kultur spezial | interkultur - Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur
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soziokultur LAGS | !kultur spezial | interkultur › LAGS | soziokultur in niedersachsen soziokultur inhalt editorial 3 transkultur und soziokultur. offenheit und chancengleichheit als prinzip vom umgang mit lebenswelten und -entwürfen, dr. h.-jörg siewert 6 heimat finden, spokusa, hannover 9 mangelware, weststadtkonferenz, göttingen 10 homogenität produziert maximale langeweile, pavillon, hannover 11 innen- und aussensichten, tpz, hildesheim 12 kulturaustausch auf augenhöhe, kaz, göttingen 15 lebenswege, kulturkreis impulse, freren 16 vereinte nationen von braunschweig, haus der kulturen, braunschweig 17 von gemüsean- und vorurteilabbau, interkulturelle gärten, hannover 18 reden hilft, haus der kulturen, göttingen 19 lindenvision, faust und kargah, hannover 20 interkultur als ungefährlicher normalzustand, alte polizei, stadthagen 22 1x1 des vereins, lags, hannover22 impressum Herausgeber: Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur (LAGS) Lister Meile 27 | 30161 Hannover | www.soziokultur-niedersachsen.de Dezemeber 2012, Auflage 1.000 Redaktion und Gestaltung Dorit Klüver (redaktionelle Leitung und v.i.S.d.P.) Allen Autorinnen und Autoren, Fotografinnen und Fotografen ein herzliches Dankeschön dafür, dass sie uns ihre Arbeiten unentgeltlich zur Verfügung gestellt haben. Ein herzliches Dankeschön auch an Julia Terbrack. Sie hat die Zeitung mitgestaltet, recherchiert, Interviews geführt und geschrieben. Die Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur wird gefördert vom Land Niedersachsen Fotos v.l.n.r.: 1. Mirko Plha, 2.,9. H.S., HdK, 3. Adama Logosu-Teko, 4. Andreas Hartmann, 5. Zhou Fei, 6. Dörte Redmann, 7.,8. Peter Heller editorial Liebe Leserin und lieber Leser, die umfangreiche Studie des Interkulturbarometers zeigt auf, dass Angehörige der dritten Generation der Zuwanderer sowohl die Kultur des Heimatlandes ihrer Vorfahren als auch die ihrer ‚neuen‘ Heimat erleben und prägen möchten. Der Unterschied im kulturellen Verhalten zu gleichaltrigen Menschen mit deutschen Wurzeln ist scheinbar gering. Das Interesse an Zugang zu kulturellen Angeboten ist nicht darin begründet, ob Menschen einen Migrationshintergrund haben, sondern darin, wie ihre Bildungschancen sind. Die tatsächliche Teilnahme an den öffentlichen Kulturangeboten ist allerdings bei MigrantInnen geringer – auch, weil ihre Interessen nicht angemessen berücksichtigt sind. „Wir sehen bei der Diskussion zur Interkultur auf die Defizite. Jeder. Dazu sollten wir stehen.“ Klare Worte. Dr. Elke Flake hat sich getraut, das zu sprechen, was vollkommen unpopulär ist. Gesagt hat sie dies auf dem Abschlusspodium der Tagung zum Interkulturbarometer, veranstaltet vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Elke Falke ist Regional-Beraterin der LAGS und Geschäftsführerin des Kulturzentrums Brunsviga in Braunschweig. Diese Erkenntnis ist die Zusammenfassung dessen, was sie als Beraterin etlicher interkultureller Prozesse erlebt und begleitet hat. Die Schwierigkeit nicht rassistisch zu sein -so auch der Titel eines sehr klugen Buchs von Nora Räthzel und Anita Kalpaka aus dem Jahr 1990 - trifft nicht ausschließlich die Deutschen, aber unser alltäglicher und latenter Rassismus ist eine Barriere, die den Zugang zu Interkultur oder gar Transkultur versperrt. Gelingendes Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen setzt voraus, sich selbst zu kennen und sich seine Ängste im Umgang mit den Fremden/dem Fremdem und dem Eigenen zuzugestehen. Diese Erkenntnis verdeutlicht, dass jeder sich verändern muss. Nicht nur die Zugewanderten, egal welcher Generation. Auch Deutschstämmige müssen sich bewegen, wenn Transkultur gelingen soll. Selbstkenntnis ermöglicht auch eine neue Wahrnehmung der eigenen Kultur. „Selbst für die jungen Deutschen ist Kultur noch immer in alten Bildern verhaftet“, sagt Prof. Dr. Johannes Ismaiel-Wendt von der Universität Hildesheim, der sich wundert, dass diejenigen, die sich um einen !kultur 2012 __ 3 Studienplatz für Kulturwissenschaften bewerben, auch heute noch Bach vorspielen und nicht ihre alltäglichen Kulturtechniken wie beispielsweise Beatboxen präsentieren. Auch er saß auf dem Abschlusspodium der Tagung. Interkultur oder Transkultur, so sagt er weiter, kann nur dann entstehen, wenn man das eigene Kulturverständnis überdenkt. Weiter Kulturbegriff und offene Strukturen Die Soziokultur mit ihrem weiten Kulturbegriff, ihrer umfassenden Erfahrung in der Projektarbeit und mit den offenen Strukturen, ist – was die Voraussetzungen für die Interkulturelle Arbeit angeht, so wie die Ergebnisse des Interkulturbarometers sie empfehlen - sehr gut aufgestellt, da die Methoden soziokultureller Arbeit sehr unterschiedlich sind: Reden hilft Wie Annäherung und Verständnis gelingen kann, zeigen interkulturelle Projekte, wie sie in der Soziokultur seit Jahren praktiziert werden. Zu deren Gelingen trägt bei, dass sie auf Kommunikation, Austausch und Kontinuität setzen. Dafür braucht es Räume, Zeit und natürlich auch Förderstrukturen, die dies ermöglichen. Denn die Förderung von interkultureller Arbeit ist in der Regel keine Förderung kultureller Leuchttürme. In soziokulturellen Zentren hat es Tradition: Migrantenselbstorganisationen haben - neben vielen anderen Gruppen hier ihre Räume und Treffpunkte, leben hier einen Teil ihres kulturellen Lebens, feiern Feste, sehen Filme, diskutieren, tanzen, lernen, erarbeiten ihre eigenen Projekte und solche mit anderen zusammen. Interkultur ist Schwerpunkt Alle zwei Jahre befragt die Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren ihre 500 Mitglieder. Bei der Frage nach besonderen Schwerpunkten der kontinuierlichen Aktivitäten ergaben sich u.a. folgende Schwerpunkte in Niedersachsen: 71 % der Einrichtungen haben einen ausdrücklichen Schwerpunkt im Bereich der kulturellen Bildung, 57 % der soziokulturellen Einrichtungen haben spezielle interkulturelle Angebote. Soziokultur bietet Infrastruktur und Beratung, selbstverständlich auch für Menschen mit Migrationshintergrund für Künstler und Menschen, die sich engagieren wollen. Das kann das Café oder der offene Treffpunkt genauso sein wie die Beratung des Hauses der Kulturen, wie es jetzt in Braunschweig entstanden ist oder die mobile Fortbildungsreihe 1x1 des Vereins, die die LAGS für Migantenselbstorganisation konzipiert hat und erfolgreich veranstaltet. Raum für Begegnung und Dialog schaffen viele der soziokulturellen Projekte. Ein besonders gelungenes Beispiel hierfür scheinen uns die Projekte Mangelware der Weststadtkonferenz und die Linden-Visionen des Kulturzentrums Faust in Hannover. Beide Projekte setzen auf den Austausch, das Kennen Lernen und das Schaffen von Akzeptanz, wenn auch mit vollkommen unterschiedlichen Methoden. Kulturpflege und Kulturzugänge Hierfür steht das Projekt Lebenswege des Vereins Kulturkreis Impulse in Freren. Russlanddeutsche zeichnen ihre Lebenswege nach, in Erzählcafés und einer Dauerausstellung, mit gemeinsamem Singen und lassen dabei Raum für die Kulturen ihrer beiden Heimaten. Augenhöhe schaffen Spokusa in Hannover oder das Türkisch-Deutsche Theater in Hildesheim und auch Faust in Hannover sind fabelhafte Beispiele dafür, wie Transkultur gelingen kann. Sich gegenseitig ernst nehmen ohne den Spaß am Tun zu verlieren, ist vielleicht eines der Geheimnisse. Kultur aus den Herkunftsländern leben Neben Bildungsveranstaltungen, Raumangeboten und vielen weiteren Angeboten wird auch bei den Häusern der Kulturen in Göttingen und Braunschweig und im KAZ in Göttingen Kultur aus den Herkunftsländern angeboten. Einfach nur zum Zusehen, Hören und Genießen oder auch um sie in Workshops und Kursen selbst zu lernen. Es gibt auch für die Akteure der Soziokultur viel zu lernen: Ein guter Zeitpunkt, den Arbeitskreis Interkultur wieder stärker in das Zentrum der Verbandsaktivitäten zu rücken und so für Austausch untereinander und Lernen voneinander zu sorgen. Das voneinander Lernen findet auf unterschiedlichen Ebenen statt: in den Kulturzentren selbst, die Kulturzentren untereinander in Arbeitskreisen und auch im Interkulturbeirat des Landes ist die LAGS Lernende und Impulsgebende zugleich. Parallelgesellschaften prägte unser Handeln noch bevor wir diesen Begriff kannten. Wir müssen uns nun den Realitäten stellen. Alle aktuellen Untersuchungen belegen: ein Engagement in Migrantenorganisationen ist kein Umweg in Sachen Integration, sondern oft ein Türöffner zum Engagement in anderen Vereinen, Verbänden oder kommunalpolitischen Gremien; und das Interesse an der „hiesigen“ Kultur ist gerade bei den MigrantInnen besonders groß, die auch das Interesse an ihrer Herkunftskultur ausleben können. Unsere intensivierte Beratung und Qualifizierung von Migrantenselbstorganisationen und diese Publikation sind Ausdruck dieses Lernprozesses. Wir hoffen auf interessierte Leserinnen und Leser und freuen uns auf Ihre Rückmeldungen und unsere weitere Zusammenarbeit. Gerd Dallmann und Dorit Klüver Sich selbst und seine eigenen Schwächen erkennen – das gilt nicht nur für Einzelpersonen, auch Organisationen und Verbände sind dazu aufgefordert: wir als LAGS haben noch vor etwa 10 Jahren bei der Förderung interkultureller Projekte von Migrantenorganisationen grundsätzlich erwartet, dass sich diese an Menschen unterschiedlicher Kulturen richten sollten. So wünschenswert dies auch sein mag, fielen dann doch Projekte, in denen Herkunftskulturen gepflegt wurden, meist durch unser Raster. Die Sorge vor !kultur 2012 __ 5 transkultur und soziokultur. offenheit und chancengleichheit als prinzip. vom umgang mit lebenswelten und -entwürfen Ein Begriff geht um in Deutschland … und setzt sich durch: Transkultur. Über wissenschaftlichen Modeschnickschnack hinaus scheint Transkultur ein ernst zu nehmender Ansatz zu sein, um im Zeitalter der Globalisierung die Grenzen und limitierten Aussagefähigkeiten von Multikultur und Interkultur zu überwinden. Moderne Gesellschaften sind in sich derart differenziert, dass von einer Einheitlichkeit der Lebensformen nicht mehr die Rede sein kann. Die Gesellschaften im 19. Jahrhundert können noch als „versäulte“ Gesellschaften beschrieben werden, die sich in relativ homogene Teilkulturen unterscheiden. So ist der Arbeiter Mitglied im Arbeitergesangverein, im Arbeiterbegräbnisverein etc. „Von der Wiege bis zur Bahre“ dreht sich alles um die Rolle Arbeiter. Versäulte Gesellschaften entlang Religionszugehörigkeit sind ebenfalls beschreibbar (Niederlande bis in die 70er Jahre). Traditionelle Kulturkonzepte werden den aktuellen binnenkulturellen Differenzierungen z.B. den Unterschieden regionaler, hoher oder subkultureller Kultur nicht gerecht. Kulturen und Ethnien sind keine geschlossenen Gebilde Mit seinen schon 1997 publizierten Thesen (keine Theorie!) geht es dem Philosophen W. Welsch um die Unterschiede zwischen Multikulturalität, Interkulturalität und Transkulturalität. Es gibt (heute) keine homogenen Kulturen. Es gibt auch keine „deutsche“ Kultur – nur eine Ansammlung von kulturellen Traditionen mit eigenen regionalen und gruppenspezifischen Ausprägungen. Deshalb ist auch die Rede von Kulturen in Deutschland. Welsch bezieht sich auf J.G. Herders Vorstellungen von Kultur. Kulturen sind wie Kugeln: nach innen homogen und nach außen klar abgegrenzt. Welsch unterstellt den Konzepten Multikultur und Interkultur ein Festhalten an diesem antiquierten Modell, was zumindest für neuere interkulturelle Ansätze so nicht zutrifft. Welsch will mit Transkulturalität die Entstehung neuer Phänomene aus der wechselseitigen Verschränkung von Globalisierung, Regionalisierung und Lokalisierung bezeichnen. Gleichzeitig will er diesen Phänomenen terminologisch gerecht werden. Als wesentliche Kennzeichen von Transkulturalität benennt Welsch auf der Makroebene die externe Vernetzung der Kulturen und die Hybridisierung, auf der Mikroebene die Prägung der Individuen durch verschiedenartige, je individuelle kulturelle Herkünfte und Bindungen (G. Simmel nannte das „Kreuzung sozialer Kreise“ und L. Krappmann spricht von „balancierender Identität“). Lebenswelten Menschen mit Migrationshintergrund sind keine homogene Gruppe. Jedem Kulturarbeiter ist das vertraut. Der Begriff Migrant ist eine „Container-Kategorie“. Was sagen uns die empirischen Sozialwissenschaften? In der Sinus-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland werden erstmals Lebenswelten und Lebensstile von Menschen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund untersucht. Ziel ist eine Analyse und Beschreibung der Alltagswelt von Migranten, ihrer Wertorientierung, ihren Wünschen und Zukunftserwartungen. Wesentlich ist dabei, Migranten nicht von vorne herein aufgrund ihrer Ethnie zu klassifizieren. Zentrales Ergebnis: es gibt bei Menschen mit Migrationshintergrund eine Vielfalt von Lebensauffassungen und Lebensweisen. Migranten (einschließlich der 2. und 3. Generation) sind keine besondere Gruppe in dieser von Diversität geprägten Gesellschaft. Die Milieus unterscheiden sich weniger nach ethnischer Herkunft als nach Wertvorstellungen und Lebensstilen. Es finden sich zudem ähnliche lebensweltliche Muster bei Migranten aus unterschiedlichen Herkunftskulturen. Menschen des gleichen Milieus mit unterschiedlichem Migrationshintergrund verbindet mehr miteinander als mit dem Rest ihrer „Landsleute“ aus anderen Milieus. Die Grenzen zwischen den Milieus sind fließend. Viele, insbesondere in den modernen Milieus, haben ein bikulturelles Selbstbewusstsein und eine postintegrative Perspektive. D.h. sie sind längst in dieser Gesellschaft angekommen. Integration ist kein Thema mehr. Soziokultur und Lebenswelten In der Wiepersdorfer Erklärung (1991) wird an den Glaubenskanon der Entstehungszeit angeknüpft: Soziokultur bezeichnet eine kulturelle Praxis, - die den Zugang zu Kunst und Kultur erleichtert; - die statt Kulturkonsum die gestalterische Selbsttätigkeit möglichst vieler Menschen fördert und ihre ästhetischen, kommunikativen und sozialen Bedürfnisse und Fähigkeiten entfaltet; - die die alltägliche Lebenswelt einbezieht; - die zugleich eine Rückwirkung der so entstehenden Formen von Kunst und Kultur in unsere gesellschaftliche Wirklichkeit anstrebt. Das ist in den soziokulturellen Zentren und Vereinen in großen Teilen kulturelle Praxis. Eine der Beraterinnen der LAGS Niedersachsen, Ingrid Wagemann, fasst treffend zusammen: “Soziokulturelle Einrichtungen aktivieren, integrieren, ermöglichen Teilhabe ….Es ist wichtig, möglichst viel zu wissen über vielfältige Menschengruppen, deren Kulturen und Besonderheiten. Und es ist wichtig, das eigene Selbstverständnis in diesen Kontext zu setzen. Deshalb ist auch die konzeptuelle Verankerung interkultureller Arbeit selbstverständlich und unaufgeregt. In Satzungen, Konzepten und Leitbildern finden sich seit je Formulierungen, die Akzeptanz und Toleranz, die Begegnung und Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen, internationale Arbeit, antirassistische Arbeit und Völkerverständigung zum Ziel ihrer Arbeit setzen.“ Die konkrete Arbeit belegt diesen Ansatz: „Lindenvision“ von Faust und kargah knüpft sehr direkt an der Lebenswelt unterschiedlicher Migrantengruppen im Hannoverschen Stadtteil Linden an. Aber auch in ländlichen Räumen wird dieser Ansatz verfolgt: „Alte Molkerei“ in Freren mit der (relativ homogenen) Gruppe der „Spätaussiedler“. Beide Projekte präsentierten sich, zusammen mit dem Staatstheater Braunschweig (Öffnen des Hauses in die Stadt) und der Malschule Emden auf dem „Markt der Möglichkeiten“ bei der Tagung „InterKulturBarometer. Kulturelle Vielfalt und Teilhabe in Niedersachsen“ (10/11/2012 in der Bundesakademie Wolfenbüttel). Auch die in „!kultur1_10“ der LAGS unter dem Titel „wir werden bunter. Soziokultur und Interkultur“ versammelten Beispiele Pavillon Hannover, Weststadtkonferenz Göttingen, Haus der Kulturen Braunschweig, Woche der Kulturen in Osnabrück belegen die Bandbreite soziokultureller Praxis. Interkulturelle Kompetenz ist in der Soziokultur selbstverständlich. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kennen Ansprechpartner in den Migranten-Communities, sie wissen um deren kulturelle Aktivitäten und Potenziale. Keine Defizitbrille Kennzeichnend für Kulturarbeit ist - im Unterschied zur Sozialarbeit – dass sie an den Fähigkeiten der Menschen anknüpft, nicht an deren Defiziten. In den Medien werden Migranten häufig als „Problem“ definiert, von vermeintlichen Parallelwelten bis zu Gewalt und Kriminalität. Defizitperspektiven blockieren die besonderen Chancen, die kulturelle Vielfalt und spezifische Kompetenzen von Menschen mit Migrationshintergrund bieten. Die Fokussierung auf Defizite wird durch die Betonung der Potenziale abgelöst. In der Soziokultur kommt es nicht darauf an, etwas für Menschen zu tun. Vielmehr sollen Menschen Möglichkeiten erhalten, selbst aktiv zu werden, sich selbst zu organisieren (Gelegenheitsstrukturen). Hierzu stellen die Zentren Raum, Technik und auch qualifiziertes Personal. Nicht ohne Grund ist die Rede vom „Lernort Soziokultur“. Von der Soziokultur lernen: Audience development Der soziokulturelle Ansatz ist inzwischen weit in Denken und Praxis anderer Kultureinrichtungen eingedrungen. Stadt- und Staatstheater, Museen und Kunstvereine haben sich in ihrer Arbeit mit soziokulturellen Methoden neuen Zielgruppen und Themen geöffnet - ein Erfolg, der manchmal schmerzt. Übertragen wir das Arbeitsprinzip Soziokultur auf transkulturelles Audience Development so wird deutlich, es geht um mehr als „Migranten als Publica in Kulturinstitutionen“. Folgende Perspektiven kristallisieren sich heraus: - Audience Development muss sich in der Personalstruktur widerspiegeln. - Audience Development muss mit dem potentiellen neuen Publikum bzw. den Menschen aus den Selbstorganisationen, Multiplikatoren und Key Workern direkt kommunizieren, sie nach ihren Wünschen fragen und sie persönlich einladen. - Audience Development muss vielfältige Kooperationsbeziehungen zu Institutionen aufbauen, die diesen Zielgruppen nahestehen (von der Schule bis zu den Migrantenvereinen). - Audience Development muss nicht nur in seiner Kommunikations-, Service-, Preis- und Distributionspolitik, sondern auch in seiner Programmgestaltung die Interessen der neuen Zielgruppen berücksichtigen. - Es gibt keinen einseitig ethnisch geprägten Kunstmarkt oder Kunstsektor, sondern ein Cluster von variierenden Identitäten, die u.a. mit ethnischen Kulturen korrespondieren. - Etnische Diversität ist nur eine Form von Diversität, darüber hinaus gibt es die Diversität von Kunst- und Kulturformen. (B. Mandel). Fazit Durch solches Audience Development verändern sich Kultureinrichtungen. Gerade vor den Folgen des demographischen Wandels ist ein intelligenter inhaltlicher Umbau der kulturellen Infrastruktur notwendig. Zu beurteilen sind Einrichtungen dann nach ihrem Engagement, möglichst viele unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in ihre Arbeit einzubeziehen, ihrer Fähigkeit mit unterschiedlichen Partnern zu kooperieren und vor allem ihrer Bereitschaft, sich selbst zu verändern. Die Kulturpolitik auf Landes- und kommunaler Ebene wird sich nicht aus der Verantwortung stehlen und wird sich keineswegs auf den Erhalt kultureller Leuchttürme und des kulturellen Erbes beschränken. Niedersachsen versucht mit dem Prozess Kulturkonzept (KEK ) und den Ergebnissen des 1. InterKulturBarometer aktiv auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren, insbesondere auf die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur als Folge von Migration. Die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft hängt entscheidend von dem Umgang mit diesem Thema ab. Die Entfaltung der sozialen Kräfte von Kunst und Kultur muss als Zukunftsinvestition für das Gemeinwesen gefördert werden. Es gilt, neue kulturpolitische Schwerpunkte zu setzen - auch mit der Folge, die entsprechenden Finanzen umzulenken. Literatur: S. Binas-Preissendörfer, M. Unseld (Hrsg.), Transkulturalität und Musikvermittlung, Frankfurt 2012; T. Jerman (Hg.), Kunst verbindet Menschen, Bielefeld, 2007; S. Keuchel, Das 1. Interkulturbarometer. Zum Einfluss von Migration auf Kunst und Kultur, Köln 2012; B. Mandel, Interkulturelles Audience Development, in politik und kultur, März – April 2011, S. 26; H.-J. Siewert, Ausländische Arbeiter, Kurseinheit 3, (Politische) Partizipation im kommunalen Bereich, Hagen 1985; SINUS SOCIOVISION, Zentrale Ergebnisse der Sinus-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland, 9.12.2008; I. Wagemann, Einführung, Fachforum 2: Partizipation in soziokulturellen Einrichtungen, in: 2. Bundesfachkongress Interkultur, S.35 – 37; W. Welsch, Transkulturalität, in: Institut für Auslandsbeziehungen (Hrsg.), Migration und Kultureller Wandel, Stuttgart 1995; C. Wippermann, B.B. Flaig, Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 05, 2009 Dr. H.-Jörg Siewert, Großgoltern !kultur 2012 __ 7 heimat finden "Als ich nach Hannover kam war ich sehr einsam, bei Spokusa im Erzählcafe habe ich ein Stück Zuhause gefunden und ich komme immer gern wieder." Jhoumana arbeitet und lebt jetzt in einem anderen Stadtteil, engagiert sich immer mal wieder bei kleinen und großen Projekten. Bei SPOKUSA orientiert sich seit 1990 das Sprach-Bildungsangebot im Bereich Interkultur an den Bedürfnissen und Wünschen von Frauen aus der Nordstadt in Hannover. Ein Stadtteiltreffpunkt als eine Plattform für Reflexions-, Gesprächs-, Lern- und Diskussionsprozesse. Unsere Arbeit mit und für Frauen aus der Nachbarschaft wird von der Idee der facettenreichen gegenseitigen Verständigung und Toleranz getragen. Die Frauen kommen aus aller Welt, sie sprechen verschiedene Sprachen, haben verschiedene kulturelle Hintergründe und Erfahrungen. Es eint sie das Bedürfnis, sich heimisch und geborgen zu fühlen, einen Lebensort zu gestalten, mit Freundinnen Gedanken und Kenntnisse auszutauschen, sich fortzubilden und zu informieren und nicht zuletzt Spaß zu haben. Unser transkultureller work-in-process konkretisierte sich 2007 mit einer Forschungsreise zum Thema "Heimat" oder "Was bedeutet Zuhause sein". Nicht ganz zufällig, denn die Interkultur hatte in der Alten Grammophon ein neues, ein eigenes Zuhause gefunden: mehrere einladende Multifunktionsräume, eine Küche und ein Büro auf der zweiten Etage. Bis zu diesem Zeitpunkt waren wir Gast an verschiedenen Orten gewesen, verstreut im Stadtteil. Die Gruppen arbeiteten autark, verknüpft durch die monatliche Teamerinnen-Sitzung. Die Orientalische Nacht, Radfahrkurse, Aktionen zum Tag der Frauen gegen Gewalt und der Frauentag verbanden die Teilnehmerinnen punktuell. Jetzt hatte sich etwas verändert, eine breite Kommunikationsfläche war geöffnet worden, auf der wir uns wie auf Schlittschuhen etwas wackelig aufeinander zu bewegten. Unterschiedliche Bedürfnisse trafen aufeinander. Abgrenzung, die Forderung nach homogenen Gruppen forderte Auseinandersetzung und Positionierung heraus. Von einem unbeschwerten, gleichberechtigten Dialog konnte keine Rede sein. Welches andere Wissen könnte uns gegenseitig helfen, ein Miteinander aufzubauen? Wir experimentieren gern mit künstlerischen Mitteln, nicht nur zum Spracherwerb. „Heimwärts!“ sollte Lösungsansätze aufzeigen: Die Videokünstlerin Zhou Fei führte Interviews mit Frauen aus unseren Gruppen und aus dem Stadtteil zum Thema „Heimat“. Die Interaktion mit dem Mittel der Kunst eröffnete einen intensiven Dialog, der mit der Präsentation der Installation in den Stadtteil leuchtete. Der Treffpunkt im Stadtteil für Frauen aus aller Welt war wieder auf Kurs. Die bunte Palette von Aktivitäten, Exkursionen und Projekten, Informationen und Interventionen erfindet sich immer wieder neu, wird von Frauen bewegt. Dörte Redmann, Spokusa, Hannover Fotos: links Zhou Fei, oben: Dörte Redmann !kultur 2012 __ 9 Ausstellung Soziokultur und Demografie im Göttinger Rathaus mangelware ein interkulturelles einkaufsmusical Die zentrale Ladenzeile in der Göttinger Weststadt, wo früher eine Bäckerei, ein Fleisch- und Wurstgeschäft und ein Kiosk waren, steht leer. Soziale Verödung. Die Gespräche beim Einkaufen sind zur Mangelware geworden. Wie überall gibt es Lebensmittel-Discounter, deren Angestellte von ihren Vorgesetzten drangsaliert werden. Überarbeitet und unterbezahlt. Schnell gefeuert. Frau K. kennt das. Seit dreißig Jahren sitzt sie an der Supermarktkasse. Und erlebt nicht nur Frustrierendes, sondern auch Schönes. Hier kommt man miteinander ins Gespräch. Einkaufen müssen schließlich alle. Und da kann es passieren, dass bei aller Unterschiedlichkeit nicht mehr das Fremde, Trennende, Angsteinflößende im Vordergrund steht, sondern das Gemeinsame. Frau K. kennt sie, die skurrilen oder tragischen Geschichten ihrer Kunden und Kundinnen, die diese lieber unter den Teppich kehren würden: Der Vorsitzende des NaturFreunde-Vereins, der hemmungslos Sonderangebote einsackt, obwohl die Vereinssatzung den Einkauf im Discounter verbietet. Die Kinder der türkischen Großfamilie G., die während des Ramadans ihr Taschengeld in Süßigkeiten umsetzen. Oder den langzeitarbeitslosen älteren Herrn, der jeden Tag Schnaps kauft. Man könnte meinen, Frau K. hätte keine eigenen Sorgen ... So oder so ähnlich wird das Handlungsgerüst des interkulturellen Einkaufsmusicals „Mangelware“ aussehen. Genau weiß man es erst, wenn alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen feststehen und sie ihre Erfahrungen einbringen. „Mangelware“ ist ein Projekt der Weststadtkonferenz, einer Stadtteilrunde in einem Brennpunkt-Quartier. Seit 1995 bemüht sich die Weststadtkonferenz zusammen mit dem im Stadtteil beheimateten Kulturzentrum musa, das Leben für die Menschen lebenswerter zu machen. Und weil das gemeinsame Theaterspiel, Musizieren und Tanzen die Menschen oft eher zusammenführt als Gespräche, wird seit 2001 mindestens ein Film- oder Bühnenprojekt pro Jahr veranstaltet. Die wichtigsten und bekanntesten Produktionen sind der Kurzfilm „Das Oma-Problem“ (2004) mit 4,6 Millionen Aufrufen bei „Youtube“ und das Jugendmusical „Who’s online?“, Gewinner des vom Bundeswirtschaftsministerium ausgelobten Preises „Wege ins Netz 2011“. Beim neuen Musical „Mangelware“ suchen wir Menschen verschiedener Altersstufen für eine Gesangs- und eine Theatergruppe, eine Rap- und eine Tanzgruppe, eine klassische Rockband und ein Streichquartett. Das Herzstück der Livemusik soll eine interkulturelle Band sein - mit Musikinstrumenten, die in Mitteleuropa nicht heimisch sind wie Saz, Sitar, Schalmei, Conga, Tabla und Djembe, um nur einige prominente Beispiele zu nennen. Die interkulturelle Musik ist eine ganz neue Herausforderung. Interkulturell meint hier nicht nur die Musikinstrumente, sondern auch die Musikstile. Kann man mit Saz oder Sitar Rockmusik machen? Oder mit Violinen traditionelle indische Musik? Und gibt es überhaupt Menschen, die diesen Mischmasch wollen? Ohne dafür bezahlt zu werden? Das scheint übrigens eines der zentralen Probleme zu werden, denn es haben sich durchaus schon Musiker und Musikerinnen gemeldet, nur möchten sie mit ihrer Musik auch Geld verdienen, zumal sie – oft aufgrund ihres Duldungsstatus – am Rande des Existenzminimums leben. Helmut Schmidt soll ja gesagt haben: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Wir glauben trotzdem daran, dass wir Menschen für die Gründung einer interkulturellen Band begeistern können und träumen sogar davon, dass diese interkulturelle Band nach den Aufführungen von „Mangelware“ im Juni 2013 das Grundgerüst für ein interkulturelles Orchester mit Gastspielen in ganz Niedersachsen sein kann. Gabi Radinger, Kulturzentrum musa/Weststadtkonferenz, Göttingen, Foto: Peter Heller homogenität produziert maximale langeweile Interessante und innovative Ideen, Künste und Kulturen entstehen durch Reibung, durch Auseinandersetzung, durch Aufeinandertreffen und Machen einer Vielzahl verschiedener Erfahrungen, den Austausch von Erfahrungen und auch durch Konflikt. Hier werden Perspektiven erweitert, Impulse gegeben, Grenzen überschritten, Denken transformiert, Gewissheiten erschüttert. Nichts produziert mehr Langeweile als Homogenität. Wir haben also ein ästhetisches und politisches Eigeninteresse an dem, was gemeinhin als Interkultur bezeichnet wird. Darüber hinaus streben wir als soziokulturelles Zentrum eine Gesellschaft an, an der alle, die wollen, gleichberechtigt teilhaben können. Da dieser gesellschaftliche Zustand noch lange nicht erreicht ist, betrachten wir es als unsere Aufgabe, darauf hinzuwirken. Dass der gleichberechtigte Zugang von Migrant_innen und ihren Nachkommen nicht gewährleistet ist, liegt in erster Linie an Ausschlüssen, die durch die Mehrheitsbevölkerung ohne Migrationshintergrund hergestellt werden. Insofern muss interkulturelle Arbeit immer auch antirassistische Arbeit sein, die aufklärt und auf einen Bewusstseinswandel in dieser Mehrheitsbevölkerung zielt. Dazu gehört es, Gegendiskurse zu platzieren und zu entwickeln gegen rassistische Debatten wie sie sich zum Beispiel um die Bücher von Sarrazin und Buschkowsky entwickeln. Regelmäßig veranstalten wir Diskussionen mit dieser Zielsetzung. Beispielhaft sei hier eine Kooperation im Rahmen des Festival Contre Le Racisme des AStA Hannover genannt, zu der Manuela Bojadžijev im Pavillon war, um über 'Kämpfe der Migration' zu sprechen. Migrant_innen als Subjekte ihrer eigenen Geschichte zu lesen und nicht als Objekte deutscher Politik ist eine wichtige Perspektive, die über die Veranstaltung hinaus Gültigkeit besitzt. Um gesellschaftliche Teilhabe zu demokratisieren, ist es außerdem wichtig, Empowermentprozesse zu ermöglichen und Selbstorganisationsprozesse zu unterstützen, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Infrastruktur und Ressourcen. Letztlich haben immer Betroffene von Diskriminierung ihre Rechte selbst erkämpft. Daher freuen wir uns, wenn wie kürzlich niedersachsenweite Treffen von Geflüchteten bei uns stattfinden, die sich organisieren, um gegen staatlich produzierten Rassismus vorzugehen, der ihnen tagtäglich begegnet. Interkulturelle Arbeit bedeutet für uns weiter, Menschen, Erfahrungen, Geschichten und Perspektiven Raum zu geben, die im gesellschaftlichen Mainstream unterrepräsentiert oder ausgeschlossen sind. Dies geschieht in theatraler, literarischer, musikalischer oder debattierender Form. Dazu gehört die einfache Raumvergabe zur selbstbestimmten Nutzung von Räumen durch Migrant_innenselbstorganisationen, dazu gehören Kooperationen mit Initiativen wie bei den gemeinsam mit dem Afrikanischen Dachverband veranstalteten afrikanischen Literaturtagen, dazu gehört auch das Weltmusikfestival Masala mit großen und kleinen, ungewöhnlichen und grenzüberschreitenden Konzerten sowie soziokulturellen Workshops für Kinder und Erwachsene. Mit dem Theaterfestival Arabischer Frühling ist es dieses Jahr gelungen, Stimmen aus Ländern der arabischen Revolutionen nach Hannover zu holen und Menschen von ihren Erfahrungen und Erlebnissen erzählen zu lassen anstatt über sie zu reden. Aufgrund von Kosten und Entfernungen gelingt dies leider nicht immer, wenn es um internationale Fragestellungen geht, aber es bleibt ein wesentliches Leitmotiv der Pavillonarbeit, Menschen für sich selbst sprechen zu lassen. Derzeit sehe ich zwei Fallen, in die die Soziokultur mit ihrer interkulturellen Arbeit nicht tappen darf: Global und lokal werden soziale Konflikte zunehmend kulturell gedeutet. Armut und Reichtum verschwinden aus dem gesellschaftlichen Diskurs, und die Position von Personen im gesellschaftlichen Gefüge wird häufig als Folge kultureller Zugehörigkeit interpretiert. (Inter-)Kulturelle Arbeit kann nicht institutionelle Diskriminierung im Bildungssystem, Arbeitsmarktsegregation, verstärkte Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum etc. ausgleichen. Wir müssen aufpassen, diesen Trend zur kulturalisierenden Interpretation der Gesellschaft nicht mit 'Integrationsprojekten' zu bestärken, sondern explizit eine Perspektive sozialer Gleichheit als Voraussetzung für gleichberechtigte Teilhabe thematisieren. Darüber hinaus besteht in der interkulturellen Arbeit die Gefahr, durch Auswahl von Themen und Bildern sowie Projektkonzeptionen Menschen durch Betonung von Unterschieden zu ethnisieren und so zu einer Festschreibung von Stereotypen beizutragen. Dabei ist Herkunft lediglich ein Element von Erfahrung. Für manche ist sie identitätsbildend, für andere komplett bedeutungslos. Eine postnationale Haltung, in der sich Identität nicht mehr an Raum oder konstruierte Gemeinschaften knüpft und die insbesondere in der so genannten zweiten und dritten Generation präsent ist, ist meines Erachtens noch unterrepräsentiert im interkulturellen Diskurs, würde diesen und daraus folgende Projekte allerdings positiv befruchten. Im November 2012 fand im Vorfeld des Umbaus ein Nutzer_innenforum im Pavillon statt, um sich über Wünsche, Befürchtungen und inhaltliche Erwartungen an den neuen Pavillon auszutauschen. Hier wurden wir bestärkt, unsere internationalistische und inter- bzw. transkulturelle Perspektive fortzuführen. Das Umbaujahr 2013 wird von uns genutzt werden, konzeptionell neue Formate zu entwickeln. Mit Sicherheit wird diese Perspektive weiterhin prägend sein für die Pavillonarbeit. Denn es gibt noch viel zu tun! Melanie Micudaj, Pavillon, Hannover !kultur 2012 __ 11 Ausstellung Soziokultur und Demografie im Göttinger Rathaus innen- und außensichten Seit 22 Jahren spielt das Türkisch-Deutsche Theater mit wechselnder Besetzung in Hildesheim – dass das zwar in der Gruppe meistens harmonisch abläuft, aber von der Außenwelt nicht immer so betrachtet wird, musste auch die neue Leitung des Theaters feststellen. Mit Isabel Schwenk, Lara-Joy Hamann und Neclâ Eberle-Erdógan sprach Julia Terbrack Wie ist das Türkisch-Deutsche Theater entstanden? N: Entstanden ist es nicht als Türkisch-Deutsches Theater, sondern 1990 mit „Romeo und Julia“ und der Idee, dieses Thema Türkisch und Deutsch zu besetzen. In den 80er Jahren hatte die Ausländerfeindlichkeit zugenommen und Beginn der 90ziger Jahre wurden in Rostock Lichtenhagen Häuser angezündet. Sebastian Nübling kam auf uns zu, der an der Uni Hildesheim studiert und unterrichtet hat. Für seine „Romeo und Julia“-Inszenierung hat er Mitspieler gesucht. Ich war begeistert! Also habe ich zugesagt und eine kleine Gruppe mobilisiert, die Theater spielen wollte. Eigentlich wollte ich nie Theater spielen – ich wollte nur zusammenführen, das war meine Rolle. Aber ich habe die Aufwärmübungen mitgemacht, Improvisation und solche Sachen und plötzlich hatte ich eine Rolle. Dann haben wir das Stück zu den Marktspielen 1991 mehrmals aufgeführt. So hat sich das TDT entwickelt. Welche Themen behandelt ihr jetzt? I: Das ist tatsächlich spannend, weil das TDT erst mal viel mit den Themen Migration und Integration gearbeitet hat. Wir haben uns eine Zeit lang davon entfernt, denn wir fühlen uns integriert und wir wollten das nicht extra verhandeln. Integration passiert einfach in so einer Gruppe. Es war egal, wer wie alt ist oder wer wie aussieht! Man muss sich ja immer in eine Gruppe integrieren, wenn unterschiedliche Menschen aufeinander treffen, das passiert permanent. Letztes Jahr haben wir gemerkt, wir können uns dem Thema nicht entziehen. Das Fernsehen kam zu uns wegen der Interkulturbarometerstudie an der Uni Hildesheim und fragte, was denn nun Türkisch und was Deutsch sei. Wir mussten uns positionieren, auch wenn der Tenor bei allen war, das brauchen wir nicht mehr. So haben wir uns wieder mit dem Thema beschäftigt und zum Beispiel den Integrationstest aus dem Internet gemacht. Wir sind fast alle integriert! Wie sieht die Zusammensetzung eurer Gruppe denn aus? I: Wir sind frei für jeden, der kommen will. N: Die Leitung haben immer Studenten. Von den 90er bis Nuller Jahren gab es einen festen Kern an Spielern, deutsch wie türkisch. Es kamen Neue dazu, die gut aufgenommen und integriert wurden. In den letzten Jahren ist das allerdings weniger geworden. I: Wir haben fünf türkische Spieler, einen Spanier, und der Rest kommt aus Thüringen, Bayern, Sachsen, Niedersachsen! Der Name Türkisch-Deutsch, soll nicht andere ausschließen. Das ist das Absurde an diesem Namen. Aber den kann man jetzt nicht mehr ändern, weil der inzwischen eine Marke ist. Beim letzten Stück waren elf Spieler auf der Bühne. Von 21 bis 65. Zwei Rentner, zwei Lehrer, jemand der bei Bosch arbeitet, drei Student_innen, ein Museumspädagoge - also ganz unterschiedlich. Und wie erfahrt ihr die Zusammenarbeit? I: Das Besondere ist diese Vielfalt. Für mich als Studentin ist es toll, nicht nur mit Kommilitonen, sondern auch mit älteren Menschen zusammen zu arbeiten und mit Menschen, die schon lange im Berufsleben sind. Man lernt enorm viel – auch seine Stadt ganz anders kennen. Leute zu besuchen, in Vierteln, in denen man noch nie war, all das ist spannend. In der Theaterarbeit befruchtet man sich gegenseitig. Sofern man sich gut versteht und das tun wir. Wer ist euer Publikum? L: Das ist eigentlich das Schönste! Zu den Stücken kommen ganz verschiedene Leute. Wir hatten jetzt fünf Vorstellungen, die waren alle ausverkauft und etliche mussten wir nach Hause schicken. Es kommen alte Mitspieler und so ein Kern, fast schon Fans, die sich jedes Stück angucken. Und natürlich auch Studenten. Das ist schön, dass man damit so ein breit gefächertes Publikum erreicht, was hier sonst echt schwierig ist. Wie regelt ihr, wer die Leitung des TDT übernimmt? N: Wir legen Wert darauf, dass das auch mit uns Spielern besprochen wird und nicht einfach über unsere Köpfe hinweg jemand eingesetzt wird. I: Letztes Jahr hatten wir eine Art Casting, da haben sich die Stammspieler_innen und die ehemalige Leitung für uns entschieden, das war ein Vorstellungsgespräch. Was wurdet ihr gefragt? I: Neclâ meinte, sie würde gerne mal mit einer türkischen Romanvorlage arbeiten und dass das bisher in den 22 Jahren noch nie passiert sei. Das fanden Markus Wenzel und ich spannend. Wir sind auf einander zugegangen, denn getragen wird das Ganze ja von Leuten wie ihr. Wir sind nur Vermittler. Das hat einfach gepasst. Und für nächstes Jahr haben Lara und ich schon Zukunftspläne. Wir würden gerne eine größere Öffentlichkeit erreichen in Hildesheim und Niedersachsen. Vor allem denken wir über nachhaltigere Strukturen nach, die das Bestehen des Türkisch-Deutschen Theaters sichern. Habt ihr Widerstand aus der Gesellschaft erfahren? I: Also letztes Jahr war das erstaunlich. Es gab nicht wirklich Anfeindungen, aber da wir uns in einem kleinen Teil unseres Stückes mit dem Armenienkonflikt beschäftigt haben, wurde es problematisch. Eine Sonntagszeitung war bei uns und hat das in einem Bericht sehr groß gemacht und verfälscht wieder gegeben. Wir haben dann einen langen Brief erhalten von einem Türkischen Verein, der fand, dass es so nicht okay sei, wie wir das in unserem Stück darstellen – ohne das Stück überhaupt gesehen zu haben. Ohne Absender, also konnten wir auch nicht darauf antworten. Sie haben uns vorgeworfen, dass unsere Arbeit Integration in keiner Weise fördert, sondern nur behindert. Damit umzugehen, war sehr schwierig. Aber es war eben auch ein problematisches Thema. Neclâ hat auch persönliche Briefe erhalten und haben sie Leute gefragt, warum wir gerade so was auf die Bühne bringen. Das war schon heikel. Aber das lag an dem Thema und nicht an der Zusammensetzung und dem Bestehen des TDTs. N: Und auch daran, dass wir jetzt erstmals ein wirklich türkisches Thema bearbeitet haben. Vorher sind wir nicht ans Eingemachte gegangen. I: Uns war es eben auch ein Anliegen, politische Themen auf der Bühne zu verhandeln. Gerade wenn das Fernsehen reinkommt und als erstes fragt: „Wo sind die Migranten? Wir wollen die Migranten interviewen!“. Wir sehen uns da anders, wir heißen zwar Türkisch-Deutsches Theater und der Name ist vielleicht auch schwierig, aber in dieser Gruppe geht es um eine andere Form von Integration. Wir haben hier einen Status von Gleichberechtigung erreicht, und dann kommt jemand von außen, und man merkt, da draußen in der Welt sieht es definitiv anders aus. Dadurch ist ein politisches Anliegen bei uns entstanden und es hat uns auch fuchsteufelswild gemacht! Ich bin immer noch erzürnt darüber, weil ich das nicht ändern kann und nicht mehr weiß, was ich dazu sagen soll. Deswegen wollen wir auch weiterhin politische Themen bearbeiten. Auf der Bühne können wir eventuell eine Sprache erfinden, um auszudrücken, was uns stört. Wir werden keine Politikerinnen mehr werden, das können wir nicht. Aber so können wir kommunizieren, was uns stört und uns bewegt. Fotos: Andreas Hartmann !kultur 2012 __ 13 Ausstellung Soziokultur und Demografie im Göttinger Rathaus kulturaustausch auf augenhöhe In der Keramikwerkstatt wird englisch gesprochen, damit sich alle verstehen. Qi Gong und Tanz unterrichtet die Chinesische Kulturgruppe und der Schlagzeuglehrer hat seine Wurzeln in Sri Lanka. Kathak tanzen hier indisch stämmige und deutsche, auf afrikanischen Trommeln trommeln Musiker aus Afrika und Deutschland, Tango Argentino lernen kann man beim argentinischen Tangolehrer oder mit deutscher Lehrerin. Die Motivation der Nutzer ist sehr verschieden. Das KAZ ist mal der Ort für Freizeitgestaltung, mal ein Sprungbrett zur Selbständigkeit: „Ich freue mich, dass ich hier meinen deutschen Bekanntenkreis erweitern kann“. „Hier habe ich einen Ort gefunden, an dem ich etwas von meiner Kultur vermitteln kann“. „Über die Honorare kann ich einen Teil meines Lebensunterhalts verdienen“. Einige Künstler, die mittlerweile international im Geschäft sind, haben im KAZ angefangen. Die KünstlerInnen und Gruppen kommen ins Haus, weil sie einen Raum zum Üben suchen oder Kurse anbieten wollen. Alle werden Mitglied und bestimmen so, wohin die Reise geht mit dem KAZ. Gemeinsam entwickeln sie Projekte, Kooperationen und Veranstaltungen. Die Gruppe Internationales Singen ist die Ausnahme. Gestartet wurde mit einer Idee: Menschen aus unterschiedlichen Ländern sollten sich gegenseitig Lieder in ihren Muttersprachen beibringen. Inzwischen sind es richtig viele. Sie haben noch einen weiteren Treffpunkt in einem Nachbarschaftszentrum am Stadtrand. Der Gruppe sind beide Standorte wichtig. Das KAZ besticht allerdings nicht nur durch seinen zentralen Standort. „Es ist schön für uns, hier auf eine so bunte Mischung von Menschen zu treffen, die das Haus nutzen. Wir profitieren voneinander“, hebt der Chor immer wieder hervor und genießt es sehr, vor diesem Publikum aufzutreten. Das KAZ selbst hat keinen Saal, kann aber zehnmal im Jahr den des Jungen Theaters nutzen. Zu diesen Terminen treten nur Gruppen des KAZ auf. Zuschauer, die begeistert aus einem Konzert mit afrikanischer Musik kommen, können direkt bei den Künstlern Trommelkurse buchen oder nach einem Indischen Tanzfest selbst das Kathak-Tanzen lernen. Die gute Vernetzung des Zentrums, die Auftrittsmöglichkeiten, die organisiert werden und die Projekte des Vereins, durch die Menschen aus völlig verschiedenen Altersgruppen und sozialen Schichten zusammenkommen, das ist es, was den Göttingern am KAZ wichtig ist. So wie bei einem Trommelprojekt von Künstlern aus Afrika für Senioren. Beide Seiten lernten neue Lieder kennen und sich schätzen. KAZ ist seit über 35 Jahren Treffpunkt von Kreativen aus unterschiedlichen Ländern. Eine wichtige Grundlage für den Verein, der basisdemokratische Strukturen hat, ist die Tatsache, dass sich die Mitglieder auf regelmäßigen Sitzungen gleichberechtigt austauschen, diskutieren und planen, natürlich auch im Vorstand. Das KAZ ist in Göttingen mit seinem Angebot, der Mitgliederstruktur und den Möglichkeiten einzigartig, aber gerade ist die Zukunft des Vereins düster. Bisher konnte der Verein durch Gruppenmitgliedschaften und eine offene Gruppenstruktur bei vielen Angeboten eine günstige Teilnahme ermöglichen. Die Stadt Göttingen hat im Zuge einer Haushaltssanierung die kommunale Förderung des Vereins ab 2013 um 25% gekürzt. Damit ist das gesamte Angebot gefährdet. Jenseits aller städtischen Leitbilder und Parteiprogramme scheint Kultur von und mit Menschen aus anderen Ländern im Zweifelsfall doch das Erste zu sein, was entbehrlich ist. Ob der Verein in den nächsten Jahren noch Projekte durchführen kann und ob er seine gesamte Mitgliedsstruktur umstellen muss, wird gerade ebenso diskutiert wie die Höhe der Mitgliedsbeiträge. Anne Moldenhauer, KAZ, Göttingen Fotos: links Mirco Plha, oben Peter Heller !kultur 2012 __ 15 Ausstellung Soziokultur und Demografie im Göttinger Rathaus lebenswege Im Emsland liegt der Anteil der Russland-Deutschen Bevölkerung seit Jahren über 20 Prozent. Was es da wohl für spannende Geschichten zu erfahren gibt, fragte sich die Alte Molkerei in Freren und zeigt: Interkultur ist wichtig für den ländlichen Raum. Das Emsland war und ist Einwanderungsgebiet. Vor allem in den achtziger Jahren kamen Spätaussiedler. Viele freie Arbeitsplätze, günstiger Wohnraum und eine entsprechende Siedlungspolitik brachten sie in das ländliche Gebiet - zurück nach Deutschland. Lange Zeit lebte man in den Kleinstädten und Dörfern nebeneinander her. Auch in Freren, einem Städtchen mit 5000 Einwohnern, mit circa 20 Prozent Russlanddeutschen. Das ändert sich jetzt durch das Interesse und den engagierten und kreativen Einsatz des Kulturkreises Impulse in der Alten Molkerei. Durch das Team des soziokulturellen Zentrums, zu dem Spätaussiedler gehören, und den täglichen Austausch wurde man neugierig: Wie war der lange Weg zurück nach Deutschland? Wie die Ankunft und das Einleben danach? Und müsste man diese Geschichten nicht eigentlich öffentlich machen? Das fragten sich vor allem Maria Kuiter, die Vorsitzende des Vereins, und Nelly Heilmann, die Leiterin der Musikschule ViolinenSpielKreis in der Molkerei, die selbst mit ihrer Familie aus Russland auswanderte. Eine ehrenamtlich Engagierte brachte das Problem auf den Punkt: Es sei schwierig für sie. In Russland waren sie die Deutschen und hier sind sie die Russen. Das Team setzte sich ein Ziel: dieser Kreislauf muss unterbrochen werden, sonst trifft er auch die nächsten Generationen. Kuiter und Heilmann initiierten Treffen, schufen Platz und Zeit zum Austauschen und trafen damit ein Bedürfnis der Menschen. Man kam zusammen zum Kennenlernen, Unterhalten und zum Singen. Das Singen kam ganz von selbst und sei eine wichtige gemeinsame Basis, denn wenn Sprache nicht mehr reichte, half der Gesang, erinnert sich Maria Kuiter. So entstand der Internationale Frerener Freundschaftschor, ein Chor ohne den Anspruch großer Auftritte. Gemeinsames Erleben und kultureller Austausch ist, was gesucht wird. „Lebenswege“ heißen die Treffs und der Name ist Programm. Im ersten Jahr kam so viel Material zu den verschiedensten Lebensgeschichten der Teilnehmer_innen zusammen, dass deutlich wurde, dieser Schatz muss in die Öffentlichkeit. Die Ausstellung „Lebenswege“ dokumentiert die verschlungenen Pfade der Familien Heilmann und Weiß – repräsentativ für eine ganze Gruppe Russlanddeutscher. Aber auch die Geschichten Anderer sollten nicht unter den Tisch fallen. Monatlich werden jetzt Treffs veranstaltet mit immer wechselnden Beiträgen von Menschen, die ihre Lebenswege teilen wollten. Inzwischen sind das längst nicht mehr nur Russlanddeutsche – auch anderes ‚to lopen Pack’ und selbst Ureinwohner kommen und erzählen ihre Geschichten. Mit großem Anklang – bis zu 90 Menschen sitzen im Publikum. Für Maria Kuiter ist es ganz klar, das große Bedürfnis und das Ziel aller, die hier sonntags herkommen, ist es, sich kennen zu lernen und zu verstehen. Langsam merkt man auch in der Dorfkultur Unterschiede. Als zum Beispiel wieder einmal Schützenfest in Freren gefeiert wurde, erhielt Maria Kuiter einen begeisterten Anruf des Bürgermeisters, der sich über ganze Tischreihen neuer Teilnehmer_innen freute. Das Projekt funktioniert. Gerade weil man es nicht für, sondern mit den Betroffenen geplant und durchgeführt hat. Julia Terbrack Foto: Stefan Bischoff vereinte nationen von braunschweig Braunschweig ist die Heimat, die Wahlheimat und der Lebensmittelpunkt von Menschen aus mehr als 140 Nationen. Damit die Menschen vor Ort sich gegenseitig besser kennenlernen und ihre eigenen Kulturen als Bestandteil ihrer Persönlichkeit leben können, haben sich Braunschweigerinnen und Braunschweiger verschiedenster Nationalitäten vorgenommen, ein Haus der Kulturen Braunschweig einzurichten. Eingangs waren die Vorstellungen und Erwartungen weit voneinander entfernt, was das Haus leisten soll und was nicht. Doch in fünf moderierten Workshops zeigten zwei LAGS-Beraterinnen im Jahr 2009 engagierten Bürgerinnen und Bürgern, Vertreterinnen und Vertretern von Politik und Verwaltung Möglichkeiten aber auch die Grenzen der Erwartungen anhand von Rechenbeispielen auf. Einig wurden die Beteiligten, dass das Haus multikulturell, interkulturell und transkulturell sein muss: D.h. mehrere Kulturen sind beteiligt, sie interagieren miteinander und sind offen für neue entstandene oder bisher nicht-bekannte Kulturformen. Ein Rahmenkonzept mit detaillierten Aussagen zur Struktur, Nutzungsordnung sowie zum Finanzierungs- und Personalbedarf wurde erstellt und der Politik und der Verwaltung in der Form eines Abschlussberichtes vorgelegt. In einer zweieinhalb Jahre andauernden intensiven Informations- und Lobbyarbeit hat eine Initiative engagierter Bürgerinnen und Bürger aus Braunschweig für Unterstützung in der Politik und Verwaltung für die Umsetzung des Rahmenkonzeptes geworben. Um die Chancen für das Gelingen des Projektes möglichst hoch zu halten, warb diese Bürgerinitiative dafür, die Migranten-Community - wie bereits bei der Konzeptionierung - aktiv bei der Umsetzung einzubeziehen. Die Migrantinnen und Migranten, als erste Zielgruppe, wurden zu den Akteuren, die selbst über die Ausgestaltung und den Aufbau des Hauses bestimmen. Neben Migrantinnen und Migranten wird aber auch die alteingesessene Bevölkerung angesprochen, sich aktiv einzubringen. Somit ist das Haus der Kulturen ein Haus für alle. Das Haus bietet einen Rahmen für die gemeinsame Weiterentwicklung neuer Handlungsansätze für Vielfalt, soziale, gesellschaftliche Teilhabe und Integration. Dabei nehmen Migrantinnen und Migranten eine freie, selbst-bestimmte Rolle als „Brückenbauer zwischen den Kulturen“ ein und entwickeln eine Kultur des Dialogs auf gleicher Augenhöhe. So sollen die Menschen – unabhängig von Herkunft und Religion - sich im Haus der Kulturen austauschen, kennen und verstehen lernen. Seit dem 01. Januar 2012 hat der Trägerverein Haus der Kulturen Braunschweig e.V., der im Oktober 2011 aus der gleichnamigen Bürgerinitiative hervorgegangen ist, Am Nordbahnhof 1 ein über 700 Quadratmeter großes zweistöckiges Haus von der Stadt Braunschweig mietfrei für die Nutzung zur Verfügung gestellt bekommen. Damit ein solches sozio-kulturelles Projekt seine Zielsetzung beibehält, braucht man eine Finanzierungsform, die nicht in erster Linie gewinnorientiert ist. Daher finanziert sich das Haus der Kulturen Braunschweig e.V. aus städtischen Mitteln, aus den Mitgliedsbeiträgen des Trägervereins, aus der Vermietung seiner Räumlichkeiten für externe Veranstaltungen und natürlich aus willkommenen Spenden. So viele Menschen unterschiedlicher Herkunft und so viele Kulturen unter einem Dach für ein gemeinsames, harmonisches Miteinander zusammenzubringen, ist sicherlich ein Gewinn für Braunschweig. Somit kann die Stadt noch deutlicher ihrem Ruf als „Vereinte Nationen von Braunschweig“ gerecht werden. Adama Logosu-Teko, Haus der Kulturen, Braunschweig Foto: H.S., HdK !kultur 2012 __ 17 Ausstellung Soziokultur und Demografie im Göttinger Rathaus vom gemüsean- und vorurteileabbau interkulturelle gärten Interkulturelle Gärten in ganz Deutschland erleben in den letzten Jahren großen Zulauf. Dies ist jedoch keine neue “Erfindung”. 1996 startete eine Gruppe von zugewanderten und einheimischen Familien in Göttingen das Projekt Internationale Gärten in einer Baulücke in Göttingen-Geismar. Innerhalb der nunmehr 16 Jahre entstanden deutschlandweit viele ähnliche Gärten, sodass im Netzwerk Interkulturelle Gärten der Stiftung Interkultur derzeit 135 Gärten in 16 Bundesländern vertreten sind. Weitere 72 Projekte befinden sich in Planung. Auch die fünf interkulturellen Gärten in Hannover gehören diesem Netzwerk an. Sie befinden sich im Stadtteil Linden-Süd sowie den Soziale-Stadt-Gebieten Sahlkamp und Hainholz. Diese Quartiere zeichnen sich durch einen hohen Anteil an MigrantInnen, TransferleistungsempfängerInnen sowie überdurchschnittlich kinderreiche Familien aus. Da die Familien häufig auf engem Raum leben und keinen Zugang zu privatem Grün haben, hat der Außenraum eine besondere Bedeutung. 2007 wurde im Sahlkamp der erste interkulturelle Garten in Hannover auf dem Dach einer Tiefgarage im Hochhausquartier eröffnet. BewohnerInnen bereiteten die vermüllte Fläche für den Obst- und Gemüseanbau vor und gründeten den Verein "Internationale StadtteilGärten Hannover“. Zeitgleich entstand der Teegarten Hainholz als Freiluft-Schulungs- und Veranstaltungsort. In 2008 kamen zwei weitere Gärten (Steigerwaldweggarten und Bienengarten) hinzu. 2009 entstand auf einer zugewucherten und zu einem umzäunten Müllabladeplatz verkommenen Brachfläche von über fünfhundert Quadratmetern in Linden-Süd ein Schul- und Nachbarschaftsgarten. Früher war die Fläche häufig Anlass für Beschwerden der AnwohnerInnen. Auch im Stadtteilforum Linden-Süd - einer Vernetzungsrunde von BewohnerInnen, Einrichtungen, Initiativen, Vereinen etc. und der Grundschule gab es den Wunsch nach einem Gemeinschaftsgarten. Gemeinsam konnten die Eigentümer überzeugt werden, die Fläche mietfrei zur Verfügung zu stellen. Aus vermüllten Un-Orten sind Orte geworden, die die Quartiere auch optisch aufwerten. Die Lebensmittelproduktion ist der positive Nebeneffekt dieser Gärten, bei der gemeinsam gärtnern, vor allem aber sich treffen, austauschen und feiern die Qualität ausmacht. Über klassische Gartenthemen wie Pflanzen, Pflege und Verwendung kommt man ins Gespräch. So baut man Gemüse an und Vorurteile ab und es entstehen Nachbarschaften im eigentlichen Sinne. Durch den Anbau von Blumen, Obst und Gemüse bekommen die GärtnerInnen die Möglichkeit, ohne Geld zu schenken und ihnen wird Wertschätzung zu teil, wenn sie als ExpertInnen nach gärtnerischen Tipps gefragt werden. Die kleinen Gartenparzellen erfordern nur niedrigen Kraftund Zeitaufwand und die finanzielle Beteiligung ist auf ein symbolisches Minimum reduziert. Doch durch diesen Beitrag werden Verbindlichkeiten geschaffen und ein Bewusstsein gebildet, dass sich die Gruppe gemeinsam das Land “für ein Jahr gekauft” hat. Dieses Land nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten, verbindet die Menschen mit ihrem Viertel, ihrer Stadt, ihrem Land. Es wird Identifikation und ein Stück “Heimat” geschaffen. Im sympathischen Umfeld des Gartens wächst meist mehr als Blumen und Gemüse. Er dient als Kommunikationsund Begegnungsort, bereichert das Zusammenleben in anonymen Städten und bietet eine große Chance für das interkulturelle Zusammenleben. Ria Gerwig (Quartiersmanagement Linden-Süd der Gesellschaft für Bauen und Wohnen Hannover mbH) und Eberhard Irion (auch Foto) (Internationale StadtteilGärten) reden hilft Göttingens interkulturelle Szene ist groß. Ein Besuch im Haus der Kulturen vom Verein Zukunfts-Werkstatt. Größer, höher, weiter - das sind oft Kriterien, mit denen man meint, Qualität messen zu können. Beim Haus der Kulturen trifft es tatsächlich in vielen Punkten zu: 6.000 qm Fläche, alles in Eigenarbeit ausgebaut, fast ausschließlich ehrenamtliche Arbeit, stete Mittelakquise aus den verschiedensten Töpfen – von ESF bis zum Ausländerbeirat - 30 unterschiedliche Gruppen, die hier ihre Büros, Proberäume, Bühnen und Treffpunkte haben, hunderte Menschen, die ein und aus gehen - und das, obwohl das Haus der Kulturen versteckt am Rand der Stadt liegt. All das ohne einen Cent institutionellen Zuschuss der Stadt. „Wir fallen mit unserer Arbeit durch alle Raster“, sagt Atilla Yildirim, der sich seit vielen Jahren im Verein engagiert, im Vorstand tätig ist und kostenfrei Gesundheitsberatung im Haus der Kulturen anbietet. „Die Kulturförderung sieht sich nicht zuständig und der Integrationsrat hat nur 18.000 Euro für alle Migrantenselbstorganisationen zu vergeben. Da sind große Projekte schwer zu finanzieren“. Dass es ihnen trotzdem gelingt, das ist etwas, was nicht nur stolz mache. Es macht auch ein bisschen wütend, denn dass die Stadt für ein so großes umfangreiches und seit Jahren gut funktionierendes und nachgefragtes Projekt keine verlässlichen Mittel zur Verfügung stellt, das ist für die seit Jahren in ihrer Freizeit Engagierten nicht nachvollziehbar. Im Haus der Kulturen gibt es Sprachkurse, denn der Verein ist Träger von Integrationsangeboten, es finden Veranstaltungen statt, Musik wird geprobt und Theater, es gibt eine Fahrradwerkstatt, Büros und Gruppenräume für die Nutzer und zwei angelegte Gärten. Wir sitzen zusammen im rustikal gezimmerten Pavillon mitten im Garten vor dem Haus - einem alten Militärlager für Uniformen. Ein Stück weiter ist ein Gemüse- und Blumengarten - der Mädchengarten, der nur ihr Revier ist. Jugendliche legen die Gärten an, pflegen und ernten. Die Gärten sind ein Gemeinschaftsprojekt mit der LEB, die ihren Sitz im Haus der Kulturen hat. Es gibt einige Projekte, die gemeinsam verwirklicht werden. Zur Rustikalität des Pavillons meint Atilla Yildirim: „Ja, so ist es, wenn man gemeinsam an Dinge herangeht. Man muss Kompromisse machen. Aber ohne die hätten wir weder Pavillon noch Garten.“ Claudio Lopez, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, sagt: „So ist es im gesamten Haus. Wenn wir nicht mit gemeinsamen Lösungen und der Bereitschaft zu Kompromissen hier wären, dann gäbe es das Projekt nicht. Kompromisse sind der Schlüssel zum Gelingen.“ Sicher - es gibt unterschiedliche Ansichten, ergänzt Barbara Graf, die sich um die Jugendarbeit und die Veranstaltungen kümmert, aber so offen wie das Haus, sind hier auch die Menschen. Vorurteile gibt es nicht. „Wir lernen hier, auf die Menschen zuzugehen“. Die offenen Strukturen, die hier gemeinsam geschaffen werden, verändern die Menschen und ihren Umgang miteinander. Ich frage, was es braucht, um interkulturelle Kompetenzen zu gewinnen und sie sind sich einig: Es muss Orte geben den für den Austausch. Nur das gegenseitige Kennen Lernen und Reden hilft. Immer wieder miteinander reden in gleichberechtigt geschaffenen Strukturen. Im Haus der Kulturen sind es die 30 unterschiedlichen Gruppen, die an der neuen Form des Miteinanders arbeiten. 30 Mal Unterschiede aushalten, 30 Mal Dinge diskutieren. Die Entscheidungsfindung ist dadurch träge. Aber das System funktioniert gut. Auch wirtschaftlich. Wenn auch am Rande des Leistbaren. Jedes Jahr müssen über 100.000 Euro für Strom, Heizung, Instandhaltung aufgebracht werden. Das bindet viel Energie, die besser für inhaltliche Arbeit eingesetzt werden könnte. Aber die Stadt bleibt hartnäckig und unterstützt den Verein nur über Projektzuschüsse. Während unseres Gesprächs wuseln Jugendliche durch die Gärten, harken und reißen Unkraut aus den Beeten. „Es ist schon ein bisschen verrückt“, meint Jawed Yazdani, der Deutschkurse im Haus gibt und die Beratungsstelle Migration betreut, „wir bekommen von der Stadt die schwierigsten Jugendlichen, die hier Arbeitsstunden ableisten sollen. Die Stadt weiß, dass sie hier gut aufgehoben sind und wir uns kümmern, aber einen Zuschuss bekommen wir für unsere Arbeit nicht“. Auf die Frage, ob sie hier so am Rande der Stadt nicht auch Angst haben, vor Übergriffen aus der Rechten Szene reagieren sie mit Lachen. Nein, das haben sie nicht. Erstens ist Göttingen sehr gut organisiert gegen Rechts. Ein Anruf reicht. Und dann erzählt Alexandra Gaddis, die für die Projektarbeit zuständig ist, von einem Jugendlichen, einem Neonazi, der im Haus seine Sozialstunden abgeleistet hat. Er hat sich im Haus sehr unterstützend verhalten, hat seinen Computer gespendet und viel Arbeit investiert. Keine Parolen, keine Beschimpfungen. Das hat er nur draußen gebraucht. Dorit Klüver, Fotos: Haus der Kulturen, Göttingen !kultur 2012 __ 19 ein kulturzentrum macht sich auf den weg Mut gehört dazu, denn manchmal muss man vieles neu und anders machen. Das Kulturzentrum FAUST in Hannover arbeitet zunehmend interkulturell. Der Verein hat – gemeinsam mit anderen - Strukturen entwickelt, die den Verein und den Stadtteil verändern. Durch den Lokalen Integrationsplan für Hannover erhält die Lebensqualität im Stadtteil neue Aufmerksamkeit: Zukunftsweisende Handlungsansätze in der Stadtteilarbeit müssen Inklusion und Kohäsion zusammendenken, die Vielfalt der Bewohner anerkennen und daraus ein gutes Miteinander entwickeln. Auf dieser Grundlage entwickelte das Kulturzentrum FAUST in enger Kooperation mit dem Verein Kargah bereits im Jahre 2008 das Projekt „Linden Vision“. Die erfolgreiche Zusammenarbeit der beiden Vereine führte im Jahr 2010 zum „MiSO-Netzwerk Hannover“ – einem lokalen Netzwerk mit dem Ziel Migrantenselbstorganisationen zu stärken. Der Prozess der Kooperation Das interkulturelle Projekt „Linden Vision“ ist ein Projekt von innen nach außen und vom Kleinen zum Großen. Es beginnt in den Köpfen der Mitglieder. Sie wollen echte Begegnung, offenen Austausch und Veränderung: Regelmäßige Versammlungen aller Beteiligten und spezielle Teamsitzungen. Gleichzeitig wird öffentlich geworben, sich zu beteiligen. Das zusammen Arbeiten und der gemeinsame Erkenntnisgewinn zählt genauso zu den Erfolgen wie die Ergebnisse: der Weg ist das Ziel. Die neue Steuerungsgruppe besteht zu gleichen Teilen aus MitarbeiterInnen von FAUST und Kargah. Sie plant alle Teilprojekte, hier wird produktiv gedacht und ein Weg gesucht mit den kulturellen Unterschieden umzugehen, Vorurteile und Missverständnisse auszuräumen. Alle sind dabei, zu lernen, wie die jeweils „Anderen“ die Dinge wahrnehmen und wie der andere Verein funktioniert. Gleichzeitig fragt der Verein sich: Wie fühlen sich Besucher auf dem Gelände von FAUST ? Sind die Gebäude einladend? Fühlen sich Besucher auf den einzelnen Etagen wohl? Wie interkulturell und kommunikativ sind die Büros, das Café, die Ausstellungshalle? Die Veränderungen, die in jedem Einzelnen und im Team einsetzen, sollten im Gebäude sichtbar werden. Die Weltetage im Kulturzentrum FAUST Die größte Veränderung ist der Umbau der „Ausländeretage“, wie sie genannt wurde, zur „Weltetage“. Feierlich ist allen zumute bei der Eröffnung Ende 2011 - mit Kinderfest und Diskussion. Das neue Gesicht der Etage spiegelt die lebendige Kooperation von FAUST und Kargah sowie der Vereine und Organisationen, die hier ihre Büros und Räume haben. Die Kinderspielwelten Kinder gibt es viele im Stadtteil. Der Spielplatz in der Stärkestraße war trotzdem nicht einladend. Der Platz musste also attraktiver werden und die Wünsche der Kinder und der Eltern sollten Platz finden. Darüber ist es gelungen, ganz unterschiedliche Menschen zu aktivieren. Nicht nur Kinder, auch Erwachsene haben begeistert geplant, gebaut und pflegen den Platz noch immer. Die Kinder und Nachbarn im Stadtteil haben jetzt einen lebens- und liebenswerten Ort, der - verglichen mit anderen Spielplätzen der Stadt - außerordentlich gut angenommen wird. Dieses Projekt wird weiter geführt und neue Projekte werden behutsam entwickelt. „Hier in Linden“ - Interkulturelle Aktionswochen Die Ideen für die Interkulturellen Aktionswochen entstanden in Kooperation mit der IGS Linden. „Liebe in Linden“ war das Thema der Sekundarstufe im Jahr 2010. Es wurden Filme gedreht, die öffentlich gezeigt werden sollten, um die Menschen ins Gespräch zu bringen. Gezeigt wurden sie an ungewöhnlichen Orten. Straßentheater und „Kunst im Schaufenster“ rahmten die Filmveranstaltungen ein. Im Folgejahr standen nicht Filme sondern Erzählcafés im Mittelpunkt der Aktionswochen. Erzählt wurde an unterschiedlichen Orten wie Cafés, Kirchengemeinden, AWO-Heim, Kulturzentrum FAUST. Durch den Ortswechsel konnten viele Menschen er- reicht werden, die sonst außen vor geblieben wären. FAUST hat die Methode weiterentwickelt, denn sie bringt die Menschen in Kontakt zu einander und ins Gespräch miteinander. Mit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ konzipierten sie Workshops, die dazu anregten sich mit der Situation verfolgter Minderheiten auseinanderzusetzen. Die Aktionstage für Menschenrechte FAUST mischt sich politisch ein und engagiert sich für die Menschenrechte. In den vergangenen Monaten sind in vielen Ländern zigtausende von Menschen für ihre Rechte auf die Straßen gegangen, ohne sich von staatlicher Gewalt einschüchtern zu lassen. Diese Ereignisse wirken sich auch auf die Menschen in Linden und in Hannover aus. Viele haben Verwandte und Bekannte in den beteiligten Ländern, manche mussten fliehen und kamen nach Hannover. Vor dem niedersächsischen Landtag steht eine Mahnwache zur Situation in Syrien. Niemand weiß, wie die Entwicklungen in den jeweiligen Ländern weiter gehen, aber es ist zu spüren, dass lokales und globales Geschehen eng miteinander verwoben sind. Anlass für FAUST zwei Wochen rund um den Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2011 "Raum" für Austausch und Reflektion und zum Pläne-schmieden zu schaffen. Unter dem Motto “Menschenrechte 2011 - Die Welt braucht keine Despoten, auch nicht in Syrien” kooperierten Suana, La Rosa, Vietnam-Zentrum, IIK, Janusz-Korczak-Verein, Media21, das MiSO-Netzwerk Hannover, das Kurdenkomitee und die Aktivistinnen und Aktivisten der Mahnwache am Landtag sowie weitere Exil-Syrerinnen und -Syrer. Gemeinsam machten sie aufmerksam auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen und gaben den aktuellen Auseinandersetzungen in Syrien eine Plattform. Es gab vielfältige Aktionen, zum Beispiel auch ein Fest zu Kinderrechten. MiSO - für ein lebendiges und solidarisches Miteinander Das Netzwerk MiSO hat das Ziel, die aktive und verantwortliche Teilhabe der Migrantinnen und Migranten in der Stadtgesellschaft zu verbessern, eine sinnvolle Ergänzung der Vereinsarbeit der MiSO-Mitglieder. Inzwischen arbeitet das Netzwerk mit 28 Mitgliedsvereinen kontinuierlich und erfolgreich. Alle sechs Wochen treffen sich alle beteiligten Organisationen, arbeiten zusammen, entwickeln gemeinsame Positionen, Aktionen und Veranstaltungen, um deren Durchführung kümmert sich ein Koordinationsgremium. Das Netzwerk hat sich folgende Aufgaben gegeben: - Die Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen der Stadtgesellschaft organisieren - Die Kommunikation und den Informationsfluss verbessern - Die Stadtgesellschaft für die spezifischen Probleme von MigrantInnen sensibilisieren - Vereine und Organisationen beraten - Gemeinsame Weiterbildungen planen und organisieren Um dies zu verwirklichen, geht MiSO auf unterschiedliche öffentliche Institutionen zu, nimmt an öffentlichen Veranstaltungen teil und kooperiert mit der VHS im Bereich Weiterbildung. So war MiSO beim Fest der Kulturen dabei, sucht die Zusammenarbeit mit dem Integrationsbeirat und organisiert Weiterbildungsveranstaltungen zum Beispiel zu Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und EDV. Im Herbst 2011 präsentierten MiSO und die beteiligten Vereine sich und ihre Arbeit im Rathaus der Stadt Hannover der Öffentlichkeit. Resumée und Perspektiven Ohne den Mut zur Auseinandersetzung zwischen den handelnden Personen und der Bereitschaft der Institutionen, sich von Teilen ihres Selbstverständnisses zu lösen, kann interkulturelle Arbeit nicht gelingen. Unterschiedliche kulturelle Erfahrungen und die eigenen Vorurteile sind Hürden, die es zu überwinden gilt. Nur dadurch kann eine echte Kooperationen gelingen, die die Grundlage für ein gleichberechtigtes Miteinander in der Gesellschaft ist. Das Projekt „Linden Vision“ zeigt aber in hervorragender Weise, dass sich ein langer Atem in dieser Hinsicht lohnt. Eine Kooperation auf Augenhöhe bietet die Grundlage für viele gemeinsame Projekte in der Zukunft z.B. sind jetzt eine interkulturelle Internetseite für die Stadt Hannover und ein Film- und Theaterprojekt mit Anwohnerinnen im Stadtteil geplant. Hans-Michael Krüger, FAUST Hannover !kultur 2012 __ 21 interkultur als ungefährlicher normalzustand Wann werden Konzepte einer interkulturellen Öffnung oder eines Diversity-Managements Zukunftsmodelle für einen nicht-diskriminierenden Alltag? AkteurInnen der Soziokultur können Interkulturalität leben, zur Weltoffenheit anregen und Diskriminierungen, Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aktiv begegnen – und damit zu einer Gesellschaft der Gleichberechtigung und Vielfalt beitragen. Die Alte Polizei sieht Interkultur als Querschnittsaufgabe: Team und Vorstand setzen Akzente bei der Organisation, der Kommunikation und bei Projekten. Will ein Kulturzentrum den Bevölkerungsmix seiner Stadt - in Stadthagen sind es 20 % Zugewanderte - im Team abbilden, muss sich diese Realität in den Personalentscheidungen spiegeln. Knappe Mittel machen dies zurzeit nur bei Stellen-Neubesetzungen möglich. Interkulturelle Kompetenz ist eine Anforderung an alle: Bei Projektstellen gilt es, kompetente KollegInnen aus Zuwanderer-Communities zu finden; Menschen aus Mehrheits- und Minderheitengruppen sind in der soziokulturellen Arbeit bürgerschaftlich engagiert; durch Praktika arbeiten SchülerInnen und Erwachsene mit und bringen Mehrsprachigkeit ins Spiel. In der Kommunikation öffnen mehrsprachige AkteurInnen für gemeinsame Anliegen neue Türen: Durch die dreisprachige Werbung für das FerienSpaß-Programm (Deutsch, Russisch, Türkisch) steuerten zum Beispiel mehrere Betriebe von ZuwanderInnen Angebote bei. Aktivitäten wie das „Internationale Frauenfrühstück“, das „Café für alle“ und das „Café International“ werben in mehreren Sprachen. Für manche Projekte ist die Zusammenarbeit aller Gruppen konstitutiv, Zuwanderer-Communities nutzen die Räume der Alten Polizei, wie der Integrationsbeirat der Stadt sind sie langjährige Kooperationspartner. Interkulturelle Veranstaltungsformate umfassen das Internationale Picknick im Park, das Internationale Familienfrühstück, mehrere Tanz-Angebote, die Amateur-Kabarettgruppe „Die Mischlinge“, die Beteiligung an den „Stadthäger Zukunftswerkstätten“ bis hin zur Ausbildung „Juleica interkulturell“ und Kooperationen mit europäischen Jugendkampagnen wie „alle anders, alle gleich“ oder „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“. Zusammen mit guten PartnerInnen trägt die Alte Polizei so dazu bei, Interkulturalität als ungefährlichen Normalzustand zu leben, der Neuigkeiten bereit hält und anregend wirken kann – trotz der „Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein“ (Kalpaka/Räthzel, 1994). Eine Plattform für Interkultur hat das Zentrum 2006 mit der „Interkulturellen Woche“ entwickelt, woraufhin 2007 der Arbeitskreis „Interkulturelle Woche Schaumburg“ entstand. Impulse aus dem bundesweiten und internationalen Diskurs gelangen damit in den ländlichen Raum: aus der „Bundesfachkonferenz Interkultur“ oder der Erklärung „Übereinkommen über Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ (UNESCO, 2005). „Wir bekennen uns zueinander, oder wir sehen dabei zu, wie Deutschland sich abschafft“, sagte Mehmet Gürcan Daimagüler, Autor und Jurist, zur Eröffnung der „Interkulturellen Wochen“ 2012. Die Attentate von Gangstern der Neuen Rechten auf Einwanderer und Jugendkulturen sowie der gezielt geschürte alte und neue Rassismus erfordern jetzt aus Sicht der Alten Polizei mehr Aufmerksamkeit und Widerstand der demokratischen Zivilgesellschaft gegen jegliche Form der Diskriminierung als zuvor. Mit dem Aufbau eines kreativen Jugendnetzwerkes und dem AK „Netz gegen Rechts“ versuchen die StadthägerInnen, RESPEKT zu einem Leitmotiv des (jugendkulturellen) Lebens in der Region zu machen. Soziokultur bleibt herausgefordert, zu den Transformationen unserer Gesellschaft kreative Impulse zu entwickeln, um mit interkulturellen und kulturpolitischen Mitteln Wege in eine humane Zukunft zu öffnen. Die Alte Polizei setzt auf: Vielfalt.Aus Prinzip - Mitwirken erwünscht! Klaus Strempel, Alte Polizei, Stadthagen das 1x1 des vereins Die Idee, ein Fortbildungs- und Beratungsangebot für Migrantenorganisationen anzubieten, entstand in einem Beratungsprozess durch die LAGS-Beraterin Dr. Elke Flake für die Stadt Braunschweig als Maßnahmevorschlag für den Integrationsplan der Stadt Braunschweig. Seit einigen Jahren veranstaltet die LAGS in Kooperation mit den Integrationsbüros unterschiedlicher Städte die Fortbildungsreihe 1x1 des Vereins. Gerade in den größeren niedersächsischen Städten sind eine Vielzahl von Vereinen und Initiativen im Migrationsbereich aktiv. Die meisten dieser Gruppierungen sind kleine Vereine mit wenig Geld, die ehrenamtlich geführt werden. Keine leichten Bedingungen für die Aktiven. Die nötigen Kenntnisse, um erfolgreich die Klippen der Vereinsführung, wie Buchhaltung, Steuern, GEMA, KSK etc. umschiffen zu können, sind umso wichtiger. Seit gut 20 Jahren bietet die LAGS in Seminaren dieses Wissen an. Gemeinsam mit den jeweiligen städtischen Büros für Migrationsfragen, den örtlichen Vereinen und Kulturzentren hat die LAGS eine Seminarreihe konzipiert, die an fünf bis sechs Samstagen im Abstand von etwa vier bis sechs Wochen das nötige Basiswissen vermittelt. Die Teilnahme an den Seminaren ist kostenlos. Vorkenntnisse, egal auf welchem Gebiet, wurden nicht vorausgesetzt. Mitgebracht werden musste nur die Zeit und natürlich Spaß am Lernen. Die Seminare werden von den Beraterinnen und Beratern der LAGS gehalten, die auch nach den Seminaren den Vereinen bei Nachfragen und für weitergehende Beratung zur Verfügung stehen. Gern unterstützt die LAGS dabei, vor Ort eine solche Fortbildungsreihe ins Leben zu rufen. Dorit Klüver Foto rechts: Thomas Hof !kultur 2012 __ 23 soziokultur soziokulturelle zentren und vereine • s ind – ähnlich wie Marktplätze – Kultur- und Kommuni- kationsorte für Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Bildungsschichten. • e rmöglichen Kultur und Partizipation im gesellschaftlichen Kontext - schaffen Raum für Innovation und Zeitgeist. •b ieten kontinuierliche und nicht-kommerzielle Veranstaltungen und stellen damit einen wichtigen Teil der kulturellen Grundversorgung in Städten und auf dem Land. • f ördern künstlerischen Nachwuchs und kulturelle Bildung. •b ieten eine öffentliche Infrastruktur für künstlerisches und soziales Engagement von ehrenamtlichen Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen. • initiieren Vernetzung und Kommunikation, Debatten und öffentliche Diskurse. die LAG soziokultur • i st die Interessenvertretung von 75 niedersächsischen Kulturzentren und –vereinen. •o rganisiert den Austausch und die Vernetzung ihrer Mit- glieder untereinander und schafft Raum für Fortbildung und kulturpolitische Diskussionen der Kulturschaffenden. •b ezieht Stellung zu kulturellen und politischen Fragen. •g ibt Impulse für gemeinsame Projekte und sorgt für landesweite Wahrnehmung der Soziokultur. • unterstützt alle kulturellen Sparten durch Beratung. • s etzt sich auf Landesebene für die Belange und Bedarfe soziokultureller Arbeit ein.