration von Facebook und SCVNGR (Showtime Dexter Game On 2010a)
8
www.dextergameon.com
108
Ausblick
Für das erste Kapitel des ARGs gab es zwei Möglichkeiten daran teilzunehmen, zum
einen online, indem man sein Foto mit einem ‚Dexter Cheek Slash‘ versah und es
Flickr stellte, zum anderen über SCVNGR. Hier mussten unterschiedliche Challenges
in bestimmten Städten absolviert werden. Zudem gab es noch eine eigene Facebook
App, um sein Gesicht, mit dem oben genannten, Slash zu verzieren. Jeder Upload
zählte als ‚Kill‘. Nachdem 100.000 Kills erreicht wurden, wurde ein exklusiver
Content zur neuen Staffel, in Form eines Videoclips freigeschalten.
Abbildung 56 Der freigeschaltene Videoclip nach 100.000 Kills (Showtime Dexter Game On 2010b)
Zukünftige Kapitel der Jagd nach dem Infinity Killer, spielten sich dann wieder
traditioneller ab. Reale Artefakte, Puzzles, Telefonanrufe und vieles mehr tragen zu
dem immersiven Erlebnis bei, damit auch hartgesottene Fans auf ihre Kosten
kommen.
Die Hemmschwelle in das Spiel einzusteigen war anfangs extrem niedrig und
Komplexität und Schwierigkeitsgrad steigerten sich erst allmählich mit dem
Fortschreiten von Dexter Game On.
Ob ARGs dadurch in den Mainstream einziehen werden bleibt dahingestellt. Sicher
ist aber, dass die Zahl der Spieler durch die Einbindung der Social Layer stark
erhöht wurde. Es wird damit nicht nur das Interesse an dem Genre der ARGs
geweckt, sondern die Spieler werden ermuntert weiterzuspielen und tiefer in die
Geschichte einzutauchen.
109
Ausblick
1.24 ARGs im deutschsprachigen Raum
Bis auf wenige Ausnahmen scheint das Genre der ARGs auf den englischsprachigen
Raum beschränkt zu sein. Dies mag zu einem mit der Sprachbarriere zu tun haben,
aber auch mit der kritischen Masse an Spielern, die dafür notwendig ist. So wie jedes
Social Network brauchen auch ARGs eine bestimmte Anzahl an User bzw. Spieler,
um erfolgreich zu sein. Viele der Spielabschnitte erfordern oft ein Mindestmaß an
Interaktion der Spieler untereinander. Die kollektive Komponente spielt dabei die
größte Rolle.
Um dieses Problem zu vermeiden, gibt es im Game Design selbst mehrere
Möglichkeiten um die kritische Masse an Spielern zu erhalten (Montola et al. 2009,
p.154):
•
Limit the time and space of play
•
Reward extensive play
•
Provide single player content
•
Provide two player content
•
Conceal the lack of critical mass
Als österreichisches Beispiel sei aber Schwellenland (2010) erwähnt, welches im
Frühjahr 2010 in Wien stattfand. Zehn Tage musste man sich bei diesem Projekt, im
Rahmen der Wiener Festwochen, als illegaler Flüchtling um seine neue Identität und
Einbürgerung kämpfen. Ausweis, E-Card und Bankomatkarte mussten zu Beginn des
Spiels abgegeben werden.
Hauptsächlich wurden SMS und Email zur Kommunikation mit den Spielern
eingesetzt. Es gab zwar eine Website und ein Forum für die Teilnehmer, aber der
Online-Teil wurde nur sehr rudimentär umgesetzt. Außerhalb von Wien gab es so
gut, wie keine Möglichkeit, an diesem Spiel teilzunehmen.
Und tatsächlich gibt es wenige ARGs, die international gespielt werden. Speziell im
Rahmen der Promotional ARGs spielen die unterschiedlichen Starttermine im Kino
eine Rolle. Europa startet in der Regel einige Monate später. Prinzipiell kann jeder
daran teilnehmen, aber oft sind nur bestimmte Online-Kapitel spielbar.
110
Ausblick
Auch die Spachbarriere spielt dabei eine Rolle. Evoke, mit Schwerpunkt auf Afrika,
war englischsprachig und für Länder bestimmt in denen Englisch gesprochen oder
zur Kommunikation verwendet wird. Nicht immer liegt es aber an der Sprache.
Fremdsprachige Charaktere sind bei weitem nicht so glaubwürdig, sodass sie sich in
vielen Fällen nicht nahtlos in das Leben der Spieler integrieren können. Die
Spielerfahrung ist daher wenig immersiv.
Eine Ausnahme bildete The Lost Ring, ein ARG, welches Bestandteil der
Marketingkampagne von McDonalds zu den Olympischen Spielen 2008 in Beijing,
China, war. Es fand auf sechs Kontinenten in sieben Sprachen statt und lief über
sechs Monate. Auf der Suche nach einer vergessenen Sportart, die einmal eine
olympische Disziplin gewesen sein sollte, mussten die Spieler u. a. reale Artefakte in
Johannesburg, Rio de Janeiro und Bangalore finden. Virtuelle Hinweise fanden sich
z. B. auf einem argentischen Social Network, einer chinesischen Video-Sharing
Website und auf Skyrock, einer populären Blogging Community aus Frankreich.
Weltweit formten sich zahlreiche Teams, die die Aufgabe hatten, diese Sportart
wieder zum Leben zu erwecken. Die besten Teams wurden zu dem Finale dieses
Spiels nach Beijing eingeladen. (McGonigal 2011, chap.13)
111
Schlussfolgerungen
Schlussfolgerungen
Beinahe 40 Jahre hat es gedauert, bis uns bewusst geworden ist, für welchen Zweck
das Internet eigentlich bestimmt war. Bis zum Platzen der Dotcom-Blase im Jahr
2000 dachten wir, das WWW sei in erster Linie für das Publizieren von Inhalten da.
Die Rolle der Internet-User war auf die Rolle des passiven Konsumenten beschränkt.
Nach und nach wurde uns bewusst, dass es eigentlich um aktive Partizipation und
Kommunikation untereinander geht.
Daher kann es kein Zufall sein, dass 2001 als Geburtsjahr der ARGs gilt, als im
frühen Sommer The Beast stattfand. Es nutzte dabei intensiv die Möglichkeiten der
Neuen Medien, wie Websites, Wikis und Blogs, um die Spieler an dem immersiven
und kollaborativen Erlebnis teilhaben zu lassen.
ARGs haben bisher noch nicht ihr volles Potenzial ausgeschöpft und werden stetig
weiterentwickelt. Man denke nur an die zahlreichen Plattformen, wie Foursquare,
Facebook oder SCVNGR, die als technologische Basis und Social Layer für diese
Spiele dienen können. ARGs können darauf aufbauen, ohne, dass Game Designer die
Infrastruktur dafür erst entwickeln müssen. Zudem vergrößert sich die Zielgruppe
solcher ARGs dadurch immens. Alleine auf Facebook gibt es 500 Millionen
potenzielle Spieler. Davon sind viele Erwachsene bereits mit Computerspielen
aufgewachsen. Von Super Mario Bros über Minesweeper, Solitaire bis hin zu World
of Warcraft, beinahe jeder kennt die Faszination, die von solchen Spielen ausgeht.
Urgent Optimism, Blissful Productivity und Epic Meaning sind Prinzipien um
Spieler zu fesseln und die zum Weiterspielen zu ermutigen. Gaming ist keine
Randerscheinung mehr, sondern Mainstream.
112
Schlussfolgerungen
ARGs sind aber mehr als nur ein Spiel oder virales Marketing. Henry Rose
bezeichnet ARGs als neue Form von ‚Interactive Fiction‘(Rose 2011, chap.1), bei der
Spiel und Realität miteinander verschwimmen:
„It's all part of the blur. It isn't just stories and games that are blurring
together, its author and audience, fiction and nonfiction, advertising and
entertainment. Because the Internet is so relentless about dissolving
boundaries, this is pretty much inevitable.” (Rose cited in Jenkins 2011)
Mobile Internettechnologie, in Form von Smartphones, bis hin zu Augmented
Reality Technologien, die Spielgegenstände in der realen Welt abbilden können,
eröffnen ungeahnte Chancen, um das Spielerlebnis pervasiv und immersiv zu
gestalten.
Es ist aber nicht die Technologie die ARGs so einzigartig macht, sondern der soziale
Aspekt. Spieler kommen online und offline zusammen, nicht nur um die Geschichte
zu teilen, sondern vor allem um sie mitzugestalten. Medientheoretiker Rushkoff
(cited in Doh 2010) bringt es auf den Punkt:
„I came to realize that it was the social element that made it work. It’s not
solving the puzzle that’s so much fun; it’s working on it with other people,
solving elements, and seeing everyone else react to what you’ve brought to
the table.”
Und genau dieses soziale Element verstärkt auch die Partizipation. Spieler haben die
Möglichkeit, je nach Fähigkeit und Talent, sich in die Gruppe einzubringen und
etwas zum Verlauf der Geschichte beizutragen. Sie werden Teil von ‚etwas
Größerem’. Ein ähnliches Phänomen lässt sich bei Wikipedia beobachten, wobei
zahlreiche Freiwillige ihre Freizeit opfern und komplett unentgeltlich mitarbeiten.
Da die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen, werden zudem InGame Erfahrungen in einem hohen Ausmaß auf das reale Leben der Spieler
übertragen. Die Teilnehmer können sich hinter keinem Avatar verstecken. Dies
macht ARGs zu einem idealen ‚Social Learning Tool’ (Harding cited in Mascioni
2010).
Und genau in diesem Bereich der Serious Games sehe ich das größte Potenzial von
ARGs. Dieser Trend zeigt sich auch verstärkt in den letzten Jahren. In den
113
Schlussfolgerungen
Anfangsjahren beschränkten sich viele ARGs auf Marketing. Seit 2007 zeigen
Beispiele, wie World Without Oil oder EVOKE, dass es sehr wohl weitere
Einsatzzwecke gibt. Laut McGonigal (2011, chap.7), hat aber beinahe jedes ARG
einen positiven Einfluss auf das Leben der Teilnehmer, bedingt durch den sozialen
Aspekt. Aber bei den vorhin genannten Beispielen werden alltägliche Probleme in
Angriff genommen und Lösungsmöglichkeiten gesucht, unter Zuhilfenahme der
Collective Intelligence. All dies sind Experimente, die uns neue Möglichkeiten und
Formen aufzeigen.
Neben diesem positiven Einfluss auf das eigene Leben sind es zahlreiche
Fähigkeiten, die sich Spieler bei bei ARGs aneignen. Zum einen ist es
Medienkompetenz, der Umgang mit Neuen Medien und Technologien, die
Teamworkfähigkeit, ad hoc Netzwerke zu bilden und Zusammenarbeit in Echtzeit,
durch die sie sich intensiv mit anderen Teilnehmern vernetzen.
Viele Branchen können davon lernen, wie man Game-Mechanics in das reale Leben
integriert, und man kollektive Intelligenz zur Problemlösung heranzieht. Dies zeigt
vor allem Gamification, der Trend Game Mechanics auf alltägliche Probleme und
Aufgaben anzuwenden, die andernfalls eher als mühsam und beschwerlich definiert
werden. Unter Gamification versteht man:
„The process of game-thinking and game mechanics to engage users and
solve problems.” (Zichermann & Cunningham 2011, chap.Introduction)
Noch hat kein ARG die Welt verändert. Oft sind es nur kleine Schritte im Leben der
Spieler. Sei es mit Energie sparsam umzugehen, mehr Strecken zu Fuß
zurückzulegen, oder mit dem Rad in die Arbeit zu fahren, wie bei World Without Oil,
oder reale Projekte, um die Lebensqualität von vielen Menschen auf dem
afrikanischen Kontinent zu verbessern, die aus EVOKE hervorgegangen sind, oder
einfach mehr Sport zu betreiben, wie Cryptozoo, welches von der American Heart
Association inszeniert wurde:
„Omg just ran into 1 of 1st cryptozoo playtesters, 1 yr later, 20 lbs lighter and
running regularly, total change. He credits the game! Yay!!“ (McGonigal
2010b)
114
Schlussfolgerungen
Dennoch ist für viele Spieler die Teilnahme an einem ARG eine lebensverändernde
Erfahrung. Die Cloudmaker, die aus The Beast hervorgegangen sind, haben dies
mehrfach bewiesen. Vor allem die Autorität, die sie als Community hatten. Selbst 10
Jahre nach The Beast besteht diese Community immer noch und blickt wehmütig
zurück:
„We’re about to break up the most intelligent group of folks ever assembled –
we could have built the atomic bomb if the solution was put to us in code….
I’m going to catch myself still looking for patterns and riddles in my daily life
months from now” (Jackson 2001, cited in McGonigal 2003, p.9)
Bei ARGs geht es nicht darum, dass man als einzelne Person das Spiel gewinnt. Es ist
vielmehr ein kollektiver Erfolg. Der Sieg ist nicht das Ziel:
„Great games teach people how to work together for common goals, and
make sure people understand that winning the game is not the object – for
that just ends the game.” (Rushkoff cited in Doh 2010)
Vieles dürften die Puppet Masters von The Beast richtig gemacht gemacht haben,
denn die Cloudmaker haben dies verstanden:
„The game is now over… the game has just begun.” (Ng, Eric cited in
McGonigal 2003, p.9)
Let the games begin!
115
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Ein reales Artefakt aus dem ARG zur Fernsehserie Dexter: „This morning, a knock on my door woke
me up. A package greeted me on my doorstep, addressed to me. Inside was a tiny, elegant package and a postcard
with the picture of a grisly kill room and a bloody infinity sign. […] Inside the box was a realistic chocolate heart,
along with a USB taped to the lid of the box containing a video message […].“ (Andersen 2010) ............................. 9
Abbildung 2 I Love Bees Payphone Gathering: Einige Spieler warten bei einer Telefonzelle auf einen Anruf. ...... 10
Abbildung 3 Nicht immer ist es so klar, wie beim Sumo Ringen, bei dem das gesamte Spiel innerhalb des Kreises
stattfindet (Montola et al. 2009, p.8) ...........................................................................................................................13
Abbildung 4 Traditionelles Modell: Das einzelne Media-Artefakt ist dafür verantwortlich, die ‚Story World‘ zum
Vorschein zu bringen (Watson 2010, p.5)....................................................................................................................15
Abbildung 5 Das Transmedia Modell: Es gibt keinen ‚Ur-Text‘, der die gesamte Geschichte erzählt; die ‚StoryWorld‘ setzt sich dagegen aus mehreren Texten/Media-Artefakten zusammen. ......................................................16
Abbildung 6 The Blair Witch Website zeigte eine Vielzahl an ‚realem’ Material inklusive einem fiktiven Tagebuch
(The Blair Witch website cited in Askwith 2008, p.16) ............................................................................................... 17
Abbildung 7 Integrated Media Timeline (LivePlanet cited in Miller 2008, p.154) ....................................................19
Abbildung 8 Integrated Media Approach: three-ball-theory (LivePlanet cited in Miller 2008, p.155) ................... 20
Abbildung 9 The Last Exorcism - BEST OF Chatroulette reactions (thelastexorcism 2010) ................................... 22
Abbildung 10 Shibuya Crossing Tokyo - Scramble System (TOKYOLUV 2010) ....................................................... 27
Abbildung 11 Asterix Abenteuerspiel Band 1: Das Gipfeltreffen (Goscinny & Uderzo 1987) ....................................31
Abbildung 12 Paul McCartney is dead (Askwith 2008, p.14) ..................................................................................... 34
Abbildung 13 Das Cover des Buchs Ong’s Hat: The Beginning (Szulborski 2005, p.86), ein Teil der Geschichte von
Ong’s Hat: Incunabula ................................................................................................................................................. 35
Abbildung 14 Masquerades vergrabener Schatz: Ein Juwel aus 18 Karat Gold und Edelsteinen, von Kit Williams
persönlich angefertigt (Askwith, Ivan 2008, p.13) ..................................................................................................... 37
Abbildung 15 Masquerade, eine der sogenannten Armchair Treasure Hunts (Askwith 2008, p.13) ...................... 37
Abbildung 16 Einige der glücklichen Gewinner (Slade 2006, p.6) ............................................................................ 38
Abbildung 17 We Lost Our Gold (Welostourgold 2010) ............................................................................................. 40
Abbildung 18 CD Cover von Pink Floyd’s Album The Division Bell (Askwith 2008, p.15)........................................41
Abbildung 19 Ein Standbild aus dem Video des Pink Floyd Konzert vom 16. Juli 1994, welches das Wort
‚ENIGMA‘ zeigt. (Askwith 2008, p.15) ........................................................................................................................ 42
Abbildung 20 This Is Not A Game (Artificial Intelligence Trailer, 2001 cited in Askwith 2008, p.18) ................... 44
Abbildung 21 Cloverfield Teaser 1-18-08 (Reeves 2007) ........................................................................................... 48
Abbildung 22 Rob’s Party Mix: iTunes Has the Cloverfield Soundtrack (djspankypants 2007).............................. 50
Abbildung 23 Cloverfield Website (Cloverfield 2007)................................................................................................. 51
Abbildung 24 Rob Hawkins MySpace Profil (Hawkins 2008) ................................................................................... 52
Abbildung 25 Slusho Website des fiktiven Getränkeherstellers (Slusho 2007) ........................................................ 54
Abbildung 26 Tagruato Firmenwebsite (Tagruato 2007) .......................................................................................... 55
Abbildung 27 Mysteriöse Explosion auf Ölplattform (26 Local 2008)...................................................................... 56
Abbildung 28 T.I.D.O. WAVE (T.I.D.O. WAVE 2007) ................................................................................................57
Abbildung 29 Cloverfield Manga (Togawa 2008) ...................................................................................................... 58
Abbildung 30 OOG Website Ethan Haas Was Right (Mind Storm Labs 2007): www.ethanhaaswasright.com ..... 59
Abbildung 31 Cloverfield Clues (Cloverfield Clues 2007) ...........................................................................................61
116
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 32 This Is NOT The Monster(Cloverfield Clues 2008) .............................................................................61
Abbildung 33Unfiction Forum zu 1-18-08 (unfiction 2007) ...................................................................................... 62
Abbildung 34 The Despoiler 1-18-08 Wiki (Despoiler 2007) .................................................................................... 63
Abbildung 35 YouTube Analyse des Cloverfield Teasers (johnnylawdog 2007) ....................................................... 64
Abbildung 36 (Jea Jea/Flickr, 2009 cited in Chen 2009) .......................................................................................... 68
Abbildung 37 World Without Oil (World Without Oil 2007) .................................................................................... 72
Abbildung 38 Urgent Evoke – A crash course in changing the world (Urgent Evoke 2010).....................................75
Abbildung 39 EVOKE Challenge – GlobalGiving (GlobalGiving 2010) .................................................................... 76
Abbildung 40 INVOKE – Die Comics wurden aus EVOKE verwendet und mit neuen kritischen Texten versehen
(INVOKE 2010) .............................................................................................................................................................77
Abbildung 41 Ghosts of A Chance (Smithsonian American Art Museum 2011)........................................................ 78
Abbildung 42 Die angefertigten Kunstwerke der Museumsbesucher - NECKLACE OF THE SUBALTERN
BETRAYER (Smithsonian American Art Museum 2008) ......................................................................................... 79
Abbildung 43 Not quite Google Corps View (Golijan 2010) ...................................................................................... 90
Abbildung 44 Urban Explorers in den Katakomben von Paris (Zoriah 2009) ..........................................................91
Abbildung 45 Shelby Logan’s Run (Montola et al. 2009, p.202) ............................................................................... 93
Abbildung 46 A Killer player is using a long lens camera as a sniper rifle to kill his targets from a distance. The
bananas represent pistols. Picture from Deathgame, Sweden. (Montola et al. 2009, p.5) ...................................... 94
Abbildung 47 Mario Question Blocks als Kunstinstallation in Toronto (Blade Diary 2006) ................................... 96
Abbildung 48 Vem gråter in den lokalen Zeitungsberichten (Widing, 2007 cited in Montola et al. 2009, p.195) .. 98
Abbildung 49 Kitten Killer of Hangzhou (China Daily cited in Kramer 2009) ....................................................... 100
Abbildung 50 The Expendables – Location Based Gaming (Van Grove 2010) ....................................................... 103
Abbildung 51 Mister X Mobile, ein Location-Based Multiplayer Game (Gamesload 2010) ................................... 104
Abbildung 52 SCVNGR für iPhone (SCVNGR 2010)................................................................................................ 105
Abbildung 53 Promotion Bild zu Epidemic Menace. So erschien der ‚unsichtbare‘ Virus den Spielern. (Montola et
al. 2009, p.160) .......................................................................................................................................................... 106
Abbildung 54 KA-BOOM (Toto 2010) ........................................................................................................................107
Abbildung 55 Integration von Facebook und SCVNGR (Showtime Dexter Game On 2010a) ............................... 108
Abbildung 56 Der freigeschaltene Videoclip nach 100.000 Kills (Showtime Dexter Game On 2010b) ................ 109
117
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