Rockville hat sein Herz wiederentdeckt

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Rockville hat sein Herz wiederentdeckt
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Rockville hat sein Herz wiederentdeckt
Von Claudia Eicke-Diekmann 30. April 2010, 06:00 Uhr
Pinnebergs Partnerstadt in den USA stampfte in kürzester Zeit ein komplett neues Town
Center aus dem Boden. Die PZ stellt die Partnerstadt in einer Mini-Serie vor.
John Britton ist seit gut zwei Jahren als Mitglied des Stadtrates von Rockville aktiv. Er sagt:
"Klar, nicht alle Bürger fanden die Pläne toll."
Rockville/Pinneberg. Pinneberg und seine amerikanischen Partnerstadt Rockville im Osten
der Vereinigten Staaten lassen sich von Größe und Lage gut vergleichen. Pinneberg in der
Metropolregion Hamburg zählt 42 000 Einwohner, in Rockville in der Metropolregion
Washington D.C. leben 60 000 Menschen. Rockville ist die Hauptstadt von Montgomery
County, das wie Pinneberg das Zentrum des Landkreises ist.
Die Pinneberger Zeitung vergleicht in loser Reihenfolge die Partnerstädte: Mit welchen
Problemen kämpfen sie, welche Pläne schmieden sie, wie packen Bürger, Politiker,
Verwaltung die Dinge an? Das Thema Innenstadtentwicklung beschäftigt derzeit die
Kreisstadt Pinneberg wie kein anderes. Rockville hat diese Phase bereits hinter sich. Heute
lesen sie, wie Rockville innerhalb kürzester Zeit ein neues Town Center aus dem Boden
gestampft hat.
Rockvilles City lebt: Auf den Bänken genießt eine Gruppe Jugendlicher die Frühlingssonne.
Zwei Frauen nutzen die Mittagspause, um gemeinsam an frischer Luft eine kleine Mahlzeit
einzunehmen. Auf der gegenüberliegenden Seite unter dem Dach eines Pavillons üben ein
paar Jungs mit ihren Skateboards waghalsige Sprünge. Drei kleine Mädchen spielen Fangen,
während ihre Väter ins Gespräch gekommen sind. Rundherum: moderne, mehrstöckige
Wohnhäuser. Auf kleinen Balkonen stehen oder sitzen Menschen, lassen sich die Sonne ins
Gesicht scheinen oder beobachten von oben das Treiben auf dem Platz. Unten: Boutiquen,
Coffee-Shops, Restaurants.
Katherine Treiman wohnt mit ihrer Familie keine 30 Minuten Fußweg von diesem lebendigen
Ort entfernt. Sie kann sich gut daran erinnern, wie es in der City bis vor gut sechs Jahren
aussah. "Es gab eine unansehnliche Shopping Mall und einen riesigen Parkplatz. Auf jeden
Fall war es was Hässliches. Das alles haben sie komplett abgerissen und dafür das hier
geschaffen", sagt die 50-jährige Amerikanerin.
"Das hier" ist der "Town Square", ein großer Platz, der seit drei Jahren das Herz der City of
Rockville im US-Bundesstaat Maryland bildet. Die Stadt hat diesen urbanen Mittelpunkt
innerhalb von drei Jahren in einem gewaltigen Kraftakt mit Hilfe des Montgomery County
und in öffentlich-privater Partnerschaft buchstäblich aus dem Boden gestampft.
Städtebauliches Vorbild war dabei das historische Zentrum Rockvilles, das in den 50er- und
60er-Jahren rein zweckorientierten Einkaufszentren, Bürogebäuden und Parkhäusern weichen
musste.
"Das Bauen ging schnell", sagt John Britton, seit gut zwei Jahren Mitglied des Stadtrates von
Rockville. "Das Planen hat sehr viel länger gedauert." 2001 hatte Pinnebergs Partnerstadt
unter Beteilung von Planungsgesellschaft, Bürgern, Grundstückseigentümern,
Entwicklungsgesellschaften sowie County- und State- Repräsentanten für die Innenstadt einen
spektakulären Plan verabschiedete: den "Masterplan Town Center". Ziel war es, das Herz der
City zu reanimieren. Menschen sollten hier wohnen, arbeiten, einkaufen, ruhen, genießen und
sich des Lebens freuen - rund um die Uhr.
Bevor im Juni 2004 der erste Spatenstich erfolgen konnte, gab es jede Menge juristische
Auseinandersetzungen. "Klar, nicht alle Bürger fanden die Pläne toll", sagt Rechtsanwalt John
Britton "Wie überall auf der Welt gibt es auch hier Menschen, die Neuem gegenüber
skeptisch sind, sich mit aller Kraft gegen Veränderungen wehren." Die Stadt habe mächtig
Überzeugungsarbeit leisten müssen, habe Entschädigungen zahlen, Grundstücke kaufen und
in Einzelfällen enteignen müssen, um das 350-Millionen-Dollar-Projekt zu realisieren. Die
Stadt konnte es sich leisten: Montgomery County im Staat Maryland zählt zu den fünf
reichsten Kreisen der USA.
Den Reichtum ziehen die Stadt und County einerseits aus der Nähe zur Hauptstadt. Im
Speckgürtel rund um Washington siedeln sich Firmen an, die vom Regierungsstandort
profitieren. Andererseits funktioniert das riesige "National Institute of Health" wenige
Kilometer südlich von Rockville in der Stadt Bethesda seit Jahren als Magnet für private
Forschungsunternehmen, die sich in Pinnebergs Partnerstadt ansiedeln. Sie bescheren
Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.
Die Bauarbeiten am Town Square dauerten drei Jahre. Im Juli 2007 feierte Rockville mit
seinen Bürgern die Einweihung des neuen Herzstücks ihrer Innenstadt. Rockville Town
Square ist heute ein großer, bis ins Detail liebevoll wie zweckmäßig entworfenen Platz,
umgeben von architektonisch unterschiedlich gestalteten mehrstöckigen Apartmenthäusern
mit rund 650 verschieden großen Wohneinheiten in den Kategorien erschwinglich bis teuer,
zu mieten und zu kaufen. Town Square ist Stätte für Konzerte, Partys. Hier feierte die Stadt
im März mit ihren Bürgerinnen und Bürgern den 150. Geburtstag der City of Rockville.
Der Mix aus Wohnen, Arbeiten und Relaxen macht Rockvilles Town-Center-Charme aus:
Parterre erstrecken sich rund um den Town Square 175 000 Quadratmeter Shops, Café-Bars,
Galerien, Restaurants. Ein Magnet ist die "Gordon Biersch Brewery", ein gläsernes Brauhaus
mitsamt Restaurant, wie es Jens Stacklies für Pinneberg plant. Das "VisArts" Center, ein
Kunsthaus, bietet Ausstellungen und Workshops.
Montgomery County baute eine gigantische hochmoderne Bücherei für die Bürger und ein
Innovationszentrum für junge Technologie-, Forschungs- und Dienstleistungsfirmen an den
Town Square. Alle Straßen sind übrigens mit breiten Gehwegen ausgestattet. Sie sollen den
autoorientierten amerikanischen Bürgern das zu Fuß laufen schmackhaft machen.
Town Square hat in Rockville nicht nur Fans. "Vor allem die älteren Bürger beschweren sich,
dass sich das Angebot an Restaurants, Boutiquen und Shops nur an junge Leute richtet", sagt
Katherine Treiman. "Sie vermissen Geschäfte für die praktischen Dinge des Lebens,
preiswerte Cafés oder einen Lebensmittelmarkt."
Abgeschlossen ist die Innenstadterneuerung in Rockville noch nicht. "Phase zwei" sieht vor,
die Straßenzüge rund um Town Square zu erneuern. Grundlage für alle städtebaulichen
Projekte ist der 2002 verabschiedete "Comprehensive Masterplan" für Rockville. Er
beschreibt, ähnlich wie der Pinneberger Stadtentwicklungsplan, die Zukunft der Stadt. Er
zeigt privaten und öffentlichen Projekten Rahmen auf, benennt Ziele. Eines lautet: Rockville
will wachsen.
Dafür kauft die Stadt ehemaliges Farmland an den heutigen Stadtgrenzen, schafft dort neben
Gewerbeflächen neue Stadtteile inklusive Gemeindezentren, Einkaufsmöglichkeiten,
Kindergärten, Parkanlagen und Spielplätzen. Stadtrat und Verwaltung sind überzeugt: Eine
moderne, attraktive Innenstadt ist ein Wachstumskatalysator. Sie beeinflusst Bürger und
Unternehmen, wenn sie sich nach Wohnorten oder Firmenflächen umsehen.
Fotos: Claudia Eicke-Diekmann