Pierre-Robin-Sequenz Symptome (in individueller Ausprägung):

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Pierre-Robin-Sequenz Symptome (in individueller Ausprägung):
Pierre‐Robin‐Sequenz Definition: Angeborene Fehlbildung des Mittelgesichts mit Symptomtrias aus: Unterkieferhypoplasie und Rücklage (Mikrognathie, Retrognathie), Rückverlagerung der Zunge (Glossoptose) und Gaumenspalte (60‐80%). Inzidenz: 1:8.500‐14.000, seltene Erkrankung mit jährlich ca. 400 Geburten in Deutschland. Gynäkotropie: im Verhältnis 3:2. Ätiologie: wahrscheinlich heterogen bedingte Mandibulahypoplasie im 2. Embryonalmonat, bisher kein molekularer Defekt nachgewiesen, familiäre Häufung beobachtbar ‐ Einflüsse teratogener Substanzen im Tierexperiment bewiesen: Tetrazykline, Vit.A‐Überdosierung, Vit. B‐Mangel, Folsäure Mangel, Rauchen, Alkohol, bakt. Erkrankungen ‐mechanische Ursachen: Fruchtwassermangel, Kindslage ‐verschiedene Modelle der Mikrogenie bzw. Glossoptose als Voraussetzung für eine sek. Gaumenspaltbildung: 1. genetisch determinierte Wachstumsstörung von Ober‐ und Unterkiefer, die drei Kardinalsymptome entstehen lässt 2. Konzept der sequentiellen Entstehung: zuerst retardiertes Kieferwachstum, zum Beispiel durch Fehllage des Fetus im Mutterleib, durch Interposition der Zunge oder durch eine genetische Störung und daraus resultieren dann Gaumenspalte und Glossoptose. ‐ PRS im Rahmen eines Syndroms: zu 31‐60% in Verbindung mit anderen Fehlbildungen: ‐ Stickler‐Syndrom (in 20%) ‐ velokardiofaziales Syndrom (Mikrodeletionsyndrom 22q11, Catch 22, Shprintzen‐Syndrom) ‐ fetales Alkoholsyndrom ‐ zerebro‐kostomandibuläres Syndrom ‐ Cat‐Eye‐Syndrom (Analatresie, Colobom, präaurkulare Anhängsel, Herzfehler, mentale Retardierung) ‐ Treacher‐Collins‐ Franceschetti‐ Syndrom ‐ Trisomie 18 Symptome (in individueller Ausprägung): ‐
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Unterkieferrücklage (in schweren Fällen sichtbar), Gaumenspalte (cave: teilweise nur an gespaltenem Zäpfchen (Uvula bipartita) sichtbar (submuköse Gaumenspalte )) Atemprobleme: durch die rückverlagerte Zunge kommt es zu obstruktiven Apnoen: die Zunge kann in Rückenlagenicht vorn gehalten werden und rutscht teilweise in die U‐förmige Gaumenspalte, es kommt zu einem inspiratorischen Ventilmechanismus durch die Zungenbasis, welche gegen die Epiglottis drückt. schlafbezogene Atmungsstörungen durch physiologisch verringerten pharyngealen Muskeltonus o Klinsch: inspiratorischer Stridor (schnarchen!), unruhiger, oft unterbrochener Schlaf, schwitzen, sternale und interkostale Einziehungen, Nasenflügeln, unzureichende O2‐ Sättigung mit akraler Zyanose möglich o Obstruktionen müssen nicht von Geburt an vorhanden sein und bilden sich manchmal erst in den ersten 4 Lebenswochen aus o bei milder Ausprägung kann eine Entwicklungsverzögerung durch wenig erholsamen Nachtschlaf, bei älteren Kindern ADHS, Schulleistungsprobleme oder morgendliche Kopfschmerzen einziger Hinweis sein ‐
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Ernährungsprobleme: Koordinationsschwierigkeiten von Essen und Schlucken, o Saugschwierigkeiten: durch die Gaumenspalte keine Vakuumbildung möglich o Sekundäre Gedeihschwierigkeiten/ verzögerte Gewichtsentwickkung können einziger Hinweis sein (durch erhöhte Atemarbeit, Saug‐/Schluckschwierigkeiten) muskuläre Insuffizienz führt zu gestörtem Schluckakt: häufiges Verschlucken, Luftschlucken, Aspiration pulmonale Hypertonie mit Rechtsherzbelastung bis zum plötzlichen Versterben Mittelohr: Tubenbelüftungsstörungen: Ergüsse und Infektionen Schallleitungsschwerhörigkeit Sprachentwicklungsverzögerung Diagnostik: ‐
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Racheninspektion Pulsoxymetrie /Besidemonitoring: schließen relevante Atemstörungen nicht aus, deshalb Polysomnographie, um das Ausmaß der Apnoen objektiv beurteilen zu können, Unterscheidung zentrale /obstruktive Apnoe, bei Änderung der Therapie (Weglassen der Spornplatte) Weitere Fehlbildungen ausschließen (Sonographie), dann ggf. Chromosomenanalyse, Humangenetik Augenärztliche Untersuchung (6‐12. Lebensmonat): Ausschluss Stickler‐Syndrom Therapiemöglichkeiten (individuell verschieden, abhängig vom Ausmaß der klinischen Symptomatik): ‐
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die Behandlung erfolgt interdisziplinär an erfahrenen Spaltzentren Maßnahmen, die eine Sedierung notwendig machen, sollten auf Grund der Gefahr eines akuten Atemwegsverschlusses durch pharyngeale Hypotonie möglichst vermieden werden, bzw. nur in anästhesiologischer Bereitschaft erfolgen Atemproblematik: ‐ Bauch‐ /Seitlagerung , ggf. Erhöhen des Kopfes/ Brustkorbs (Monitoring wegen erhöhter Gefahr des SIDS): in milder Ausprägung ausreichend, um Zunge und Mandibula durch die Schwerkraft nach vorn zu bringen ‐ Kurzfristige Versorgung mit Wendel‐/Guedeltubus, Intubation, Sauerstoffgabe ‐ Gaumenplatte, reicht in manchen Fällen aus, um die Zungenlage zu korrigieren ‐ Gaumenplatte mit verlängertem velaren Sporn („Tübinger Platte“): Sporn liegt zwischen Zungengrund und Epiglottis, die Zunge wird aus dem Nasenrachen nach ventral verlagert, eine suffiziente Atmung und Ernährung (saugen) wird ermöglicht, Platte wird 24h am Tag getragen ( Schleimhaut in den ersten Tagen täglich auf Druckstellen kontrollieren) ‐ Tracheostomie und Beatmung: auf Grund der möglichen Folgeschäden (Infektion, Narbenkonstriktion und schwerste Wachstumsstörungen) als Ultima ratio ‐ Unterkieferdistraktion/ Unterkieferextension: in Anbetracht der konventionellen Therapiemöglichkeiten vermeidbar ‐ Heimmonitoring mittels Pulsoxymetrie im ersten Lebensjahr obligat ‐ Routinemäßig schlafmedizinische Evaluation Ernährung: ‐
Bestehen nach Versorgung mit Gaumenplatte weiterhin Fütterungsprobleme sollten verschiedene Fütterungsmethoden probiert werden: Fingerfeeding, Habermansauger, Playtex (Drop‐Ins) Flaschen ‐ Nasogastrale Sonde möglichst kurzfristig, selten PEG als Ultima ratio Sprache, Entwicklung: ‐ Frühzeitig Physiotherapie, Logopädie: Trink und Schlucktraining, Kräftigung des Gaumensegels , der orofazialen Muskulatur (Castillo‐Moralis‐Konzept) ‐ Im Rahmen des Gaumenspaltverschluss Parazentese, ggf. Einlegen von Paukenröhrchen, regelmäßige HNO‐Kontrollen mit Überprüfung des Hörvermögens Kieferorthopädie: ‐ Zur weiteren Förderung des Kieferwachstums evtl. bis ins Jugendalter Gaumenspalte ‐ Operativer Verschluss im Alter von 9‐12 Monaten, um normale Sprachentwicklung zu ermöglichen (Verschluss erst wenn polysomnographisch keine obstruktive Schlafapnoe mehr nachweisbar ist) Narkoserisiko ‐ Aufklärung der Eltern über erhöhtes Narkoserisiko ‐ Erstellung eines Anästhesienotfallpasses und Reanimationstraining für die Eltern Psychosozial ‐ Aufklärung der Eltern, dass es sich um eine therapierbare Fehlbildung handelt und keine mentale Retardierung zu erwarten ist. ‐ Betreuung der Eltern auf der Neugeborenenstation, Einweisung im Umgang mit spezieller Lagerung, Sondierung, Monitoring, Fütterungshilfen ‐ Genetische Beratung sollte angeboten werden ‐ Aufklärung über die befristete Anerkennung einer 100%igen Schwerbehinderung bei Gaumenspalte Prognose: Bei isolierter PRS und frühzeitiger Therapie sehr gut. Die Atem‐ und Ernährungsprobleme „verwachsen“ sich meist nach einigen Monaten. Die Mikrognathie kann durch ein großes Wachstumspotential der Mandibula aufgeholt werden, kosmetisch wird die Unterkieferrücklage bis ins Alter von 3 bis 6 Jahren aufgeholt. Die Retrognathie bleibt trotzdem funktionell meist lebenslang bestehen und ist im seitlichen Fernröntgen bis ins Erwachsenenalter sichtbar. Die Sprachentwicklung kann dank logopädischer und HNO‐ärztlicher Hilfe normal verlaufen. Quellen: 1. Linz A, Bacher M, Urschitz M, Buchenau W, Arand J, Poets J (2011): Diagnostik und Therapie der Pierre‐Robin‐Sequenz. Monatsschrift Kinderheilkunde 2011/2012; 1228‐1233. 2. Evans K, Sie K, Hopper R, Glass R, Hing A, Cunningham M. (2011): Robin Sequence: From Diagnosis to Development of an Effective Management Plan. Pediatrics 2011;127;936. 3. Bacher M, Linz A, Buchenau W, Arand J, Krimmel M, Poets C (2010): Therapeutisches Vorgehen bei Pierre‐Robin‐Sequenz .Laryngo‐Rhino‐Otol; 89: 621‐629. 4. Nufer J (2009):Langzeiteffekte des Tübinger Therapiekonzepts zur Behandlung von Neugeborenen und Säuglingen mit Pierre Robin Sequenz. [Dissertation] 5. Tolarova M (2009): Pierre Robin Malformation [Online]. Available: http://emedicine.medscape.com/article/995706. 6. Sautermeister J (2006): Wirksamkeit eines neuen Therapiekonzeptes in der Behandlung von Säuglingen mit Pierre Robin Sequenz. [Dissertation]