Musterseite 50
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4 „Wir“ sagen – die Beziehung Anleiter-Schüler-Team 4.1 Anleitung als Gruppengeschehen Beispiel 1: „Das Wunderbarste an meiner jetzigen Praxisstelle war die Offenheit, mit der das Team mich aufgenommen hat. Das hat meine Motivation schon unheimlich gesteigert.“ (Eine Heilerziehungspflegeschülerin) B Beispiel 2: „Allmählich hatte ich das Gefühl, dieses Team ist so aufeinander eingeschworen, die lassen keinen ’rein. Was ich auch versuchte, alles wurde abgeblockt. Und mein Anleiter hing irgendwie dazwischen und traute sich nicht, sich auf meine Seite zu stellen.“ (Ein Altenpflegeschüler) B Team: Quelle der Motivation oder Frustration Der Schüler hat einerseits einen Sonderstatus und ist doch zugleich auch Teil eines Teams. Die oben zitierten Schüleraussagen markieren sicherlich die beiden Extreme der Beziehung zwischen Schüler und Team, machen aber zugleich deutlich, wie motivierend oder frustrierend dieser wichtige Kontakt während der Ausbildung erlebt werden kann. 4.1.1 Das Team als Gruppe Verschiedene Faktoren können dafür ausschlaggebend sein, dass ein Gebilde entsteht, das sowohl von Außenstehenden als auch von seinen Mitgliedern als „Gruppe“ erlebt wird: Sympathie, gleiche Interessen, ein gemeinsames Ziel, Ähnlichkeit in einem oder mehreren Merkmalen (Bergins). Das Team Auch das „Mitarbeiterteam“ ist eine Gruppe, die sich zur Verfolgung eines gemeinsamen (Arbeits-) Zieles zusammengefunden hat: Menschen, die körperlich und/oder psychisch auf Hilfe angewiesen sind, kompetent zu begleiten und zu betreuen. Der Grund für den Zusammenschluss der Gruppe „Mitarbeiterteam“ liegt also nicht in der wechselseitigen Sympathie und bewussten Entscheidung der einzelnen Mitglieder, sondern in äußeren Bedingungen. Die Mitglieder haben einander nicht ausgesucht, sondern sie arbeiten zusammen, weil sie denselben Beruf und – vielleicht – ähnliche Motive für die Ausübung dieses Berufes haben. Aus dieser Konstellation können sich Chancen und Probleme sowohl auf der fachlichen als auch auf der Beziehungsebene ergeben. Chancen der Gruppenarbeit Die Zusammenarbeit in der Gruppe eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ: Eine Gruppe kann immer vielseitiger arbeiten als der Einzelne, weil die Gruppenmitglieder ganz verschiedene Talente und Stärken mitbringen und sich so ergänzen können. Gerade durch die Unterschiedlichkeit der Charaktere kann das Team auch der Unterschiedlichkeit der Betreuten besser gerecht werden. Zugleich können durch das gemeinsame Engagement der Gruppe Fehler vermieden und Engpässe besser aufgefangen werden, jedenfalls wenn die Mitglieder einander unterstützen. Die Gruppe bietet Rückhalt, Entlastung und Anregung für die einzelnen Mitglieder. Mögliche Probleme Andererseits ist die Arbeit im Team nicht immer einfach: Man muss auch mit Leuten zusammenarbeiten, die einem nicht so besonders liegen. Unter Umständen bringen die Teammitglieder ganz unterschiedliche Vorstellungen von der Arbeit und auch ein unterschiedlich starkes Engagement mit. Dadurch kann es in der Gruppe zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Wenn die Differenzen eskalieren, spaltet sich die Gruppe womöglich in mehrere „Lager“. Statt zusammenzuarbeiten, arbeitet man gegeneinander. Ähnlich problematisch wird es, wenn einzelne Teammitglieder sich bewusst abgrenzen oder wenn in der Gruppe Rivalitäten, z. B. um Führungspositionen, aufbrechen. Auch das kann die Gruppe spalten. 4.1.2 A nleitung vor dem Team-Hintergrund Dieselben Vorteile und Schwierigkeiten können aus der Einbindung eines Schülers in die Gruppe erwachsen. Glücklicherweise kann der Anleiter viel dafür tun, dass die Beziehung Anleiter-Schüler-Team „klappt“. 50 Denzel u.a., Praxisanleitung für Pflegeberufe (ISBN 9783131098238) © 2007 Georg Thieme Verlag KG „Ich wusste doch gleich, dass der nicht zu uns passt.“ Erwartungen klären. Wichtig ist, dass von vornherein und dann immer wieder die Erwartungen der Beteiligten abgeklärt werden (s. 1.6, S. 8 f, Tab. 2.1, S. 17 f): Wie stellen sich Anleiter, Team, Schüler die Verwirklichung einer guten Betreuung vor? Gibt es unterschiedliche Auffassungen? 1. Herrscht zum Beispiel in einem Altenpflege-Team ein sehr auf perfekte Pflege ausgerichtetes Ideal, der Schüler dagegen möchte den Schwerpunkt seiner Arbeit eher bei der Aktivierung oder Mobilisierung der Bewohner setzen? 2. Begreifen sich die Mitarbeiter einer betreuten Wohngruppe eher als Ansprechpartner der Betreuten, die ihren Alltag weitgehend selbstständig gestalten, während der Schüler die Vorstellung hat, mehr mit den Betreuten zu „machen“? 3. Oder tun sich die Pflegenden einer Station miteinander schwer, weil sie ein unterschiedliches Hierarchieverständnis haben? Aus unausgesprochenen Erwartungen werden leicht Enttäuschungen. Kompromisse schließen. Wie kann man den verschiedenen Standpunkten vielleicht jeweils ein Stückchen entgegenkommen, oder anders gesagt, welche Kompromisse lassen sich finden? Und ist der eventuell vereinbarte Kompromiss auch wirklich ausgewogen? Dem Altenpflegeschüler aus Beispiel (1) könnte z. B. wöchentlich eine gewisse Zeit zur Aktivierung eingeräumt werden, umgekehrt sollte er aber auch bereit sein, die pflegerischen Maßstäbe des Teams mitzutragen. Neben dem Einüben eines möglichst non-direktiven, die Eigenständigkeit der Betreuten nicht einengenden Arbeitsstils könnten mit dem Schüler in Fall (2) konkreter geplante und begleitete Einheiten besprochen werden. 4.2 In Situation (3) hilft möglicherweise schon ein offenes, sachliches Gespräch, das die unterschiedlichen Standpunkte transparent macht. Anleitung definieren. Da durch die Anleitungssituation zum Ziel der guten Betreuung noch ein weiteres Ziel hinzukommt: „Gute Anleitung leisten, bei der der Schüler Handlungskompetenz erwerben kann“, müssen auch hier die Vorstellungen zusammengetragen werden. Wie sollte nach Ansicht der Teammitglieder, des Anleiters und des Schülers Anleitung aussehen? Wo gibt es Unterschiede? Meinen die Teammitglieder vielleicht, die Anleitung laufe „nebenbei“ im Betreuungsalltag mit? Wünscht sich der Schüler ausgiebige „Extra-Anleitungen“ und Gespräche für schwierigere Situationen? Möchte der Anleiter sich über den aktuellen Wissensstand des Schülers austauschen? Hat das Team Interesse am Austausch mit dem Schüler bzw. an Co-Anleitung? Zeitrahmen festsetzen. Welchen zeitlichen Rahmen stellen sich die Einzelnen vor? Wie könnte hier ein Kompromiss aussehen (etwa, dass von vornherein zusätzliche Termine für spezielle Anleitungseinheiten vorgesehen werden, dass das Team im Alltag co-anleitend tätig wird und dass der Anleiter durch möglichst häufiges gemeinsames Arbeiten mit dem Schüler Gelegenheit zum Austausch mit ihm hat)? Und zum Schluss muss immer wieder gefragt werden, ob auch wirklich alle bereit sind, die erarbeiteten Kompromisse mitzutragen. Wie oben angedeutet, ist es sicherlich nicht damit getan, dies alles nur einmal anzusprechen. Von entscheidender Bedeutung ist allerdings, dass es das erste Mal gleich zu Anfang der Anleitungssituation geschieht, bevor aus unausgesprochenen Erwartungen die ersten Enttäuschungen werden! 4.2 „ Ich wusste doch gleich, dass der nicht zu uns passt.“ – Abgrenzungsmechanismen im „System Gruppe“ Abgrenzung macht stark, vor allem, wenn man schwach ist Gruppen leben von der Stärke ihres inneren Zusammenhalts. Ein Weg, diesen Zusammenhalt zu bewahren, ist, sich nach außen abzugrenzen. Tatsächlich entwickeln Gruppen manchmal fast so etwas wie „Abstoßungsmechanismen“ gegen andere Gruppen, vor allem aber gegen eindringende „Fremdkörper“. Die Gruppe fühlt sich durch sie bedroht, weil sie die Normen der Gruppe nicht kennen, sie stören also möglicherweise den gewohnten Ablauf, ja sie bringen eventuell neue Elemente in die Gruppe ein, die diese spalten könnten. Besonders stark wird diese Gefahr 51 Denzel u.a., Praxisanleitung für Pflegeberufe (ISBN 9783131098238) © 2007 Georg Thieme Verlag KG