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Provincia di Rimini Assessorato alla Cultura Assessorato al Turismo Provincia di Rimini Assessorato alla Cultura Assessorato al Turismo [email protected] www.turismo.provincia.rimini.it Provincia di Rimini Assessorato al Turismo in Rimini und dem rimineser Gebiet Malatestianische Besichtigungstouren I - 47900 Rimini, piazza Malatesta 28 tel. +39 0541 716371 - fax +39 0541 783808 Auf der Umschlaginnenseite befindet sich ein Plan der im Führer besprochenen Orte. Hält man während der Lektüre den Umschlagstreifen geöffnet, wird man neben dem Text die synoptische Kurzbeschreibung haben können. Rimini, historisches Zentrum Tiberiusbrücke Theater Galli Malatesta-Burg Vecchia Pescheria (alter Fischmarkt) Kirche Sant’Agostino Palazzo Gambalunga Palazzo “del Podestà (Stadtvogt)” Römisches Amphitheater Palazzo “dell’Arengo (Bürgerversammlung)” Stadtmuseum Tempio Malatestiano Augustus-Torbogen Mittelalterliche Stadtmauer Mauer von San Giuliano Kirche San Fortunato Provincia di Rimini Assessorato alla Cultura Assessorato al Turismo Agenzia per il marketing di distretto Pier Giorgio Pasini Malatestianische Besichtigungstouren in Rimini und dem rimineser Gebiet In Zusammenarbeit mit Kolophon Koordination: Valerio Lessi Grafik: Relè - Leonardo Sonnoli Fotos aus dem Foto-Archiv der Provinz Rimini Ein Dank an die Fotografen: L. Bottaro P. Cuccurese P. Delucca S. Di Bartolo L. Fabbrini R. Gallini L. Liuzzi G. Mazzanti T. Mosconi Paritani V. Raggi E. Salvatori R. Sanchini F. Taccola R. Urbinati Übersetzung: Erich Czichy Link-Up Rimini Druck: Pazzini Stampatore Editore Villa Verucchio (Rimini) Erste Auflage Februar 2003 Inhalt 4 Die Malatesta Zu den Ursprüngen der Malatesta, zwischen Land und Stadt Damen und Edelmänner Route 1 > 14 Rimini, eine Hauptstadt für den Staat Route 2 > 21 Castel Sismondo, eine Stadt für den Hof Route 3 > 24 Der Tempio Malatestiano, für die Wertschätzung der Nachfahren Route 4 > 31 Kunst beim Niedergang einer großen Signoria Vertiefung > 36 Im malatestianischen Gebiet Bibliographie > 40 Wer mehr wissen möchte Einleitung > www > Besuch uns vor der Abfahrt www.turismo.provincia.rimini.it www.signoriadeimalatesta.it Einleitung > Die Malatesti Oben links, MalatestaWappen des 14. Jhs., im Stadtmuseum Rimini. Oben rechts und unten links, Gefäße aus dem 14. Jh. mit malatestianischem Wappen, ebenfalls im Stadtmuseum Rimini. Unten rechts, Silvio, Sohn des Äneas, einer der unterstellten Ahnen der Malatesta, in einem Fresko des 14. Jhs. in der MalatestaBurg von Montefiore. 4 Man braucht kein besonders aufmerksamer Reisender zu sein, um in der Lombardei und dem Veneto, in der Emilia und den Marken, und natürlich vor allem in der Romagna auf malatestianische Zeugnisse zu stoßen. Wer Museen besucht, wird auch weiter entfernt noch Kunstwerke finden, die sich dem Mäzenatentum der Malatesti verdanken, und nicht nur in Italien, sondern ein wenig überall, auf dem alten und dem neuen Kontinent. Tatsache ist, dass gegen Ende des Mittelalters die malatestianische Signoria zusammen mit der viscontischen und scaligerischen und mit Verzahnungen und Verwandtschaften bei den wesentlichen italienischen und ausländischen Höfen eine der größten der Halbinsel gewesen ist, die auch mäzenatische Ambitionen pflegte, welche mit denen der Este und Gonzaga, der Medici und Montefeltro durchaus wetteiferten. Eine Signoria, die innerhalb der päpstlichen Herrschaftsgebiete entstanden war, von daher häufig den politischen und ökonomischen Interessen des Papsttums zuwider lief und quasi drei Jahrhunderte andauerte: erdrosselt in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. durch die unnachgiebige Opposition eben genau des Papsttums, das daran interessiert war, Ordnung zu schaffen und wieder Ruhe in seine Herrschaftsgebiete zu bringen. Wahrscheinlich ist Malatesta ursprünglich nur ein simpler “Spitzname” gewesen, der - sicherlich nicht wohlwollend - eine besonders obstinate oder böse Persönlichkeit qualifizierte; dann wurde er zu einem echten Namen und auch so geläufig, dass man ihn der gesamten Familie beigab (im Singular oder im Plural: “die Malatesti”): und tatsächlich war das auch ziemlich angemessen: denn während der Wechselfälle der malatestianischen Geschichte kamen furchtbare Episoden (von oft unmenschlicher und bei klarem Verstand geplanter Grausamkeit) häufig genug vor, und sie waren gegen alle gerichtet - auch gegen enge und entferntere Verwandte -, die die Macht der vorherrschenden Gruppe gefährden konnten (oder tatsächlich gefährdeten). Die Malatesti sind vor allem Soldaten gewesen, besser gesagt Kondottiere (Söldnerführer, Feldherren), wie dies ja auch ihr ältestes und wichtigstes Wappen deutlich macht: ein Schild mit drei karierten Schrägbalken, welches ganz klar aufs “Kriegsspiel” anspielt. Ihr politisches und ökonomisches Geschick war den Waffen anvertraut; der Krieg, vor allem der Söldnerkrieg (den man für andere führte) war eine große Einnahmequelle, unverzichtbar, sowohl um den jährlichen Tribut an die päpstlichen Kassen abführen zu können - wozu die Malatesti verpflichtet waren, insofern es sich bei ihnen um “Vicari” handelte (heute könnte man sagen: Mieter oder Konzessionäre)-, wie auch um den Erfordernissen eines stets größeren und gepflegteren Hofes nachzukommen, was natürlich Mäzenatentum beinhaltete, Aktivitäten, die jenseits der ernsthaften Liebe zur Kunst Repräsentations-, Prestige- und Propagandaerfordernissen geschuldet waren. Also, die Malatesti sind vor allem Kondottiere gewesen; aber in der langen Geschichte der Familie trifft man häufig, speziell ab Mitte des 14. Jhs., auf Persönlichkeiten mit bemerkenswerten kulturellen Interessen und von einzigartigem kulturellen Format: zum Beispiel Pandolfo II aus dem pesareser Zweig, der die Literatur liebte und zu einem Freund Francesco Petrarcas wurde, welchen er 1361 am carrareser Hof in Padua kennen gelernt hatte; oder sein Sohn Malatesta, den man “den der Sonette” nannte. Galeotto Malatesta hingegen, der Signore von Rimini, den man Malatesta Ungaro nannte, weil ihn Luigi I “il Grande”, König von Ungarn, 1347 zum Ritter geschlagen hat, war ein abenteuerlustiger und wissensdurstiger Reisender: er begab sich ins Heilige Land und an die päpstliche Kurie von Avignon, später nach Frankreich, Flandern und England. Der Onkel von Pandolfo II und Malatesta Ungaro, Galeotto, war berühmt für seine Waffenkunst und Weisheit: 1368 verlieh Urbano V ihm die Würde eines Senators von Rom; in erster Ehe (1323) hatte er Elise de la Villette geheiratet, Nichte (oder Enkelkind) des päpstlichen Gouverneurs der Mark, Amelio di Lautrec. Auch sollte man Carlo Malatesta nicht vergessen, Riminis Signore von 1385 bis 1429, der eine beachtliche Rolle bei der Komposition des großen “abendländischen Schismas” spielte und den legitimen Papst, Gregorio XII, in Rimini beherbergte (“womit er der Stadt für einige Zeit nicht nur die Würde der Hauptstadt der malatestianischen Signoria gab, sondern die umsoviel ambitioniertere der Hauptstadt der katholischen Welt”, wie dies der Historiker Gino Franceschini anmerkt). Sein Bruder Pandolfo III, Signore von Brescia, Bergamo und Fano hat sich prächtige Bücher schreiben und ausschmücken und seine brescianer Residenz von Gentile da Fabriano dekorieren lassen (1414 - 1418). Praktisch überflüssig ist es schließlich, noch an das Mäzenatentum seiner Söhne Sigismondo und Malatesta Novello zu erinnern, aus dem zwei große noch vorhandene Werke hervorgingen: der Tempio Malatestiano in Rimini und die Biblioteca Malatestiana in Cesena. In der Stadt - und vor allem an den malatestianischen Höfen - zirkulierte ab der Mitte des 14. Jhs. für mehr als hundert Jahre eine kosmopolitische, lebendige Kultur, die reichlich Zufluss und Umsetzung erkennen lässt. 6 Einleitung > Zu den Ursprüngen der Malatesti, zwischen Land und Stadt Die Ursprünge der Malatesti hat man weder zeitlich noch räumlich in weiter Ferne zu suchen, wie dies hingegen die von ihren gelehrten Höflingen erfundenen und in Umlauf gesetzten schmeichlerischen Legenden glauben machen möchten. Tatsächlich sind die frühesten Dokumente, in denen die Malatesti erwähnt werden, nicht älter, als aus dem 12. Jh., betreffen Landbesitz in der südlichen Romagna und übermitteln Anzeichen eines offenen Konfliktes mit der Gemeinde Rimini. In der Substanz dürfte es sich bei der Malatesta-Familie um große Landbesitzer und Räuber gehandelt haben, die das mittlere Marecchia-Tal dominierten, die die von Rimini ins Binnenland führenden Straßen kontrollierten, wobei sie sich auf den Besitz zweier gut befestigter Orte stützten: Pennabilli und Verucchio, die sich auch heute noch um den Ruhm streiten, Geburtsort der Familie zu sein. Mag sein, dass dem malatestianischen Geschick weder das Vertrauen und der Schutz der Erzbischöfe von Ravenna, die in der Romagna und den Marken viel Grundeigentum besaßen, fremd waren, noch die Freundschaft, Komplizenschaft und Verwandtschaft mit den wichtigsten romagnolischen Familien. Aber anfangs bestimmend war vielleicht dennoch eine weit zurück reichende Verwandtschaft mit der berühmtesten und mächtigsten Feudalfamilie der Zone: Carpegna. Von den Carpegna scheinen im übrigen fast alle wichtigen Familien der feretraner und romagnolischen Höhenzüge abzustammen. Ab einem bestimmten Punkt muss durch die Kontrolle des Gebietes und der Straßen, und das bedeutet: der Agrarproduktion und des Handels, der Druck der Malatesti auf Rimini so stark geworden sein, dass er die Ökonomie der Stadt in ernsthafte Gefahr brachte und zu einem offenen Krieg führte, der 1197 durch einen Reparationsvertrag mit Giovanni de Malatesta und seinem Neffen Malatesta minore zum Abschluss kam. In der Folge setzte die rimineser Gemeinde eine ganze Reihe von Operationen in Gang, um die Interessen der Malatesti an das Schicksal der Stadt zu binden. So wurden die Malatesti zu Mitbürgern ernannt, dann hat man ihnen einen Sitz im Stadtrat zugestanden (1206), und schließlich lud man sie ein, ständig innerhalb der Stadtmauern zu wohnen; um “sie” zu diesem Schritt “zu zwingen” - den man für unverzichtbar hielt, um sie von ihren Machtzentren zu entfernen und kontrollieren zu können -, wurden sie von Steuern befreit und mit Darlehen finanziert (1216). Ab den zwanziger Jahren des 13. Jhs. tauchen die Malatesti als wichtige Persönlichkeiten der Stadt auf, sie repräsentieren sie in amtlichen Verträgen und garantieren für sie, sie unterstützen die “gibellinische (antiklerikale A.d.Ü.)”, das heißt die kaiserfreundliche Politik. Von 1239 bis 1247 ist Malatesta della Penna, der 1228 Stadtvogt von Pistoia gewesen war, sogar Stadtvogt von Rimini. Der Weg zur Ausübung der absoluten Macht über die Stadt ist nun geöffnet. Im Laufe weniger 7 Jahrzehnte bringen sich die Malatesti in den “Besitz” aller zivilen und religiösen Ämter, und nach und nach entmachten sie die städtischen Organe, ohne sie abzuschaffen, indem sie jeden, der ihre Vormacht bedrohen könnte, bekämpfen, jagen und umbringen. Bei ihrer Ankunft in der Stadt konnten sich die Malatesta-Leute bezüglich Herkunft und Raffinement gewisslich nicht vergleichen mit den noblen rimineser Traditionsfamilien, wie den Omodei, den Gamberacerri und den Parcitadi; es handelte sich um “neue” und rohe “Leute”, die jedoch auf riesige Reichtümer und wichtige Stützen zählen konnten, welche das Ergebnis einer listigen Heiratspolitik und einer klugen Politik der Allianzen waren. Außerdem konnten sie zählen auf die territoriale Kontrolle und eine ohne moralische Bedenken in absolut skrupelloser Weise ausgeübte Macht. Aber, einmal an der Macht, versuchten sie, sich eine weit zurückliegende Abstammung und damit sehr alte Adelstitel zuzuschreiben. So ist es möglich, auf legendenhafte Erzählungen zu stoßen, die den Ursprung des Hauses beim großen Patriarchen Noah ansiedeln; oder bei Tarcone, einem mythischen trojanischen Helden, einem Vetter von Hektor und Äneas; oder bei Otto III, dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches; oder - auch noch - bei Scipio, genannt “der Afrikaner”. Dem Mythos dieses Letztgenannten war besonders Sigismondo Pandolfo zugetan, der berühmteste der Malatesti, ein tapferer Kondottiere und Schutzherr von Schriftstellern und Künstlern, Signore Riminis in den Jahren 1432 bis 1468. Auf der nebenstehenden Seite, Stammbaum der Malatesta, nach L. Nissim Rossi (1933). 9 Einleitung > Damen und Edelmänner Auf der nebenstehenden Seite, Malatesta-Wappen des 14. Jhs., an der Burg in Montefiore. 10 Es scheint, dass der erste Adelstitel der Malatesti Kaiser Friedrich II von Schwaben geschuldet ist, der 1220 und 1226 in Rimini war; er persönlich schlug Malatesta della Penna zum Ritter, dessen Sohn Malatesta da Verucchio, wegen seines langen Lebens (1212 - 1312) auch der Hundertjährige genannt, dann die Basis für die tatsächliche und offizielle Macht über die Stadt und ihr gesamtes Gebiet legte: zunächst, indem er Concordia dei Pandolfini heiratete (die Tochter des kaiserlichen Landvogtes Messer Arrighetto oder Enrichetto), die eine reiche Mitgift von Besitztümern in der südlichen Romagna mitbrachte, und dann, weil er sofort nach der Niederlage Friedrichs II bei Parma (1248) die kaiserliche Partei verließ, um sich der päpstlichen Sache zu verpflichten: ein Seitenwechsel, der 1266 durch eine neue Heirat unterstrichen wurde; dieses Mal mit der reichen Nichte des Statthalters und apostolischen Legaten der Marken und des Herzogtums Spoleto. Die für die Malatesti und Rimini kennzeichnende Tradition des “Guelfismo (klerikale Politik, A.d.Ü.)”, die den “gibellinischen Flüchtling” Dante Alighieri so sehr entrüstete, fängt mit ihm an; mit ihm und mit seinen Söhnen scheint auch die Tradition entsetzlichen Verrats und grausamer Verbrechen zu gipfeln, die für viele Jahrzehnte - in einem Gesamtbild von Auseinandersetzungen zwischen Papst- und Kaisertum und konfusen lokalen Rivalitäten - den Kampf zum Anwachsen oder zur Verteidigung der Familienmacht kennzeichnete und die eben genau im gibellinischen Dante einen ebenso präzisen wie aufrührerischen Ankläger und Propagandisten gefunden hat. Mit wenigen berühmten Versen hat Dante die rimineser und malatestianische Situation am Anfang des 14. Jhs. wirkungsvoll umrissen: und aus Verucchio auch die beiden Hunde, die mit Montagna böse erst verfahren, bohren die Zähne in die alten Wunden (Die Hölle, Siebenundzwanzigster Gesang, Verse 40 - 57; zitiert nach Hermann Gmeliens Übersetzung bei Reclam) Wie man gut weiß, sind die beiden Hunde Malatesta da Verucchio und Malatestino dall’occhio und Montagna der alte Parcitadi, aus dem Uradel Riminis, ein Anführer der lokalen Gibellinen, der zum Gefangenen gemacht und 1295 hingeschlachtet wird. Malatestino dall’occhio (so genannt, weil halbblind) wird von Dante schändlicher Tyrann genannt; er erinnert an ihn als jenen Verräter mit dem einen Auge und legt ihm die Ermordung der beiden Herren von Fano, Iacopo del Cassero und Agnolello da Carignano zur Last (Die Hölle, Achtundzwanzigster Gesang, Verse 76 90). Dieses Verbrechen bahnte die Straße zur malatestianischen Inbesitznahme Fanos und eines guten Teils der Marken. Das Leben der Malatesta-Familienangehörigen war vollständig der Politik unterworfen; nur die “Staatsraison” also regelte auch die Ehen (wovon Allianzen und das Anwachsen des Reichtums und der Macht abhingen), die - natürlich - oft scheiterten. Für die Männer der Familie war dies Oben, Paolo und Francesca überrascht von Gianciotto, Gemälde von Clemente Alberi (1828), Stadtmuseum Rimini. Unten, Isotta degli Atti, Geliebte und dann dritte Gattin Sigismondos, auf einer Medaille von Matteo de´Pasti (ca. 1453), ebenfalls im Stadtmuseum Rimini. 13 kein Problem: tatsächlich war für sie die Untreue quasi die Regel; die mehr oder weniger offiziellen Geliebten waren respektiert, und sie organisierten sich ihren Hof, während die unehelichen Kinder als ein potentieller Reichtum der Familie angesehen und häufig legalisiert wurden: auch Galeotto Roberto, Sigismondo und Domenico Malatesta zum Beispiel waren außereheliche Kinder (von Pandolfo III). Aber für Frauen war die Situation ziemlich anders. Alle werden sich an den “Fall Francesca” erinnern. Wiederum war es Dante, und nur er, der von der Liebe zwischen den verschwägerten Paolo dem Schönen und Francesca da Polente und von dem tragischen Ende beider durch die Hand des betrogenen Ehemanns Gianciotto (Giovanni “ciotto”, d.h. hüftlahm) berichtet; im Fünften Gesang der Hölle. Gianciotto und Paolo waren Brüder, und Söhne jenes Malatesta, den Dante “Mastin vecchio” genannt hat. Die Ehe zwischen Gianciotto und Francesca war Teil eines gut vorbereiteten Verwandtschaftsplans zwischen den Polentani und den Malatesti gewesen, der die Herrschaft in der Romagna kräftigen sollte. Die Tragödie, wenn es sie denn wirklich gegeben hat, muss in den Jahren 1283 und 1284 in Rimini in den malatestianischen Häusern angesiedelt werden (aber der Ort des Treuebruchs und des Verbrechens zu sein, wird auch von Gradara, Pesaro und Santarcangelo beansprucht). Was mit Francesca geschah, war nicht das einzige “GefühlsMissgeschick”, das den malatestianischen Damen widerfuhr, die sich in vielen Fällen als Rebellinnen gegen das von der Familienpolitik (und der geläufigen Moral) geforderte Verhalten erwiesen haben: es wird genügen, nur kurz an den berühmten Fall der Parisina Malatesta zu erinnern, die ihr Ehemann Nicolò d’Este 1425 in Ferrara enthaupten ließ, weil sie zur Geliebten des Stiefsohns Ugo geworden war; oder an die Frau von Andrea Malatesta, Rengarda Alidosi, die man wegen Untreue verstieß und die 1401 von ihren Brüdern umgebracht wurde. Aber diesen “abwegigen” Frauenfiguren stellt die Geschichte der Familie viele andere von großer Tugendhaftigkeit und großem Mut entgegen: Polentesia da Polenta, Frau von Malatestino Novello, die 1326 den Ehemann vor einer Verwandtenverschwörung rettete; Gentile Malatesta, Witwe von Galeazzo Manfredi, die Faenza für die Söhne regierte und es 1424 im Kampf gegen Florenz verteidigte; die weise Elisabetta Gonzaga, Frau von Carlo Malatesta, die die Neffen Galeotto Roberto, Sigismondo und Domenico (Malatesta Novello) aufzog; oder die schöne Isotta degli Atti, Geliebte und später Frau von Sigismondo, die Anregerin eines äußerst feinen Hofes; oder schließlich die wohltätige Annalena Malatesta, die nach der Tötung des Ehemannes Baldaccio d’Anghiari (1441) ihr Hab und Gut den Armen zur Verfügung stellte und ihr florentiner Haus allen hilfs- und asylbedürftigen Frauen öffnete. Route 1 > Rimini, eine Hauptstadt für den Staat Oben, die mittelalterlichen Mauern Riminis beim Augustus-Torbogen; unten, der Augustus-Torbogen, das römische Stadttor Riminis, erbaut am Ende der Via Flaminia im Jahr 27 v. C. 14 Nachdem Malatesta der Hundertjährige, sowie seine Söhne und seine Enkel ihre Herrschaft in der Romagna in Auseinandersetzungen mit den päpstlichen Statthaltern gefestigt hatten, haben sie sie auch in den Marken bis nach Ascoli Piceno und in der Toskana bis nach Borgo San Sepolcro ausgeweitet. Lange Zeit verlangten sie - ergebnislos - vom Papst eine offizielle Belehnung dieser Lande, die der Kirche gehörten und die sie ohne anderes Recht als das der Gewalt okkupiert hatten. Erst 1355 wurden sie zu Vögten in temporalibus über die Städte und Territorien Rimini, Pesaro, Fano und Fossombrone nominiert, und zwar gegen eine jährliche Zahlung von 6.000 Florentiner Talern, einen Beitrag an Männern für die Truppen des päpstlichen Statthalters (Kardinal Egidio Albornoz) und die vertragliche Zusicherung, dass sie die südlichen Marken “zurückgeben” würden. Überall in diesem Gebiet von beachtlichem Ausmaß - einem echten Staat, der innerhalb des Kirchenstaates geschaffen worden war - erbauten die Malatesti befestigte Orte und Burgen, die es gegen interne und äußere Feinde verteidigen konnten, und sie organisierten ein stabiles System militärischen Schutzes, was zur Verteidigung der generell unsicheren und provisorischen Grenzen, die von mächtigen Nachbarn stets infrage gestellt wurden, lebenswichtig war. Vor allem drei Städte wurden mit wirksamen Verteidigungsanlagen, großen Residenzen und effizienten Kanzleien versehen und so ausgerüstet, dass sie die Funktionen einer Hauptstadt erledigen konnten: Rimini, Cesena und Pesaro. Was alle drei auch geworden sind; unterschiedlichen Zweigen der Malatesta-Familie anvertraut, die manchmal friedlich nebeneinander lebten, oft aber im Widerstreit lagen, sich angriffen und sich ohne Skrupel gegenseitig verrieten. Die strahlendste der malatestianischen Hauptstädte und die, die als solche am längsten währte, ist Rimini gewesen: wir können sagen, dass die malatestianischen Geschicke zum größten und besten Teil in dieser Stadt begonnen und geendet haben. Gegenwärtig sind die Zeichen der malatestianischen Herrschaft in Rimini nicht sehr augenfällig. Vor allem hat man sie in den mittelalterlichen Stadtmauern zu suchen, die umgebaut und restauriert, dann niedriger gemacht und schließlich ihrer Gräben beraubt und teilweise zerstört worden sind. Gewiss hatte die Stadtgemeinde schon seit dem 12. Jh. für einen Verteidigungsgürtel gesorgt, dessen Verstärkung Kaiser Friedrich II veranlasst hat; aber seine Vervollständigung erfolgte erst unter den Malatesti, die teilweise sogar die Stadtviertel ummauern ließen. Die best erhaltenen Teile der mittelalterlichen Mauer befinden sich im Süden und Osten des historischen Zentrums; man kann sie von der Via di Circonvallazione und dem Parco Cervi her sehen; unterbrochen sind sie in Höhe des Augustus-Torbogens, des antiken östlichen Stadtportals, das Oben links, ein Wehrturm der malatestianischen Mauer des Viertels San Giuliano in Rimini; rechts, Apsis und Glockenturm der Kirche Sant´Agostino aus dem 13. Jh. in Rimini. Unten, zwei Details von Fresken der "Rimineser Schule des Trecento" in der Apsis derselben Kirche und im Stadtmuseum. 17 im Jahr 27 v. u. Z. zu Ehren des Kaisers Augustus, der die wichtigsten Straßen Italiens pflastern ließ, umgebaut und verschönert worden war; so tat dies die Inschrift auf der Attika kund, die jetzt durch Zinnen ersetzt ist. Hier gelangt die von Rom kommende Via Flaminia an ihr Ende. Vor den Augustus-Torbogen hatte man im Mittelalter ein großes Tor gesetzt, das, wie alle anderen, mit Ausnahme der jetzt halb begrabenen “Porta Galliana” zerstört worden ist. Letzteres wird auch “L’arco di Francesca”, der Francesca-Torbogen genannt. Es befindet sich in der Nähe des Hafens, dessen Verlauf immer noch so ist, wie er am Anfang des 15. Jhs. durch eine deutlich modifizierte Mündung des Marecchia-Flusses von Carlo Malatesta erbaut worden ist; seinerzeit lag das Meer sehr viel näher und reichte in Höhe der jetzigen Eisenbahnbrücke bis vor den FrancescaTorbogen. Jenseits des Hafens und damit des Flusses, den man auf der nahen Tiberius-Brücke überquert (einer der großartigsten und best konservierten der Römerzeit: 14 - 21 n. u. Z.), befindet sich das Stadtviertel San Giuliano, dessen Anlage mittelalterliche Züge aufweist; es wird dominiert von der wichtigen Kirche San Giuliano, vormals eine im 16. Jh. erneuerte, San Pietro gewidmete Benediktiner-Abtei (am Hauptaltar befindet sich eines der letzten Meisterwerke Paolo Veroneses aus dem Jahr 1587, welches Das Martyrium von San Giuliano darstellt). Die Meerseite dieses Viertels, vormals ein Jagdreservat der Malatesti (“Hirschgarten”), wird durch eine Mauer und Wachtürme aus der zweiten Hälfte des 15. Jhs. verteidigt, die vielleicht Roberto Malatesta geschuldet sind. Eine indirekte aber doch überzeugende Spur der Aktivitäten der Malatesti war durch die zahlreichen Klöster und Kirchen der religiösen Orden gegeben: Augustiner, Franziskaner, Dominikaner, Humiliaten, Serviten kamen mit Hilfe der Malatesti in die Stadt. Aber die einzige rimineser Kirche, die mit deutlichen mittelalterlichen Strukturen überlebt hat, ist San Giovanni Evangelista, vormals die der Eremiten des Sant’Agostino (die deshalb auch Sant’Agostino genannt wird), deren Kennzeichen ein hoher gotischer Glockenturm ist. In der Apsis und in der Glockenturmkapelle kann man immer noch Fresken aus dem frühen 14. Jh. bewundern, die von unbekannten rimineser Malern stammen (wahrscheinlich den Brüdern Zangolo, Giovanni und Giuliano da Rimini): sie stellen Christus und die erhabene Jungfrau und außerdem die Geschichten von San Giovanni Evangelista und der Jungfrau dar. Hier wird auch ein herrliches, auf Holz gemaltes Kruzifix aufbewahrt, während sich ein großes Jüngstes Gericht, ursprünglich ein Fresko auf dem Triumphbogen, zusammen mit weiteren Werken aus demselben Zeitraum im Stadtmuseum befindet. In der ersten Hälfte des 14. Jhs. hat sich in Rimini eine Mal-”Schule” herausgebildet, die sich durch eine frühe Wertschätzung der Oben links, der SakristeiGlockenturm von Santa Colomba, einzig verbliebener Teil der antiken Kathedrale Riminis. Oben rechts, Piazza Cavour in Rimini mit den antiken kommunalen Palazzi und unten links, der Palazzo “dell´Arengo (Bürgerversammlung)” (1204). Unten rechts, Ansicht Riminis um 1450, Basrelief von Agostino di Duccio im Tempio Malatestiano. 18 Kunstauffassung Giottos auszeichnet. Ihre Originalität besteht im Gebrauch einer zarten, sanften Farbgebung byzantinischer Tradition, die mit einer zum Lyrismus neigenden Erzählweise überein geht, aber nicht frei ist von scharfen naturalistischen Beobachtungen; auch ikonografische Extravaganzen sind ihr nicht fremd und demonstrieren die Ungezwungenheit, mit der diese Künstler die Subjekte der Tradition aufgegriffen, und die Geistesfreiheit, mit der sie die giottischen Innovationen akzeptiert haben. Die “Rimineser Schule” ist in der ersten Hälfte des 14. Jhs. in der Romagna, den Marken, der Emilia und Venetien sehr aktiv gewesen; generell in den Gebieten, in denen die Malatesti präsent waren oder wo deren Einfluss spürbar war. Man hat versucht, die Beauftragung Giottos zur malerischen Ausschmückung der rimineser Franziskanerkirche am Ende des 13. oder in den ersten Jahren des 14. Jhs., wovon nur noch ein großes, sehr humanes Kruzifix erhalten ist, den Malatesti zuzuschreiben (die Kirche ist natürlich San Francesco gewidmet; sie wird Tempio Malatestiano genannt und seit Beginn des 19. Jhs. ist sie die Kathedrale der Stadt). Die rimineser Aktivität Giottos auf einen direkten Auftrag der Malatesti zu beziehen, mag gewagt erscheinen; vielleicht aber doch nicht sehr, wenn man bedenkt, dass der Bereich, in dem der toskanische Maler sich bewegte, genau die großen Höfe und die großen guelfischen Familien waren, die sich der römische Kurie verbunden hatten, den Angioinie und Francescani, genau wie die Malatesti. In Rimini hatten die Malatesta viele Immobilienerwerbungen getätigt, und zwischen dem 13 und 14. Jh. hatten sie die ihnen von der Gemeinde angebotenen Häuser vergrößert; sie lagen in strategischer Position, nahe der Kathedrale und am “Del Gattolo”-Tor, das zum Binnenland und zu ihren historischen Besitztümern ins Marecchia-Tal hinaus führte. In seinem Testament (1311) nennt Malatesta der Hundertjährige dieses Haus palatium magnum, und er lässt uns wissen, dass es mit einer Curia ausgestattet war, was bedeutet, mit einem Saal für Audienzen. Es ist teilweise zerstört und teilweise in das Kastell einverleibt worden, das in der ersten Hälfte des 15. Jhs. von Sigismondo Pandolfo Malatesta erbaut worden ist. Quasi alle großen Gebäude aus den ersten Jahren der malatestianischen Präsenz und Herrschaft sind verschwunden oder radikal umgebaut worden. Auch die antike Kathedrale Santa Colomba ist zerstört worden (gerade mal überlebt hat ein Teil der enormen Glockenturm-Sakristei an der Piazza Malatesta aus dem 14. Jh.). Außer der bereits erwähnten, sehr umgebauten Kirche der Augustiner seien die Stadtgemeindepaläste genannt: der “dell’Arengo” mit seinen großen Mehrbogenfenstern und den schönen frühgotischen Bögen, er stammt aus dem Jahr 1204; der “del Podestà” stammt aus dem 14. Jh., aber er ist zu Beginn des vorigen Jahrhunderts substantiell restauriert und umgebildet worden. In die Kämpfer eines Bogens der Seite dieses Palastes sind schlichte heraldische angioinische (die Lilien) und malatestianische (das Schachbrettmuster) Motive eingemeißelt worden. Zwischen dem Malatesta-Palast, der Kathedrale und den Stadtgemeindepalästen spielte sich ein Großteil des öffentlichen zivilen und religiösen Lebens der Stadt ab, man traf die Entscheidungen über die Politik des Staates und man erledigte die Gerichtsbarkeit. In dieser Zone, dem wirklichen städtischen Leitungszentrum, hatten auch die ökonomischen Aktivitäten ihren Sitz: die Theken der Notare und Juden und der Markt, der sich um den einzigen antiken Brunnen herum, vor dem ArengoPalast abspielte. Diesen Brunnen gibt es noch immer, und da er im sechzehnten Jahrhundert großenteils erneuert und danach häufig restauriert worden ist, bewahrt er einen archaischen Geschmack und manches mittelalterliche Element; wegen seiner runden Form und der einander überragenden Becken erinnert er, auf bescheidenere Weise, an den berühmten Hauptbrunnen von Perugia. Eine mögliche “malatestianische Besichtigungstour” könnte genau hier bei dieser antiken Piazza der Gemeinde oder des Brunnens (jetzt Piazza Cavour) beginnen, ebenso nahe den Überresten der ursprünglichen Kathedrale, wie der Hauptresidenz der Malatesti (dem Castel Sismondo) und der Kirche Sant’Agostino. Durch den Corso d’Augusto kommt man leicht zur Piazza Tre Martiri, dem antiken Forum des römischen Rimini (mit einem Stein, der an Cäsars Ausspruch vom Überschreiten des Rubikons erinnert, und einer Kapelle zum Angedenken an ein berühmtes Wunder des Sant’Antonio von Padua, dem der Maultierstute), und wenn man dann in Richtung Meer abbiegt, trifft man auf den Tempio Malatestiano. Wir besitzen ein außergewöhnliches “Portrait” des malatestianischen Rimini aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts: es handelt sich um ein Basrelief auf einer Fliese des Tempio Malatestiano, das mit der für Agostino di Duccio üblichen Feinheit gemeißelt worden ist und den Krebs darstellt, das Tierkreiszeichen der Stadt und seines Signore, Sigismondo Pandolfo Malatesta. 20 Route 2 > Castel Sismondo, eine Stadt für den Hof Rimini Castel Sismondo piazza Malatesta, 28 Tel. 0541 29192 (Fondazione Carim) www.fondcarim.it [email protected] Während des Jahres gibt es im Kastell Ausstellungen von nationalem Niveau. 21 Von dem großen malatestianischen Haus, das im 13. Jh. nahe dem “Del Gattolo”-Tor erbaut worden ist, verblieb nichts als wenige und unsichere, ins Kastell einverleibte Spuren; von dem Kastell hingegen, das im 15. Jh. Sigismondo Pandolfo Malatesta erbauen ließ, hat nur der zentrale Kern überlebt. Sein gegenwärtiger Zustand ist - mehr als den beträchtlichen, im 17. Jh. erlittenen Umbauten (mit denen es an eine moderne Festung angepasst werden sollte) und den Bombardierungen im letzten Krieg - den desaströsen Schleifungen des 19. Jhs. geschuldet, die zur Beseitigung einiger seiner Teile führten, vor allem zur Zerstörung des Mauergürtels und der äußeren Bollwerke sowie zum Zuschütten der Gräben. Sigismondo begann mit dem Bau am 20. März 1437, dem vorletzten Mittwoch der Fastenzeit, um 18.48 Uhr: Tag, Stunde und Minute waren wahrscheinlich mit Hilfe der Hofastrologen festgelegt worden. Und er proklamierte die Fertigstellung offiziell im Jahre 1446; dies war für ihn ein besonders glückliches Jahr: aber in Wirklichkeit wurde hier auch 1454 noch gearbeitet, und es kann sein, dass man niemals dem ursprünglichen Projekt entsprechend fertig wurde, das - wie einige zeitgenössische Bilder uns zeigen - noch eine große, alles überragende Zitadelle vorsah. Zu jener Zeit, 1437, erfreute sich die malatestianische Signoria eines beachtlichen wirtschaftlichen Wohlergehens und der knapp zwanzigjährige Sigismondo, der aber schon seit drei Jahren Gonfaloniere der Kirche war, einer großen persönlichen Berühmtheit als Söldnerführer (was glänzende Einnahmen mit sich brachte). Das Kastell war gleichermaßen als Schloss und Festung konzipiert worden, als würdiger Sitz des Hofes und der Garnison, als Zeichen der Macht und Oberhoheit über die Stadt. Um es zu erbauen und mit einem Respekt heischenden Gürtel zu umgeben, wurde ein ganzes, eng bebautes Viertel niedergerissen, das große Gebäude und Wohnhäuser, aber auch den Bischofssitz, ein Kloster und das Baptisterium der nahe gelegenen Kathedrale umfasste. Als Architekt des Ganzen wurde von den Schriftstellern des Hofes Sigismondo selbst gerühmt, der sich tatsächlich ja auch auf den großen, marmornen, ins Bauwerk eingemauerten Epigraphen die Vaterschaft zuschreibt. Wenn man mit “Architekt” Inspirator, Ideengeber, Koordinator meint, das heißt einen Auftraggeber mit sehr präzisen Ansprüchen und Ideen, dann können wir diese “Zuschreibung” durchaus akzeptieren: die herausragende Begabung Sigismondos für die Kriegskunst und seine Erfahrung als Heerführer sind ja bekannt. Allerdings hat er sich der Arbeit verschiedener Kenner und Spezialisten bedienen müssen; wir wissen von einer wichtigen Beratung gleich nach der Arbeitsaufnahme durch Filippo Brunelleschi, der 1438 ein paar Monate in Rimini war und eine ganze Reihe von Inspektionen bei den malatestianischen Hauptbefestigungsanlagen in der Romagna und den Marken erledigte. Selbst heute noch geht von dem Bauwerk eine beachtliche Faszination Oben, Castel Sismondo, der antike Festungs-Palazzo Sigismondos (1437 - 1446). Unten, Malatesta-Wappen und eine andere Ansicht von Castel Sismondo. 23 aus: mit seinen dicken quadratischen Türmen und den mächtigen geböschten Mauern, deren ursprüngliche Wirkung, als sie sich vom Grund der Gräben her erhoben, wirklich außergewöhnlich gewesen sein muss; Roberto Valturio vergleicht sie, was ihre Neigung und Großartigkeit angeht, nicht zu Unrecht mit Pyramiden. Den Eingang zur Stadt, dem ein Erdwall und ein doppeltes Außenwerk mit Zugbrücken über die Gräben vorgelagert war, schmückt auch jetzt noch ein Wappen; es besteht aus dem klassischen Schild mit karierten Balken unter einem Elefantenkopf-Helmschmuck, der von einer vierblättrigen Rose überkrönt und flankiert wird: es handelt sich um ein pisanellianisch inspiriertes Relief von guter Qualität, das, wie die gotisch anklingenden Kadenzen der Darstellung bezeigen, ein wahrscheinlich venetischer Künstler gemeißelt hat. Links und rechts vom Wappen steht mit hohen und pittoresken gotischen Kleinbuchstaben “Sigismondo Pandolfo” geschrieben. Zwischen dem Wappen und dem marmornen Portal befindet sich eines der dem Kastell gewidmeten Epigraphen. Der im Lapidarstil gemeißelte feierliche lateinische Text (eines der ersten Beispiele für die Wiedergeburt der klassischen Schrift) besagt, das Sigismondo dieses Gebäude 1446 zum Schmuck der Rimineser von Grund auf errichtet hat und festlegte, dass man es mit seinem Namen nenne: Castel Sismondo. Es war schon ein erstaunlich starkes Stück Sigismondos, dieses Bauwerk ariminensium decus zu nennen, genügt doch schon ein bloß flüchtiger Blick auf die Anlage seiner Türme, die alle gegen die Stadt gerichtet sind, um zu begreifen, dass es eher konzipiert worden ist, um den Signore gegen eventuelle Revolten der Rimineser zu verteidigen: als ob die wenigen erinnerten Umsturzversuche der Vergangenheit in der Bewertung des Signore so sehr viel mehr wiegen würden, als die seitens äußerer Feinde drohenden Gefahren. Auch wenn man sich das in jener Zeit übliche Konzept der Identifikation der Stadt und des Staates mit der Signoria vergegenwärtigt, muss Castel Sismondo wirklich als Symbol und Verteidigungsanlage der persönlichen Macht des Signore angesehen werden; gewiss nicht als Symbol und Verteidigungsanlage der Stadt und des Staates. In diesem über alles geliebten Kastell ist Sigismondo am 9. Oktober 1468 gestorben. Wir wissen nicht, ab wann er begonnen hat, ständig hier zu residieren, vielleicht schon um 1446. Gewiss ziemlich früh haben sich seine Kanzlei und seine Garde hier angesiedelt, und sofort ist es zum Ort der Zeremonien und offiziellen Empfänge geworden: es hat sich sofort in eine exklusive Stadt des Hofes verwandelt, die seinerzeit an Dichtern, Musikern, Literaten, Gelehrten, Malern, Medaillenprägern, Bildhauern und Architekten, die aus allen Teilen Italiens kamen, reich war. Eine kleine, künstliche und kosmopolitische Stadt mit nur wenigen Verbindungen zur realen, die sich dort jenseits der Mauern und Gräben zwischen dem Marecchia und dem Meer ausbreitete und sich mit tausend Problemen herumschlug. Route 3 > Der Tempio Malatestiano: zur Bewunderung der Zeitgenossen und für die Wertschätzung durch die Nachfahren Rimini Tempio Malatestiano via IV Novembre, 35 Tel. 0541 51130 (Sakristei) 0541 242444 (DiözesanSekretariat) www.diocesi.rimini.it [email protected] Es ist die Kathedrale der Diözese Rimini. • Geöffnet: werktags 8:0012:30/15:30-18:30; festtags 9:00- 13:00/15:30-19:30 Auf der nebenstehenden Seite, Fassade und Seite des Tempio Malatestiano, von Leon Battista Alberti. 24 Zehn Jahre nachdem er an den Bau des Kastells Hand angelegt hatte, das er mit seinem eigenen Namen taufen wollte, begann Sigismondo, sich in der Kirche San Francesco, die von allen seinen Vorgängern als Grabstätte ausgewählt worden war, eine Familienkapelle bauen zu lassen. Auch wenn es Giotto war, der diese Kirche Anfang des 14. Jhs. ausgeschmückt hatte, war sie von bescheidener Architektur (ein einziger Raum mit Satteldach und drei Apsis-Kapellen) und befand sich, wenngleich nahe der antiken Piazza “del Foro”, dem römischen Zentrum der Stadt (gegenwärtig Piazza Tre Martiri), in einer Randlage. Die neue Kapelle hatte eine schlichte, absolut traditionelle Struktur, mit einem großen gotischen Bogen, der sich an der rechten Seite der Kirche öffnet, einem Kreuzgewölbe und hohen, schmalen Fenstern. Sehr bald wurde ihr auf Wunsch der jungen Geliebten Sigismondos, Isotta degli Atti, eine gleichermaßen schlichte und traditionelle Kapelle zur Seite gestellt. Vielleicht hat eine malatestianische Familienkapelle aus dem vorhergehenden Jahrhundert an derselben Kirchenseite, nahe der Apsis, das Modell für alle beide abgegeben. Die mehr als drei Jahre dauernden Mauerarbeiten mussten eine gravierende Erschütterung der Statik des alten Gebäudes mit sich bringen, und so entschied Sigismondo gegen 1450, es vollständig und auf seine eigenen Kosten umzubauen, womit er zugleich auch ein Gelübde erfüllte, das er während eines siegreichen Feldzuges - Toskana gegen Alfonso d’Aragona - abgelegt hatte; dies bestätigen die griechischen Epigraphen an den Seiten und die Widmungsinschrift der Fassade. Hinsichtlich des (innen-)architektonischen Teils wurde die Baustelle Matteo de’Pasti anvertraut und hinsichtlich der Bildhauerei Agostino di Duccio. Ersterer war bei den Estensi in Ferrara angeworben worden; es handelte sich um einen veroneser Handschriftenmaler und Medaillenpräger aus der Pisanello-Schule, also von spätgotischer Bildung. Auch Agostino di Duccio bewahrte, obwohl er ein Schüler Donatellos gewesen war, in Venedig vertiefte, raffinierte gotische Kadenzen; er war Florentiner und kam aus Venedig, vielleicht mit einer Empfehlung der Estensi, denen er aufgrund von Arbeiten in Modena bekannt war. Der Zusammenarbeit zwischen den beiden Künstlern und den Anregungen der Humanisten des Hofes verdankt sich das Innere des Gebäudes; pittoresk und prächtig, substantiell dem gotischen Geschmack des Hofes verbunden, was die Zurschaustellung von Prunk, Reichtum und raffinierter sowie elitärer Kultur angeht, woran die Preisung Sigismondos als Signore, Kondottiere und Mäzen großen Anteil hat. Für die Außenarchitektur hingegen war Leon Battista Alberti zuständig, der gegen 1450 eine Marmorverkleidung neuester Konzeption ersann, völlig unabhängig davon, wie sich das Gebäude im Innenbereich gestaltete. Indem er jedweden gotischen Ausklang und jedwede dekorative Oben links, Medaille von Matteo de´Pasti mit dem Modell des Tempio Malatestiano (ca. 1450), Stadtmuseum Rimini. Oben rechts und unten links, zwei Basreliefs von Agostino di Duccio im Tempio Malatestiano. Unten rechts, Detail des Freskos von Piero della Francesca mit dem Porträt von Sigismondo (1451), im Tempio Malatestiano. 27 Kadenz verbannte, wandte sich Alberti mit vollem Bewusstsein tatsächlich der antiken römischen Architektur zu, um erneut eine Konzeption von Architektur als erhabener Feier des Menschen und als Lobpreisung seines intellektuellen Adels aufzugreifen. Leider blieb das Gebäude genau in dem, was sein originellster und bedeutsamster Teil sein sollte, der Apsis, unvollendet; sie war als runde Kuppel gedacht, die vielleicht die offensichtliche Dissonanz zwischen Außen und Innen gelöst oder wenigstens “geordnet” hätte. Um eine Idee von Albertis Projekt zu bekommen, muss man eine von Matteo de’ Pasti gegossene Medaille ansehen, die eine Vorderansicht des Gebäudes und die große Kuppel darstellt, wie sie am Ende des Schiffes aufragen sollte. Die Intervention Albertis mit ihrer Neuvorstellung antiker Formen, selbst wenn diese neu ersonnen und auf moderne Bedeutungen hin ausgerichtet sind, rechtfertigt voll und ganz den Begriff Tempio, mit dem diese christliche (und franziskanische) Kirche seit dem fünfzehnten Jahrhundert benannt worden ist. Die Innenausschmückung des Tempio schließt die traditionellen Freskenzyklen aus und ist hauptsächlich den eleganten Skulpturen Agostino di Duccios und den mit Polychromien und Vergoldungen angereicherten Marmorverkleidungen anvertraut. Das einzige Fresko mit Figuren befindet sich momentan in der letzten Kapelle rechts; es stellt Sigismondo Pandolfo Malatesta kniend vor San Sigismondo König von Burgund dar und ist ein Werk Piero della Francescas, der es unterzeichnet und datiert hat (1451). Auf den ersten Blick mag es als eine absolut traditionelle Andachtsszene mit dem Signore vor seinem Schutzheiligen erscheinen. In Wahrheit ist die Interpretation Pieros aber völlig neu: in den Inhalten, wegen der absolut freien, natürlichen, “laizistischen” Beziehung, welche die Figuren verbindet, die in ein ruhiges Licht und einen Raum von rationaler Konstruktion eingetaucht sind; in den Formen, die schlicht, regelmäßig und harmonisch sind, in der Lage - wie niemals zuvor - die Humanität und Würde der Persönlichkeiten, ihren intellektuellen Adel und ihre körperliche Schönheit zu lobpreisen, und außerdem in der Lage, die göttliche und die irdische Macht kraft einer Konzeption der dem heiligen König und dem andächtigen Auftraggeber gemeinen Würde und Rationalität anzuerkennen. Mit der makellosen albertianischen Verkleidung des Tempio war noch nicht begonnen worden, als Piero della Francesca dieses Fresko unterzeichnete, das also für Rimini und die Romagna das erste Manifest der “wahren” Renaissance darstellte: ein Manifest, das, während es den Fürsten pries, die nur an äußerem Prunk interessierten Künstler demütigte; das die Gelehrten einlud, bei ihren trockenen Nachforschungen eine Spirale der Humanität zu öffnen; das eine utopistische Zukunft ankündigte, die durch die Vernunft bestimmt und mit der Poesie erquickt werden würde. Wahrscheinlich interessierten die zauberhafte Stille und die wohl Auf der nebenstehenden Seite, Innenansichten des Tempio Malatestiano mit den Kapellen der Ahnen und Sigismondos. 28 durchdachten Pausen des Stils von Piero della Francesca am rimineser Hof nicht sonderlich, vielleicht auch die Vorahnung neuer Zeiten nicht, die dieser Stil beinhaltete. Zu den Damen, den Pagen, den Edelmännern, den Musikern, den improvisierenden Verseschmieden, die während der häufigen Abwesenheiten Sigismondos dem Leben im Kastell und in den malatestianischen Palästen einen vergnüglichen und lebhaften Ton verliehen, passten die gotische Phantasie und der traditionelle Prunk sehr viel besser, wie sie dort triumphieren im Skulpturenschmuck der TempioKapellen, mit Parade-Schilden und aufgehängten Kränzen, von den Tragbalken herabhängenden Girlanden und Stoffen und heiter auf die Grabmale gemalten “Pannaroni”: einer Art “ephemeren” Dekors, der wie plötzlich fossilisiert oder magisch versteinert erscheint. In diesem Ambiente erreichen die hochfeinen Basreliefs von Agostino di Duccio äußerste Preziosität und Eleganz. Herzige Putten scherzen und haschen einander; Engelkinder singen und spielen melodiöse Lieder; Virtù und Sibille bewegen sich heftig, um ihre Symbole und eleganten Drapierungen zu zeigen; Apollo und die Musen, die Planeten und die Konstellationen bilden eine pittoreske Gesellschaft in unglaublichen exotischen Kostümen (außer Venus, die nackt ist und im Taubenflug übers Meer triumphiert). Alles lässt sich in den Termini der traditionellen Religion erklären, auch die seltsamen Zeichen der Planeten und des Tierkreises, die nicht hier sind, um verstiegene Horoskope zu erstellen, sondern ganz einfach, um die Perfektion des von Gott geschaffenen Firmaments zu lobpreisen. Aber es genügt nur ein klein wenig Bosheit und Feindseligkeit, um überall Heidentum und Irreligiosität zu erspähen. So bekräftigte Pius II, ein verschworener Feind Sigismondos, dass jene Kirche voller heidnischer Götter und profaner Dinge sei, und er führte sie zulasten des rimineser Signore ins Feld. Obwohl der doch in den griechischen Epigraphen an den Außenseiten mit Klarheit erläutert hatte, dass sie “dem unsterblichen Gott und der Stadt” gewidmet sei, wegen überwundener Gefahren und der Siege im “italischen Krieg”; und in der schönen klassischen Inschrift der Fassade hatte er bekräftigt, sie sei “infolge eines Gelübdes” erbaut worden. Der Bau führte zu sehr großen Ausgaben, und es fällt schwer zu denken, dass Sigismondo sie aus reiner Religiosität oder Mäzenatentum ohne andere Interessen im Hintergrund habe tätigen wollen. Andererseits war Mäzenatentum niemals “desinteressiert” gewesen; im 15. Jh. war es wesentlicher Bestandteil der Regierungsweise: es bezweckte einerseits die Erhöhung des Konsenses der Untergebenen und der Institutionen, das Anwachsen des eigenen Prestiges innerhalb und außerhalb des Staates, und dass man von den anderen Höfen in Betracht gezogen (und möglicherweise beneidet) wurde; andererseits aber auch die Kreation der Voraussetzungen, um von den Nachfahren bewundernd erinnert zu wer- den. Die Unsterblichkeit, welche die Signori und die Humanisten des fünfzehnten Jahrhunderts anstrebten, war ein unvergänglicher Ruf in den Geschicken der Menschen, das heißt in der Geschichte, nicht in der sich verflüchtigenden Ewigkeit des Göttlichen. Am Tempio Malatestiano arbeitete man rege bis gegen 1460, als die Feindseligkeit von Pius II gegen Sigismondo, den ebenso tapferen Kondottiere wie sehr schlechten Politiker, zunahm. 1461 war das Jahr der ökonomischen Schwierigkeiten und der päpstliche Exkommunikation, dann kamen die Niederlage und die Verkleinerung des Staates (1463); und so blieb das große Bauvorhaben für immer unterbrochen. Auch heute noch offenbart seine Unvollendetheit, die sowohl außen wie innen gut erkennbar ist, der Welt das Missgeschick Sigismondos und bekundet die substanzielle Zerbrechlichkeit seiner Macht, die Unhaltbarkeit seiner eitlen Ruhmesträume. Als ein Traum nämlich kann dieser Tempio angesehen werden, ein unterbrochener Traum: für Sigismondo, der daraus einen wunderschönen Tempel zum Ruhme Gottes und der Stadt machen wollte, aber vor allem etwas, das den eigenen Namen und die eigene Dynastie unsterblich mache; für Leon Battista Alberti, der daraus ein Monument der Lobpreisung des intellektuellen Adels des Menschen machen wollte; für den Humanismus, der meinte, man könne die dramatischen Widersprüche der Zeit hinter einem Vorhang intelligenter kultureller Wiederaneignungen und raffinierter Kunstwerke verbergen. 30 Route > Kunst beim Niedergang einer großen Signoria Rimini Stadtmuseum via L. Tonini, 1 Tel. 0541 21482 www.comune.rimini.it/musei/ citta/index.htm [email protected] • Geöffnet: ganzjährig 31 Ehrgeiz und Anmaßung führten Sigismondo zu einer ganzen Reihe von politischen Bewertungen und falschen Entscheidungen, häufig interpretiert als Verrat, welche die traditionellen Streitigkeiten mit dem schlauen Rivalen Federico da Montefeltro und die Feindseligkeit von Pio II, der wieder in den direkten Besitz der malatestianischen Lande gelangen wollte (quasi sicher, um damit dann seine Neffen Piccolomini zu belehnen), verschärften. So kam es 1461 zur Exkommunikation des rimineser Signore, auf die sehr bald die unvermeidliche, totale Niederlage durch die von Federico da Montefeltro kommandierten päpstlichen Truppen folgte (1463). Für Sigismondo verblieb gerade noch die Herrschaft über die Stadt ohne ihr ländliches Gebiet, und dies führte für ihn zur absoluten Notwendigkeit, sich als schlichter Kondottiere in den Sold zu begeben. Die Venezianer nahmen ihn für dreihundert Florentiner Taler im Monat, um die Türken in Morea (Peleponnes) zu bekämpfen, wo er von 1464 bis 1465 war. Zerstört kehrte er heim und hatte sich dem Vorschlag des neuen Papstes Paolo II zu stellen, die Vogtei zu tauschen: Spoleto gegen Rimini. Erniedrigt starb er 1468. Bestimmte Teile seines verbliebenen Vermögens dienten zur Fortführung der Arbeiten am Tempio Malatestiano. Die vielleicht letzte in Auftrag gegebene Arbeit nach seiner Rückkehr vom Peleponnes ist eine Pietà bei Giovanni Bellini gewesen, die wahrscheinlich erst nach seinem Tod fertig und seinem Hauptberater, Rainerio Meliorati, angeliefert wurde, von dem sie durch Testament an die Franziskaner gelangte; jetzt bewahrt man sie im Stadtmuseum auf, dessen kostbarstes Juwel sie darstellt. Wegen der Raffinesse, mit der die Figuren auf dem schwarzen Hintergrund aufgetragen sind, von einer sanften aber scharfen Linie beschrieben, modelliert durch ein ruhiges, weiches Licht, eingesenkt in eine warme und zarte Farbe, handelt es sich um ein Stück großer Malerei und höchster Poesie. Im verlassenen Körper des Christus scheint das Mysterium des Todes verborgen zu sein; in den Engelchen, die ihn stützen, das Mysterium des Lebens. Ein Empfinden hoher, tiefgründiger Ergriffenheit kreist in diesem Gemälde, zum Lobpreis einer Würde und menschlichen Schönheit, die nicht einmal der Schmerz und der Tod auslöschen können. Im Stadtmuseum sind noch verschiedene weitere Zeugnisse der malatestianischen Epoche versammelt, Keramiken aus dem 14. und 15. Jh., Fresken, Wappen, Gedenktafelfragmente, Skulpturen und eine Reihe sehr schöner Medaillen, die um die Mitte des 15. Jhs. von Matteo de’Pasti für Sigismondo und Isotta gegossen wurden. Außerdem gibt es hier ein beachtliches Altarbild, das als Arbeit des Domenico Ghirlandaio aus der zerstörten Kirche San Domenico stammt und vom Enkel Sigismondos, Pandolfo IV Malatesta, “Il Pandolfaccio” genannt und letzter Signore Riminis, in Auftrag gegeben wurde. Es stellt Die Heiligen Vincenzo Ferreri, Oben, Giovanni Bellini, "Christus in Pietà" (ca. 1468), Stadtmuseum Rimini. Unten, Domenico Ghirlandaio, malatestianisches Altarbild mit San Vincenzo Ferreri (1494), Stadtmuseum Rimini. 33 Sebastiano und Rocco mit der ganzen Malatesta-Familie dar, wie sie zu deren Füßen knien (das sind: Pandolfo IV mit der Gattin Violante Bentivoglio, die Mutter Elisabetta Aldobrandini, der Bruder Carlo). Es scheint, es sei ein großes Ex Voto für die überwundene Pestgefahr. 1493 in Auftrag gegeben, das heißt kurz vor dem Tod Ghirlandaios (1494), wurde es von seinem Bruder David - mit Hilfe von Fra’ Bartolomeo für die Portraits - fertiggestellt: letztere gefielen den Auftraggebern nicht und wurden übermalt. Sie sind erst bei einer Restaurierung 1923 wieder sichtbar gemacht worden. Dieses Altarbild ist der letzte Akt des Mäzenatentums der malatestianischen Signoria, die nun eindeutig die Dämmerung erreicht hatte. 1498 stifteten die rimineser Honoratioren eine Verschwörung gegen Pandolfo IV an; sie schlug fehl und zog seitens des jungen und verhassten Signore grausame Rache nach sich. Wenig später wurde er gezwungen, auf Drängen Cesare Borgias, genannt “Il Valentino”, die Stadt zu verlassen. 1503 kehrte er zurück, aber nur, um die Signoria an die Venezianer zu verkaufen, die sie 1509 der Kirche zurück geben mussten. Trotz der Feindseligkeit der Rimineser versuchte Pandolfo weiterhin, bis 1528, erneut Signore von Rimini zu werden; erfolglos. Der Vater von Pandolfo IV, Roberto, genannt il Magnifico (großartig, prächtig, erhaben, A.d.Ü.), war gewalttätig und grausam wie sein Sohn gewesen, aber gewiss nicht so unfähig; nach dem Tod Sigismondos war es ihm binnen kurzem gelungen, sich die Brüder und Isotta vom Hals zu schaffen und Rimini, dem er einen Teil des Gebietes zurückgewinnen konnte auch dank der Hochzeit mit Elisabetta, der Tochter Federico da Montefeltros (1475) - allein zu regieren. Er war ein großer General und verstarb vorzeitig (1482), während er im Dienst des Papstes kämpfte, der ihm in San Pietro in Rom ein großes Denkmal errichten ließ. Von ihm werden im Stadtmuseum vor allem eine Reihe von Deckentäfelchen mit Wappen und Symbolen aufbewahrt, die aus einem seiner rimineser Paläste stammen. Mit der Besichtigung der im Museum versammelten und konservierten malatestianischen Zeugnisse kann man diese kurze malatestianische Tour, welche die Stadtmauern, das mittelalterliche Zentrum mit den Stadtgemeinde-Palästen und Castel Sismondo sowie den Tempio Malatestiano berührt hat, als abgeschlossen betrachten. Aber wer einen angenehmen Spaziergang auf dem Covignano-Hügel im Rücken Riminis machen möchte, der im 15. Jh. an Waldungen reich war und großenteils den Malatesti gehörte, wird noch eine schöne malatestianische Kirche sehen können. Es handelt sich um die Pfarrkirche San Fortunato, die mit Steinwappen von Roberto Malatesta verziert ist. Tatsächlich ist ihm die Erneuerung der Gebäudefassade im Renaissance-Stil zu verdanken; der Bau gehörte zur Olivetaner-Abtei Santa Maria di Scolca, die Anfang des Jahrhunderts durch Carlo Malatesta errichtet und nach der napoleonischen Unterdrückung zerstört worden ist, um die Trümmer als Baumaterial zu verkaufen. Von Carlo Malatesta gibt es noch ein Wappen in der Mitte der Kastendecke des schlichten und hellen, mit Stuck aus dem 17. Jh. verzierten Schiffes. In dieser Kirche kann man auch Werke bewundern, die nichts mit den Malatesti zu tun haben, die jedoch zu den interessantesten der Stadt gehören: ein Tafelbild von Giorgio Vasari, das die Anbetung der Heiligen Drei Könige (in der Apsis) darstellt, gemalt 1547; und ein interessanter Freskenzyklus von Girolamo Marchesi da Cotignola aus dem Jahr 1512 (in der Sakristeikapelle). Vor der Kirche liegt ein schöner Platz mit Renaissance-Proportionen, von dem aus man das Meer und Teile des malatestianischen Gebietes zu den Marken hin sieht, vom Kap bei Gabicce bis zu den ersten Burgen, welche die Hügel des Conca-Tals krönen. Fast ist das eine Einladung, die Wurzeln und Zeichen dieser großen und mächtigen Familie in jenem Gebiet zu suchen, über das sie drei Jahrhunderte lang geherrscht hat. Oben, Detail der Fassade der Kirche San Fortunato (ExAbtei Santa Maria di Scolca) auf dem Hügel von Covignano. Unten, Giorgio Vasari, "Die Anbetung der Heiligen drei Könige" (1547), in der Kirche San Fortunato. 34 Vertiefung > Im malatestianischen Gebiet Es scheint, dass das malatestianische Mäzenatentum einzig oder vor allem in den Hauptstädten und den wichtigsten Zentren des Staates praktiziert worden ist. Außer in Rimini gibt es Spuren davon in Cesena, Pesaro, Fano, Fossombrone, Senigallia; und auch sehr viel weiter entfernt, in Bergamo und Brescia, die nur für wenige Jahrzehnte malatestianische Städte gewesen waren. Aber im rimineser Gebiet bestehen sie fast ausschließlich aus Burgen und Kastellen, also Architektur militärischen Charakters, wie man sie ein wenig überall an den Ortsrändern oder auf den Gipfeln der Hügel findet. Die Straßen des Marecchia- und des Conca-Tals stellen zwei perfekte Besichtigungsstrecken dar, um Klarheit über deren Merkmale zu erlangen. Häufig haben diese Bauwerke illustre Persönlichkeiten beherbergt, und in ihnen starben einige der Malatesti oder haben dort das Licht der Welt erblickt: also hatten sie nicht nur eine Verteidigungs- und Garnisonsfunktion für das Gebiet, sondern waren - wenn auch nur zeitweilig - Orte der Residenz und Repräsentation. Aus mehreren Quellen wissen wir, dass die Burg von Mondaino mehrere Male Ort diplomatischer Treffen gewesen ist; die von Gradara, San Giovanni in Marignano und Saludecio hatten häufig den Hof zu Gast, der “mal andere Luft schnuppern” wollte; die Burgen des Conca-Tals, vor allem die von Montefiore, wurden für die Jagd bevorzugt. Die privaten Apartments der Signore in Montescudo und Saludecio standen immer zur Aufnahme bereit, so wie übrigens in fast allen anderen Hauptkastellen. All dies wird die Anwesenheit von Ausstattungsgegenständen, Hausrat und Kunstwerken einer gewissen Qualität und eines gewissen Wertes bedeutet haben, auch so manche Bewegung von Künstlern und Handwerkern. Aber davon gibt es keinerlei Spuren, nichts dergleichen zeigt sich. Eine erfreuliche Ausnahme stellen die Fragmente der Fresken in der Burg von Montefiore dar, die auf Wunsch von Malatesta Ungaro durch den Bologneser Jacopo Avanzi um 1370 herum in dem “dell’Imperatore” genannten Saal ausgeführt worden sind, der ganz mit Figuren und Episoden der römischen Geschichte geschmückt gewesen war. Die Gebäude der Signori, auch wenn sie in einigen Fällen prachtvoll verzierte und vielleicht komfortable, gewiss jedoch für die Mehrheit der Untertanen unerreichbare Wohnungen hatten, zeigten sich mit schroffem Antlitz und kehrten durch ihre Respekt und vielleicht auch Angst einflößende Größe und Form vor allem ihre mächtige Masse hervor. Auch die vermögenden und adligen lokalen Familien scheinen während der malatestianischen Epoche keine Spuren irgendeines überzeugenden künstlerischen Mäzenatentums im Gebiet hinterlassen zu haben: vielleicht, weil sie - auch wenn sie Besitztümer und Vermögensinteressen in der “Grafschaft” hatten - durch die rimineser 36 Stadtverfassung gezwungen waren, in der Stadt zu residieren, wo der Signore sie leichter kontrollieren konnte. Außerhalb der Burgen und Kastelle ist die malatestianische Präsenz im rimineser Binnenland also nur schwer erkennbar. Es kann sein, dass es in den antiken Kirchen der Bettelorden, die von den Malatesta seit dem 13. Jh. gefördert worden waren, Werke gegeben hat, die auf ihr Mäzenatentum rückführbar wären; aber religiöse Gebäude von mittelalterlicher Struktur gibt es nur noch sehr wenige, weil sie entweder verlassen wurden und deshalb zusammengebrochen sind, oder weil man sie (fast immer im Laufe des 18. Jhs.) mit all ihrem Zubehör erneuert hat. Heute sind die wichtigsten Zeugnisse religiöser Kunst des Mittelalters im rimineser Gebiet auf einige kostbare Kruzifixe begrenzt, die von rimineser Malern aus der ersten Hälfte des 14. Jhs. auf Holz gemalt worden waren. Davon lassen sich einige herrliche und gut konservierte in Montefiore, Misano, Verucchio und Santarcangelo antreffen. Das vielleicht älteste befindet sich in der Pfarrkirche von Talamello; es stammt aus einer antiken Augustinerkirche und ist lange Zeit Giotto zugeschrieben worden, jedoch ein Werk Giovanni da Riminis vom Beginn des 14. Jhs. Das jüngste befindet sich in der Kollegiatskirche von Verucchio, ist rein augustinischer Herkunft, vom venezianischen Maler Nicolò di Pietro unterzeichnet und mit 1404 datiert. Für diese Arbeiten allerdings kann man ohne einigen Grund keinen malatestianischen Auftrag hypothesieren. A proposito Verucchio: man beachte, dass in der Kollegiatskirche aus dem 19. Jh. die Seitenschiffe seltsamerweise von Stuckbildnissen Malatesta da Verucchios und Sigismondo Malatestas dominiert werden, obwohl sie weder zu Lebzeiten noch nach dem Tode eine gute Reputation genossen haben; aber hier werden sie ein wenig den Laren und den Penaten (Hausgöttern, A.d.Ü.) assimiliert (und so verehrt). Ein malatestianisches Wappen, das einen malatestianischen Auftrag annehmen ließe, taucht in der Ausschmückung einer Kapelle in Talamello (nahe dem Friedhof) auf, deren Besichtigung absolut der Mühe wert ist. Dennoch handelt es sich nicht um eine Initiative der Signori von Rimini, sondern des Bischofs des Montefeltrogebietes, Giovanni Seclani, der ein franziskanischer Freund und Anhänger der Malatesti war, deren Wappen er verwendete (gut sichtbar in der Mitte einer Lünette). Die gesamte Ausschmückung ist ein Werk des Ferraresers Antonio Alberti und um 1437 herum zu datieren. Im Kreuzschiff werden in einem herrlichen Azur die vier Evangelisten abgebildet; in den Lünetten die Anbetung der Heiligen Drei Könige, die Ankündigung und die Präsentation Jesu im Tempel. Tiefer dann zwölf heilige Männer und Frauen und auf dem Altar eine Madonna der Demut mit dem Auftraggeber zwischen zwei Heiligen. Insbesondere die Kappen des schlichten gotischen Gewölbes haben einen Teil ihres far37 bigen Putzes verloren, aber die Gesamtwirkung bleibt gleichermaßen außerordentlich: wegen der freundlichen und ein wenig rustikalen Pracht und wegen der Lebendigkeit der Szenen, welche die zeitgenössische höfische Welt darstellen, die vom Künstler naiverweise als ein Modell der Perfektion angesehen worden ist. Ein ähnliches, jedoch fragmentarisches Fresko, vielleicht einem Anhänger des Alberti zu verdanken, befindet sich in der San Cristoforo-Kirche in Pennabilli (es stellt die Ankündigung und die Madonna mit dem Kind dar), umschlossen von einer schönen Renaissance-Ädikula urbineser Geschmacks (1528). Längs der Straße, die den Marecchia-Fluss entlang führt, gibt es noch eine Renaissance-Kirche, deren Besichtigung der Mühe wert ist: Santa Maria d’Antico, mit einem Portal, das von einer schönen Lünette aus dem 15. Jh., in die eine archaisierende Madonna der Barmherzigkeit eingehauen worden ist, verziert wird. Die Verzierung des Presbyteriums mit Pilastern, Rahmen und Kassetten aus Stein ist von harmonischer Renaissance-Architektur (1484 - 1504) und verweist auf urbineser Modelle: im Zentrum erstrahlt eine Andrea della Robbia zugeschriebene makellose, sehr sanfte Madonna mit dem Kind in Majolika. Diese Werke haben wir dem Interesse der Grafen Oliva di Piagnano zu verdanken, die viele Jahre hindurch treue Verbündete der Malatesti gewesen sind. Oben, Jacopo Avanzi, Detail einer "Reiterschlacht" (ca. 1370), Fresko in der Malatesta-Burg von Montefiore. Unten links, rimineser Maler des 14. Jhs., Kruzifix, in der Kollegiatskirche von Verucchio; rechts, Andrea della Robbia, Madonna mit Kind, in der Kirche Santa Maria d´Antico in Maiolo (PU). 39 Bibliographie > Wer mehr wissen möchte L. Tonini Storia di Rimini, III-V, Rimini 1862-1880, rist. an. B. Ghigi ed., Rimini 1971 P. G. Pasini La pittura riminese del Trecento, Silvana ed., Milano, 1990 C. Ricci Il Tempio Malatestiano, Roma-Milano 1924 (ristampa an. con appendice di P. G. Pasini, Cinquant’anni di studi sul Tempio Malatestiano, B. Ghigi ed., Rimini 1974) P. G. Pasini Piero e i Malatesti. L’attività di Piero della Francesca per le corti romagnole, Silvana ed., Milano 1992 N. Matteini Francesca da Rimini, Cappelli ed., Bologna 1965 Autori vari Sigismondo Pandolfo Malatesta e il suo tempo, Mostra storica (Rimini), Neri Pozza ed., Vicenza 1970 Autori vari Rocche e castelli di Romagna, III, Alfa, Bologna 1972 G. Franceschini I Malatesta, Dall’Oglio, Milano 1973 C. Curradi Alle origini dei Malatesti, in “Romagna arte e storia”, 48, 1996 O. Delucca Artisti a Rimini fra Gotico e Rinascimento. Rassegna di fonti archivistiche, S. Patacconi ed., Rimini 1997 P. G. Pasini I Malatesti e l’arte, Silvana ed., Milano 1983 Autori vari Medioevo fantastico e cortese. Arte a Rimini fra Comune e Signoria, a c. di P. G. Pasini, Musei Comunali, Rimini 1998 A. Vasina Comuni e signorie in Emilia e in Romagna, UTET, Torino 1986 E. Tosi Brandi Abbigliamento e società a Rimini nel XV secolo, Panozzo ed., Rimini 2000 P.G. Pasini Guida per Rimini, Maggioli ed., Rimini 1989 P. G. Pasini Il Tempio malatestiano. Splendore cortese e classicismo umanistico, Skira ed., Milano 2000 Autori vari Storia illustrata di Rimini, I-III, Nuova Editoriale Aiep, Milano 1990 40 Autori vari Sventurati amanti. Il mito di Paolo e Francesca nell’800, a cura di C. Poppi, Mazzotta ed., Milano 1994 Il potere, le arti, la guerra. Lo splendore dei Malatesta, a c. di A. Donati, Mostra (Rimini), Electa, Milano 2001 Provincia di Rimini Assessorato alla Cultura Assessorato al Turismo Provincia di Rimini Assessorato alla Cultura Assessorato al Turismo I - 47900 Rimini, piazza Malatesta 28 tel. 0541 716371 - fax 0541 783808 [email protected] www.turismo.provincia.rimini.it