Nr. 89 Obergericht des Kantons Basel

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Nr. 89 Obergericht des Kantons Basel
FamPra.ch 4/2001
2.3 Ehewirkungen – Effets du mariage
mindest erleichtert abänderbar sind (vgl. oben E. 2b/aa). An diesen Grundsätzen hat
sich mit dem Inkrafttreten des neuen Ehescheidungsrechtes nichts geändert; dass der
Eheschutz in einem raschen Verfahren mit Beweismittelbeschränkung vonstatten zu
gehen hat, wird denn selbst von Befürwortern der Berufungsfähigkeit eingeräumt
(Roger Weber, Kritische Punkte der Scheidungsrechtsrevision, AJP 1999, S. 1645).
c) Im Ergebnis ist folglich daran festzuhalten, dass Eheschutzentscheide regelmässig keine Endentscheide i. S. v. Art. 48 Abs. 1 OG darstellen und deshalb ihre Berufungsfähigkeit zu verneinen ist. [. . .]
3. [. . .]
Nr. 89 Obergericht des Kantons Basel-Landschaft
Entscheid vom 12. Dezember 2000 i. S. X c. Y – 18-00/289
Art. 163 ff., 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB: Beistandspflicht auch bei sehr schweren Eheverfehlungen des anderen Ehegatten? Selbst sehr schwere Eheverfehlungen – im konkreten Fall häusliche Gewalt in der
Form eines Angriffes mit einem Messer – schliessen eine eheschutzrichterliche Verpflichtung zu Unterhaltszahlungen an den fehlbaren Ehepartner nicht generell aus. Vorliegend wurden dem fehlbaren
Ehepartner jedoch lediglich während einer zeitlich genau festgelegten, relativ kurzen Übergangsphase
Unterhaltsbeiträge zugesprochen.
Art. 163 ss, 176 al. 1 ch. 1 CC: Obligation d’assistance même lorsque l’autre conjoint a très gravement
manqué aux devoirs conjugaux? Même des manquements très graves aux devoirs conjugaux (en l’espèce, violences conjugale sous la forme d’une attaque au couteau) ne peuvent exclure de manière générale que le juge ordonne le paiement de prestations d’entretien en faveur du conjoint fautif. Dans le
cas présent, des contributions d’entretien n’ont toutefois été ordonnés que pour une phase transitoire
définie avec exactitude et relativement courte.
Art. 163 segg., art. 176 cpv. 1 cif. 1 CC: Obbligo di assistenza anche in caso di mancanze coniugali
molto gravi da parte dell’altro coniuge? Anche mancanze molto gravi nell’ambito del matrimonio –
nel caso in esame violenza domestica nella forma di un’aggressione con un coltello – non escludono in
maniera generale l’obbligo, a protezione dell’unione coniugale, di far fronte al mantenimento del coniuge colpevole. Nel caso concreto tuttavia i contributi di mantenimento sono stati assegnati al coniuge
colpevole solo per un periodo transitorio fissato con precisione e relativamente corto.
Sachverhalt:
Nachdem sich die Parteien am 24. Juli 1999 faktisch getrennt hatten, stellte
der Präsident des Bezirksgerichtes O mit eheschutzrichterlicher Verfügung vom
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23. August 1999 den Sohn, geb. 25. März 1991, vorläufig unter die Obhut des Ehemannes [Y] und verpflichtete die berufstätige Ehefrau [X] mit Wirkung ab 1. August
1999 für sich und den Sohn einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von insgesamt
Fr. 3000.– zu bezahlen. Weiter ordnete er die Einholung eines Gutachtens betreffend
Kinderzuteilung an. Gemäss den getroffenen Annahmen verfügte die Ehefrau über
ein Einkommen von rund Fr. 7100.– pro Monat, während beim Ehemann von monatlichen Einkünften von lediglich rund Fr. 800.– auszugehen war.
Am Abend des 5. Dezember 1999 brachte X den Sohn zu Y zurück. Sie traf Y
nach ihren Wahrnehmungen stark alkoholisiert und deprimiert an. Y habe sie dazu
bewegen wollen, zu ihm zurückzukehren. Nachdem ihre Beruhigungsversuche erfolglos geblieben seien, habe sie sich zur Heimkehr entschlossen. Beim Verlassen der
Wohnung sei sie von Y mit einem Messer angegriffen worden. Gemäss den Feststellungen des Institutes für Rechtsmedizin erlitt X dabei am Kopf im Bereich des
Scheitelpols in der behaarten Kopfhaut eine scharfe Hautdurchtrennung von ca. 2 cm
Kantenlänge und an der linken Handinnenfläche eine tiefe 5 cm lange Hautdurchtrennung des Handballens. Im Anschluss an diesen Vorfall ordnete das Statthalteramt O über Y eine fürsorgerische Freiheitsentziehung an und die Vormundschaftsbehörde P übertrug die Obhut über den Sohn provisorisch auf X.
Mit Verfügung vom 14. März 2000 änderte der Präsident des Bezirksgerichts O
die Verfügung vom 23. August 1999 ab und verpflichtete X neu, Y für den Monat Januar 2000 Fr. 1533.– und anschliessend – «bis zum Zeitpunkt, in dem [Y] eine feste
Arbeitsstelle antreten kann» – monatlich Fr. 1 770.– zu bezahlen.
X macht in ihrer Appellation gegen die Verfügung vom 14. März 2000 im Hauptstandpunkt geltend, die Leistung eines Unterhaltsbeitrages an Y, welcher sie in krasser Verletzung ehelicher Pflichten mit einem Messer angegriffen und erheblich verletzt habe, sei unzumutbar und sein Anspruch sei dadurch verwirkt.
Aus den Erwägungen:
[. . .]
Die Vorinstanz bejahte ausgehend von der zunächst praktizierten Rollenverteilung der Ehegatten mit Erwerbstätigkeit der Ehefrau und Kindesbetreuung durch
den Ehemann und Änderung dieser Rollenverteilung in Anschluss an den Vorfall
vom 5. Dezember 1999 trotz der schweren Eheverfehlung des Ehemannes eine Unterhaltspflicht der Ehefrau für eine beschränkte Übergangszeit.
Das Obergericht schliesst sich der Ansicht der Vorinstanz insofern an, als die Eheverfehlung des Ehemannes zweifellos als äusserst krass einzustufen ist und an die Grenzen zum gänzlichen Ausschluss eines Unterhaltsanspruches wegen Rechtsmissbrauchs führt (vgl. Bräm/Hasenböhler, Zürcher Kommentar, Familienrecht,
Teilband II 1c, 3. Aufl., Zürich 1998, N 12 zu Art. 163 ZGB, S. 87, Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar, Familienrecht, Band II, 1.2., 2. Aufl., Bern 1999,
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N 59bff. zu Art. 163 ZGB, S. 208 f.). Sowohl aus diesem Grunde wie auch aufgrund
der nach Beendigung des Klinikaufenthaltes und einer beschränkten Übergangszeit
von drei Monaten zu bejahenden Pflicht und Möglichkeit des Ehemannes, durch eigene Erwerbstätigkeit für seinen eigenen Lebensunterhalt aufzukommen, sieht sich
das Obergericht veranlasst, den Unterhaltsanspruch des Ehemannes – in Konkretisierung des vorinstanzlichen Urteils – auf die Zeit von Januar bis April 2000 zu beschränken.
[. . .]
(Eingereicht von Annalisa Landi, Advokatin, Basel)
Bemerkung:
Die hier aufgeworfene Frage, über die es sich nachzudenken lohnt, ist primär
diejenige nach den Grenzen der Unterhaltspflicht im Rahmen des Eheschutzes.
Grundlage für den eheschutzrechtlichen Unterhalt ist die Ehe selbst mit allen ihren
Pflichten. Die Lehre ist sich darin einig, dass die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches dann rechtsmissbräuchlich erscheinen kann, wenn sich der Ehegatte
krass ehewidrig verhält. Sie diskutiert in diesem Zusammenhang insbesondere
Fälle, in denen derjenige Ehegatte, der Unterhalt beansprucht, über Jahre in einer
eheähnlichen Lebensgemeinschaft lebt und sich der Scheidung widersetzt, die Auskunft über seine eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse verweigert oder absichtlich
die Leistungsfähigkeit vermindert (BernerKomm/Hausheer/Reusser/Geiser,
Art. 163 N 59 b ff.). Strafbares Verhalten, namentlich häusliche Gewalt, ist nicht Gegenstand der theoretischen Auseinandersetzung. Das will allerdings wohl nicht
heissen, dass häusliche Gewalt keinen Einfluss auf den Unterhaltsanspruch haben
kann. Eine wesentliche eheliche Pflicht ist zweifellos die Sorge für das Wohl der
Gemeinschaft. Und was verletzt diese mehr, als die Begehung einer schweren Straftat gegen die Partnerin – der Angriff mit einem Messer –, wodurch nicht nur sie,
sondern indirekt ebenfalls das Wohl des gemeinsamen Kindes gefährdet wird? In
diesem Fall sind die Grenzen zum Rechtsmissbrauch, von denen das Urteil spricht,
längst überschritten. Dieser Gedanke liegt auch den Art. 125 Abs. 3 Ziff. 3 und 477
Ziff. 1 ZGB zugrunde. Anerkennt man diese Form der Gewalt als Rechtsmissbrauchstatbestand, bleibt aber kein Raum für eine Unterhaltspflicht der Ehefrau
für eine beschränkte Zeit, denn es geht dabei eben nicht um die Frage, wann vom
Ehemann die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wieder erwartet werden kann, sondern einzig um die Tatsache, dass der Ehemann durch sein Verhalten seinen Anspruch auf Unterhalt verwirkt hat. Lässt dieses Urteil erahnen, dass die Tatsache
häuslicher Gewalt nicht nur in der Lehre verschwiegen, sondern auch in der Rechtsprechung nicht immer gebührend berücksichtigt wird?
Dr. iur. Andrea Büchler, Basel
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