Marketing & Consumer Research | WU

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Marketing & Consumer Research | WU
Andreas Strebinger
Günter Schweiger1
Mehr, weniger oder die richtigen?
Zur Eigenmarkenstrategie des
Lebensmitteleinzelhandels
Gliederung
1
Der Trend zu mehr Eigenmarken
2
Erwartete Vorteile von Eigenmarken
3
Strategische Fragen zur Eigenmarkenpolitik
4
5
1
3.1
Kompetenz des LEH im Bereich Markenführung
3.2
Konsequenzen für die Lieferantenstruktur
Nachhaltige Markenstrategien für den LEH
4.1
Aufbau einer starken eigenen Marke
4.2
Strategische Eigenmarken im Kernbereich der eigenen
Marke
4.3
Kooperation mit der Markenartikelindustrie außerhalb
des Kernbereichs
4.4
Defensive Diskontmarken
Fazit
Dr. Andreas Strebinger und o. Univ. Prof. Dr. Günter Schweiger, Abteilung
Werbewissenschaft
und
Marktforschung,
Institut
für
Absatzwirtschaft,
Wirtschaftsuniversität Wien. Die Autoren danken der Römerquelle Ges.m.b.H., dem
österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) sowie dem
Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank für die Unterstützung von im Beitrag
zitierten Studien der Abteilung Werbewissenschaft und Marktforschung der
Wirtschaftsuniversität Wien. Beitrag erscheint in: Olbrich, R., Ahlert, D. und
Schröder, H. (Hrsg.), Jahrbuch Vertriebs- und Handelsmanagement 2003.
Zusammenfassung
Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) forciert zur Zeit den Ausbau seiner
Eigenmarken. Der vorliegende Beitrag analysiert zunächst die Ursachen
dieser Entwicklung und geht dann der Frage der strategischen Vor- und
Nachteile einer weiteren Erhöhung des Eigenmarkenanteils im Sortiment
des LEH nach. In diesem Zusammenhang werden insbesondere die
funktionale
Konkurrenzfähigkeit
des
LEH
in
Bezug
auf
Markenführungsaufgaben und die Konsequenzen der derzeitigen Strategie
für die Diversität auf Lieferantenseite diskutiert. Die Autoren kommen dabei
zu dem Schluss, dass die strategischen Nachteile einer undifferenzierten
Ausweitung des Eigenmarkenanteils deren Vorteile für den LEH
überwiegen könnten. Aufbauend auf dem Gedanken, dass die Wurzel
vieler
Probleme
in
einer
mangelnden
Differenzierung
der
Handelsunternehmen selbst liegt, wird ein Konzept einer nachhaltigen
Markenstrategie für den LEH vorgeschlagen, welches zunächst eine klare
Definition des Markenkerns der eigenen Dienstleistungsmarke vorsieht, um
daraus ein optimales Portfolio aus Herstellermarken sowie strategischen,
taktischen und defensiven Eigenmarken abzuleiten.
1. Der Trend zu mehr Eigenmarken
In vielen Punkten haben die vergangenen Jahre eine verstärkte
Kooperation zwischen dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und der
Markenartikelindustrie gebracht. Dennoch bleiben Interessensgegensätze
zwischen den Partnern bestehen, die zur Zeit wohl kaum an einer anderen
Stelle so deutlich zutage treten wie in der Markenstrategie. Immer stärker
setzt der Handel in den deutschsprachigen Ländern auf Handelsmarken
("Eigenmarken"), deren geschätzter Marktanteil in Deutschland bereits bei
21%, in Österreich bei 17% und in der Schweiz gar bei 41% liegt (vgl.
Koppe 2001, S. 38). Prognosen für den deutschen LEH sagen für das Jahr
2005 eine weitere Steigerung dieses Marktanteils auf 26%, für das Jahr
2010 auf 32% gesamt (Michael et al. 2002) bzw. 30% bis 35% (Food) und
20% bis 25% (Non-Food) vorher (Weinberg/Diehl 2001). Diese Entwicklung
2
ist in ihrer Tendenz auch auf den österreichischen Markt übertragbar (vgl.
z. B. Key Account 2001b).
Einige Faktoren scheinen diese Entwicklung kurzfristig sogar noch zu
beschleunigen. So trieb eine schlechte Konjunktur die Verbraucher in
Deutschland und Österreich im Jahr 2002 verstärkt zu Diskontern und
Diskontmarken. Und auch die Euro-Umstellung dürfte ihren Anteil an der
Entwicklung gehabt haben. Wie vorhergesagt, hat der Euro die
Preisaufmerksamkeit der Verbraucher bei Gütern des täglichen Bedarfs
massiv erhöht (vgl. dazu Diller 1998; Wildner 1998). Zudem hatten
bestimmte Konsumentensegmente ihr Preiswissen bei Low-InvolvementProdukten in der alten Währung offenbar jahrelang nicht mehr ausreichend
gepflegt, so dass der Euro trotz einer relativ hohen Preisdisziplin des LEH
subjektiv einen Inflationsschub auslöste.
Über diese zeitlich begrenzt wirkenden Faktoren hinaus stehen jedoch
dauerhafte Ursachen hinter der Ausweitung des Eigenmarkenanteils durch
den LEH. Viele Handelsunternehmen versuchen, durch Eigenmarken den
Problemen sinkender Flächenproduktivität, geringer Margen und
abnehmender
Einkaufsstättentreue
entgegen
zu
wirken.
Die
Markenartikelindustrie steht dieser Entwicklung naturgemäß mit einiger
Skepsis gegenüber, rüttelt sie doch an ihrem wichtigsten Kapital, dem Wert
ihrer Marken: So schätzt beispielsweise eine Studie von Sattler und
Pricewaterhouse Coopers (1999), dass 62% des Gesamtwerts von
Unternehmen im Bereich kurzlebiger Konsumgüter markenwertabhängig
sind. So führt die Ausweitung des Eigenmarkenanteils durch den LEH zu
einer echten „Vertrauenslücke“ zwischen Markenartikelindustrie und LEH
(Michael et al. 2002).
Der vorliegende Beitrag versucht, die erwarteten Vorteile und mögliche
strategische Nachteile der zur Zeit von den Handelsunternehmen
betriebenen Markenpolitik zu hinterfragen, und entwickelt darauf aufbauend
Empfehlungen für eine ausgewogene und nachhaltige Markenstrategie für
den LEH, welche nicht zu viele, nicht zu wenige und vor allem die richtigen
Eigenmarken umfasst.
3
2. Erwartete Vorteile von Eigenmarken
Wie Befragungen unter Entscheidern des LEH wiederholt gezeigt haben
(Hammann et al. 1996, S. 262f; Schenk 1997, S. 82f; Bruhn 2000, S. 14ff;
Koppe 2001, S. 86f; Sattler 2001, S. 117ff), verspricht man sich von
Eigenmarken eine Vielzahl an Vorteilen, darunter vor allem
• eine Stärkung der Einzigartigkeit des Sortiments, wodurch eine größere
Differenzierung vom Mitbewerb, aber auch von anderen Betriebstypen
des eigenen Unternehmens erreicht werden soll,
• die Unterstützung des Preiswürdigkeitsimages, welche der Abwehr von
Diskontern dient,
• eine Verbesserung des Qualitätsimages des Unternehmens und eine
stärkere Kundenbindung,
• höhere Spannen bei den Handelsmarken und dadurch eine
Ertragssteigerung,
• eine größere Unabhängigkeit von den Herstellern, welche einerseits
durch die Verfügungsgewalt über die Marke, andererseits durch den
Aufbau von Know How im eigenen Unternehmen gestützt wird (z. B.
Markentechnik, Einblick in die Kalkulationsgrundlagen der Hersteller
u.a.) sowie
• ein innerorganisatorisches Zusammenwachsen in Verbundgruppen des
Handels, da gemeinsam genutzte Eigenmarken als „organisatorisches
Bindemittel“
das
Zusammengehörigkeitsgefühl
unter
den
Kooperationspartnern kräftigen kann.
Innerhalb dieser Ziele ist in zweifacher Hinsicht zu differenzieren: Zum
einen hat sich das Ziel eines "verbesserten Preiswürdigkeitsimages" durch
Handelsmarken in Händlerbefragungen zwar wiederholt als im Durchschnitt
am wichtigsten erwiesen (Koppe 2001, S. 107ff; Sattler 2001, S. 118), doch
gibt es zwischen den Handelsunternehmen deutliche Unterschiede in der
Akzentsetzung: Für manche Handelsunternehmen steht beispielsweise die
Erhöhung der Kundenbindung und die Verbesserung des Images durch
ihre Eigenmarken stärker im Vordergrund.
Zum zweiten lässt sich nicht jedes Ziel mit jeder Handelsmarke
gleichermaßen gut verfolgen. Eine nützliche Einteilung kategorisiert die
4
bestehenden Handelsmarken in drei Typen (Hammann et al. 1996, S.
260f):
• Präferenz- oder Premium-Handelsmarken (Koppe 2001, S. 69ff)
basieren auf einem eigenständigen Positionierungskonzept und sind in
der oberen Qualitätsklasse, preislich meist etwas unter den führenden
Herstellermarken angesiedelt. Sie eignen sich insbesondere zur
Stärkung des Qualitätsimages des Handelsunternehmens und zur
Erhöhung der Kundenbindung. Die direkte Ertragssteigerung über
höherer Spannen bei solchen Premium-Handelsmarken wird allerdings
nicht nur von der Markenartikelindustrie in Frage gestellt (Koppe 2001,
S. 121f), sondern auch von der Wissenschaft: Zum einen erfordert
Aufbau und Pflege solcher Premium-Handelsmarken hohe
Marketinginvestitionen, zum anderen lockt die Erzielung höherer Preise
naturgemäß auch mehr Konkurrenz an (Hammann et al. 1996, S. 70).
Weiters bieten Premium-Handelsmarken im Vergleich zu PremiumHerstellermarken zwar in manchen Fällen ein Potenzial für geringere
Logistikkosten,
arbeiten
aber
aufgrund
der
geringeren
Distributionsquote und Käuferreichweite mit strukturell höheren
Streuverlusten der Markenkommunikation und damit zwangsläufig mit
höheren Werbekosten pro verkaufter Einheit als national distribuierte
Herstellermarken (Sattler 2001, S. 126). Dieser strukturelle Nachteil ist
umso
größer,
je
geringer
die
Käuferreichweite
des
Handelsunternehmens ist (Müller-Hagedorn 1998, S. 439). Insoweit
sind solche Premium-Handelsmarken nur dann Herstellermarken
überlegen, wenn sie zu Imageverbesserung und Kundenbindung und
damit indirekt zum Ertrag des Handelsunternehmens beitragen.
• Imitationshandelsmarken, zuweilen als "klassische Form" der
Handelsmarke betrachtet, streben bewusst eine Anlehnung an eine
starke Herstellermarken an und imitieren dabei Funktion und
Konsistenz dieser Herstellermarken, nicht selten auch deren äußere
Form (vgl. Walsh 2002). Preislich positionieren sich solche "LookAlikes" spürbar unterhalb der imitierten Herstellermarken. Generell
scheint der Trend in der Praxis zum Teil weg von dieser Form der
Handelsmarke zu gehen, da sie wenig Möglichkeiten der Profilierung
oder Ertragssteigerungen mit sich bringen ( vgl. auch Hammann et al.
1996, S. 271; Key Account 2001a).
5
•
Diskonthandelsmarken werden im Einstiegspreisbereich positioniert
und versprechen dem Konsumenten eine hinreichende Qualität ohne
teure Extras. Sie dienen vor allem der Unterstützung des
Preiswürdigkeitsimages des Handelsunternehmens und damit der
Abwehr von Discountern bei Käufe(r)n mit hoher Preissensibilität. Ihre
Eignung zur Profilierung des Handelsunternehmens und zur Stärkung
der Einzigartigkeit des Sortiments ist allerdings insoweit zu
hinterfragen, als sich die Diskonthandelsmarken unterschiedlicher
Handelsunternehmen in Funktion und Preis teilweise wie ein Ei dem
anderen gleichen (vgl. dazu auch z. B. Schmalen et al. 1996;
Lingenfelder/Lauer 2000). Auf Basis einer breit angelegten
Untersuchung zeigen Lingenfelder und Lauer (2001, S. 121ff), dass nur
Handelsmarken,
welche
eine
Präferenzhandelsmarkenstrategie
verfolgen ("Festiger-Handelsmarken"), positiv zur Bindung ihrer Kunden
an die Einkaufsstätte beitragen, während Kunden mit Präferenz für
Diskonthandelsmarken
("Eroberer-Handelsmarke“)
sogar
eine
unterdurchschnittliche Einkaufsstättentreue aufweisen.
Wie
eine
explorative
Befragung
unter
44
österreichischen
Markenartikelunternehmen aus dem Jahr 1998 zeigt, herrscht in der
Markenartikelindustrie überwiegend Skepsis, was die Kostenwahrheit in der
Kalkulation der Handelsunternehmen für deren Handelsmarken betrifft
(Koppe 2001). Meinungen wie „Ich glaube nicht, dass der Handel, wenn er
alle Kosten zusammenrechnet, auf die Erträge kommt, die er sich einbildet“
oder „Bei gleichen Erfolsmaßstäben zwischen Herstellermarke und
Handelsmarke gäbe es wahrscheinlich 50% weniger Handelsmarken.“
stehen stellvertretend für das in der Markenartikelindustrie verbreitete
Gefühl, dass
• direkt zurechenbaren Kosten der Handelsmarken ebenso wie
• den Opportunitätskosten für den Einnahmenentgang aus alternativen
Verwendungsmöglichkeiten des für Handelsmarken verwendeten
Regal- und Anzeigenplatzes u.a.m.
von den Handelsunternehmen nicht ausreichend Rechnung getragen wird
(vgl. auch Vanderhuck 2001, S. 127ff). Unterstützung erhält diese
Argumentation durch empirische Untersuchungen, die - wenngleich nicht
ungeprüft auf alle Märkte und Produktkategorien verallgemeinerbar Handelsmarken einen zwar höheren Bruttodeckungsbeitrag, aber niedrigen
6
Netto-Deckungsbeitrag
als
Herstellermarken
(zusammenfassend siehe: Sattler 2001, S. 124).
attestieren
Hinter dieser Debatte um den operativen Erfolg von Handelsmarken
verbirgt sich eine viel tiefergehende Frage: Inwieweit ist die Ausweitung
von Eigenmarken in der zur Zeit beobachtbaren Form für den LEH
strategisch sinnvoll?
3. Strategische Fragen zur Eigenmarkenpolitik
Zwei strategische Aspekte verdienen verstärkte Beachtung: zum einen die
Kompetenz der Handelsunternehmen im Bereich „Markenführung“, zum
anderen die Wirkungen einer starken Ausweitung des Eigenmarkenanteils
auf die Lieferantenstruktur.
3.1 Kompetenz des LEH im Bereich Markenführung
Selbst wenn die Entwicklung und Produktion von Eigenmarken im Sinne
"schlanker Handelsmarken" ausgelagert wird, verbleibt die Verantwortung
für die strategische Markenführung beim Handelsunternehmen. Diese
Verantwortung bedeutet mehr als das bloß abverkaufsorientierte
Eliminieren oder Hinzufügen von Produktkategorien unter das Dach einer
Handelsmarke und erfordert den Aufbau von spezialisiertem Know How
und geeigneten Organisationsstrukturen (vgl. z. B. Schmalen et al. 1996, S.
243). Unbestreitbar ist der Erfolg, den einzelne Eigenmarken des LEH im
deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahren einfahren konnten,
darunter auch einige herausragende Premium-Handelsmarken, welche an
Innovationsgrad
mit
den
besten
Neueinführungen
der
Markenartikelindustrie mithalten können.
Andererseits deutet so manche Beobachtung an, dass der Know-HowAufbau des LEH im Bereich Markenführung noch nicht vollständig
abgeschlossen ist:
• Viele Handelsmarken, welche als Dachmarken über ein breites
Sortiment hinweg geführt werden, scheinen die Tragfähigkeit eines
7
•
•
Markendachs durch die unter ihnen verkaufte Produktrange heillos zu
überstrecken. Handelsmarken, die gleichermaßen auf Schokolade,
Katzenfutter und Toilettenpapier zu finden sind, überschreiten nach
klassischer Markenlehre die Grenzen des "guten Geschmacks". Wie
entsprechende Studien zeigen, erfahren solche Handelsmarken eine
deutlich schlechtere Beurteilung durch den Konsumenten und lassen
sich nur zu einem unverhältnismäßig niedrigen Preis verkaufen
(Lingenfelder/Lauer
2001;
Lauer/Lingenfelder
2002b;
Lauer/Lingenfelder 2002a). Die Mehrheit der Handelsmarken kann
daher heute – unterstützt von entsprechendem Werbeaufwand,
Platzierungsbonus und niedrigem Preisniveau – zwar mit hohen
Abverkaufszahlen glänzen, nicht aber mit dem Aufbau von echtem
Markenwert. Nicht zufällig setzen demgegenüber klassische
Markenartikelunternehmen und in der Vermarktung von Eigen- bzw.
Exklusivmarken erfahrene Discounter (z. B. Aldi) bei Produkten mit
stark unterschiedlicher Erlebniswelt auf Mehrmarkenstrategien (vgl. z.
B. Schweiger 1982; Strebinger 2002), auch wenn damit gewisse
Mehrkosten verbunden sind.
Diskutierbar ist auch die von manchen Unternehmen des LEH gepflegte
Praxis, die Unternehmensmarke undifferenziert auch als Produktmarke
einzusetzen, insbesondere dann, wenn die Unternehmensmarke dem
Konsumenten
eine
Premiumqualität
der
gebotenen
Handelsdienstleistung (gehobenes Image) signalisieren soll, während
die unter der gleichen Marke angebotenen Produkte überwiegend im
Einstiegspreisbereich und damit eher im Low-Image-Segment
angesiedelt sind. Eine solche Vorgehensweise kann beim
Konsumenten
Verwirrung
über
den
Wertgehalt
der
Unternehmensmarke
entstehen
lassen
und
damit
einer
Markenverwässerung Vorschub leisten.
Schließlich scheinen viele Unternehmen des LEH auch im Aufbau von
Markenpräferenzen für die eigenen Ladenmarke(n), neudeutsch oft
„retail brands“ genannt, Aufholbedarf zu haben. Zwar verfügen die
Betriebstypen Discounter, Supermärkte und SB-Verbrauchermärkte in
der Wahrnehmung der Konsumenten über ausgeprägte Stärken- und
Schwächenprofile. Innerhalb dieser Betriebstypen sind die Images der
konkurrierenden Handelsunternehmen jedoch nur wenig differenziert
(Hupp/Schuster 2000). Diese Austauschbarkeit führt dazu, dass der
8
Wettbewerb zwischen den Handelsunternehmen vorrangig über den
Preis geführt wird.
Nach einer Studie von accenture ist der Handel optimistisch, sich bis zum
Jahr 2005 das notwendige Marken-Know-How erarbeiten zu können – die
Markenartikelindustrie bezweifelt das (Michael et al. 2002). Bei
entsprechendem Willen ist es jedoch tatsächlich nur eine Frage der Zeit,
bis der LEH Wissen und Organisation für professionelle Markenführung in
ausreichendem Maße auf- und ausgebaut hat. Die entscheidende Frage
aber bleibt: Welche strategisch verteidigbaren Assets sprechen dafür, dass
Handelsunternehmen diese Funktionen der Wertschöpfungskette dauerhaft
besser und / oder kostengünstiger erfüllen können als die darauf
spezialisierte Markenartikelindustrie (Porter 1984; Müller-Hagedorn 1998,
S. 435ff; Müller-Hagedorn 2001)? Inwieweit ist es für den LEH strategisch
sinnvoll, in Zeiten, in denen die Erbringung der Handelsdienstleistung durch
technologische Umwälzungen und steigende Internationalisierung immer
komplexer und kapitalintensiver wird, durch ein "In-Sourcing" von Aufgaben
Managementkapazität und Kapital zu binden?
3.2 Konsequenzen für die Lieferantenstruktur
Solange der LEH aufgrund einer mangelnden Differenzierung zum
Mitbewerb desselben Betriebstyps gezwungen ist, den Kampf um den
Kunden überwiegend über Preisschlachten zu führen und den Preisdruck,
wo möglich, an die Lieferanten weiterzugeben, stellt die Degradierung
vormaliger B- und C-Markenlieferanten zu manchmal kaum mehr
selbstfinanzierungsfähigen Produzenten von Handelsmarken nur einen
Zwischenschritt zur weiteren Ausdünnung der Diversität auf
Lieferantenseite dar. Inwieweit ist es für die Handelsunternehmen
strategisch sinnvoll, diese Gefahr einer weiteren Konzentration auf
Lieferantenseite in Kauf zu nehmen? „Das ist ohnehin nicht zu verhindern“,
meinte unlängst ein hochrangiger österreichischer Handelsmanager, auf
dieses Risiko angesprochen. Auch ist augenfällig, dass sich viele
Lieferenten von Handelsmarken in dieser Rolle durchaus wohl fühlen.
Dennoch senkt die derzeitige eher undifferenzierte Ausweitung des
Eigenmarkenanteils auf Sicht die Zahl derjenigen Unternehmen, welche
dem LEH Markenware liefern können. Parallel zum Aufbau von Marken-
9
Know-How beim LEH kommt es zu einem Abbau desselben auf Seiten der
Industrie.
Nimmt man die beiden strategischen Fragen zusammen, könnte der LEH in
einem pessimistischen Szenario durch eine weitere Forcierung der
Eigenmarken mittelfristig mit der Situation konfrontiert sein, sich aufgrund
einer zu geringen Kapitalrentabilität (strategisches Problem 1) wieder
großteils aus der Führung von Eigenmarken zurückziehen zu müssen,
danach aber einer deutlich geringeren Zahl von Lieferanten gegenüber zu
stehen. Abhängigkeit des LEHs von einer kleinen Zahl verbliebener
Markenartikelriesen steht am Ende dieses Szenarios.
4. Nachhaltige Markenstrategien für den LEH
Ausgangspunkt der Probleme ist, wie ausgeführt, die in der
Konsumentenwahrnehmung nach wie vor zu geringe Differenzierung der
Handelsbetriebe: Wohl vermerken die Konsumenten markante
Unterschiede zwischen den Betriebsformen „Discounter“, „Supermarkt“ und
„Verbrauchermarkt“, innerhalb der Betriebsformen, d. h. beispielsweise
zwischen den Supermarktketten Spar, EDEKA oder REWE, nimmt der
deutsche Konsument einer Studie der GfK zufolge jedoch kaum relevante
Unterschiede wahr (Hupp/Schuster 2000). Diese geringe Differenzierung
bedeutet, dass die Unternehmensmarken des LEH in der subjektiven
Wahrnehmung der Konsumenten zur Zeit nicht viel mehr bieten als den
bloßen generischen Nutzen ihres Betriebstyps. Anders formuliert: Die
Marke(n) des Handelsunternehmen selbst verfügt über keinen Markenwert
für den Konsumenten. Direkte Folge davon ist, dass der Wettbewerb im
LEH großteils über den Preis geführt wird.
Kern einer nachhaltigen Markenstrategie für Unternehmen des LEH muss
daher zunächst der Aufbau von Markenwert für die eigene
Unternehmensmarke (im Sinne von Ladenmarke) sein. Erst nach der
Definition ihrer Kernwerte ist es sinnvoll, Eigenmarkenentscheidungen zu
fällen. Es ist Illusion zu glauben, dass ohne Differenzierung der eigenen
10
Ladenmarke eine Differenzierung über Eigenmarken nachhaltig sein kann.
Solange zwei Handelsunternehmen um die selben Kunden rittern, ist davon
auszugehen,
dass
jede
erfolgreiche
Eigenmarke
des
Handelsunternehmens A in kürzester Zeit vom Handelsunternehmen B
kopiert wird und umgekehrt – am Ende steht wiederum ein vollständig
austauschbares Sortiment, nur diesmal mit Eigen- statt mit
Herstellermarken und den erwähnten strategischen Fragezeichen. Die
Eigenmarkenstrategie ist daher in die Strategie der Unternehmensmarke
einzubetten oder kurz gesagt: Zuerst die eigene Marke, dann erst
Eigenmarken!
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Auf diesem Gedanken aufbauend schlagen wir für Betriebe des LEH,
welche sich von Diskontern differenzieren wollen, ein vierstufiges Konzept
für eine nachhaltige Markenstrategie vor (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Nachhaltige Markenstrategien für den LEH
4.1
Aufbau einer starken eigenen Marke
11
Zunächst ist für die eigene Marke, das Handelsunternehmen selbst,
Markenwert zu schaffen. Anstelle fortgesetzter Aktionitis, welche dem
Konsumenten hochdosiert jede Form der Laden- und Markentreue
aberzieht (vgl. z. B. Gedenk/Neslin 2000; Ailawadi et al. 2001), sind
Kernwerte für die eigene Marke zu definieren. Sie sollen die
Unternehmensmarke mit einzigartigen Nutzenvorstellungen verknüpfen,
welche sie in der subjektiven Wahrnehmung der ausgewählten
Zielgruppe(n)
dauerhaft
vom
Mitbewerb
differenzieren.
Einige
Anmerkungen sind an dieser Stelle von Bedeutung:
• "Einzigartige Nutzenvorstellungen" für "ausgewählte Zielgruppen":
Einem Großteil der Unternehmen des LEH ist ein ständiges Bemühen
um hohe Leistungsfähigkeit, Preisgünstigkeit, Seriosität und Ehrlichkeit
zu attestieren, welches auch konsequent in der Kommunikationspolitik
hervorgehoben wird. Die dahinter stehende Devise „Wir sind für alle da“
ist von hohem gesellschaftlichen Anspruch getragen, führt aber zu einer
Austauschbarkeit aus Konsumentensicht. Symptome dieser Haltung
sind aufmerksamkeits- und reichweitenstarke, aber „blutleere“ und
preisorientierte Werbeauftritte sowie eine – ungeachtet mancher
„Erlebnisinseln“ - emotional neutrale Ladengestaltung. Die breite
Zielgruppenansprache
trägt
zudem
den
Keim
einer
„Sortimentsverwilderung“ und eines exponenziell wachsenden
Flächenbedarfs in sich (Möhlenbruch 1994, S. 259). Die Schaffung von
Markenwert erfordert hingegen eine gewisse Eingrenzung der
Zielgruppe(n) und größere Phantasie in der Auswahl der ZielNutzendimensionen. Anstatt weiterhin nur über Preis und Sortiment auf
die Jagd nach dem Kunden zu gehen (vgl. Rudolph/Dautzenberg 1996),
bieten sich hier auch gefühlshafte Motive (z. B. über emotionale
Konditionierung, Humor, Country-of-Origin u.v.a.m.) oder soziale Motive
(Prestige, Jugendlichkeit, Nonkonformismus u.v.a.m.) an. Die Beispiele
zeigen bereits: Wer emotionalen oder sozialen Wert für den Kunden
schaffen möchte, muss auch definieren, für wen er nicht da ist.
• "Dauerhaft": Jede nachhaltige Politik erfordert die strategische
Verteidigbarkeit der zu besetzenden Positionierung. Objektive
Dienstleistungsvorteile, welche über Sortiment, Standort oder
Zusatzservice für den Kunden funktionalen Nutzen schaffen, sind in der
Regel sehr leicht kopierbar. Strategisch verteidigbar sind sie nur dann,
wenn (a) unternehmensinterne Faktoren in der Organisations- oder
12
Kostenstruktur vorliegen, welche erlauben, diese objektiven
Dienstleistungsvorteile auf Dauer günstiger oder besser bereitzustellen
als die Konkurrenz; oder (b) Pioniervorteile dafür sorgen, dass der
erste, der diese objektiven Dienstleistungsvorteile anbietet, aufgrund
von Erfahrungskurveneffekten und / oder dauerhaften Imagevorteilen
beim Kunden kaum mehr einzuholen ist. Ansonsten empfehlen sich
auch hier emotionale und soziale Nutzenkomponenten als strategische
Assets mit ausgeprägtem „Kopierschutz“. Die erfolgreichsten
Markenpositionierungen beinhalten in der Regel beides: Objektive
Dienstleistungsvorteile verknüpft mit emotionalen oder sozialen
Motiven. Als solche Bündel sind beispielsweise „Doppelte
Convenience“, „Genuss & Wellness“ oder eine „Erlebnisführerschaft“
denkbar.
4.2 Strategische Eigenmarken im Kernbereich der eigenen
Marke
Nach Definition der Kernwerte der Ladenmarke sind von der
Sortimentsauswahl
über
die
Ladengestaltung
bis
zur
Markenkommunikation und den Zusatzservices alle Marketinginstrumente
auf diese strategische Markenpositionierung abzustimmen. Unmittelbarer
Ausdruck der Kernwerte sollten strategische Eigenmarken sein, welche als
Imageträger des Handelsunternehmens die Einzigartigkeit des Sortiments
für die ausgewählte Zielgruppe sicht- und konsumierbar machen. Diese
strategischen Eigenmarken werden in der Regel Premium-Handelsmarken
sein (wie beispielsweise die Marke "AH" des niederländischen
Handelsunternehmens Albert Heijn, vgl. Dölle 2001), es sei denn, eine
Mittelfeldstrategie
korrespondiert
besser
mit
der
gewählten
Kernpositionierung der Unternehmensmarke. Auf operativer Seite rechnet
sich ein möglicher struktureller Nachteil solcher Marken gegenüber
Premium-Herstellermarken durch positive Zusatzeffekte auf das Image des
Handelsunternehmens, den Abverkauf anderer Sortimentsteile und durch
eine größere Treue der Kunden (Corstjens/Lal 2000; Sattler 2001, S. 123;
Vanderhuck 2001, S. 129, Lingenfelder/Lauer 2001). Ein hervorragendes
Beispiel einer imagebildenden strategischen Handelsmarke bietet die
Marke „Ja! Natürlich“ von REWE Austria, welche als PremiumHandelsmarke für biologische Lebensmittel und Genuss steht (siehe
13
Schweiger/Koppe 1996) und nicht mit der eher im Discount-Bereich
angesiedelten Handelsmarke "Ja!" von REWE in Deutschland verwechselt
werden darf. Neben knapp 200 Mio. Euro Markenumsatz (Reischl 2001)
konnten zwei der Ladenmarken des Unternehmens, "Billa" und "Merkur",
durch "Ja! Natürlich" auch die Imagedimension "besonders biologische
Lebensmittel" mit großem Abstand für sich besetzen (Koppe 2001, S. 318).
4.3 Kooperation mit der Markenartikelindustrie außerhalb
des Kernbereichs
Außerhalb dieses Kernbereichs sollten Premium- und Mittelfeldbereich auf
klassische Weise in - noch verstärkter - Kooperation mit der
Markenartikelindustrie bedient werden. Eigenmarken haben hier nur
taktische Funktion, indem sie punktuell als Rute in das Fenster von
unkooperativen Markenartiklern gestellt werden können. Generell ist in
diesem Bereich auf Pflege der Diversität auf Lieferantenseite zu achten.
Den notwendigen Spielraum für eine partnerschaftliche Aufteilung des
Markenwerts der Herstellermarken zwischen LEH, Herstellern und
Konsumenten, welche auch kleineren A-Marken-Herstellern das Überleben
sichert, schafft die Differenzierung zwischen den Handelsunternehmen. Sie
verlagert den Kampf um den Kunden von einen ausschließlich preislichen
zu einem auch nicht-preislichen Wettbewerb.
4.4 Defensive Diskontmarken
Hybrides Konsumverhalten macht es notwendig, auch Käuferinnen und
Käufern, die überwiegend dem Typus des Qualitätskäufers zuzuordnen
sind, ein Niedrigpreis-Angebot zu stellen (vgl. Meffert et al. 2001). So
fanden etwa Strebinger und Otter (2001), dass nahezu 2/3 eines Samples
österreichischer
Konsumenten
dem
Typus
des
„WechselndMarkenbewussten“ zuzuordnen ist, der Markenqualität dort sucht, wo es für
ihn Risiken gibt, bei unbedeutenden Käufen jedoch wenig
Markenbewusstsein an den Tag legt (vgl. auch Schmalen et al. 1996; Diller
et al. 2000). Da im Bereich schnelldrehender Konsumgüter für jeden
Konsumenten
andere
Produkte
wichtig
bzw.
unwichtig
sind
(Kapferer/Laurent
1983),
müssen
in
jedem
Produktbereich
Niedrigpreisangebote gestellt werden, um den hybriden Konsumenten nicht
14
zum Besuch von Discountern zu animieren. Diese Discount-Angebote
können als Herstellermarke oder als Handelsmarke geführt werden. Zur
Imageprofilierung eines Handelsunternehmens mit gehobenem Sortiments, Dienstleistungs- und Erlebnisanspruch eignen sich solche Handelsmarken
jedoch nicht (vgl. Schweiger/Mayerhofer 1990; Lauer/Lingenfelder 2002a,
S. 137). Markentechnisch ist es ratsam, Diskont-Handelsmarken in diesem
Fall nicht oder nur schwach an die Muttermarke des Handelsunternehmens
anzubinden. Weiters empfiehlt es sich, nicht alle Produkte des Sortiments
im Einstiegspreisbereich unter einer einzigen (Eigen-) Marke zu führen,
sondern eine Handvoll grob nach Erlebniswelten geordneter
Bereichsmarken zu schaffen, um nicht Katzenfutter, Toilettenpapier und
Schokolade unter der selben Diskont-Marke anzubieten.
5. Fazit
Um die Kernwerte des Handelsunternehmens schließen sich damit drei
konzentrische Kreise:
• strategische Eigenmarken, welche als offensive Handelsmarken die
Fortsetzung
der
Kernwerte
der
Dienstleistungsmarke
„Handelsunternehmen“ mit Mitteln des Sortiments darstellen;
• ein Portfolio aus Herstellermarken, welche auch in Zukunft das Gros
des Sortiments ausmachen sollten, und ebenfalls entsprechend den
Kernwerten der Ladenmarke zu beurteilen sind, allenfalls ergänzt durch
taktische Handelsmarken; und
• Diskont-Marken, welche als Herstellermarken oder als defensive
Handelsmarken der Abwehr der Diskonter dienen.
In Summe versucht der vorliegende Beitrag mit diesem Konzept, dem
Trend „So viel Eigenmarken wie möglich, so viel Herstellermarken wie
nötig“ entgegenzuwirken und die Sinnhaftigkeit einer ausgewogenen
Mischung zwischen Handels- und Herstellermarken vor dem Hintergrund
einer klaren Positionierung der Handelsunternehmensmarke darzulegen.
Nicht in „mehr“ oder „weniger Eigenmarken“ liegt das Erfolgsgeheimnis für
den LEH, sondern in Auswahl und Aufbau der richtigen Eigenmarken.
15
6. Literaturverzeichnis
Ailawadi, K.L./Neslin, S.A./Gedenk, K. 2001: Pursuing the Value-Conscious
Consumer: Store Brands Versus National Brand Promotions, in:
Journal of Marketing, 65, 1, 2001, S. 71-89.
Bruhn, M. 2000: Marktentwicklungen und Grundlagen der Markenpolitik des
Handels, in: WiST, 4, 2000, S. 188-193.
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