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Paradies und Sperrgebiet
Die istrischen Brioni-Inseln im Spiegel der Geschichte.
Von Brigitte Breth ...................................................................... 35
Sa./So., 29./30. Juni 2013
Transzendente Wahrheit
„Die amerikanische Fahrt“ von Patrick Roth.
Von Uwe Schütte ........................................................................ 41
Memorabilien eines Fabulierers
„Ich halte mich vom Denken ab“
Ivo Andrić und Belgrad – eine Spurensuche.
Von Richard Wall ....................................................................... 36
Erinnerung an den Dichter Franz Xaver Hofer.
Von Bernhard Widder ............................................................... 42
Der Letzte löscht das Licht
Text mit Nebenwirkung
Eine Elegie auf den Belgrader Hauptbahnhof.
Von Horst Widmer ..................................................................... 37
Gedanken über die Unverträglichkeit von Beipackzetteln.
Von Hans-Paul Nosko ................................................................ 43
Miguel Herz-Kestranek
Zickzack-Kurs auf Trampelpfad
Der Schauspieler und Autor im Gespräch.
Von Christine Dobretsberger ................................................... 38
Das neue Album der englischen Band Editors.
Von Bruno Jaschke .................................................................... 44
Von Martin Heintel und Gerhard Strohmeier
Mit dem EU-Beitritt am 1. Juli sind für
Kroatien keineswegs alle Probleme
gelöst: Hohe Arbeitslosigkeit,
Korruption, Schattenwirtschaft und
das gespannte Verhältnis zum
Nachbarn Bosnien-Herzegowina
bleiben als Belastungen bestehen.
Geografische, politische und
persönliche Anmerkungen
zum 28. EU-Staat.
Der Umriss
Kroatiens
kann mit etwas Phantasie als Drache gesehen werden: mit Istrien
als Kopf, großen Flügeln im Norden, Dalmatien als Körper und
der kroatischen Inselwelt als
Klauen. Der Drache umfasst zwei
gänzlich verschiedene Teile Kroatiens: den mediterranen Süden
mit den Landschaften an der Adria, näher an Italien, historisch
von Venedig geprägt, und den
Norden mit Slawonien, unspektakulären Agrarlandschaften, bereits mehr Mitteleuropa als Balkan. Nach dem Balkanexperten
Norbert Mappes-Niediek kann
Kroatien in die zwei Teile Küstenund Binnenland, aber auch in die
drei historischen Teile Dalmatien,
Kroatien, Slawonien, in vier Teile
mit Istrien, in die fünf Landesteile
im Wappen (Istrien, Dalmatien,
Dubrovnik, Slawonien und Zagorje), oder in zwanzig Teile, die sogenannten Banschaften, zerlegt
werden.
In den verschiedenen Landesteilen finden wir vielfältige Landschaften: von fruchtbarem flachem Ackerland über hügelige
Waldlandschaften bis zum kargen,
steinigen und trockenen Karst.
Diese Landschaften sind nicht alle
gleichermaßen in unseren Bildern
von Kroatien vertreten. Zu Kroatien fallen uns Bilder der Küste und
der 1000 Inseln ein, Städte mit venezianischer Architektur und
Stadtgestalt wie Zadar, Split oder
Dubrovnik, die „Perle der Adria“,
manchmal auch Bilder des Karsts,
vom Velebit und von den Plitvicer
Seen, die nicht zuletzt dank der legendären Verfilmung des „Schatzes im Silbersee“ in den Köpfen
präsent sind.
Charmanter Süden,
unattraktiver Norden?
Kein Wunder, konzentrierten sich
doch bereits die Anfänge des Massentourismus im Jugoslawien der
1960er und 70er Jahren auf die
Adriaküste.
Pauschalarrangements in Plattenbauhotels und
Bungalow-Parks,
proletarische
Camping- und FKK-Reisen führten u.a. nach Rovinj, Losinj, Krk
und Pag. Die Destinationen des
Massentourismus haben sich
nach den Jugoslawien-Kriegen erholt, und an den Küsten drängen
sich heute wieder viele deutsche,
italienische und österreichische
Gäste. Vom neu gestalteten Campingplatz über die „Sobe“ und
„Apartmani“ in neuen Privathäusern bis zu schicken neuen Luxushotels – im heutigen Kroatien
erinnert wenig an den rauen
Charme früherer Jugoslawien-Urlaube.
Deutlich weniger Beachtung in
der europäischen Wahrnehmung
von Kroatien finden die Land-
Hurtig dem Beitrittsdatum entgegen: Willkommensplakat am Kommissions-Gebäude in Brüssel.
schaften im Norden, die pannonischen Ackergebiete, die Städte
des Nordens mit Maschinen- und
Lebensmittelindustrie, die agrarischen Regionen um Zagreb. Wer
hat schon Bilder von Slavonski
Brod, Kutina oder Osijek im Kopf?
Doch ist es diese Region, die
Österreich näher steht als die mediterranen Landschaften – es ist
das Gebiet, das Kroatien an Mit-
teleuropa anschließt. Sind es die
ästhetischen Vorzüge der Küste
gegenüber dem flachen Land im
Norden, ist es die Nähe zu Zentraleuropa oder sind es fehlende
Kontraste, die den Norden weniger interessant erscheinen lassen
als den Süden?
Dem Drachen, der am 1. Juli in
der EU landet, ist ein Teil seines
Schweifs abgerissen – der letzte
Foto: epa
Abschnitt, der südlichste Teil der
Küste mit Dubrovnik als Mittelpunkt. Der Korridor von Neum, eine späte Erbschaft des Osmanischen Reiches, der Bosnien-Herzegowina Zugang zur Adria ermöglicht, trennt diesen südlichen
Landesteil von Kroatien ab, macht
ihn zu einer territorialen Exklave.
Fortsetzung auf Seite 34
analyse
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Fortsetzung von Seite 33
Der Drache landet
in der Union
Er ist ein Ärgernis für Autofahrer, die auf der kurzen Distanz
von etwa fünf Kilometern zweimal Grenzen zu überwinden haben, gleichzeitig aber führt der
Korridor zu einem kleinen Vorteil
für den Flughafen von Dubrovnik,
der täglich bis zu acht Flüge nach
Zagreb abfertigen kann. Pläne
Kroatiens, zur Umfahrung des
Korridors von Neum eine Brücke
und Autobahn über die Halbinsel
Peljesac zu errichten, liegen auf
Eis. Wird dies eines der künftig
von der EU mitfinanzierten Projekte Kroatiens?
Für Autofahrer ist der Drachenumriss des Landes insgesamt ein
Problem. Eine Autofahrt durch
Kroatien, von Osijek über Zagreb
nach Dubrovnik, bedeutet beinahe 900 Kilometer innerhalb des
Landes, und durch Bosnien-Herzegowina – mit dem Nachteil
langwieriger Grenzkontrollen –
sind es rund 500.
in Medjugorje ziemlich emotional
unterbricht, bringt es auf den
Punkt: „In Herzegowina leben nur
Kroaten, wir alle sind Kroaten,
wir sind das kroatische Volk.“
Kroatien verbindet nicht nur
ideologische Brücken mit den Angehörigen seines Volkes im Nachbarstaat, sondern ganz handfeste
außenpolitische Strategien der
Einflussnahme. Obwohl die OSZE
bereits 2008 empfohlen hatte, keine Außenpolitik durch Vergabe
von Reisepässen zu machen, werden zur Stärkung der ethnischen
südosteuropäischer
EU-Staaten
ein, mit EU-Pässen Außenpolitik
zu machen: Ungarn vergibt EUPässe an ungarische Staatsbürger
Serbiens in der Vojvodina, Bulgarien erklärt Angehörige bulgarischer Minderheiten in Mazedonien zu bulgarischen EU-Bürgern,
Rumänien erkennt Moldawier als
rumänische Staatsbürger an und
stellt ihnen EU-Pässe aus. Was bei
Rumänien zumindest kritische
Stimmen auslöste, wurde bei den
Beitrittsverhandlungen Kroatiens
seitens der EU überhaupt nicht
angesprochen – vorauseilend eine
Außenpolitik duldend, die den
Friedensprozess und den Staat
Bosnien-Herzegowina insgesamt
schwächen wird.
Der
EU-Integrationsprozess
Kroatiens fällt in eine Zeit des
Übergangs. Wirtschaftskrise, hohe Arbeitslosigkeit in vielen südlichen Mitgliedsstaaten, Beitrittsmüdigkeit in der EU und viele of-
Sa./So., 29./30. Juni 2013
Bucht von Piran zu nennen, der
von Slowenien geforderte Zugang
zu internationalen Gewässern,
der zu massiven bilateralen Konflikten führte. Dieser Fall wurde
2009 einem Schiedsgericht übergeben und musste vordergründig
sogar für den Rücktritt des ehemaligen kroatischen Premiers Ivo
Sanader herhalten, der hintergründig inhaftiert und wegen
Korruption angeklagt wurde.
Es folgten der Bankenstreit
zwischen beiden Ländern, bei
dem es um nicht zurückgezahlte
Deviseneinlagen kroatischer Sparer bei einer slowenischen Bank
noch aus Zeiten Jugoslawiens
ging, sowie um weitere zwischenstaatliche Animositäten.
Die Vetodrohungen Sloweniens
– um den Beitritt Kroatiens zu
blockieren – waren zahlreich,
aber schlussendlich ratifizierte
das slowenische Parlament Anfang April diesen Jahres den Bei-
Geist Tudjmans weht
durch Herzegowina
Doch die Durchfahrt durch den
Nachbarstaat und der Korridor
von Neum sind nicht die einzigen
Schwierigkeiten, die Kroatien mit
dem nicht unproblematischen
Staatsgebilde von Bosnien-Herzegowina hat. Kroatien ist mehr als
Kroatien. Die bosnisch-herzegowinischen Kroaten, Teil der Föderation Bosnien-Herzegowina, die gemeinsam mit der Serbischen Republik die Entitäten dieses Staates bildet, sehen sich zuallererst
als Kroaten, ein Volk unter dem
Schutz und Schirm des kroatischen Staates.
Kroaten in Herzegowina scheinen sich in der Folge des Bosnienkrieges der kroatischen Ethnie
noch stärker zugehörig zu fühlen
als die kroatischen Staatsbürger
auf kroatischem Staatsgebiet. Der
Geist Franjo Tudjmans ist noch
gegenwärtig. Tudjman, der mit
Slobodan Milosevic eine Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zwischen Kroatien und Serbien im
Sinne hatte, wird noch immer verehrt. Die Wirtin der Pansion Glory, die unser Frühstücksgespräch
über Ethnien auf dem Westbalkan
in ihrem herzegowinischen Hotel
nationale Organisation auf schon
attraktivere Zeiten zurückblicken
kann. Verlassen viele junge Menschen das Land, kann Kroatien
erst zeitversetzt davon profitieren, dann nämlich, wenn sie wieder zurückkehren.
Trotz der vielfach kritisierten
Rechtsunsicherheit, der Korruption, dem mangelhaften Justizsystem und bürokratischer Hürden
sind österreichische Unternehmen mit knapp 30 Prozent Anteil
an den Direktinvestitionen in Kroatien schon bisher der Investor
Nummer eins, ebenso wie in den
Nachbarstaaten Slowenien und
Bosnien-Herzegowina. Aus wirtschaftlicher Sicht sollten mit der
Integration Kroatiens in die EU
zumindest dafür stabilere Verhältnisse in Aussicht stehen.
Mit dem Beitritt stehen dem
Land nun weitere Strukturfondsmittel zur Verfügung, die es abzuholen gilt. Dass dies jedoch nicht
immer einfach ist, entsprechender förderwürdiger Projekte bedarf und auch Eigenanteile beinhalten muss, belegen Länder wie
Ungarn, Bulgarien und Rumänien, die mit diesem Procedere ihre
liebe Not haben. Abrufbare Mittel
allein machen daher noch nicht
wirklich glücklich.
Wie bei den Beitrittswellen
2004 und 2007 sind aus österreichischer Sicht auch für Kroatien
Restriktionen und Übergangsfristen für den freien Zugang auf den
österreichischen Arbeitsmarkt zu
erwarten. In umgekehrter Richtung wird kein großer Zustrom
Arbeitssuchender erwartet. Der
Übergang geht somit weiter.
Tourismus wichtigste
Einkommensquelle
Diese Überbrückung einer Bucht nördlich von Dubrovnik erspart die Umfahrung auf der Küstenstraße.
Investitionen in die Infrastruktur sind seit den EU-Beitrittsverhandlungen häufiger geworden.
Foto: Heintel
Bindungen kroatische Reisepässe,
ab nun EU-Pässe, auch den Kroaten in Bosnien-Herzegowina ausgestellt, mit allen Vorteilen der
Reisefreiheit und Niederlassungsfreiheit in der EU. Ob Kroatiens
„stiller Anschluss“ eines Teiles
der Bevölkerung des Nachbarstaates einer Entspannung der Beziehungen zu den Serben in Bosnien-Herzegowina förderlich sein
wird, ist fraglich.
Doch bei der Ausstellung von
Pässen reiht sich Kroatien in die
problematischen Umgangsweisen
Der Umriss Kroatiens ähnelt einem Drachen: mit Istrien als Kopf, den
großen Flügeln im Norden, Dalmatien als Körper und der kroatischen
Inselwelt als Klauen . . .
fene Integrationsfragen am Balkan selbst waren ständige Begleiter der Verhandlungen der letzten
Jahre.
Während Serbien und der Kosovo aufgrund der jeweiligen EUAnnäherung anlassbezogen miteinander und fallweise auch mit der
EU über ihren jeweiligen Status
diskutieren, ist Bosnien-Herzegowina als Staat in einem Selbstfindungsprozess, der noch Jahre
dauern kann. Kroatien hat es, so
gesehen, geschafft, und ist mit 1.
Juli 2013 Mitglied in der EU. Der
Weg dorthin war auch nicht friktionsfrei, wurde von österreichischer Seite aber politisch immer
unterstützt.
Im Jahr 2003 hat Kroatien den
Beitrittsantrag gestellt, die Verhandlungen wurden 2011 beendet. Es waren die längsten Beitrittsverhandlungen
bisheriger
Beitrittskandidatenstaaten, die zu
einem Abschluss geführt haben.
Schon vor 2003 und auch danach
war es ein langer, oft steiniger
Weg der Integration, der noch vor
Beginn der offiziellen Beitrittsverhandlungen im Jahr 2005 durch
die damals mangelnde Kooperationsbereitschaft Kroatiens mit
dem Haager Kriegsverbrechertribunal belastet war.
Vor allem jedoch die heftigen
Debatten mit dem Nachbarn und
EU-Mitglied Slowenien haben den
Beitrittsprozess auf Schritt und
Tritt begleitet. Da wäre einmal der
Streit um die Grenze zu Kroatien
am Fluss Dragonja und um die
tritt des Nachbarn ohne eine einzige Gegenstimme und machte
den Weg für den 28. Mitgliedsstaat der EU damit symbolträchtig
frei.
Um ein Land aus Sicht der EU
„beitrittsfähig“ zu machen, sind
der EU viele finanzielle Mittel
recht, nicht billig. So konnte Kroatien im Zuge des Verhandlungsprozesses bereits auf zahlreiche
Fördermaßnahmen der EU zurückgreifen. Etwa auf das „Instrument für Heranführungshilfen“ („IPA“, Instrument for Pre-Accession Assistance), oder auf die
bilateralen Programme zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Slowenien und Ungarn.
Die geförderten Projekte reichen
von Infrastruktur bis zu Kooperationsunterstützung im Bereich
der Verwaltung.
Obwohl zahlreiche Transferleistungen der EU Kroatien im Vorfeld des Beitritts zugute kamen,
ist die wirtschaftliche Lage im
Land alles andere als rosig. Die
Arbeitslosigkeit ist hoch, bei Jugendlichen um die 40 Prozent,
auch die Staatsneuverschuldung
ist beachtlich, und der informelle
Sektor der Wirtschaftsleistung,
sprich: der Schwarzmarkt, liegt
laut EU-Kommission bereits ebenfalls bei rund 40 Prozent. Kein
Wunder, dass Ratingagenturen
das Land auf „Ramschniveau“ heruntergestuft haben.
Für die kroatische Jugend ist
die EU zweifelsfrei ein Hoffnungsgebiet, wenngleich sie als supra-
Gleichzeitig bereitet sich Kroatien
mit Sommerbeginn nicht nur auf
die EU, sondern auch auf die vielleicht unmittelbar noch wichtigere Tourismussaison vor. Vor allem
in den Küstenregionen ist die
Hauptsaison nach wie vor die oft
einzige Einkommensquelle, die
Familien über das Jahr hinweg finanziert.
Das der Sommersaison vorgelagerte Aufräumen war notwendig,
um die ab nun geltenden EU-Umweltstandards in vielen Bereichen
überhaupt einhalten zu können.
Das Treibgut, das die Bora während der Wintermonate aufmischt, wird von vielen Meeresstränden zwar alljährlich vor Beginn der Badezeit entfernt, so
manche Abwässer bleiben jedoch
ungeklärt.
Das Abschlussessen unserer
Westbalkan-Exkursion in Dubrovnik war ausgezeichnet. Frau Ristic, unsere serbische Reisebegleiterin, hatte zuvor telefonisch einen sehr günstigen Pauschalpreis
mit dem Restaurantbesitzer verhandelt. Als dieser dann bemerkte, dass es sich um österreichische und nicht um serbische Studenten handelte, meinte er augenzwinkernd: „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich das Doppelte verlangt . . .“
Willkommen in der EU!
Martin Heintel ist Ao. Professor am Institut für Geographie der Universität Wien.
Gerhard Strohmeier ist Ao.
Professor an der Alpen-AdriaUniversität Klagenfurt.
Beide leiteten 2013 eine Exkursion der Universität Wien
zum Thema „EU-Integration
und Regionalentwicklung am
Westbalkan“, die sie u.a.
nach Kroatien führte.