Sachthemen - KPH Wien/Krems
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Sachthemen - KPH Wien/Krems
1 Erwin MANN Sachthemen im Religionsunterricht Theoretische Orientierung und praktischer Behelf für JunglehrerInnen 2 INHALT Abraham 72 Abtreibung 225 Aggressivität und Nächstenliebe 219 Apokalyptische Schriften 100 Apokryphe Schriften 136 Apostel und Jünger Jesu 106 Apostelgeschichte 97 Askese 276 Auferstehung Jesu 122 Autorität und Gehorsam 216 Befreiungstheologie 254 Bergpredigt 88 Beruf und Arbeit 239 Biblische Urgeschichte 58 Bücher des AT 57 Christentum und Judentum Mittelalter 145 Neuzeit 147 Röm. Reich 143 Urkirche 143 Zweites Vaticanum 148 Christsein heute 92 Christsein in der Entscheidung 92 Dekalog 73 2. Gebot 213 3. Gebot 214 4. Gebot 216 5. Gebot 218 7. Gebot 231 8. Gebot 233 Richtschnur des Lebens 211 Ehe und Familie Geschichte 193 Lebensgemeinschaften 194 Erbsünde 66 Eschatologie Der Tod 273 Fegefeuer 274 Gericht 274 Himmel 274 Hölle 275 Jenseitsglaube 273 Unsterblichkeit der Seele 274 Esoterik 53 Ethik Arten von Gesetzen 199 Grundbegriffe 200 Normenbegründungen 200 3 Euthanasie 227 Evangelien Johannes 98 Lukas 95 Markus 93 Mathäus 86 Fasten Aschermittwoch 277 Sinn 277 Fest und Feier 278 Freiheit Begriff und Stellenwert 202 Formen der Manipulation 205 Friede Begriff 222 biblisch 222 Friedenserziehung 222 Gebet 29, 275 Gentechnik 224 Geschichte Israels 75 Königszeit 76 Landnahme 76 Reichsteilung 80 Richterzeit 76 Gewissen 206 Glaube 262 Glaubensbekenntnisse 263 Glaubenszeugnisse 269 Gleichnisse Jesu 114 Gottesbilder 33, 37 Christusbilder 33 Feminismus 39 im AT 35, 40 im NT 41 Gotteserfahrung 32, 37 Grenzerfahrungen 22 Hoffnung 272 Ideologie und Religion 46 Jesus Anwalt der Schwachen 111 der Christus 126 der Herr 126 der Sohn Gottes 127 ein Prophet 129 Gottesknecht-Lieder 45 im Urteil der Zeitgenossen 112 Jesus und die "Starken" 94 Jesus-Bilder der Evangelien 94 Sinn seines Todes 124 Todesberichte und Erscheinungserzählungen 121 4 Kain und Abel 63 Kanon der ntl. Schriften 139 Kirche Christliche Baukunst 184 Haus Gottes und Volk Gottes 179 Institution und Expedition 153 Kirchen im Vergleich 178 Kirchengeschichte Abendländ. Schisma 168 Armutsbewegungen im 13. Jh. 163 Augustiner-Eremiten 165 Babylon. Gefangenschaft 166 Die Reformation 172 Die Renaissancepäpste 170 Dominikanerorden 164 Franziskanerorden 163 Hexenverfolgung 166 Imperium und Sacerdotium 159 Inquisition 165 J. Calvin 175 J. Hus 170 J. Wiclif 170 Karmeliterorden 165 Kirche v. England 176 Konzil v. Trient 177 M. Luther 173 Protestbewegungen im 12. Jh. 161 Servitenorden 165 U. Zwingli 175 Krieg Bewertungen 221 Ursachen 221 Kult 28 Leid und Übel 42 Leiden Biblische Sicht 44 Problematik 42 Literarische Arten AT 58 Ätiologie 59 Geneologie 58 Mythologie 59 Maria im NT 107 Medien 234 Mensch bibeltheologisch 196 Faktum und Geheimnis 195 Kardinaltugenden 197 Lehramtsaussagen 196 philosophisch 196 Reifezeit 197 5 Schwerpunkt 197 Selbstentfaltung 197 Selbsterkenntnis 197 Vier Temperamente 198 Mission als Inkulturation 157 Geschichte 156 Mose 72 Mythologie 30 New Age 55 Opfer 25 Paradieserzählung 60 Patriarchengeschichte 71 Paulus Leben 132 Predigt 133 Pentateuch 57 Primat des Papstes 154 Prophetismus 83 Psalmen 85 Religionen, Klassische 30 Religionen, Konfessionen, Sekten 31 Religionsfreiheit Geschichte 208 Saudiarabien - Österreich 209 Religionskritik 50 Religionsunterricht 8 Religiöse Gruppen zur Zeit Jesu 113 Ritus 26 Sakramente Firmung 188 Sündenvergebung 190 Taufe 185 Überblick 184 Schöpfung 23 Schöpfung und Evolution 64 Schöpfungshymnus Gen 1 60 Schuld und Sünde 191 Sehnsucht-Sinnsucht-Sucht 280 Seligpreisungen 89 Sinnfrage 18, 20 Sintfluterzählungen 63 Soziallehre Bedürfnispyramide 236 Entwicklung 242 Kirche und Sozialdemokratie 244 Ordnungsprinzipien 241 Sozialismus u. Individualismus 253 Überblick 240 Wertpyramide 237 6 Streitgespräche Jesu 117 Auserwähltheit Israels 118 Fastengebot 117 Opfervorschriften 117 Reinheitsgebote 117 Sabbat-Heiligung 117 Sündenvergebung 118 Tempelsteuer 118 Sündenfallserzählung 62, 66 Synoptische Frage 94 Todesstrafe 228 Turmbau zu Babel 63 Urgeschichtliche Religiosität 24 Vorgeschichten NT 103 Wunder 119 Zeitgeschichte NT 140 7 EINLEITUNG Überzeugt davon, dass die immer wieder angesprochene Krise des Religionsunterrichts zu einem nicht geringen Teil auch eine hausgemachte ist, da - in Verwechslung von VERKÜNDIGUNG und UNTERRICHT - das "Ankommen" bei den SchülerInnen (in jedem Sinn des Wortes) vielfach zum einzigen Kriterium der Güte des Unterrichts wurde, soll mit den nachfolgend ausgearbeiteten SACHTHEMEN den LehrerInnen ganz bewusst eine Hilfestellung für seinen UNTERRICHT angeboten werden, die freilich einer entsprechenden methodisch-didaktischen Aufbereitung bedarf. Sie entspringt einem Verständnis von schulischem Religionsunterricht, wie es im ersten und grundsätzlichen Teil dargelegt wird. Wie gefragt nach den Jahrzehnten der "Betreuungs- und Beziehungsarbeit" die Inhalte im Religionsunterricht geworden sind, verraten allein schon die Titel diverser religionspädagogischen Publikationen und Fortbildungsveranstaltungen: "Sachwissen Religion", "Grundwissen Religion" "Was in Religion Sache ist", "Religionsunterricht heute. Seine elementaren theologischen Inhalte", "Zur Sache kommen" u. a.m. Man hat - relativ spät, wie mir scheint - erkannt, dass Unterricht als "Beziehungsgeschehen" unter Vernachlässignug der Inhalte auf Dauer nicht funktionieren kann. Die "Korrelationsdidaktik" versuchte daher (als religionspädagogische Theorie) auf der Wechselbeziehung zwischen "Leben" (des Schülers) und "Glaube" (der Kirche) aufzubauen und solcherart Inhalte zu transportieren, was aber von Jahr zu Jahr schwieriger wird, weil die SchülerInnen einerseits zunehmend fraglos und unreflektiert ihr eigenes Leben hinnehmen, andererseits mit Gott, Glaube und Kirche immer weniger anzufangen wissen. Sie zwischen zwei (relativen) "Unbekannten" aber eine "Wechselbeziehung" (Korrelation) im Religionsunterricht entdecken zu lassen, wird damit nahezu unmöglich. Die vorliegende Themenaufbereitung ist das Ergebnis einer längeren Unterrichtstätigkeit an AHS und BMHS. Viele positive Rückmeldungen seitens meiner UnterrichtspraktikantInnen und einer Reihe von KollegInnen ermutigen mich, diese im Laufe der Jahre gewachsenen Unterrichtsmaterialien nun auf diesem Weg zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich dabei nicht um ein "Religionsbuch" für die Hand der Schülerinnen - etwa für eine bestimmte Schulstufe gedacht, lehrplankonform und inhaltlich abgerundet -, sondern um lose Einzelthemen, die den an einer knappen und systematischen Themenaufbereitung interessierten (und an theologischer Standardliteratur armen) JunglehrerInnen einen ersten und schnellen Zugriff über das detaillierte Inhaltsverzeichnis gewähren sollen. Aus diesem Grund wurde ganz bewusst auf Literaturangaben verzichtet. Gerade die Bruchstückhaftigkeit der vorgelegten Zusammenstellung mag für die KollegInnen Anlass zur eigenen Überarbeitung und Ergänzung sein. Dass eine Reihe von Themen durchaus auch mit den SchülerInnen v. a. höherer Klassen durchgearbeitet werden kann, muss nicht eigens betont werden. Der Verfasser 8 Zur Zukunft des schulischen Religionsunterrichts Woher kommt es, dass die Theologie unter den Wissenschaften (noch immer) hohes Ansehen genießt, der Religionsunterricht an der Schule aber im Vergleich mit den Profanfächern ständig mit Imageproblemen zu kämpfen hat? Eine der Hauptursachen dafür liegt meines Erachtens darin, dass der Religionsunterricht ein klares Profil vermissen lässt. Von vornherein zum Scheitern verurteilt, hat er zu lange die Quadratur des Kreises versucht, "allen alles zu werden." Ganz abgesehen von der Spannung zwischen kirchlicher Missio und staatlicher Rechtsstellung war und ist das (redliche) Bemühen der ReligionslehrerInnen groß, auch allen anderen Erwartungen und Ansprüchen (seitens der Eltern, der SchülerInnen, der KollegInnen, ja der Gesellschaft insgesamt) zu genügen. Dazu kamen in den letzten Jahrzehnten die rasch einander abwechselnden religionspädagogischen Konzepte, die allesamt auf den Grundsatzerklärungen der Würzburger Synode basieren durchaus Bereicherungen, aber zugleich freilich auch Verunsicherungsfaktoren. St. Renner konnte daher das Spezifische des Religionsunterrichts nicht anders formulieren als: "Der Religionsunterricht ist anders."1 Und E. Rauscher siedelte ihn "zwischen Exklusivität und Isolation" an.2 Eine Folge davon ist, dass das Fach Religion vielfach das Bild eines verschwommenen Konglomerats hinterlässt, eine weitere, dass die einzelnen ReligionslehrerInnen - vielfach verunsichert und überfordert - sozusagen kompositorisch ihren eigenen Unterricht wie auch ihr eigenes Profil als Religionslehrer entwickeln. Als einzige Gemeinsamkeit scheint - neben dem Wissen um das Damoklesschwert "Abmeldung" - die Überzeugung zu stehen, dass Religion kein Fach wie alle anderen ist, sondern - bis hin zur Schulbuchaktion - eine Sonderrolle spielt; und dass die Lehrpläne daher vor allem als Anregung zu verstehen seien und dass Wissensvermittlung bestenfalls "auch" dazugehört. Was A. Schirlbauer über die Junglehrer schlechthin sagt, gilt über weite Strecken auch für die ReligionslehrerInnen: "Das Lehrerhafte liegt ihnen nicht. Sie wollen es ganz anders machen, wissen aber nicht, wie, jedenfalls nicht lehrerhaft; sie identifizieren sich eher mit den Interessen der Schüler als mit denen ihrer Kollegen."3 Empirische Untersuchungen über den Ist-Zustand des Unterrichts wie über das Selbstverständnis des Lehrers haben daher gerade in diesem Gegenstand einen ganz besonders hohen Reizwert. Um dem derzeitigen (konfessionellen) Religionsunterricht klare Konturen zu geben, müssten meiner Meinung nach (institutionell wie auch je individuell) Prioritäten in den Zielsetzungen gefunden werden: 1. Allgemeinbildung oder Werterziehung? Der Religionsunterricht legitimiert sich pädagogisch derzeit fast ausschließlich von der Werterziehung (SchOG § 2 Satz 1), nicht mehr aber von seiner allgemeinbildenden Aufgabe (SchOG § 2 Satz 2) her. 2. Wissensvermittlung oder Glaubensunterweisung? Der Religionsunterricht wird seitens der Kirche primär nicht als "Unterricht", sondern noch immer als "schulische Katechese" (Österr. Katechet. Direktorium) verstanden. Eine Entwicklung, die in Deutschland seit 1974 (Würzburger Synode) grundgelegt ist, steht in Österreich nach wie vor aus. 3. Inhalte oder methodisch-didaktische Zugänge? Nach wie vor dominieren methodischdidaktische Überlegungen den Unterricht, denen die Inhalte untergeordnet werden. 4. Konfessioneller Religionsunterricht oder überkonfessionelle Religionskunde? Trotz grundlegend geänderter äußerer Rahmenbedingungen und unterschiedlichster Akzeptanz des Religionsunterrichts (je nach Schultypen, Jahrgangsstufen, städtischem / ländlichem 9 Raum) wird nach wie vor undifferenziert am Konzept des konfessionellen Religionsunterrichts festgehalten. Die Ausprägungen des Religionsunterrichts in anderen europäischen Ländern werden nur selektiv wahrgenommen und bedacht. Es scheint wert der Frage nachzugehen, ob ein effizienter Religionsunterricht wirklich in allen Schultypen / Schulstufen / Regionen unterschiedslos nur als konfessionell gebundener in der derzeitigen Form vorstellbar ist. Um nicht missverstanden zu werden: Alle diese genannten Zielsetzungen haben ihre Bedeutung und Berechtigung, entscheidend ist jedoch der Stellenwert, der ihnen jeweils zugemessen wird. Es geht somit weder um eine Fortsetzung des gleichwertigen "Sowohl als auch", noch um ein radikales "Entweder - oder", sondern um klare Schwerpunktsetzungen, die ich für unabdingbar erachte. Zu 1. Allgemeinbildung - Werterziehung Aufgabe der Österreichischen Schule ist es, "die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbständigen Bildungserwerb zu erziehen." (SchOG § 2) Die Allgemeinbildenden Schulen haben die Aufgabe, "den Schülern eine umfassende und vertiefte Allgemeinbildung zu vermitteln." (§ 34) Auch die Berufsbildenden mittleren und höheren Schulen haben "die erworbene Allgemeinbildung in einer der künftigen Berufstätigkeit des Schülers angemessenen Weise zu erweitern und zu vertiefen" (§ 52) bzw. "den Schülern eine höhere allgemeine und fachliche Bildung zu vermitteln" (§ 65) Der Begriff "Bildung" hat - auch wenn er aus schulrechtlichen Texten niemals verschwunden ist - nach der Blütezeit des 18./19. Jhs. in den letzten Jahrzehnten einen Bedeutungsschwund hinnehmen müssen, da er als allzu klischeebehaftet dem gesellschaftswissenschaftlichen Selbstverständnis unserer Zeit nicht mehr angemessen schien. Betonte man früher stärker das Verhältnis "Individuum / Kulturtradition", so rückte in den 70er-Jahren jenes von "Individuum / Gesellschaft" in den Mittelpunkt. Der Begriff "Bildung" wurde in der Folge durch jenen des "Lernens" (Qualifikationslernen, Sozialisationslernen) ersetzt, Bildungstheorien wurden von Lerntheorien abgelöst. Die pädagogische Aufgabe - auch mit Blick auf die Allgemeinbildung - vorrangig lerntheoretisch und sozialisationstheoretisch zu verstehen, stellt sich aber immer deutlicher als eine Engführung heraus, nicht zuletzt dort, wo alles pädagogische Tun und Lassen am Kriterium seines Beitrags zur individuellen Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung, Identitätsfindung u.dgl.m. sich legitimieren muss. (Wert-) Erziehung (educatio) und Bildung (eruditio - wörtlich "Entrohung", d. h. Kultivierung) können nur bedingt voneinander abgehoben werden. Während die Erziehung im Wesentlichen sittliche Grundhaltungen (ethos) anzielt, geht es der Bildung (Kultur) darüber hinaus um Sprache und Denken, um Kunst und Wissenschaft, um Gesellschaft und Kosmos. So gesehen haftet dem Begriff Erziehung der Geruch des NotwendigUnvermeidlichen an, während beim Begriff der Bildung Elitäres, fast Luxuriöses mitschwingt. Niemand ist wirklich gebildet und für die Zukunft gerüstet, der sich nicht auch mit seiner kulturellen Herkunft auseinandergesetzt hat. Und dazu ist - neben Literatur, Kunst und Philosophie - auch der Beitrag der Theologie gefordert. 10 Das große Kulturgut Österreichs ist - nicht zuletzt angesichts einer "multikulturellen" Gesellschaft - Erbe und Auftrag zugleich. Den Kern dieses Erbes bildet unbestreitbar die christliche Religion, in die in z. T. harten Kämpfen Grundideen der Antike eingeschmolzen wurden. Ein Abschied vom Christentum nicht nur in der Glaubenspraxis des Einzelnen ("Tradierungskrise"), sondern zuletzt sogar (als "Traditionsbruch") auf dem Bildungssektor (auch als möglichem Platzhalter für eine Erst-Begegnung mit der christlichen Glaubenslehre als einer "Frohbotschaft") würde den Prozess der Selbstentfremdung des (ehemals christlichen) Europa entscheidend beschleunigen. Gerade vor dem Hintergrund der notwendigen kulturellen Identitätssicherung der SchülerInnen nichtdeutscher Muttersprache sollte dieses Anliegen wie auch der Beitrag des Religionsunterrichts dazu auch für unsere einheimischen Schüler wieder verstärkt Beachtung gewinnen. So gesehen scheint es gerechtfertigt, "ein Hauptgewicht des Religionsunterricht in der Zukunft auf die geschichtliche Dimension unserer Kultur zu legen."4 Anstatt den schulischen Religionsunterricht auch in seiner Bedeutung für die (Allgemein-) Bildung zu sehen, streicht man (unter stereotypem Verweis auf den 1. Satz des sog. Zielparagraphen5 und ihn für sich vereinnahmend) vorrangig bis ausschließlich seine Bedeutung für die (Wert-) Erziehung und damit seine ethische und therapeutische Unverzichtbarkeit für den Einzelnen wie für die Gesellschaft heraus.6 Wenn für den Verbleib des Religionsunterrichts im Fächerkanon der Schule keinerlei Bildungsinhalte, sondern lediglich das (kirchliche) Angebot einer "Lebenshilfe" geltend gemacht wird ("Persönlichkeitsorientierung, Wertorientierung und Hilfe zur Sinnfindung"'), dann muss auch die zunehmend häufigere Antwort des Schülers "Nein, danke" respektiert werden. Dass in der Folge eines solchen funktionalisierten Unterrichts - wissenschaftstheoretisch unsauber und offenkundig nur am (ziemlich pragmatisch begründeten) gesellschaftlichen Bedarf orientiert - als Ersatz für Nichtteilnehmer auch nur ein Ethik-Unterricht angeboten wird, nicht aber "ein interkonfessioneller, wissenschaftspropädeutischer Religionskundeunterricht", der auf eine ganzheitliche Bildung des Menschen im oben dargelegten Sinn abzielt, überrascht dann nicht mehr.8 Zu 2: Wissensvermittlung - Glaubensunterweisung Schon 1971 findet sich im "Allgemeinen Katechetischen Direktorium" der Römischen Kleruskongregation jene nüchterne Situationsbeschreibung des Religionsunterrichts, die sich in der Zeit danach zweifelsohne noch verschärft hat: "Immer mehr macht sich die Schwierigkeit bemerkbar, Kinder unterrichten zu müssen, die in Familien oder Orten leben, wo die religiöse Praxis fehlt oder ganz unzureichend ist. Zuweilen erheben sich Zweifel, ob es überhaupt möglich oder passend ist, ihnen Katechese zu erteilen."9 Die 1974 von der Würzburger Synode grundgelegte und in der deutschen Religionspädagogik selbstverständlich gewordene Unterscheidung zwischen "Religionsunterricht" (Lernort Schule) und "Katechese" (Lernort Gemeinde) wurde aber (leider) ganz bewusst aus dem Grund nicht ins "Österr. Katechetische Direktorium" (1981) übernommen, "da sowohl gemeindekatechetische Bemühungen wie der schulische Religionsunterricht in Österreich in gleicher Weise hinzielen, dem Menschen zu helfen, dass sein Leben gelingt."10 Schon 1983 erinnerten die deutschen Bischöfe an "gute Gründe", den pastoralen Charakter des Religionsunterrichts nicht einseitig herauszustellen, aus Sorge, "dadurch die schultheoretische Begründung zu vernachlässigen und so auf lange Sicht die Existenzberechtigung des Religionsunterrichts im Fächerkanon der Schule zu gefährden."11 Im Frühjahr 1994 forderte auch der Internationale Religionspädagogen-Kongress (Madrid), 11 "der Religionsunterricht müsse ein klares schulisches Lehrplan-Profil aufweisen und von ergänzenden pastoralen Aufgaben unterschieden werden."12 Dessen ungeachtet wird der Religionsunterricht in Österreich seitens der Kirche nach wie vor als Katechese verstanden, die aber freilich glaubenswillige und bis zu einem gewissen Maß glaubenserfahrene SchülerInnen als Adressaten voraussetzt.13 Diese Schülergruppe stellt jedoch zusehends eine zahlenmäßig immer schwächer werdende Minderheit dar, sodass es zu einer grundsätzlichen und dauernden Überforderung für den Religionslehrer kommt. In immer mehr Fällen muss man auch im Religionsunterricht damit rechnen, "dass oft die erste Evangelisierung noch nicht stattgefunden hat."14 Die Zeiten sind vorbei, wo es (in Schule wie Gemeinde) vor allen Dingen um die Entfaltung eines schon vorhandenen Glaubensbewusstseins gegangen ist. SchülerInnen erwarten zu Recht, intellektuell gefordert zu werden, wenn sie einen Unterricht besuchen. Und sie rechnen damit, dass nicht primär sie selbst gefragt sind (werden), sondern dass der Lehrer es ist, der (hoffentlich) etwas zu sagen hat. In Verwechslung von Glaubensunterweisung und Religionsunterricht wird das "Ankommen" (im doppelten Sinn des Wortes) bei den Schülern und deren permanentes "Abholen" manchmal zum einzigen Kriterium der Güte des Unterrichts. Oberste Zielsetzung eines solchen Unterrichts scheint es in vielen Fällen noch immer zu sein, für "Abwechslung" zu sorgen und "Freude zu machen". Der Unterricht kann nicht und muss auch nicht ständig mitreissen, überzeugen, womöglich betroffen machen. "Denken kann auch wehtun, und Lernen macht eben nicht nur Spaß."15 Die ReligionslehrerInnen dürfen sich nicht in der Rolle eines "Programmachers" von ihrer geheimen Sehnsucht nach hohen "Einschaltquoten" und geringen Abmeldezahlen in seinem Tun leiten lassen.16 Wenn sie aufgrund einer gediegenen Vorbereitung etwas zu sagen haben, dann bedarf es nicht notwendigerweise einer ausgeklügelten Didaktik und methodischer Raffinessen, um dieses Wissen zu vermitteln. Dasselbe gilt vom Irrglauben, sich - als "Anwalt der Schwachen" - prinzipiell mit den SchülerInnen solidarisieren zu müssen.17 S. Müller fordert daher - nicht zuletzt zur Entlastung der ReligionslehrerInnen - eine Reduktion der Dimensionen und Funktionen ("Unterricht - nicht Seelsorge") und als Ausgleich dazu einen verstärkten Einsatz der (pfarrlichen) Schulseelsorge. Zu 3: Inhalte vor methodisch-didaktischen Fragen In diesem Zusammenhang wäre auch der Stellenwert der gängigen "Korrelationsdidaktik" neu zu bedenken, die noch dazu oft als methodisches Baukastensystem missverstanden und als Allheilmittel, das Interesse der Schüler an theologischen Inhalten zu wecken, überfordert wird. "Korrelationsdidaktik scheint zu hoch zu greifen, wenn die SchülerInnen partout nichts mehr mit Gott zusammenbringen - assoziieren - können, wenn ihnen das Wort "Gott" nichts mehr sagt."18 Das "Propter nos homines et propter nostram salutem" der Offenbarung ist uns doch als die Bedingung der Möglichkeit jedweder didaktischen Korrelation schon grundlegend vorgegeben, weshalb die SchülerInnen - um überhaupt fragen und korrelieren zu können - zunächst mit den Grundaussagen einer (anthropologisch gewendeten) Theologie vertraut gemacht werden müssten, ganz zu schweigen von der authentischen Glaubenslehre der Kirche -, die sie (woher auch immer) höchst fragmentarisch und einseitig verzerrt kennen. Und auch ihr eigenes Leben nehmen sie (von ihrer individuellen Weltanschauung her) vielfach "fraglos" hin. J. Werbick ortet zurecht "eine immer weiter austrocknende Erfahrungs- und Fragekompetenz der SchülerInnen"19, die immer seltener tiefergehende Diskussionen im Unterricht ermöglicht. 12 Die wichtigste Bezugswissenschaft des Religionsunterrichts muss meines Erachtens daher eine konsequent betriebene "anthropologische Theologie" (H. Halbfas), eine "zeitangemessene Theologie" (G. Hilger), eine "dialogfähige Theologie" (F.W. Niehl) sein.20 A. Schrettle freilich nennt dergleichen abfällig "eine Theologie, vielleicht etwas abgemagert und schmackhaft gemacht."21 Was ist das für eine Theologie, die - gottfern und lebensfremd - nur "Schulweisheit" (Scholastik), nicht aber "Lebensweisheit" zu bieten hat? Was ist das für eine (unverdauliche, weil über-natürliche, geschmack-lose, weil fremde) Froh-Botschaft (Evangelium), die nur an den Mann zu bringen ist, wenn sie "schmackhaft gemacht" wird? Und was ist das für ein "Lehrer", der über die Köpfe der Schüler hinweg "doziert" und dem - frei nach dem Gleichnis vom guten Hirten - als einem bezahlten Beamten an den Schülern nichts liegt (vgl. Joh 10, 13)? Von einer emotionslosen, die SchülerInnen nicht "ansprechenden" Wissensvermittlung (sog. "reinem" Unterricht) kann heute nicht einmal mehr bei den Profangegenständen - Mathematik mit eingeschlossen - als selbstverständlich ausgegangen werden, am allerwenigsten im Religionsunterricht. Fast immer sind die persönliche Stellungnahme der LehrerInnen und das Einbringen ihres eigenen Standpunktes gefragt (und letztlich gar nicht vermeidbar) und führen bei den SchülerInnen nolens volens zu Verstärkung / Zweifel / Revision bisher eingenommener Positionen. Den LehrerInnen wird in dieser ihrer "Lehrer-Rolle" seitens der SchülerInnen (!) ständig die Korrelation "Lehre - Leben" eingemahnt (in der Sinn-Frage "Wozu?"), auch wenn sie derlei Einwürfe vielleicht sogar als Irritation (und ungehörige Unterbrechung) ihrer Gedankengänge empfinden mögen. Ein Frontalunterricht, in dem der "Fachmann" erklärend, demonstrierend, redend und erzählend seinen SchülerInnen Wissen und Können beibringt, muss nicht in jedem Fall unpädagogisch sein.22 Ob derlei Tun nun "lebensnahe Wissensvermittlung" oder "erziehender Unterricht" oder - hochtrabender -"korrelationsdidaktisch vermittelte theologische Anthropologie" genannt wird, ist sekundär. Im Endeffekt aber (und von den SchülerInnen oft erst Jahre später erkannt) hat auch ein solcher "Unterricht" einen zutiefst diakonischen Charakter, weil seine Hilfe zwar nicht unmittelbar der "Augenblicksnot" der SchülerInnen gilt23, die in den Unterricht "hereingeholt" wird, sondern weil ihnen mit der (theoretischen) Vermittlung einer "Gegen-Welt"24 (biblisch: Hoffnungsbild des "Reiches Gottes") ein besseres Werkzeug in die Hand gegeben wird, um ihre Identität zu finden, Irrwege, Fehlentwicklungen und Unrechtsstrukturen als solche zu erkennen und dagegen ankämpfen zu können! "Über die Gestalt des Fremden kommen wir zu uns selbst und eben nicht über die sentimentale Dauerthematisierung unseres Momentanselbst."25 Das religiöse Sachwissen kommt leider oft über weite Strecken unter die Räder. Die Frage "Was wird in diesem Religionsunterricht gelernt" beantwortet denn auch der Religionspädagoge und Schulbuchautor M. Scharer folgendermaßen: "Es werden vielfältige Beziehungen aufgebaut: Die Beziehungen der SchülerInnen untereinander, die LehrerInnen / SchülerInnenbeziehung, Beziehungen zu den lebenerschließenden biblischen und profanen Erzählungen, zu den sinnerschließenden Bildern" usw. 26 A. Schrettle findet eine derartige Engführung scheinbar sogar gut, wenn er - fast angewidert - bemerkt: "Die Frage nach dem Religionswissen, nach dem Stoff, der abprüfbar sein soll, wird manchmal derart in den Vordergrund geschoben, als ob dies das A und O des Unterrichts wäre."27 Ein solcher Grund-Satz eines (weiteren) Lehrbuch-, pardon: Glaubensbuch-Autors, schafft dem Fach immer neue Legitimationsprobleme. Die Nagelprobe sind nicht nur die regelmäßigen "Leistungsbeurteilungen", sondern deutlicher noch - weil öffentlich und kommissionell - die 13 Reifeprüfungen, wo sich so manche LehrerInnen nur mit nachträglichen Arbeitsaufträgen (Literaturstudium) aus der Verlegenheit retten können. 28 Natürlich lässt sich "Bildung" nicht auf eine "enzyklopädische Vielwisserei" reduzieren, "wo Antworten und Ergebnisse das Fragen ruinieren",29 da ihr neben der Liebe zum Wissen (wissenschaftliche Neugier) als ein weiterer Wesenszug auch der Blick auf Herkunft und Hinkunft und daraus resultierend eine ganz bestimmte Grundhaltung ("Herzensbildung") eigen ist. Aber Allgemein-Bildung ohne Wissen ist schwer vorstellbar. Noch sind es (in den AHS) nur die KollegInnen v. a. der musischen Gegenstände, die hier unter dem Wissensdefizit der Schüler leiden, wenn etwa von "Samson und Delilah", "Belschazzar", "Salome", den "Apokalyptischen Reitern" u. a. m. die Rede ist. Aber die Zeit ist nicht mehr allzu fern, wo selbst die "Gebildeten" hilflos und ratlos in den Museen stehen werden.30 Mit anderen Worten: Der Religionsunterricht sollte durchaus - nicht zuletzt den SchülerInnen zuliebe und zu Diensten - ein Gegenstand sein, der klare Konturen zeigt - auch was die kognitiven Inhalte angeht. Die ReligionslehrerInnen können und dürfen sich nicht damit begnügen, die "Lebensfragen" der Schüler zu wecken und zu diskutieren (so wichtig dies selbstverständlich ist!), sie sind gefordert, auch von sich aus (vorerst ungefragte) Inhalte darzubieten. SchülerInnen bringen nun einmal ihre (in immer neuen Wendungen wiederkehrenden) persönlichen Fragen und Probleme nicht so gerne im Unterricht, sondern vorzugsweise unter vier Augen ihrem besten Freund gegenüber (der trotz beharrlicher religionspädagogischer Wunschvorstellungen in der überwiegenden Anzahl der Fälle nicht mit dem Religionslehrer/ der Religionslehrerin identisch ist!) zur Sprache. Beginnt dann nicht manchmal jenes oft peinliche Bemühen des Lehrers/ der Lehrerin, die "träge Masse" aus ihrer Reserve zu locken, und sei es durch Provokation und Problematisierung um jeden Preis? Gefolgt von einer fast unterwürfigen Dankbarkeit, wenn endlich doch ein paar der SchülerInnen sich ihrer erbarmen? So kann eine Einheit von 50 Minuten zu einer kleinen, aber bedrohlichen Ewigkeit werden. M. Heitgers Vorwurf des Opportunismus und Populismus gilt abgewandelt wohl auch für die Religionspädagogik, wenn "in einer Pädagogik, die sich nur an den Bedürfnissen der Kinder orientiert", ein Menschsein oder gar eine Entfaltung des Menschseins "ohne Anstrengung, ohne Mühe, ohne Leistung" vorgegaukelt wird.31 Zu 4: Konfessioneller Religionsunterricht - Überkonfessionelle Religionskunde In den letzten Jahrzehnten haben gesellschaftlicher und religiöser Wandel die äußeren Rahmenbedingungen und damit auch Theorie und Praxis des Religionsunterrichts merklich verändert. In einer Art Vogel-Strauß-Politik wird nach wie vor so getan, als ob alle Schüler (samt Elternhaus) lediglich (bewältigbare) Glaubensschwierigkeiten (oder vielleicht nur "religöse Sprachprobleme"?) hätten, "im Grund" aber ("anonym") religiös und konfessionell gebunden seien. Als ob alles nur eine Frage des "Sich-noch-mehr-Anstrengens" der ReligionslehrerInnen sei - auch in Bezug auf ihre eigene Vorbildwirkung in Spiritualität und Kirchlichkeit. Die dann in der Forderung gipfelt: "Sie selbst werden immer mehr zur Botschaft"?32 Noch nie war es so aktuell, den Blick auf unsere Mitbewohner im europäischen Haus zu werfen wie heute. Betrachtet man dabei die unterschiedlichen Ausprägungen des Religionsunterrichts in den einzelnen Staaten, so findet man ein buntes Erscheinungsbild, das sich idealtypisch in bestimmte Grundformen systematisieren lässt. Wo die Schulhoheit 14 föderalistisch in die Kompetenz der Länder gelegt ist, finden sich manchmal innerhalb eines einzigen Staates (so etwa in der Schweiz oder im vereinten Deutschland) fast alle europäischen Modelle. Da sich nicht nur der Vertrag von Maastricht, sondern auch das letzte Symposion der Europäischen Bischofskonferenz über den Religionsunterricht zu allen historisch gewachsenen nationalen Schulsystemen bekennt, scheint es sinnvoll, den Blick nicht ausschließlich auf solche Länder zu richten, in denen ein konfessioneller Religionsunterricht eingerichtet ist, sondern verstärkt Erfahrungen und religionspädagogische Konzeptionen auch jener Länder / Bundesländer / Regionen zu bedenken, die einen interkonfessionellen / überkonfessionellen bzw. interreligiösen Religionsunterricht eingerichtet haben, bzw. die einen bestehenden konfessionellen Religionsunterricht stärker informatorisch konzipiert haben. Hier bestehen - nicht zuletzt aufgrund massiver sprachlicher Probleme - weiße Flecken auf der religionspädagogischen Landkarte Europas. Ferner: Es gibt in der deutschen evangelischen Religionspädagogik seit den Siebzigerjahren immer wieder Anläufe, die anstelle des Modells "Konfessioneller Religionsunterricht mit Ersatzfach Ethik" in die genannten Richtungen argumentieren. Die Schritte zur Zusammenarbeit zwischen den Konfessionen sind in vielen Ländern weit gediehen. Ähnliche und z. T. massive Vorstöße der Basis der deutschen Religionslehrer Innen - die immerhin in einigen Bundesländern seinerzeit die Diskussion und schließliche Realisierung des Ersatzunterrichts in Bewegung gebracht hat - ergänzen das Bild. Als Beispiele seien von evangelischer Seite der "Braunschweiger Ratschlag" (1991)33 und das sog."Hamburger Memorandum" (1993)3a, katholischerseits die Thesen des Deutschen Katechetenvereins "Religionsunterricht in der Schule" (1992)35 genannt. Das katholische Dokument entwickelt dabei den nachfolgenden Passus der Würzburger Synode (2.7.5) weiter: "In der gegenwärtigen kirchlichen und bildungspolitischen Situation ist es weder angebracht noch möglich, starr und absolut am Konfessionalitätsprinzip des Religionsunterrichts festhalten zu wollen... Darüber hinaus können Modellversuche, Sonderfälle und Ausnahmesituationen Modifikationen des Konfessionalitätsprinzips erfordern." Für die Situation des Religionsunterrichts an vielen deutschen Schulen wurde eben dieser Fall der "Ausnahmesituation" reklamiert (v. a. These 7) Die Frage: Werden unsere Kinder noch Christen sein? wurde immer akuter. Es stimmt ganz einfach nicht, dass ein primär informatorischer ("religionskundlicher") Unterricht die Tatsache ignoriere, dass Religion und Glaube immer nur in geschichtlichen „Ausprägungen und sozialer Gebundenheit vorkommen."37 Das Christentum kann doch gar nicht anders denn in seiner je konfessionellen Gestalt zur Sprache kommen. Und weder bei den LehrerInnen selbst, noch bei den SchülerInnen könnte "Konfessionslosigkeit" verlangt werden. Jedwedes Lehren und Lernen ist notwendigerweise standortbezogen. Nimmt man neuere Wertestudien ernst, kann man bei den heutigen Jugendlichen auf der einen Seite ein hohes Maß an sog. "vagabundierender" Religiosität ohne feste konfessionelle / gemeindekirchliche Bindung orten, auf der anderen Seite aber durchaus auch die Sehnsucht nach Beheimatung und Verwurzelung. Müssten wir daher nicht langfristig (auch) über differenzierte Varianten nachdenken, die beiden Phänomenen Rechnung tragen könnten? Sollten wir nicht (zielführender) statt über einen undifferenzierten Ethikunterricht (von der ersten bis zur letzten Schulstufe) über differenzierte und kombinierte Modelle nachdenken? Etwa über eine Kombination von konfessionellem Religionsunterricht (dessen unverzichtbarer Beitrag zur religiösen Erziehung und kirchlichen Beheimatung v. a. der 7-14-Jährigen hier in keiner Weise in Frage gestellt werden soll) mit über-/ interkonfessionellem bzw. sogar (bei 15 entsprechenden Gegebenheiten) interreligiösem Religionsunterricht? Von der 1. bis etwa zur 8./9. Schulstufe sollte meines Erachtens in jedem Fall der konfessionelle Religionsunterricht in immer stärkerer gemeinsamer Verantwortung der Kirchen - (mit Ersatzunterricht für Nichtteilnehmer) beibehalten, aber auch im oben ausgeführten Sinn weiterentwickelt werden; danach aber könnte ein informatorisch konzipierter über-/interkonfessioneller bzw. interreligiöser (nicht unmittelbar von den Kirchen / Religionsgemeinschaften verantworteter, aber mit ihnen akkordierter) Religionsunterricht ("Religionskunde") als Pflichtfach für alle (ohne Abmeldemöglichkeit) überlegt werden.38 Richtungsweisend und offen für ein (innerkirchliches) Gespräch über alle anstehenden Probleme und möglichen Lösungen scheinen mir auch manche Äußerungen seitens der Bischöfe zu sein, die ich nur sinngemäß wiedergeben kann: "Stärkere Betonung des Glaubenswissens zumal in den Höheren Schulen, ohne die pädagogischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte preiszugeben" (Bischof Kapellari); "Zunehmend gemeinsame Verantwortung der Kirchen für den Religionsunterricht, wobei dieser durchaus in den Kirchen beheimatet sein müsse" (Bischof Krätzl); "Voraussetzungen für Katechese fehlen vielfach in der Schule; Ziel einer elementaren religiösen Wissensvermittlung kann Religionslehrer entlasten" (Erzbischof Schönborn) Die "Öffnung" des bisherigen Unterrichts in Richtung OrB-Schüler scheint mir ebenso ein Schritt in die richtige Richtung zu sein wie die Idee eines religionskundlichen Ersatzunterrichtes in Form eines religiösen Basisunterrichts und die von A. Bucher vorgeschlagene räumliche Differenzierung ("Religionskunde" nur im städtischen Ballungsbereich)39 Solche Modelle brächten als "Nebeneffekt" auch eine Fülle von Vorteilen mit sich: - Qualitäts- und Imagesteigerung des Religionsunterrichts - Echtes fächerübergreifendes Unterrichten in beide Richtungen, da "Religionswissen" bei der ganzen Klasse vorausgesetzt werden kann. - Wegfall der Beaufsichtigung der Nichtteilnehmer / der Unruhe im Haus - Ende der Diskussion um Formen eines "Ersatzunterrichts" in der Oberstufe - Psychische Entlastung der ReligionslehrerInnen (klar umschriebene Aufgabenstellung, kein Damoklesschwert "Abmeldung", Verminderung disziplinärer Schwierigkeiten) - Möglichkeit einer verstärkten ethischen Erziehung aller (!) Schüler auch durch die ReligionslehrerInnen - Kostenneutralität für den Staat (keine zusätzlichen Dienstposten) - Grundsätzliche Einsatzmöglichkeit der ReligionslehrerInnen auch als Klassenvorstand (mit allen damit verbundenen pädagogischen Aufgaben und Möglichkeiten) - Neubelebung einer pfarrlichen Kinder- und Jugendkatechese (mit Blickrichtung Sakramentenvorbereitung und Liturgie) Eine ernsthafte und möglichst emotionslose Diskussion über pädagogische und religionspädagogische Verantwortbarkeit schiene mir wünschenswert. Im Übrigen aber steht uns allen dabei ein großes Maß an Vertrauen und Gelassenheit an. Gerade wenn ich an die tiefverwurzelte Religiosität in den USA denke, wo es weder einen konfessionellen, noch einen über-/ interkonfessionellen schulischen Religionsunterricht gibt, werde ich in dieser meiner Überzeugung bestärkt. -------------------------------------------------------1 Christlich-pädagog. Blätter 104 (1991) 105 f; 242-244 16 2 E. 3 Rauscher, Religion im Dialog, Frankfurt/Main 1991, 37-43 A. Schirlbauer, Junge Bitternis. Eine Kritik der Didaktik, Wien 1992, 78 4 S. Müller, Unterricht - nicht Seelsorge, in: Katechet. Blätter 118 (1993) 824-827, hier 824 5 "Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten..." mitzuwirken. 6 W. Langer spricht zwar vom Religionsunterricht als einem allgemeinbildenden Unterrichtsfach, setzt aber "allgemeinbildend" bewusst unter Anführungszeichen, weil er darunter die Hilfe bei der "Identitätssuche des jungen Menschen" versteht. Ders., Religionsunterricht - ein "allgemeinbildendes" Unterrichtsfach? in: K. Porstner/ N. Severinski (Hg), Religionsunterricht und offene Gesellschaft, Wien-Freiburg-Basel 1984, 59-68 7 So die Erklärung des Schulbischofs H. Krätzl vom 9.1. 1995 zu den Sparvorschlägen P. Koreckys (vgl. KathPress) 8 A. Schirlbauer, Ersatzunterricht "Ethik", in: Österr. Cartellverband Vorort Nordgau Wien, Religionsunterricht im Gespräch, Wien 1995, 58-61. Nebenbei: Der Gefahr der sozialen Verwahrlosung vieler Jugendlicher und damit deren Anfälligkeit für Radikalismen jedweder Art wird man wohl kaum mit der Erteilung eines "Ethikunterrichts" (welcher Ausrichtung auch immer) begegnen können. Sicher geschieht Werterziehung auch durch "Unterricht", aber ein solcher fällt auf steinigen Boden in einem diametral entgegenstehenden sozialen Umfeld, in dem Konsumdenken und Selbstbehauptung als die bestimmenden Grundhaltungen der Erwachsenen erlebt werden. Vgl. dazu E. Mann, Werterziehung in der Schule, in: VCL-Die Höhere Schule 46 (1994) 70-72 9 Nr. 81 10 Österr. Katechetisches Direktorium für Kinder- und Jugendarbeit, Wien 1981, 9 11 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg), Zum Berufsbild und Selbstverständnis des Religionslehrers, Bonn 1983,14 12 Vgl. KathPress vom 3.5. 1994 13 Vgl. etwa Apostol. Schreiben "Catechesi tradendae" 19 f 14 A.a.O. 19 15 Symposion "Vom Sinn und Unsinn der Hochschuldidaktik" der Österr. Gesellschaft für Bildungsforschung, Der Standard vom 29.11. 1994 16 Vgl. J. Werbick, Heutige Herausforderungen an ein Konzept des RU, in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg), RU 20 Jahre nach dem Synodenbeschluss, Bonn 1993,35-76, hier 43 17 So etwa, wenn der Religionslehrer sogar bei Notenkonferenzen (Aufstiegsklausel und Verhaltensnote) nicht nach pädagogischen Überlegungen, sondern generell nach dem (falsch angewandten) Rechtsgrundsatz "In dubio pro reo" seine Stimme abgeben zu müssen meint... 18 J. Werbick a.a.0. 63 19 A.a. O. 37 20 Vg. G. Hilger, Korrelation als theoogisch-hermeneutisches Prinzip, in: Kat. Blätter 118 (1993) 828-830. Die Problematik möglicher Divergenzen zwischen Theologie und kirchlichem Lehramt und die Schwierigkeiten, die sich daraus für den Religionsunterricht ergeben, bedürften einer eigenen Untersuchung. 21 Christlich-pädagog. Blätter 107 (1994) Heft 3, 57 22 Vgl. K. Aschersleben, Moderner Frontalunterricht. Neubegründung einer umstrittenen Unterrichtsmethode, Frankfurt 1985 23 M. Scharer ("Religionsunterricht als Dienst an den SchülerInnen und an der Schule") zählt hier schulische Unrechts- und Leidsituationen, vielfältige Not- und Fragesituationen, das Schulsystem u. a. auf. In: Österr. Religionspäd. Forum 4 (1994) 13-15 24 Vgl. A. Schirlbauer, Junge Bitternis 34 f 25 A.a.O. 33 26 Christlich-pädagog. Blätter 107 (1994) Heft 2, 8 27 Ebda 28 Die Leistungsbeurteilung in Religion ist oft von einer ganz eigenwilligen Form christlicher Nächstenliebe beeinflusst, die traditionell dazu geführt hat, die gesetzliche Notenskala (1-5) in der Praxis auf 1-3 zu verkürzen. 29 A. Schirlbauer, Junge Bitternis 69 30 Selbst in Frankreich, wo es aufgrund der Trennung von Kirche und Staat keinen schulischen Religionsunterricht gibt, plädierten 1991 60 % aller Franzosen für einen Religionskunde-Unterricht, da die Kinder nicht einmal die Grundbegriffe der christlichen Tradition, geschweige denn die der anderen Religionen kennen. ("Der Standard" vom 14.4. 1993) 31 M. Heitger, Pädagogik im Widerspruch, in: ÖPU-Nachrichten 24 (1994) Heft 1, 2-4. Vgl. dazu auch die lesenswerte Glosse "Die Schule unter dem Regenbogen" (Die Zeit vom 28.7. 1995, 53), in der C. Frech-Becker überaus pointiert die derzeit herrschende pädagogische Doktrin aufs Korn nimmt: "Nur noch ein Drittel Wissensvermittlung soll die Schule leisten. Der Rest soll das auffangen, was Elternhaus und Gesellschaft versäumt haben..." 17 32 F. Anhell, Religionsunterricht im gesellschaftlichen Kontext, in: Pastorale Praxis. Beilage des Pastoralamtes zum Wr. Diözesanblatt, Mai 1994 33 Vgl. J. Lott (Hg), Religion - warum und wozu in der Schule? Weinheim 1992, 341355 34 Ders. a.a.0. 131-136 3s Katechet. Blätter 117 (1992), Heft 9 36 Kurier vom 4.12. 1994 37 Vgl. E. Feifel, Referat im Arbeitskreis "Die Konfessionalität des Religionsunterrichts", in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg), RU 20 Jahre nach dem Synodenbeschluss, Bonn 1993, 81 38 W. Langer hing schon 1984 der Idee einer "Religionskunde" nach. A.a.O. 61 f 39 A.A. Bucher, RU: von der Nordsee bis zu den Alpen? in: Katechet. Blätter 119 (1994) 765-768 Formen religionspädagogischen Handelns (SachthemenQuer.doc) 18 Die Frage nach dem Sinn des Lebens BEDEUTUNG: S i n n bedeutet ursprünglich "einer Richtung nachgehen", es hat wesentlich mit Weg oder Reise und dem damit verbundenen Z i e 1 zu tun. Sinn bezeichnet das Wesentliche, das schon im voraus Daseiende, das Grundlegende, das "Eigentliche", von dem her alles andere erst verstehbar wird. Es ist das Modell, der Entwurf des Ganzen unseres Lebens, das aber seine Ganzheit nicht finden kann ohne die Welt, in der es lebt. Nur was damit übereinstimmt und in dieselbe Richtung geht ("richtig" ist), hat Sinn, alles andere ist widersinnig bzw. sinnlos. Nach diesem Sinn fragen die Menschen, wenn sie nach Glück, Leben, Liebe, Hoffnung, Erfüllung ("Heil") suchen und fragen; und nicht zufällig stellt sich die Sinnfrage am bohrendsten angesichts von "Un-Heil", das einen trifft. URSPRUNG: Die zwei prinzipiell unterschiedlichen Grundeinstellungen lassen sich anschaulich darstellen anhand der beiden Spiele TypDom und Puzzle: Sinn liegt dann vor, wenn etwas in einem größeren Ganzen "passt", wenn etwas "in (der vorgegebenen) Ordnung" ist, mit dem Ideal konform geht bzw. (damit überein-) "stimmt' und d e s h a l b verständlich/ verstehbar ist. Puzzle-Stück wie Buchstabe sind angelegt auf ein größeres Sinnganzes, sei es eine bildliche oder eine verbale Aussage (Bild-Sinn bzw. Wort-Sinn) Beim Puzzle wie beim Typ-Dom kann der Mensch als ein Teil oder als das Ganze verstanden werden. Im ersteren Fall stünde er nicht als Person, sondern nur als soziales Wesen in Rede mit der Bestimmung, das Kollektiv zur Vollendung zu bringen. Im anderen Fall hätte er sein ganzes Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, seinen runden und kantigen Seiten, seinen 19 Freuden und Leiden nach jenem (Voraus-) Bild zu gestalten, das Gott von Ewigkeit her von ihm hat. Der Sinn des Lebens wird in b e i d e n Bildern deutlich: Im fertigen Lebensbild einerseits, das der Mensch vor sich hat, und im "Titel", der verbal dem Ganzen erst einen Namen und damit eine gewisse Endgültigkeit der Aussage gibt. Anders ausgedrückt: Der Mensch entspricht nicht nur einem Bild, das Gott seit jeher von ihm hat, sondern er verwirklicht sich selbst in Freiheit und ist so derjenige, der selbst seinem Leben Sinn und individuelle Prägung gibt! Die Sinnerfahrung braucht Zeit und ist mühsam, sie geht Wege und Irrwege, um von neuem einen Anlauf zu wagen. Und dann wieder offenbart sich plötzlich wie von selbst der Stellenwert des Details und sein Ort im Ganzen des Daseins. Das Leben des Menschen geht freilich wie Puzzle oder Typ-Dom vielfach nicht auf; es bleibt unvollendet: Manchmal geht ein zentrales Stück verloren und eine Lücke bleibt zurück, manchmal bleiben ein paar sinnlose Teile zurück, die nicht verarbeitet werden können... Grundsätzlicher formuliert lauten die beiden Positionen: • Sinngebung kann (nur) durch den einzelnen Menschen selbst erfolgen (und wird daher auch immer wieder korrigiert, verändert, neu formuliert werden): Es sind die vielen großen und kleinen Z i e 1 e, die er verfolgt und wieder aufgibt, wenn er etwas anfängt "mit Blick auf..." (Ausbildung, Familiengründung, polit./soziales/ kirchliches Engagement u. a.) In einer Extremaussage hat dann das Leben n u r jenen Sinn, den wir selbst ihm geben! • Aber: Der Mensch kann seinem Leben einen umfassenden und letzten Sinn, der sich bis zum Tod bewährt, von sich aus nicht geben; er wird ihm nach christlichem Glauben von Gott g e s c h e n k t. Als weltoffenes Wesen will der Mensch "das Ganze" erkennen, er will "dahinter kommen" und so die Zusammenhänge durchschauen. Es gibt eine umfassende Totalität, die Leben, Leiden und Tod umgreift, ein "Gutsein des Ganzen" (vgl. Gen 1), auf das zu vertrauen der Mensch angelegt ist: "Es wird alles (wieder) gut!" Das ist nicht billige Tröstung oder grundlose Hoffnung, sondern das Urvertrauen des Menschen! Denn nicht das Unheil (Sinnwidrige) ist das Letzte, sondern das Heil. Und nur jenes Leben ist sinnvoll, das mit diesem "Heilsplan Gottes" konvergiert. Wir haben uns nicht (nur) Ziele g e s e t z t, sondern sind b e r u f e n, das ewige Heil in der Verbindung mit Gott zu erlangen! SINNERFAHRUNGEN: 1) P o s i t i v in den Augenblicken des Gelingens, des Geglücktseins: Eine erfüllte Hoffnung ein vollkommenes Werk - ein erreichtes Ziel - Schönheit in Natur und Kunst - eine große, selbstlose Liebe u. a. m. 2) N e g a t i v, wenn der Sinn verdeckt/ gestört/ zerbrochen ist (Widersinn): Schmerz und Leid - ein schwerer Verlust - das Scheitern der Pläne - die Erfahrung der Vergeblichkeit des Strebens (Frustration) - der Tod ohne Hoffnung u. a. m. 3) S i n n 1 e e r e (Sinnlosigkeit) eines Lebens ohne Spannung, Tiefgang, Glück ("existentielles Vakuum") mit Überdruss, Langeweile, Ekel bis hin zum Selbstmord als Folge. (Bedeutung der Logotherapie V. Frankls!) 20 Kein Weg / Kein Leben ohne Ziel Jeder Mensch strebt tagaus-tagein nach bestimmten Zielen, die er erreichen möchte. Sie können - kurzfristig sein (Augenblickswünsche), - längerfristig sein (Teilziele) - oder das ganze Leben betreffen (Lebensziele) Bei Wegfall eines Lebenszieles kann das Leben sinnlos werden (Selbstmord) ICH WILL... Er kann sie aber nicht nur selbst anstreben ("Ich will..."), sondern sie werden ihm auch von aussen durch Autoritäten (Gott und die Kirche, Eltern und Erzieher...) gesetzt ("Du sollst...") ICH SOLL... Im Idealfall stimmen Wollen und Sollen überein. 21 Lebensziele können sich auf die eigene Person (ICH) beziehen: Reichtum, Ehre, Genuss, Macht, Erfolg, Spaß, Beliebtheit... auf den Mitmenschen (DU): Familie, Partnerschaft, soziale Dienste, Entwicklungshilfe, Politik... auf die belebte/ unbelebte Natur (ES): Natur- u. Umweltschutz, Tierschutz und Tierpflege, Artenschutz, Denkmalpflege ... auf Metaphysisches: Religion, Esoterik, Ideologien ... Welches Lebensziel soll ich als Christ anstreben? Ich soll mich selbst verwirklichen, d. h. die mir von Gott geschenkten Anlagen zur Entfaltung bringen (vgl. Mt 25, 14-30) Ich soll den Nächsten lieben wie mich selbst. (Vgl. Goldene Regel Mt 7,12) Ich soll verantwortungsvoll (Gen 2,15: "behutsam") mit der belebten und unbelebten Natur umgehen. Ich soll Gott lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele (Mk 12,30) In der Bergpredigt stellt Jesus die rechte Relation zwischen "großen" und "kleinen" Zielen im Leben des Menschen wieder her, wenn er bei allem Wissen um die Bedürfnisse und Wünsche des täglichen Lebens sagt: "Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben." (Vgl. Mt 6,19-34) 22 Grenzerfahrungen Der Mensch hat ein unstillbares Verlangen nach GLÜCK, erfährt dieses aber immer nur in seiner Gebrochenheit: Hoffnungen werden enttäuscht, immer neue Sehnsüchte werden wach, Angst ist sein ständiger Begleiter. Selbst der geliebte Mensch ist "ein Versprechen, das nicht gehalten werden kann." Der Mensch hat ein Urverlangen nach FRIEDEN, mit sich selbst ebenso wie mit seiner Umwelt. Er muss gleichzeitig aber immer auch das Aufbrechen zwischenmenschlicher Konflikte und (in seinem Gewissen) persönliche Schulderfahrung konstatieren. Die Harmonie ist verlorengegangen. Der Mensch will in einem umfassenden Sinn HEIL (vollkommen) sein, und sei es auch nur in der Erinnerung anderer (Lächeln auf einem Foto) Er muss zugleich aber alles Bruchstückhafte in seinem Leben erkennen und mit Schmerzen und Enttäuschungen leben. Der Mensch strebt nach umfassendem Wissen; in immer neuen (philosophischen und theologischen) Anläufen versucht er die WAHRHEIT der Wirklichkeit zu erfassen. Aber "Stückwerk" ist all sein Erkennen, und selbst der Glaube sieht nur "wie durch einen Spiegel" (1 Kor 13) Der Mensch will FREI sein in seiner Lebensgestaltung, muss aber immer gleichzeitig die Kehrseite der Verantwortung und die äußere Beschränkung seiner Freiheit zur Kenntnis nehmen. Der Mensch strebt nach vollkommener PERSONALER EINHEIT in der Liebe, er möchte sich den anderen am liebsten "ein-ver-leiben". Und doch ist solche Einheit letztlich nur annäherungsweise erlebbar. Im Extremfall gibt es völliges Missverstehen und die Trauer der Einsamkeit. Der Mensch ist ausgerichtet auf EWIGKEIT; er möchte die Zeit (den Augenblick) fixieren (in der Erzählung, im Tagebuch, im Bild), aber er muss immer wieder sich lösen und Abschied nehmen und am Ende sterben. 23 REFLEXIONEN ÜBER DEN ANFANG A. Allgemeines: Anfangs bestand Interesse nur am Nächstliegenden (Woher stammen die Boote, woher die Trommeln...?), später auch an der Sonne, der Nacht, dem Regenbogen, ehe sich schließlich die universale Frage nach dem Woher der Welt einstellte. Anfangs fomulierte man nur negativ: Als "weder Sein noch Nichtsein,... nicht Sand, noch See, noch Salzwogen, nicht Erde unten, nicht oben Himmel" waren (Rigveda); als "droben der Himmel noch nicht benannt, drunten die Erde noch keinen Namen trug". (Enuma elisch-Epos) Anfangs waren deistische Vorstellungen ("Uhrmachergott") vorherrschend; oft wird ein Demiurg (handwerklicher Schöpfer) vom höchsten Gott unterschieden; Theogonie (Götterursprung) und Kosmogonie (Weltentstehung) sind ineinander verschränkt. B. Mögliche Denkmodelle: SCHÖPFUNG - Persönlicher Urheber der Welt WERDEN - Entfaltung einer weltimmanenten Potenz EMANATION - "Ausfluss", Hervorgang aus Höherem C. Bilder: Analogie zur Tagwerdung: Eng umschlungene Himmel / Erde werden vom Luftgott getrennt, sodass die Sonne ihren Lauf beginnen kann (Ägypten) Analogie zur Zeugung: "Weltei", aus dem alles entstanden ist (Polynesier, Japaner, Griechen) Herausbildung aus dem Körper eines toten Urwesens: Indischer Urmensch Purusha, german. Urriese Ymir, iran. Urrind bzw. Urstier. Anthropomorphismen: Gott als Handwerker, Töpfer, Schmied, Weberin, Fischer u. a. D. Abstraktionen: Gott erschafft nicht durch ein Tun, sondern durch das bloße Wort (Ägypt. Thot, Jahwe, Allah) 24 Formen urgeschichtlicher Religiosität NATURISMUS = Verehrung von Naturobjekten, die für das menschliche Leben bedeutungsvoll sind (Gestirne, Berge, Flüsse u. a.) PRAEANIMISMUS / ANIMATISMUS = Unreflektierter Umgang mit den Dingen, als seien sie Lebewesen (// Spiel der Kinder) ANIMALISMUS = Glaube an religiös / mystisch / magische Bindung des Menschen an Tiere (v. a. Tierkult, Jagdzauber) (Anthropomorphe Vorstellungen / Tier als Symbol für Gottheit bzw. Gottheit selbst (Herr der Tiere) Tierversöhnungs- / Tierverehrungsriten / Tierorakel) ANIMISMUS = Glaube an das Beseeltsein aller Dinge / Lebewesen (Seelen- und Geisterglaube): Seele als selbständiges, immatierielles Element, das alles überdauert (vgl. Seelenloch in Gräbern) TOTEMISMUS Totem (indian.) = Wesensklasse (meist Tier-/ Pflanzenspezies), zu der der Mensch - individuell wie im Clanverband - in einer magisch-mystischen Verbindung steht: Soziale Gruppen leiten von ihm ihren Ursprung und damit ihre eigene (Bluts-) Verwandtschaft ab (Heiratsverbote), benennen sich nach ihm, wissen sich geschützt, verletzen oder töten es daher nicht = tabu (Jagd- u. Eßverbot) Totempfahl = Blick in die Geschichte des Stammes (nach einem mythischen Urahn) AHNENGLAUBE Ambivalenz einer Macht (Nähe und Ferne), vor der man Angst hat, die einen aber zugleich schützt und durchs Leben begleitet (vgl. Heilige) - Best. Bestattungs-/ Aufbewahrungsformen - Medizinmann / Schamane als Kontaktperson - Dauernde Wechselbeziehung zu Totemismus: (Totemtier u. menschl. Ahnherr gehen eheähnl. Verbindung ein: Seele des Menschen nach dem Tod Totemtier Seele des Totemtieres neugeborenes Kind) DYNAMISMUS = Glaube an unpersönliche, automatisch wirkende Kräfte / Mächte (Mana) an Orten (Gräber), an Dingen (Reliquien, Waffen) und an Menschen (Krieger, Epileptiker, Albinos u. a.) Tabu (das bes. Gemerkte = Verbotene) MAGIE / FETISCHISMUS = Glaube an Objekte, denen eine geistige Macht (Mana) innewohnt, die der Mensch aktivieren kann: Medizin, Amulett, Talisman und (bildlich-figürlich) Fetisch (portog. feitico = künstlich gemacht) (POLY-) DÄMONISMUS = Glaube an personenhafte böse Mächte (Gestalt, Wille) SCHAMANISMUS = Institutionelle, formgebundene Verbindung eines best. Menschen mit dem Jenseits (in Exstase/ Dämmertraum) im Dienst der sozialen Gruppe. (Kein Schadschama-nismus) Diese Verbindung kann erfolgen - auf eigener Himmelsreise des Schamanen / - in eigener Besessenheit davon / - durch Bannung der Geister in einen Gegenstand (wie etwa in eine Trommel) Trainieren und Verstärken solcher Begabung durch Rauschmittel, Tanz, Lärm, Selbsthypnose u. a. (POLY-/MONO-) THEISMUS = Glaube an personale Gottheit(en) Streitfrage Urmonotheismus!? (Oft als Himmelsgott / Herr des Schicksals / Schöpfergott / Androgynes Wesen / der ganz Andere, der erschreckt und fasziniert) 25 Religiöse Phänomene Die vielfältigen Erscheinungsformen von Religion - von den Stammesreligionen bis zu den Hochreligionen - lassen sich nur schwer in eine systematische Ordnung bringen. Die Grenzen zueinander sind fließend, dennoch kann man vier verschiedene Gruppen unterscheiden: OPFER RITUS Verhaltensweisen des Menschen im Angesicht des "Göttlichen" (Religionsphänomenologie) KULT GEBET OPFER A. BEGRIFF: Ein Mensch entzieht (allein oder stellvertretend) wertvolle Güter dem eigenen Gebrauch, um sie einer übernatürlichen Macht zu übereignen. Das deutsche Wort "Opfer" kommt vom lat. offerre (darbringen) bzw. operari (vollbringen) und betrifft - ungenau Opferhandlung und Opfergabe gleichermaßen. Das lat. "sacrificium" (engl./ frz. sacrifice) enthält sacer (heilig) und facere (tun) B. ZWECK: 1. Versuch, sich der Gottheit zu bemächtigen, indem man sie quasi-vertraglich in einem Rechtsgeschäft binden will ("Do, ut des" - Ich gebe, damit Du gibst) Z.B. Brahmanisches Ritual ("Hier ist die Butter - wo sind Deine Gaben?") Bei Ausbleiben der Gaben Zurücknahme des Opfers. 2. Stiftung von Gemeinschaft (Communio-Opfer): z. B. das Bärenfest bei den Ainus (Urbevölkerung Japans), bei dem ein 2-3 Jahre besonders aufgefüttertes Tier mit Pfeilen getötet und in fröhlichem Mahl verzehrt wird. Z.B. die israelitischen Schlachtopfer: Das Lebensprinzip Blut (durch Vergießen) und Fett (durch Verbrennen) für Jahwe (vgl. 1 Sam 2,15 f), das Übrige für die Familie, deren Oberhaupt in älterer Zeit selbst das Opfer darbrachte. C. GEGENSTAND: Es lässt sich eine Hierarchie der Opfergaben feststellen: Vom Besten (Selbstopfer) über Stellvertretendes (pars pro toto: z. B. Haar, Kleidung), Ersatzformen (wie Erstgeborener - Sklave - bes. wertvolles Tier - etwas aus dem normalen Besitz) bis hin zur ethischen Dimension (Selbstüberwindung) 26 D. METHODEN: Deponieren - Vergraben - Versenken - Vergießen - Verstreuen Verbrennen (Brand- und Rauchopfer) - Schlachten mit oder ohne Mahl - Einreiben - Salben u. a. E. MOTIVE: Lob-, Bitt-, Dank-(Zur Einlösung eines Gelübdes = Votivopfer, als Erstlingsopfer = Primitialopfer, vgl. Kain), Sühneopfer Zur Abwehr böser Mächte (Schwellen-, Bau-, Brückenopfer) und zur Beschwichtigung zorniger Gottheiten RITUS A. BEGRIFF: Ritus ist der ordnungsgemäße religiöse, spez. kultische Brauch, wie er sich aus der Tradition festgesetzt hat. Er besteht aus hl. Handlung und hl. Worten (Orakel, Zaubersprüche u. a.) Ein Bündel von Riten bildet das Ritual, das oft in Büchern schriftlich fixiert ist (Rituale) Riten sind ständig in Gefahr, rein magisch missdeutet zu werden. B. ARTEN: 1. Apotropäische (= zauberabwehrende) Riten: Der Mensch wappnet sich gegen böse Einflüsse mit Kraftmitteln aller Art: Blut, Speichel, Wort, Schrift, Tätowierung, Amulette, Masken (Täuschung), Schwellenzauber (Giftschlange in Arabien, Blut bei den Israeliten in Ägypten, Salz gegen die Toten in Japan, Drudenfuß gegen Hexen in Deutschland, Türgottheit Janus / Jannuar, CMB ("Christus segne dieses Haus") im Christentum, die Mezuzah (Schrifttext aus Dtn und šDJ ("Hüter der Tore Israels") bei den Juden) Typische Verhaltensweisen: Lärmen, Trommeln, Läuten, Schießen, Ausspucken, Anzünden von Feuern, Zauberkreise, Umläufe, Fesselungen, Zauberblick und Zaubergesten. 2. Eliminationsriten: Etwas Böses wird aus der Gemeinschaft vertrieben Z.B. Atl. Sündenbockritus (Lev 17): Tier bekommt durch Handauflegung des Hohepriesters Sünden der Gemeinschaft aufgebürdet und wird in die Wüste geschickt/ getötet. (Vgl. auch Jesu Opfertod) Z.B. Assyrisch-babylon. Sündentafeln (Zerbrochen oder ins Wasser geworfen) Z.B. "Sündenfresser": In Apfel gebannte Sünden der Gemeinschaft werden von einem Ausgestoßenen (Sündenfresser) gegen Lebensunterhalt verzehrt Z.B. Sündengewand, das dann zerstört wird 3. Reinigungsriten: Rituelle Waschungen (Hinduismus, Judentum, Islam), Untertauchen (Taufe), Wälzen in / Bestreuen mit Asche, Feuer, Blut (Blut Christi), Salz (Taufe) u. a. 4. Übergangsriten (rites de passage) an den entscheidenden Punkten menschlichen Lebens: 27 Zuerst als Durchschreiten eines Tordurchgangs zur Reinigung von heidnischer Unreinheit nach deren Besiegung (Triumphbögen) Dann auch an lebensgeschichtlichen Übergängen: a. Geburtsriten (Krisis des Gebärens / Geborenwerdens): Sie bewegen sich einerseits um die Unreinheit der Wöchnerin als Trägerin unheimlicher Kräfte (Tabu), andererseits um Gefahren seitens böser Geister: Dauernde Geburtsriten: z. B. in China jedes 3. oder 6. Jahr / mehrmals im Jahr / Monat (als Macht-/ Kraftzufuhr bei schwindender Lebenskraft= Krankheit): "Durchgang durch die (Bambus-) Pforte", die zunächst in der Mitte, dann in jeder Ecke des Zimmers aufgestellt ist und vom Taopriester, dem Vater und den Kindern durchschritten wird. Abschluss mit dem "Ritus des Aufhörens der Kindheit". Erdtaufe: Das Neugeborene wird mit der Macht der Mutter Erde in Berührung gebracht Schlag mit der Lebensrute(vom Lebensbaum), um die Kräfte des Lebens und der Fruchtbarkeit zu übertragen (ähnlich Zweige) Feuertaufe / Wassertaufe (zugleich Reinigungsritus) Exorzismen (Z.B. Christentum) Beschneidung (zugleich Pubertätsritus) Kultische Reinigung der Mutter (z.B. Lev 12) Männerkindbett (franz. Couvade): z. B. Britisch-Guayana, um böse Dämonen zu täuschen und von Mutter und Kind abzulenken!? b. Pubertätsriten (Krisis der Reifezeit): Beschneidung: (Es gibt keine Ursprungserzählungen / Mythen, die diese uralte Tradition absichern!) Sie ist zunächst eine Schwächung des Mannes, die aber ein mächtigeres Leben bezweckt: Hygienische/ Medizin. Gründe - Einführung in das Sexualleben und Steigerung der sexuellen Lust - Erhöhung der Fruchtbarkeit - Härteprobe bei Eintritt ins Mannesalter Statuszeichen - Opfer (pars pro toto) - Initiationsritus (Eintritt in eine best. Mysteriengemeinschaft) Ritualisierte Machtproben / Härtetests: z. B. Abhacken des kl. Fingers (Mandaner Indianer); Geißelungen bis zur Bewusstlosigkeit Namenswechsel als Ausdruck der neuen Identität (vgl. auch Papst- und Ordensnamen) Kleiderwechsel: Bewirkt Erneuerung des Menschen und ist auch Vorbedingung der Kultteilnahme (Gen 35, 2 f) Verleugnung der Vergangenheit: Tun, als hätte man Sprache, versch. Menschen u. a. vergessen c. Hochzeitsriten (Krisis der richtigen Partnerwahl): 28 Sie begegnen als Trennung-, Vereinigungs- und Aufnahme-, Abwehr- und Reinigungs-, Zukunftsbestimmungs- und Fruchtbarkeitsriten. Darüber hinaus zeigt sich Ehe als Mysterium: z. B. in der griechisch. Religion; Eph; Ehe als Wiedergeburt Zusammenhang Hochzeit - Tod: Z.B. Grabpflege und Seelenmesse (Thüringen) Heirat im Trauergewand (Friesland) Arbeit am Totenhemd / Sarg in der Brautzeit (Gelderland) Defloration (durch Fremden / Priester / Zeremoniell) d. Todesriten (der Tod als die Lebenskrisis schlechthin): Physischer Tod ist erst endgültig mit dem Begräbnisritus (ähnlich der Geburt) KULTUS 1. BEGRIFF:Unter Kult (lat. colere = pflegen) versteht man alle jene Verhaltensweisen, die Gruppen mit gewisser Regelmäßigkeit zur Pflege ihrer Religion (als Verbindung mit dem Übernatürlichen) zeigen. Es ist immer ein Gemeinschaftshandeln, und zwar mit getrennten Rollen (Priester - Laien, Ekstatiker..) Im Mittelpunkt stehen Opfer und Gebet, daneben auch Umzüge, Musik, Tanz Er läuft immer Gefahr, dass - ähnlich den Riten - Inhalte vergessen werden, aber die Form erhalten bleibt Er verlangt eine entsprechende Vorbereitung der Teilnehmer (spezielle Kleidung, innere Einstimmung, Fasten, Waschungen u. a.) Er ist an bestimmte Hl. Gegenstände, Orte, Zeiten, Personen gebunden 2. UMFELD: a. Heilige Gegenstände, die Staunen, Ehrfurcht und Anbetung nach sich ziehen: Hl. Steine: Kaaba (Arabien), Bethel (Kanaanäer), Steinhaufen (auch Bestattung), Eckstein Jesus Chr. Hl. Wasser: Quellen ("lebendiges" Wasser) und Brunnen als Träger göttl. Kräfte Hl. Feuer: Zur Vertreibung der Dämonen (Sonnwendfeuer), Herdfeuer als Mittelpunkt des Hauses / als unauslöschliches Stammes- und Volksfeuer (Indien, Iran, Olympia), Theophanie (Sinai), Symbol des Hl.Geistes Atmosphärische Kräfte (Sturm, Blitz, Donner) als Erscheinungsformen des Göttlichen Gestirne (Sonnengottheiten u. a.) 29 Hl. Bäume Hl. Tiere (Ägypt. Religion, Hinduismus) Fetische / Totem Hl. Schriften Toten- und Ahnenkulte, Seelenfeste (griech. Anthesterien, pers. Fravashis, vgl. Allerseelen) b. Hl. Orte / Zeiten / Zahlen: Berge / Haine / Höhlen / Steinkreise Fetisch-Hütte Tempel als Gegenüber zum Profanraum. Hl. Stätten werden Ziele von Wallfahrten, verlangen Ehrfurcht (Kopfbedeckung/ohne Schuhe/ohne Blutvergießen Gottesfriede, Asyl); werden durch div. Tabuvorschriften vor einer Ent-Weihung geschützt. Hl. Zeiten / Feste / Feiern je nach Kultur (Aussaat und Ernte, Sonnenwende, Beginn der Fischerei, der Jagd u. a.): Glaube an gute/ böse Tage ("Tagewählerei" Dtn 18,20?): Was wachsen soll, muss bei zunehmendem Mond, was schwinden soll, bei abnehmendem begonnen werden; Unglückstage (Freitag 13.) und Hl. Tage (1. Tag/7.Tag); Kairos als die günstigste Zeit; Gott Chronos Glaube an größere Zeiträume (Periodizität) / Wiederkehrende Feste im Sakraljahr / Jubiläen Hl. Zahlen (1 = Göttlichkeit, 3 = Vollkommenheit, 4 = Kosmische Zahl, 5 = Hochzeitszahl, 7 = Ganzheit, 10 = Weisheit etc.) c. Hl. Personen: Ein-Geweihte, die ein Geheimwissen über / einen Kontakt zu Jenseitigem haben (Medizinmann, Priester, Propheten, Seher, Charismatiker, Schamanen etc.) GEBET Verschiedene Formen von (magischen) Gebetsmaschinen (tibet. Buddhismus) über Gebetsformeln bis hin zum persönlichen Gebet und zur Meditation. Oft in bestimmter Haltung / Richtung Oft nach ritueller Reinigung Oft mit best. Kleidung (Schal, Riemen im Judentum) 30 DIE KLASSISCHEN RELIGIONEN DES ALTERTUMS A. ZEITTAFEL: Um 3000 v. Chr. Anfänge der mesopotam. Religion Um 3000 v. Chr. Anfänge der ägyptischen Religion Um 2600 v. Chr. Anfänge der griech. Religion Um 800 v. Chr. Anfänge der römischen Religion B. GEMEINSAME CHARAKTERISTIKA: 1. Polytheistische Systeme, die aber oft (spurenhaft) Reste eines UrMonotheismus (Göttervater - Hauptgott) erkennen lassen: Ägypt: AR - Heliopolis (Gott Re), Memphis (Gott Ptah) NR - Gott Aton (Monotheismus) Griech: Ouranos (u. Gaia), Zeus (u. Hera), Chronos Röm: Iupiter = Deuspater (u. Iuno) 2. Kein durchgäng konstantes Svstem der Götter /Götterpaare /Göttergruppen:_ a. Theologen / Priestergruppen systematisieren neu, lancieren (in Überdeckung des Volksglaubens) ihren Gott als wichtigsten b. Machtwechsel: Stadtgott kann Reichsgott und oberste Gottheit werden, wenn die Stadt bedeutungsvoll wird (vgl. Ägypten) c. Generationswechsel der Götter ("Sohn löst Vater ab") d. Umsturz in der Götterwelt (z.B. Griechen) e. Verdrängung (Aktiver Gott verdrängt "müssigen" Gott: z. B. Anu =>Enlil) f. "Wanderschaft- Gottheiten": Gewisse Göttertypen finden sich durchgängig mit nur geringfügigen Abweichungen. 3. Der Mythos als bevorzugte Denk- und Redeweise: a. Begriff: Der Mythos (griech. Wort, Rede) will die Welt erklären, und zwar nicht auf dem Weg logischen Denkens, sondern über die Erfahrung, in Bildern und Symbolen, in Erzählungen und in Darstellungen. Er ist eine dramatische, ereignishafte Interpretation einer religiösen Wirklichkeit (verwandt dem Traum) Das, wovon er 31 redet, geschah nie und hat doch seine bleibende Gültigkeit! Die Menschen erlebten damals die Mythen ähnlich wie Kinder, für die (im Märchen) Wolf und Hexe, Braut und Prinz lebendig erfahrene Gestalten sind, die das eigene Leben bestimmen können. Sie selbst waren nicht distanzierte Zuschauer / Zuhörer von altehrwürdigen Darstellungen und Erzählungen, sondern kamen - selbst handelnd - in der Geschichte vor! b. Formen: - Theogone Mythen - Woher kommen die Götter? - Kosmogone M. - Wie entstand die Welt? - Anthropogone M. - Woher kommen den Menschen? - Eschatologische M. - Wie wird das Ende der Welt sein? c. Merkmale: - Der Mythos erzählt eine Geschichte, deren Wahrheit für jedermann unmittelbar einsichtig ist: Er erklärt einen gegenwärtigen Zustand, den jedermann kennt. - Die erzählte Geschichte ist heilig: Es geht um die Hl. Zeit des Anfangs; er wird erzählt / erlebt zu best. Hl. Zeiten an best. Hl. Orten. - Er handelt von der Urzeit /Anfangszeit, ist aber exemplarisch bedeutsam für die Gegenwart ("mitlaufender Anfang") Zyklisches statt linearem Geschichtsdenken. - Er bewirkt, was in ihm erzählt wird: Geschichte ist prinzipiell wiederholbar. - Handelnde Personen des Mythos sind vorwiegend Götter, Heroen oder Übermenschen. - Er entwickelt eine eigene Redeweise, in der die gesamte Schöpfung anthropomorph gedeutet wird: Quellen "murmeln", Zweige "rauschen", Berge peien Feuer", Götter "schleudern Blitze", die Sonne "geht auf", der Himmel "öffnet seine Schleusen" etc. d. Schicksal: - Ein Mythos kann "wandern": z. B. Mythos vom sterbenden und auferstehenden Gott: Ägypt: Isis - Osiris Phryg: Attis (von Eber getötet) - Kybele Akkad: Taurus - Ischtar Phönik/Griech: Adonis - Ein Mythos kann "sterben": Sobald er "rational" zu überprüfen versucht wird, geht sein religiöser Charakter und damit seine Wirkmächtigkeit verloren, er sinkt trotz der religiösen Inhalte herab zur bloßen Geschichte. - Entmythologisierung - Remythologisierung ("Mythen des Alltags") Überblick über Religionen, Konfessionen und Sekten (SachthemenQUER.doc) 32 Die Frage nach Gott Gotteserfahrung I. URSPRUNGSERFAHRUNGEN GOTTES ALS EINES MYSTERIUMS (mysterium fascinosum, tremendum, augustum) 1. In Transzendenzerfahrungen des Menschen: a. Transzendierung negativer Erfahrungen ("Grenzerfahrungen" mit Blick auf "die andere Seite" der Wirklichkeit; "Kontrasterfahrungen", insofern jedes Negativ auch ein Positiv hat): Schicksalsschläge und Tod: Erfahrung, dass alles Leben nur ein geschenktes ist und letztlich in einem größeren Ganzen eingebettet und geborgen ist. Sinnleere: Erfahrung eines "Ursinnes", der unerkannt hinter allem empirisch fassbaren Sinn steht und so jeder menschlichen Existenz Sinn verleiht. Leiden unter eigener / fremder Schuld: Erfahrung Gottes als eines "Urwerts" alles Seins, der - in irgendeiner "anderen" Weise - alles zum Guten wenden kann. Angst vor dem Nichts nach dem Tod: Erfahrung Gottes als "Ur-Halt", der uns vor dem Sturz ins Leere bewahrt. Ohnmacht angesichts monströser Verbrechen: Erfahrung Gottes als eines Richters, wo menschliche Strafgerechtigkeit nicht ausreicht. (Taten, die nach einer "Hölle" schreien) b. Transzendierung positiver Erfahrungen ("Heilserfahrungen" als Vorgeschmack auf eine andere Wirklichkeit; lineare Überhöhung innerweltlicher Erfahrungen): - Erfahrung der Schönheit, Geordnetheit und Zielstrebigkeit in der Natur - Erfahrung des Gewissens als eines Ur-Wissens der Menschheit um Gut / Böse - Das Urvertrauen des Menschen in die Wirklichkeit als Abglanz einer umfassenderen Macht, die uns liebt und birgt. - Erfahrung des Getragenseins in extremen Ausweglosigkeiten (Todesangst, Verzweiflung, bodenlose Traurigkeit) - Sinnerfahrung des Ganzen und Leben aus diesem umfassenden Sinnentwurf heraus - Erfahrung des Lebensweges als eines "Heilsweges", der Geschichte als Heilsgeschichte - Die Erfahrung einer "anderen" Welt in Spiel, Feier, Phantasie (Entstehung der Mythen) - Das unzerstörbare Streben des Menschen nach Ganzheit und Vollkommenheit, nach einem umfassenden Heil - Die religiöse Ursehnsucht des Menschen. Es gibt kein religionsloses Volk. 2. In der meditativen Gotteserfahrung: Der Mensch lässt alle Aktivität (im Denken und Wollen) sein, um zu empfangen, zu schauen, sich zu überlassen: "Leben mit den Dingen" (Carlo Carretto) "Deine Welt ist schön" (Paul Roth) "Ich bin ein nichtiges, dankbares Teilchen der Welt" (A. Solschenizyn) 33 3. In unmittelbarer Gotteserfahrung; Auf wunderbare Weise (Visionen, Ekstase, Stigmatisation u. a.) tritt der Mensch mit dem Göttlichen in Berührung: Gottesbegegnung (Andre Frossard) Mystische Vereinigung (Meister Eckehart, Theresia v. Avila) Visionen (Hildegard v. Bingen) II. VERMITTELTE GOTTESERFAHRUNGEN (Durch rel. Erziehung, Lektüre der Hl. Schrift, Leben in einer Glaubensgemeinschaft, kulturelle Umwelt u.dgl.) Gottesbilder A. BESTIMMENDE FAKTOREN: Gott ist immer "der ganz Andere", der alle unsere Vorstellungen sprengt. Es entspricht aber der Natur des Menschen, über das, was ihm wichtig ist, nachzudenken und in analoger Weise zu sprechen. I. IN UNSEREM INNEREN GEPRÄGTE BILDER: 1. Frühkindliche Mutter-/ Vatererlebnisse: Der "mütterliche" Gott der ersten beiden Lebensjahre, der die kindlichen Wünsche meist erfüllt, bisweilen aber auch (notgedrungen) ignoriert. Der "väterliche" Gott ab dem 3. Lebensjahr, liebevoll und fürsorglich, aber auch fordernd und strafend. 2. Psychologische Faktoren: Gott erscheint als Erfüllung unbefriedigter Wünsche / Sehnsüchte, als Retter in der Not und Tröster im Leid, als Richter fremden Unrechts und Vergeber eigener Schuld, als Belohner im Jenseits u. a. II. DURCH KULTUR UND UMWELT GEPRÄGTE GOTTESBILDER Gottesbilder in Form von Gegenständen, in Tier- und Menschengestalt. Kultur der Jäger und Sammler (vgl. "Der Indianer und der liebe Gott") Ackerbaukulturen: Weibliche Gottheiten als Personifizierungen der Fruchtbarkeit (Ischtar in Babylon, Astarte in Kanaan, Demeter in Griechenland, Ceres in Rom...) Viehzüchterkulturen: Männliche Gottheiten als Personifizierungen der Zeugungskraft (Baal, Zeus, Goldenes "Kalb" = Stier...) Nomaden: Gott erscheint als Wandernder (vgl. Abrahamsgeschichte) Römisches Reich: Gott als Pantokrator, als König der Könige Völkerwanderung: Gott als oberster Stammesführer, dem Gefolgschaft zu leisten ist. (Lied "Mir nach, spricht Christus, unser Held...") III. DURCH DICHTUNG UND KUNST GEPRÄGTE CHRISTUSBILDER Die Christen sind überzeugt, dass der unsichtbare Gott in Christus sichtbare Gestalt angenommen hat (Kol 1,15) Vor Konstantin: Jesus als guter Hirt; als Lehrer (Katakomben) Romanik: Darstellung des Gekreuzigten; als machtvoller Imperator und Pantokrator, 34 angetan mit den kaiserlichen Hoheitszeichen (über dem Kirchenportal; Ikonen der Ostkirche bis in die Gegenwart); als Weltenrichter. Gotik: Betonung der Menschlichkeit Jesu vom "Beau Dieu" (Kathedrale von Amiens 1220) bis zum geschundenen "Schmerzensmann" (Isenheimer Altar 1513) inmitten eines bewegten Schauspiels. Renaissance: Christus (in leidloser) Schönheit. Barock: Optimistische und triumphalistische Darstellungen v.a. des (schwebenden) Auferstandenen und des verklärten Christus. 19. Jahrhundert: Das sentimentale Herz-Jesu-Bild, der klassizistische Heiland, das Kind in der Krippe, die ermattete Kreuzwegfigur. B. LEBENSGESCHICHTLICHE ENTFALTUNG DES GOTTESBILDES F. Oser / P. Gmünder (Der Mensch. Stufen seiner religiösen Entwicklung, Zürich 1984) unterscheiden Stufe 1: HERR Gott und KNECHT Mensch: "Gott macht alles..." Stufe 2: GESCHÄFTSPARTNER Gott und PARTNER Mensch: Do ut des - Wie Du mir, so ich dir Stufe 3: GOTT IST WEG und der MENSCH WIRD FREI: Verabschiedung des allgegenwärtigen und einschränkenden Gottes (deistisches Gottesbild; vgl. T. Moser, Gottesvergiftung) Stufe 4: GOTT als LETZTER GRUND, als Bedingung der Möglichkeit freier Selbstentscheidung und zugleich der AUTONOME MENSCH: Freiheit Gottes und Freiheit des Menschen stehen "IN WECHSELSEITIGER KORRELATION" Stufe 5: DER TRANSZENDENTE GOTT "MANIFESTIERT SICH IN" MENSCHLICHER FREIHEIT UND LIEBE: Die Rede von Gott ist immer auch eine Rede vom Menschen. Stufe 6: BEDINGUNGSLOSE ANERKENNUNG GOTTES: Universale Solidarität auch im Leid, Hoffnung selbst im Scheitern... C. VERZICHT AUF GOTTESBILDER? Das atl. Bilderverbot? Widersetzt sich einer Vergötzung des BILDES! Einzementierung (und damit Manipulation) Gottes? Gerade im Bild (Symbol als Sinn-Bild) leuchtet eine andere, größere Wirklichkeit auf! Ein neuer "Bildersturm" samt Eliminierung "veralteter" Gottesvorstellungen? (Vgl. P. Roth, Laßt mir meinen Gott) 35 DAS ALTTESTAMENTLICHE GOTTESBILD 1. Ursprung des israelitischen Gottesbildes: Das AT kennt keine einheitliche und systematische Theologie (Gotteslehre), sondern betont der jeweiligen Zeit und Situation entsprechend einzelne ihm wichtig erscheinende Züge Gottes. Das Gottesbild der Frühzeit scheint v. a. in der kultischen und religiösen Auseinandersetzung mit der Umwelt Israels allmählich Gestalt angenommen und schließlich zum Glauben an einen einzigen Gott geführt zu haben. Das atl. Gottesbild ist daher aus mehreren Überlieferungssträngen zusammengewachsen: Die Überlieferung der Halbnomaden in der Steppe: Der jeweilige Stammesgott offenbart sich als Herr des sozialen Lebens (Sippenoberhaupt): Er ruft zum Aufbruch, führt die Sippe und schützt sie. Die Stammesgottheiten Jakobs, Isaaks und Abrahams verschmelzen zu dem einen "GOTT DER VÄTER", der an keinen Ort gebunden ist und auch nicht abgebildet wird. Die Überlieferung der seßhaften Bauern aus dem Kulturland Kanaan: Sie verehren "EL" als den höchsten Gott, der auf Bergen über der Götterversammlung thront, als Schöpfer, Richter und König wirkt und Fruchtbarkeit schenkt. Er wird an festen Heiligtümern mit Kultbildern verehrt. Jakob erhielt nach dem nächtlichen Ringkampf mit ihm den Namen "Is-ra-EL" - der mit Gott gekämpft hat. "BAAL" (Herr, Besitzer, Ehegatte) ist Wetter- und Regengott und sorgt für das Gedeihen der Vegetation. Mit Astarte verheiratet, geht auf ihn der sexuelle Fruchtbarkeitsritus zurück. Das typische Tier in seinem Kult ist der heilige Stier (biblisch entschärft das "goldene Kalb") Die Überlieferung der Beduinen aus dem Wüstengebirge Sinai: Sie verehren "JAHWE" als Schutzgott ihres Gebietes, der stets für sie da ist und sie in der bedrohlichen Umgebung überleben lässt. Ihm verdanken sie die Befreiung aus dem ägyptischen Frondienst. Er kann nicht in einem Abbild verehrt werden. Diese unterschiedlichen Überlieferungen münden nach einem zum Teil mühsamen Ringen (Gen 2 u. 3 findet sich die Kombination "Jahwe Elohim" im Sinn von "Jahwe, nämlich Gott) in den Glauben an den einzigartigen "GOTT ISRAELS", wobei es Rückfälle in den kanaanäischen Fruchtbarkeitskult (Goldener Stier) ebenso gab wie einen Polytheismus (mit Monolatrie = Ein-Gott-Verehrung; vgl. Elija und das Gottesurteil auf dem Karmel 1 Kön 18) Erst in der Exilszeit gewinnt der Monotheismus (Jahwe-Glaube) jene Festigkeit, die von nun an das Judentum kennzeichnet. 2. Grundzüge des atl. Gottesbildes: a. Jahwe ist - selbst die "Quelle des Lebens" (Ps 36, 10) - v. a. der lebendige Gott, der sich in seinen heilsgeschichtlichen Taten (Jer 23, 7 f), in der Verkündigung und Erfüllung seines Wortes (1 Kg 2,24), im Dienst seiner Propheten und Könige (2 Kg 3,14) und im alltäglichen Eingreifen in das menschliche Leben offenbart. Er ist keine anonyme Macht, sondern als Person erfahren, die verheißt und erfüllt, die handelt und führt, die fordert und gebietet, weshalb die Menschen ihn fürchten, auf ihn hören, ihm vertrauen und in Ehrfurcht ihm dienen. b. Jahwe ist der nahe und zugleich ferne Gott: Er ist der "Gott-mit-uns" (Immanuel) (Jes 7, 14) und "Hirt seiner Herde" (Ps 23,4); "der gnädige und barmherzige Gott, langmütig und reich an Huld und Treue" (Ex 34, 6) Er ist gegenwärtige im Bundeszelt und der Lade, in der Wolken- 36 und Feuersäule bei der Wüstenwanderung; er begegnet im Traum, und in der Theophanie und nimmt menschliche Gestalt und menschliche Züge an (Anthropomorphismen) Dennoch bleibt er der ferne und verborgene Gott, der von seinem überweltlichen "Wohnsitz" (Jes 40, 22) "herabsteigt", den man nicht sehen kann, ohne zu sterben (Ex 33, 20) Es ist unmöglich, ihn bildlich darzustellen "mit irgendeiner Gestalt von dem, was im Himmel droben oder was auf der Erde drunten oder was im Wasser unter der Erde ist" (Bilderverbot Dtn 5, 8) Vor der Größe seiner Schöpfung kann der Mensch nur verstummen (Ijob 38-41) c. Jahwe ist der Gott des Heils und zugleich auch der Gott des Gerichts: In immer neuen Reflexionen verstärkt sich in Israel die unerschütterliche Überzeugung von der eigenen Volksgeschichte als einer Heilsgeschichte (vgl. etwa das Erzählschema des Richterbuches) Um seinem Willen Nachdruck zu geben, zeigt er sich aber auch als ein souveräner Gott des Gerichts, der nicht nur rettet, sondern auch straft. 3. Der Ausschließlichkeitsanspruch Jahwes: a. In Israel war von Anfang an kein reiner Monotheismus (Überzeugung von nur einem existierenden Gott) gegeben; man wusste durchaus auch von den Göttern der Nachbarvölker, hielt aber an der "Monolatrie" (Eingott-Verehrung, d. h. Verbot, fremde Götter zu verehren ; vgl. Ex 20, 5) sowohl des EL (Patriarchenzeit) als auch Jahwes (Mosezeit) fest. Die Landnahme-Traditionen betonen das Nebeneinander von Jahwe-Glauben und kanaanäischer Religion: Zwar galt auch Jahwe als Herr der Elemente (Ri 5,4 ff) und der Himmelskörper (Jos 10, 12 ff), doch war er deswegen weder Sonnen-, noch Mond- oder Sturmgott wie die Götter Kanaans. Und auch er spendete Fruchtbarkeit und Segen (Gen 49, 25 ff; Dtn 33, 11-16), war aber deshalb kein Fruchtbarkeitsgott. Erst die Propheten schließen - nach wiederholten Rückfällen - die Existenz anderer Götter eindeutig aus (Eingott-Glaube), wenn sie diese als "Nichtse" abtun (Götzen) und Jahwe als den einzigen Gott preisen (Jes 41, 1-5) b. Die Kanaanäer verehrten künstlich angefertigte Abbilder von Tieren und Menschen (aus Stein, Holz oder Metall) Gegen diesen heidnischen Brauch, Götterbilder anzufertigen, kultisch zu verwenden und solcherart die Gottheit gegenwärtig zu haben und über sie verfügen zu können, wendet sich das sog. Bilderverbot (Ex 20, 4), das in der (notgedrungen bildlosen) Gottesverehrung im nomadischen Kult seine Vorgeschichte haben dürfte. Nach dem Zeugnis des NTs ist Christus "das Ebenbild des unsichtbaren Gottes (Kol 1, 15), sodass im Christentum das Bilderverbot seine Bedeutung verloren hat. 37 GOTT – DER VATER JESU CHRISTI A) Wie können Menschen Gott erfahren? 1. Wenn sie die Welt als eine Schöpfung (mit einem Ursprung und einem Ziel) betrachten. 2. Wenn ihnen Freude bereitet wird und sie sich beschenkt fühlen: Durch die Schönheit der Natur, in der Gemeinschaft, in der Begegnung mit einem lieben Menschen ... 3. Wenn ihnen in einer ausweglosen Situation überraschend Hilfe zuteil wird. 4. Wenn sie sich bestraft fühlen für eigene Schuld: Durch Krankheit, Entbehrung, Schicksalsschläge... 5. Wenn sie den eigenen Lebensweg überdenken und feststellen, dass sie getragen bzw. geführt worden sind. 6. In ihrem Gewissen als einem unabhängigen Richter, der sich vor / während / nach einer Tat meldet. 7. In der Lektüre mit der Hl. Schrift. B) Kann man sich Gott vorstellen? Gott ist wie eine Mutter, der wir unser Leben verdanken und die in Liebe immer auf unserer Seite stehen wird. Er ist gleichzeitig aber auch wie ein Vater, der uns fordert, in dessen Gegenwart wir uns aber sicher und geborgen fühlen dürfen. Was wir von den eigenen Eltern Großes aussagen können, gilt in unendlich höherem Maß auch für Gott: GUTE ELTERN UNSER "VATER" IM HIMMEL Sie sind immer für mich da! Er ist ewig, d. h. er ist immer gewesen und wird immer sein. Er ist allgegenwärtig. Sie können alles in Ordnung bringen! Er ist allmächtig, d. h. er hat alles erschaffen und hat Macht über alles. Sie können mir Antworten auf meine Fragen Er ist allwissend, d. h. er sieht in das Herz des geben! Menschen und kann nicht getäuscht werden. Sie sind gute Menschen! Er ist höchst heilig, d. h. er will nur das Gute und verabscheut das Böse. Sie sind gerecht! Er ist höchst gerecht, d. h. er belohnt das Gute und bestraft das Böse. Ich kann mich auf sie verlassen! Er ist höchst wahrhaft und treu; er hält, was er verspricht. Sie verzeihen mir letztlich immer! Er ist höchst gütig und barmherzig, d. h. er verzeiht jedem Sünder, der ehrlich bereut. MIT EINEM WORT: GOTT IST DIE LIEBE (1 Joh 4, 16b) 38 C) Aussagen der Hl. Schrift 1. Die Größe Gottes übersteigt unsere menschliche Vorstellungskraft. Erst nach dem Tod werden wir ihn sehen "von Angesicht zu Angesicht" (1 Kor 13, 12) Wie immer unsere Vorstellungen und Darstellungen von Gott aussehen, sie sagen nichts aus über sein WESEN. Auch die menschliche Gestalt, die er in Jesus v. Nazareth angenommen hat, ist nicht zu verwechseln mit seinem göttlichen Wesen. 2. Da sich aber Gott uns Menschen in der SCHÖPFUNG (als seinem Werk) und in der HL. SCHRIFT (als seinem Wort) kundgetan hat, können wir dennoch einige wichtige Aussagen über ihn machen: Er ist der Schöpfer und Erhalter der Welt. Er ist Herr und gerechter Richter. Er ist liebender Vater, dem wir voll Vertrauen begegnen können. Er hat sich selbst erniedrigt und ist in Jesus Christus Mensch geworden, um uns aus der Verstrickung in die Sünde zu befreien. Er will, dass alle Menschen glücklich sind, und ist in seinem Hl. Geist bei uns bis ans Ende der Zeit. WIR GLAUBEN AN DEN EINEN GOTT IN DREI PERSONEN: GOTT-VATER, GOTT-SOHN UND GOTT-HL. GEIST. D) Wie gläubige Menschen von Gott reden Suche in Deinem Arbeitsbuch / NT / Liederbuch / Gotteslob Anreden für Gott: Z.B. Allmächtiger Vater - gütiger Herr - POSITIVE AUSSAGEN DES (SPIEL-) FILMS "OH GOTT, OH GOTT": Wir sollten öfter an Gott denken Wir können mit ihm sprechen wie mit einem guten Freund Wir sollen an Gott glauben, auch wenn wir ihn nicht sehen. Er lässt uns letztlich nicht im Stich. Er greift nicht immer und unmittelbar in unsere Welt ein. Er hat uns als seine Werkzeuge erwählt. 39 Ist Gott eine Frau? Ich weiß, was Gott für mich ist; was er an und für sich ist, weiß er. (Bernhard v. Clairvaux) A. Religionspsychologische Anmerkungen: Die Religionspsychologie hat schon lange auf die Zusammenhänge zwischen menschlich konkreten Vatererfahrungen und den jeweiligen Gotteserfahrungen hingewiesen. Das Wort "Vater" löst bei den einzelnen Menschen völlig unterschiedliche Assoziationen aus: Positiv Negativ Geborgenheit - Heimat Wissen um Ursprung Sicherheit - Überlegenheit - Lebensunterhalt - - Autoritärer Herrscher Angst - Züchtigung Unterwerfung Abwesenheit - - Für den Mann bedeutet das - Prototyp des Menschen zu sein - auch in der Sprache - zur Herrschaft berufen und legitimiert zu sein wie er - Gott näher zu sein, weil verwandter - bevorzugter Repräsentant Gottes zu sein (Priestertum) Für die Frau bedeutet es - nur die zweite Ausgabe (Qualität) des Menschen zu sein - zum Dienst berufen zu sein - Gott entfernter zu sein - keine kultischen Funktionen zu haben (Priestertum) B. Religionswissenschaftlicher Befund: Sehr alte Vorstellungen von einem Vatergott: Schöpfung durch Zeugung, Fürsorge für den Menschen Noch ältere Vorstellungen von einer lebensspendenden mütterlichen Gottheit PATRIARCHAT MATRIARCHAT Die gesellschaftlichen Verhältnisse prägen auch das Bild, das Menschen sich von Gott machen. Nebeneinander von männl. und weibl. Gottheiten ohne jede Wertung (Klassische Religionen, Hinduismus) 40 Anthropomorphe Rede von Gott ist immer eine Rede in Bildern und Anspielungen! "Von Schöpfer und Geschöpf kann (daher) keine Ähnlichkeit ausgesagt werden, ohne dass sie eine größere Unähnlichkeit zwischen beiden einschlösse." (4. Laterankonzil 1215) C. Das biblische Gottesbild: 1. Im AT begegnet - in bewusster Absetzung von den Fruchtbarkeitskulten der Nachbarvölker - der Vatergott, und es werden stets auch männliche Verbalformen verwendet, wenn von Gott die Rede ist. Aber auch hier ist - in der Ablehnung sexuell gefärberter Gottesbilder - der Gedanke einer natürlichgen "Zeugung" dem atl. Denken fremd: Die atl. Könige verstehen sich durchwegs als "Sohn Gottes" nicht aufgrund einer Zeugung, sondern infolge der Inthronisation. Neben den zweifelsohne dominierenden Vorstellungen eines männlichen Gottes und Vaters finden sich in der Bibel - v. a. unter dem Bild der Mutter - auch Spuren einer Rede von Gott als Frau: Auch wenn das Wort "Vater" oder "Mutter" ausdrücklich nicht vorkommt, schwingt allein schon bei der Rede von der "Barmherzigkeit" rein sprachlich für den Hebräer das Mütterliche mit: Wo von "Erbarmen" Gottes die Rede ist, wird das hebr. Wort "rehamim" verwendet, eine Mehrzahlform von "rehem" = Mutterschoß! In manchen Übersetzungen werden ursprünglich weibliche Aussagen verdeckt: Originaltext Männer übersetzen / bearbeiten die Bibel: Dtn 32, 18: "An den Fels, der dich geboren An den Fels, der dich gezeugt hat, dachtest du hat, dachtetst du nicht mehr; du vergaßest den nicht mehr; du vergaßest den Gott, der dich Gott, der mit dir in Wehen gelegen ist." geboren hat." Die Weisheit (sophia) - fast weibliches Der Logos (Joh 1) Pendant zu Gott (Spr 8, 22-31) (Ursprünglicher: 1 Kor 1, 23f und Hebr) Die "Geistin" (hebr. ruach) als lebens- Der Geist (griech. pneuma, lat. spiritus) spendende Seite des Göttlichen (Gen 1, 2; Ps (Ursprünglicher: Apokryphe Evv; 104, 30) - symbolisiert durch weibl. Bilder Kirchenväter) (Taube) Ps 71,6: Aus dem Inneren meiner Mutter bist Vom Mutterleib an stütze ich mich auf dich, du es, der mich abschneidet; dir gilt mein vom Mutterschoß an bist du mein Beschützer; Lobpreis allezeit. (Gott als Hebamme) dir gilt mein Lobpreis allezeit. Dazu kommen direkte mütterliche Eigenschaften: Gen 1, 27: "Gott schuf den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie." Num 6, 24 ff (Aaronssegen): "Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil." (Bild des Kindes auf den Armen seiner Mutter) Jes 49, 15: "Kann eine Frau ihre Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: Ich vergesse dich nicht." 41 Jes 66, 13: "Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich auch." Hos 11, 1-4: "Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb, ich rief meinen Sohn aus Ägypten. Je mehr ich sie rief, desto mehr liefen sie von mir weg... Ich war es, der Ephraim gehen lehrte, ich nahm ihn auf meine Arme. Sie aber haben nicht erkannt, dass ich sie heilen wollte. Mit menschlichen Fesseln zog ich sie an mich, mit den Ketten der Liebe. Ich war für sie wie die (Eltern), die den Säugling an ihre Wangen heben; ich neigte mich ihm zu und gab ihm zu essen." 2. Im NT tritt Gott als Vater v. a. in der Verkündigung Jesu stark hervor: Als Entfaltung des eigenen Verhältnisses zu Als Erläuterung des Verhältnisses, das Gott in Gott und später auch als Deutung dessen, wer freier Zuwendung den Menschen gegenüber dieser Jesus eigentlich und zutiefst war.*) hat. (Vgl. Christologie) *) Gerade die orthodoxe dogmatische Tradition hat hier (auf dem Konzil von Toledo 675) die kühne Aussage gemacht, "dass der Sohn nicht aus dem Nichts und auch nicht aus irgendeiner Substanz geschaffen, sondern aus dem Mutterschoß des Vaters (de utero patris), d. h. aus dessen Wesen gezeugt oder geboren (genitus vel natus) ist." Unter den Gleichnissen Jesu ragt - auch in dieser Beziehung - jenes vom "Verlorenen Sohn" (Lk 15) heraus, das mit der Vaterfigur fast verfremdet (und damit derart aussagekräftig) erscheint, wenn man sich ein "Original" mit einem vorangegangenem Vater-Sohn-Konflikt vorstellt: "Die Mutter sah ihn schon von weitem kommen, und sie hatte Mitleid mit ihm. Sie lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küßte ihn..." Auch die ängstliche Sorge "Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen?" klingt - an die Mutter gerichtet - lebensnah: "Eure himmlische Mutter weiß, dass ihr das alles braucht..." (vgl. Mt 6, 31 f) Zusammenfassung: Die Feministische Theologie ist einer der bedeutendsten Zweige der Befreiungstheologie der Gegenwart. Dem männlichen Gottesbild wird - zumindest mitursächlich - zugeschrieben, dass die Frau in Kirche und Gesellschaft auf untergeordnete Rollen fixiert und in Abhängigkeit gehalten wird. Eine "weibliche Neuschreibung" der Schrift hätte einen umgekehrten Sexismus zur Folge und wird auch nicht angestrebt, den Blick aber für ein differenzierteres Gottesbild geschärft zu haben, ist sicher eines ihrer größten Verdienste. 42 Das Theodizeeproblem (Wie kann sich der gute Gott angesichts des Leids und Übels "rechtfertigen") Der griechische Philosoph E p i k u r (+ 270 v. Chr.) brachte die uralten "Anklagen gegen Gott" auf den Punkt: "Will Gott die Übel nicht verhindern, dann ist er nicht allgütig. Oder er kann sie nicht verhindern, dann ist er nicht allmächtig. Oder er kann und will nicht, dann ist er schwach und neidisch auf die Menschen zugleich. Oder er kann und will - und dies allein ist Gott angemessen -, warum hebt Gott sie nicht auf??" A) Allgemeines: In der Geschichte der Religionen und Philosphien begegnen immer wieder diese z w e i Vorstellungen: 1. Die Annahme eines guten und eines bösen Prinzips in der Welt (Dualismus), die miteinander im Wettstreit liegen: Alles Gute kommt von Gott, das Böse samt allen Übeln stammt von einem "Gegengott" = Metaphysisches Übel (Satan) Es liegt am Menschen, auf wessen Seite er sich stellt. Solche dualistische Vorstellungen finden sich im Parsismus (Religion Zarathustras ca 600 v. Chr.), im Manichäismus (3. Jh. n. Chr.) sowie in der jüdischen und christlichen Apokalyptik. (Vgl. Endzeitrede Mt 25; Entscheidungsschlacht von Harmagedon und Überwältigung Satans Offb 20) 2. Es gibt nur das Gute ("Und Gott sah alles an, was er erschaffen hatte, und es war sehr gut" Gen 1), das Böse an sich existiert nicht, sondern erscheint nur als ein Mangel an Gutheit (Monismus) Diese Auffassung findet sich im Platonismus sowie im jüdischen und christlichen Schöpfungsglauben. Beim Übel (malum) unterscheidet man Es ist ein Mangel in der Naturordnung (Behinderungen, Krankheiten u. a.) Es ist ein Mangel an moralischer Gutheit (Gewalt, Haß, Ungerechtigkeit u. a.) Moralische Übel sind oft auch die Ursache von physischen Übeln: Aggressivität, Haß, Neid u. a. führen oft zu Verfolgung, Folter, Mord ... B) Menschliches Leid i. B.: 1. Der Stellenwert von Schwäche/ Leiden in der heutigen Gesellschaft: Leidensverleugnung durch hysterisches Überspielen, Zwang zu Fitness, Jugendlichkeit, Optimismus, Tatkraft, Schönheit usw., um überleben zu können? Nur dem Starken gehört die Welt? Ganz anders freilich Paulus, der sich gerade seiner Schwachheit rühmt (vgl. 2 Kor 12, 1-13) 2. Ausdrücke, in denen "leid" (griech. pathos) vorkommt: Beleidigung - Es tut mir leid Leidenschaft - ganz leidlich - leider - Mitleid - Leidensgefährte - Beileid - etwas jemandem verleiden - erleiden - jemanden gut/ nicht leiden können - leider Gottes - Selbstmitleid Leidensgemeinschaft - Gedächtnis des Leidens - pathetisch - Sympathie - Antipathie .... 43 3. Unterscheidungen: Körperliches Leid Seelisches Leid Krankheit Behinderung Freiheitsentzug Misshandlung Vergewaltigung Trauer Einsamkeit, Verzweiflung,psych. Folter Kränkungen, Verachtung,Liebeskummer Unterdrückung, Trennungsschmerz Vergewaltigung Vermeidbares Leid Unvermeidbares Leid C) Persönliche Bewältigungsversuche des Leids (Tröstungsversuche): - Bei einem Todesfall: Er hat ausgelitten - er ist jetzt in einer besseren Welt - wer weiß, was ihm erspart geblieben ist - er hat sein Leben gelebt, war glücklich - früh vollendet - er hat viel Gutes gewirkt - Ihr könnt auf mich zählen - wir werden ihn nicht vergessen .... - Bei einem Unglücksfall: Wer weiß, wofür es gut ist - es hätte weit schlimmer kommen können - Sei dankbar für all das Schöne - was uns nicht umbringt, macht uns noch stärker laß dich nicht unterkriegen - bis jetzt hat es das Schicksal ohnehin nur gut gemeint mit dir .... D) Versuch einer systematischen Einteilung: - Leiden im Übergang von Bestehendem zu Neuem als Begleiterscheinung der natürlichen Entwicklung und Selektion: Geburtswehen, "zweite Abnabelung", Gewalt, Todeswehen. - Leiden im Zug der Selbstverwirklichung: Arbeit, Training, Verzicht ... - Leiden als Anteilnahme am Schicksal des anderen: Mitleid, Beileid. - Leiden als Buße für eigene Fehler: Strafe/Buße bzw. Fasten/Askese. - Stellvertretendes Leiden für andere: Soldaten, Widerstandskämpfer, Freunde, Eltern, M. Kolbe, Jesus… 44 BIBLISCHE SICHT DES LEIDENS AT: 1. Deutung der Leiden, die Israel treffen, als - Strafe für seine Untreue - Anstoß zu seiner Umkehr - Folge der Ursünde 2. Protest gegen das Leiden Unschuldiger am Beispiel von - Sodom und Gomorrha (Gen 18,23 ff) - Ijob *) 3. Erklärungsversuche für individuelles Leiden: - Werkzeug im Heilsplan Gottes (Josephs-Geschichte) - Unterwerfung angesichts der Größe Gottes (Ijob, Ps 22 **) - Stellvertretendes Leiden (Jes 53 ***) - Strafe für begangene Sünden - Prüfung des Menschen - Frühe Vollendung des Menschen NT: 1. Christus ist der "leidende Gottesknecht" (Sühneleiden Jesu, Lebenshingabe als Lösegeld für die vielen Mk 10, 45) 2. Kein notwendiger Zusammenhang zwischen Sünde und Leiden eines Menschen, sondern Möglichkeit des Heilswirkens Gottes (Joh 9, 3) 3. Leidensbereitschaft als Zeichen menschlichen Gottvertrauens (Kreuztragen und Nachfolge Christi Mt 10, 38) 4. Leiden als göttliche Erziehungsmaßnahme: Wen der Herr liebt, den züchtigt er (Hebr 12, 6; 2 Tim 2, 5) 5. Es gibt qualifizierte "Christusleiden" jener, die um seines Namens willen Unbilden auf sich nehmen (Mt 5, 11) 6. Der Christ hat teil am Geheimnis des Leidens und Todes Jesu und soll das bewusst bejahen. Denn "Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung" (Röm 5, 3) _______________________________________ * Das atl. Buch Hiob (Ijob) Dieses atl. Weisheitsbuch (ca 200 v. Chr.) ist benannt nach der (erfundenen) Hauptgestalt des Ijob: Die sehr alte Rahmenerzählung (in Prosa gehalten, aus der mosaischen Zeit?) wurde durch einen breiten Einschub (Reden in Versen) erweitert: Rahmenerzählung: ]Jobs Gerechtigkeit und menschl. Glück; unerklärliche Schicksalsschläge.(Kap 1 u.2) Reden: a) Auseinandersetzungen mit seinen Freunden (Kap 3-27) b) Herausforderungsreden Jobs an Gott (Kap 29-31) c) Reden seines Freundes Elihu (Kap 32-37) d) Zwei Gottesreden (Kap 38-41) und Ijobs Unterwerfung. Rahmenerzählung: Wende im Geschick ]Jobs und Rückkehr des Glücks. 45 Entgegen der weitverbreiteten "Vergeltungstheorie" - Leiden ist Strafe für menschliche Sünden - stellt dieses Buch die Frage nach dem S i n n des Leidens Unschuldiger, ohne sie letztlich beantworten zu können. Schwerpunktartig werden von den Freunden folgende Antworten versucht: Leid ist eine Prüfung des Menschen, wieweit seine Treue gegenüber Gott reicht. Leid ist eine Folge von Schuld, die gesühnt werden muss. Leid ist eine "Warnung" (Erziehungsmittel) Gottes. Alle diese Erklärungsversuche werden aber von Gott verworfen als "Gerede ohne Einsicht". Die einzig mögliche Antwort des Menschen ist die Ergebenheit in den unerforschlichen Willen Gottes. ** Ps 22: Klagen und Bitten eines unschuldig Verfolgten Dieser Psalm, der deutliche Parallelen zum 4. Gottesknechtslied bei Jes aufweist, fand ebenfalls eine christologische Deutung im NT: "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen - ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott, vom Volk verachtet - alle, die mich sehen, verziehen die Lippen, schütteln den Kopf - sie durchbohren mir Hände und Füße. Man kann alle meine Knochen zählen - sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand..." (Ps 22) *** ,Jes: Die Rede vom Gottesknecht Im Deuterojesaja lassen sich 4 sog. Gottesknechtslieder erkennen, deren Form auf den Kultgebrauch zurückgeführt werden könnte. Wer dieser "Knecht Gottes" ist, bleibt rätselhaft. (Israel? Der Prophet selbst? Eine ideale Prophetengestalt? Ein König? Der Messias?) Vor allem das 4. Lied (Jes 52,13-53,12) vom Auftrag des Knechts und der Art, wie er ihn - stellvertretend für andere - erfüllt, wurde von den Judenchristen auf Christus bezogen. Es entspricht dem Glaubensbekenntnis der Urgemeinde (gelitten, gestorben, begraben, auferweckt) und hat seinen Niederschlag auch in den Leidensgeschichten der Evangelien gefunden: "Ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut - er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen - er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt - wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf..." (Jes 53) 46 IDEOLOGIE UND RELIGION I. ZUM IDEOLOGIEBEGRIFF: 1. Vielfältige Assoziationen: Ideologie ("Lehre von den Ideen") ist - ein falsches / halbwahres Bewusstsein, da immer subjektiv und damit interessengesteuert; als System scheinbarer Tatsachenaussagen illegitimer Ersatz für wissenschaftliche Erkenntnis; - ein vorgegebener Komplex von Ideen / Wertvorstellungen als Maßstab für politisch gesellschaftliche / wirtschaftliche / kulturelle / wissenschaftliche Entscheidungen (= Unterschied zu philos. Systemen); Programme von Parteien / Interessensverbänden mit der Zielsetzung, Anhänger (Stimmen) zu gewinnen und die eigene Position (durch SchwarzWeiß-Malerei, Halbwahrheiten, Verschweigungen) zu rechtfertigen; - eine "Weltanschauung", die individuelle Lebens- und Handlungsorientierungen nach sich zieht; innerweltliche (parareligiöse) "Heilslehre" für die Menschen (Sport, Gesundheit..); - praxisferne Bewusstseinsorientierung: Festhalten an irrealen Konstruktionen bis hin zur "Prinzipienreiterei" (z.B: Ordnung über alles!) 2. Versuch einer (monströsen) Definition: Ideologien sind "institutionell verfasste, auf Gruppen bezogene, relativ geschlossene Systeme von Wahrheitsüberzeugungen, die neben wissenschaftlichen Einsichten scheinwissenschaftliche Wertungen, religiöse bzw. quasireligiöse Elemente und falsche Aussagen enthalten; mit dem Anspruch, wahr zu sein, auftreten; die Funktion einer Gesamtdeutung menschlichen und gesellschaftlichen Daseins haben, einer Gesamtdeutung, die v. a. im politischen Raum greift, mit der Tendenz, sachfremden Interessen mit einer diese Interessen verdeckenden Argumentation zum Durchbruch zu verhelfen und aktuelle Macht oder gestellte Machtansprüche zu rechtfertigen. Besonders in Krisenzeiten dienen sie der Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen, auch indem sie die Anschauung der anderen als Ideologie abtun." (Neues Lexikon der christl. Moral) 3. Beispiele: Kolonialismus (Ideologie der auf Erwerb, Ausbeutung und Erhaltung ausgerichteten Politik), Liberalismus (Ideologie der Nutznießer des Frühkapitalismus und Industrialismus), Marxismus/Kommunismus (Ideologie der Opfer des Frühkapitalismus und Industrialismus), Konservatismus (Ideologie der Gegner von Marxismus und Liberalismus, der Anhänger traditioneller Verhältnisse), Nationalismus (Ideologie der Rassen- und Volksfanatiker, der Anhänger eines straffen Führerprinzips), Säkularismus (Ideologie der Eliminierung alles Religiösen/Sakralen und Verabsolutierung des Profanen), Militarismus (Ideologie der Vorherrschaft des militärischen Macht- und Ordnungsprinzips im öffentlichen Leben), Technokratie (Ideologie der Technokraten, die gesellschaftliche und politische Entscheidungen unter Ausschluss von demokratischen Kontrollmechanismen anstreben), Fundamentalismus (Ideologie des kompromisslosen Festhaltens an politischen / religiösen Grund-Sätzen unter Auschluss einer geschichtlichen Entwicklung), Moderne Jugendreligionen u. v. a. II. WESENSELEMENTE EINER IDEOLOGIE - Dogmatismus und Unfehlbarkeitsanspruch: 47 Unter Dogmatismus versteht man die unkritische, nicht begründete Behauptung von (philosophischen / religiösen) Sätzen ("Wahrheiten") mit dem Anspruch unbedingter Anerkennung. Seine Lehren werden nicht empirisch gewonnnen / verifiziert, im Gegenteil: Notfalls werden empirische Daten manipuliert, damit sie als "Beweise" für die Richtigkeit der Theorie gelten können. Ist dies unmöglich, verschweigt man diese Daten (Reduktionismus) und argumentiert "dialektisch", d. h. nicht nach der Logik des Kausaldenkens (Ursache Wirkung), sondern nach jener des plötzlichen "Sprunges": Gerade weil die Tatsachen dagegen zu sprechen scheinen, ist sie um so wahrer... Da die Ideologie weder natur-, noch geisteswissenschaftlich beweisbar ist, wird sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln (Zwang, Einschüchterung, Propaganda, Verschleierung, Verquickung von Wahrem und Falschem etc.) für "unfehlbar" erklärt und damit jedweder Kritik automatisch entzogen. Im Extremfall "Totalitarismus" (Umfassende Wahrheit - einzig wahre Partei - Regime und Regierte sind eins; Bekämpfung jeder anderslautenden These bis hin zur physischen Vernichtung der Gegner) - Pseudowissenschaftlichkeit: Alle Ideologien berufen sich vordergründig - im Wissen um die Wissenschaftsgläubigkeit des heutigen Menschen - auf (v. a. natur-) wissenschaftliche Belege (von Spezialisten und "Fachleuten" aus den eigenen Reihen), verschließen sich zugleich aber ängstlich jeder Überprüfung und Kritik von außen. Die Geschichtswissenschaft wird verdrängt von mythischen Geschichtskonstruktionen, welche die eigene Ideologie rechtfertigen sollen. Ihre Ergebnisse werden je nach (eigenem) Bedarf verwendet: Verklärung der Vergangenheit (Idealisierung etwa der Germanen in der NS-Zeit); Verteufelung (Dekadenz des kapitalist. Westens) oder Verabsolutierung (eigene Errungenschaften) der Gegenwart unter Negation eines Evolutionsgedankens (Feindbild "Revisionist"); Utopischer Traum von der Zukunft (Arbeiterparadies, 1000-jähriges Reich) - Pseudoreligiöse Formen (Ersatzreligion): Verklärte (Hl.) Schriften der verherrlichten Führer (K. Marx, A. Hitler) mit vielen BibelZitaten "Kurzformeln" (Parolen), Hl. Zeichen und Symbole (Haken-Kreuz); wertbefrachtete Begriffe (Volk, Rasse, Fortschritt, Tradition) Kultische Feiern (Fahnenweihen, Totengedenken, Vereidigungen, Parteitage, Aufmärsche...) Bekenntnisse (Gelöbnisse) zu Führer und Ideologie ("Treue") Hierarchische Gliederungen, "Heilige" (Helden und Vorbilder) "Sünde" (Verrat, Sabotage); Sündenbekenntnis (Selbstkritik), Sündenböcke Eschatologische Ausrichtung und apokalyptische Rede (Nach den derzeitigen Bedrängnissen Sieg über die Feinde in einem gigantischen "Endkampf", danach "Paradies" auf Erden und "1000-jähriges" Friedensreich) Totale Beanspruchung und "Beglückung" („Heil“) des Menschen (Kinheit, Jugend, Schule, Arbeit, Freizeit) - Intoleranz: 48 "Verabsolutierung" der eigenen Position und Entlarvung des "Falschen Bewusstseins" des anderen ("Gut / Böse", "Wahr / Falsch", "Freund" / "Feind") und damit innergesellschaftliche Polarisierung und Radikalisierung) Pauschale Verdammung anderer Ansichten / Leistungen (z. B. der Juden) Menschenverachtung: Person nur interessant als Teil der "Bewegung" (Statt "Überzeugen" das "Gewinnen" als Ziel); Opfern eigener Anhänger wie auch der Gegner im Interesse der eigenen Lehre; Misstrauen, Überwachung und Liqudierung möglicher "Abweichler" (Dissidenten) Unterbindung jeglicher Kritik (absolute System-Treue) mit der Zielperspektive "Geschlossenheit" der Reihen. III. GRUNDREGELN IDEOLOGIEKRITISCHEN VERHALTENS: Ideologisch befangen ist nur der andere, man selbst ist immer ideologiekritisch. Dieses Vorurteil muss grundsätzlich in Frage gestellt werden. Ideologiekritisches Verhalten gilt für den eigenen Standpunkt ebenso wie für jenen des anderen. Eine permanente Ideologiekritik ist zwar unerlässlich, zugleich aber ein Problem, insofern dabei eine substantiell-objektive Bestimmung des Bewusstseins vorausgesetzt wird. Eine EntIdeologisierung und ausschließliche (unpolitische) Orientierung an den realen "Sachzwängen" in den Entscheidungen kann ihrerseits selbst wiederum zu einer ("verhüllten") Ideologie werden (z. B. "Sachpolitik") DAHER: - Voraussetzungen des eigenen / fremden Standpunktes sichtbar machen und befragen (lassen) (Nicht jede interessengeleitete Aussage ist ideologisch!) - Unterscheidung zwischen (interessengesteuerter) Täuschung anderer und irrigen Aussagen - Unterscheidung zwischen Ideologieverdacht und Irrtumsvermutung auch beim anderen - Bejahung der Perspektivität und Endlichkeit (Geschichtlichkeit) menschlicher Erkenntnis (gegen Denken in Absolutheitskategorien: "Die absolute Wahrheit") PRINZIPIELL: - Universale Offenheit des Denkens (gegen Verabsolutierung eines Teilaspekts der Wirklichkeit) - Erfahrungsnähe bei der Wahrheitsfindung (gegen Vorurteile) - Offenheit für geschichtlichen Wandel und neue Erkenntnisse (gegen Tabuisierungen, Forschungsverbote) - Bejahung kritisch bewährter Traditionen (gegen Dogmatismus) - Kritisches Unterscheiden zwischen den vielen schillernden "Ansichten" (Schein) und dem dahinter liegenden Sein - Selbstbescheidung und ständige Gewissenserforschung seitens der (altehrwürdigen) Vermittlungsinstanzen (Institutionen) (Gegen Entwicklung zu einem isolierten Eigenleben, z.B. Zeremonialisierung) IV. DAS CHRISTENTUM - EINE IDEOLOGIE? 1. DIE AMBIVALENZ DER RELIGION Religion ist in Hinblick auf ihre Funktionen immer ambivalent und damit ständig in Gefahr, zu einer Ideologie zu degenerieren. Zunächst überwiegend charismatisch, geht sie mit der Zeit weitgehend zur Routine über. Es kommt zu dem fundamentalen Pradoxon, dass das als aussergewöhnlich und wunderbar erfahrene "Heilige" mit der Institutionalisierung zum 49 Gewöhnlichen und Alltäglichen verkommt. Kürzer formuliert: Religion braucht die Institutionalisierung, sie leidet gleichzeitig aber auch darunter. Daraus ergeben sich (nach dem amerikan. Soziologen Th. F. O'Dea) fünf Dilemmas: Das Dilemma der gemischten Motivation: In der Anfangszeit lässt eine charismatischer Führerpersönlichkeit (mit ihrer Werte-Orientierung) egoistische Bestrebungen der Anhänger gar nicht aufkommen, dies geschieht erst in der Phase der Stabilisierung und Strukturierung (vgl. Söhne des Zebedäus) Die Institutionalisierung gibt dem menschlichen Leben dadurch Stabilität, dass sie die antithetischen Motive "Selbstlosigkeit" (Charisma) und "Ehrgeiz" (Amt) mobilisiert. Das ist ihre große Stärke, paradoxerweise aber auch ihre Schwäche. Das symbolische Dilemma: Um den charismatischen Augenblick zu "fest" zu machen und echte Gemeinschaftshandlungen zu ermöglichen, werden Gebet, Fest und Feier in ein äußeres Schema gepreßt (Ritualisierung), das mit dem inneren Zustand des einzelnen nicht mehr konvergiert. Das Dilemma der Verwaltungsordnung:Die wachsende Vielfalt der Aufgaben und Ämter macht eine bürokratische Struktur notwendig, die das Komplexe vollziehbar macht, gleichzeitig aber auch zu blockieren droht (Verbürokratisierung) Das Dilemma der Kasuistik: Um eine Ethik konkret und lebbar zu machen, bedarf es bestimmter Richtlinien (Gesetze, Gebote), die leicht zu einem Legalismus führen. Andererseits aber ist es der Geist, der lebendig macht, während der Buchstabe tötet. Das Dilemma der Macht / der Gewohnheit: Mit der Institutionalisierung wird aus dem Anstoß zur inneren Wandlung (Bekehrung) immer stärker eine langwierige nachfolgende Katechese (Unterweisung, "Nachschulung") der bereits Gewonnenen. Die Ambivalenz zeigt sich in mehrfacher Hinsicht: Religion kann das Leben des Menschen in den Mittelpunkt stellen und - in dessen Interesse - die vielfältigsten Ausdrucksformen menschlicher Religiosität fördern, nach dem Prinzip, alles zu prüfen und das Gute zu behalten (Offenheit) Sie kann sich aber auch selbst in den Mittelpunkt stellen und - im eigenen Interesse - auf ein religiöses Leben nach festen Regeln, Riten und Gebräuchen drängen (Zeremonialisierung) Pharisäer als "Schlüsselträger" des Himmelreichs ... Sie kann Lebensziele anbieten und die Selbstverwirklichung des Menschen fördern, ihm mit einer "Frohen Botschaft" Befreiung von Schuld, Angst und (ewigem) Tod verkünden (Emotionale Stabilsierung und Entlastung) und ihm Trost und Hilfe in Not und Ausweglosigkeit zusagen (Schutz- u. Schildfunktion) Sie kann aber auch die Menschen abhängig machen, entmündigen, neurotisieren und solcherart Herrschaft über sie ausüben. Sie kann - als Sauerteig - die treibende Kraft in der Gesellschaft sein, die bestehende (Herrschafts-) Verhältnisse kritisch hinterfragt und - als Anwalt der Armen und Unterdrückten - auf Veränderung drängt Sie kann sich aber auch zur Legitimierung und Stabilisierung von Institutionen, Autoritäten und Normen in Anspruch nehmen lassen und damit not-wendende Veränderungen durch Vertröstungen verhindern ("Opium") (E. Ringel/A. Kirchmayr, Religionsverlust durch religiöse Erziehung) 50 2. IST DAS CHRISTENTUM SELBST EINE IDEOLOGIE? Der religiöse Mensch - v. a. der prophetisch begabte und gesandte - ist stets um die Echtheit der Religion besorgt. Er widersetzt sich ihrer moralistischen Verzweckung ebenso wie ihrer Entfremdung für politische oder andere Zielsetzungen. Er ist sorgsam darauf bedacht, dass kein Idol und keine Ideologie die Heilsbotschaft verfälsche. Sobald die Priester eine soziologisch privilegierte Klasse bilden, entsteht die Versuchung, einen "rein" religiösen Bezirk aufzubauen und sich auf den Vollzug eines "reinen" Kults (ohne Alltagsbezug) durch Eingeweihte zu konzentrieren. Eine "reine" Dogmatik beinhaltet übernatürliche "Wahrheiten", ohne von der Heilsdynamik zum Leben hin Notiz zu nehmen, und eine "reine" Moral, die alle möglichen Normen und Imperative gesammelt hat, mit den Freuden und Leiden der Menschen selbst aber wenig zu tun haben (Isolierter geistiger Überbau) Angesichts der Ambivalenz, der vielschichtigen Missdeutbarkeit und Missbrauchbarkeit aller Dimensionen der Religion ist Kritik - von den Propheten des Alten Bundes über Jesus bis hin zu den Religionskritikern der Neuzeit - eine fast unverzichtbare Begleiterscheinung. Religionskritik ist nicht theoretisch zu widerlegen und damit zu überwinden, sie gehört vielmehr als kritischer Partner hinzu, um sie vor einer Selbstentfremdung zu bewahren. Sie hat nicht über Inhalte einer Theorie und Argumentation zu urteilen, sondern über die Funktion dieser Argumentation, d. h. über das dahinter stehende Interesse. An die Stelle der Indienstnahme Gottes und des Evangeliums durch die Kirche im Interesse der Legitimierung ihrer eigenen Macht muss die Rede von der Unverfügbarkeit der Offenbarung und vom Herrsein Gottes und Christi über die Kirche treten. Hier ist v. a. die Religionskritik des K. Marx zu nennen als eine Kritik an einem unabhängig von der "Basis" der realen Verhältnisse existierendem "Überbau", dem eine überzeitliche Gültigkeit zugesprochen werde: Religion ist für Marx die ideologischste Form aller Ideologien, da sie sich - in einer Immunisierungsstrategie - von einer völlig jenseitigen, jeglicher Kritik entzogenen Autorität her legitimiert. Aber - so Marx - "nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, das Leben bestimmt das Bewusstsein". Und: "Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse." Von außen (a-christlich) betrachtet kann also das Christentum in einem eminenten Sinn als Ideologie betrachtet werden (geschlossenes Ideensystem, Absolutheitsund Unfehlbarkeitsanspruch, Ketzerverfolgungen u. a. mit dem Ziel der Selbstlegitimation), und es kann - da empirische Beweise von ihr nicht beigebracht werden können - diesen Vorwurf letztlich sowenig entkräften wie eine Ideologie. Entscheidend im Vorteil aber ist es, wenn es um die praktische Bewahrheitung und Bewährung ihrer (theoretischen und unbeweisbaren) Prinzipien in der Geschichte geht. Als unterscheidendes und entscheidendes Kriterium gilt hier das Wort: "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!" 3. GIBT ES IM CHRISTENTUM IDEOLOGIEBILDUNGEN? Gegenwärtig zeigt sich Ideologieanfälligkeit nur in Einzel-Gruppierungen der Kirche, aber in den vergangenen Jahrhunderten der Kirchengeschichte sind Ideologiebildungen unbestreitbar. Dennoch dürfen aber die gegenläufigen Prozesse einer Ent-Ideologisierung nicht übersehen werden (Zurückweisung der "Königsweihe" als Sakrament, um nicht politische Macht zu sakralisieren; Betonung des Widerstandrechts im MA; "Ideologiekritik" großer Glaubenszeugen und Heiliger wie Katharina v.S., Franz v. a., Ignatius v. L., F. Jägerstätter, F. Bonhoeffer u.v. a.) 51 IDEOLOGIEKRITIK DER BIBEL KIRCHL. IDEOLOGIENÄHE GEGEN DOGMATISMUS UND UNFEHLBARKEIT: DOGMEN (DE-FINITIONEN ALS AB- UND AUSGRENZUNGEN) UND UNFEHLBARKEIT: - Kultkritik Jesu (Der Mensch - und nicht das "System" - soll "(über-)leben": z. B. Sabbat) - Auswirkungen ("Früchte") als Beurteilungskriterium (Mt 7,15ff) - Die "ganze" Wahrheit besitzt nur Gott, und Christus ist die (menschgewordene) Wahrheit; jede menschliche Lehre ist bruchstückhaft (1 Kor 13: Sehen wie durch einen Spiegel") - "Ausserhalb der Kirche kein Heil": Inquisition, Verketzerung und Verfolgung von Kritikern u. Dissidenten (Anathema); Glaubensverbreitung (Propaganda) - Tridentin. Treueeid und Anti-Modernisteneid; Indexkongregation und Glaubenskongregation als Wächter über Rechtgläubigkeit; Denzinger; WeltKatechismus als (fundamentalistisches?) Programm und Maßstab; (H. Verweyen: "Therapie oder Symptom einer kranken Kirche?") Unfehlbarkeitsdogma (Kritiker H. Küng, Unfehlbar?) GEGEN PSEUDOWISSENSCHAFTLICHKEIT: RIVALITÄT MIT DEN (NATUR- U. GEISTES-) WISSENSCHAFTEN: - Keine Angst vor Gegenargumenten ("Die Wahrheit wird euch freimachen" 1 Joh 8,32) - Philosophie als "ancilla" der Theologie - Keine Vergötzung / Verdammung einer - Versuch der Zensurierung der Naturwissenschaften Geschichtsperiode (Nebeneinander des Reiches Gottes (Heliozentrik, Evolution, u. a.) und des Bösen) GEGEN TOTALITARISMUS: KNECHTUNG UND UNTERDRÜCKUNG DES MENSCHEN: - Evangelium als Froh-Botschaft - Proklamation der Freiheit ("Statt Knechte Freunde" Joh 15,15; "Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von Neuem das Joch der Knechtschaft auflegen". Gal 5,1) - Evangelium als Droh-Botschaft - Kirchl. Disziplinarrecht (Gehorsam) - "Verteufelung" der Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit, Pressefreiheit, Demokratie... GEGEN INTOLERANZ: VERFOLGUNG NICHTGLÄUBIGER: - Kritik und Verfolgung ertragen (Mt 10,16ff) - Unkraut soll nicht vor der Zeit vom Weizen getrennt werden (Krisis-Gleichnisse Jesu) - Kreuzzugsideologie, Antisemitismus - Zwangsbekehrungen (Heiden, Juden, Moslems) - Verfolgung und Ausrottung von Häretikern (nach "Lehrzuchtverfahren") / Schismatikern (z. B. J. Hus) - Hexenverfolgungen - Bücherzensur (Index, Imprimatur) GEGEN LÜGE / HALBWAHRHEITEN: INTERPRETIEREN UND TAKTIEREN: - "Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein, alles andere stammt vom Bösen" (Mt 5,37) - Grundkritik der Heuchelei - "Hütet euch vor den falschen Propheten" (Mt 7,15) - "Restrictio mentalis", Herrschaft statt Dienst, Reichtum statt Armut etc. (Kolonialisierung, ThronAltar-Ideologie, Kirche und Demokratie, Kirche und 3. Reich u. a.) (Kritiker H. Küng, Wahrhaftigkeit?) V. IDEOLOGIEKRITIK SEITENS DER KIRCHE: "Rerum novarum" (Papst Leo XIII.) und die nachfolgenden Sozialenzykliken wenden sich wiederholt gegen die Ideologien des Marxismus / Kommunismus, des Liberalismus und des Nationalismus. 52 "Octogesima adveniens" (Paul VI. 1971) weist auf "die Zweideutigkeit einer jeden gesellschaftlichen Ideologie" hin: "Einmal führt sie die praktische Staatspolitik oder Gesellschaftspolitik dahin, nur ein weltfremdes, rein theoretisches Gedankengebäude den tatsächlichen Gegebenheiten überzustülpen; ein andermal wird die Theorie zum bloßen Mittel einer gerissenen Taktik herabgewürdigt." (OA 27) Der Christ muss demgegenüber die Grundsätze und Regeln seines Handelns den Glaubensquellen und dem Lehramt entnehmen, "um sich nicht anziehen und zuletzt einsperren zu lassen in ein Lehrgebäude, über dessen Ziele und Totalitätsanspruch er sich erst zu spät klar wird." (OA 36) "Unbestreitbar ist die Berufung auf irgendein Traumbild der Gesellschaft oft nur eine bequeme Ausrede für diejenigen, die sich den ernsthaft drängenden Aufgaben zu entziehen wünschen, um sich in eine erdichtete, unwirkliche Welt zu flüchten." (OA 37) "Centesimus annus" (Joh. Paul II. 1991) verurteilt entschieden den Totalitarismus (marxistisch-leninistischer Prägung), dessen Wurzel "in der Verneinung der transzendenten Würde des Menschen" liege (CA 44), und würdigt "das System der Demokratie" (CA 46), die freilich ("auf der Grundlage einer richtigen Auffassung vom Menschen") wertorientiert sein müsse. Auch auf den Fundamentalismus nimmt die Enzyklika Bezug und setzt sich selbst gleichzeitig davon ab: "Die Kirche verschließt auch nicht die Augen vor der Gefahr des Fanatismus oder Fundamentalismus derer, die glauben, im Namen einer angeblich wissenschaftlichen oder religiösen Ideologie den anderen Menschen ihre Auffassung von dem, was wahr und gut ist, aufzwingen zu können. Die christliche Wahrheit ist nicht von dieser Art. Der christliche Glaube, der keine Ideologie ist, maßt sich nicht an, die soziopolitische Wirklichkeit in ein enges Schema zu zwängen. Er anerkennt, dass sich das Leben des Menschen in der Geschichte unter verschiedenen und nicht immer vollkommenen Bedingungen verwirklicht. Wann immer die Kirche die transzendente Würde des Menschen betont, macht sie die Achtung der Freiheit zu ihrem Grundanliegen und ihrem Weg." (CA 46) 53 ESOTERIK A. BEGRIFF UND MERKMALE DES ESOTERISCHEN: Als esoterisch (griech. innerlich, nach innen) werden Schriften, Lehren und Handlungen mit übersinnlichen / übermenschlichen Bezügen bezeichnet, die nur für einen ausgesuchten Kreis von Eingeweihten (Begabten, Erleuchteten oder Würdigen) bestimmt sind. Der Allgemeinheit bleiben sie unverständlich, weil sie besondere Bewusstseinszustände voraussetzen, die verborgener und - in mystisch-meditativer Versenkung, Intuition, Symboldeutung u. a. schwerer zu erlangen sind als die heute alles beherrschenden Kenntnisse der exoterischen (nach außen) Wissenschaften und Religionen. Ein wichtiges Stichwort ist "Theosophie" (Gottesweisheit), die an die Stelle der Theologie als Glaubenswissenschaft tritt. Genauerhin geht es hier um ein geheimes, aus "uralter Weisheit" stammendes esoterisches Wissen über Gott, Mensch und Welt und ihre Verbundenheit. Eigentliches Thema dieser monistischen Weltanschauung ist die Entwicklung vom Geist in die Materie und wieder zurück, wobei der Wiederverkörperungsgedanke der fernöstlichen Religionen (Reinkarnation) eine große Rolle spielt. Der Begriff wurde ursprünglich für die streng schulmäßiggelehrte, literarisch nicht fixierte Philosophie (etwa Platons) verwendet; in der Antike wurde er im Anschluss an die Mysterienkulte erweitert in Richtung "Geheimhaltung bestimmter Lehren" (vgl. dazu auch die "Arkandisziplin" des 4./5. Jhs. bezüglich der christlichen Tauf- und Abendmahlsfeiern), in der Neuzeit wurde er auf Geheimlehren übertragen, die nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich sein sollten. Inhaltlich sind Elemente aus Astrologie, Okkultismus und Religion vorherrschend. Während der elitäre Charakter in den weltanschaulich gechlossenen Gesellschaften dazu führte, dass die Esoteriker der altgriechischen Mysterienkulte, der Gnosis, der Kabbala (einer mystischen Richtung im Judentum), der Alchemie u. a. ihre Lehren und Praktiken geheim und symbolisch verschlüsselt (d. h. arkan oder hermetisch) behandelten, zeigt er sich in der heutigen pluralistischen westlichen Welt in seiner avantgardistischen Rolle als Sauerteig eines längst fälligen Bewusstseinswandels und tritt demgemäß auch an die Öffentlichkeit. B. ARTEN VON ESOTERIK HEUTE: Die esoterisch-neugnostischen Weltanschauungen der Gegenwart (Theosophie, Anthroposophie, Rosenkreuzer, Spiritismus, Heimholungswerk Jesu Christi, Umbanda u. a.) manifestieren sich in drei "Spielarten": 1. Glaubens- und System-Esoterik: Im Mittelpunkt steht ein unfehlbar richtiges weltanschauliches System (Wahrheit), das der Stifter aufgrund einer Erleuchtung oder durch Rückgriff auf uralte Traditionen vorgelegt hat. Nur die Erleuchteten / Initiierten / Mysten können es verstehen, Außenstehenden (Uneingeweihten) gegenüber kann es (exoterisch) nicht begründet werden. Die Lehren (Dogmen) der etablierten Religionen werden teils "entschlüsselt" und anerkannt, teils umgedeutet und teils als überholt erklärt. Beispiele: Der alchemistische Geheimorden der Rosenkreuzer-Bewegung (angeblich seit dem 14. Jh., der auch den Freimaurerorden beeinflusste); Die Theosophie nach Helena P. Blavatsky (1831-1891) auf der Grundlage des von ihr durch spiritistische Inspiration ausgelegten alttibetischen Buches "Dzyan": Der theosophische Erleuchtungspfad soll den Menschen über sieben Stufen (Verzicht auf Fleisch, Alkohol, 54 Nikotin, Barmherzigkeit allen Wesen gegenüber usw. ) zur Erkenntnis führen, dass die Kraft des Göttlichen (= die Liebe des kosmischen Geistes) in ihm selbst wohnt. Ebenfalls hierher gehört - freilich nicht in Abhängigkeit von Blavatsky - die Theosophie (später Anthroposophie) Rudolf Steiners (1861-1925) 2. Rechtfertigungs- und Auswahl-Esoterik: Sie übernimmt nur einen Teil des esoterischen Weltanschauungssystems und interessiert sich ansatzweise auch für eine exoterische Rechtfertigung ihrer Überzeugungen und ihres Erleuchtungsweges. Beispiele: Die Transzendentale Meditation (TM) des Maharishi Mahesh Yogi, Scientology des Ron Hubbard, die Transpersonale Psychologie (F. Capra u. a.) und die von ihr beeinflusste New Age-Bewegung (Alternative und esoterische Anliegen auf dem Weg in ein "neues Zeitalter", etwa die Öko-Bewegung, Spiritismus, östliche Meditation, Schamanismus, christliche Mystik u. a.) 3. Gebrauchs-Esoterik: Kaum Interesse an Weltanschauung und spiritueller Schulung, umso mehr an verschiedenen (meditativen, magisch-therapeutischen oder schicksalsbefragenden) Praktiken. Paranormale Erscheinungen und kosmische Kräfte (Astrologie) spielen hier eine große Rolle. C. ESOTERISCHE GRUNDIDEEN: 1. Gnostischer, erleuchtungszentrierter Schwerpunkt: Ablehnung von Glaubensüberzeugungen begrifflich-dogmatischer Natur, die nicht erlebbar sind, dafür umso stärkerer Wille zu unmittelbarer und intensiver Erfahrung übersinnlicher Wirklichkeit. Sie ist möglich, weil alles Existierende Anteil hat an der wandellosen Grundlage aller Dinge (= Gott) Mit Paulus gesprochen: "Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch einige von euren Dichtern (= Aratus, 3.Jh v. Chr., Verf.) gesagt haben: Wir sind von seiner Art" (Apg 17, 28) Selbsterkenntnis (Gnosis) ist demnach gleichzeitig immer auch Gotteserkenntnis. Das "theosophische Gebet" ist ein Zwiegespräch des Menschen mit seinem "Höheren Ich", das er "Vater im Himmel" nennt. ABER: Gefahr neugnostischer Einseitigkeiten! Eine intensive spirituelle Erfahrung geht oft Hand in Hand mit einem Wunschdenken und einer damit verbundenen Leichtgläubigkeit, ja Autoritätshörigkeit einem Seher oder geheimen Überlieferungen gegenüber. 2. Monistisch-holistische Einheitsschau: Alle makro- und mikrokosmischen Phänomene sind nach strengen Gesetzen aus einem (ewigen und unveränderlichen) ens realissimum durch Emanation und fortlaufende Differenzierung hervorgegangen. Die gesamte Wirklichkeit ist ein einziges geistig-energetisches Kraftfeld, in dem sich das Göttliche, der materielle Kosmos, Pflanzen, Tiere und Menschen nur graduell, aber nicht wesentlich voneinander unterscheiden ("Kosmische Bruderschaft") Sie sind jeweils nur verschiedene Verdichtungs- und Emanationsebenen, und zugleich vorläufig, weil Evolutionsstufen hin zur vollendeten Vergeistigung alles Seienden. Daher Akzentsetzung auf biologisch-dynamischen Landbau, natürliche Heilverfahren, Magie, Spiritismus, Astrologie, Kontakte mit Naturgeistern usw. Zentrale Bedeutung haben Begriffe wie "Lebensenergie", "Astralleib", "ausserkörperliche Erfahrungen", "Karma" und "Reinkarnationen" u. a. ABER: Rückfall in einen urtümlichen Animismus, der nicht zwischen Materie und Geist, Welt und Weltgrund (Gott) unterscheidet. Jeder Mensch ist einmalig und unverwechselber, als je eigene Person von einem persönlichen Gott angenommen, und nicht nur "die Identität eines Rhythmus" (F. Capra) 55 NEW AGE A. Begriff und Bandbreite: Bestimmend ist die Vorstellung, dass die Sonne alle 2.000 Jahre in ein neues Sternzeichen eintritt und damit massiv die Entwicklung auf dem Planeten Erde beeinflusst. Noch beherrscht uns das gewalttätige Zeitalter der Fische samit dem dafür typischen rationalistischmechanistischen Weltbild. Das "Neue Zeitalter" des Wassermanns (Aquariuszeitalter) ist geprägt von der Sehnsucht nach der Einheit der Menschheit (Frieden) und der Einheit des Menschen mit dem Kosmos (holographisches Weltbild) Der einzelne Mensch soll sich als Teil eines kosmischen Ganzen verstehen und in einem permanenten Prozess der Bewusstseinserweiterung ein neues Tiefenwissen von der Welt erlangen, die für ihn dadurch eine "Wiederverzauberung" (M. Berman) erfährt. Die Rede von "New Age" begegnet erstmals um die Jahrhundertwende bei der Theosophin Alice Bailey (1880-1949) und erfuhr v. a. im letzten Drittel des vorigen Jhs. größere Verbreitung (u. a. im Aquarius-Song des Musicals "Hair" 1967) In der Literatur federführend sind Marylin Ferguson ("Die sanfte Verschwörung. Persönliche und gesellschaftl. Transformation im Zeitalter des Wassermanns", Basel 1982) und Fritjof Capra ("Wendezeit", Bern 1981) "New Age" ist eine Bezeichnung für die zentrale Botschaft dieser weltanschaulichen Bewegung die Bewegung selbst mit ihren verschiedenartigsten Strömungen das religiöse "feeling" dieses New-Age-Syndroms. Das "neue Bewusstsein" / "neue Lebensgefühl" entsteht nicht als Folge revolutionärer Umbrüche oder gesellschaftlicher Reformen, es tritt als "führerloses Netzwerk" von Gleichgesinnten an vielen Stellen und in vielen Bereichen gleichzeitig in Erscheinung und manifestiert sich in einer zukunftsorientierten Systemschau der scheinbar divergierendsten Gruppierungen: In der Wissenschaft: Systemtheorie der Evolution, Informatik (globale Vernetzung), ganztheitliche Medizin, transpersonale Psychologie u. a. In der Gesellschaft: Alternative Erziehung, Ökologie, Feminismus, Körpertherapien, Geistheilungen, Neue Weltordnung (Bahai) u. a. In der Kunst: Psychedelische Musik/Malerei, Obertonsingen, Science-Fiction-Literatur u. a. In der Spiritualität: Gnostisch-esoterische Praktiken, Theosophie, Meditation und Mystik, Reinkarnation, Ausserirdische Intelligenzen u. a. B. New Age und Religion: Die neue erfahrungsorientierte Spiritualität will die traditionellen, dogmatisch geprägten Religionen ablösen. C.G. Jungs tiefenpsychologische Reduktion der Religion auf innerpsychische Phänomene des Menschen spielt hier eine maßgebliche Rolle. Eine Wiedergeburt der Gnosis bis hin zu Vorstellungen und Praktiken antiker Mysterienreligionen 56 ist das Ergebnis. Die herkömmlichen Religionen sind Schritte auf dem Weg zu dieser mystischen Einheit von Mensch, Natur und "Gott". Unterscheidendes: New Age kennt nicht den personalen Gott und Gesprächspartner des Menschen, wie ihn die Offenbarungsreligionen verehren, sondern "die organisierende Matrix" des Universums (Ferguson), "die Selbstorganisationsdynamik" und "Summe aller kosmischen Energien" (Capra), sodass man von einem Pantheismus sprechen muss, der in allen Schöpfungselementen das Göttliche realisiert sieht. Vorstellung einer Selbsterlösung des Menschen, die allein über das Bewusstsein geschieht. Synkretismus aus Religionen, Wissenschaft und Esoterik, verbunden mit einer stark antidogmatischen Grundhaltung. Gemeinsames: Abkehr vom Materialismus der Gegenwart Suche nach einer neuen Toleranz und Friedfertigkeit Anerkennung des Eigenwertes der gesamten Schöpfung 57 DIE 46 BÜCHER DES ALTEN TESTAMENTS Fünf Bücher Mose = Pentateuch (Gen, Ex, Lev, Num, Dtn) Bücher der Geschichte Israels (Jos, Ri, 1/2 Sam, 1/2 Kg, 1/2 Chr u. a.) Bücher der Propheten (Jes, Jer, Ez, Hos, Am u. a.) Bücher der Lehrweisheiten (Ijob, 150 Pss, Koh, Weish u. a.) Der Pentateuch (Fünfrollenwerk) A. UMFANG: Genesis: Bibl. Urgeschichte (1-11), Patriarchengeschichte (12-50) Exodus: Teil der Nachkommen Abrahams in Ägypten, Mose und der Auszug Leviticus: Viele Kultvorschriften, Reinheitsgebote u. a. Numeri: Auszählung der wehrfähigen Männer, Wanderung von Sinai bis Kanaan Deuteronomium: Abschiedsreden (Testament) und Tod des Mose. B. VERFASSER (Literarische Schichten): 1. Der "Jahwist" (J): Ca 900 v. zur Zeit König Salomos im Südreich Juda, verwendet Jahwe ("Ich-bin-da") als Gottesnamen. Umfasst große Teile der Urgeschichte (s.u.), Patriarchengeschichten, Teile der Josephserzählung. Typisches: Deutet erstmals rückschauend die Geschichte der Menschheit/ Israels als Heilsgeschichte: Im "Haus David" erfüllen sich die großen Verheißungen Gottes an seinem Volk; lebendige u. spannende Erzählweise. 2. Der "Elohist" (E): Um 722 v. zur Zeit des Untergangs des Nordreichs, verwendet "Elohim" ("Gott", "der Gott", "die Götter") als Gottesnamen. Setzt ein mit der Patriarchengeschichte, größter Teil der Josephsgeschichte. (Schwer zu isolieren, da verschmolzen mit "J") Typisches: Betont die Geistigkeit Gottes (Bilderverbot, Offenbarungen im Traum, durch Engel, als Stimme...); Horeb statt Sinai; Propheten höherrangig als König. 3. Die "Priesterschrift" (P): Ca 500 v. während des babylon. Exils, Endredaktion des Pentateuchs. Umfasst Gen 1 u. v. a. die Mose-Geschichten mit der Gesetzgebung auf Sinai. Typisches: Schwerfälliger Stil (viele Wiederholungen, Listen, Zahlenangaben, Chronologien); ist um eine Ordnung des Kults bemüht. 4. Der "Deuteronomist" (D): Um 450 v. Umfasst Dtn, Jos, Ri, 1/2 Sam, 1/2 Kg.. Typisches: Bild des liebenden Gottes (nach Abfall immer wieder Rettung), der ein einziges Volk erwählt hat und eine einzige Kultstätte in Jerusalem besitzt. Die biblische Urgeschichte (Gen 1-11): 1,1 - 2,4a Schöpfungshymnus = Sechs-Tage-Werk ("P") 2,4b- 26 Paradieserzählung samt 3 Sündenfall ("J") 4 Kain und Abel ("J") 6-9 Sintfluterzählung, Bund Gottes mit Noah ("J" u. "P") 11 Turmbau zu Babel ("J") 58 DIE BIBLISCHE URGESCHICHTE A) STELLENWERT UND AUSSAGE: Jeweils ein zentrales Ereignis im AT und im NT ist es, das dazu geführt hat, auch das jeweilige "VORHER" in den Blick zu nehmen. Wie das zentrale Ereignis des NTs die Auferstehung Jesu ist, so ist es im AT das im Exodus erfahrene Heilshandeln Gottes an seinem Volk. URGESCHICHTE VORGESCHICHTE PATRIARCHENZEIT AT: Gott hat Israel aus der Hand der Ägypter befreit! ÖFFENTL. WIRKEN NT: Gott hat Jesus von den Wehen des Todes befreit! Entstanden aus dem Bedürfnis Israels, die eigene Erwählungs- und Befreiungsgeschichte (Exodus-Erfahrung) bis zu den Anfängen zurückzuspinnen, will die biblische Urgeschichte (Erschaffung der Welt und des Menschen, Paradies und Sündenfall, Kain und Abel, Noah und die Sintflut, Turmbau zu Babel und Zerstreuung) nicht naturhistorische Angaben über die Anfänge der Menschheit, sondern theologische Aussagen über das Verhältnis "Mensch - Gott" bis hin zur Erwählung eines eigenen Volkes machen. Als "zurückschauende Prophetie", die von Adam über Set, Noah und Sem bis zu Abraham eine heilsgeschichtliche Linie zieht (vgl. Geschlechterfolge nach Adam Gen 5), ist sie mit den ntl. Vorgeschichten bei Mt und Lk (Genealogien Mt 1 und Lk 3) vergleichbar, in denen ebenfalls schon leitmotivisch die späteren zentralen Aussagen anklingen. Der Biblischen Urgeschichte liegt nicht ein lineares Geschichtsbewusstsein zugrunde (Vergangenheit Gegenwart Zukunft), sondern altorientalisches mythisches Denken, das die erzählten Ereignisse in ihrer "Stets-Bedeutung" (zyklisches Denken) nicht zeitlich, sondern nur räumlich festmacht. Dennoch finden sich hier (z.B. in der Fluterzählung oder in der Turmbaugeschichte) auch alte Sagen, in denen sich eine lebendige Erinnerung des Volkes an real Geschehenes bewahrt hat. Von der Patriarchengeschichte an dominieren bereits (in Raum und Zeit verankerte) Sagen und Sagenkränze, die einen historischen Kern ausschmücken, umformen und religiös deuten. Mythische Elemente (wie etwa der Kampf Jakobs mit El, die Rahmengeschichte bei Ijob u a.) begegnen hier nur noch vereinzelt. B. LITERARISCHE ARTEN: I. G E N E A L O G I E Israel ist ein aus sog. Clanverbänden zusammengewachsenes Volk, gegliedert nach Großfamilien, Sippenverbänden und Stämmen, die sich letztlich auf einen einzigen Stammvater zurückführen.(So Gen 5,1ff; 6,9ff; 10,1ff) Die Tradition solcher Stämme kann die komplizierten ethnologischen Verhältnisse und historischen Entwicklungen leichter bewahren, indem sie alle handelnden Personen in Stammbäume einordnet (genealogisches Denken) und lange geschichtliche Entwicklungen auf wenige Generationen konzentriert (Familiengeschichte als geraffte Geschichte) 59 Stammbäume geben daher nicht die natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse wieder, sondern sind künstliche Gebilde, um die Geschichte überschaubar zu machen ("Volksgeschichte" in Form verdichteter "Familiengeschichten") II. Ä T I O L O G I E: 1. B e g r i f f : Eine Ätiologie (griech. aitia = Ursache, Schuld) ist eine Geschichte, die eine besondere Erscheinung erklären und den Ursprung von Bestehendem aufzeigen will. Die Begründung selbst ist oft schon an der Formulierung erkennbar: "Und daher gibt es..."; "Seit dieser Zeit ...". 2. B e i s p i e l e : Ätiologien im Rahmen der bibl. Urgeschichte befassen sich mit allgemeinmenschlichen, stammesgeschichtlichen, kulturgeschichtlichen und örtlichen Phänomenen der damaligen Welt. Auch Erklärungen von Namen begegnen wiederholt. Gen 1: Warum ist der 7. Tag der Woche als Ruhetag zu feiern? (Beispiel Gottes) Gen 2: Woher kommen die Namen und Begriffe? (Adam) Warum gibt es die Anziehung der Geschlechter? (Ursprüngliche Einheit) Gen 3: Woher kommen das menschliche Schamgefühl? Schmerzen bei der Geburt? Schweiß bei der Arbeit? Woher stammt die seltsame Fortbewegungsart der Schlangen? Der Tod des Menschen? (Sündenfolgen) Warum zerfällt der Mensch nach dem Tod zu Staub? (Aus Lehm gebildet) Gen 4: Seit wann gibt es Mord und Totschlag? (Brudermord) Woher kommt die Eigenart der Keniter? (Kainszeichen) Gen 9: Woher stammt der Regenbogen? (Bundeszeichen) Gen 11:Woher kommen die verschiedenen Sprachen? (Babel) III.M Y T H O L O G I E: 1. B e g r i f f : Der Mythos (griech. Wort, Rede, Erzählung, Sage aus dunkler Vorzeit) will die Welt nicht auf dem Weg logischen Denkens erklären, sondern über die Erfahrung, in Bildern und Symbolen, in Erzählungen und Darstellungen (verwandt dem Traum) ihren Ursprung und ihre Ordnung ganzheitlich verstehen. Personifikation und Dramatisierung gehören wesentlich zu seiner Bildhaftigkeit. Das, wovon er redet, geschah nie und ist doch immer: Die Menschen erlebten damals die Mythen ähnlich wie Kinder, für die im Märchen Wolf und Hexe, Braut und Prinz lebendig erfahrene Gestalten sind, die das eigene Leben bestimmen können. Es ist das gleichbleibende kosmische Geschick des Menschen. 2. K e n n z e i c h e n : a) Mythen verstehen die Welt nicht aus dem Abstand wissenschaftlichen Denkens, sondern aus dem unmittelbaren Erleben: Die Sonne "geht auf", der Himmel "wölbt sich" über uns und "öffnet seine Schleusen". b) Alles wird belebt und beseelt gedacht: Quellen "murmeln", Zweige "rauschen", Berge "speien Feuer", Götter "schleudern Blitze". c) Mythen erwecken und erhalten Vertrauen in die oft als bedrohend geheimnisvoll empfundene Wirklichkeit, indem sie den Sinn des Ganzen zur Sprache bringen. d) Sie stiften ganzheitliche Lebensordnungen als Maßstab sittlichen Handelns. e) Sie trennen nicht zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sondern spielen "in ewiger 60 Gegenwart" und haben somit ewige Gültigkeit. Sie sind "Geschichten des mitlaufenden Anfangs" (H. Halbfas) 3. M y t h e n in der B i b e l : Auch manche altorientalische Mythen haben Eingang in die Bibel gefunden: Die Erzählungen vom Gottesberg und Gottesgarten, vom Sündenfall, vom älteren und jüngeren Bruder, von der Verbindung der "Gottessöhne" mit den "Menschentöchtern" und den "Riesen der Vorzeit", vom Jakobskampf, der "Wette" Gottes mit dem Satan (Ijob), vom Abstieg in das Reich des Todes und von der Fesselung Satans, vom Drachenkampf der Endzeit (Ps 74,13f) und vom Totengericht. Sie wurden allerdings von heidnischen Elementen (Polytheismus, Schicksalsglaube, Hoffnungslosigkeit des Todes u. a.) gereinigt und so Ausdrucksmöglichkeit auch des eigenen Glaubens: An die Stelle eines kosmogonischen Chaos-Drachenkampfes tritt die Schöpfung durch das WORT, AstralGottheiten werden zu "Funktionsträgern", zu "Lampen" degradiert und Jahwes Macht untergeordnet. So spricht denn die Bibel eine doppelte Sprache: Die bildhafte Sprache des Mythos und die sachliche Sprache der Geschichte. C) DER SCHÖPFUNGSHYMNUS (Gen 1) Versuch der Priesterschrift (ca 500 v. Chr.), den Anfang der Welt (dem damaligen Weltbild entsprechend) systematisch und möglichst vollständig in "Gedichtform" (mit Refrain) als Lob Gottes zu besingen. Insgesamt 8 Schöpfungswerke Gottes werden offenbar bewusst in sechs Tage gepresst, um mit dem 7. Tag (Ruhetag) die Sabbatverpflichtung zu begründen. Grundaussagen: Alles hat Gott erschaffen (Keine Astralgottheiten) Alles war gut, sehr gut sogar (Refrain) Der Mensch ist Ebenbild Gottes Der Mensch ist Krone und Herrscher der Schöpfung D) DIE PARADIESERZÄHLUNG (Gen 2) Die vom Jahwisten (ca 950 v. Chr.) niedergeschriebene älteste biblische Geschichte über die Anfänge zeigt noch kein universelles (kosmisches) Interesse (WOHER der Erde, des Firmaments und der Gestirne) Sie versucht die unmittelbare Lebenswelt des damaligen Menschen (Ackerboden, Pflanzen, Bäume, Flüsse, Garten, Tiere) mit einem Blick zurück auf die Anfänge zu erklären. Verschiedene archaische Sagen und Mythen versuchen ein Gleiches: 1. Babylonisches Epos "Enuma elisch" (ca 1.300 v. Chr.): Am Anfang waren Apsu (süßes Grundweasser, männlich) und Tiamat (Urmeer, weibl. Prinzip) Sie vermischten sich - und es entstanden die Götter. Der Gott Marduk - aus einem Götterkampf hervorgegangen, spaltet den Leib der Göttin Tiamat und es entstehen das Himmelsgewölbe (samt Himmelsozean) und die Erde. Kingu, ein SohnTiamats, lädt Unrecht auf sich und bringt damit Unheil über alle Götter. Sie töten ihn daraufhin und kneten aus seinem Blut und aus Lehm den Menschen, auf den damit alle Schuld übergeht. 2. Ägyptischer Schöpfungsmythos: Osiris - das Urwesen aus dem Urstoff - hat alles erschaffen: Er hob die ins Leben getretenen Wesen aus dem Urwasser, und es entstanden viele Wesen, die wieder andere Wesen erzeugten. Er spie die Gestalten von Schu und Tefent aus und wurde so zur dreifachen Gottheit. Dann entstand die Pflanzenwelt. Als er weinte, entstanden aus seinen Tränen die 61 Menschen. Von Schu und Tefent nahm eine Götterwelt ihren Ausgang, die unzählige Wesen auf der Erde erschuf. 3. Phönizischer Schöpfungsmythos: Am Anfang war das Urchaos (stürmische finstere Luft und schlammiges dunkles Chaos) Aus ihm entstand (durch Zeugung) die Gottheit Mot (in Gestalt eines Eies), die alle Dinge keimhaft enthalten hat. Durch Spaltung entstanden Himnmel und Erde. Von Kolpia (Wind, männlich) und Baau (Nacht, weiblich) wurde der Mensch gezeugt. 4. Parsismus (Religion des Zarathustra, um 600 v. Chr.): Am Anfang waren ein gutes Prinzip (Ahura Mazda) und ein böses (Angra Mainyu) Ersteres rief die Geistige Schöpfung hervor (Engel, gute Geister und geistige Urbilder des Menschen) Diese "transzendente" Schöpfung wird materiell (= Paradieszustand) unter dem Urmenschen Gayomart und dem Urstier (Prototyp der Tierwelt) Da dringt das böse Prinzip in die Welt ein, böse Dämonen vermischen sich mit dem Guten: Aus dem Samen des Urmenschen entsteht das erste Menschenpaar, aus dem des Urstieres die Tiere. (Vgl. Wirkungsgeschichte dieses Dualismus im Manichäismus) Aussage der Paradieserzählung: Gott ist der Schöpfer aller Dinge, und alles war von Anfang an vollkommen: Ein fruchtbares, blühendes Land (Garten und nicht tohuwabohu=Wüste), die Tiere als Helfer (und nicht als Gefahr) des Menschen, der Auftrag, zu hüten und zu bebauen (und nicht zu beherrschen), vollkommene Einheit von Mann und Frau, Unschuld des Menschen, ewiges Leben. Die Tendenz hin zur Sündenfallserzählung ist offensichtlich. Schöpfunghymnus und Paradieserzählung im Vergleich Gen 2 (Jahwist 950 v. Chr) Gen 1 (Priesterschrift 500 v. Chr.) Erde und Himmel Himmel und Erde Bäuerliches Weltbild Kosmische Dimension Belebende Kraft des Wassers Bedrohliche Urflut Garten tohuwabohu (wüst und wirr) Altertümliche Erzählung Hymnus mit streng durchgezogenem Schema Hinordnung auf Gen 3 (Bäume) In sich geschlossene Einheit Tatschöpfung mit Anthropomorphismen Wortschöpfung (Gott als Töpfer, Gärtner, Arzt) (Und Gott sprach, und es wurde...) Der Mensch als Mittepunkt Der Mensch als Höhepunkt u. Schlusspunkt Reihenfolge: Mann, Pflanzen u. Tiere, Frau Reihenfolge: Ges. Schöpfung, Mann u. Frau Auftrag, den Garten zu bebauen und zu hüten Auftrag, die Erde zu unterwerfen und über die Tiere zu herrschen Der Mensch gibt Namen Gott benennt 62 E) DIE ERZÄHLUNG VOM SÜNDENFALL (GEN 3) Da Gott alles, was er erschaffen hat, für gut, sogar sehr gut befunden hat, stellte sich konsequenterweise die Frage nach dem Ursprung des Bösen, die der Jahwist abermals mit einer Geschichte beantwortet: Die schon Gen 2 eingeführten Bäume (der Erkenntnis und des Lebens) hat Gott offenbar sich selbst vorbehalten. Nur er selbst besitzt Unsterblichkeit und umfassende Erkenntnis (Weisheit) So wird schon der ägyptische Sonnengott Amun-Re als "Herr der Maat (=personifizierte Weltordnung), der den Lebensbaum schuf", und als "Herr der Erkenntnis" gepriesen. Die Verheißung der Schlange "Ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse" zeigt das Wesen der Ursünde an: Misstrauen einem vermeintlich missgünstigen Gott gegenüber und Versuch, ihm gleichrangig zu werden. Der Gewinn der (göttlichen) Unsterblichkeit allerdings (Baum des Lebens) bleibt den Menschen für immer verwehrt (Kerubim = göttliche Wächter), womit gleichzeitig auch die Endlichkeit menschlichen Lebens ihre Erklärung findet. Das Wortpaar "gut und böse" dürfte erst nachträglich mit "Erkenntnis" kombiniert worden sein, um den Ursprung des Schamgefühls aufzuzeigen. Auch der urmenschliche Umgang zur Bewältigung eigener Schuld nimmt hier seinen Anfang: Leugnen bzw. Abschieben auf andere... Religionsgeschichtlich gehört Adam ("Erdling"; ursprgl. Kollektivbezeichnung für "Mensch", wurde sie zu einem Namen) zur Kategorie des "ersten Menschen". 1. In den akkadischen Religionen (Adapa-Mythos, ca 1.400 v. Chr.) ist es der weise König Adapa, der von Ea (Gott der Wassertiefe und der Weisheit) als Typ des Menschen schlechthin geschaffen und mit höchster Weisheit ausgestattet ist. Nur das ewige Leben bleibt ihm noch verwehrt. Als sein Boot beim Fischfang kentert, zerbricht er daraufhin dem Südwind den Flügel. Der Himmelsgott Anu lässt ihn deswegen zu sich kommen und bietet ihm schließlich "Brot des Lebens" und "Wasser des Lebens" an, das dieser aber aus reinem Misstrauen zurückweist. So muss er als Sterblicher auf die Erde zurückkehren. 2. Im Atramhasis-Mythos (ca 1.700 v. Chr.) lässt der Lärm der Menschen den Gott Enlil (Sohn des Himmelsgottes An) nicht schlafen. Nach einer Ratsversammlung der Götter wird dekretiert, dass Pest und Krankheiten die Menschen zumindest dezimieren sollten. Als der Versuch scheiterte, schickten sie Unfruchtbarkeit, Dürre und Hunger und schließlich die Sintflut (vgl. Gilgamesch-Epos) 3. Im AT finden sich auch Anspielungen auf einen hebräischen Urmenschenmythos, wonach der erste Mensch in einem Gottesgarten oder auf einem Gottesberg gewohnt habe, weil ihm Gott dort besonders nahe war. Als er auf listige Weise sich göttliche Weisheit zu verschaffen versuchte, wurde er vom Gottesberg herabgestürzt und aus dem Garten Gottes ausgeschlossen: "An den Fürsten von Tyrus ergeht die Gerichtsankündigung des Propheten: "So spricht Gott, der Herr: Dein Herz war stolz, und du sagtest: Ich bin ein Gott, einen Wohnsitz für Götter bewohne ich mitten im Meer... Du warst ein vollendet gestaltetes Siegel, voll Weisheit und vollkommener Schönheit. Im Garten Gottes, in Eden, bist du gewesen... Einem Kerub mit ausgebreiteten Flügeln gesellte ich dich bei. Auf dem heiligen Berg der Götter bist du gewesen. Zwischen den feurigen Steinen gingst du umher. Ohne Tadel war dein Verhalten seit dem Tag, an dem man dich schuf, bis zu dem Tag, an dem du Böses getan hast... Darum habe ich dich vom Berg der Götter verstoßen, aus der Mitte der feurigen Steine hat dich der 63 schützende Kerub verjagt." (Ez 28, 2.12-16) "Bist du als erster Mensch geboren, kamst du zur Welt noch vor den Hügeln? Hast du gelauscht im Rate Gottes (der Götter??) und die Weisheit an Dich gerissen?" (Ijob 15, 7f) So muss sich Ijob in seinem Leid fragen lassen. F) DER ERSTE BRUDERMORD (GEN 4) Nach der Störung der Beziehung des Menschen zu Gott kommt es auch zum Bruch in der (kleinsten Zelle der) Gesellschaft: Kain erschlägt Abel. Den Anlass dazu gibt nach der Erzählung Gott selbst, weil er Abels Opfer annimmt, jenes von Kain aber scheinbar grundlos ablehnt. Möglicherweise hat der Redaktor hier schon das Motiv der Auserwählung anklingen lassen, wie es später beim Bund Gottes mit Israel vielstimmig wiederkehrt. Näherliegend und vom Text her wird wohl die böse Grundgesinnung Kains zur Ablehnung seines Opfers geführt haben, wie die Opferkritik des Propheten Amos später es ausdrückt: "Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, ich habe keinen Gefallen an euren Gaben, und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen,...sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach." (Am 5,22.24) Und ähnlich verlangt auch die Bergpredigt eine Umkehr des Herzens: "Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder (zu Recht) etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe." (Mt 5,23 f) Auch angesichts dieser (zweiten) großen Schuld des Menschen zeigt Gott sein Erbarmen, indem er Kain mit einem Zeichen schützt... G) NOACH UND DIE SINTFLUT (GEN 6-9) Die beiden hier verarbeiteten Erzählungen von einer großen Flut (Jahwist und Priesterschrift) sind unverkennbar mit babylonischen Sintflut-Epen verwandt, in denen anstelle Noahs der (ältere) Utnapischtim die Flut überlebt. (Vgl. SachthemenQUER.doc) Anders als bei den Schöpfungserzählungen bringt der Redaktor P und J nicht hintereinander, sondern verwebt sie ineinander, indem er in die priesterschriftl. Fassung die jahwist. Erzählung in größeren Blöcken einfügt, ohne freilich die vorhandenen Unterschiede einander anzugleichen. Die uns vorliegende atl. Fassung liest sich daher phasenweise recht mühsam... Begründung der Flut: Zunahme der Schlechtigkeit unter den Menschen. Aussage: Gottes Wirken - Gericht wie Rettung - sind Ausdruck seiner Liebe und zielen auf das Heil des Menschen ab. H) TURMBAU ZU BABEL (GEN 11) Der Jahwist schildert die Weltstadt Babylon: Ihre Kultur, die Vielfalt der Völker und Sprachen, den 90mal 90mal 90mal großen Stufenturm. Er ist für ihn nicht Heiliges Haus Gottes, sondern Ausdruck menschlicher Hybris und damit der Gottlosigkeit und des Aufruhrs gegen Gott, da er von seinem Fundament her offenbar daraufhin angelegt war, "mit seiner Spitze bis zum Himmel" zu ragen und Gott - ähnlich Gen 3 - seinen Platz streitig zu machen. Die Geschichte vom Turmbau ist ein Musterbeispiel einer Ätiologie und findet ihr Gegenstück im Pfingstereignis der Urkirche (Apg 2, 1-13), bei dem die Sprachverwirrung exemplarisch aufgehoben erscheint: "Jeder hörte sie in seiner Sprache reden"... 64 SCHÖPFUNG UND/ODER EVOLUTION Akten zur Geschichte eines verlorenen Prozesses ... Die Vermittlung naturwissenschaftlicher Aspekte mit dem christlichen Schöpfungsglauben ist - aufs Ganze gesehen - noch immer nicht geleistet. Zwischen Naturwissenschaft und Glaube kam es im Lauf der Geschichte immer dann zu gegensätzlichen Standpunkten, wenn eine der beiden Seiten die eigenen Grenzen überschritt und sich wissenschaftsfremde Kompetenzen anmaßte. Dem Glauben geht es "nicht bloß um die Frage, wann und wie der Kosmos materiell entstanden und der Mensch aufgetreten ist, sondern es geht um den Sinn dieses Werdens: Ob es durch Zufall, durch ein blindes Schicksal, eine namenlose Notwendigkeit bestimmt wird oder aber von einem intelligenten und guten höheren Wesen, das wir Gott nennen." (Katechismus 284) Die Vertreter der Evolutionstheorie wiesen nicht nur auf bestimmte auffällige biologische und paläontologische Fakten hin, sondern verbanden damit fast ausnahmslos eine mechanistische, atheistische Weltanschauung. Die Theologen wiederum meinten, mit dem geistigen, transzendenten Schöpfergott und der "creatio ex nihilo" zugleich auch das alte Weltbild der Bibel verteidigen zu müssen. Der Streit spitzte sich auf die vermeintliche Alternative "Artkonstanz und Schöpfungsglaube" oder "Artenwandel ohne göttliche Schöpfertätigkeit" zu. "Erschaffung" und "Entwicklung" sprechen zwei völlig verschiedene Frageebenen an: Im ersten Fall geht es um die Frage nach dem Ursprung, d. h. um jenen göttlichen Akt, der den Übergang vom Nicht-Sein zum Sein markiert, im zweiten hingegen um eine Veränderung von etwas bereits Vorhandenem, das schon vorher - freilich anders - war. Katholischerseits muss hier der ebenso faszinierende wie von der Kirche beargwöhnte Vermittlungsversuch von P. Teilhard de Chardin genannt werden, der die Kosmogenese, Biogenese, Anthropogenese und Christogenese als zielgerichtete Entwicklungsstufen der Gesamtwirklichkeit versteht. Objektiv gesehen war die - undifferenzierte - Ablehnung der Evolutionslehre ein Verhängnis, weil sie mit der materialistischen Ausdeutung zugleich auch den - inzwischen unbestrittenen Entwicklungsgedanken negierte. So liest man heute die ganze Apologetik gegen Ch. Darwin und seine Nachfolger mit ähnlichen Gefühlen, mit denen man die Akten eines verlorenen Prozesses studiert ... A. Die Welt – von Gott erschaffen? Die Naturwissenschaft braucht - und dies ist ein reines Methodenproblem - "immer schon" ein Gegebenes (Natur) als Gegenstand ihrer Wissenschaft. Die sog. "Rotverschiebung der Spektrallinien" im Bereich der größten bekannten Sternsysteme lässt auf ein ständiges Expandieren des Universums bis zu einem maximalen Durchmesser schließen, um dann plötzlich in sich zusammenzustürzen. Darauf könnten dann eine neue Verdichtungs- und Explosionsphase und somit einer neuer Kosmos folgen, ein Vorgang, der als "Pulsieren" des Weltalls bezeichnet wird. Seit einem halben Jahrhundert glauben die Astrophysiker daher nicht mehr (wie etwa zur Zeit Platos) an die Ewigkeit der Materie. Am Anfang dieser Expansionsentwicklung aber stand zunächst eine ungeheuer verdichtete Urmasse, die in einem "Urknall" ("big bang") explodierte. Die Frage freilich nach dem "VORHER" (WOHER) bleibt eine philosophische bzw. theologische! Bibel und kirchliches Lehramt wollen mit der Rede von der "creatio ex nihilo" Gottes Einzigkeit und Allmacht in einem Atemzug zum Ausdruck bringen: Er bedarf weder einer nichtgöttlichen Hilfe (Demiurgen) noch nichtgöttlicher Voraussetzungen (gestaltlose Materie) ALLES - auch die Gestirne - verdankt IHM seine Existenz (Negation von Astralgottheiten) 65 B. Die Menschheit – von Gott erschaffen? Die Naturwissenschaft kennt eine "Evolution zum Leben" (das Organische "entspringt" gewissermaßen aus dem Vororganischen) und die Höherentwicklung alles Lebendigen, basierend auf dem Prinzip der Selektion und der sprunghaften Mutationen (unter Vermehrung des Informationsgehalts im Erbgut der DNA) Kirche und Theologie hingegen haben durch buchstäblich-historische Auslegung der biblischen Schöpfungserzählungen diese Theorie zunächst bekämpft, dann aber notgedrungen die Richtigkeit eines gemäßigten Evolutionismus erkannt. Noch 1909 spricht ein Dekret der röm. Bibelkommission von Gen 1 ff als "Erzählungen wirklich geschehener Dinge, die der objektiven Realität und historischen Wahrheit enrtsprechen", so u. a. "die besondere Erschaffung des Menschen, die Bildung der ersten Frau aus dem ersten Menschen, die Einheit des Menschengeschlechts". 1) Problemfeld "Anthropologische Evolution": - Hl. Schrift: Die beiden Schöpfungserzählungen (Gen 1 f) sind kein Tatsachenbericht, sie wollen - in bildhafter Darstellung - über das WIE der Schöpfung ebensowenig wie über das Verhältnis Tier-Mensch eine Aussage machen; nur das Verhältnis des Menschen zu GOTT steht im Blickpunkt der Erzählung! - Kirchl. Lehramt: 1860 Kölner Provinzialkonzil (Verurteilung des Evolutionismus) 1909 Dekret der röm. Bibelkommission (Offengelassene Frage) 1950 Enzyklika "Humani generis" Pius XII. (Gemäßigter Evolutionismus: Ev. Ursprung des menschlichen Leibes aus schon existierender und lebender Materie, aber unmittelbare Erschaffung der Geistseele) 1962/65 II. Vat. Konzil (Feststellung, dass die gegenwärtige Menschheit "einen Übergang von einem mehr statischen Verständnis der Ordnung der Gesamtwirklichkeit zu einem mehr dynamischen und evolutiven Verständnis" vollzogen hat. GS 5) - Theologie (K. Rahner): Aufspaltung des Menschen (Leib-Seele) ist (auch biblisch) unmöglich. Auch "Geist-Werdung", d. h. aktives Sich-Selbst-Überschreiten der tierischen Psyche, das freilich von Gott ermöglicht und getragen wird. 2) Problemfeld "Monogenismus" (Biolog. Ursprungseinheit der Menschheit): Die Naturwissenschaft vertritt einen Polygenismus, d. h. Menschwerdung (Hominisation) in einer Population, gleichzeitig an verschiedenen Orten der Erde (Afrika, Ostasien) Das kirchliche Lehramt hält offiziell mit Blick auf die in der Schrift (Röm 5,12-19) grundgelegte Erbsündenlehre (vgl. Humani generis) am Monogenismus fest. Die neuere Theologie diskutiert hier mehrere Vermittlungsvorschläge. C. Der Einzelmensch – von Gott erschaffen? (Verurteilter) Generatianismus (19. Jh): Die Eltern zeugen nicht nur den Körper, sondern auch die Geistseele des Kindes. (Kirchlicher) Kreatianismus: Im Augenblick der biologischen Zeugung unmittelbare Erschaffung jeder Geistseele (= Aufspaltung des Menschen s.o.?!) K. Rahner: Gott ermöglicht den "Selbstüberstieg" des biologisch gezeugten Körpers hin zur Geistseele (s.o.) 66 URSTAND, SÜNDENFALL UND "ERBSÜNDE" A. DER MENSCH IM PARADIES (URSTAND, Gen 2): Nach dem Schriftbefund wurde der erste Mensch als ein gutes Wesen erschaffen, das in Freundschaft mit seinem Schöpfer und in Einklang mit sich selbst und der übrigen Schöpfung lebte. Dieser ursprüngliche Stand der "Heiligkeit und Gerechtigkeit" "(Konzil v. Trient DS 1511) als "Teilhabe am göttlichen Leben" (II. Vat. Konzil LG 2) bestand näherhin - in der Freiheit von der Konkupiszenz (böse "Begierlichkeit"), d. h. von der Widerspenstigkeit einzelner Schichten und Antriebkräfte des Menschen gegen seine personale Grundausrichtung; - in der Gottesgabe (Gnade) der tieferen Einsicht und Erkenntnis; - in der Freiheit von Leid und Mühsal; - in der Freiheit vom Tod als einer sinnlosen, dumpfen Macht, gegen die der Mensch sich aufbäumt. (Vgl. zu Gen 2 die zusammenfassende Reflexion über diesen "gesegneten Anfang" Sir 17, 1-9.) B. DER SÜNDENFALL (Gen 3): Gott hat den Menschen nicht als "Marionette" geschaffen, sondern als ein Wesen, das in freier Selbstentscheidung JA zu sich selbst, zu seiner Umwelt und v. a. zu seinem Schöpfer sagen sollte. Diese "Freiheitsprobe" aber hat der Mensch nicht bestanden: Er wollte - seinem Schöpfer misstrauend und daher zugänglich für die Verführung des Bösen - selbst "sein wie Gott". Der Störung der Beziehung zu seinem Schöpfer folgt - abermals basierend auf dem Neidkomplex - die Unordnung auch der zwischenmenschlichen Verhältnisse: Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Aussage: Der Mensch selbst ist für das Unheil verantwortlich, und dieses nimmt ständig zu. C. DIE "ERBSÜNDE" ("Ursünde): 1. DER SCHRIFTBEFUND: a. AT: Die Rede von "Adam" mit Artikel ("Der Mensch") beim Jahwisten bezieht sich nicht auf eine individuelle Person (Adam als Eigenname), sondern ist eine Kollektivbezeichnung für die Menschheit. Das II. Vat. Konzil hat daher mit der Rede von "dem Menschen" ganz bewusst die Frage "Monogenismus / Polygenismus" offengelassen! Obwohl Israel sehr wohl weiß, wie tief Sünde und Schuld im Menschen verwurzelt sind, hat Gen 3 im Rahmen der atl. Bücher kaum einen Widerhall gefunden: - Sir 25,24: "Von einer Frau nahm die Sünde ihren Anfang, ihretwegen müssen wir alle sterben." - Weish 2, 23 f: "Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören." Nur von Folgen der Ursünde ist also die Rede, von einer Übertragung der Sünde der Stammeltern selbst jedoch nicht! 67 b. NT: Die Hauptstelle ist hier zweifellos Röm 5, 12-21, wo Christus dem (persönlich sündiggewordenen?) Adam und dessen (temporal verstandenen?) Nachfolgern gegenübergestellt wird. "Denn wie also durch einen einzigen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod, und wie der Tod auf alle Menschen übergegangen ist, weil alle gesündigt haben -" (Röm 5, 12) Eine "Erbsünde" wird auch hier nicht erwähnt: Paulus redet nicht vom (leiblichen) Tod als einem etwaigen Beleg dafür, sondern vom (persönlichen) "Sündentod" als einer geschichtlichen Tatsache. Und dieser betrifft alle Menschen, "weil alle (= wie Adam und persönlich) gesündigt haben." "Erbsünde" zeigt sich bei Paulus also in persönlichen Sünden, der erbsündliche Zustand ist für ihn eine "Sünde", die noch nicht lebt. Das Problem der unmündigen, aber mit der Erbsünde behafteten Kinder kommt bei ihm überhaupt nicht in den Blick! 2. THEOLOGISCHE ENTFALTUNGEN: a. Ringen der Kirchenväter um ein rechtes Verständnis Relativ lange gilt nur der Erwachsene als Subjekt von Sünde und Erlösung und damit als potentieller Empfänger einer "Taufe zur Vergebung der Sünden" (Apg 2, 38) Tertullian fragt als einer der ersten, warum man sich so beeilt, unschuldige Kinder zu taufen... Cyprian v. Karthago und Origenes: In Adams "Lenden" (Samen) seien alle Geschlechter enthalten, daher auch "in allen ein wirklicher Sündenmakel". Die "fremde Schuld", die "Befleckung mit dem alten Tod durch seine erste Geburt" müsse daher auch beim Kleinkind durch die Taufe getilgt werden. Origenes redet ähnlich davon, dass es in allen "wirkliche Sündenmakel" gibt. Das "Weil alle sündigten" bezieht er dabei wie Paulus auf die persönlichen Sünden, insofern Kinder auch Schüler ihrer Eltern sind und "nicht sosehr durch die Natur, als vielmehr durch den Unterricht zum Tod der Sünde gedrängt werden." Nach Cyrill v. Alex.: sind wir "Nachahmer (!) der Übertretung Adams, insofern wir alle sündigen." Denn durch Adams Ungehorsam ist die Natur krank geworden an der Sünde, und alle fallen seither unter das Gesetz der Sünde. Dass und wie sehr die Exegese der lateinischen Kirchenväter in dieser Frage von Röm 5,12 einen anderen Weg geht, zeigt sich allein schon in der Übersetzung des "eph ho pantes hemarton" (= unter welchem Umstand, wobei, insofern, weil alle sündigten) in das "in quo" (omnes peccaverunt) mit Bezug auf Adam, "in dem alle sündigten". Der "Ambrosiaster", ein zu Unrecht Ambrosius zugeschriebenes Werk eines unbekannten Verfassers im 4. Jh. interpretiert diese Stelle eindeutig als "Erbsünde": "Es ist deshalb klar, dass alle in Adam gesündigt haben wie in einem Haufen (quasi in massa); er selbst ist ja durch die Sünde verdorben; alle, die er hervorgebracht hat, sind unter der Sünde geboren." Das Wort von "Gericht" und das "zu Sündern werden" der "Vielen" hingegen bezieht er - wie die Griechen auf die persönlichen Sünden. Den "ewigen" Tod erleiden nach ihm nur jene, die Adams Sünde persönlich nachahmen. 68 Die Deutung der ganzen Stelle allein auf die Erbsünde sollte Augustinus vorbehalten sein. Zwischen dem Ambrosiaster und ihm aber steht die Leugnung einer Erbsünde durch Pelagius (und Caelestius): Den Hintergrund bilden das Asketentum des Pelagius und seine stoische Philosophie: Aufgrund des freien Willens kann der Mensch natürlicherweise das Gute und das Böse wählen. Pelagius bejaht die göttliche Gnade wie auch die Vergebung der Sünden, aber die Gnade erleichtert nur das Gute, das kraft unserer Natur schon möglich wäre, und die Erlösung besteht nur im Einfluss der wahren Lehre und des guten Beispiels Christi, wie auch Adam uns allen allein durch sein schlechtes Beispiel (exemplo vel forma) geschadet habe: Die Sünde der Nachkommen Adams besteht demnach in nichts anderem als in der Nachahmung eines schlechten Vorbildes. Caelestius hat den Pelagianismus in klassischen (und kirchlich verurteilten) Thesen formuliert, die Augustinus zitiert: - Adam sei sterblich erschaffen worden, unabhängig von einer Sünde - Seine Sünde habe nur ihm allein geschadet - Jeder kann durch die natürliche Kraft seines Willens sittlich Gutes tun - Auch vor Christus habe es Menschen ohne Sünde gegeben - Neugeborene befänden sich im Zustand Adams vor der Sünde. Augustinus (354 - 430, Bischof von Hippo Regius) Seine Erbsündenlehre hängt v. a. mit seinem eigenen Erleben des Verhaftetseins an die Sünde und der befreienden Gnade Christi (Bekehrung) zusammen. 354 als Sohn einer gutbürgerlichen Familie in Tagaste in Numidien (heute Algerien) geboren, wuchs er unter seinem heidnischen Vater Patricius und seiner christlich-frommen Mutter Monika in einer religiös äußerst zwiespältigen Atmosphäre auf. Mit 17 Jahren kam er nach Karthago, einem Tummelplatz nicht nur von Philosophen und Sterndeutern, Heiden und Christen, sondern auch von Prostituierten und Zuhältern, um hier Dichtkunst, Geometrie, Musik und Philosophie zu studieren. Über diese Lebensphase schreibt er später: "Aus verkehrtem Willen wurde Lustbegierde, und dient man der Begierde, dann wird sie zur Gewohnheit, und widersteht man der Gewohnheit nicht, wird sie zum Zwang." Eine gewisse Melanie wurde seine Geliebte, und mit 18 Jahren hatte er einen Sohn (Adeatus) Augustinus suchte nicht nur nach einer Entlastung seines Gewissens, sondern grundsätzlicher noch nach einer Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Bösen. Und er glaubte sie im Alter von 19 Jahren (bis zu seinem 28 Lebensjahr) im Manichäismus gefunden zu haben: Dessen Stifter Mani (216-276) lehrte ähnlich Zarathustra einen Dualismus von den zwei gegensätzlichen Urprinzipien Licht und Finsternis. Adam ist danach ein Sohn der Finsternis, aber es sind auch Partikeln des geraubten Lichts in ihm. So sind - wie im Kosmos - auch im Menschen beide Prinzipien vetreten: eine Leibseele und eine Lichtseele. Der Mensch ist demnach der Schauplatz des Kampfes von Licht- und Finsternisteilchen, ohne selbst eingreifen zu können. Das Böse, das er tut, ist nicht persönliche Schuld, sondern das Ergebnis eines nicht beeinflussbaren Kampfes in seiner Seele. Eine "Erlösung" gelingt nur einem Kreis von "Erwählten". Damit wird der Mensch jeglicher Verantwortung für sein Tun enthoben. 375 eröffnete Augustinus als 21-Jähriger eine Rednerschule in Karthago, ein eher missglücktes Unternehmen, das - zusammen mit den lästigen christlichen Ermahnungen seiner Mutter - ihn bei Nacht und Nebel samt Freundin und Sohn nach Rom fliehen ließ. Dort erhielt 69 er durch manichäische Protektion eine Professur für Mailand, der damaligen Hauptstadt des Reiches. Unter dem Einfluss des dortigen Bischofs Ambrosius, dessen Predigten ihn ansprachen, begann er die Bibel mit neuen Augen zu lesen. Erst das seltsame Erlebnis bei einem Freund in der Nähe Mailands sollte zu seiner eigentlichen Bekehrung samt Taufe (387) führen: Augustinus hörte im Garten des Nachbarn die Stimme eines Kindes rufen: "Nimm, lies!" Er wusste aus der Biographie des Hl. Antonius (von Athanasius), dass dieser sich durch ein Wort Jesu (an den reichen Jüngling) hatte "mahnen" lassen, schlug die Bibel an einer beliebigen Stelle auf und fand die Worte: "Nicht in Fressen und Saufen, nicht in Zank und Streit laßt uns leben, sondern zieht den Herrn Jesus Christus an und pflegt das Fleisch nicht zur Erregung eurer Lüste." Über Vermittlung des Ambrosius stieß er auf platonische und neuplatonische Schriften, die sein dualistisches Weltbild zerstörten: Der Geist könne nicht materiell verstanden werden, und da Gott der höchste Geist ist, kann er bei der Schöpfung nicht Teilchen aus sich entlassen haben, sondern er muss die Welt aus dem Nichts erschaffen haben. Und er hat als guter Gott die Welt - und damit auch Geist und Seele des Menschen - gut geschaffen. Der Mensch war zwar mit einer angeborenen Neigung zum Guten ausgestattet; aber grundsätzlich frei in seinem Tun, kann er sich auch für das Böse entscheiden: Adam wandte sich im Bestreben, unabhängig zu sein, von Gott ab. Diese Sünde hatte unübersehbare Folgen, denn mit ihr verlor der Mensch die Freiheit, die Sünde zu meiden und Gutes zu tun. Aus dem "posse non peccare" war ein "non posse non peccare" geworden. In seinem Kampf gegen Pelagius übersetzte Augustinus Röm 5,12 zunächst noch mit "die Sünde,... in der alle gesündigt haben", ehe er sich endgültig für die Version "ein Mensch,.. in dem alle gesündigt haben", entschied. "Der Abfall des ersten Menschen, in dem die Freiheit des eigenen Willens das Höchste war und durch keinen Mangel behindert wurde, war eine so große Sünde, dass durch seinen Fall die menschliche Natur im ganzen gefallen ist." Aus diesem Grund werden alle Menschen gerade durch die Fortpflanzung zu Sündern. Wie aber die Sünde Adams kein reines Naturgeschehen ist, können auch seine Nachkommen nicht durch das bloße Naturgeschehen der Fortpflanzung zu Sündern werden, sondern nur, insofern sie unter einer sündigen Willensbewegung (= böse Begierlichkeit) steht. Die Sünde Adam gehe auf alle über, weil grundsätzlich nur Schuldige auf die Welt kämen: Auch getaufte Eltern gäben sie nämlich weiter durch in Begierlichkeit erfolgte Zeugung. Befleckt durch "väterliche Schuld" gehören sie zur "verdammten Masse". Während die Pelagianer den ungetauft sterbenden Kindern das "ewige Leben" als einen Zwischenzustand zuerkennen, ist Augustinus hier rigoroser: "Die Begierlichkeit macht die ungetauften Kinder schuldig und führt sie zur Verwerfung", freilich in einer "milderen" Form von Hölle. Ihre einzige Rettung liege in der Taufe. Kirchenlehramtliche Stellungnahmen gab es neben dem Konzil v. Karthago (418 gegen Pelagius) und der 2. Synode von Orange (529) v. a. auf dem Konzil zu Trient (1545 - 1563) Gegen Luthers Auffassung (Durch die Erbsünde ist der Mensch von Grund auf verdorben und seine Freiheit zunichte. Die von jedem Menschen ererbte Sünde bestehe in der Neigung zum Bösen und sei unüberwindbar) betont das Konzil: 70 Adam verlor den Zustand der Heiligkeit und Gerechtigkeit und fiel in Gottes Ungnade - mit Wirkung "für uns alle", und zwar nicht aufgrund einer Nachahmung, sondern durch Abstammung. Der Makel der Erbsünde wird weggenommen durch das Erlösungsverdienst Jesu (wirksam in der Taufe), "damit in ihnen durch die Wiedergeburt gereinigt werde, was ihnen durch die Zeugung (!) anhaftet." Die Konkupiszenz "stammt aus der Sünde und macht zur Sünde geneigt", ist aber keine eigentliche Sünde (DS 1515) Der freie Wille ist "nicht verloren und ausgelöscht" (DS 1555), sondern nur "geschwächt" (DS 1521) Während ein entsprechender Entwurf auf dem I. Vat. Konzil unerledigt blieb, hat das sich II. Vat. Konzil (1962 - 1965) dieser Frage gestellt: "Der ewige Vater hat die ganze Welt nach dem völlig freien verborgenen Ratschluss seiner Weisheit und Güte erschaffen. Er hat auch beschlossen, die Menschen zur Teilhabe an dem göttlichen Leben zu erheben. Und als sie (!) in (!) Adam gefallen waren, verließ er sie nicht, sondern gewährte ihnen Hilfen zum Heil um Christi willen." (LG 2) "Obwohl in Gerechtigkeit von Gott begründet, hat der Mensch unter dem Einfluss des Bösen gleich von Anfang der Geschichte an (= temporal?) durch Auflehnung gegen Gott und den Willen, sein Ziel ausserhalb Gottes zu erreichen, seine Freiheit missbraucht... Was uns aus der Offenbarung Gottes bekannt ist, steht mit der Erfahrung in Einklang: Der Mensch erfährt sich, wenn er in sein Herz schaut, auch zum Bösen geneigt, verstrickt in vielfältige Übel, die nicht von seinem guten Schöpfer herkommen können." (GS 13) Seither ist jeder - "wie in Ketten gefesselt" - unfähig, das Böse zu bekämpfen... D. AUSBLICK Die Lehre von der Erbsünde ist nicht von jener der Erlösung zu trennen, sie ist letztlich die "Kehrseite" der Frohbotschaft, dass nicht nur alle heilsbedürftig sind, sondern dass dieses Heil in Christus grundsätzlich allen auch angeboten wird. Die Erbsünde ist weder eine (persönliche) SÜNDE, noch wird sie VERERBT. Sie ist ein Zustand, eine Situation, in welcher sich der Mensch - vorgängig zu jeder persönlichen Entscheidung - immer schon vorfindet. Jeder ist "von Haus aus" hineingestellt in den Zwiespalt zwischen dem Guten, das er will, und dem Bösen, das er tut (Röm 7, 19) Wir werden in Verhältnisse hineingeboren (fundamentale Zwiespältigkeit des Menschen, Kollektivegoismus, ungeordnete Selbstliebe), in denen Sündelosigkeit und eine ungebrochene Gottesbeziehung unmöglich sind. So sind wir einerseits damit vorgängig negativ bestimmt (habitus), andererseits ratifizieren wir durch unser eigenes Tun diese Vorprägung (actus) Andere Standpunkte: Der Mensch ist von Haus aus gut und heil, vorhandene Mängel sind bloß sekundäre Produkte der Kultur und Gesellschaft, die der Mensch selbst allmählich ausmerzen wird. Der Mensch ist von Haus aus eine Fehlkonstruktion der Natur. Das Mangelhafte gehört einfach zu seinem Wesen (Endlichkeit) Annahme einer Kollektivschuld als Summe (vererbter) persönlicher Sünden. 71 DIE PATRIARCHENGESCHICHTE Während der Stoff der biblischen Urgeschichte großteils mythischer Art ist, ist der Inhalt der Vätergeschichte national geprägt und darum durchsichtiger und historisch weit stärker verankert. Dies freilich nicht in dem Sinn, dass hier ein genaueres historisches Wissen über die Stammväter selbst vorläge, sondern nur über die Zeit, in welcher diese Erzählungen entstanden sind (1. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.) ABRAHAM (Sara) (Hagar) ISAAK (Rebekka) (Ismael) JAKOB (ISRAEL) (Lea, Rachel, 2 Mägde) (und Esau) JUDA und seine 11 Brüder (= 12 Stämme Israels/Jakobs) (und Schwester Dina) Die Patriarchengeschichte ist weit weniger homogen, als es ihre derzeitige Fassung als "Familiensaga" vermuten ließe. Dies zeigen allein schon die je verschiedenen Schauplätze der einzelnen Erzählzyklen: Jakob gehört nach Mittelpalästina (Sichem oder Bet-El) bzw. ins Ostjordanland (Jakob-Esau-Laban-Sagenkranz); Isaak gehört ebenso in den Süden (Beerscheba) wie Abraham (Mamre bei Hebron) Ihre überlieferungs-geschichtliche Vereinigung zu einer "Familie" war die natürliche Folge des Zusammenwachsens jener Sippen und Stämme, die jeweils von ihnen erzählten. Den eigentlichen Grundstock dürfte der Erzählkreis über Jakob gebildet haben, dem "Vater" und "umherirrenden Aramäer", der nach Ägypten hinabgezogen ist (Dtn 26,5) Ihm wurde die relativ kurze Geschichte des Isaak (Gen 26) vorangestellt, während Abraham als die wohl jüngste Figur erst relativ spät an die Spitze dieser Reihe gesetzt (und genealogisch an Noah angeknüpft) wurde. Überlieferungsgeschichtlich am jüngsten ist die große Josephsnovelle, das breit ausgeführte Verbindungsstück (Schauplatz Ägypten) zwischen Vätergeschichte und Mosesgeschichte. Das hinter diesen Erzählstücken stehende Interesse war zwar auch ein stammesgeschichtliches, mehr jedoch noch ein theologisches: Als Erinnerung an die Geschichte Israels mit seinem Gott suchen sie nicht nur die Anfänge Israels an den Stammbaum Abrahams zu knüpfen, sondern auch die Erlösungstaten Gottes (Erwählung / Verheißung / Erfüllung) für die Vorfahren seines Bundesvolkes darzustellen. Auch das Gottesbild ist daher aus mehreren Überlieferungssträngen zusammengewachsen: Die Überlieferung der Halbnomaden in der Steppe: Der jeweilige Stammesgott offenbart sich als Sippenoberhaupt: Er ruft zum Aufbruch, führt die Sippe und schützt sie. Die Stammesgottheiten Jakobs, Isaaks und Abrahams verschmelzen zu dem einen "GOTT DER VÄTER", der an keinen Ort gebunden ist und (daher) auch nicht abgebildet wird. 72 Die Überlieferung der seßhaften Bauern aus dem Kulturland Kanaan: Sie verehren "EL" als den höchsten Gott, der auf Bergen über der Götterversammlung thront, als Schöpfer, Richter und König wirkt und Fruchtbarkeit schenkt. Er wird an festen Heiligtümern mit Kultbildern verehrt. Die Überlieferung der Beduinen aus dem Wüstengebirge Sinai: Sie verehren "JAHWE" als Schutzgott ihres Gebietes, der stets für sie da ist und sie in der bedrohlichen Umgebung überleben lässt. Ihm verdanken sie die Befreiung aus dem ägyptischen Frondienst. Er kann nicht in einem Abbild verehrt werden. Diese unterschiedlichen Überlieferungen münden nach einem zum Teil mühsamen Ringen in den Glauben an den einzigartigen "GOTT ISRAELS", wobei es Rückfälle in den kanaanäischen Fruchtbarkeitskult (Goldener Stier) ebenso gab wie einen Polytheismus (mit Monolatrie = Ein-Gott-Verehrung; vgl. Elija und das Gottesurteil auf dem Karmel 1 Kön 18) Erst in der Exilszeit gewinnt der Monotheismus jene Festigkeit, die von nun an das Judentum kennzeichnet. Abraham – Vater des Glaubens Auf das Wort Gottes hin zog im 18. Jh. v. Chr. Abraham (Abram) mit seiner Frau Sara (Sarai) und seinem Neffen Lot von Haran in das gelobte (= versprochene) Land Kanaan. - Streit zwischen den Hirten Abrahams und Lots (Lot wählt fruchtbare Jordanebene, Abraham lässt sich in Hebron bei den Eichen von Mamre nieder) - Verheißung des Landes sowie großer Nachkommenschaft - Abraham und die ägyptische Magd Hagar (Sohn Ismael, Stammvater der Araber) - Gotteserscheinung vor dem Zelt (3 Männer) und Verheißung eines Erben (Isaak - Sohn des Lächelns) - Abrahams Prüfung durch Gott (Opfer Isaaks) und Ende der Menschenopfer - Beschneidung am 8. Tag nach der Geburt als Zeichen des Bundes Gottes mit Abraham und seinen Nachkommen - Schwiegertochter Rebekka (Bruder Laban) aus seiner Heimat Haran Mose – Füher des Exodus Der aus dem Stamm Levi kommende Mose (Bruder Aaron, Schwester Mirjam) lebte um 1250 v. Chr. zur Zeit der Unterdrückung Israels in Ägypten (Pharao Ramses II.) - Unterdrückung der Israeliten (Fronarbeit) und Tötung der neugeborenen Knaben - Rettung (Binsenkörbchen) und Adoption durch die Tochter des Pharao - Totschlag eines Ägypters und Flucht nach Midian - Heirat der Zippora, einer Tochter des Priesters Jitro (= Reguel) - Gotteserscheinung (Dornbusch) am Berg Horeb (= Sinai) und Rückkehr nach Ägypten - Auszug (Flucht) nach den sog. 10 ägyptischen Plagen (zuletzt Tod der Erstgeborenen Ägyptens, aber "Pascha" (= Vorübergang) des Todesengels an den Häusern der Israeliten) - Durchzug durch das Schilfmeer ("Rotes Meer") und wunderbare Rettung während der Wüstenwanderung (Manna, Wachteln, Wasser) - Bundesschluss mit Jahwe ("Ich-bin-da") am Berg Sinai und Empfang der 10 Gebote - Rückfall in heidnischen Kult (Goldenes Kalb) unter Aaron und Erneuerung des Bundes - 40 Jahre Wüstenwanderung und Tod des Mose (Nachfolger Josue) 73 DER DEKALOG ("ZEHNWORT") A) Vorläufer/ Parallelen der atl. Sinai-Gesetzgebung: 1. Codex Hammurabi: Babylon. Gesetzessammlung, ca 1700 v.Chr., die noch älteres Recht umarbeitet. Die wichtigsten strafbaren Tatbestände (bezüglich Eigentum, Ehe, Scheidung, Adoption, Kauf / Verkauf usw.) finden sich ebenso wie die Talionsgrundsätze ("Auge für Auge, Knochen für Knochen") auch im atl. "Bundesbuch". 2. Ägyptisches Totenbuch: Anklänge einiger atl. Grundgesetze an die Unschuldsbeteuerungen der Verstorbenen ("Negatives Sündenbekenntnis"): "Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen. Ich habe das Vieh Gottes nicht in Not gebracht. Ich habe keine Unzucht getrieben an der Stätte der Wahrheit... Ich habe keinen Diener bei seinem Vorgesetzten angeschwärzt. Ich habe nicht krank gemacht. Ich habe nicht weinen gemacht. Ich habe nicht getötet. Ich habe nicht zu töten geheißen. Ich habe nicht das Leiden irgendwelcher Leute verursacht usw..." 3. Die Akkadische Beschwörungsserie Schurpu (Reinigungsritual aus dem 2. Jahrtausend) enthält die Mehrzahl der Gebote des Dekalogs. "N.N., der Nein für Ja, der Ja für Nein sagte, der als Zeuge Falsches aussagte... Er betrat das Haus seines Nachbarn, hatte Umgang mit der Frau seines Nächsten, vergoß seines Nachbarn Blut. Sein Mund ist aufrichtig, aber sein Herz ist treulos, wenn sein Mund Ja sagt, sagt sein Herz Nein. Der anklagt, überführt und verleumdet, Unrecht tut, ausplündert und zum Raub anstiftet, seine Hand im Bösen hat usw..." B) Die beiden Fassungen Ex 20 und Dtn 5: Sie dürften auf eine gemeinsame Urform zurückzuführen sein. Es gibt viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede: So v. a. - in der Sabbat-Begründung (Schöpfungswerk) - im Begehrensverbot (Stellung der Frau) - im Kontext (Ex 20 an der Spitze aller Gesetzesmaterialien mit anschließendem Bundesbuch sowie Kultvorschriften; Dtn 5 als Grundgesetz und "Raster" der nachgeordneten Einzelgesetze Dtn 12-26) Formale Dreiteilung: - Fremdgötter- u. Bilderverbot (Jahwe in 1.Person) - Namensverbot, Sabbat-u. Elterngebot (Jahwe in 3. Person) - Ab dem Tötungsverbot (neutral in bezug auf Sprecher) - Gebote und Verbote - Lange u. kurze Gebote/Verbote (Urspr. alle in Kurzfassung?!) C) Bedeutung in Geschichte und Gegenwart: - Ursprünglich in katechetischer Absicht als ethischer Grundkatalog (10 Finger!) formuliert - Später auch in gottesdienstlichen Liedern und Gebeten verwendet (Vgl. Ps 50), aber kaum Niederschlag in den übrigen atl.Büchern! - Jesus zitiert sie auszugsweise, ergänzt sie aber durch die sog. evang. Räte (Mk 10,17ff) bzw. verschärft sie noch in den sog. Antithesen (Mt 5,21-48) Zusammenfassung in 2 Grundgebote (Mt 22,36-40) - Paulus wendet sich v. a. gegen die "Zwangsjacke" des mosaischen Gesetzes... 74 - Augustinus (5.Jh.) formuliert die "christlichen" 10 Gebote. (Mit Jesus, dem Ebenbild des lebendigen Gottes Kol 1,15 Wegfall des Bilderverbots, mit seiner Auferstehung "Tag des Kyrios") - Heute: Weniger Interesse an Glaubens-Wissen denn an einer Wegweisung für das Leben... Wie die Musik, so sollte auch das Leben weniger nach Regeln, dafür umso mehr mit Phantasie, Instinkt, Gefühl komponiert werden! Die 10 Gebote sind nicht Einengung der menschlichen Freiheit ("DU..."), sondern FreiheitsZusagen Gottes nach dem Bundesschluss ("ICH..")! Gott will nicht Zwingherr sein, sondern Befreier des Menschen angesichts der Bedrohungen seines Lebens: "ICH kann mich darauf verlassen, - dass Gott mir seine Huld schenkt und mich vor Strafe bewahrt, wenn ich ihn allein anbete (1./2.) - dass ich nach 6 Tagen Arbeit ausruhen darf (3.) - dass ich in Krankheit und Alter nicht meinem Schicksal überlassen sein werde (4.) - dass der andere nicht grundlos mein Leben bedroht (5.) - dass meine Sippe und meine Familie unangetastet bleiben (6./9.) - dass sich niemand an meinem Eigentum vergreift (7./10.) - dass gegen mich aufgerufene Zeugen die Wahrheit sagen werden (8.)" D) Die einzelnen Gebote in ihrer ursprünglichen Bedeutung: - Tötungsverbot ("morden" als Verbum)= Gewalttat, die den Tod eines wehrlosen Opfers nach sich zieht. Tendenz, die Blutrache einzudämmen. Nicht betroffen: Tiere, Krieg, Todesstrafe, Gottesgericht. - Ehebruchsverbot= Einbruch in die Rechtssphäre des Mannes (vgl. 7. Gebot) sollte angesichts der Auflösung der strengen Sippenordnung (Kaufleute, Soldaten) verhindert werden. Ziel: Schutz für die Legitimität des Stammes. (Nur die Ehe des M a n n e s konnte durch seine Frau oder fremden Mann gebrochen werden) - Diebstahlsverbot= Zunächst das Stehlen eines freien Mannes, dann Diebstahl in jeder Form. - Begehrensverbot= Nicht bloßes inneres Sich-Wünschen (vgl. Antithesen!), sondern "Gier, die alles unternimmt, um in den Besitz zu kommen". (Dtn 5: Frau bereits aus dem Besitzstand des Mannes herausgenommen) Ziel: Schutz des von Jahwe gegebenen Besitzes. - Verbot des falschen Zeugnisses= Nicht Privatbereich des alltäglichen Lügens (Tugend der "Lebensweisheit" bei Juden!), sondern öffentlicher Bereich des Gerichtsverfahrens (auf Leben und Tod) - Elterngebot= Schutz der altgewordenen Eltern in der Sippenordnung, da verantwortlich für die Weitergabe der Jahwe-Überlieferung. (Elternehrfurcht par. zu Gottesfurcht) - Sabbatgebot= Atempause ("Ruhen") der Schöpfung mit jeweils verschiedener Begründung. Im babylon. Exil gemeinsam mit der Beschneidung Zeichen der Zugehörigkeit zum orthodoxen Judentum. - Fremdgötterverbot= Nur Kultverbot, da die Existenz anderer Götter vorausgesetzt wird. Grund: Intoleranter Ausschließlichkeitsanspruch Jahwes als Herr, da er auch seinerseits die Bundestreue hält. - Bilderverbot (objektlos)= Keine heidnischen Götterbilder samt deren Verehrung. Und: Nichts würde als Bild Jahwes taugen... - Namensverbot= Namen kennen ist Hulderweis Gottes (Dornbusch) Missbrauch seines Namens bei Meineid, heilbringendem Zauber, geistleeren Gebetsformeln. Statt dessen: "Geheiligt werde dein Name!" 75 Überblick über die Geschichte Israels BIBLISCHE URGESCHICHTE: Erschaffung der Welt, Paradies, Kain u. Abel, Noah, ?? Turmbau zu Babel Gen 1-11 ca. 1400 PATRIARCHENGESCHICHTE: Gen 50 Abraham - Isaak - (Esau u.) Jakob, Josef und seine Brüder v. Chr. ( Ägypten) ca. 1250 EXODUSERZÄHLUNG: Auszug der Israeliten aus Ägypten unter Mose, v. Chr. Wüstenwanderung, 10 Gebote am Berg Sinai (Horeb) Ex ca. 1230 LANDNAHME: Ansiedlung in Kanaan unter Josua, Fall der Mauern von v. Chr. Jericho ZEIT DER RICHTER: Debora, Gideon, Samson, Samuel u. a. als Stammesführer und Retter ca 1200 - 1020 v. Chr. 1020 - 926 v. Chr. ZEIT DER KÖNIGE: Jos Einigung der 12 Stämme und Blütezeit unter Saul, David, Salomo Ri 1/2 Sam 1 Kön REICHSTEILUNG (926 v.) NORDREICH ISRAEL 722 v. von den Assyrern erobert und übervölkert SÜDREICH JUDA - Eroberung durch Babylonier und Verschleppung 586 v. - Eroberung durch die Perser und Rückkehr nach Jerusalem 538 v. - Hellenistische Vorherrschaft (Alexander d. Gr.) 330 - 64 v. - röm. Provinz Syrien 64 v. - 330 11- 76 ZUR GESCHICHTE ISRAELS: Von der Landnahme bis zur Königszeit DIE LANDNAHME (um 1230 v. Chr.): Nach dem Exodus (Auszug) der Israeliten und der Wüstenwanderung starb Moses, ohne das versprochene (=gelobte) Land Kanaan westlich des Jordans betreten zu haben. Unter seinem Nachfolger Josua überschritt man den Jordan, um das Land militärisch zu erobern (Jericho) bzw. um sich zwischen den Städten friedlich anzusiedeln. Josua und Eleasar (Sohn Aarons) verteilten das Land durch das Los. Nicht beteilt wurden Levi und Joseph. DIE RICHTERZEIT (1200 - 1020 v. Chr.): .): Vor der Einigung der Stämme (Königszeit) profilierten sich - v. a. in der Abwehr feindlicher Angriffe - einzelne Persönlichkeiten als von Gott berufene Retter in der Not, "Einzelkämpfer", deren Heldentaten sich v. a. im Bergland abspielten. Herausragende Richter waren Debora: Gemeinsam mit ihrem Feldherrn Barak besiegt sie die Kanaaniter unter deren Feldherrn Sisera (grausamer Tod) Danklied der Debora. Gideon: Engelserscheinung und Berufung; der Nachttau als Zeichen; Auswahl der 300 Krieger u. Überraschungssieg über die Midianiter; Ablehnung der Königswürde. Simson (Samson): Vorgeburtliche Berufung (Nasiräer); Heldentaten gegen die Philister (Feldbrand, Kampf mit Löwen, Tötung von 1000 Philistern, Flucht aus Gaza mit Stadttor); Verrat (Haarwuchs) durch die Philisterin Delilah, Gefangenschaft und Tod bei Einsturz des Palastes. Ruth: Wegen Hungersnot Auswanderung einer israelit. Familie ins Land der Moabiter; nach Tod des Vaters und beider Söhne Rückkehr der Mutter (Noomi) mit ihrer moabitischen Schwiegertochter Ruth nach Bethlehem; Ruth und Boaz Urgroßeltern Davids Samuel: Ankündigung der Mutterschaft für Hanna durch einen Engel und Danklied der Hanna (vgl. Magnificat bei Lk); Erziehung am Heiligtum von Shilo durch den Priester Eli (mit zwei missratenen Söhnen); nächtliche Berufung; Kampf gegen die Philister (Tod Elis und seiner Söhne, Verlust und wunderbare Rückkehr der Bundeslade ins Lager der Israeliten); Salbung Sauls zum König. DIE KÖNIGSZEIT (1020 - 931 v. Chr.): .): A) König SAUL (1020 - 1000 v. Chr.) 1. Außenpolitische Situation: Um 1300 v. wandern die Philister mit anderen Seevölkern in Kanaan ein und setzen sich im Süden in den 5 Philisterstädten (Gaza, Aschkalon, Aschdod, Gath, Ekron) fest, wobei sie das kanaanäische System der Stadtstaaten übernehmen. Nach der Einwanderung der Israelstämme ständige Auseinandersetzungen (Simson, Samuel), wobei die Philister ihr Eisenmonopol ("Rüstungsindustrie") zu nutzen verstanden. (1 Sam 13, 19-22) Auch Sauls Regentschaft war von Kriegen gegen die Philister geprägt (1 Sam 13 u. 14) 77 2. Einführung des Königtums in Israel: Wunsch des Volkes (Bedrohung durch Ammoniterkönig Nahasch; Gottkönigtum bei den Nachbarvölkern freilich mit dem Jahweglauben unvereinbar) Vergebliche Gegenargumente Samuels (1 Sam 8) Fast märchenhafte Erzählung von der Salbung Sauls durch Samuel (Saul sucht die verlorenen Eselinnen - und findet das Königtum) Die Sage von der Volkswahl Sauls durch das Los (= Erwählung durch Jahwe) (1 Sam 9 u. 10) 3. Die Amtsführung Sauls: Charismatischer Führer (Ekstatische Entrückung Sauls bei einer Prophetengruppe 1 Sam 10, 9-12) Mehr General als König: Vorrangige Begabung: Militärisches Geschick Sein Hof: Ein militär. Hauptquartier (vgl. Ausgrabungen in Gibea) Organisation des Staates: Nur militär. Führungsspitze; erst allmählich schließen sich ihm (nach Ephraim u. Benjamin) auch die anderen Stämme an. Psychische Krankheit (Depressionen) 4. Der Niedergang: Saul maßt sich priesterl. Funktion an (1 Sam 13) Verstoß gegen das Banngesetz des Krieges (1 Sam 15) Zwist mit Sohn Janathan u. dem jungen David (1 Sam 18) Saul bei der Totenbeschwörerin von En-Dor und die Niederlage gegen die Philister (Sohn Jonathan fällt, Saul begeht Selbstmord) B) König DAVID (1000 - 961 v. Chr.) (Quellen: 1 Sam 16 - Ende 2 Sam; Parallelberichte 1 Chr.) 1. Kindheit und Jugendzeit: Ca 1040/1030 als Sohn des Isai ("Wurzel Jesse") in Bethlehem geboren; Schafhirte. Aufstieg: 3 versch. Überlieferungen Salbung Davids durch Samuel noch zur Regierungszeit Sauls. (Gott selbst erwählt ihn zum König.) David als Kriegsheld nach dem Sieg über Goliath. (Nach 2 Sam 21,19 Elhanan als Held??) David als Zitherspieler am Hofe Sauls, der von einem "bösen Geist" geplagt wurde. (Legenden über Psalmisten) 78 2. Politisches Schicksal: Zunächst gutes Verhältnis Saul-David (Ernennung zu einem Heereskommandanten), aber Eifersucht Sauls angesichts der wachsenden Berühmtheit Davids als Kriegsheld (1 Sam 18,7) Zwar noch Verheiratung seiner Tochter Michal mit David, dann aber Anschläge auf Davids Leben. David als politischer Flüchtling: In der Wahl seiner Mittel, nicht nur zu überleben, sondern auch Macht und Ansehen zu gewinnen, eher rücksichtslos: - Zuerst Anführer einer Söldnertruppe, welche die Bevölkerung gegen Entgelt vor räuberischen Angriffen schützte; ein "Bandenführer", den selbst die Familie gemieden hat ... - Enge Freundschaft (oder Bündnis mit Zusagen für späteren Teilungsvertrag?) mit Jonathan. - Söldner im Dienst der Philister, der Erzfeinde Sauls; nimmt aber an der Entscheidungsschlacht gegen die Israeliten (Tod Jonathans, Selbstmord Sauls) nicht teil; befiehlt Hinrichtung des Boten; berühmte Totenklage über Saul / Jonathan (2 Sam 1) - Konsequente (reiche) Heiratspolitik Davids, so etwa die Eheschließung mit Abigail, der Ehefrau des reichen Nabal, die ihren Mann verlässt und dessen Vermögen mitnimmt...(1 Sam 25) David als König in Hebron: Nach Sauls Tod wird sein Sohn Isboseth (Ischbaal) König im Bereich der Nordstämme (völlig unter dem Einfluss des Feldhauptmanns Abner), David zieht nach Hebron und wird dort zum König gesalbt; Krieg zwischen beiden - Ischbaal und Abner werden ermordet, die Meuchelmörder von David hingerichtet. David nun Herrscher über alle Stämme. Königtum in Jerusalem: David vertreibt die Jebusiter aus Jerusalem und macht es zu seiner Residenz. Es gehört politisch nicht zum israelit. Stämmebund, sondern zu seinem persönlichen Besitz und ist buchstäblich "die Stadt Davids"! Zugleich feierliche Überführung der Bundeslade (Tanz Davids und Entfremdung Michals, 2 Sam 6) und Planung eines Tempels (Erwerb des Grundstückes und Materialbeschaffung 1 Chr 21 f) Politische Bedeutung König Davids: - Überaus lange Regierungszeit (ca 40 Jahre) - Zentralisierung der Verwaltung (organisiertes Beamtentum) nach vorheriger Volkszählung (2 Sam 24) - Organisation der Priesterschaft in Jerusalem - Organisation der Armee - Einigung der Stämme (durch Takt und Diplomatie statt mit Waffengewalt) und Weckung eines Gemeinschaftsbewusstseins - Expansion des Reiches (im Norden bis Damaskus, im Süden Zugang zum Roten Meer) und Absicherung durch Freundschaftsverträge mit den Nachbarn - Negative Aspekte: Schuld am Tod des Hethiters Urija (Ehefrau Bathscheba) Thronfolgekrisen (Thronanwärter Absalom wollte 11 Jahre vor dem Tod seines Vaters ihn vom Thron stürzen (2 Sam 15), verfing sich aber auf der Flucht vor Davids Truppen mit seinen Haaren in den Zweigen einer Eiche; Trauer Davids; der nächstälteste Sohn Adonia feierte bereits - unterstützt von Davids Feldherrn Joab - seine bevorstehende Krönung, aber auf Drängen Natans und unter dem Einfluss Bathschebas bestellte David deren Sohn Salomo zum Nachfolger. 79 Religiöse Bedeutung Davids: - Begründung und Festigung des Heiligtums auf dem Berg Sion - Natans Verheißung (2 Sam 7) eines dauernden Bestands seiner Dynastie und daran anknüpfend alle atl. Messiaserwartungen - Betonung der Abstammung Jesu aus dem Geschlecht Davids in den Kindheitserzählungen des NTs (Mt, Lk) und wiederholte Berufungen auf die Natan-Verheißung (Sohn Gottes) C) König SALOMO (961 - 931 v. Chr.) Thronfolge und Herrschaftsantritt: - Drei Jahre lang Mitregent seines Vaters, dann Alleinherrscher - Beseitigung des Adonia: Dieser bat Bathscheba um Heiratserlaubnis mit Abischag von Schunem, einer "Dienerin" (Nebenfrau) seines Vaters, was allgemein als 1. Schritt zur Thronbesteigung galt. - Beseitigung des Feldherrn Joab, der - unter Verletzung des Asylrechts - im Heiligtum umgebracht wurde. Schwerpunkte seiner Regierungszeit: - Ein Zeitalter des Friedens (Schaffung einer Streitwagenmacht nach kananäischem Muster sowie Ausbau der Festungen und Garnisonstädte Hazor, Megiddo, Geser u. a. als Defensivmaßnahmen) - Kalkulierte Gebietseinbußen (etwa an König Hiram von Tyrus für benötigtes Zedern- und Zypressenholz für den Tempelbau 1 Kg 5,15), andererseits geringfügige Gebietserweiterung durch Heirat einer Tochter des Pharao (1 Kg 9,16) - Ausbau der Verwaltung durch Einteilung des Reiches in 13 Distrikte (12 im N-Reich, Benjamin+Juda als 13. Distrikt) unter Missachtung der alten Stammesgrenzen (Jeder Distrikt musste etwa gleichviel Steuern zahlen / Zwangsarbeiter / Soldaten stellen = ungerecht für den Norden!) - Ansammlung des sprichwörtlichen Reichtums und luxuriöse Hofhaltung in Jerusalem selbst (1 Kg 10, 14) durch Ausbau der Handelsbeziehungen: 2 wichtige Handelswege durch Palästina ausgebaut und kontrolliert; Errichtung einer Hafenanlage am Golf von Agaba und Ausbau des Überseehandels (Goldtransporte); Eisenbergwerk (Schmelz- und Läuterungsanlage in Ezeon-Geber), Kupferabbau in Timna für Bauvorhaben bzw. Export u. a. - Rege Bautätigkeit: Norderweiterung der Stadt inkl. neuer Stadtmauern; Bau der Tempelanlage (1. Tempel, vergleichbar einer Dorfkirche, freilich prunkvoll ausgestattet!), daran anschließend der (weit größere) Königspalast mit den weitläfigen Hallen, Festungen, Wasserleitung und Straßen (z.B. in Megiddo) u. a. Persönlichkeit Salomos: - Wachsende Unzufriedenheit des Volkes wegen hoher Steuern, Frondienst - Untreue gegenüber dem Jahwekult durch Sanktionierung fremder Kulte (für eigene Frauen bzw. ausländ. Wirtschaftsgrößen 1 Kg 11) - Ideal eines weisen (politisch freilich unklugen) Königs: (Göttl.)"Lebensweiheit": TraumGebet Salomos um Weisheit (1 Kg 3); Richterliche Weisheit: Salomon. Urteil (1 Kg 3); Listenweisheit: Über Bäume, Vieh, Vögel, Würmer, Fische (1 Kg 5,9); Rätselweisheit: z. B. gegenüber der Königin v. Saba (1 Kg 10) Folge: Das Hohelied, Buch der Sprüche, der Weisheit und einige Pss werden ihm als Verfasser zugeschrieben. (Apokryph: Psalmen, Oden und Testament Salomos) Keine große theologische Bedeutung! 80 Der Zerfall des salomonischen Großreichs (931 v. Chr.) und das Schicksal Israels und Judas Nordreich I S R A E L Südreich J U D A (Abfall der 10 N-Stämme) (Benjamin und Juda) Jerobeam (ehem. Beamter Salomos) wird Rechabeam (Sohn Salomos) als König König Jerusalem bleibt Hauptstadt Samaria (vorher Sichem) wird Hauptstadt und religiöses Zentrum Heiligtümer in Bethel u. Dan Jahrelange Bruderkriege 722 v. Eroberung durch die Assyrer Bedrohung durch Assyrer Vasallen Assyriens (Tribut) Verschleppung bzw. Mischvolk (Ende 587 v. Eroberung durch Babylonier Israels) (Nebukadnezar II.) Deportation der Oberschicht ins "Babylon. Exil" (Mitregent Belschazar / Daniel) "Samariter" als dessen Nachfahren von den 538 unter König Kyrus persische Provinz Juden stets abgelehnt: Rückkehr aus dem Exil und Hilfe bei Wiederaufbau des Tempels 538 Wiederaufbau des (2.) Tempels v. abgelehnt ab 332 v. Großreich Alexanders d.Gr. Eigener Tempel auf Berg Gerisim Diadochenzeit: (Garizim) bei Sichem (Vgl. Joh 4,20) Unter den Ptolemäern Friede; unter den Seleukiden (ab 198 v.) harte rel. Unterdrückung (Entstehung der versch. rel. Gruppierungen, 167 v. erfolgr. Aufstand d. Hasmonäer / Makkabäer) 64 v. Einverleibung in die röm. Provinz Syrien 81 Für Kenner des Alten Testaments… Ordne die nachstehenden Begriffe des entsprechenden Personen zu Linsengericht - Goldenes Kalb - Haare - Dornbusch - Esel - Wurm - Leben - Zisterne - Weisheit Streitende Frauen - Siberbecher - Harfe - Sand - Frösche - Schiffsbauer - Sarah - Lehm Heuschrecken - Männin - Weinbauer - Jäger - Ackerbauer - Exodus - Ziegenfell - Magd - Urija Widder - Sterne - Rachel - Israel - Gleichniserzähler - Ninive - Träume - Flut - Landnahme - Potifar Mantel - Goliath - Menschenopfer - Delilah - Rippe - Tempel - Sprachrohr eines anderen - Jericho Bethlehem - Depression - Altersblindheit - Sem -Erkennungszeichen - Sprüche - Psalmen - Batscheba - Ismael - Rhizinusstrauch - Prophet - Königsmacher - Gebote - Richter - Zerstörung Jerusalems König - Verbrannte Buchrolle - Fisch - Nesthäkchen. Adam Eva Kain Noah Abraham Hagar Isaak Esau Jakob Joseph Benjamin Moses Aaron Josue Samson Samuel Saul David Natan Salomo Jeremia Jona 82 Für Kenner des Alten Testaments… Die Lösung Adam Lehm Eva Leben, Männin, Rippe Kain Ackerbauer, Erkennungszeichen Noah Schiffsbauer, Weinbauer, Flut, Sem Abraham Sand, Sarah, Streitende Frauen, Sterne Hagar Magd, Ismael Isaak Widder, Menschenopfer, Altersblindheit Esau Linsengericht, Jäger Jakob Ziegenfell, Rachel, Israel Joseph Zisterne, Träume, Potifar Benjamin Silberbecher, Nesthäkchen Moses Dornbusch, Frösche, Heuschrecken, Exodus, Gebote,Gold.Kalb Aaron Goldenes Kalb, Sprachrohr eines anderen Josue Landnahme, Jericho Samson Haare, Richter, Delilah Samuel Mantel, Prophet, Königsmacher, Richter Saul Esel, Depressionen, König David Harfe, Urija, Goliath, Bethlehem, Psalmen, Bathscheba,König Natan Gleichniserzähler, Prophet Salomo Weisheit, Streitende Frauen, Tempel, Sprüche, König Jeremia Zisterne, Prophet,Zerstörung Jerusalems,Verbrannte Buchrolle Jona Wurm, Ninive, Rhizinusstrauch, Prophet, Fisch 83 PROPHETISMUS A) ALLGEMEINES 1. Ein Prophet ist ein Charismatiker, der aufgrund einer besonderen Berufung durch Gott zum Künder des Gotteswortes wird. Er ist gleichsam"Mund Gottes" (Ex 4,16), der etwas "hervorsagt" und "vorhersagt": Er hat in Audition oder Vision einen Auftrag erhalten und tritt danach mit eigenem Sendungsbewusstsein auf. Er unterstreicht sein (= Gottes) Wort ("Spruch des Herrn") oft durch eine Zeichenhandlung (1 Sam 15,27) und kann bisweilen auch Wunder wirken. 2. Typisches Prophetenschicksal: Berufungserlebnis (Jer 1; Ez 1-3) - Versuch der Verweigerung (Jona 1) - Soziale Konflikte - persönliche Nachteile und Verfolgung Ratlosigkeit und Zweifel - Einzelgängertum 3. Grundformen prophetischer Worte: - Vorausblickend = Ankündigungen (des Heils oder des Gerichts) - Rückblickend = Geschichtserinnerungen ("Ich habe für euch getan, ihr aber habt.." Am 2,616, Ez 16) - Gegenwärtig = Anklagen, wenn wichtige Lebensbereiche bedroht waren: SOZIALE ANKLAGE (Amos 4,1ff; 5,7ff; Micha 2,1ff) POLIT. ANKLAGE (Jesaja, Jeremia 11) REL. ANKLAGE (Hosea, Ezechiel, Amos 5,21ff) 4. Ausserbibl. Prophetentum: Prophetismus ist kein speziell atl. Phänomen, auch bei den anderen Völkern gibt es "Propheten, Wahrsager, Träumer, Zeichendeuter und Zauberer", doch "sie lügen, wenn sie euch weissagen" (Jer 27, 9): Babylonischer Bereich: Ausgedehnte "Vorzeichenwissenschaft", gestützt auf Träume, Vogelflug, Astrologie u. a. (induktive Mantik, griech. = Seherkunst) Daneben gibt es auch das intuitiv-ekstatische Prophetentum, das ausschließlich der Führung des Königs dient. (Keinerlei ethische Forderungen an das ganze Volk!) Ägypten: Prophetentum im Zusammenhang der ägypt. Weisheitslehre: Propheten deuten die Gegenwart aus den Erfahrungen der Vergangenheit. Akkadischer Bereich (ca 700 v. Chr): Ekstatischer Prophet macht den Königen Asarhaddon und Assurbanibal verschiedene Heilszusagen (Dynastiebildung u. a.) 5. Heute begegnet ein ekstatischer Prophetismus bei den Schamanen (Zentralasien/ Mongolei/ Afrika) und Derwischen (Islam): Durch Rauschmittel, Tanz, Lärmen, Selbsthypnose geraten diese "Priester" in Ekstase (Dämmertraum) In diesem Zustand begegnen sie den Geistern bei einer eigenen "Himmelsreise"/ in eigener Besessenheit von diesen Geistern/ indem sie sie in einen Gegenstand bannen und über sie verfügen (Trommel...) B) PROPHETENTUM IM AT: Im AT ist die Rede von ROEH (von hebr. raah = sehen) = der Seher ISCH HAELOHIM (hebr.) = der Mann Gottes NABI (Pl. NEBIIM, von akkad. nabu = rufen) = der Gerufene / der Rufer Sie treten immer in Krisenzeiten des Volkes auf - Es begegnen Einzelpropheten und Prophetengruppen - Propheten und Prophetinnen (Hulda 2 Kg 22,14-20, Mirjam Ex 15,20, Frau d. Jesaija Jes 8,3, Debora Ri 4,4) - Königsabhängige (Kult-) und oppositionelle Propheten. 84 Im AT unterscheidet man WORT- / TATPROPHETEN SCHRIFTPROPHETEN Über sie selbst wird im deuteronomist. Unter ihrem Namen werden prophetische Geschichtswerk (Dtn, Jos, Ri, 1/2 Sam, 1/2 Bücher des ATs überliefert. Man Kg) berichtet. unterscheidet je nach dem Umfang ihrer Schriften 6 große (v. a. Jesaja, Jeremia u. KLEINERE ERZÄHLSTÜCKE: Ezechiel) und 12 kleine Propheten (Amos, Hosea, Micha...) MOSE gilt aufgrund seiner direkten Kommunikation mit Jahwe als der 1. Geschichtliche Einordnung: unvergleichliche Anfang des Prophetentums IM NR ISRAEL: (Dtn 34,10ff). - Über SAMUEL (Nächtliche Berufung im Heiligtum beim Priester Eli 1 Sam 3, Bedrohung durch Assyrer und Fall Erwählung und Verwerfung Sauls mit Samarias 722 v. AMOS, HOSEA zerrissenem Mantel als Zeichenhandlung; IM SR JUDA: Salbung Davids) - Über NATAN im Zusammenhang mit der Belagerung Jeruslams durch den Assyrer Verheißung an David (2 Sam 7), seinem Sanherib 701 v. Erst-JESAJA, MICHA Ehebruch (2 Sam 12,1ff) - Über GAD (Volkszählung Davids u. Pest Untergang des assyr. Reichs und Aufstieg als Strafe; Kauf der Tenne des Arauna Babylons NAHUM, HABAKUK, Tempel) (2 Sam 24, 1-25) ZEFANJA - Über AHIA von Shilo (Zerreissen des Mantels in 12 Stücke vor Jerobeam 1 Kg Eroberung Jerusalems durch die 11,29-40; Prophezeiung an dessen Frau 1 Kg Babylonier 587/86 v. Chr. JEREMIA, EZECHIEL 14, 1-18) DREI GROSSE ERZÄHLKREISE: - Über ELIJA (unter König Ahab am Bach Kerit; Witwe von Sarepta; der Prophetenstreit auf dem Karmel; sein Todeswunsch unter einem Ginsterstrauch; sein Schüler Elischa 1 Kg 17-19; der frevelhafte Erwerb von Nabots Weinberg durch Ahab 1Kg 21; Elijas Entrückung in den Himmel 2 Kg 2) - Über ELISCHA (Ölwunder, Totenerweckung des Sohnes einer Schumenitin; Brotvermehrung; Heilung des Naaman 2 Kg 4 ff) - Über JESAJA (unter König Hiskija Verheißung und Rettung Jerusalems vor dem Assyrer Sanherib 701 v.Chr.; Heilung Hiskijas und Schattenwunder als Zeichen 2 Kg 20) Im babylon. Exil 586 - 538 v. Chr. EZECHIEL, Zweit-JESAJA Nachexilisch bzw. hist. nicht einzuordnen Dritt-JESAJA und die übrigen Propheten. 2. Charakteristika: Jeder steht für sich allein und muss "von vorne" beginnen (keine große ProphetenReihe) Keiner hatte zu Lebzeiten Erfolg, ihr Ruf verhallte letztlich ungehört. Radikale Gegnerschaft zum König: Kampf nur mit dem WORT und eigenem LEIDEN (Verfolgung, Tötung) 85 DIE 150 PSALMEN DES ALTEN TESTAMENTS 1. Begriff, Entstehung und Einteilung: "Psalm" (griech.) bedeutet ursprünglich das Zupfen der Saiten eines harfenähnlichen Instruments bzw. das davon begleitete Lied. Es ist Wort des Beters an Gott und Gotteswort an uns zugleich. Als Quellen lassen sich verschiedene Einzelsammlungen erkennen: Davidpsalmen (Pss 3-41 u. a.), Psalmen verschiedener Sängergilden (Pss 42-49, 84 ff: Korachiter), Wallfahrtslieder (Pss 120-134) u. a. Die Auswahl unserer 150 Pss war um das Jahr 200 v. Chr. abgeschlossen. Das "Buch der Psalmen" (Luther: "Der Psalter") ist das Gesangbuch der (nachexilischen) jüdischen Gemeinde (im Tempel, in der Synagoge und in den Häusern) Es wird gewöhnlich (analog zum Pentateuch) in 5 Einzelbücher unterteilt (1-41, 42-72, 73-89, 90-106, 107-150): Den Schluss des jeweiligen Buches bildet eine Doxologie, die mit "Amen, Amen" (beim letzten Buch Ps 150) endet. 2. Form: Die Pss sind v. a. durch 2 Merkmale gekennzeichnet: a. Rhythmus: Nicht jeder Vers hat dieselbe Silbenanzahl, Dreier- und Zweierverse wechseln einander ab: "Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir: Herr, höre meine Stimme. Wende Dein Ohr mir zu achte auf mein lautes Flehen. Würdest Du, Herr, unsere Sünden beachten, Herr, wer könnte bestehen?" (Ps 130, 1 ff) b. Parallelismus membrorum: Dasselbe Anliegen des Beters wird zweimal in verschiedener Wortwahl gesprochen (s.o. Ps 130) 3. Inhalt: Die Pss spiegeln als Gebete inhaltlich die ganze Bandbreite menschlichen Lebens wieder und behalten damit ihre überzeitliche Gültigkeit. In ihnen geht es um Bitten, Vertrauen, Dank, Anbetung und Lobpreis Gottes und (in ca 50 Pss) Klagen des Menschen. Typische Beispiele: Ps 8 (Die Herrlichkeit des Schöpfers und die Würde des Menschen) Ps 19 (Lob der Schöpfung und Lob des Gesetzes) Ps 23 (Der gute Hirt) Ps 51 (Bitte um Vergebung und Neuschöpfung) Ps 73 (Das scheinbare Glück der Frevler) Ps 114 (Lobpreis Gottes auf die Befreiung Israels) Ps 139 (Der Mensch vor dem allwissenden Gott) 86 DAS MATTHÄUSEVANGELIUM A. ENTSTEHUNG UND GLIEDERUNG: 1. Verfasser: Nach altkirchlicher Tradition der Apostel (!) Matthäus (Mt 9,9; par Levi) Papias v. Hierapolis (ca 150 n. Chr.): "Matthäus hat in hebräischer Sprache die Berichte zusammengestellt; interpretiert hat sie aber jeder, so gut er es konnte." Irenäus v. Lyon (ca 180 n. Chr.): Die Apostel "hatten sowohl alle als auch jeder einzeln das Evangelium Gottes. So hat Matthäus, als er den Hebräern predigte, in deren Sprache eine Evangeliumsschrift herausgegeben." Eusebius v. Caesarea (ca 300 n. Chr.): "Matthäus, der zunächst unter den Hebräem gepredigt hatte, schrieb, als er auch noch zu anderen Völkern gehen wollte, das von ihm verkündete Evangelium in seiner Muttersprache." Päpstliche Bibelkommission (1911): Der Apostel Matthäus habe als erster (!) sein Evangelium verfasst, und dieses sei 'quoad substantiam' identisch mit unserem Mt. Sed contra dicitur: Der Verfasser war nicht (!) Jünger und Augenzeuge der Ereignisse, sondern hat lediglich Quellen verarbeitet (Mk, Q, Sg) Das Original war in Griechisch (!) abgefasst. (Kein Übersetzungsstil; atl. Zitate sind der griechischen Übersetzung [=Septuaginta] entnommen.) Ergebnis: Mt war ein Judenchrist der zweiten Generation mit schriftgelehrter Bildung (viele atl. Zitate, wiederholte Verweise auf Thora und jüdische Gebote, relativ gutes Griechisch) Adressat ist eine (mehrheitlich) judenchristliche Gemeinde (Antiochien in Syrien?) Heidenchristliche Akzente finden sich nach der vergeblichen Judenmission (vgl. Mt 10,5) bei: Hauptmann v. Kapharnaum (Mt 8, 5-13) Heidnische Frau (Mt 15, 21-28) • Missionsbefehl (Mt 28, 16-20) 2. Entstehungszeit: Nach Mk und der Zerstörung Jerusalems (= 70 n. Chr.); nach der Loslösung der jungen Kirche vom Judentum (teils Polemik gegen die Synagoge, teils Argumentationshilfen für Judenchristen in der Auseinandersetzung mit dem orthodoxen Judentum); d. h. in der Zeit 8090 n. Chr. 3. Gliederung: Typische (synoptische) Dreiteilung, aber mit zwei "Eckpfeilern" versehen (Vorgeschichte und Sendungsauftrag Jesu) B. AUSSAGE: Jesus ist der verheißene Messias (Erfüllungszitate) Er ist der zweite Mose (Bergpredigt) Jesus ist der Lehrer der Gemeinde (Fünf große Reden) Sein Evangelium ist Juden wie auch Heiden zu verkünden. 87 C. BESONDERHEITEN: Fünf große Redekompositionen: Bergpredigt (5-7), Aussendungsrede (10), Gleichnisrede über das Himmelreich (13), Gemeinderegel (18), Endzeitrede (24-25) Kampfschrift" gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer (23) Apologie des Christentums: Verdoppelungen bei Wundern (9,27; 20, 29 par); theologische Glättungen (19,16 par Mk 10,17 ff; Freiheit der Judenchristen von der Tempelsteuer (17,24-27); Wächtermotiv bei der Auferstehung (27, 6266) Kirchliches" Evangelium: Zweimalige Rede von der ekklesia; Hervorhebung des Petrus als "Erstem" und Sprecher (v. a. Mt 16, 13-19), als "Fels" (15, 15; 18, 21); Gemeinderegel; "Anpassung" der Seligpreisungen an die Gemeindesituation; häufige Verwendung in den Gemeinden. Katechismus der Urkirche": Stark ethischer Charakter mit Hinweis auf Endgericht (22, 110 par Lk 14, 15; Endzeitrede) 88 DIE BERGPREDIGT JESU 1. Allgemeine Vorbemerkung: Mt zeichnet Jesus in seinem Evangelium als den großen "Lehrer der Gemeinde". Zu diesem Zweck hat er die ursprünglich eher knappen Formulierungen Jesu zu fünf großen Redekompositionen zusammengefasst: Die Bergpredigt (Mt 5-7) Die Aussendungsrede (Mt 9 f) Die Gleichnisrede über das Himmelreich (Mt 13) Die Gemeinderede (Mt 18) Die Rede über die Endzeit (Mt 24 f) Die Bergpredigt selbst ist nach dem Bericht über die Jüngerberufung und einem "Sammelbericht" über das öffentliche Wirken (Mt 4) gleichsam die große "Antrittsrede" Jesu (wie Mose vom Berg herab), die "Magna Charta des Christentums". Mt hat dabei nicht nur die bei Lk verstreut vorkommenden (ursprünglicheren) Herrenworte verarbeitet, sondern auch Material aus der Logienquelle ("Q") und Sondergut ("Sg") benützt. Damit wird auch der innere Widerspruch zwischen 5,16 (Euer Licht soll leuchten) und 6,1 (Gerechtigkeit nicht zur Schau stellen) erklärbar. 2. Vergleich mit der lukanischen Fassung Lk 6 Mt 5 - 7 „Feldrede" 4 Seligpreisungen 4 Weherufe Direkte Anrede "Bergpredigt" 8 (+ 1) Seligpreisungen -----------------Allgemeine Aussagen Wortsinn (Physischer Hunger...) Übertragener Sinn (Hunger nach Gerechtigkeit...) 6 Antithesen zum Dekalog ("Ich aber sage Euch") 3. Der Inhalt der Bergpredigt a. Grundsätzliche Aussagen und Forderungen Jesu: Seligpreisungen - Doppelgleichnis v. Salz der Erde u. Licht der Welt - gesetzliche" und "wahre" Gerechtigkeit. b. Verdeutlichung dieser Aussagen (Verschärfung durch Verinnerlichung) anhand von Beispielen aus der Thora (5.,6.,8. Gebot, Vergeltung, Feindesliebe) c. "Durchführungsbestimmungen": Ausfaltung der Grundsatzaussagen in verschiedenen Einzelanweisungen (bezügl. Almosengeben, Beten, Fasten, Alltagssorgen, Richten, Vertrauen) und Zusammenfassung in der "Goldenen Regel". d. Abschluss: Warnung vor falschen Propheten - Jesu Lehre hält stand wie "ein Haus auf einem Felsen" - Betroffenheit der Zuhörer. 89 4. Aussage der Bergpredigt a. Ablehnung einer "Gesetzesreligion" (Observanzreligion), die sich mit einem bloß äußeren Beachten von Geboten begnügt. Statt äußerem Schein der Gerechtigkeit (Schein-Heiligkeit, Heuchelei) verlangt Jesus eine "wahre Gerechtigkeit". b. Wegweisung für rechtes Handeln: Durch teilw. sogar extreme Formulierungen wird die Grundgesinnung verdeutlicht, die jedem Handeln aus dem Geist Jesu zugrundeliegen sollte. c. Grundsätze "individualethischen" Handelns und nicht "Weltverbesserungsprogramm". (Etwa Lösung des Welthungerproblems durch Almosengeben; Rettung des Weltfriedens durch Hinhalten auch der anderen Wange; Lösung der Weltwirtschaftsprobleme durch Vertrauen auf Gott wie die Vögel des Himmels...) DIE "ACHT SELIGKEITEN" Armut vor Gott a. Arme "des Geistes wegen", d. h. Beachtung des Vorrangs des Geistes vor allen materiellen Werten. b. Menschen, die vor Gott letztlich nichts vorweisen können, sondern alles seiner Barmherzigkeit anheimstellen. (Z.B. Lk 18, 9ff Pharisäer und Zöllner) c. Menschen, die ihr Herz nicht an materiellen Besitz hängen, sondern gerade mit ihrem Reichtum Gutes tun. (Bescheidenheit und Großherzigkeit) Trauer a. Menschen, die in diesem Leben leiden, denen aber der Lohn im Himmel verheißen wird .(Z.B. Lk 16,19ff Reicher Mann u. armer Lazarus) b. Die Jünger Jesu, die seinen Weggang beklagen, denen aber der HI. Geist als Beistand und Tröster verheißen wird. Friedensstifter und Gewaltlose Menschen, die nicht Gewalt mit Gegengewalt beantworten(Mt 5,38ff), sondern getragen von der Liebe neue Formen der Mitmenschlichkeit suchen und so das Reich Gottes verwirklichen helfen. Hunger und Durst nach Gerechtigkeit (inkl. Verfolgung) Menschen, die nicht (aufgrund ihrer äußeren Werkgerechtigkeit) selbstzufriedene "Gläubige" sind, sondern in ihrem Inneren immer danach streben, vor G o t t Gnade zu finden. (bibl. "Gerechtigkeit" = Rechtschaffenheit vor Gott, Heiligkeit) Barmherzigkeit Menschen, die sich in ihrem Tun nicht vom Recht, sondern von der Liebe leiten lassen. (Barmherzigkeit - ein anderer Ausdruck für Christentum! Vgl. Mt 25, 31 ff u. a.) Reinheit des Herzens Schon die Propheten wandten sich gegen einen rel. Formalismus, der sich mit bloß äußerer, kultischer Reinheit begnügt und die Reinigung des Gewissens übersieht. "Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken" (Mk 7,21) 90 SELIGPREISUNGEN – EINMAL ANDERS… für Kinder... Glücklich, die Verständnis haben für uns Kinder, auch wenn wir raunzen, müde und lästig sind. Glücklich, die nicht gleich die Stirne runzeln, wenn wir aus lauter Vergnügen quietschen, kreischen und uns des Lebens freuen. Glücklich, die nicht gleich den Kopf schütteln, wenn wir während des Gottesdienstes einmal einen Laut von uns geben, schließlich wollen auch wir beten. Glücklich, die nicht gleich mit dem Stock ihren Sitzplatz in der Straßenbahn verteidigen, wir wären ohnedies aufgestanden, nur haben wir Fieber und Mutti bringt uns gerade zum Arzt. Glücklich, die uns nicht gleich mit Vorwürfen uberhäufen, weil unsere Tischmanieren noch nicht einwandfrei sind, wir werden den richtigen Gebrauch der Serviette schon noch üben. Glücklich, die unserer Lebensfreude nicht mit Grant und Ärger begegnen, wer sollte denn sonst lustig und unbeschwert sein, wenn nicht wir Kinder. Glücklich, die sich von unserer Lebensfreude anstecken lassen, die mit uns spielen, sich mit uns freuen, die über unsere ersten Gehversuche wachen, die unseren Übermut verstehen. Sie alle werden uns Mutter und Vater sein. für ältere Menschen ... Glücklich, die Verständnis zeigen für meinen stolpernden Fuß und meine lahme Hand. Glücklich, die begreifen, dass mein Ohr sich anstrengen muss, um alles aufzunehmen, was man zu mir spricht. Glücklich, die zu wissen scheinen, dass meine Augen trüb und meine Gedanken träge sind. Glücklich, die mit freundlichem Lachen verweilen, um ein wenig mit mir zu plaudern. Glücklich, die niemals sagen: "Das haben Sie mir heute schon zweimal erzählt." Glücklich, die es verstehen, Erinnerungen an frühere Zeiten in mir wachzurufen. Glücklich, die mich erfahren lassen, dass ich geliebt, geachtet und nicht allein gelassen bin. Glücklich, die in ihrer Güte die Tage, die mir noch bleiben, erleichtern. 91 LEBEN NACH DER BERGPREDIGT A. WORUM MENSCHEN EINANDER BENEIDEN Tafelarbeit: Schönheit, Reichtum, Position, Erfolg, Glück, Gesundheit, Familie, Kinder, Zufriedenheit, Mut, Können, Fröhlichkeit, Frieden u.v.m. B. HÖRT, WEN JESUS GLÜCKLICH (SELIG) PREIST Jesus nennt Menschen glücklich, - die arm sind vor Gott, d. h. die wissen, dass sie letztlich mit leeren Händen vor Gott stehen werden, die aber auf sein Erbarmen vertrauen. Beispiel: Das Verhalten des Zöllners im Tempel (Lk 18,9-14) - die traurig sind, weil es das Schicksal nicht gut mit ihnen gemeint hat. Beispiel: Der arme Lazarus am Tisch des Reichen (Lk 16,19-25) - die keine Gewalt anwenden, um einen eigenen Vorteil zu erlangen, sondern Hass mit Liebe und Geduld beantworten. Beispiel: Jesus beim Verhör vor Pilatus (Joh 18,33-37) - die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, d. h. die sich inständig bemühen um Rechtschaffenheit in den Augen Gottes, d. h. nach Heiligkeit streben. Beispiel: Der reiche junge Mann (Mt 19,16-21) - die barmherzig sind, d. h. die sich in ihren Entscheidungen nicht vom Recht, sondern von der Liebe zum Nächsten leiten lassen und mehr tun als nur ihre Pflicht. Beispiel: Der barmherzige Samariter (Lk 10,25-35) - die ein reines Herz haben, d. h. die ohne böse Hintergedanken die Wahrheit reden und tun. Beispiel: Das Kind inmitten der Apostel (Mt 18,1-7) - die Frieden stiften, d. h. die zur Versöhnung anderer beitragen und nicht nur ihren eigenen Frieden haben wollen. Beispiel: Jesus als unser Friede (Eph 2,13-16) - die wegen ihrer Gerechtigkeit, d. h. wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Beispiel: Die Apostel bei ihrer Missionstätigkeit (Mt 10,16-20) VON JESUS LEBEN LERNEN HEISST AUCH Hartherzigkeit zu vermeiden - anders als der unbarmherzige Gläubiger. Selbstgerechtigkeit (Schein-Heiligkeit) zu vermeiden - anders als die Ankläger der Ehebrecherin. Neid zu vermeiden - anders als die ersten Arbeiter im Weinberg. Habgier zu vermeiden - anders als der Mann mit der reichen Ernte. 92 WER IST EIN CHRIST? Versuch einer Um- / Beschreibung eines äußerst komplexen Phänomens 1. GLAUBE an den einen Gott und Vater Jesu Christi (Sohn Gottes), der in seinem Hl. Geist bei uns ist; und an ein "Leben nach dem Leben" (Auferstehung) 2. GEBET voller Vertrauen ("Wer bittet, dem wird gegeben" Mt 7,7ff), wie der Herr es uns gelehrt hat ("So sollt Ihr beten" Mt 6,5ff) 3. NACHFOLGE Christi (Leben nach der Bergpredigt Mt 5-7): a. Leben nicht nach dem Buchstaben, sondern nach dem Sinn der Gebote. ("Der Buchstabe tötet, der Geist hingegen macht lebendig" 2 Kor 3,6) b. Leben in Wahrhaftigkeit und ohne Heuchelei ("Euer Ja sei ein Ja, Euer Nein ein Nein" Mt 5,37; "Hütet Euch, Eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen" Mt 6,1) c. Nicht Vergeltungsdenken, sondern Nächsten- und Feindesliebe. ("Was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen" Mt 7,12) Barmherzigkeit - ein anderer Name für das Christentum. (Gleichnisse Jesu; Werke der Barmherzigkeit als Kriterium beim Endgericht Mt 25,31ff) d. Vorrang des Reiches Gottes statt ängstlicher Alltagssorgen. ("Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen, dann wird euch alles andere dazugegeben" Mt 6,32f) 4. LEBEN mit und in der KIRCHE als der Gemeinschaft des Glaubens, als dem "Sakrament", d. h. dem "Zeichen und Werkzeug" unseres Heils (II.Vat. Konzil): a. Rel. Gestaltung der Sonn- und Feiertage b. Sakramentales Leben c. Mitverantwortlichkeit für die christl. Gemeinde 5. WELTVERANTWORTUNG Friedensarbeit = Kampf gegen Ungerechtigkeiten, Unterdrückung, Ausbeutung, Zerstörung der Schöpfung... ------------------------NB: Über die "Normalform" des Christentums hinaus gibt es das Leben nach den sog. Evangelischen Räten "Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam" (Streben nach Vollkommenheit), wie es etwa in den verschiedenen Orden angestrebt wird. (Vgl. Jesu Wort an den reichen jungen Mann Mt 19,16ff) Der Christ in der Entscheidungssituation (SachthemenQUER.doc) 93 DAS MARKUSEVANGELIUM A. Entstehung: Nach einer alten Tradition "Johannes Markus", der Sohn einer Maria in Jerusalem als Verfasser (Apg 12, 12); zuerst Reisebegleiter des Paulus (Apg 13, 5), dann Begleiter des Petrus (1 Petr 5, 13) Papias v. Hierapolis (ca. 150 n. Chr.): "Markus, der der Dolmetscher ("Hermeneut") des Petrus geworden war, schrieb die Worte und Taten des Herrn, deren er sich erinnerte, gewissenhaft auf, nur nicht in der richtigen Reihenfolge. Denn er hatte den Herrn weder gehört, noch war er ihm nachgefolgt, aber - wie gesagt - später dem Petrus. Dieser hielt seine Lehrvorträge nach den Gegebenheiten, aber nicht, um die Herrenworte (fortlaufend) zusammenzustellen. Daher beging Markus keinen Fehler, wenn er einiges so schrieb, wie er es in Erinnerung hatte. Denn nur auf eines war er bedacht: von dem, was er (von Petrus) gehört hatte, nichts auszulassen oder darin etwas zu verfälschen. " Manche wollen den Evangelisten in jenem jungen Mann wiedererkennen, der bei der Verhaftung Jesu nackt entfloh (14, 51 f) Gegenargumente: Geographische Unkenntnisse über Jerusalem und Umgebung; zu feindselig und polemisch gegen die ungläubigen Juden; keine inhaltlichen Hinweise auf eine Abhängigkeit von Petrus, im Gegenteil: besonders breite Schilderung von Situationen, die diesem keine Ehre machen (8, 31-33; 14, 66-72) Ergebnis: Mk war ein Heidenchrist, der sein Evangelium (vermutlich in Rom) für Heidenchristen geschrieben hat, denn: Er erklärt seinem Leserkreis jüdische Sitten (7, 3f); verwendet und übersetzt älteste aramäische Worte Jesu wie Talitha kumi (5, 41), Hephata (7, 34), Eloi, Eloi... (15, 34) Mk wurde noch vor dem Jahr 70 (Zerstörung Jerusalems, vgl. 13, 7), d. h. in der Zeit 65 - 70 n. Chr. in griechischer Sprache geschrieben. B. Verarbeitete Quellen: Mk gilt als der "Erfinder" der literarischen Gattung "Evangelium". Vielleicht gab es sogar schon im vorösterlichen Jüngerkreis aramäische (später griechische) Aufzeichnungen über einzelne Ereignisse / Worte Jesu. Noch drängender wurden Niederschriften mit dem Aussterben der Generation der Augenzeugen bzw. der verstärkten Missionstätigkeit im ausserjüdischen Raum. Mk konnte wohl schon auf eine ausführlichere Passionsgeschichte (Urgestalt 10, 33f), eine Gleichnissammlung, eine Sammlung von Wundern und Streitgesprächen und eine kleine Apokalypse zurückgreifen, aus denen er gleichsam (durch eine etwas hölzerne Aneinanderreihung: "und ...und") eine erste "Biographie" Jesu zusammenstellte. Der Schwerpunkt liegt aber auf der Leidensgeschichte, die er nach rückwärts hin bis zum ersten öffentlichen Auftreten Jesu (Taufe am Jordan) erweitert hat ("Passionsgeschichte mit Einleitung") 94 C. Aufbau: Geographische Dreiteilung mit den Schwerpunkten "Galiläa" - "Wanderung nach Judäa" "Jerusalem". Noch keine Vor- und Kindheitsgeschichten; keine Erscheinungserzählungen (16, 9-20 = sekundärer Mk-Schluss aus dem 2. Jh.) D. Zielsetzung: Mk will - wenn auch lückenhaft und chronologisch und geographisch unexakt - in einfacher und volkstümlicher Sprache die Geschichte des Jesus v. N. erzählen, nicht aber in Form einer Historiographie, sondern als Glaubenszeugnis: Er verkündet vom ersten Vers an die Frohbotschaft "von Jesus, dem Messias, dem Sohn Gottes" (1,1) und führt als Belege die Heilungen und Dämonenaustreibungen an. Theologische Überlegungen spielen bei ihm (und nur bei ihm) keine Rolle, weshalb die anderen Synoptiker so manches zu "glätten" versuchen bzw. gar nicht übernehmen: Der missratene Sohn (3, 20f; vgl. auch das alte Traditionsstück Lk 2, 41-52) - Sein Unvermögen, Wunder zu wirken (6, 5) - Seine Unwissenheit (9, 16.33) - Seine "NurMenschlichkeit" (10, 18) - die nicht auf Anhieb geglückte Blindenheilung (8, 22-26) u. a. Eine Besonderheit ist das sog. Messias-Geheimnis: Jesus will verborgen bleiben (Schweigegebote 1, 24f; 3, 11 f; 7, 35f u. ö.) und spricht - selbst für die Jünger - in Rätseln (vgl. 4, 12) Er wollte keine falsch verstandenen Erwartungen (politischer Befreier) schüren, seine Messiaswürde sollte erst durch seinen Tod und seine Auferstehung deutlich werden (vgl. 9, 9) Die synoptische Frage (SachthemenQUER.doc) Die Jesus-Bilder der Evangelien (SachthemenQUER.doc) Jesus und die "Starken" seiner Zeit (SachthemenQUER.doc) 95 DAS DOPPELWERK DES LUKAS Das Lukasevangelium A) E n t s t e h u n g: Nach Mk, etwa gleichzeitig mit Mt ca 80-90 n. Chr. entstanden. Der Verfasser soll - so Irenäus und das Murator. Fragment ca 180/200 n. Chr. - der in Kol 4,14 erwähnte "Arzt Lukas" (Begleiter des Paulus) sein. Dafür sprechen die genaue Schilderung der Paulus-Reisen in der Apg, sachkundige Krankheitsbeschreibungen (Lk 13,11 u.ö.) und der Verzicht auf ein abfälliges Urteil über Ärzte (Lk 8,43 par Mk 5,25) Andererseits fehlen Hinweise auf die paulin. Theologie, und die Wahl der medizin. Fachsprache war damals ein beliebtes Stilmittel. Ergebnis: Lk war ein hellenistisch gebildeter Heidenchrist (gutes Griechisch), der sein Ev für Heidenchristen (Theophilus Lk 1, Apg 1) geschrieben hat: Verzicht auf speziell jüd. Einzelthemen (Mk 7,1-23) und aramäische Fachausdrücke (9,33 Rabbi,18,41 Rabbuni) Nur wenig Semitismen. Der Entstehungsort ist nicht bestimmbar. B) Verarbeitete Q u e l l e n: Lk verweist im Vorwort auf "viele" Berichte, zurückgehend auf Überlieferungen" der ersten Augenzeugen. Er will "allem von Grund auf sorgfältig nachgehen". Drei Hauptquellen sind zu nennen: 1. Mk : Von ihm hat er nicht nur den groben Aufbau (Galiläa, Auf dem Weg nach Judäa, Jerusalem), sondern auch viel Erzählstoff in großen "Klumpen") übernommen, redaktionell kaum bearbeitet, nur stilistisch (kai) geglättet. Neben speziell jüd. Themen (Mk 7,1ff; 9,9ff; 10,1ff) hat er v. a. auf "Anstößiges" verzichtet bzw. es abgeschwächt: - Magisches Wunderverständnis (Mk 6,53 ff) - Zurückweisung einer Frau (Mk 7,24 ff) - Heilung abseits (Mk 7,31 ff) - Heilung auf Raten (Mk 8,22) - Unfähigkeit, ein Wunder zu wirken (Mk 6,5) - Fluchwunder (Mk 11,12 ff) 2. "Q": Von der Redequelle (schriftlich!) stammen v. a. Lk 3;4;6; 7;10-13 (ebenfalls "klumpenweise" übernommen) 3. Sg : Das lukan. Sondergut macht die Hälfte des ganzen Evangeliums aus! Hier wird die Grundaussage der erbarmenden Zuwendung Gottes besonders deutlich: - Kindheitsgeschichte (1;2) - Totenerweckung in Nain (7,11 ff) - Begegnung mit der Sünderin (7,36 ff) - Barmherziger Samariter (10,25 ff) - Barmherziger Vater (15,11 ff)= "Evangelium im Evangelium" - Reicher Mann und armer Lazarus (17,19 ff) - Pharisäer und Zöllner (18,9 ff) - Der Zöllner Zachäus (19,10 ff) - Der reuige Verbrecher am Kreuz (23, 41ff) 96 C) B e s o n d e r h e i t e n: Statt theologischer Argumentation "Erzählung" voller "Fleisch und Leben". Die Verkündigung der Frohbotschaft in erzählten Geschichten durch Jesus und das Weitererzählen der Frohbotschaft ist gerade bei Lk ein durchgängiges Thema: "Als die Hirten das Kind sahen, erzählten sie, was ihnen von den Engeln über dieses Kind gesagt worden war." (2,17) "Als die Frauen (vom Grab) zurückkamen, erzählten sie, es seien ihnen Engel erschienen und hätten gesagt, er lebe (24,23) "Da erzählten die beiden Jünger (von Emmaus), was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten." (24,35) - Vorgeschichten als "Ouvertüre", in der die Hauptthemen schon anklingen: Freude, Retter/ Heiland, Sohn Davids, Sohn Gottes, Erbarmen mit den Niedrigen... - In der Geschichte der Rettung der Menschheit ist jetzt "die Zeit erfüllt". (2,11) - Jesus ist der "Heiland", der sich - selbst in Armut geboren - den Armen, Sündern, Kranken und Verlorenen zuwendet. - Warnungen vor dem Reichtum (6,24f; 12,13-21) - Hochschätzung der Frauen (8,2) - Betonung der Freude als Zeichen des Christlichen (10,17 ff; 15 u.ö.) - Statt Naherwartung Einstellen auf "Beharrlichkeit" (8,15) Keine nachhaltigen Auswirkungen dieses Evangeliums auf die Theologie, wohl aber auf die christl. Kunst und die Volksfrömmigkeit (z.B. Weihnachten) 97 DIE APOSTELGESCHICHTE A) E n t s t e h u n g : Zweiter Teil des Lk (Vgl. jeweiliges Vorwort sowie Jüngerinstruktion Lk 24,44-49 par Apg 1,4-8) vom selben Verfasser 80-90 geschrieben. Innere Widersprüche (Lk 24, 50f Himmelfahrt am Ostersonntag in Bethanien; Apg 1,3.12 nach 40 Tagen am Ölberg) und schriftstellerische Ungenauigkeiten (Apg 9,7 hören Begleiter des Saulus eine Stimme, sehen niemanden; Apg 22,9 sehen sie Licht, hören keine Stimme) sprechen nicht ernsthaft dagegen! Fast gleicher Umfang wie Lk, einheitlicher Ton, Geschlossenheit der Darstellung! B) I n h a l t : Die Apg ist eigentlich nicht eine Geschichte der Urkirche oder der Apostel, sondern eine Geschichte der Verbreitung des Wortes Gottes durch Petrus (Apg 1-12) und Paulus (Apg 13-28), wobei von jedem der beiden ca 10 größere Reden eingefügt sind. 1. Petrus - Teil: a. Das Leben der Urgemeinde in Jerusalem (1-5): Himmelfahrt Jesu, Nachwahl des Matthias, Pfingstereignis, Predigten und Wunder, Verhaftungen und Freilassungen. b. Die vorpaulinische Glaubensverbreitung (6-12): Wahl der 7 (Diakone) und Geschichte des Stephanus, Verfolgung u. Zerstreuung der Urgemeinde, Mission des Philippus, Petrus und Johannes, Bekehrung des Saulus, Hinrichtung des Jakobus, Verhaftung und wunderbare Befreiung des Petrus. 2. Paulus - Teil: a. Erste Missionsreise (13-14): Von Antiochia nach Zypern, Kleinasien und zurück. b. Apostelkonzil in Jerusalem (15) . c. Zweite Missionsreise (16-18): Von Antiochia über Kleinasien nach Thessaloniki, Athen, Korinth und zurück. d. Dritte Missionsreise (18-21): Ähnlicher Verlauf wie die zweite Reise, Ankunft in Jerusalem. e. Gefangennahme, Prozess und Transport nach Rom (21-28) C. Q u e l l e n : Petrus-Teil: Versch. Einzelerzählungen, schriftl. Stephanusgeschichte, Saulus-Notizen Paulus-Teil: 1."Wir" - Berichte?? 2."Itinerar" (Reisetagebuch)?? 3. Paulus-Reden?? D) A u s s a g e a b s i c h t : Lk will keine Historiographie vorlegen, sondern eine Theologie des Weges der Kirche von der kleinen Jerusalemer Schar nach Rom und "bis ans Ende der Erde" (Apg 1,8) Die Apg bezeugt - die Universalität des Christentums (Petrus, Paulus) - die Einheit der Lehre (Apostelkonzil) - den Siegeszug des Christentums (ohne Bezug auf Verfolgungen bzw. Martyrien von Petrus u. Paulus) 98 DAS JOHANNESEVANGELIUM 1. Entstehung: a) Nach Irenäus v. Lyon ist der Apostel Johannes damit in Ephesus einer "Aufforderung seiner Mitjünger und Bischöfe" nachgekommen. Ähnlich auch das Selbstzeugnis Joh 19,35: "Der es gesehen hat, hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr. Und er weiß, dass er Wahres berichtet, damit auch ihr glaubt." Gegen eine Augenzeugenschaft spricht freilich der für einen einfachen Fischer hohe Bildungsstand. Ferner bilden die nur schematisch skizzierten Ereignisse des Lebens Jesu nur den Ansatzpunkt zur Erörterung der grundsätzlichen theologischen Fragen (vgl. etwa Nikodemus 3,1-36; Samariterin 4,1-42) b) Nach Papias v. Hierapolis sei ein Presbyter Johannes der Autor dieses Evangeliums. c) Die Sekte der Aloger wendet sich um 200 n. aus dogmatischen Gründen gegen die joh. Schriften und bezeichnet den Gnostiker Kerinth als Verfasser. d) Heute nimmt man allgemein einen Schülerkreis des Apostels an, dem dessen bruchstückhafter "Nachlass" (Rohentwurf eines Ev. mit Passionsbericht, Predigten, Geschichten, Bildreden u. a.) zur Verfügung stand. Mehrere Entstehungsphasen und eine nur unausgereifte Endredaktion sind klar erkennbar. Joh hat eine semitische Herkunft (z. B. "Wahrheit tun", "Same", "an Namen glauben" u. a.), den kleinsten Wortschatz und einfachstes Griechisch. Als Adressatenkreis wird eine judenchristlich-heidenchristlich gemischte Gemeinde in Syrien vermutet, da einerseits jüdisches Denken vorausgesetzt wird, andererseits herbräische Worte übersetzt werden (Rabbi 1,38; Messias 1,41; Kephas 1,42; Rabbuni 20,16) Die Entstehungszeit dürfte knapp vor 100 sein. (Gnostische Einflüsse) 2. Aufbau: Während die Synoptiker ihre Erzählungen in einen geographischen Rahmen einbauen (Wirken Jesu in Galiläa, Auf dem Weg nach Judäa, Letzte Ereignisse in Jerusalem), legt Joh darauf keinen besonderen Wert: Ereignisse in Judäa und Galiläa wechseln einander wiederholt ab. Stattdessen erweckt der Verf. den Eindruck einer chronologischen Darstellung (Vgl. Kap 1-7: "Am Tag darauf; am 3. Tag; daraufhin; einige Zeit später; am nächsten Tag; in der Mitte der Festwoche; am letzten Tag usw. Auch die Wunder werden als "erstes, zweites.. ..Zeichen" durchnummeriert) Versuch einer Gliederung: "Das Buch der Zeichen": (Prolog) (1-12) Offenbarung Jesu vor der Welt (1,19 - 12) "Die Stunde Jesu": Offenbarung vor seinen Jüngern (13-17) (13-20) Leiden und Auferstehung (18-20) (Erscheinungen in Galiläa=Nachtrag 21) 3) Quellenlage: a) Das Verhältnis zu den Svnoptikern: Schon seit dem Altertum rätselt man über die besondere Zielsetzung des Joh im Vergleich mit Mt, Mk, Lk. So sei durch diese der äußere Ablauf des Lebens Jesu (gr. ta somatika = das Körperliche) hinreichend geschildert; Joh versuche nun die inneren, theologischen Zusammenhänge (gr. ta pneumatika = das Geistige) zu erläutern und stelle als Ergänzung, ja Überbietung der Synoptiker das "pneumatische Evangelium" dar... Aber: Worte und Taten Jesu interpretieren einander gegenseitig in allen (!) Evangelien! 99 GEMEINSAMEITEN Z.T. fast wörtliche Übereinstimmungen Sachliche Übereinstimmungen trotz untersch. literar. Form oder anderer chronologischer Einordnung (z.B. Jüngerberufung, Tempelreinigung) UNTERSCHIEDE Keine geograph. Dreiteilung - Judäa als vorrangiger Handlungsort (Syn: Galiläa) Statt kurzer Sprüche u. Gleichnissen lange, fast monoton meditierende Reden Jesu Statt Predigt vom Reich Gottes viele Bildreden über sich selbst (als Weg,Wahrheit, Licht der Welt, Brot des Lebens) Bei den "Taten" Jesu viel Sondergut "Zeichen" statt Wunder. Ergebnis: Eine direkte literarische Abhängigkeit von den synopt. Evangelien ist nicht nachweisbar, doch muss wohl eine mit diesen gemeinsame (unbekannte) Quelle angenommen werden. b) Hypothese einer Semeia (=Zeichen)- Quelle (1. - 7. Zeichen): Hochzeit zu Kana Heilung des Sohnes eines königl. Beamten (par Syn) Heilung des Gelähmten von Bethesda Der Seewandel Jesu (par Syn) Auferweckung des Lazarus u. a. c) Hypothese einer "Reden" - Quelle (Nicht "Q"!): Prolog Nikodemusgespräch Div. Streitgespräche Abschiedsreden u. a. 4. Johannes und die Gnosis: Gnosis bzw. Gnostizismus ist eine Sammelbezeichnung für eine vielgestaltige religiöse Erlösungslehre der Spätantike. Typisch ist das dualistische Denken Geist - Materie (Leib), Oben - Unten; Licht - Finsternis. Der in die irdische Welt (nach unten) gefallene Mensch ursprünglich Geist und Himmelswesen - kann nur durch Erkenntnis (Gnosis) gerettet werden. (Syn: durch Pistis=Glaube) Die heilbringende Erkenntnis seines Woher/Wohin wird ihm durch eine Offenbarung zuteil. Auch bei Joh begegnen solche Vorstellungen: Dem oberen Bereich werden Gott (Geist), Leben, Licht, Wahrheit, Freiheit, Liebe, Logos zugeordnet, dem unteren Welt, Fleisch, Knechtschaft, Hass, Lüge, Finsternis, Tod. Der Logos (oben) ist Fleisch geworden, um in der Welt (unten) Gott zu offenbaren und dem Menschen wahre Erkenntnis zu bringen. (Denn niemand kennt den Vater ausser der Sohn...) Mit Jesu Leiden und Tod war dann die "Stunde" gekommen, um wieder zum Vater zurückzukehren ins Reich des Lichts und der Wahrheit. Wurde Joh lange Zeit selbst als gnostische Schrift verdächtigt und abgelehnt, so neigt man heute zur Ansicht, es habe sich in der Verkündigung der Botschaft ganz bewusst der (damals zeitgemäßen) gnostischen Terminologie bedient, um so besser "anzukommen". 100 DIE OFFENBARUNG DES JOHANNES (Apokalypse) A) Apokalvptische Schriften (allg.): 1. Bedeutung: apokalyptein (griech.) = offenbaren, enthüllen. (Vgl. re-velare bzw. ent-decken) Die Apokalypse führt die Prophetie fort, wobei aber die Unterschiede deutlich erkennbar sind: Prophetie Sittliche Ermahnung und Belehrung Empfang der Botschaft durch ein Wort Gottes Weitergabe durch das Wort (mündlich) Apokalypse Tröstung und Stärkung Empfang der Offenbarung in Vision und Ekstase Weitergabe in Bildern und Gleichnissen (schriftlich) Typisch für die Apokalyptik ist ferner ihre eschatologische Ausrichtung: Erlösung wird nicht mehr innergeschichtlich in einer neuen Landnahme (Hosea), in einem neuen David samt neuem Zion (Jesaja), einem neuen Bundesschluss (Jeremia), einem neuen Exodus (Deuterojesaja) erhofft, Erlösung folgt einem katastrophalen Bruch der Geschichte: Nicht die Geschichte wird sie (linear) gebären, sondern in deren Untergang wird sich die souveräne Erlösungstat Gottes manifestieren. Weltkriege, Revolutionen, Epidemien, Hungersnöte, ja selbst das Ende der Naturgesetze, der große Abfall von Gott und die Entweihung alles Heiligen sind daher auch immer wiederkehrende Motive. Das Grundanliegen der apokalypt. Schriften ist seelsorglicher Art: In Zeiten der Not und Verfolgung sollen schwankend Gewordene durch Enthüllen des Endes der Geschichte in ihrer Zuversicht gestärkt, Leidende getröstet werden: GOTT wird letztlich der Sieger sein, die bösen Mächte haben nur noch eine kurze Zeit des Wirkens, ehe ein neuer Äon (Paradies, himmlische Welt) anbricht und die Gerechten einen überreichen Lohn erhalten. Paulus formuliert denn auch ganz klar diese Zielsetzung seines kurzen apokalyptischen Einschubs 1 Thess 4,13-18 : "Tröstet einander mit diesen Worten" ... 2. Formale Charakteristik: - Neigung, die Geschichte zu periodisieren: Die Endzeit wird oft als Wiederkehr der paradiesischen Urzeit gedeutet. - Vorliebe für Symbolik und Allegorie - Spiel mit Worten und Zahlen - Suche nach Geheimnisvollem, Verborgenem, Doppelsinnigem - vaticinia ex eventu, d. h. Schilderung von Vergangenem in Futurform, um die eigenen Zukunftsweissagungen zu unterstreichen. 3. Typen: - heilsgeschichtlich-endzeitliche Apokalypsen (Sieg der Gerechten über die Feinde) - kosmologisch-theosophische Apokalypsen (Schicksal des Kosmos, Engelwelt u. a.) - individual-endzeitliche Apokalypsen (Himmel, Hölle u. a.) 4. Beispiele: a. Ausserbiblisch (Apokryph): - Das Buch Henoch (nur im atl. Kanon der äthiopischen Kirche): Bilderrede vom kommenden Weltgericht, der Fall der Engel und ihre Bestrafung, die Wohnstätten der Gerechten und der 101 Engelwelt, das messianische Gericht und seine Folgen, die Ankündigung eines Strafgerichts durch Noah und der vergebliche Vermittlungsversuch Henochs (= Sohn Kains), Flut und Errettung Noahs, Henochs Himmelfahrt und Einsetzung zum Menschensohn u. a. - Die Testamente der 12 Patriarchen: Jeder der Söhne Jakobs legt in seiner Abschiedsrede seinen Nachkommen einen bestimmten Moralbegriff (Mut, rechte Gesinnung,Tapferkeit, Güte, Keuschheit usw.) ans Herz. Daneben kommen auch jüdische Messiasvorstellungen vor... b. Biblisch: Das Buch Daniel (Erzählender Teil und prophetisch-visionärer Teil); Das Buch Jesaja (24-27) Das Buch Ezechiel (33 – 39); Das Buch Sacharja (1. Hauptteil); Mk (13); 1 Thess (4,13-18); 1 Kor (15,23-28); Die Offenbarung des Johannes B) Die Offenbarung des Johannes: 1. Entstehung: Von Johannes während der Verfolgungszeit unter Kaiser Domitian knapp vor 100 n. Chr. auf der Insel Patmos in der Verbannung geschrieben. Es enthält die Offenbarung über "das, was bald geschehen muss" (1,1-3), um damit die Leser zu ermahnen und zu trösten. 2. Quellenfrage: Die Offb ist tief in der jüd. Apokalyptik verwurzelt, ohne freilich deren Schriften zu zitieren. Sie will offenbar alle apokalyptischen Vorstellungen und Motive zusammentragen und zu einem einzigen großen Drama vereinigen: - Die Bildersprache ist v. a. Ezechiel entnommen (z.B. "Buchrolle" Ez 2,8-3,3) - Offb 13 hat vieles aus Daniel übernommen, wobei Joh freilich mit der histor. Gestalt Jesu Christi einen neuen "Unterbau" dafür legte.. - Die vier apokalypt. Reiter Offb 6,1ff finden sich bereits bei Sacharja 1,1-6; 6,1-6. - Die Abfolge der Visionen Offb 20,4-6.7-10 dürfte ihren Ursprung bei Ez 33-39 haben. - Als Vorbilder für die endzeitlichen Plagen dienen die 10 ägypt. Plagen Ex 8-10 u. a.m. 3. Inhalt: a) Der (wohldurchdachte) Aufbau der Schrift: - Briefartiger Eingang (1,4-8) - Berufungsvision (1,9-20) als Vorbereitung auf die - Sieben Sendschreiben (2-3) an die kleinasiatischen Gemeinden (Tadel, Lob, Drohung, Verheißung) -Apokalypt. Hauptteil (4-22) mit planmäßig gesteigerten Visionsreihen (über Endereignisse, Gericht, Vollendung), wobei die Zahl 7 eine große Rolle spielt: aa. Visionen (Gesichte), eingeleitet durch "ich sah" /"siehe"(4,1-5,14): Die geöffnete Tür im Himmel - Der Thron im Himmel - Die versiegelte Buchrolle - Die Frage des Engels - Die Erscheinung des Lammes - Die Anbetung des Lammes bb. Die 7 Siegel (4 apokalyptische Reiter) und die Besiegelung der Gläubigen(6,1-8,1) cc. Die 7 Posaunen und die Trostbotschaft für die Gläubigen(8,2-11,19) dd. Der Kampf zwischen Weltmacht und Gottesvolk (12,1-14,20): Die schwangere Frau und der Drache - Das erste Tier - Das zweite Tier - Das Lamm und die 144 000 - Die Anklündigung des Gerichts - Die Stunde der Ernte ee. Die 7 Engel mit den 7 Zornschalen und die Rettung der Heilsgemeinde(15,1-16,21) ff. Die letzten Dinge (17,1-22,5): Das Gericht über Babylon - Die Hochzeit des Lammes - Die Erscheinung des Herrn - Das Gericht über das Tier und den falschen Propheten - Das 1000-jährige Reich - Das Endgericht - 102 Der neue Himmel und die neue Erde -Schlussmahnungen(22) b) Bilder und Motive: - Zahlensymbolik: 3 1/2 = Unvollkommenheit, Unglück, Verfolgung ("Zeiten" 12,14) 4= die ganze Welt (4 Ecken der Erde, 4 Winde, 4 Reiter, 4 Wesen) 7= Vollkommenheit, Fülle (7 Gemeinden, Sterne, Geister Gottes, Siegel, Posaunen u. a.) 12 = Hl. Zahl Israels (12 Stämme, Apostel) 666 = Zahlenwert der hebr.Buchstaben für "Kaiser Nero" (Domitian als neuer Nero, vgl. 13,18) 1000 = langer Zeitraum (Messian. Reich 20,1-10) 144.000 = 12 mal 12 mal 1000 (Gerettete) - Tiere: Das Lamm auf dem Thron = Christus Die 4 apokalypt. Reiter = Krieg der Völker / Aufruhr (Bürgerkrieg) / Teuerung (Hunger) / Tod (Pest) Die beiden Tiere vom Meer und vom Land = Behemot (Nilpferd) und Leviatan (aus Hiob 40) c. Problematik der Auslegung: aa. Zeitgeschichtliche Auslegung: Sie geht davon aus, dass alle Weissagungen (ausser 21-22) für die Zeit des römischen Reiches gelten und somit bereits Vergangenheit sind. bb. Kirchengeschichtliche Deutung: Offb 4-19 zeichnen danach ein prophetisches Bild der Kirche bis zur Wiederkunft Jesu am Ende der Zeit. Aber: Je subjektive (und daher widersprüchliche) Auslegungen historischer Ereignisse; Entdeckung des Antichrists (13,1ff) in Jahrhunderte alten Institutionen (Papsttum? Islam?) cc. Verlagerung der geschilderten Ereignisse (4-19) in die Zukunft (7 Sendschreiben an Gemeinden = Abschnitte der künftigen Kirchengeschichte?) dd. Interpretation nicht als Abfolge historischer Ereignisse, sondern in grellen Farben gehaltenes Gemälde des Kampfes der bösen Mächte gegen die Heiligen und gegen Gott selber (Visionen der 7 Posaunen / der 7 Schalen ähnlich, daher gleichzeitig!?) d. Botschaft: Es ist schwierig / unmöglich, aus diesem Buch die Zukunft zu erraten. Welche Haltung sie in der Gegenwart vom Leser verlangt, ist hingegen klar. Und es hat sich für die verfolgte Kirche von Anfang an als Trost- und Hoffnungsbuch erwiesen. Kein anderes Buch gibt soviel Aufschluss über Macht und Mittel des Satans; das Wirken seiner Gehilfen (des Tieres, des falschen Propheten, der Hure, der bösen Geister) wird breit geschildert als Aufruf zur Wachsamkeit und zum Gebet. Über allem aber steht das majestätische Bild des erhöhten Christus, des Lammes Gottes. 103 VORGESCHICHTEN UND KINDHEITSGESCHICHTEN 1. Traditionsbildung: Der Schwerpunkt der mündlichen Überlieferung wie auch der schriftlichen Fixierung lag auf den zeitlich am nächsten liegenden (jüngsten) Ereignissen von Leiden / Tod und Auferstehung Jesu. Von ihnen ausgehend versuchte man rückwärts schreitend die Lebensgeschichte Jesu zu verbreitern, wobei der Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu sozusagen der erste griffige (historische) Ansatz der Recherchen war: Paulusbriefe Tod, Begräbnis und Auferstehung Jesu (vgl. 1 Kor 15, 3-5) Markus Joh. als Wegbereiter, öffentl. Wirken, Tempelreinigung, Prozess, Tod, Begräbnis Matthäus/Lukas Stammbäume, Verheißung und Geburt (Kindheit Jesu) öffentliches Wirken etc. Johannes "Vorgeschichte" des irdischen Lebens "bei Gott" (Logos), öffentl. Wirken etc. 2. Die Vorgeschichten und Kindheitsgeschichten bei Matthäus und Lukas In beiden Evangelien geht es um Erzählungen, die das Geheimnis der Person Jesu von den Anfängen her aufzeigen wollen: Bei Lukas kann man fast von einer "Ouvertüre" sprechen, in der alle wesentlichen späteren Motive bereits anklingen (Freude, Erbarmen Gottes mit den Niedrigen, Heiland und Retter, Sohn Davids und Sohn Gottes u. a.) Es vermittelt eine erbauliche und fromme Grundstimmung, wobei Maria im Mittelpunkt steht. Matthäus wiederum unterstreicht (als Judenchrist) besonders die messianische Würde Jesu und die dramatische Situation seiner Unerkanntheit, wobei er immer wieder atl. Zitate als Belege einflicht. Eindeutige Hauptperson ist hier Joseph, der sich mit ständig neuen unheilvollen Situationen konfrontiert sieht... 104 Jeder von beiden benützte eigene Quellen, keiner kannte das Evangelium des anderen (vgl. Zwei-Quellen-Theorie) Die dadurch gegebenen Unterschiede machen jeden Versuch einer Harmonisierung unmöglich: Matthäus 1 - 2 Lukas 1 - 2 Stammbaum Jesu Die Verheißung der Geburt des Täufers Die Verheißung der Geburt Jesu Der Besuch Marias bei Elisabeth Die Geburt des Täufers Die Geburt Jesu Die Huldigung der Sterndeuter Die Flucht nach Ägypten Inhalt und Aufbau (Perikopen) Die Geburt Jesu Das Zeugnis des Simeon und der Hanna Der Kindermord in Bethlehem Die Rückkehr aus Ägypten (Der zwölfjährige Tempel) Jesus im (Die Vorfahren Jesu) Stammbaum ab Abraham Stammbaum zurück bis Adam Hauptperson Josef Hauptperson Maria Düstere Gesamtstimmung Heitere Gesamtstimmung (Ängste) (Freude) Engelserscheinungen im Traum Verkündigung an Josef Unterschiede in einzelnen Details Reale Engelserscheinungen Verkündigung an Maria Ein Haus als Unterkunft Ein Stall (Krippe) als Unterkunft Huldigung durch hohe Herren (Sterndeuter) Huldigung durch niederes Volk (Hirten) Reiseroute Bethlehem - Ägypten - Nazareth Reiseroute Nazareth - Bethlehem Jerusalem - Nazareth 3. Aussage: Ausgehend von der jüdischen Messias-Erwartung wollen Mt und Lk zeigen, dass schon bei der Empfängnis Jesu und bei seiner Geburt offenbar war, dass er der verheißene Messias und Retter ist. Sie tun dies mit den Stilmitteln ihrer Zeit. Im Unterschied zur sog. Haggada (hebr. Aussage, Darstellung) als einer "ausmalend erzählenden Schriftauslegung des Predigers" schließen sich ihre Geschichten aber nicht an einen Bibeltext an, sondern greifen auf Motive 105 der atl. Mose-Geschichte und der jüdischen Mose-Haggada zurück (Kindermord, Ägypten, Flucht, Magier, Befreier / Erlöser des Volkes) Auch die Umstände der Geburt Samuels und das Danklied der Hanna (1 Sam 1 - 2,11) dürften im Hintergrund der Geschichten (v. a. des Lk) gestanden haben. Arbeitsauftrag: Eine für mich persönlich wichtige Aussage (Mt oder Lk), die ich - dürfte ich eine Sonntagspredigt halten - als wichtiges Thema für unsere heutige Zeit wählen würde! ("Predigtgedanken") WIEDERHOLUNG LehrerIn wiederholt langsam (und fehlerhaft!) den Stoff, Schüler erkennen die Fehler und stellen richtig (Klammerinhalt) Wie das zentrale Ereignis des ganzen ATs der Exodus der Israeliten aus Ägypten ist, so ist es im NT die Geburt Jesu (Tod und Auferstehung Jesu) Nur Joh hat keine Kindheitsgeschichte (auch Mk), sein Evangelium beginnt mit dem sog. Prolog "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott". Mt beginnt sein Evangelium mit dem Stammbaum Jesu, und zwar ab dem Patriarchen Abraham. In 4 mal 14 (3 mal 14) Generationen werden die Vorfahren Jesu angeführt. Während bei Mt Josef die Hauptperson ist, bringt Lk mit Maria im Zentrum parallele Geschichten über Johannes und Jesus. Der Erzengel Michael (Gabriel) erscheint im einen Fall Maria, im andern Elisabeth (Zacharias) Die Namen beider Knaben werden schon im voraus bestimmt. Beim Zusammentreffen der beiden Schwangeren im Bergland von Galiläa (Judäa) "hüpfte" das Kind Elisabeths und sie (Maria) pries Gott mit dem Magnificat "Meine Seele preist die Größe des Herrn." Als Kaiser Tiberius (Augustus) den Befehl erließ, alle Bewohner des Landes in Steuerlisten einzutragen, zog auch Josef aus Judäa (Galiläa) hinab nach Nazareth (Bethlehem), um sich mit seiner Verlobten verheiraten (eintragen) zu lassen. Lk schildert uns die Ereignisse rund um die Geburt Jesu im Stall ausführlicher, wobei er auch (nicht) auf Ochs und Esel hinweist. Dann kamen aber auch schon die Hirten, die aber den Königen (Magiern) ehrerbietig den Vortritt ließen (nur Mt!) Diese 3 hohen Herren (keine Zahl!) brachten als Geschenke Gold, Weihrauch und kostbare Edelsteine (Myrrhe) mit. Da König Herodes Antipas (Herodes d. Gr.) im Traum (von den Sterndeutern) von der Geburt eines Rivalen erfahren hatte, ließ er in Bethlehem und in der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von 3 Jahren (2 Jahren) einsperren (töten) Er konnte freilich nicht ahnen, dass die Hl. Familie schon vorher nach Syrien (Ägypten) geflohen war... Die Beschneidung Jesu schildert uns Mt (Lk): Sie fand 12 Tage (8 Tage) nach der Geburt in der Synagoge (im Tempel) in Jerusalem statt. Zaungäste dabei waren Simeon und Hanna. Maria und Josef brachten dann als vorgeschriebens Reinigungsopfer ein einjähriges, fehlerfreies Lamm (2 Tauben) dar. Dann zogen sie zurück in ihre Heimatstadt Nazareth. Als Jesus 14 Jahre (12 Jahre) alt war, pilgerte die Familie - wie jedes Jahr - zum Laubhüttenfest (Paschafest) nach Jerusalem. Bei der Heimreise vermissten sie ihren Sohn und kehrten wieder um. Erst nach 4 Tagen (3 Tagen) fanden sie ihn. Er saß im Tempel mitten unter den Zöllnern (Lehrern), hörte ihnen zu und stellte Fragen. Dann zog er mit ihnen nach Nazareth zurück und war ihnen gehorsam. 106 APOSTEL UND JÜNGER JESU 1) Apostel sind "Gesandte", die nach Jesu Wort einen besonderen Auftrag zu erfüllen hatten: "Wie Du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt." Uoh 17,18) 2) Im NT begegnen uns mehrere Gruppen von Anhängern Jesu: a) Der größere Kreis von Jüngern, d. h. Schülern, von denen er 72 aussendet, damit sie predigen (Lk 10,1) Auch Frauen werden zu den Jüngern gezählt (Apg 1,14) b) Der Kreis der 12 Apostel (oft auch nur die "Zwölf" genannt), die Jesus ausgewählt hat. Matthias wird als Nachfolger desJudas Iskariot nachgewählt; Paulus wird Jahre später vor der Stadt Damaskus vom Auferstandenen selbst berufen (Gal 1,1) Er bringt auf seinen großen Reisen die Frohe Botschaft bis nach Rom. c) Petrus, Jakobus d. Ä. und sein Bruder Johannes gehörten zum engsten Kreis um Jesus: Sie waren Zeugen der Auferweckung der Tochter des Jairus (Mk 5,37), der Verklärung Jesu (Mk 9,2) und seiner Todesangst am Ölberg (Mk 14,33) d) Simon hatte eine Vorrangstellung unter den übrigen Aposteln: Jesus nannte ihn Kephas=Petrus=Fels, auf dem er seine Kirche bauen wollte (Mt 16,17) Obwohl er ihn dreimal verleugnet hat, erscheint der Auferstandene ihm als erstem. Simon Petrus tritt dann als führende Persönlichkeit in derJerusalemer Urgemeinde hervor. (Wahl des Matthias, Pfingstrede) 107 MARIA IM NEUEN TESTAMENT Vorbemerkungen: Die ntl. Schriften sind keine Historiographie, sondern (vielfältige) Glaubenszeugnisse. Im Zentrum steht jeweils Jesus, der Christus, dessen Bild von den Evangelisten je verschieden gezeichnet wird. Und auch bezüglich Maria lassen die Autoren (in Rede und Nicht-Rede) ihre je unterschiedliche Einstellung erkennen. Das ganze NT ist - auch im Fall Marias - ernstzunehmen! Es darf hier nicht zu einem "Kanon im Kanon" (durch Heranziehung nur bestimmter ntl. Schichten / Autoren / Stellen) kommen. Aus diesem Grund sollen auch alle relevanten Aussagen des NTs zur Sprache kommen. 1. Maria in den Paulus-Briefen: Sie zählen zu den ältesten Schriften des NTs (aus den 50er-Jahren) und zitieren z. T. eine vorpaulinische Tradition, wobei Maria namentlich nicht genannt wird. Es ist von ihr nur im christologischen Zusammenhang die Rede: Christus ist wirklich Mensch geworden, ist vorbehaltslos herabgestiegen in die menschliche Existenz, hat sich wirklich selbst entäußert. Dieser Bezug auf die Geburt dient Paulus letztlich nur als Untermauerung der eigentlich zentralen Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu! Vorpaulinisch: Paulus verkündet "das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn" (Röm 1,3f) Paulinisch: Paulus nimmt Bezug auf "Jakobus, den Bruder des Herrn" (Gal 1,19) Und abermals spricht er die wirkliche Menschheit Jesu an: "Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt." (Gal 4,4) Ob Paulus hier (wie auch bei anderen Details aus dem Leben Jesu) die nötigen Kenntnisse fehlten oder ob er ganz bewusst (durch die Auswahl) gewichtet hat, lässt sich heute nicht mehr entscheiden. 2. Maria bei Mk: Das älteste unter den Evv hat noch keine Kindheitserzählungen, sondern setzt mit der Taufe des erwachsenen Jesus am Jordan ein. In den zweimaligen Erwähnungen Marias entsteht ein eher negatives Bild von ihr und ihrer Familie, das - wie die folgende Synopse zeigt - von Mt und Lk später "geschönt" worden ist. Maria und ihre Familie stehen im konträren Gegenüber zu den Jüngern. Jesus wird in seiner eigenen Familie nicht respektiert, ja man hält ihn sogar für geisteskrank und will ihn daher mit Gewalt der Öffentlichkeit entziehen. In weiterer Folge kommt Maria bei Mk nicht mehr vor, sie begleitet auch nicht ihren Sohn während seines öffentlichen Wirkens und ist auch nicht bei seinem Tod am Kreuz und beim Begräbnis in Jerusalem dabei. 108 MARKUS MATTHÄUS LUKAS Jesus und seine Angehörigen Die wahren Verwandten Jesu Die wahren Verwandten Jesu "Jesus ging in ein Haus, und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen." (Mk 3,20 f)(Die Schriftgelehrten aus Jerusalem präzisieren nunmehr diesen Vorwurf mit der Behauptung: Er ist von Beelzebul besessen, was Jesus aber zurückweist)"Da kamen (also) seine Mutter und seine Brüder; sie blieben vor dem Haus stehen und ließen ihn herausrufen. Es saßen viele Leute um ihn herum, und man sagte zu ihm: Deine Mutter und Deine Brüder stehen draußen und fragen nach Dir. Er erwiderte: Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter." (Mk 3,31-35) (Mt 12,22ff Heilung eines Besessenen durch Jesus und Unterstellung, er habe das mit Hilfe von Beelzebul getan, was Jesus aber zurückweist) "Als Jesus noch mit den Leuten redete, standen seine Mutter und seine Brüder vor dem Haus und wollten mit ihm sprechen. Da sagte jemand zu ihm: Deine Mutter und Deine Brüder stehen draußen und wollen mit Dir sprechen. Dem, der ihm das gesagt hatte, erwiderte er: Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder? Und er streckte die Hand über seine Jünger aus und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Denn wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter." (Mt 12,46-50) Die Ablehnung Jesu 6,1-6a Die Ablehnung Jesu 13,54-58 "Von dort brach Jesus auf und kam in seine Heimatstadt; seine Jünger begleiteten ihn. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, staunten und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Wunder, die durch ihn geschehen! Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab. Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. Und er konnte dort kein Wunder tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben." "Jesus kam in seine Heimatstadt und "So kam er auch nach Nazareth, wo er lehrte die Menschen dort in der aufgewachsen war, und ging, wie Synagoge. gewohnt, am Sabbat in die Synagoge... (Lk 8 Gleichnis vom Sämann samt Deutung und Rede Jesu über "das rechte Hören") "Eines Tages kamen seine Mutter und seine Brüder zu ihm; sie konnten aber wegen der vielen Leute nicht zu ihm gelangen. Da sagte man ihm: Deine Mutter und Deine Brüder stehen draußen und möchten Dich sehen. Er erwiderte: Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und danach handeln." (Lk 8,1921) Die Ablehnung Jesu 4,16-30 Da staunten alle und sagten: Woher hat Seine Rede fand bei allen Beifall; sie er diese Weisheit und die Kraft, staunten darüber, wie begnadet er Wunder zu tun? redete, und sagten: Ist das nicht der Sohn Josefs? Da entgegnete er ihnen: Ist das nicht der Sohn des Sicher werdet ihr mir das Sprichwort Zimmermanns? Heißt nicht seine vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn Mutter Maria, und sind nicht Jakobus, Du in Kafarnaum so große Dinge getan Josef, Simon und Judas seine Brüder? hast, wie wir gehört haben, dann tu sie Leben nicht alle seine Schwestern unter auch hier in Deiner Heimat! Und er uns? Woher also hat er das alles? Und setzte hinzu: Amen, das sage ich Euch: sie nahmen Anstoß an ihm und lehnten Kein Prophet wird in seiner Heimat ihn ab. Da sagte Jesus zu ihnen: anerkannt." (Daraufhin wollten sie ihn Nirgends hat ein Prophet so wenig töten, er aber schritt mitten durch die Ansehen wie in seiner Heimat und in Menge hindurch und ging weg.) seiner Familie. Und wegen ihres Unglaubens tat er dort nur wenige Wunder." 3. Maria bei Mt: Die Kindheitsgeschichte des Mt ist - ähnlich wie die des Lk - nicht in jenem Sinne historisch fundiert zu denken wie etwa Ereignisse während des öffentlichen Wirkens Jesu (inkl. Prozess und Hinrichtung) Sie ist ein (je unterschiedlich gefärbtes) "Vorspiel", eine "Ouvertüre", wo zentrale Motive aus dem späteren Leben und Wirken Jesu vorweg intoniert 109 werden. Diese Vorgeschichte ist bei Mt eher düster und unheilvoll und stellt "Joseph, den Sohn Davids" in den Mittelpunkt des Geschehens. Anhand zahlreicher "Erfüllungszitate" will er zeigen, dass dieser Jesus als der "Sohn Davids" aus Bethlehem der allseits erwartete Messias ("Sohn Gottes") ist. Neben dieser Funktionsbezeichnung "Sohn Gottes" (= irdischer Sachwalter und Stellvertreter Gottes auf Erden) betont Mt die eigentlich göttliche Natur Jesu ("Das Kind, das sie erwartet, ist vom Hl. Geist" Mt 1,20) und damit die Jungfrauengeburt. (Das diesbezügliche Erfüllungszitat aus Jes 7,14 spricht freilich nicht von einer Jungfrau, sondern von einer "jungen Frau".) Die (bei Mk kantigen) Szenen über die "wahren Verwandten Jesu" bzw. über seine Ablehnung in der eigenen Heimatstadt schneidet Mt auf Joseph zu und mildert dabei auch (durch Einbettung in einen anderen Kontext) die kritische Haltung Marias und ihrer anderen Söhne (s.o. Synopse) 4. Maria bei Lk: Lk ist das marianische Evangelium. Schon in der Vorgeschichte steht nicht Joseph, sondern Maria im Mittelpunkt der Ereignisse: Ihr (und nicht Joseph) wird die (jungfräuliche) Geburt eines Sohnes angekündigt ("Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. (Denn) Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben" Lk 1,32), sie spricht als Modellbeispiel christlicher Jüngerschaft - ihr vorbehaltloses JA und preist (im Magnificat) Gott als ihren Retter. "Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut." (Lk 1,48) Und sie gebar "ihren Sohn, den Erstgeborenen" (Lk 2,7) und "bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach" (Lk 2,19) Schon bald danach hört sie aus dem Mund des greisen Simeon das Wort: "Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen." (Lk 2,35) Die Geschichte vom Zwölfjährigen im Tempel und die Angst und das (plötzliche) Unverständnis der Eltern beschließen den "Vorspann". In der Genealogie verweist Lk neuerlich auf die Jungfrauengeburt: "Jesus war etwa dreissig Jahre alt, als er zum erstenmal öffentlich auftrat. Man hielt ihn für den Sohn Josephs."(Lk 3,23f) In der Erzählung über Jesu Verwandte bzw. seine Ablehnung in Nazareth glättet Lk das eigenartig gespannte Verhältnis zwischen Jesus und seiner Familie am deutlichsten. Wollten sie ihn (bei Mk) mit Gewalt als "Geisteskranken" zurückholen und vor der Öffentlichkeit verstecken, so erscheinen sie hier bei Lk als Anhänger und Verehrer, die nun selbst ihren berühmten Angehörigen "sehen" möchten, "wegen der vielen Leute" aber nicht zu ihm vordringen können... Folgerichtig spricht Lk dann nicht mehr von der Ablehnung Jesu "in seiner Familie" (Mk/Mt), sondern lediglich "in seiner Heimat". (s.o. Synopse) Die Seligpreisung Marias durch eine unbekannte Frau (Lk 11,27f im Kontext einer Verteidigungsrede) bestätigt Jesus, wenn er fortfährt: "Ja, aber noch mehr (statt: nein, sondern vielmehr) sind selig die, die das Wort Gottes hören und es befolgen." Auch Maria muss sich also diesem Kriterium seiner Jüngerschaft stellen. Bei der Kreuzigung fehlen die Familie und die Verwandten: "Alle seine Bekannten aber standen in einiger Entfernung, auch die Frauen, die ihm seit der Zeit in Galiläa nachgefolgt waren." (Lk 23,49) 110 5. Maria in der Apg: Apg 1,14 (nach der Himmelfahrt Jesu und vor Pfingsten) werden Maria (letztmals) und ihre anderen Söhne im einträchtigen Gebet mit der Jüngergemeinde (Apostel, Frauen) in Jerusalem genannt. Möglicherweise war Maria auch beim Pfingtereignis dabei ("Alle befanden sich am gleichen Ort." Apg 2,1) 6. Maria bei Joh: Bei Joh wird der Unterschied zwischen "gläubigen Jüngern" und "ungläubigen Brüdern" am deutlichsten: Anlässlich des Laubhüttenfestes in Jerusalem spotteten seine Brüder: "Geh von hier fort und zieh nach Judäa, damit auch deine Jünger die Werke sehen, die du vollbringst. Denn nienmand wirkt im Verborgenen, wenn er öffentlicht bekannt sein möchte. Wenn du dies tust, zeig dich der Welt! Auch seine Brüder glaubten nämlich nicht an ihn." (Joh 7,3 - 5) Und auch nach dem Wunder in Kana heißt es: "Und seine Jünger glaubten an ihn. Danach zog er mit seiner Mutter, seinen Brüdern und seinen Jüngern nach Kafarnaum hinab." (Joh 2,11f) Bei der Hochzeit in Kana wird Maria erstmals erwähnt: "Als der Wein ausging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus erwiderte ihr: Was willst Du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen." (Joh 2,3f) Diese Antwort musste für Maria ein Brüskierung bedeuten: Die Anrede der Mutter mit "Frau" war damals höchst unüblich. Und die (wörtliche) Frage "Was ist zwischen mir und Dir" vergrößert noch die Distanz zwischen beiden. Mit derselben Formulierung distanzieren sich etwa die Dämonen der Besessenen von Gadara von Jesus! Im Zuge der sog. eucharistischen Brotrede taucht - typisch für Joh - ein Missverständnis auf: "Da murrten die Juden gegen ihn, weil er gesagt hatte: Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Und sie sagten: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josephs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel herabgekommen?" (Joh 6,41f) Mit dem letzteren Wort Jesu ist freilich nicht die jungfräuliche Empfängnis ("vom Himmel herab") angesprochen, sondern davon unabhängig (analog zum Prolog) die Gottessohnschaft Jesu, des Logos, der Fleisch geworden ist. Nur bei Joh stehen Maria und der Lieblingsjünger beim Kreuz, was kaum als historischer Bericht interpretiert werden kann. (Syn: Frauen in der Ferne; Flucht und Zerstreuung der Jünger) Möglicher theologischer Sinngehalt dieser Szene ("Sieh deinen Sohn - Sieh deine Mutter"): - Maria harrt trotz anfänglicher Schwierigkeiten (Kana) aus als Glaubende/ als Jüngerin. Sie gehört zur eschatologischen Familie Jesu. - Maria (Vorbild des Glaubens und der Jüngerschaft, Bild für die Kirche) und Johannes (Idealbild des Jüngers) bilden eine neue Gemeinschaft gläubiger Jünger - die ungläubigen Brüder Jesu bleiben "draußen"... 7. Maria in der Offb: Die vielfache Deutung der gebärenden "Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt" (Offb 12,1f) auf Maria hin ist unzulässig. Nach fast einhelliger Überzeugung der Exegeten ist diese Frau ein Bild für das Gottesvolk Israel, aus dem der (vom Drachen bedrohte) Messias kommt. 111 JESUS ALS ANWALT DER SCHWACHEN DER FRAUEN: - Er hat freundschaftlichen Umgang mit ihnen (Lk 8,1 ff) - Er ist gerne Gast bei Maria und Martha (Lk 10,38 ff) - Er lässt sich von ihnen berühren (Lk 8,43 ff) - Er befreit eine alte Frau von ihren Schmerzen (Lk 13,10 ff) DER ARMEN UND NOTLEIDENDEN: - Er hat Mitleid mit ihnen und gibt den Hungernden zu essen (Mt 14,13 ff) - Er lobt das Opfer einer armen Witwe (Lk 21,1 ff) - Er verheißt ihnen das Reich Gottes (Lk 6,20 f) - Er verlangt auch von den Jüngern Armut (Mt 10,9 ff) DER SÜNDER: - Er vergibt öffentlich einer Ehebrecherin (Joh 8,1 ff) - Er stellt die Reue einer Sünderin als Beispiel hin (Lk 7,36 ff) - Er verspricht einem Verbrecher das Paradies (Lk 23,39 ff) - Er isst mit den Zöllnern Zachäus (Lk 19,1 ff) und Levi (Lk 5,47 ff) - Er schätzt den Qlauben der Zöllner und Dirnen (Mt 21,48 ff) DER FREMDEN: - Er lobt deren Hilfsbereitschaft (Lk 10,25 ff) und Dankbarkeit (Lk 17,11 ff) - Er ist bereit, einem röm. Hauptmann zu helfen (Mt 8,5 ff) - Er heilt die Tochter einer Kanaanäerin (Mt 15,43 ff) DER KINDER: - Er ruft sie gezielt zu sich und berührt sie (Lk 18,15 ff) - Er stellt sie den Erwachsenen als Vorbild hin (Lk 18,17) - Er kämpft um ihre Unschuld (Lk 17,1 ff) - Er stellt sie auf eine Stufe mit sich selbst (Mk 9,33 f) DER KRANKEN UND BEHINDERTEN: - Er erlöst viele von Schuld und Krankheit (Mt 14,34 ff) - Er führt einen Blinden abseits, um ihm zu helfen (Mk 8,22 ff) - Er nimmt sich des lästigen Bettlers Bartimäus an (Mk 10,46 ff) 112 Jesus v. N. im Urteil seiner Zeitgenossen König der Juden (Joh 18,33) Ein guter Mensch (Joh 7,12 Ein Übeltäter (Joh 18,30) Ein Gotteslästerer (Mt 26,65) Unberechenbar/ selbstmordgefährdet (Joh 8,22) Der Zimmermann Mk 6.3) Ein Geisteskranker (Mk 3,21) Ein Sünder (Joh 9,2-4) Rabbi / Meister (Mk 4,38) Herr und Gott (Joh 20,28) Ein Fresser und Säufer (Lk 73,4) Ein Volksverführer (Joh 7,12) Ein großer Prophet (Mt16,14) Der Sohn Davids (Mt 12,23) Freund der Zöllner und Sünder (Lk 7,34) Der Sohn des Lebendigen Gottes (Mt 16,16) Der Messias (Joh 7,26) Herr (Lk 9,61) Und wer ist er für mich? 113 RELIGIÖSE GRUPPEN ZUR ZEIT JESU SADDUZÄER PHARISÄER ESSENER Geschichte: Benannt nach Zadok , dem Führer der Tempelpriesterschaft unter Kg. Salomo, dessen Nachkommen dieses Privileg bis zu ihrer Entmachtung im 2. Jh. v. Chr. innehatten. Aus Kreisen von hellenisierenden Juden hervorgegangen. Nach der Zerstörung Jerusalems wieder verschwunden. Geschichte: Name "peruschim" = die (von den Gesetzesübertretern) Abgesonderten. Seit dem 2. Jh. v. als Gegner der Hasmonäer nachweisbar, deren weltliche Politik und hellenisierende Tendenzen sie bekämpfen. Nach der Zerstörung Jerusalems einzige überlebende Religionspartei, deren Geisteshaltung für das Judentum maßgebend wurde. Geschichte: Namensbedeutung unklar (Heilige? Fromme?) Von einem "Lehrer der Gerechtigkeit" ca 150 v. angesichts des erwarteten Weltendes gegründete Endzeitgemeinschaft, die sich in die Wüste zurückzog. Bekannt ist das Kloster v. Qumran mit seinen 1947 entdeckten "Schriftrollen vom Toten Meer". Zur Zeit Jesu ca 4.000 Mitglieder; nach 70 n. verschwunden. Mitglieder: Priester- und Laienadel, Klasse der Besitzenden und Einflussreichen; beschicken 1. und 2. Abt. des Synedriums von Jerusalem (Hohepriester u. Älteste) = Herrenpartei: Politisch konservativ; kooperationswillig mit den wechselnden Machthabern; diplomatisch sehr gewandt (vgl.Joh 11,49 ff); vom Volk eher verachtet. Mitglieder: Kaufleute, Handwerker, Bauern, unterstützt durch die sog. Schriftgelehrten (Synagogenlehrer, Richter); beschicken die 3. Abt. des Synedriums = Bürgerpartei: Politisch eher oppositionell (zu Hasmonäern, Römern, Herodianern); hohes Ansehen beim Volk. Mitglieder: 2jährige Vorbereitungszeit, dann Eintrittseid und Verpflichtung zur Geheimhaltung der Lehre. Lebensunterhalt durch Handarbeit. Organisation: Zugehörigkeit zur herrschenden Klasse durch Geburt; Polit. Einsetzung des jeweiligen Hohepriesters aus ihren Reihen. (Vgl. Apg 5, 17f Verhaftung und Verhör der Apostel) Organisation: Genossenschaft. Aufnahme in den Kreis der "haberim" (Genossen) nach Probezeit und Prüfung. Hauptpflichten: Kultische Reinheit, Priesterzehent, 2x wöchentliches Fasten, einfache Lebensführung, eigene Gebetskleidung. Organisation:Ordensleben (z.Teil reine Männerklöster, z.Teil auch Laienklöster mit ganzen Familien); strenge Gütergemeinschaft; Prinzip Gehorsam durch strenge Rangordnungen; Schwerpunkte ihrer Lehre: Auf fast archaischer Stufe der Religion erstarrte Mentalität; strenger Gesetzesgehorsam, aber Norm war für sie nur die Thora. Daher oft rigoroser als die Pharisäer. Schwerpunkte ihrer Lehre: Strenger Gesetzesgehorsam, aber neben der Thora auch mündl. Überlieferung (Halacha) als rel. Norm. Sie versuchen das Gesetz der jeweiligen Situation anzupassen (Mischna) Folge:613 Weisungen (248 Gebote, 365 Verbote) samt Verschärfung durch "Zaun um das Gesetz". Daraus resultiert die typ. pharisäische Geisteshaltung (Selbstgerechtigkeit und Heilsgewißheit) Die Gesetzeserfüllung wird dabei für den Ungebildeten immer komplizierter. Glaube an Auferstehung und jüngstes Gericht; keine messianische Naherwartung. Schwerpunkte ihrer Lehre: Ausgeprägter Dualismus (Gott und Belial, auf Erden Söhne des Lichts=Ordensmitglieder, und Söhne der Finsternis); strenge Gesetzesbeachtung; kultische Mähler; rituelle Bäder; Gebet u. Schriftlesung. Stellung Jesu: Ambivalent, d. h. einerseits Tischgemeinschaft mit ihnen (Lk 7,36ff), andererseits brutale Kritik an ihrer Geisteshaltung (Mt 23) Stellung Jesu: Wohl kaum Mitglied der Mönchsgemeinschaft v. Qumran (unweit der Tauftätigkeit des Johannes), da nicht nur "Bruderliebe" innerhalb der Gemeinschaft, sondern Nächstenliebe, ja sogar Feindesliebe! Leugnung von Auferstehung und jüngstem Gericht, da Lohn / Strafe bereits im Diesseits. Stellung Jesu: Streitgespräch über die Auferstehung (Mk 12,18-27) Stellung des Paulus: Nützt geschickt die Gegnerschaft zwischen ihnen und den Pharisäern beim Verhör vor dem Synedrium aus (Apg 23, 1-10) Äußerst kritische Einstellung gegenüber Kult u. Priesterschaft am Jerusalemer Tempel. (68 n. Schutzsuche in Massada) Erwartung des nahen Weltendes, davor 3 Messias-Gestalten (königl., priesterl., prophet. Messias); Vernichtung des bösen Prinzips und der Söhne der Finsternis in einem großen Weltenbrand und Sieg des Guten. 114 DIE GLEICHNISSE JESU 1.Begriffsbestimmungen: Ein Gleichnis ist seinem Ursprung nach ein einfacher Vergleich, der zu einer Geschichte ausgeweitet wurde. Es will primär nicht belehren, sondern zum Nachdenken über das eigene Verhalten anregen (Gewissenserforschung) Die verschiedenen Details haben keinen Selbstzweck, sondern dienen nur dazu, das Interesse des Zuhörers gewinnen. Bildhälfte (anschauliche Geschichte) und Sachhälfte (religiöse Aussage) sollen an nur einer Stelle ("springender Punkt") verglichen werden, wobei die Umsetzung / Anwendung der Geschichte dem Zuhörer aufgetragen ist. Auch die Allegorie ist eine Geschichte, sie dient aber - anders als das Gleichnis - in erster Linie zur Belehrung. Dabei hat die Geschichte nicht nur einen einzigen entscheidenden Vergleichspunkt, sondern jedes Bildelement wird (vom Erzähler) religiös gedeutet: Zwei Beispiele: Das Gleichnis Jesu vom Sämann (Mt 13, 1-9) Sämann Acker Same auf dem Weg auf felsigem Boden unter den Dornen auf gutem Boden Allegorische Deutung (Mt 13, 18-23) Gott Mensch Wort Gottes Unverständnis Unbeständigkeit Habgier Verständnis und Verwirklichung Der barmherzige Samariter (Lk 10, 30-35) Allegorische Deutung (Kirchenväter) Das Raubopfer Die Räuber Priester und Leviten Der Samariter Öl und Wein Sichere Herberge Die Menschheit Teufel und Dämonen Vertreter des Alten Bundes Jesus Die Sakramente Die Kirche 2. Vom Verstehen ("Wer Ohren hat zu hören") Die Aussage eines Gleichnisses findet man am einfachsten, wenn man die Geschichte als eine Antwort Jesu auf eine bestimmte Frage seiner Zuhörer zu verstehen sucht. Ändert man mutwillig den Zuhörerkreis bzw. dessen Fragestellung, erhält das Gleichnis plötzlich eine andere Sinnspitze. "Der Verfremdungseffekt besteht darin, dass das Ding, das zum Verständnis gebracht, auf welches das Augenmerk gerichtet werden soll, aus einem gewöhnlichen, bekannten Ding zu einem besonderen, augenfälligen, unerwarteten Ding gemacht wird. Das Selbstverständliche wird in gewisser Weise unverständlich gemacht, das geschieht aber nur, um es dann umso verständlicher zu machen. Damit aus dem Bekannten etwas Erkanntes werden kann, muss es 115 aus seiner Unauffälligkeit herauskommen; es muss mit der Gewohnheit gebrochen werden, das betreffende Ding bedürfe keiner Erläuterung mehr«. (B. Brecht, Schriften zum Theater) Solche "Verfremdungen" lassen gerade durch den Kontrast den eigentlichen Sinn deutlicher werden: Fünf Beispiele: Verlorenes Schaf (Lk 15, 3-7): Anlass dieser Erzählung könnte die Frage eines Zöllners gewesen sein, ob ein stadtbekannter Sünder inmitten der vielen Gerechten vor Gott überhaupt eine Heilschance haben kann. Vor Schafzüchtern / Händlern erzählt, spendet die Geschichte nicht Trost und Vertrauen in den gütigen Gott, sondern verlangt wirtschaftliches Denken, d. h. Sorge um die 99 und Dankbarkeit über den geringen Verlust. Barmherziger Vater (Lk 15, 11-34): Hier ist ein ähnlicher Anlassfall denkbar. Vor einer Erbengemeinschaft (vgl. Lk 12,13 als Fs.?) erzählt, verändert sich die Sinnspitze von Barmherzigkeit zu Gerechtigkeit. Unkraut im Weizen (Mt 13, 94-30): Ein Zuhörer fragt: Warum müssen die Guten leiden, während es den Bösen oft so gut geht? Vor Rechtsradikalen erzählt, würde die Geschichte nicht im Vertrauen auf die Gerechtigkeit Gottes gipfeln, sondern zur Selbstjustiz herausfordern. Talente (Mt 25,14-30): Vielleicht hat Jesus die Geschichte im Kreis von Habenichtsen erzählt, die ihre Untätigkeit und Lethargie zu rechtfertigen versuchten. Gegenüber Treuhandverwaltern würde dieses Gleichnis nicht untemehmerisches Risiko, sondern verlässliche Verwaltung verlangen. Arbeiter im Weinberg (Mt 20, 1-l6): Anlass könnte die Bevorzugung eines vom Schicksal getroffenen Arbeiters durch seinen Herrn gewesen sein. Vor Gewerkschaftern erzählt, würde sich die Grundaussage "Barmherzigkeit" in eine Forderung nach "Gerechtigkeit" verkehren. Arten von Gleichnissen Haushalt,Weinbau, Wirtschaft, Ernte, Diebstahl, Hochzeit, Rel. Leben, Öffentl. Sicherheit, Viehzucht, Fischerei, Landwirtschaft... Bildhälfte Sachhälfte Eigentliches Gleichnis Ein alltäglicher Sachverhalt/Vorgang Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und großartigem Ende Parabel Ein ungewöhnlicher Einzelfall Vorschnelle Scheidung / Entscheidung Beispielerzählung Ein vorbildhaftes Handeln Ein unvermutetes Kommen Bereitschaft,Geduld, Klugheit, Staunen, Ehrfurcht, Großmut, Demut,Wamung, Warten, Vertrauen, Hilfsbereitscha k, Vonicht... Reich-GottesGleichnis Krisis-Gleichnis Wachsamkeitsgleichnis 116 Zuordnungen GLEICHNIS 10 Jungfrauen (Mt 25, 1) Senfkorn (Mt 13,31) Treuer Knecht (Lk 12,35) Fischnetz (Mt 13,47) Verorenes Schaf (Lk 15,4) Barmh. Samariter (Lk 10,30) Wachsamer Herr (Mt 24,43) Pharisäer/Zöllner (Lk 18,9) Unkraut/Weizen (Mt 13,24) Böse Winzer (Mt 21,33) Sauerteig (Mt 13,33) Arbeiter/Weinb. (Mt 20,1) Verwalter (Lk 16,1) BILD ART AUSSAGE ART Reich-GottesGleichnis Hochzeit Eigentliches Gleichnis Geduld Bedachtsamkeit Vertrauen, Geborgenheit Krisis-Gleichnis Wachsamkeits Gleichnis Krisis-Gleichnis Parabel Haushalt Reich-GottesGleichnis Großmut Wirtschaft 5. Stellenwert der Gleichnisse Jesu. "...und ohne Gleichnisse redete Jesus nichts zu ihnen." (Mt 13, 14) Geschichten sind die verständlichste und eindringlichste Form der Unterweisung (vgl. "Buchstaben-Gechichten" / apokryphe Allegorie des Alphabeths) Die Gleichnisse Jesu gehören von Anfang an zum Kernbestand der ntl. Überlieferung. Ihre Zielsetzung ist es, die Menschen zur Umkehr aufzurufen sie zu trösten, indem sie von Gottes Barmherzigkeit erzählen den Ernst der Lage zu zeigen, wenn Menschen verstockt bleiben herauszufordern, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. 6. Arbeitsaufträge: a. Schreibt eine kurze Rahmengeschichte zu einem best. Gleichnis, sodass noch deutlicher wird, was Jesus mit dieser Geschichte sagen will (Aussageabsicht) b. Verändert bewusst den Zuhörerkreis und damit die Grundaussage (Verfremdung) c. Welches Bild würde Jesus wohl heute in unserer Gesellschaft in einem bestimmten Gleichnis verwenden (Aktualisierung)? 117 STREITGESPRÄCHE JESU Herausfordernde religiöse Fragen und daran anschließende Diskussionen waren bei den Pharisäern und Schriftgelehrten sehr beliebt. So wird auch Jesus wiederholt in Streitgespräche verwickelt, in denen er - bisweilen ziemlich provokant - die bloß äußere und engstirnige Beachtung des jüdischen Gesetzes kritisiert. Heuchelei d. h. der Widerspruch zwischen äußerem Tun und innerer Gesinnung ist denn auch ein Grundvorwurf an seine Gegner. Ein zweiter ihre mit der Befolgung der Gebote und Vorschriften verbundene Selbstgerechtigkeit (vgl. Mt 23) 1.Streitthemen: a. Die Form der Sabbat-Heiligung: Während die selbstgerechten Pharisäer absolute Ruhe forderten und in einer oft lächerlichen Kasuistik alle möglichen Fälle - bis hin zur Anzahl der erlaubten Schritte - zu regeln versuchten, tritt Jesus für eine "sinnvolle" Sabattheiligung ein: "Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat!" DAHER: Mk 2,23-28: Ährenabreissen bei Hunger... Mk 3,1-6: Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand Lk 14,1-4: Heilung des Wassersüchtigen Joh 9,13-16: Heilung des Blinden Lk 14,5: Wenn eigener Sohn oder Ochs in den Brunnen fällt Lk 13,15: Um Ochs oder Esel zur Tränke zu führen Mt 12,11: Wenn ein Schaf in die Grube fällt Joh 7,22: Wenn Beschneidung am Sabbat, dann auch Heilung Mt 12, 8: "Der Menschensohn ist Herr über den Sabbat" Trotz dieser kritischen Einstellung hielt sich Jesus aber an die Sabbatheiligung und besuchte auch regelmäßig die Synagoge bzw. den Tempel. b. Die jüdischen Reinheitsgebote: Unreinheit wird nach jüdischer Vorstellung durch bestimmte Dinge, Handlungen oder Zustände hervorgerufen und verunmöglicht eine Teilnahme am Kult und am Leben der Volksgemeinschaft. Gegen den bloß äußeren Formalismus, der die innere, sittliche Reinheit ausser acht lässt, wandten sich schon die atl. Propheten und wendet sich auch Jesus: Mk 7,1-23: Nicht ungewaschene Hände und unreine (nicht koschere) Speisen machen unrein, sondern die bösen Gedanken! Deshalb sind diejenigen selig, die ein reines HERZ haben. Mk 2,13-17: Tischgemeinschaft mit Sündern macht nicht unrein, da die Kranken es sind, die einen Arzt brauchen. Lk 7,36-50: Die Berührung durch die Sünderin macht nicht unrein. c. Die genau geregelten Opfervorschriften: Brand-, Schlacht-, Speise-, Rauchopfer im Tempel darzubringen war die Aufgabe der Priester, und sie entschieden auch darüber, ob es Gott "wohlgefällig" war. Aber schon Hos 6,6 findet sich Gottes Klage über dieses rein äußerliche, formalistische Tun: "Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer!" Und dieser Kritik schließt sich Jesus an: Mk 12,28-33: Nächstenliebe wiegt weit mehr als alle Opfer. d. Das Fastengebot: Vorgeschrieben war es v. a. am sog. Versöhnungstag, die Pharisäer fasteten darüber hinaus an 2 Wochentagen und genossen ihr Ansehen bei den Menschen. Aber schon der Prophet Jes 58,3-8 kritisiert dieses heuchlerische Fasten "in Sack und Asche", während gleichzeitig Unbarmherzigkeit regiert! Deshalb verlangt Jesus ein den Mitmenschen verborgenes Fasten (Mt 6,16-18) Obwohl er zu Beginn seiner Lehrtätigkeit 40 Tage in der 118 Wüste streng gefastet hat, nimmt er für sich und seine Jünger eine Ausnahme in Anspruch: Mk 2,18-22: In der Zeit der Freude wird nicht gefastet… e. Die Tempelsteuer: Für den Unterhalt des Kultpersonals bzw. für die Erhaltung des Tempels gab es neben Sammlungen (Mk 12,41) auch eine Steuer (Ex 30,15), die als "Versicherung" gegen Unheil gegolten hat. Weil sie in der alten tyrischen Währung zu bezahlen war, waren die vielen Geldwechsler im Tempel notwendig. (Joh 2,13-17) Sie musste von allen erwachsenen männlichen Juden geleistet werden. Auch hier macht Jesus für sich und seine Jünger eine Ausnahme geltend: Mt 17,24-27: Als "Sohn" habe er nicht für das Haus des Vaters Steuern zu zahlen… f. Die Frage der Sündenvergebungsgewalt: Während allgemein Gott allein diese Gewalt zuerkannt wurde, nimmt sie Jesus auch für sich selbst in Anspruch: Mk 2,1-12: Er untermauert seine Vollmacht mit einer Wunderheilung… g. Die Auserwähltheit Israels: Schon Johannes d.T. kritisiert den Hochmut der Juden "Wir haben ja Abraham zum Vater" (Mt 3,9) und fordert statt dessen ihre Umkehr! Und Jesus selbst - berührt vom großen Glauben des heidnischen Hauptmanns - wird noch deutlicher: "Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; die aber, für die das Reich bestimmt war, werden hinausgeworfen in die äußerste Finsternis" (Mt 8,11 f)"Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt." (Mt 21, 43) Denn "wenn ihr Kinder Abrahams wäret, würdet ihr so handeln wie Abraham!" (Joh 8, 39) 2.Form der Streitgespräche: Meist waren eine Handlung oder ein Verhalten Jesu bzw. seiner Jünger für die Gegner Anlass, eine Frage oder einen Vorwurf vorzubringen. Die Antwort Jesu besteht vielfach - in einer Gegenfrage - in einem Gleichnis - in einem Zitat aus der Schrift. Ü b e r l e g e : Welche Streitgespräche würde Jesus wohl heute mit den Bischöfen und Priestern führen? STRITTIGE THEMEN DAMALS HEUTE Sabbatheiligung Sonntagspflichten Opferrituale "Formsache" Messe Fastenvorschriften Fastengebote der Kirche Tempelsteuer Kirchenbeitrag Auserwähltheit Israels Alleinseligmachende Kirche Sündenvergebungsgewalt Buße und Beichte Reinheitsgebote ? 119 DER MENSCH UND DAS "WUNDER" A) Allgemeines: 1. Erfahrungsgemäße Reaktion auf ein sog. wunderbares Ereignis: Entweder Versuch einer sog. natürlichen Erklärung (inkl. "Zufall") oder Leugnung des Ereignisses selbst (Betrug, Sinnestäuschung) oder Glaube. 2. Grundeinstellung eines Christen: Der Mensch soll und wird immer versuchen, zunächst eine natürliche Erklärung von aussergewöhnlichen Ereignissen zu finden (keine naive Wundergläubigkeit) Als Christ wird er darüber hinaus immer damit rechnen, dass Gott selbst sich durch bestimmte Ereignisse zu erkennen geben kann (keine grundsätzliche Leugnung des Wunders) B) "Zeichen und Wunder" im AT: Viele Großtaten Gottes - angefangen von der Erschaffung der Welt - gelten im AT als Wunder. Die Erzählungen davon sollten dem bibl. Menschen nicht "Gott beweisen" - er war ja bereits ein Glaubender -, sondern ihn dankbar stimmen und den kommenden Generationen Hoffnung geben, dass der Gott ihrer Väter l e b t und auch ihnen seine rettende Hand reichen kann! Die bibl. Schriftsteller deuten rückblickend ihre Geschichte: Sie erkennen ein rettendes / mahnendes / strafendes Eingreifen Gottes v. a. in Krisenzeiten ihres Volkes (z.B. ExodusGeschichte; nach der Reichsteilung) In diesen Geschichten sind jeweils eng miteinander verschmolzen 1. der tatsächliche Sachverhalt (Ereignis), 2. die Deutung (als Eingreifen Gottes und nicht als Zufall) und (3. der Lobpreis Jahwes) Die Frage 1 lässt sich aus heutiger Sicht nur noch schwer beantworten! C) "Machttaten"(Syn) und "Zeichen"(Joh) im NT: Im NT ist ca 30mal von Wundern Jesu die Rede. (Lk erzählt in der Apg zusätzlich auch von Wundern einiger Apostel) Es handelt sich dabei um Geschenkwunder, Naturwunder, Rettungswunder, Krankenheilungen, Totenerweckungen, Dämonenaustreibungen u. a. Die Wundererzählungen sind nicht "Berichte von historischen Ereignissen", sondern tröstende Botschaft vom Auferstandenen, dessen "heilsame" Nähe immer noch erfahrbar ist. So sind auch Vergrößerungen (vielleicht sogar Neubildungen) in urchristlicher Zeit verstehbar (vgl. "Doppelungen" einiger Wunder bei Mt) 1.Erzählstruktur: - Drastische Schilderung einer Situation - Eingreifen Jesu und überraschende Veränderung der Situation - Reaktion der Umgebung (Furcht und Staunen; Glaube; Ablehnung) 2.Funktion der Wunder Jesu: Sie waren niemals zweck-los, für sich stehende Sensationen (Schauwunder) - solche von den Gegnern verlangte "Zeichen" (Mk 8,11-13) lehnt Jesus entschieden ab -, sondern eingebettet 120 in einem größeren Sinnzusammenhang (Glaube, Umkehr, Sündenvergebung, Verkündigung des Reiches Gottes...) Wunder sind Z e i c h e n, d. h. Hinweis auf die besondere Vollmacht Jesu. - Sie unterstreichen und verdeutlichen seine Botschaft. - Sie lassen die Nähe des Reiches Gottes sichtbar werden. D) Einzelfragen: 1. Bedeuten Wunder eine Durchbrechung der Naturgesetze? Bibl. Wundererzählungen wollen keine Aussagen machen über Naturgesetze, die scheinbar durchbrochen werden, sondern über die Größe Gottes, die sich in allen seinen Werken zeigt und den Menschen zum Staunen bringen kann. 2. Hat Jesus wirklich Wunder gewirkt? - Der ungewöhnlich große Zulauf von Menschen wäre sonst schwer erklärlich. - Selbst die Gegner Jesu können sie nicht leugnen. - Die Erzählungen davon sind ältestes Überlieferungsgut aus einer Zeit, da Augen- und Ohrenzeugen noch lebten (30-50) - Die Auferstehung Jesu als größtes aller Wunder wurde der Angelpunkt des christlichen Glaubens, für den die Zeugen in den Tod zu gehen bereit waren! 121 Todesberichte und Erscheinungserzählungen der vier Evangelisten A) Jesu letzte sieben Worte (Harmonisierung): - Lk 23,34: Vater, vergib ihnen... - Lk 23,43: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein... - Joh 19,26f: Frau, sieh Deinen Sohn, Sohn sieh Deine Mutter... - Mk 15,34 (Mt 27,46): Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen...(Ps 22) - Joh 19,28: Mich dürstet. - Joh 19,30: Es ist vollbracht. - Lk 23,46: Vater, in Deine Hände lege ich meinen Geist (Ps 31,6) D. h. Bei Mk (Mt) stirbt Jesus mit dem Klage-Gebet des Ps 22 auf den Lippen und einem wortlosen Schrei. Lk hingegen schildert uns Jesu Vorbildhaftigkeit selbst im Sterben, wenn er dem Verbrecher verzeiht, ja selbst den eigenen Henkern vergibt, ehe er sich ergeben seinem himmlischen Vater anvertraut. Joh zeigt die menschlichen Züge Jesu selbst bei seinem Sterben (Durst, Letzter Wille); das letzte Wort ist der Siegesruf dessen, der den Auftrag seines himmlischen Vaters bis zuletzt erfüllt hat. B) Die Ereignisse des Ostertages: Auch die sog. Ostergeschichten sind in der vorliegenden Form von der jeweiligen Aussageabsicht des Evangelisten geprägt. Sie zeigen - v. a. auch in der Ortsangabe Galiläa / Jerusalem - derart starke Unterschiede, dass die Rückführung auf einen gemeinsamen "Urbericht" im Sinne einer Harmonisierung unmöglich ist. Markus endet ursprünglich mit der Auffindung des leeren Grabes, der Botschaft des Engels und dem (für Mk typischen) Schweigen der Frauen: Nicht schon das leere Grab, sondern erst die Selbstoffenbarung Jesu in Galiläa soll den Jüngern (und aller Welt) die Augen öffnen... Die Ostergeschichte des Mt ist - im sog. Wächtermotiv - eine klare Argumentationshilfe für seine (judenchristliche) Gemeinde in der Abwehr falscher Behauptungen (Diebstahl) Jesus erscheint hier nur Maria Magdalena und der anderen Maria, die seine Füße umfassen, und später den 11 Jüngern auf einem Berg in Galiläa, wo sie den "großen" Sendungsauftrag (zu a l l e n Völkern, vgl. Mt 10) erhalten. Nach Lk finden a l l e Erscheinungen (inkl. Himmelfahrt) in Jerusalem statt, wobei er bemüht ist, die Echtheit der Erscheinungen unter Beweis zu stellen (Berühren, Essen, Trinken, Erscheinungen längere Zeit hindurch) Dem Auferstandenen kann man aber auch - so die Emmausgeschichte - in der nachösterlichen Gemeinde begegnen als dem unbekannten Weggefährten, der einem die Schrift erschließt, und als dem "Gastgeber", der sich freilich wieder entzieht... Joh verbindet die zentrale (?) Szene der Begegnung Jesu mit Maria Magdalena mit einer weiteren Hervorhebung des Lieblingsjüngers Johannes, der im "Wettlauf" mit Petrus als erster das Grab erreicht. Die Thomas-Erzählung soll die Leser ermutigen, doch den ersten Augenzeugen zu glauben, und zwar auch "ohne zu sehen"... Das Nachtragskapitel 21 (Erscheinung am See Genesareth, reicher Fischfang, Mahl, Hirtenamt des Petrus) stammt aus dem Schülerkreis des Ev und hat schon bekannte Motive (Fischfang Lk 5, Erkennen beim Mahl Lk 24,30f) verarbeitet. 122 DIE AUFERSTEHUNG JESU Oder: Die Überzeugung der Jünger, dass Jesus lebt 1. Der Stellenwert der Auferstehung Jesu im NT: DAS zentrale Ereignis des ATs, auf das sich der Glaube Israels immer wieder beruft, ist Gottes Befreiungstat beim Exodus aus der Unterdrückung in Ägypten. Und DAS Grundereignis des NTs, ohne das aller christlicher Glaube "sinnlos und leer" wäre (1 Kor 15,14), ist die "Auferweckung" Jesu aus dem Tod durch seinen himmlischen Vater. Erst allmählich kommt es dann zur Rede von der "Auferstehung" Jesu. 2. Die Entwicklung der Auferstehungsüberlieferung: a. Die Auferstehungsbotschaft der Jünger: Sie ist aus den Predigten des Petrus und Paulus in der Apg rekonstruierbar. Sie enthält drei Schwerpunkte: - Erinnerung der Zuhörer an zentrale Ereignisse aus dem Leben Jesu - Deren Deutung im Licht der Hl. Schrift - Der damit verbundene Aufruf zur persönlichen Entscheidung Verwendete Formulierungen / Bilder / Denkmodelle: Auferweckt von Gott - auferstanden gestorben und lebendig geworden - von Gott über alle erhöht - der Erstgeborene von den Toten - dem Fleisch nach getötet, dem Geist nach lebendig gemacht u. a. m. b. Die Feier des Auferstehungsglaubens in der Gemeinde: In einigen Briefen sind uns urkirchliche Bekenntnisformeln und Lieder erhalten: - Röm 10, 9: Früheste Bekenntnisformeln "Jesus ist der Herr - Gott hat ihn von den Toten auferweckt". - 1 Kor 15, 3-5: Ältestes Zeugnis von Tod und Auferstehung Jesu und "Kurzformel des Glaubens" (gestorben und begraben - auferweckt und erschienen), die Paulus vielleicht schon seit seiner Taufe (Apg 9,18) kannte. - Phil 2, 6-11: Altes urchristliches Lied (Gott gleich - Selbsterniedrigung - gehorsam bis zum Tod - von Gott über alle erhöht) c. Die Erzählungen über den Auferstehungsglauben (Ostergeschichten): Sie sind zeitlich zuletzt als "Gemeindebildung" entstanden. Anders als bei den Passionsberichten, denen ein "kompaktes" Geschehen zugrundeliegt, lassen sie (ähnlich den Kindheitserzählungen) keine ursprüngliche Einheit erkennen. (Nur in Jerusalem / nur in Galiläa / an beiden Orten?) Zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten entstanden, lassen sie sich nicht harmonisieren: MARKUS endet ursprünglich mit der Auffindung des leeren Grabes, der Botschaft des Engels und dem für Mk typischen Schweigen der Frauen. Nicht schon das leere Grab, sondern erst die (angekündigte) Selbstoffenbarung Jesu in Galiläa soll den Jüngern (und aller Welt) die Augen öffnen. Der Nachtrag (Mk 16, 9-20) mit den bloßen Verweisen auf Erscheinungen (vgl. Mt, Lk, Joh) stammt aus dem 2. Jh. MATTHÄUS verknüpft den Tod Jesu mit Motiven der Endzeit (Erdbeben, Auferstehung der Toten Mt 27, 51-53) Das sog. Wächtermotiv (Mt 27,62-66; 28,11-15) ist eine klare Argumentationshilfe für die angefochtene (judenchristliche) Gemeinde (Diebstahlshypothese) Jesus erscheint (in der Nähe des Grabes) Maria Magdalena und der anderen Maria; später auf einem Berg in Galiläa den 11 Jüngern, die er zu allen Völkern sendet. LUKAS ist bemüht, die Echtheit der Erscheinungen unter Beweis zu stellen. (Berühren Jesu, 123 Essen und Trinken, Erscheinungen über 40 Tage hinweg) Dem Auferstandenen kann man aber auch in der nachösterlichen Gemeinde in einem unbekannten Weggefährten begegnen, der einem die Schrift erschließt. (Emmaus-Geschichte) Alle Erscheinungen (inkl. Himmelfahrt) finden in Jerusalem (und Umgebung) satt. JOHANNES verbindet die (ursprünglich zentrale?) Szene der Begegnung Jesu mit Maria Magdalena (beim Grab) mit einer weiteren Hervorhebung des Lieblingsjüngers (Johannes): Stand er schon als einziger der Apostel mit Maria unter dem Kreuz, so erreichte er im "Wettlauf mit Petrus" auch als erster das Grab. Die Thomas-Erzählung soll - als ursprünglicher Abschluss des Evangeliums - die Leser ermutigen, den ersten Zeugen zu glauben, auch wenn sie selbst "nicht sehen". Das Nachtragskapitel 21 (Erscheinungen Jesu in Galiläa am See Genesareth, reicher Fischfang, Mahl, Hirtenamt für Petrus) stammt aus dem Schülerkreis des Joh. und hat schon bekannte Motive (Fischfang Lk 5, Erkennen Jesu beim Mahl Lk 24, 30 f) verarbeitet. Ihrem Charakter nach sind sie Bekenntniserzählungen, dass Jesus "wahrhaft auferstanden" ist und lebt (Lk 24, 34), trotz des anfänglichen Unglaubens der Jünger. Dieser Umschwung im Jüngerverhalten zeigt sich - rasch nach dem Tod Jesu (erneute Sammlung nach der Flucht) - radikal (von tiefer Enttäuschung zu heller Begeisterung) - dauerhaft (und nicht nur kurzes Strohfeuer) - belastungsfähig (bis zum Martyrium) 3. Hinweise auf die Auferstehung Jesu: Das NT kennt keinen Augenzeugen der Auferstehung Jesu, es enthält aber wichtige Hinweise: a. Jesu Voraussagen und die Reaktion der Jünger: - Mk 8, 31-33: Versuch des Petrus, es zu vereiteln, und Zurückweisung durch Jesus ("Satan") - Mk 9, 30-32: Die Jünger verstehen den Sinn seiner Worte nicht. - Mk 10, 32-34: Als Jesus nach Jerusalem geht, überkommt die Jünger die Angst. b. Das offene leere Grab: Es führte als offenbar unbestrittene Tatsache schon früh zu verschiedenen Spekulationen (Diebstahl, Jüngerbetrug, Verlegung des Leichnams), die Mt kennt und zu entkräften versucht (Wächtermotiv) c. Die Erscheinungen Jesu: Zwei Formtypen lassen sich unterscheiden: - Wiedererkennungserzählungen, in denen das Erscheinen Jesu in unbekannter Gestalt der Ausgangspunkt und sein Erkanntwerden das Ziel der Erzählung sind (vgl. Lk 24,13-31; Joh 21, 1-14; vgl. auch 20, 14-18) - Beauftragungserzählungen, die ein Erscheinen Jesu in bekannter Gestalt voraussetzen in ihr Ziel in Auftragsworten Jesu haben. Zu ihnen gehört das Motiv des Zweifels und des Identitätsbeweises (vgl. Mt 28, 16-20; Lk 24, 36-49; Joh 20, 19-23) Auch die Erscheinungen wurden als unglaubwürdig angezweifelt und von Anfang an zu widerlegen versucht: - Bloßer Scheintod Jesu? Lanzenstich! - Halluzinationen? Mehr als 500 Jünger zugleich! - Geist-Erscheinung? Essen und Trinken, Berühren der Wundmale 4. Die Identität des Auferstehungsleibes: Fremdheitsmotiv (andere Gestalt, dieselbe Stimme) Identitätsmotiv (Verhalten, Wundmale) Leiblichkeitsmotiv (dieselbe Gestalt und Körperlichkeit, aber nicht raum- und zeitgebunden) 124 DER SINN DES TODES JESU NACH DEM NT Im NT begegnet uns k e i n e einheitliche, in sich geschlossene Erlösungslehre (Soteriologie), sondern eine Vielfalt von Versuchen, den Sinn des Todes Jesu zu verstehen. Sie alle haben freilich bald ihre unausgesprochene Mitte im Abendmahlsgeschehen, wo Jesu Leben als Lösepreis für den Loskauf der Menschheit aus der Macht der Sünde und des Todes dargestellt ist. A) Chronologische Abfolge: - Im ersten Moment erschien Jesu Tod seinen Jüngern als eine Katastrophe, als Zusammenbruch all ihrer Hoffnungen: "Unsere Hohenpriester und Führer haben ihn zum Tod verurteilen und ans Kreuz schlagen lassen. Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde." (Lk 24,20 f) In dieser langen "Schrecksekunde" wurde dieses Ereignis - ohne jedweden Deutungsversuch - bloß konstatiert; so etwa von Petrus in seiner Anklage: "Jesus, den Nazoräer,... habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht" (Apg 2,23) Und an anderer Stelle: "Wir sind Zeugen für alles, was er im Land der Juden und in Jerusalem getan hat. Ihn haben sie an den Pfahl gehängt und getötet." (Apg 10,39) - Erst mit der Zeit stellte sich die drängende Frage, warum der durch die Auferstehung beglaubigte Messias und Sohn Gottes einen derart grausamen Tod sterben musste. Es entstanden verschiedene Deutungsvarianten, die auf ganz unterschiedlichen Denkmodellen basieren. B) Wichtigste Deutungsvarianten: 1. Erkenntnis eines grundsätzlichen Zusammenhanges zwischen Jesu Tod und dem Schicksal von uns Menschen: 1 Kor 15,3: "Christus ist für unsere Sünden gestorben". Röm 5,8: "Gott hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren." 2. Jesu Tod als Sühnopfer, das die Sündenschuld der Menschheit tilgt: Röm 3,23ff: "Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut." 1 Petr 2,21ff (im Anschluss an das 4. Gottesknechtslied Jes 53): "Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben." 3. Jesus hat durch sein (Opfer-)Blut die Schuld der Menschen abgewaschen: Hebr 9,11 ff (im Anschluss an das Reinigungsritual Lev 16,1ff): "(Christus ist) ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen, nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt." 125 4. Durch Jesu vergossenes Blut wurde ein n e u e r B u n d besiegelt: 1 Kor 11,25: "Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut." Mk 14,24 (im Anschluss an den Bundesschluss Ex 24, 8): "Das ist das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird." 5. Jesus ist das neue, wahre Paschalamm, das geschlachtet wurde: 1 Kor 5,7: "Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid. Ihr seid ja schon ungesäuertes Brot; denn als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden." Joh 19,36 (im Anschluss an die Vorschrift Ex 12,46): "Das ist geschehen, damit sich das Schriftwort erfüllte: Man soll an ihm kein Gebein zerbrechen." 6. Jesus ist der (wie Isaak) vom Vater dahingegebene Sohn: Röm 8,31f: "(Gott) hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben." Joh 3,16: "Denn Gott hat die Welt sosehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat." 7. Jesu Blut und Leben sind der Lösepreis für den Loskauf der Menschheit aus der Macht des Bösen: Mk 10,45: "Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele." Kol 2,13ff: "(Gott) hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben." 8. Jesus ist der 2. Adam, der Gott gehorsam war bis in den Tod : 1 Kor 15,17ff: "Da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden." 126 CHRISTOLOGISCHE HOHEITSTITEL Der Glaube an Jesus CHRISTUS, GOTTES eingeborenen SOHN und HERRN A. Jesus - der HERR (Kyrios) 1. HERR über Leben und Tod waren in den Nachbarkulturen Israels (in Ägypten, Babylonien) neben der Gottheit die heidnischen Könige. 2. Auch Israels Gott Jahwe ist "der HERR, dein Gott", der sein Volk aus Ägypten herausgeführt hat. Aus Ehrfurcht vor dem Gottesnamen las man statt Jahwe "Adonai" (Herr), woraus sich später die (falsche) Lesart "Jehova" entwickelte. 3. Die christliche Urgemeinde hat den Kyrios-Titel auch auf den Auferstandenen übertragen: Gott hat ihm einen Namen gegeben, größer als alle Namen, vor dem alle ihre Knie beugen und bekennen: "JESUS CHRISTUS ist der HERR" (Phil 2,11) = Huldigung - Wenn du mit deinem Mund bekennst: JESUS ist der HERR, und in deinem Herzen glaubst: Gott hat ihn von den Toten erweckt, wirst du gerettet werden... (Röm 10, 9ff) 4. Lukas und die Liturgie weiten die Kyrios-Anrede aus auf den historischen Jesus vor seiner Auferstehung, sodass HERR fast zum zweiten Namen Jesu wird. B. Jesus - der CHRISTUS (Messias) 1. Messias-Begriff und jüdische Messiaserwartung: Vor dem Babylon. Exil war Messias (= der Gesalbte) die Bezeichnung für einen aus der Dynastie Davids stammenden und an der Herrschaft befindlichen König. Bei seiner Thronbesteigung wurde er - ähnlich dem ägyptischen Krönungszeremoniell - gesalbt und so zum "Sohn Gottes", d. h. zu dessen Stellvertreter auf Erden erhoben. Durch die Krönungsfeier erhält er Anteil an Gottes Herrschaftsrecht: "Ich selber habe meinen König eingesetzt auf Zion, meinem heiligen Berg, (spricht der Herr): Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt." (Ps 2) Ähnlich die Verheißung an David: "...werde ich deinen leiblichen Sohn als deinen Nachfolger einsetzen, ich werde seinem Königsthron ewigen Bestand verleihen. Ich will für ihn Vater sein, und er wird für mich Sohn sein." (2 Sam 7, 12ff) Im NT begegnet diese (politische) Vorstellung in der Verheißung des Engels über Jesus: "Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben." (Lk 1,32) Dieses Verständnis steht auch hinter der Verspottung Jesu am Kreuz: "Der MESSIAS, der KÖNIG von Israel, er soll doch herabsteigen." (Mk 15, 32) Mit dem Auftreten der Propheten und ihrer Königskritik wurden die atl. Texte auf einen erst kommenden idealen und universalen Heilskönig bezogen, der später "Messias" genannt wurde und dessen Herrschaft Ps 72 beschreibt. In der späteren nachexilischen Zeit festigte sich die Erwartung des Befreiers Israels aus der Fremdherrschaft durch einen Messias aus dem Haus Davids. 2. Der "Kreuzes-Messias", der alles andere denn "in Herrlichkeit" erscheint und daher von den Juden bis heute als solcher nicht akzeptiert werden kann: 127 Auf das (politische) Petrus-Bekenntnis "Du bist der Messias" (Mk 8,29) reagiert Jesus mit dem Schweigegebot; und als dieser Einspruch gegen Jesu Leiden und Tod erheben will, nennt Jesus ihn "Satan", der nicht im Sinn habe, was Gott will... Bei der Vorstellung vom Kreuzes-Messias greifen die Evv auf das atl. Bild vom Gottesknecht zurück: "Der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen Knecht, er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab" (Jes 53, 10) Und so ertönt es bei der Verklärung Jesu aus der Wolke: "Das ist mein auserwählter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe" (Lk 9, 35) 3. Der Messias der Auferstehung: Gott hat den scheinbar Gescheiterten durch die Auferweckung zum Messias gemacht und als König inthronisiert: "(David wusste, dass einer von seinen Nachkommen auf seinem Thron sitzen werde.) Mit Gewißheit erkenne also das ganze Haus Israel: Gott hat ihn zum Herrn und Messias gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt." (Apg 2, 36) Ähnlich die alte urchristliche Bekenntnisformel zu Jesus, "der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten." (Röm 1, 3f) C. Jesus - der SOHN GOTTES Der Inhalt der (judenchristlichen) Messias-Vorstellung verbindet sich (in den heidenchristlichen Gemeinden) mit der Sohn-Gottes-Vorstellung. Dabei begegnen AszendenzChristologie (Auferstehung / Erhöhung) und Deszendenz-Christologie (Selbsterniedrigung und Menschwerdung) nebeneinander. ASZENDENZ-CHRISTOLOGIE 1. Einsetzung Jesu zum "SOHN GOTTES" ("Inthronisationsritual") mit (=seit) der Auferweckung. (Siehe oben Apg 2, 36; Röm 1, 3f) 2. Der historische Jesus wird schon zu Beginn seines öffentlichen Wirkens von Gott als "geliebter Sohn" erwählt (Mk 1,11) und zeigt seine Macht (über das Böse, die Natur, Krankheiten) 3. Akzentverlagerung in den Vor-/ Kindheitsgeschichten: Jesus ist schon von Anfang an (wesenhaft) Sohn Gottes, weil "empfangen durch den Hl. Geist". DESZENDENZ-CHRISTOLOGIE 1. Das AT kennt die Präexistenz der personifierten WEISHEIT: Sie ist vor aller Schöpfung erschaffen und hat als Gottes Throngenossin Anteil an der göttlichen Natur (Weish 7, 22 ff) und an der Erschaffung der Welt. 2. Johannes greift diesen Gedanken der Präexistenz in der Rede vom LOGOS ("Wort") auf: Das Wort war bei Gott... Alles ist durch das Wort geworden... Und das Wort ist Fleisch geworden. (Joh 1=Prolog) 3. Paulus zitiert den sehr alten CHRISTUS-Hymnus: Er war Gott gleich, entäußerte sich aber und wurde den Menschen gleich... Er erniedrigte sich und ward gehorsam... (Phil 2,6) 128 C 1. Sohn / Söhne des "ABBA" Die Entwicklung und Ausfaltung des Titels "Sohn Gottes" wird überlagert durch die absolut gebrauchte Rede vom SOHN und dessen vertrautem Verhältnis zu seinem himmlischen Vater (Abba=Papa) "Sohn" hat hier einen weit intimeren und persönlicheren Klang als das majestätische "Sohn Gottes". Nur an 3 Stellen des NTs ist davon die Rede: 1. Mk 14, 36: Jesus ist der Sohn in der völligen Unterwerfung unter den Willen seines himmlischen Abba. 2. Nach Paulus sind wir alle (!) Söhne dieses Abba: Röm 8,15: "Wenn der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er ... auch euren sterblichen Leib lebendig machen... Ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater... Wir sind Erben Gottes und Miterben Christi." Gal 4,4-7: "Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn..., damit wir die Sohnschaft erlangen. Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater... Bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott." C 2. Der "EINGEBORENE" Sohn Gottes Schon früh wurde es notwendig, die Einzigartigkeit der Sohnschaft Jesu im Vergleich zu uns Menschen aufzuzeigen: 1. Paulus nennt ihn Gottes "eigenen" Sohn. (Röm 8, 32) 2. Mk 1, 11 u.ö. wird Jesus der "geliebte" Sohn des Vaters genannt. 3. Nach Joh (1,14; 3,16.18) ist Jesus der "eingeborene, einziggeborene" Sohn Gottes, wir hingegen "Kinder" Gottes. Und weil Gott alles mit seinem "einziggeborenen" Sohn teilt, kann dieser uns von seinem Vater Mitteilung machen. Denn niemand kennt den Vater ausser der Sohn. Damit wird aus der Funktionsaussage (Rettender Messias, Sohn Gottes, Erlöser, Kyrios) eine Wesensaussage (Ewiger Sohn des ewigen Vaters) 4. Konzil von Nicäa (325): Ausdeutung und Präzisierung dieses Verständnisses im Glaubensbekenntnis: "Wir glauben... an den einen HERRN Jesus CHRISTUS, den SOHN GOTTES, als EINZIGGEBORENER gezeugt vom Vater, d. h. aus der WESENHEIT des Vaters, Gott von Gott, Licht vom Lichte, WAHRER GOTT VOM WAHREN GOTT, gezeugt, nicht geschaffen, EINES WESENS MIT DEM VATER." 129 JESUS - EIN PROPHET? Wenn im Folgenden Jesus in seiner prophetischen Mission in den Mittelpunkt gestellt wird, so steht damit seine Göttlichkeit, wie sie in der Verklärungsszene blitzlichtartig zur Erscheinung kommt, völlig ausser Zweifel. Auf sie nimmt Paulus (Phil 3, 21) Bezug, wenn er von Jesus Christus als dem Herrn und Retter spricht, "der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes." A) JESUS ALS PROPHET DER ENDZEIT Jesus v. Nazareth hat in seinem dreifachen Amt als Priester, Prophet und König die messianische Hoffnung Israels erfüllt (Katech. 436) Viele seiner Zeitgenossen sahen ihn in einer Linie mit den großen Prophetengestalten ihres Volkes mit Elija, Jeremia und zuletzt Johannes dem Täufer, deren Botschaft in einer KRITIK an den jeweiligen religiösen, sozialen und politischen Missständen ihrer Zeit ebenso wie im Ruf nach einer UMKEHR DER HERZEN bestand. Der in der Verklärungsszene genannte Mose war nicht nur (Mitte 13. Jh. v.) der große politische Führer der Israeliten aus dem Weg in die Freiheit und der Gesetzgeber auf Sinai, sondern auch und vor allem der große, unvergleichliche Prophet in Israel, denn "ihn hat der Herr Auge in Auge berufen." (Dtn 34,10) Elija war der größte Prophet im Nordreich des 9. Jhs v. Chr. Er trat kompromisslos für die ausschließliche Jahwe-Verehrung ein, war ein machtvoller Wundertäter und Mann Gottes wie Mose. Nach seiner Entrückung - "er fuhr im Wirbelsturm zum Himmel empor" (2 Kön 11) - erwartete man im Spätjudentum seine Wiederkunft für das Ende der Zeit: "Bevor aber der Tag des Herrn kommt, der große und furchtbare Tag, seht, da sende ich zu euch den Propheten Elija. Er wird das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden, und das Herz der Söhne ihren Vätern." (Mal 3,23 f) Lukas schließt die Verklärungsszene an die Naherwartungsaussage Jesu an: "Von denen, die hier stehen, werden einige den Tod nicht erleiden, bis sie das Reich Gottes gesehen haben." (Lk 9, 27) So gesehen kann es nicht überraschen, dass gerade Jesus angesichts seiner Botschaft und seiner Wundertaten (vgl. Lk 7, 11ff) als der für die Endzeit angekündigte Prophet gesehen wurde, von dem schon Mose in seinem Testament (Dtn 18, 15) gesagt hat: "Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, aus deiner Mitte, unter deinen Brüdern, erstehen lassen. Auf ihn sollt ihr hören." In eben dieser Weise erklingt bei der Verklärung Jesu die Stimme aus der Wolke: "Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören." Und Petrus und Stephanus verkünden in ihren Predigten (Apg 3,22; 7,37) unter Bezugnahme auf die MoseVerheißung eben diesen Jesus v. N. als den angekündigten Propheten der Endzeit. Für Jesus selbst ist Johannes der wiedererstandene Elija, "aber sie haben ihn nicht erkannt, sondern mit ihm gemacht, was sie wollten. Ebenso wird auch der Menschensohn durch sie leiden müssen" (Mt 17,12 f), dem aber in den Evangelien nur die Rolle eines Vorläufers des Messias zugemessen wird. Wie viele der Propheten trat auch Jesus selbst als Kritiker und Mahner auf und erlebte dasselbe Schicksal, "als Prophet in der eigenen Heimat" keine Anerkennung zu finden. Eine Bestätigung dieser Einstufung Jesu bringt die Verklärungsszene, bei der die für die Juden größten aller Propheten - Mose und Elija - das Prophetenschicksal Jesu (seinen Tod in Jerusalem) besprechen. Und er wandert denn auch bewusst nach Judäa mit der Begründung: "Ein Prophet darf nirgendwo anders als in Jerusalem umkommen." (Lk 13, 33) 130 B) DIE KRITIK JESU Jesus wollte keine neue LEHRE verkünden: "Denkt nicht, ich bin gekommen, um das Gesetz (die Thora der Juden) und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen." (Mt 5,17) Als einer der Schriftgelehrten ihn nach dem ersten aller Gebote fragte, antwortete er mit dem jüdischen Glaubensbekenntnis "Höre Israel". (Mk 12, 29) Seine Kritik galt 1. der damaligen GLAUBENSPRAXIS, und sie war so radikal, dass sie nicht nur sein typisches Prophetenschicklsal - den gewaltsamen Tod - besiegelte, sondern schließlich sogar Wurzelboden einer neuen Religion wurde... Die praktische Umsetzung, d. h. ein dem Willen Gottes entsprechendes "LEBEN IN GERECHTIGKEIT" dagegen war der Punkt, an dem Jesu Kritik am Verhalten seiner Zeitgenossen (in späterer Zuspitzung: der Pharisäer) sich entzündete. Mit Blickrichtung auf die Gesetzeslehrer sagt Jesus denn auch ausdrücklich: "Tut und befolgt alles, was sie euch sagen" (Lehre), schränkt aber sofort ein: "Aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun." (Mt 23,3) Hier muss - zur Ehrenrettung der Pharisäer - gesagt werden, dass in der Überlieferungsgeschichte bisweilen zu Unrecht alle fragwürdigen und scheinheiligen Grundhaltungen auf die Gruppe der Pharisäer übertragen wurde. Trotz mancher Fehler zeichnete sie ein großer religiöser Ernst aus: Freiwilliges Fasten zweimal in der Woche und 10 % des Einkommens als Spenden zu geben, verlangt Respekt, und Jesus zeichnet mit der Geschichte vom Pharisäer und Zöllner im Tempel durchaus keine Karikatur eines Pharisäers. Auch das Dankgebet, in das ein Pharisäer alles fasste, was sein Leben bestimmte und ausfüllte, war aufrichtig. Die Aussage der Geschichte zielt auf den Zöllner ab, der bereut, und weniger auf den (frommen) Pharisäer, wie auch die Geschichte von den beiden Söhnen den verlorenen und nicht den älteren ins Blickfeld rückt, jene von den Schafen das verlorene und nicht die 99 braven. 2. Sie galt ferner der SELBSTGERECHTIGKEIT (samt Hochmut den anderen gegenüber) und der Heilsgewissheit vieler seiner Zeitgenossen, gestützt auf die beiden Pfeiler EIGENES VERDIENST und GLIED DES AUSERWÄHLTEN VOLKES. Der SELBSTGERECHTIGKEIT begegnete Jesus mit einer Reihe von Geschichten, in denen er den Pharisäern und Schriftlehrten Zöllner und Prostituierte zum Vorbild gibt, "die eher in das Reich Gottes gelangen" (Mt 21, 31); die Priester und Leviten, die sich von den verachteten Samaritanern beschämen lassen müssen. Und dem STOLZ, "wir haben ja Abraham zum Vater" (Mt 3,9), kontert Jesus: ""Wenn ihr Kinder Abrahams wäret, würdet ihr so handeln wie Abraham". (Joh 8, 39) C) DIE BOTSCHAFT JESU Nicht bloße ÄUSSERLICHKEIT der Gesetzestreue, sondern METANOIA, d. h. echte INNERE UMKEHR! Ein Schlüsselwort für diese innere Haltung eines Menschen ist das "HERZ" und für das äußere Tun die "BARM-HERZIGKEIT" (miseri-cordia = ein HERZ für die Unglücklichen haben). Und Jesus weiß sich hier in guter prophetischer Tradition etwa des Ezechiel (11,19), von dem das schöne Wort stammt: "Ich nehme das Herz von Stein aus ihrer 131 Brust und gebe ihnen ein Herz von Fleisch." Oder - in der Endzeitrede Jesu über die Werke der Barmherzigkeit wiederkehrend - mit dem "Fastenhirtenbrief" des Propheten Jesaja (58,7): "Das ist ein Fasten, wie ich es liebe, die Versklavten freizulassen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden" usw. Die Botschaft Jesu anhand von Beispielen: - Liebe zu Gott kann sich nicht auf äußere Formen von Gebet und Opfer beschränken; gefordert ist vielmehr: "Du sollst den Herrn, Deinen Gott, lieben mit ganzem HERZEN, mit ganzer Seele und mit all Deinen Gedanken." (Mt 22, 37) - Ein äußerlich vollzogener Reinigungsritus ist zu wenig, selig sind diejenigen, die ein "reines HERZ" haben, denn sie werden Gott schauen. (Mt 5) - Ein äußeres Opfer darzubringen am Altar bringt nichts, wenn nicht zuvor die (innere) Bereitschaft vorhanden ist, "seinem Bruder von ganzem HERZEN" zu vergeben. (Mt 18,35) Nächstenliebe wiegt weit mehr als alle Opfer (Mk 12, 28-33), wie schon der Prophet Hosea (6,6) gesagt hat. Demgemäß ist ein äußeres Handeln im Widerspruch zur inneren Gesinnung nichts anderes als eine Schein-Gerechtigkeit (Scheinheiligkeit), erbärmliche Heuchelei: "Ihr redet den Menschen ein, dass ihr gerecht seid; aber Gott kennt euer HERZ." (Lk 16,15) Aus diesem Grund sollten das Almosengeben, das Beten und Fasten vor der Öffentlichkeit "verborgen" bleiben. (Mt 6) - Nicht nur der vollzogene Ehebruch, sondern "lüsternes Ansehen einer Frau" ist bereits "Ehebruch im HERZEN". (Mt 5,28) "Denn von INNEN, aus dem HERZEN der Menschen, kommen die bösen Gedanken..." (Mk 7,21) D) PROPHET DES JUDENTUMS ODER STIFTER EINER NEUEN RELIGION? Jesus war mit Herz und Seele gläubiger Jude, der sich in guter prohetischer Tradition zuerst und ausschließlich an sein eigenes Volk wandte. Eine heidnische Frau, die ihn bat, aus ihrer Tochter einen bösen Dämon auszutreiben, wies er daher schroff zurück mit den Worten: "Es ist nicht recht, das Brot den Kinden wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen." (Mk 7, 27) Und der ursprüngliche Auftrag an seine Jünger lautete daher auch ganz eindeutig: "Geht nicht zu den Heiden, sondern zu den verlorenen Schafen Israels." (Mt 10) Erst nach dem Scheitern dieser seiner prophetischen Mission ("Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten, die zu Dir gesandt sind. Wie oft wollte ich Deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt, aber ihr habt nicht gewollt." Mt 23, 37) kommt es zur Hinwendung zu den Heiden, die ihren deutlichsten Ausdruck im nachösterlichen Misssionsauftrag findet: "Macht alle Menschen zu meinen Jüngern." (Mt 28, 19) 132 KERNTHEMEN DER PAULINISCHEN THEOLOGIE 1 . Lebensgeschichtlicher Hintergrund seines Denkens: a. Geistige Herkunft: Paulus entstammt dem hellenistischen Judentum. Er wurde ca 5 n. Chr. in Tarsus (Kilikien) geboren. In Kleinasien lebte eine starke Judengemeinde, die sich der griechischen Sprache bediente und die griechische Bibel las. Zum Stamm Benjamin gehörig und stolz, ein Hebräer unter Hebräern zu sein, lebte Paulus streng nach dem Gesetz. (Phil 3,5) Er erlernte das Handwerk eines Zeltmachers (Webers, Tuchmachers), das er auch während der Reisen ausübte, um niemandem zur Last zu fallen. Wie viele andere führte auch er einen Doppelnamen, indem er seinen jüdischen Namen SAUL in der hellenistisch-römischen Umgebung durch den ähnlich klingenden Namen PAULUS ersetzte. (Keine Namensänderung aufgrund der Bekehrung!) Da es pharisäische Gruppen in der Diaspora kaum gegeben haben dürfte, scheint er nach Palästina gegangen zu sein, um Mitglied dieser religiösen Gruppierung zu werden. (Lehrer Gamaliel Apg 22,3) "In der Treue zum jüdischen Gesetz übertraf ich die meisten Altersgenossen in meinem Volk, und mit dem größten Eifer setzte ich mich für die Überlieferungen meiner Väter ein." (Gal 1, 14) Ca 33 n. Chr. erste Erwähnung bei der Steinigung des Stephanus - "er war mit dem Mord einverstanden." (Apg 8,1a) "Saulus versuchte die Kirche zu vernichten, drang in die Häuser ein, schleppte Männer und Frauen fort und lieferte sie ins Gefängnis ein." (Apg 8,3) Ja "er wütete mit Drohung und Mord (!) gegen die Jünger des Herrn." (Apg 9,1) Während der Verfolgung der aus Jerusalem flüchtenden Christen Bekehrungserlebnis vor Damaskus (Gal 2,15; Apg 9,3ff; Apg 22,6ff; Apg 26,13ff); Taufe und Aufenthalt in Arabien (Wüste). Ursache seiner Bekehrung war daher nicht etwa (in Analogie zu M. Luthers Weg) die immer drückender empfundene "Last des Gesetzes" eines stets fordernden (und den Menschen überfordernden) Gottes, sondern die gnadenhafte Offenbarung durch seinen Sohn, die ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf: "Als Letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der "Missgeburt". Denn ich bin der Geringste von den Aposteln; ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe." (1 Kor 15, 8f) - 45/46 - 48/49 n. Chr. 1. Missionsreise (Zypern, Inneres von Kleinasien) 49 n. Chr. Teilnahme am Apostelkonzil in Jerusalem und Zusammenstoß mit Petrus, dem er "in Gegenwart aller" Unaufrichtigkeit und Heuchelei im Umgang mit Juden bzw. Heiden vorwarf. (Gal 2,11ff) - 50 - 52/53 n. Chr. 2. Missionsreise (Querung Kleinsasiens, europäisches Festland bei Philippi, Thessaloniki, Athen, Korinth, Ephesus) - 53/54 - 58 n. Chr. 3. Missionsreise (ähnlich der 2.) - 60/61 n. Chr. Gefangenschaftsreise nach Rom (Seesturm, nach neueren Erkenntnissen Strandung des Schiffes nicht auf Malta, sondern an einer der W-Küste Griechenlands vorgelagerten kleinen Insel; schließlich Hausarrest in einer Wohnung in Rom); Plan einer Missionsreise nach Spanien (Röm 15,24); 64 (67) n. Chr. Hinrichtung durch das Schwert. b. Persönlichkeit: Scharfsinniger Denker und glänzender Stilist, aber stümperhafter Redner (2 Kor 10,1.10f; 11,5f) Gewiegter Taktiker, der "allen alles" wird. (1 Kor 9,19-23) 133 Fanatischer Eiferer - des strengen Judentums wie auch der Christusnachfolge "Alpha-Huhn", das ständig treu ergebene Menschen um sich brauchte? "Egozentriker", der nur von sich selbst spricht? c. Quellen seiner Missionspredigt: Auf der einen Seite weist er darauf hin, dass er ohne jede Vermittlung von Menschen zum Apostel berufen worden sei (Gal 1,1) und dass das Evangelium, das er verkündet, nicht von Menschen stammt (Gal 1,11): "Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen oder gelernt, sondern durch Offenbarung Jesu Christi." (Gal 1,12) Erst 3 Jahre (!) nach seiner Bekehrung besuchte er für zwei Wochen Jerusalem, um Petrus (Kephas) kennenzulernen (Gal 1, 18), um dann nach weiteren 14 Jahren zur Urgemeinde zu kommen, um am "Apostelkonzil" teilzunehmen. (Gal 1, 18) Auf der anderen Seite gibt es in seiner Predigt - (mündlich geformte) Traditionsstücke, die er selber übernommen hat und den Gemeinden weitergibt: "Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe..." (Abendmahlsworte 1 Kor 11, 23) "Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe..." (Tod und Auferstehung Jesu) - einzelne "Herrenworte", die er direkt zitiert: Das Verbot der Ehescheidung (1 Kor 7, l0f); den Predigeranspruch auf Unterhalt (1 Kor 9, 14); die Ereignisse der Endzeit. (1 Thess 4, 15f) - indirekte Zitate von Herrenworten: Böses nicht mit Bösem zu vergelten (Röm 12, 17) und die Verfolger zu segnen (Röm 12, 14) nach der Bergpredigt (Mt 5, 44f); den Nächsten zu lieben wie sich selbst und die Liebe als Erfüllung des Gesetzes (Röm 13, 8ff) nach dem Doppelgebot Jesu u. a. d. Missionsstil: Wie vorher als fanatischer Anhänger des Gesetzes (der Thora), so wurde er nunmehr schlagartig zum begeisterten Verkünder des Evangeliums von der gnadenhaften Zuwendung Gottes in der Offenbarung seines Sohnes, des "Herrn Jesus Christus". Die Bekehrung beinhaltete für ihn zugleich die Beauftragung zum "Apostel der Völker" (und nicht mehr des auserwählten Volkes allein). Predigten zunächst in der jeweiligen Synagoge; ansonsten Gespräche in Privathäusern; Diskussionen auf öffentlichen Plätzen. Vorwiegend die unteren Volksschichten als Zielgruppe, aber manchmal auch Bekehrung einflussreicher Persönlichkeiten wie des Prokonsuls Sergius Paulus. (Apg 13,7) Gezielte Mitarbeiterschulung (52 Männer und 11 Frauen sind namentlich bekannt) und ihre Beauftragung als verantwortliche Leiter der Gemeinde. Absicherung durch gelegentliche Besuche und durch Briefe. Wann und von wem die christliche Gemeinde in Rom gegründet worden ist, ist nicht bekannt, doch lebte dort das Ehepaar "Andronikus und Junia (Frau!), die zu meinem Volk gehören und mit mir zusammen im Gefängnis waren; sie sind angesehene Apostel (!) und haben sich schon vor mir (!) zu Christus bekannt." (Röm 16,7) 2. Der Inhalt seiner Predigt: a. KREUZ UND AUFERSTEHUNG CHRISTI_ Sie stehen im Zentrum der paulinischen Predigt, wobei er das Evangelium "nicht mit gewandten und klugen Worten" verkünden will: "Hat nicht Gott die Weisheit der Welt als 134 Torheit entlarvt? Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloss Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkünden Christus, den Gekreuzigten, für die Juden ein empörendes Ärgernis, für die Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit." (1 Kor 1, 20-24) Die speziell jüdische Polemik gegen das Kreuz und Jesu Messiasanspruch ("Verflucht ist jeder, der am Holz hängt" Dtn 21, 23) verschärft Paulus, indem er nicht von einem Verfluchten spricht, sondern sagt, Christus sei für uns zum Fluch schlechthin geworden (Gal 3, 13), indem er auf sich genommen habe, was uns alle hätte treffen müssen. b. ERLÖSUNG: Wenn Paulus "Jesus Christus, den Gekreuzigten" (1 Kor 2,2) verkündigt, dann ist dies nicht im Sinne einer Blut- und Wunden-Mystik seiner Passion zu verstehen, sondern als Proklamation des Gekreuzigten, der allein Grund unseres Heils ist. (Ga13, 1-5) "Gott hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren." (Röm 5, 8) "Denn dazu ist Christus gestorben und auferstanden, dass er über Tote und Lebende Herr (Kyrios) sei." (Röm 14, 9) Um das Heilsgeschehen zu verdeutlichen, bedient sich Paulus verschiedener Bilder: Jesu Tod als Sühnopfer, das die Sündenschuld der Menschheit tilgt Jesus hat durch sein (Opfer-)Blut die Schuld der Menschen abgewaschen Durch Jesu vergossenes Blut wurde ein n e u e r B u n d besiegelt Jesus ist das neue, wahre Paschalamm, das geschlachtet wurde Jesus ist der (wie Isaak) vom Vater dahingegebene Sohn Jesu Blut und Leben sind der Lösepreis für den Loskauf der Menschheit aus der Macht des Bösen Jesus ist der 2. Adam, der Gott gehorsam war bis in den Tod c. GESETZ UND EVANGELIUM: Als Apostel für Juden und Heiden gleichermaßen vergleicht Paulus das Gesetz, das Gott seinem erwählten Volk mit auf den Weg gegeben hat, mit dem jedem Menschen eigenem Gewissen: "Wenn die Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist. Ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab, ihre Gedanken klagen sich gegenseitig an und verteidigen sich." (Röm 2, 14f) Seine Glaubensbrüder aber haben das Gesetz dazu braucht, sich selbst (durch strengste Beachtung) vor Gott zu rechtfertigen: "Heiden, die die Gerechtigkeit nicht erstrebten, haben Gerechtigkeit empfangen, die Gerechtigkeit aus Glauben. Israel aber, das nach dem Gesetz der Gerechtigkeit strebte, hat das Gesetz verfehlt. Warum? Weil es ihm nicht um Gerechtigkeit aus Glauben, sondern um die Gerechtigkeit aus Werken ging." (Röm 9, 30 f) "Da sie die Gerechtigkeit Gottes verkannten und ihre eigene aufrichten wollten, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen." (Röm 10, 3) Wie wenig selbst die Thora ausrichtet, zeigt der Tod Jesu, der ja mit Berufung gerade darauf besiegelt wurde. Seitdem hat das mosaische Gesetz für Paulus seinen Sinn verloren. An dessen Stelle tritt nun das Evangelium Jesu Christi, die Frohe Botschaft von der kostenlosen und unbegrenzten Zuneigung Gottes zu allen Menschen, auch den Sündern, die Buße tun und umkehren. 135 d. CHRISTLICHES LEBEN AUS DEM GLAUBEN: Glaube und Taufe vermitteln nicht schlagartig und automatisch das Heil, die durch (Erb-) Schuld erzeugten Verhältnisse (Gewohnheiten, Schwächen, Widersprüchlichkeiten und Versuchungen) sind damit nicht aus der Welt geschafft. Der Glaube an Jesus Christus vertieft die Erkenntnis des Guten und verfeinert sozusagen den "Geschmack" daran, sodass aus der tiefen inneren Überzeugung notwendigerweise das glaubwürdige Zeugnis des Lebens entspringt: "Wir ...wollen nüchtern sein und uns rüsten mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil." (1 Thess 5, 8) "Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe. Jagt der Liebe nach!" (1 Kor 13, 13 f) Näherhin zeigt sich das von Paulus Gemeinte in den Formulierungen - "in Christus" (1 Kor 15, 22): Nicht im Sinne einer mystischen Vereinigung verstanden, sondern als Zugehörigkeit zum Herrschaftsbereich Christi. Durch die Taufe "auf Christus Jesus" (Röm 6,3) wird der Mensch in den Leib Christi (Kirche) eingefügt und ist damit grundsätzlich der Gewalt von Sünde, Gesetz und Tod entrissen. Paulus greift eine antike Vorstellung auf und vergleicht die Kirche mit dem menschlichen Leib: Jedes Glied hat seine ihm eigenen Fähigkeiten und Aufgaben, über allen aber ist Christus als das Haupt dieses Leibes. (1 Kor 12, 12-27) In der Eucharistiefeier gewinnt diese Glaubensgemeinschaft ihren intensivsten Ausdruck (1Kor 10, 16 f), wobei Paulus in Kritik der Missstände in Korinth eine Trennung von Sättigungsmahl und Herrenmahl moniert. (1 Kor 11, 33) - "im Geist" (Röm 8, 9): Nicht im Sinne eines ekstatischen Zustandes bzw. der hellenistischen Vorstellung der göttlichen Substanz als einem dinglichen Stoff, sondern als eine den Gliedern der Gemeinde geschenkte Gabe Gottes. Der Geist ist die den christlichen Lebenswandel bestimmende Norm im Gegensatz zum Fleisch als Inbegriff der Eigenmächtigkeit des Menschen. Fleisch und Geist aber stehen im Kampf miteinander: "Das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, sodass ihr nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt." (Gal 5, 17) In einem sog. Lasterkatalog stellt Paulus den Werken des Fleisches die Früchte des Geistes gegenüber (Gal 5, 19-23) und fasst zusammen: "Alle, die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt. Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen." (Gal 5, 24 f) Und von sich selbst kann er daher sagen: "Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir." (Gal 2, 19 f) e. AUFERSTEHUNG DER TOTEN: Weil Christus selbst aus dem Tod erweckt wurde, werden auch die, die zu ihm gehören, auferstehen. "Denn Gott hat den Kyrios auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft." (1 Kor 6, 14) Den Zweiflern an einer Auferstehung in Korinth hält er entgegen: "Wenn es keine Auferstehung von den Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos." (1 Kor 15, 13 f) Paulus hat dabei nicht einen neugeschaffenen Leib vor Augen, sondern einen verklärten, verwandelten: Wie Samenkorn und Frucht grundverschieden und doch identisch seien, so sei es auch mit dem Auferstehungsleib: "Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib." (1 Kor 15, 44) Spekulationen über kosmische Katastrophen als Vorboten des Endes der Zeiten und über den Anbruch einer neuen Welt fehlen. 136 APOKRYPHE NTL. SCHRIFTEN A. BEGRIFF UND BEDEUTUNG: Wie beim AT entstanden im Laufe der Zeit (2.-4. Jh.) auch in Anlehnung an das NT sog. "Geheimschriften" (griech. apokryptein= verbergen), die ähnlich heutigen "Exklusivberichten" Dinge zu wissen vorgeben, die in den anerkannten (kanonischen) Schriften nicht vorkommen, wie etwa die näheren Umstände der Geburt Jesu, die Ereignisse in Ägypten, verschiedene Wunder des kleinen Jesusknaben, Details des Auferstehungsereignisses u. a. m. Um ihre Seriosität zu unterstreichen, wurde eine urchristliche Autorität als Verfasser vorgeschoben (Jesus, Maria, Petrus, Jakobus, Thomas, Paulus, Nikodemus u. a.) Nach Abschluss des Kanons (um 400 n.) wurden sie in den Privatgebrauch zurückgedrängt und konnten nur noch heimlich gelesen und weiterverbreitet werden. B. ARTEN: Die ntl. Apokryphen führen im wesentlichen die bekannten Formen und Gattungen fort: 1. Apokryphe Evangelien: a. Agrapha (griech. "Ungeschriebenes"): Es handelt sich dabei um Jesusworte, die teils ausserhalb der Evangelien überliefert sind ("Geben ist seliger als Nehmen" Apg 20,35; vgl. auch 1 Thess 4,15 ff), teils bei Kirchenvätern oder in Apokryphen zitiert werden ("Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe"; "Die Welt ist eine Brücke. Geh über sie hinüber, aber lass dich auf ihr nicht nieder" u. a.) b. Protoevangelium des Jakobus: Legenden um Maria und um die Geburt Jesu ("Mariologisches Evangelium"), das trotz eines Verbots im 6. Jh. starken Einfluss auf die Volksfrömmigkeit ausübte. c. Kindheitserzählung des Thomas: Sie bringt eine Reihe von Geschichten über den Knaben Jesus zwischen seinem 5. und 12. Lebensjahr (Heilungswunder, Totenerweckungen, Schulerlebnisse u. a.) und war eines der weitestverbreiteten Evangelien (griech., lat.,syr.,äthiop., georg. und altslaw. Versionen) d. Thomasevangelium : Die einzige vollständig erhaltene apokr. Schrift, die 1945 zusammen mit anderen koptischen Handschriften in Nag Hammadi gefunden wurde. Sie enthält nur Worte Jesu (114 Logien, einige davon auch bei den Synoptikern), u. a. unbekannte Seligpreisungen ("Selig die Einsamen und die Auserwählten"; "Selig, wer am Anfang stehen wird" u. a.) e. Petrusevangelium: Es wurde im 19. Jh. in Oberägyten im Grab eines christl. Mönchs entdeckt und ist nur in Fragmenten erhalten (Prozess, Tod und Auferstehung Jesu "aus der Nähe" geschildert…) 2. Apokryphe Apostelgeschichten: Da das Wesentliche des christl. Glaubens hier weniger berührt wird, wurden sie von der Kirche eher toleriert. Ihre Überlieferung ist daher auch verlässlicher als bei den apokr. Evangelien. Sie enthalten Erzählungen über Wundertaten bedeutender Persönlichkeiten, Reiseberichte (meist der Apostel) sowie die Predigt der christlichen Lehre. Von den 5 großen Apostelakten (Petrusakten, Paulusakten, Andreasakten, Johannesakten, Thomasakten) ist nur jene des Thomas vollständig erhalten. 137 3. Apokryphe Briefe: a.Briefwechsel zwischen dem kranken König Abgar V. von Edessa und Jesus (Einladung, der Jesus aber nicht nachkommen kann und stattdessen einen Schüler schickt, um den König zu heilen.) b.Brief des Pilatus an Tiberius c.Rundschreiben der 11 Apostel (über Gespräche mit Jesus zwischen Auferstehung und Himmelfahrt) u. a. 4. Apokalyptische Schriften: a. Die Offenbarung des Petrus (u. a. genaue Schilderung der Höllenstrafen) b. Die Offenbarung des Bartholomäus u. a. C. CHARAKTER: I. Mit den kanon. Schriften im großen und ganzen konformes Traditionsgut: 1. Einige Apokryphen greifen eindeutig Themen der Synoptiker auf bzw. benützen eine mit ihnen gemeinsame Quelle: - Manche Texte stimmen weitestgehend überein: So etwa die Erzählung von den Weisen aus dem Osten im JakEv; die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus in der Kindheitserzählung des Thomas u. a. - Andere entfalten einzelne Details: Erwählung, Kindheit und Jungfräulichkeit Marias, Art der Josephsehe, Weisheit des Knaben, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu. - Bisweilen verändern sie aber auch (in offensichtlich mündlicher Erzählung) das Traditionsgut, sodass bekannte Motive in veränderter Form wiederkehren1. - Wieder andere Varianten verraten ein theologisches Interesse.2 2. Eine zweite Gruppe kann als reine Erbauungsliteratur bezeichnet werden, die volkstümlichphantasievoll Lücken in der Lebensgeschichte Jesu schließen will: - Diese Texte sind teils Produkte kombinatorischen Denkens: Wunder, Weisheit, Sabbatstreit etc. werden vorverlegt in die Kindheit - "Ich bin immer vollkommen gewesen und bin es auch jetzt" - bzw. mit typisch kindlichen Erlebnissen in der Familie, in der Schule, beim Spielen, und bei Auseinandersetzungen mit Altersgenossen aufgefüllt; wiederholt begegnet hier auch ein lachender Jesusknabe; - teils verarbeiten sie Motive zeitgenössischer Unterhaltungsliteratur3. 1Nach dem Besuch der 3 Weisen lässt Herodes Jesus sowie auch Johannes als Thronrivalen suchen: Maria versteckt Jesus in einer Ochsenkrippe unter Windeln, Elisabeth aber flieht mit Johannes ins Gebirge, um ihn zu verstecken; dem reuigen Verbrecher werden zur Strafe für sein Bekenntnis die Beine nicht gebrochen, um seinen Todeskampf zu verlängern... 2Jesu Wort am Kreuz "Mein Gott,mein Gott, warum hast Du mich verlassen" wird im Petrus-Ev. verändert zu "Meine Kraft, oh Kraft, du hast mich verlassen". 138 Vor allem diese Texte haben Volksfrömmigkeit und Brauchtum, Literatur und Kunst vieler Jahrhunderte nachhaltig beieinflusst. In ihnen finden sich z. B. Joachim u. Anna als Eltern Marias, der Hinweis auf den Witwer Joseph, Ochs und Esel an der Krippe, die Namen der 3 Könige, Erlebnisse der Hl. Familie auf der Flucht nach Ägypten4, die Erzählung vom Tod Elisabeths und dem tröstenden Beistand Jesu und seiner Mutter für Johannes, die Petruslegende ("Quo vadis"), die Paulus-Mission in Spanien und sein Martyrium, die ThomasMission in Indien... 3. Eine dritte Gruppe bilden gnostisch gefärbte Schriften, die mit Offenbarungsworten Jesu Weisheit und Erkenntnis (griech. Gnosis) vermitteln wollen. (Vgl. etwa das Rundschreiben der 11 Apostel, das ähnlich dem Joh.-Ev. gnostisches Denken erkennen lässt. Die johanneischen Abschiedsreden des histor. Jesus finden hier in den Gesprächen des Auferstandenen mit den Aposteln eine Art Fortsetzung.) II. Grundlegende Unterschiede zu den kanon. Schriften: Die apokryphen Schriften unterscheiden sich von den kanonischen - ihrer Herkunft nach: Entstanden, ausgeschmückt und weitererzählt im christlichen Privatbereich. - ihrer Zielsetzung nach: Kein theolog. Interesse ("Evangelium" als Heilsbotschaft), sondern Unterhaltung und Befriedigung menschlicher Neugier mit volkstümlichen Geschichten.5 Sie machen dabei Unwesentliches zum Thema (z.B. Allegorische Auslegung des Alphabets durch den Jesusknaben) - ihrem Inhalt nach: Sie zeigen oft befremdliche Züge am Jesusbild: Schauwunder6, Strafwunder7, Angst seiner Umgebung vor seiner Unberechenbarkeit u. a. 3Jesus verwandelt spielende Kinder kurzzeitig in kleine Geißlein; die wundersame Wolkenfahrt Jesu, Marias und Salomes zu Johannes d.T; Tiere, die reden können und wunderbar gezähmt werden, Drachen und Menschenfresser usw.. 4Der Säugling Jesus kann stehen und sprechen, ernährt alle mit den Früchten einer Palme, die sich herabneigt, verkürzt auf wunderbare Weise eine 30-Tage-Wanderung auf eine Tagestrecke u. a.m. 5Div. Mirakel und Zaubertricks, etwa ein zu kurz geschnittenes Brett in der Werkstätte des Vaters zu "strecken"... 6Z.B. Totenerweckung zwecks eigener Schuldentlastung, dasselbe als "Show" in einer Spielpause… 7Hier wird die Verfluchung des Feigenbaumes (Mk 11,12ff) vielfältig weitergesponnen: Jesus lässt wegen einer Nichtigkeit einen Knaben verdorren, verflucht in ähnlicher Weise einen Lehrer, der wie tot umfällt u. a. und rechtfertigt diese Taten mit dem Wort. "Ich bin erschienen von oben her, um die, die es verdienen, zu verfluchen, und die anderen nach oben zu rufen.." 139 DAS WERDEN DES NTL. KANONS 1. Allgemeines: Kanon (griech.) heißt Rohrstab, Maßstab, Richtschnur und bedeutet hier das (Aus-)Maß der zur "Heiligen Schrift" zählenden Einzelschriften. Jede religiöse Gemeinschaft sieht sich irgendwann gezwungen, eine Abgrenzung (Eingrenzung und Ausgrenzung) ihrer Schriften vorzunehmen. V. a. zu späteren Legendenbildungen, wie sie in den sog. Apokryphen Schriften zu wuchern begannen, musste auf Distanz gegangen werden. Dies geschah aber nicht durch eine punktuelle Entscheidung (etwa eines Papstes oder eines Konzils), sondern in einem geschichtlichen Prozess. Kriterien für die Auswahl waren - die inhaltliche Übereinstimmung mit dem christlichen Glaubensgut - die (im weiteren Sinn) apostolische Verfasserschaft (inkl. Apostelschüler) - das Ausmaß der Annahme und der Verbreitung durch die Gemeinden. 2. Der Bestand des ntl. Kanons (27 Einzelschriften): - Vier Evangelien und die Apostelgeschichte des Lk - 21 Briefe: Paulinische Briefe (13+1): Authentische Paulinen (1 Thess, Gal, 1/2 Kor, Röm, Phil, Phlm) und Deuteropaulinen (2 Thess, Kol, Eph, 1/2 Tim, Tit) sowie Hebr; Sieben Kath. Briefe (1/2/3 Joh, Jak, 1/2 Petr, Jud) - Die Offenbarung des Joh 3. Geschichte der ntl. Kanonbildung: Als "Heilige Schrift" gilt auch für die urchristlichen Gemeinden zunächst nur das AT. Anders als das Judentum liest die christl. Gemeinde es aber nicht als Gesetz, sondern als Zeugnis für Christus, der das Ende des Gesetzes ist. (vgl. Röm 10,4) Die ntl. Schriften werden zuerst zu Gruppen (Evv., Paulin. Briefe) zusammengefasst und unter den Gemeinden (auch in Abschriften) weitergereicht. (vgl. Kol 4,16) Im 2. Jh. sind jedenfalls (dem Verfasser von 2 Petr 3,15f) die gesammelten Paulinen und (dem Verfasser von Mk 16, 9-20) alle 4 Evangelien bekannt. Zu dieser Zeit (um 140 n.) kommt es zu einem wesentlichen Impuls für die Kanonentwicklung durch den Irrlehrer Marcion, der den paulinischen Gegensatz von Gesetz und Evangelium bis zur völligen Verwerfung des Gesetzes (und des ATs) übersteigerte. Aus antisemit. Grundhaltung heraus ließ er nur das (von allen atl Zitaten gereinigte) Lk-Evangelium und 10 Paulinen (ohne Pastoralbriefe 1/2 Tim, Tit) gelten und erzwang damit eine Reaktion der Großkirche. Um das Jahr 200 n. existierte der sog. Kanon Muratori als anerkanntes Kanonverzeichnis der röm. Gemeinde. (Das Fragment der Schrift wurde 1740 vom Mailänder Bibliothekar Muratori zufällig entdeckt. Es enthält die letzten Worte von Mk (Mt und Mk abgebrochen), Lk, Joh, Apg, Offb, 13 Paulinen und einige kath. Briefe (Hebr, Jak, 1/2 Petr fehlen) in entsprechender Reihenfolge samt jeweiliger kurzer Besprechung. Frühe Kirchenväter- und Kirchenlehrerzitate (Irenäus v.L., Tertullian, Clemens v. A.) bezeugen die bereits relativ scharf gezogenen Grenzen. Endgültig festgelegt ist der Kanon um 400 n. Chr.: - Im Osten: Bischof Athannasius v. Alexandria zählt im 39. Osterfestbrief 367 n. die 27 ntl. Schriften auf. (Offb bleibt hier freilich bis zum MA umstritten.) - Im Westen: Festlegung durch die Synode von Hippo (N-Afrika) Endgültige Fixierung des Kanons in Abgrenzung von den Reformatoren (Reihenfolge nach dem jeweiligen theol. Gewicht der Schrift, z.B. Jak "stroherne Epistel" nach Luther) am Konzil von Trient (1545-1563). 140 NEUTESTAMENTLICHE ZEITSCHICHTE Nach dem erfolgreichen Aufstand gegen die Unterdrückung der hellenistischen Seleukidenherrscher (Rückeroberung Jerusalems und Neueinweihung des Tempels 164 v. Chr.) kam es 142 - 65 v. Chr. zur eigenständigen jüdischen Dynastie der Hasmonäer (bibl. Makkabäer). Aus Anlass von Thronstreitigkeiten zwischen den Brüdern Hyrkanus II. und Aristobul II. rief man die Römer zur Streitbeilegung ins Land. Sie kamen und blieben als Besatzungsmacht und gliederten das bisher selbständige Hasmonäerland ihrer Provinz Syrien an. Die Könige der folgenden Zeit waren damit von der römischen Oberhohheit abhängig... HERODES I. (37 - 4 v. Chr.) NEGATIVA POSITIVA Die Art der Machtübernahme: Sein Vater Antipatros war Berater des letzten Hasmonäerkönigs. Nach dessen Entmachtung floh Herodes nach Rom und wurde vom Senat zum König von Juda ernannt. 39 - 37 v. Chr. eroberte er sich dann mithilfe römischer Truppen "sein" Land... In politischer Hinsicht: Relative Unabhängigkeit von Rom (keine Tributzahlungen, nur außenpolitische Entscheidungen und Todesurteile bedurften einer römischen Bestätigung) Das Misstrauen des Volkes gegen den Emporkömmling: Herodes stammte aus dem erst 128 v. Chr. judaisierten Idumäa (SüdJuda). Als Nicht-Hasmonäer konnte er neben dem Königtum nicht auch das Amt des Hohepriesters bekleiden. In wirtschaftlicher Hinsicht: Geregelte Einziehung von Zöllen und Steuern; geringer Verwaltungsaufwand, Ausbau von Straßen und Häfen, Gründung der Stadt Caesarea ... Reaktion: Fingierter Stammbaum; Heirat der Hasmonäerprinzessin Mariamne; Tempelbau, aber auch ständige Angst vor Entmachtung (Geheimpolizei, Versammlungsverbote...) Ungeordnete bis chaotische Familienverhältnisse: 7 erwachsene Söhne (von 5 Frauen) bemühten sich um seine Nachfolge, drei von ihnen sowie Mariamne ließ er hinrichten, deren Bruder hatte einen "Badeunfall"... In kultureller Hinsicht: In Jerusalem Umbau des 2. Tempels; herodianischer Palast, Burg Antonia u. a.; Begräbnisstätte Herdodion in der Wüste nahe Bethlehem u. a. Unterschiedlichste Beurteilung seiner Regierungszeit: Sie reicht von "Blutherrschaft" bis "Wirkliche Friedenszeit" (Beiname "der Große") ... Ntl. Bezug: Die Sterndeuter aus dem Osten und der Kindermord von Bethlehem (Mt 2) 141 Nach dem Tod Herodes d. Gr. kommt es zur Reichsteilung. (Keiner der Söhne der Hasmonäerprinzessin Mariamne kommt an die Macht.) HERODES ANTIPAS (4 v. – 39. n. Chr.) ARCHELAUS (4 v. – 6 n. Chr.) PHILIPPOS (4. V. – 34 n. Chr.) Mutter: Samaritanerin Maltake Mutter: Samaritanerin Maltake Mutter: Jüdin Kleopatra Herschaftsgebiet: Galiläa, Peräa. Wurde 39 n. wegen Grausamkeiten in die Verbannung geschickt. Haupterbe: Idumäa, Samaria und v. a. Judäa samt Jerusalem. Musste 6 n. wegen besonderer Grausamkeiten in die Verbannung gehen. Sein Gebiet wird prokuratorische Provinz (Sitz in Caesarea) mit relativ großer Selbstständigkeit (Verwaltung und Gerichtsbarkeit durch das Synedrium=Hoher Rat; röm. Militärkommando in der Burg Antonia). Unter der Reihe von Prokuratoren ist der bekannteste Pontius Pilatus (26 – 36. n. Chr.) Herrschaftsgebiet: Ostjordanland. Ein umsichtiger und milder Herrscher. Ntl. Bezug: Wilde Ehe mit Herodias; Stieftochter Salome und Enthauptung des Täufers (Mt 14, 1-12) Ntl. Bezug: Verbindung mit Herodias, jedoch textkritisch unsicher! Ntl. Bezug: Lk 13,1; Mt 27, 11-26 par. Nochmalige Zusammenfassung des gesamten Herrschaftsgebietes unter HERODES AGRIPPA I. Der Enkel Herodes d. Gr. konnte als Günstling Roms Stück für Stück des Herrschaftsgebietes übernehmen, bis er schließlich 41 – 44. N. Chr. das ganze Land als König beherrschte. Ntl. Bezug: Erste Christenverfolgungen ( Hinrichtung Jakobus d. Ä., Verhaftung des Petrus). Er starb unter dramatischen Umständen völlig unerwartet in Caesarea. (Apg 12) Sein unmündiger SOHN HERODES AGRIPPA II. konnte die Nachfolge nicht antreten, daher wurde das Reich 44 – 66 n. Chr. erneut prokuratorische Provinz. (Agrippas Ernennung zum König 53 n. durch Rom war mit nur wenigen Befugnissen verbunden. Vgl. Apg 25, 13 ff) Weiterer Ntl. Bezug: Antonius Felix und Porcius Festus verhören Paulus und schicken ihn nach Rom. (Apg 24, 25) Wegen ziemlich straffer Führung durch die Römer wuchs der Widerstand im Untergrund unter der Führung der Sikarier (Zeloten). 142 DIE WIDERSTANDSBEWEGUNG UND DER JÜDISCHE KRIEG DIE GRUPPE DER ZELOTEN ("Eiferer", rel.) Sikarier (Sica=Krummdolch, polit.) Eine radikale Bewegung mit stark politisch gefärbtem Messianismus, deren Wurzeln bis in die Makkabäerzeit (Hasmonäer-Aufstand) zurückreichen. Die Steuerzahlungen an Rom waren in ihren Augen ein Verrat an ihrem Gott. Ihr Anführer war Judas der Galiläer, wie überhaupt Galiläa ihr wichtigster Stützpunkt war (Apg 5, 37). Apg 21, 37ff spricht von 4.000 Sikariern... Berühmt-berüchtigt ist auch die Schreckensherrschaft des Johannes v. Gischala. Ziel: Vertreibung der römischen Besatzungsmacht aus dem Land Methoden: -zunächst kleinere Störaktionen, dann immer stärkere Radikalisierung: Allgemeine Verunsicherung durch heimtückische Morde mit der "sica", Brandlegungen u. a. - Kampf nicht nur gegen die Römer, sondern auch gegen jene Landsleute, die sich dem Widerstand nicht anschließen wollten. Ntl. Bezug: - Jesus selbst lässt sich politisch nicht vereinnahmen (Mt 22,15 - 22: Steuerfrage; Lk 13, 1ff Hinrichtung einiger Sikarier durch Pilatus) -Andererseits scheint in den Apostellisten (Lk 6,.Apg 1) Simon der Zelot (sonst Simon Kananäus) auf. DER JÜDISCHE KRIEG (66 - 72/73 n. Chr.) Auslösender Faktor: Niedermetzelung einer römischen Kohorte und Machtübernahme der Zeloten in Jerusalem. Als Reaktion darauf in allen röm. Garnisonen auch ausserhalb des Landes Judenpogrome. Der syrische Statthalter versucht - erfolglos - die Rückeroberung der Stadt. Daraufhin Römischer Feldzug: Begonnen von Vespasian und Sohn Titus. Da Vespasian noch vor der Einnahme der Stadt Kaiser des röm. Weltreiches wird, leitet Titus die Belagerung der Stadt (Frühjahr bis Herbst 70 n.). Für die Römer arbeitete der Hunger in der Stadt. (Kämpfe zwischen zwei Zelotenführern, dabei Vernichtung von 3 Vorratsspeichern!) Nach einem Blutbad sondergleichen Zerstörung des herodianischen Tempels bis auf die Grundmauer (Klagemauer). Die Anführer des Aufstands werden samt Tempelbeute (7-armiger gold. Leuchter) 71 n. im Triumphzug nach Rom gebracht. 72/73 n. Chr. Belagerung der Felsenfestung Massada durch die Römer, daraufhin Massenselbstmord der letzten Aufständischen. Folgen des Krieges: - Die Juden haben alle Selbständigkeit verloren) sie müssen überdies Steuern für die röm. Staatsreligion bezahlen. - Verlust des Kultzentrums (Tempel mit Opfern); die Synagoge (Gebetshaus) tritt in den Vordergrund des religiösen Lebens. Letztes Aufflackern des Widerstandes unter Bar Kochba 132 - 135 n. (nach einem Beschneidungsverbot? Oder wegen der geplanten Errichtung eines Jupitertempels an der Stelle des jüd. Tempels?) wird durch den Feldherrn Julius Severus brutal niedergeschlagen. Sanktionen des Kaisers Hadrian: - Colonia Aelia Capitolina als neuer Name für Jerusalem - Umbenennung des Landes in Palästina nach den klass. Erbfeinden ("Philistäa") - Juden war es bei Todessfrafe verboten, ihre Stadt zu betreten. 143 CHRISTENTUM UND JUDENTUM (Kirche und Synagoge) A. ZEIT DER URKIRCHE: 1. Nach der offenen Gegnerschaft zwischen den jüdischen Gesetzeslehrern und Jesus sind die Fronten bereits bestimmt: Zunächst werden Petrus und Johannes vor den Hohen Rat zitiert (Apg 4), dann alle 12 Apostel. (Apg 5) Verhaftung und Steinigung des Stephanus (Verleumdung durch die Juden und Aufwiegeln der Massen Apg 6 f) und Verfolgung der Kirche von Jerusalem (Apg 8). Apg 8,3: "Saulus (als Prototyp des Christenverfolgers) aber versuchte, die Kirche zu vernichten; er drang in die Häuser ein, schleppte Männer und Frauen fort und lieferte sie ins Gefängnis ein." Die Hinrichtung des Jakobus, des Bruders des Johannes, durch König Herodes Agrippa und die Verhaftung des Petrus (Apg 12) führten schließlich zum Rückzug der Judenchristen von der Synagoge und Praktizierung des eigenen christlichen Kults. 2. Zu neuerlichen Konflikten kam es im Zuge der Ausbreitung der jungen Kirche. Nicht genug damit, dass Paulus zum "Verräter der Religion ihrer Väter" geworden war (Apg 9), begann er nun seine Missionierung jeweils zuerst in den Synagogen. Die Störaktionen und Verfolgungen durch seine Volksgenossen führten zu einer ersten scharfen Reaktion seinerseits: 1 Thess 2, 14 ff: "Brüder, ihr seid den Gemeinden Gottes in Judäa gleich geworden, die sich zu Christus Jesus bekennen. Ihr habt von euren Mitbürgern das gleiche erlitten wie jene von den Juden. Diese haben sogar Jesus, den Herrn, und die Propheten getötet; auch uns haben sie verfolgt. Sie missfallen Gott und sind Feinde aller Menschen; sie hindern uns daran, den Heiden das Evangelium zu verkünden und ihnen so das Heil zu bringen." Erst in einer späteren Phase hat Paulus das Verhältnis "Kirche - Synagoge" auch theologisch bewältigt in dem wunderbaren Bild vom Ölbaum. (Röm 11) Das Mt-Ev. bietet den damit angesprochenen Judenchristen bereits Argumentationshilfen gegenüber den Angriffen seitens der Orthodoxen (Tempelsteuer, Grabeswächter u. a.) Und das Joh-Ev. redet schließlich (vor 100 n. Chr.) nur noch undifferenziert von "den Juden" als Jesu Gegnern... Entscheidende Ereignisse zur endgültigen Trennung zwischen Juden und Judenchristen waren - die Synode von Jamnia (historisch nicht belegbar) und - der Aufstand unter Bar Kochba (132-135), den viele Juden für den Messias gehalten haben. B. ZEIT DES RÖMISCHEN REICHES VOR 313 n. Chr.: Juden haben sich an Christenverfolgungen nicht nur nicht beteiligt, sie haben im Gegenteil (in Palästina genauso wie in Kleinasien) den Verfolgten Schutz in ihren Synagogen angeboten: Der um 250 hingerichtete Pionius v. Smyrna freilich warnte davor, das Angebot anzunehmen, zumal die Juden "mit gottlosem Munde Lästerworte vorbringen... Juden wollen euch auf diese Weise vom wahren Glauben abbringen. Nehmt ihre Hilfe nicht an!" 144 Auch der zur selben Zeit gestorbene Origenes beschuldigt die Juden, dass sie die Christen verleumdeten (Unzucht, Kindermord): Gegen Celsus: "(Die Juden) sagten, die Christen opferten ein kleines Kind und äßen sein Fleisch; und wiederum, sie löschten (bei ihren Versammlungen), um Werke der Finsternis zu begehen, die Lichter aus und trieben Unzucht, ein jeder mit der ersten, auf die er stieße." In der Osterpredigt des Meliton v. Sardes (+ vor 190) begegnet erstmals der Vorwurf des Gottesmordes: "Dieser (Jesus) ist getötet worden. Und wo ist er getötet worden? In der Mitte Jerusalems... Ich habe wirklich den Herrn getötet, sagt Israel. Warum? Weil er leiden musste. Du hast dich getäuscht, Israel, da du dies über die Schlachtung des Herrn gedacht hast! Er musste leiden, doch nicht durch dich. Er musste entehrt werden, doch nicht durch dich. Er musste gerichtet werden, doch nicht durch dich. Er musste gehängt werden, doch nicht durch deine Rechte." C. IM RÖMISCHEN REICH NACH 313: Mit der Christianisierung des römischen Reiches kam es zu einer neuerlichen Verhärtung der Fronten: Der Übertritt von Juden zum Christentum wird gefördert und Belästigungen seitens ihrer früheren Glaubensbrüder werden mit dem Tod durch Verbrennen bedroht (Konstantin 329). Juden dürfen christliche Sklaven nicht beschneiden (ders. 335), ja überhaupt keine solchen haben. Mischehen zwischen Juden und christlichen Frauen werden verboten (ders. 339). Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Dienst (Honorius 418). Ein zum Christentum Übergetretener darf nicht enterbt werden (Theodosius II. 426). Diese Gesetze ermutigten die Christen zu Angriffen gegen jüdische Kultstätten, sodass nunmehr (halbherzige) Gesetze zum Schutz von Synagogen notwendig wurden: Da die jüdische Religion nicht ausdrücklich verboten ist, dürfen Zusammenkünfte der Juden nicht gestört und ihre Synagogen nicht zerstört und geplündert werden (Theodosius I. 393). Von den Christen als Kirchen in Beschlag genommene Synagogen sind nicht zurückzugeben, stattdessen Bauplatz für einen Neubau. Ein Synagogen-Neubau wird unter Strafe gestellt (Theodosius II. 438). Als Theodosius I. 388 einen Bischof zur Neuerrichtung einer von diesem niedergebrannten Synagoge mahnte, ergiff sogar Bischof Ambrosius von Mailand in einem Brief an den Kaiser Partei für seinen Amtsbruder: "Es liegt doch kein entsprechender Grund für eine solche Aufregung vor, dass man den Brand eines Gebäudes so hart am Volk ahndet, und das umso weniger, da eine Synagoge verbrannt wurde, ein Ort des Unglaubens, ein Haus der Gottlosigkeit, eine Stätte des Wahnsinns... Diesen Triumph über die Kirche Gottes willst Du den Juden geben, dieses Ruhmeszeichen über das Volk Christi? Diese Freude, Kaiser, gewährst Du den Ungläubigen? Diesen Ruhm der Synagoge, diese Trauer der Kirche?" Bischof Chrysostomus (gest. 407) hetzte in einer Predigt: 145 "Nenne einer sie (=die Synagoge) Hurenhaus, Lasterstätte, Teufelsasyl, Satansburg, Seelenverderb, jedes Unheils gähnenden Abgrund oder was immer, so wird er noch weniger sagen, als sie verdient hat...Wie ein gemästetes und arbeitsunfähiges Tier taugen sie (=die Juden) nur noch für die Schlächterei..." D. CHRISTEN UND JUDEN IM MITTELALTER: : 1. Mit dem Niedergang des Römischen Reiches wurde der Bischof von Rom immer mehr auch zum Hüter der öffentlichen Ordnung. Im Bemühen um ein flächendeckend christliches Abendland scheute man auch vor Zwangstaufen der Juden nicht zurück. D e r große Vertreter des römischen Rechtsdenkens und damit Schutzherr der Juden gegen kirchliche Übergriffe wurde Papst Gregor d. Gr. (590-604): An die Bischöfe Virgilius v. Arles und Theodor v. Marseille: "Nun ist uns zur Kenntnis gebracht worden, dass viele Juden, die sich in jener Gegend aufhielten, mehr durch Gewalt als durch Belehrung zum Taufbecken gebracht wurden. Zwar betrachte ich eine solche Absicht als lobenswert und glaube, dass sie aus Liebe zu unserem Herrn kommt. Doch fürchte ich, dass diese Absicht, wenn nicht durch biblische Belehrung gestützt, dazu führt, dass das wertvolle Werk gar nicht zustande kommt oder dass die Seelen, die wir retten wollen, irgendwie - das sei ferne - zu Schaden kommen." An den Bischof Aquellus: Juden dürfen Synagogen bauen und ohne jedwede Belästigung ihre religiösen Zeremonien verrichten. Im Westgotenreich wurden - auch aus politischen Gründen (traditionelle Sympathie zwischen Juden und Arabern) - z.T. harte Maßnahmen gesetzt (Zahlreiche Zwangstaufen; Verfolgungen bei Festhalten an jüdischen Bräuchen wie Beschneidung u. a.). Schon seit dem 4. Jh. befassen sich christliche Synoden mit der Frage des rechten Verhaltens den Juden gegenüber: Synode von Macon (581-583): Juden dürfen für Christen nicht Richter und Steuereinheber sein - Ausgangssperre zwischen Gründonnerstag und Ostersonntag - Respekt vor dem Klerus der Kirche - Verbot gemeinsamer Gastmähler von Juden und Christen - Verbot für Juden, einen Christen als Sklaven zu haben (d. h. völlige gesellschaftliche Trennung). 4. Konzil von Toledo (633): Verbot einer Zwangschristianisierung - Ermahnung rückfällig Gewordener. 17. Konzil von Toledo (694): Vorwurf der Verschwörung gegen den span. Staat Enteignung aller Juden Spaniens, Zwangsumsiedlungen, Wegnahme der Kinder ab dem 7. Lebensjahr, Zwang zu Mischehen von Judenchristen mit Christen u. a. (Nicht einmal 20 Jahre später arabische Machtübernahme Besserung der Lage für die Juden) 2. Unter den Karolingern wurden die Juden geschützt, da man sie für den Fernhandel brauchte. 3. Zu einer massiven Verschlechterung ihrer Situation kam es in der Zeit der Kreuzzüge, wo man den Kreuzug nicht nur gegen die Moslems, sondern scheinbar auch gegen die Juden predigt: 146 Guibert von Nogent über die Teilnehmer des 1. Kreuzzugs (1096-1099): "Wir wollen in den fernen Osten gegen die Feinde Gottes ziehen und müssen dafür einen langen Weg durch viele Länder hinter uns bringen. Doch hier, vor unseren Augen, leben die Juden, das allergottesfeindlichste Volk - unsere Arbeit wäre verfehlt!" Sprachen's, nahmen ihre Waffen und drängten die Juden mit Gewalt in eine Kirche. Sie richteten das Schwert gegen alle, ungeachtet des Alters oder des Geschlechts, und nur wer sich taufen ließ, kam lebend davon. Abt Petrus Venerabilis (1292-1156): "Was nützt es, die Feinde des christlichen Glaubens in fernen Landen aufzusuchen und zu bekämpfen, wenn die liederlichen und lästernden Juden, die weitaus übler als die Sarazenen sind, nicht in fernen Landen, sondern hier in unserer Mitte so ungehemmt und so verwegen Christum und alle christlichen Sakramente ungestraft schmähen, mit den Füßen treten, verächtlich machen? Wie soll Gottes Eifer die Kinder Gottes beseelen, wenn die Juden, diese schlimmsten Feinde Christi und der Christen, so ganz ungeschoren davonkommen?" Bernhard v. Clairvaux (1091-1153) appellierte als Promotor der 2. Kreuzugsbewegung an die Vernunft der Teilnehmer: "Nicht die Juden soll man verfolgen, nicht sie totschlagen, nicht einmal sie verjagen. Befragt darum die göttliche Schrift... Lebendige Zeichen sind sie uns, die Passion des Herrn darstellend. Deswegen sind sie in alle Gegenden verstreut; denn während sie gerechte Strafe für ihre Missetat leiden, sollen sie Zeugen unserer Erlösung sein." 4. Das 4. Laterankonzil (1215) wandte sich scharf gegen die Geschäftspraktiken (Wucherzinsen) der Juden: "Je mehr sich die christliche Religion in der Eintreibung der Wucherzinsen Einschränkungen auferlegt, desto übermütiger wird darin der Unglaube der Juden, sodass in kurzer Zeit das Vermögen der Christen erschöpft sein wird...(Daher) bestimmen wir durch Konzisldekret, dass, wenn weiterhin die Juden unter welchem Vorwand auch immer von den Christen schwere und unangemessene Wucherzinsen erpressen, ihnen die Gemeinschaft mit den Christen entzogen werden soll." Es verlangt ferner (wegen der Gefahr von irrtümlichen Mischehen) erstmals im christlichen Abendland, "dass Juden und Sarazenen beiderlei Geschlechts in jeder christlichen Provinz und zu jeder Zeit sich durch die Art ihres Gewandes öffentlich von der übrigen Bevölkerung unterscheiden sollen." (Gelber Fleck; im dt. Raum Judenhut. Ende Mittelalter wieder verschwunden, Neubelebung durch NS-Regime) Entstehung des Bildes vom "bösen Juden" (vgl. Verdächtigungen der Urchristen): Ritualmorde (Ostern 1144 in Norwich, 1235 in Fulda, Werner von Bacherach, Anderle von Rinn) - Hostienfrevel (blutende Hostien als Folge) 1290 in Paris - Brunnenvergiftung im Pestjahr 1348 - Hass gegen die Christen u. a. (Vgl. H. Heine, Der Rabbi v. Bacharach, eine Novelle, in der Ritualmord und Hostienfrevel verknüpft werden.) Seit dem 13. Jh. versuchte die Kirche wiederholt, die Juden in "Religionsgesprächen" zu bekehren. Eine Folge des Pariser Religionsgesprächs war das Verbot des jüdischen Talmuds durch Papst Gregor IX. im Jahr 1239, "der Hauptgrund, der die Juden in ihrem Unglauben festhält". 147 Unter Herzog Albrecht V. wurden 1420 nach einer angeblichen Hostienschändung in Enns alle Juden gefangen genommen und ihr Vermögen eingezogen. In Wien wurde monatelang ein Teil der Juden in der Synagoge gefangengehalten. Als diese vom Befehl des Herzogs erfuhren, gewaltsam alle ihre Kinder unter 15 Jahren zu taufen, beschlossen sie wie ihre Vorfahren von Massada sich gegenseitig zu töten. Darüber ergrimmt, ließ der Herzog andere Juden in die Synagoge sperren. Sie wurden am 12. März 1421 auf die Gänseweide zur Hinrichtung gebracht. Auf die Aufforderung hin, sich taufen zu lassen, behandelten sie die Priester mit Verachtung und spuckten vor dem Herzog aus. Tanzend schritten sie zum Scheiterhaufen, um für ihren Glauben zu sterben. E. NEUZEIT: : Im 16. Jahrhundert (Reformation) werden die Juden aus den großen Städten des dt. Reiches verdrängt (Ausnahme: Frankfurt) Wien erteilt nur beschränkte Aufenthaltsbewilligungen. M. Luther spricht sich für deren Missionierung aus; in seiner antisemit. Schrift "Von den Juden und ihren Lügen" (1534) plädiert er sich für die Anwendung aller rechtlichen Bestimmungen gegen die Juden. (Zwingli und Calvin sind gegen Kontakte mit Juden) Die Gründung des Jesuitenordens verfolgte ursprünglich die Absicht, die Juden im Hl. Land zu bekehren! Im Zuge der Gegenreformation verschärfte die Kirche ihre Maßnahmen auch gegen die Juden: Am 9. Sept. 1553 kam es unter Papst Julius III. auf dem Campo di Fiori in Rom zu einer Talmudverbrennung. 1555 ließ Paul IV. ein jüdisches Ghetto in Rom errichten. 1569 ordnete Pius V. die Ausweisung der Juden aus dem Kirchenstaat an... Insgesamt führt der Verlust der christlichen Einheit zu einer größeren Meinungsvielfalt (als Voraussetzung einer Toleranz) und damit zu einer Besserstellung der Juden. Im 17. Jahrhundert entstehen philosemitische Tendenzen (Vorliebe für das AT v. a. in protestantischen Kreisen). Die 1670 zur Gänze aus Wien ausgewiesenen Juden (die Wiener sind 1700 sogar bereit, eine Toleranzsteuer zu bezahlen) werden in Berlin freudig aufgenommen. (Einsatz in der Finanzverwaltung) Im 18. Jahrhundert hat sich die gesellschaftliche Situation gewandelt, Kirche und Gesellschaft sind nicht mehr deckungsgleich, der Weg zur Gleichberechtigung ist offen: Eine besondere Bedeutung für die politische und soziale Gleichstellung der Juden mit den Christen hatte zweifellos der allseits geachetete Philosoph Moses Mendelssohn (1729-1786), der in einem Wettbewerb einmal sogar den großen I. Kant auf den 2. Platz verwies. Sein Freund G. E. Lessing (1729-1781) hat im Beispiel Mendelssohns ein Motiv gefunden, auch selbst (1749 im Einakter "Die Juden" und 1779 in "Nathan der Weise") gegen Vorurteile und für Toleranz zu kämpfen. Der neue Zeitgeist hat auch in den verschiedenen Grundrechts-Katalogen seinen Niederschlag gefunden: 1776 Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten: Alle Menschen sind gleich ohne Rücksicht auf Religion. 1781/82 Toleranzedikt Josephs II. 148 Zielsetzung, "die jüdische Nation hauptsächlich durch bessere Unterrichtung und Aufklärung ihrer Jugend und durch Verwendung auf Wissenschaften, Künste und Handwerke dem Staate nützlicher und brauchbarer zu machen." Daher verpflichtende Grundschulausbildung (notfalls auch in einer christlichen Schule); Errichtung und Führung einer eigenen jüdischen Normalschule (unter staatlicher Schulaufsicht); Ausbildung in allen Gattungen von Handwerken und Gewerben (auch bei christlichen Meistern); Aufhebung aller bisherigen Vorschriften (wie Tragen der Bärte, Ausgangssperre bis 12 Uhr an Sonn- und Feiertagen u. a.), "im Gegenteile wird den Großhändlern und ihren Söhnen sowie den Honoratioren auch Degen zu tragen erlaubt." 1791 Code civil (volle bürgerliche Rechte für die Juden) Im 19. Jh. neuerliches Aufflackern des Antisemitismus. 20. Jahrhundert: 1933 forderte die jüdische Konvertitin und Philosophin Edith Stein Pius XI. vergeblich dazu auf, eine Enzyklika zur Judenfrage zu schreiben. Seine Erklärung zum Nationalsozialismus (Enzyklika "Mit brennender Sorge" 1937) kam schon zu spät. Holocaust ("Ganzopfer") der Juden im Nationalsozialismus. Die Haltung Pius XII. gegenüber der Judenpolitik Hitlers steht im Zwielicht (R. Hochhut, Durfte der Papst schweigen?) F. DAS ZWEITE VATIKANISCHES KONZIL (1962-1965): Bis 1962 betete die Kirche in den großen Karfreitags-Fürbitten auch "für die perfiden Juden"! Johannes XXIII. ließ gleich zu Beginn des Konzils als Zeichen des Endes der Feindschaft den Entwurf einer eigenen "Judenerklärung" (über das Verhältnis Juden - Christen) ausarbeiten, die jedoch (auf arabischen Druck hin) zurückgezogen wurde. Nach dem (missglückten) Zwischenspiel, sie als Kapitel IV im "Ökumenismusdekret" einzubetten, landete sie schließlich in völlig veränderter Form gemeinsam mit den anderen großen Weltreligionen in der kurzen "Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen": Art. 4: "Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied, noch den heutigen Juden zur Last legen. Gewiss ist die Kirche das neue Volk Gottes, trotzdem darf man die Juden nicht als von Gott verworfen oder verflucht darstellen, als wäre dies aus der Hl. Schrift zu folgern. Darum sollen alle dafür Sorge tragen, dass niemand in der Katechese oder bei der Predigt des Gotteswortes etwas lehre, das mit der evangelischen Wahrheit und dem Geist Christi nicht im Einklang steht." Ein Bekenntnis eigener Schuld fehlt auch in der wichtigen anschließenden Passage: "Im Bewusstsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt (!) die Kirche, die alle (!) Verfolgungen gegen irgendwelche (!) Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit (!) von irgend jemanden (!) gegen die Juden gerichtet haben." Das Verhältnis des Vatikanstaates zum heutigen Staat Israel hat sich zuletzt deutlich entspannt, der Status der Stadt Jerusalem ist aber nach wie vor ein Problem. 149 DIE ANFÄNGE DER KIRCHE DAS PROBLEM: - Die Frage nach der "Stiftung der Kirche" durch (den historischen) Jesus wurde bis ins vorige Jh. mit dem Verweis auf Mt 16, 17-19 (Bau der Kirche auf dem Felsen Petrus) beantwortet. Im sog. Anti-Modernisteneid (unter Pius X.), den jeder Priester bis zum II. Vaticanum schwören musste, heißt es, dass die Kirche "durch Christus selbst, und zwar durch den historischen Christus, als er unter uns weilte, unmittelbar gegründet wurde, und dass sie auf Petrus, dem Ersten der apostolischen Hierarchie, und auf dessen Nachfolger aufgebaut ist." - Auf dem II. Vat. Konzil waren die Konzilsväter in dieser Frage weit zurückhaltender, indem sie nicht auf einem exakt bestimmbaren Beginn beharrten (Stiftungsakt), sondern das prozessartige Werden in einem größeren heilsgeschichtlichen Zusammenhang betonen: "Sie war schon seit dem Anfang der Welt vorausgebildet; in der Geschichte des Volkes Israel und im Alten Bund wurde sie auf wunderbare Weise vorbereitet, in den letzten Zeiten gestiftet, durch die Ausgießung des Hl. Geistes offenbart, und am Ende der Weltzeiten wird sie in Herrlichkeit vollendet werden." (LG 2) A) VORFORMEN DER KIRCHE: 1. Kirche - von Anbeginn "vorausgebildet": In der biblischen Urgeschichte ist von Kirche in unserem Sinn zwar noch keine Rede, aber ihre Wesensbestimmung - "Zeichen und Werkzeug der innigsten Vereinigung mit Gott wie auch der Einheit der ganzen Menschheit" (LG 1) - wird schon hier deutlich. So sprechen die Kirchenväter von einer "ecclesia ab Adam", andere wie Augustinus mit Blick auf die Ursünde von einer solchen "ab dem gerechten Abel". 2. Kirche - in Israel "vorbereitet": a. Der Gemeinschafts-Charakter des (auserwählten) Volkes Gottes: - Israel bildet eine Gemeinschaft des Glaubens - Es will zugleich eine Rechtsgemeinschaft sein (Dekalog als Grundgesetz, Propheten als leibhaftiges Gewissen) - Es ist eine Gottesdienst- und Kultgemeinschaft (hebr. kahal, griech. ekklesia) b. Struktur und Organe dieser Glaubensgemeinschaft: - Die Patriarchen (Hausväter der Familien, Erzväter des Volkes) hatten die Leitungsfunktion, aber auch religiöse Aufgaben (Gebet, Opfer, Feste) - Moses war ebenfalls noch politischer Führer / Richter / Priester zugleich, ehe er seinen Bruder Aaron und dessen Söhne zu Priestern bestimmte. (In nachexilischer Zeit Unterscheidung Hoherpriester / Priester(klassen) / Leviten (zum Tempeldiener degradiert) - Nach Moses und Josua übernahmen Richter und Könige die politische Führung, wobei das Königtum Jahwes ausser Streit bleiben musste. - Vor allem in Krisenzeiten wurden Propheten bedeutsam, deren Reihe mit Moses ihren Anfang nahm. - Eine weitere Institution ist die der Ältesten (Presbyter), die - als Stammes- und Sippenhäupter - für die Anwendung des Religionsgesetzes (rel. und profane Gerichtsbarkeit) 150 zuständig waren. (Der Rat der Ältesten als oberste jüd. Regierungsbehörde entstand erst in späterer Zeit. Vgl. Hoher Rat / Synedrium) B) DIE FROHBOTSCHAFT VOM REICH GOTTES UND DIE KIRCHE: DAS PROBLEM: Stehen beide Größen in einer Beziehung? Oder ist die Kirche nur eine "Verlegenheitslösung", nachdem die Naherwartung enttäuscht wurde? Tatsächlich findet sich der Ausdruck "Kirche ekklesia" als Wort Jesu nur ganze zweimal (Mt 16,18 und 18,18), jener vom "Gottesreich basileia" hingegen mehr als hundertmal, sodass schon A. Loisy um die Jahrhundertwende bemerkte: "Jesus verkündete das Reich Gottes - und gekommen ist die Kirche..." 1. Der Inhalt der Verkündigung Jesu: Bei Mt ist dem Bericht über die Verkündigung Jesu jener über die Predigt des Täufers vorgelagert: "Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe" (Mt 3, 1), eine Botschaft, die Jesus nach der Gefangennahme des Johannes aufgegriffen hat: "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium." (Mk 1, 14 f) Das (nicht ipsissima vox-) Wort Jesu vom "Reich Gottes" ("Himmelreich" bei Mt) knüpft an atl. prophetische Visionen etwa bei Jes 11 (Universales Reich des Friedens und des Heils) an, freilich in drängenderer Form: - Das Reich Gottes ist nahe gekommen - nicht durch Menschen machbar, sondern Tat Gottes, um die man bitten soll ("Dein Reich komme") und für die man bereit sein soll. (vgl. Mk 4, 26) - Die Nachricht davon ist eine Frohbotschaft (Ansage von Friede, Heil und Vergebung) - Jesus verwirklicht es zeichenhaft in der Mahlgemeinschaft mit Sündern. - Bei bewusster Ablehnung der Einladung Gottes (zum "Hochzeitsmahl des Königs") gibt es ein Gericht. - Die Vorstellung eines irdischen Reiches (mit polit. Messias) lehnt Jesus ab! 2. Das Problem der "Naherwartungsaussagen": Der Gedanke der Naherwartung ist von der prophetischen Verkündigung (vgl. Jes 13, 6), aber auch aus der apokalyptischen Literatur her bekannt. Auch viele Worte Jesu scheinen darauf hinzudeuten, dass er das Kommen des Reiches Gottes für die nächste Zukunft erwartet habe: a. "Wenn man euch in der einen Stadt verfolgt, so flieht in eine andere. Amen, ich sage euch: Ihr werdet nicht zu Ende kommen mit den Städten Israels, bis der Menschensohn kommt." (/Mt 10, 23) - Ursprünglich ein Teil der Gerichtsrede (und damit ein Mahnwort)? - Grundsätzliches Schicksal eines Missionars? b. Unvermittelt vor der Verklärung: "Amen, ich sage euch, von denen, die hier stehen, werden einige den Tod nicht erleiden, bis sie gesehen haben, dass das Reich Gottes in (seiner ganzen) Macht gekommen ist." (Mk 9, 1) - Ein urkirchlich prophetisches Trostwort? - Erfüllung im Ereignis der Auferstehung? c. "Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht" (Mk 13, 30) 151 - Nur auf Zerstörung Jerusalems bezogen? - Israel ("Generation") werde nicht vergehen? H. Küng ("Christsein") verzicht auf derlei Interpretationen mit dem Hinweis, dass auch bei Jesus "Irren menschlich" gewesen sei. H. Schürmann wiederum versteht unter der Naherwartung die "Stets-Erwartung" und verlegt damit (wie Lk) den Akzent auf die Bedeutung für unsere Situation. Alles in allem scheint diese Frage aber nicht das Um und Auf der Urkirche gewesen zu sein, sonst wäre ihr Fortbestand trotz Ausbleibens der Parusie schwer erklärbar. Dass aber ein Denkprozess stattgefunden hat (von der Stephanusvision mit dem "offenen Himmel" und dem "Menschensohn zur Rechten Gottes" über 1 Thess bis hin zu 2 Petr, wo die "Verzögerung" der Wiederkunft Christi mit "Schonfrist" bzw. "ein Tag wie tausend Jahre" erklärt wird), ist unbestreitbar. 3. Das Reich Gottes und die Kirche: a. Fragwürdige Positionen: - A. Loisy: Zwei unterschiedliche Größen (s.o.) - R. Guardini: Kirche ist nicht Ergebnis einer Täuschung, sondern einer (von den Juden) abgelehnten Einladung: Bei der "Wende" nach dem "galiläischen Frühling" (vgl. Lk 9, 51) habe Jesus (auf dem Weg nach Jerusalem) die Kirche gestiftet. (Aber: Hypothetische (!) Zweiteilung des Lebens Jesu!) - E. Peterson: (Heiden-) Kirche gibt es nur, weil das auserwählte Volk mit seinem Unglauben das Kommen des Reiches Gottes verhindert habe. (Aber: Kirche war von Anfang an eine aus Juden und Heiden!) b. Traditionelle Sicht (Differenz und Bezogenheit): - Kirche ist nicht das Reich Gottes, sondern ein Zeichen seiner Nähe und Gegenwart. - Sie ist es auch nicht in dem Sinn, dass Liebe, Frieden, Gerechtigkeit etc. nur innerhalb der Kirche möglich wären. - Sie ist auch nicht das Reich Gottes, das Menschen bauen, sondern eine Gabe Gottes, die uns zur Aufgabe wird. - Das Reich Gottes ist (positiv) das Ziel, auf das die Kirche hoffend und bittend zugeht. - Das (dynamische) Wort vom "Volk Gottes" enthält die Spannung von "schon" angebrochenem und "noch nicht" gekommenem Reich Gottes. - Das Reich Gottes ist das permanente Gegenüber der Kirche und das Maß, an dem sie sich immer wieder selbstkritisch zu messen hat. C) JESUS UND DIE KIRCHE DAS PROBLEM: Es gibt keinen im Leben des historischen Jesus erkennbaren "Stiftungsakt" der Kirche, doch hat er durch seine Lehre und sein Handeln "für das Erscheinen deiner nachösterlichen Kirche die Grundlagen geschaffen." (Th. Schneider) "Die Entstehung der Kirche darf nicht einseitig an punktuell fixierbaren, expliziten Stiftungsakten des irdischen oder des erhöhten Christus festgemacht werden. Sie hat Prozesscharakter. Allerdings steht der Prozess der Kirchenentstehung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Dynamik der Predigt und der Praxis Jesu." (G. Lohfink) So heißt es denn auch in der Kirchenkonstitution des II. Vatikan. 152 Konzils: "Der Herr Jesus machte den Anfang seiner Kirche, indem er die Frohe Botschaft verkündete, die Ankunft des Reiches Gottes nämlich." (LG 5) Mehrere Tatsachen ("kirchenstiftende Akte") müssen hier genannt werden: 1. Die von Jesus ausgelöste Sammlungsbewegung: Zielgruppe seines Wirkens ist nicht eine Gemeinde von Auserwählten ("heiliger Rest"), sondern ganz Israel (12 Apostel als dessen Repräsentanten). Erst durch das Scheitern seiner Mission (Tränen über Jerusalem Mt 23,37) kam es zur Ausweitung "auf alle Welt". (Mt 28, 19) 2. Sein Ruf in die Nachfolge: "Er setzte die Zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigen und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben." (Mk 3, 14 f) Dazu gehört auch das Bildwort: "Folgt mir. Ich will euch zu Menschenfischern machen." (Mk 1, 17) 3. Die Berufung des Simon Petrus: - Er erscheint immer als Erster der Zwölf aufgrund der besonderen Rolle, die er in Begleitung Jesu gespielt hat: Er ist der Wortführer beim sog. Messiasbekenntnis (Mt 16) bzw. in der kritischen Phase des Rückzugs vieler Anhänger (Joh 6); er erhebt leidenschaftlichen Einspruch gegen Jesu Leidensankündigung (Mk 8, 32); ihm wird auch die erste Erscheinung des Auferstandenen zuteil (1 Kor 15); er tritt zu Pfingsten in den Vordergrund und geht als erster zu den Heiden. (Apg 10) - Sein Beiname (Kephas=Petrus=Fels), der sich allgemein durchgesetzt hat, lässt sich nicht mit seinem Charakter (Verleugnung!) erklären, sodass eine bewusste Namensgebung plausibel erscheint. Er bekommt den Auftrag, seine Brüder zu stärken. (Lk 22,32) - Seine Bestellung zum Hirten durch den Auferstandenen nach der Frage: "Liebst du mich mehr als diese?" (Joh 21, 15 ff) 4. Die Verheißung der ekklesia (Kirche) in Mt 16,18 (Sondergut): Neben Mt 18, 18 ist dies die einzige Stelle, wo Jesus (oder "Gemeindebildung"?) ausdrücklich von der Kirche spricht. Die Verheißung der "Schlüsselgewalt" kann als Antithese zur Einstellung der Pharisäer betrachtet werden, denen Jesus vorwirft, den Menschen durch eigenmächtige Gebote das Himmelreich zu verschließen. (Vgl. Mt 23, 13) Das Wort vom "Binden / Lösen" bedeutet, jemanden zu etwas zu verpflichten bzw. von der Verpflichtung zu befreien. 5. Das Letzte Abendmahl und die Einsetzung der Eucharistie: Mit Blick auf den Bundesschluss am Sinai wird hier ein "neuer Bund" geschlossen, eine neue Heilsordnung grundgelegt. Jesus bekennt sich als der "Gottesknecht", der sein Leben "als Lösepreis für die vielen" gibt. Der Wiederholungsauftrag ("Tut dies zu meinem Gedächtnis") setzt voraus, dass es auch in Zukunft eine Jüngergemeinde geben wird. 6. Der Auferstandene sammelt (durch seine Erscheinungen) die verstreuten Jünger erneut um sich. Damit ließe sich die auffällige Ansiedelung der aus Galiläa stammenden Jünger in Jerusalem und die Bildung der dortigen Urgemeinde plausibel erklären. 7. Der Taufbefehl des Auferstandenen und sein Auftrag, alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen (Mt 28, 18 f), beinhaltet die Ausweitung des (kleinen) Aussendungsbefehls (Mt 10) und sein Versprechen, "bis zum Ende der Welt" zu bleiben. 153 8. Pfingsten - die Geburtsstunde der Kirche - ist die Stunde der "Be-Geisterung" mit der Kraft von oben (Lk 24,24; Apg 1, 8), die die Urkirche über die Enge des Judentums hinauswachsen lässt zu einer eigenständigen Größe. J. Blank kommt zu dem Schluss, "dass Jesus in der Tat nicht aufgetreten ist mit der Absicht, die Kirche zu gründen, indem er eine neue Glaubensgemeinschaft neben dem israelitischen Glaubensvolk errichten wollte... Erst durch die Ablehnung der Jesusbotschaft und der JesusBewegung... wurde die Jesus-Gruppe in die Situation gedrängt, sich als eine besondere 'jüdische Sekte', nun auch im Sinne des 'wahren Israel', konstituieren zu müssen." DIE KIRCHE GOTTES Institution und / oder Expedition? INSTITUTION EXPEDITION Sicherheit Wagnis Ordnung Kreativität Haus Zelt Niederlassung Aufbruch u.s.w………………. Spannend Mühsam u.s.w. ……………….. 154 DIE HERAUSBILDUNG DES PRIMATS DES BISCHOFS VON ROM A. DIE STELLUNG DES PETRUS 1. Name: Ursprünglicher Name: Simon, Sohn des Johannes (Bar Jona), Beiname: Petrus (griech. Petros, aram. Kepha=Fels) "Petrus" (vgl. Joh 1, 42; Mt 16, 18 f) drückt seine besondere Stellung aus, sodass man fast von einer Amtsbezeichnung sprechen kann. 2. Bedeutung: Evangelien: Schon zu Lebzeiten Jesu war Petrus Wortführer der Zwölf; Petrusbekenntnis (Mt 16, 17 f) räumt ihm schon zu Lebzeiten Jesu eine Vorrangstellung ein. (Vgl. auch Joh 21, 15) Die Verleugnung Jesu wird in allen 4 Evv bezeugt. Er ist einer der ersten Zeugen des Auferstandenen. Apg 1- 12 (Jerusalemer Urgemeinde): Petrus als Leiter der Zuwahl des Matthias - Beginn der Missionspredigt nach dem Pfingstereignis - Gefangennahme und wunderbare Befreiung (Apg 12) - Anstoß zur Heidenmission mit der Taufe des Kornelius - hervorragende Stellung beim Apostelkonzil (Apg 15). Paulinen: Der Auferstandene erscheint zuerst dem Kephas, dann den Zwölfen (1 Kor 15) Paulus geht nach seiner Bekehrung nach Jerusalem, "um Kephas kennenzulernen." (Gal 1, 18) Ausserbiblisch: Ein mehrmaliger Aufenthalt in Rom (Apokryphe Petrusakten) und das Martyrium unter Kaiser Nero (alte Lokaltradition). B. DIE RÖMISCHEN BISCHÖFE: 1. Die älteste Papstliste (Irenäus, Adversos haereses, bis Ende 2. Jh): "Nachdem die seligen Apostel (Petrus und Paulus) die Kirche gegründet und eingerichtet hatten, übergaben sie dem Linus die Liturgie (Amtsaufgabe) des Bischofsamts. Das ist jener Linos, den Paulus in seinen Briefen an Timotheus erwähnt. Auf ihn folgte Anakletos, nach ihm erhielt als dritter nach den Aposteln das Bischofsamt Clemens, der (noch) die Apostel selbst gekannt hatte... Diesem Clemens folgte Euarestos, dem Euarestos Alexander; darauf als sechster nach den Aposteln wurde Xystos aufgestellt, nach diesem Telesphoros, der ein herrliches Zeugnis (Martyrium) ablegte. Dann folgte Hyginos, dann Pios, nach diesem Aniketos. Nachdem auf Aniketos Soter gefolgt war, hat jetzt an zwölfter Stelle nach den Aposteln das Los des Bischofsamts Eleutheros." Diese Papstliste wird von den christlichen Schriftstellern vom 3. Jh an (z.T. leicht verändert) regelmäßig zitiert und ergänzt. Die auffallend vielen griechischen Namen lassen auf Sklaven und Freigelassene schließen. Eine zuverlässige Chronologie beginnt erst mit dem Jahr 217 n. Chr. = Todesjahr des Papstes Zephyrinus. 2. Die Bedeutung der römische Gemeinde: Sie leitet sich weniger von der Wichtigkeit der Reichshauptstadt ab denn vom Wissen um Wirken und Tod der Apostelfürsten. Die römische Christengemeinde(!) genoss als Ort rechtmäßiger Tradition und als "Vorsteherin in der Liebe" hohes Ansehen bei den anderen Gemeinden. (Noch kein Jurisdiktionsprimat!) 3. Wichtige päpstliche Entscheidungen vor 313: - Mahnschreiben des röm. Bischofs Clemens I. (ca 90 - 100 n. Chr.) an Korinth: Nach Ausbruch von Rivalitäten und Streitigkeiten, die in der Vertreibung der Vorsteher aus ihrem Bischofsamt gipfelten, rief Clemens (unaufgefordert!) zur Unterwerfung und zum Gehorsam unter die Vorsteher der Kirche auf. - Entscheidung des röm. Bischofs Viktor I. (ca 190 - 200 n. Chr.) im Osterfeststreit: Kleinasiatische Gemeinden (Osten) hielten am jüdischen (mondorientierten) Termin des 155 Todes- und Auferstehungstages Jesu fest (14. März), obwohl damit die Wochentage jährlich variierten; Rom (Westen) mit seinem julischen Sonnenkalender feierte Ostern am Sonntag nach der Frühjahrs-Tag- und Nachtgleiche. Viktor forderte (unbestritten!) dazu auf, dass alle Synoden in den großen christlichen Zentren dem Beispiel Roms folgen. Lediglich die Synode v. Ephesus stimmt nicht mit dem röm. Termin überein. (Einheitlich seit Konzil v. Nicaea 325) - Entscheidung des röm. Bischofs Stephan I. (Mitte 3. Jh) im Ketzertaufstreit: In der Frage, ob von Ketzern gespendete Taufen (als ungültig) wiederholt werden müssen (so die afrikanischen Bischöfe unter Cyprian auf 2 Synoden zu Karthago 255/256 n. Chr.), betont Stephan deren Gültigkeit und droht - erstmals unter Berufung auf Mt 16,18 und seine Nachfolge des Hl. Petrus – den Ausschluss aus der Kirche an. (Cyprian starb im Frieden mit Rom, die Auffassung Stephans hat sich durchgesetzt.) 4. Festigung des Primats in der Konstantinischen Reichskirche: Hatten bisher römische Kaiser die Kirche verfolgt, so beginnt jetzt eine Zeit der staatlichen Förderung, ja sogar Einmischung in krichliche Belange (Caesaropapismus). Nach der Verlegung der Residenz von Rom nach Byzanz durch Konstantin (330 n. Chr.) fungierte das römische Petrusamt als subsidiäre Instanz bei schwerwiegenden Konfliktfällen. Bereits auf der Synode von Arles in Südfrankreich (314 n. Chr.) wurde die Nichtteilnahme des röm. Bischofs Silvester bedauert. Drei Jahrzehnte später (343) anerkannte die Synode von Sardika (Sofia) Rom als die höchste Appellationsinstanz für die Gesamtkirche. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Primatstellung des röm. Bischofs bei Leo I. (440 - 461) mit der Lehre von der "plenitudo potestas", derzufolge allein der Nachfolger des Hl. Petrus die Vollgewalt über alle Bischöfe und die Gesamtkirche besitze. Als sein christologisches Lehrschreiben beim Konzil von Chalcedon (451) verlesen wurde, riefen die Bischöfe: "Das ist der Glaube der Väter, das ist der Glaube der Apostel. So glauben wir alle. Petrus hat durch Leo gesprochen." 5. Die Zuspitzung der Diskussion: - Ein Brief Papst Leos IX. (1053) an den Patriarchen v. Konstantinopel, in dem er u. a. auch den Vorrang des röm. Papstes nachdrücklichst unterstrich, führte ein Jahr später zum Bruch zwischen Ost- und Westkirche. - Diese Entfremdung wurde mit der dogmatischen Definition des päpstlichen Primats auf dem I. Vatikan. Konzil (1869170) noch verschärft: "Wer sagt, der Hl. Apostel Petrus sei nicht von Christus, dem Herrn, zum Fürsten aller Apostel und zum sichtbaren Haupt der ganzen streitenden Kirche aufgestellt worden, oder er habe nur einen Vorrang der Ehre und nicht den Vorrang der wahren und eigentlichen Rechtsbefugnis von unserem Herrn Jesus Christus direkt und unmittelbar erhalten, der sei ausgeschlossen... Wer (folglich) sagt, der römische Bischof habe nur das Amt einer Aufsicht oder Leitung und nicht die volle und oberste Gewalt der Rechtsbefugnis über die ganze Kirche - und zwar nicht nur in Sachen des Glaubens und der Sitten, sondern auch in dem, was zur Ordnung und Regierung der über den ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche gehört -, ... der sei ausgeschlossen." - Nach dem II. Vatikan. Konzil (1962 - 1965) hat nicht nur der Papst "volle, höchste und universale Gewalt über die Kirche"; das Kollegium der Bischöfe "ist gemeinsam mit ihrem Haupt, dem Bischof von Rom, und niemals ohne dieses Haupt, gleichfalls Träger der höchsten und vollen Gewalt über die ganze Kirche." Der Primat des röm. Papstes ist bis heute ein großes Hindernis der Wiedervereinigung der getrennten Kirchen. 156 GESCHICHTE DER MISSION IN STICHWORTEN Methodische Entwicklung: A. Freie, individuelle Missionsarbeit: Paulus, Wulfila, Severin u. a. B. Stammesmission: z. B. "Bekehrung" der Germanen durch Taufe des Stammesfürsten C. Organisierte Mission: Entstehung eigener Missionsorden, 1622 Gründung der Zentralbehörde zur Glaubensverbreitung in Rom. Räumliche Ausweitung: A. Römisches Weltreich: Bischöfe und Priester waren zugleich Missionare der näheren Umgebung; Kaufleute, Soldaten und Verfolgte brachten das Christentum in entlegenere Gebiete. Österreichischer Raum: 1. Römische Missionierung: - Verlegung der röm. Militäreinheit des Cornelius (Apg) 69 n. nach Vindobona / Carnuntum. - Von hier aus 172 Sieg Mark Aurels gegen die Markomannen (Regenwunder) - 304 Martyrium des hohen röm. Beamten Florian (Enns) - Hl. Severin (+ 482), Seelsorger und Vermittler zwischen den zurückgebliebenen Römern und den nachdrängenden Germanen; Klostergründung in Mautern / Krems. 2. Iroschottische Missionierung aus dem Westen ab 600 durch Errichtung einzelner voneinander unabhängiger Stützpunkte. 3. Systematische Missionierung unter Bonifatius: Errichtung von Diözesen, Bau von Klöstern und Schulen; Zentren Salzburg, Passau, Kremsmünster mit Blickrichtung nach Osten. B. Missionierung der Germanen: 1. Westgoten: Geschlossener Übertritt zum Arianismus; herausragend Bischof Wulfila (* 311) und seine Bibelübersetzung ins Gotische. 2. Angelsachsen: Um 600 schickte Papst Gregor I. auf Bitten des Königs 40 Benediktiner nach England. 3. Franken: Gelöbnis Chlodwigs vor der Schlacht gegen die Alemannen (500) und Taufe zusammen mit dem ganzen Volk ("neuer Konstantin") 4. Friesen / Franken: Wirken des angelsächsischen Missionars Winfried (Bonifatius), Martyrium (begraben in Fulda); "Apostel Deutschlands". 5. Sachsen: Gewaltsame Christianisierung unter Karl d. Gr.: Todesstrafe bei Taufverweigerung, Feuerbestattung, Bruch der Fastengebote u. a. C. Welt-Mission: Missionarisches Wirken zu Beginn der Neuzeit im Gefolge der großen Entdeckungen (v. a. durch Franziskaner, Dominikaner und Jesuiten) 1. Mittel- und Südamerika: Eroberung und Missionierung durch Spanier und Portugiesen; Export des europäischen Christentums (über 200 Jahre kein einheimischer Priester!) 2. Indien und Japan: 1542 Missionsreise Fr. Xavers (Mitbegründer des Jesuitenordens) nach Indien; Ausbildung einheimischer Priester und Katechisten; 1549 Reise nach Japan (Buddhismnus); Missionstätigkeit von Rob. Nobili SJ in Südindien (Akkomodation) 3. China: Matteo Ricci SJ (1552-1610), auch Mathematiker und Astronom, Freund des Kaisers; Adam Schall SJ (ebenfalls "angepasste" Mission); "Ritenstreit" und 1742 röm. Verbot der Akkomodation. Um 1900 Neubeginn der China-Mission durch P. Freinadametz 19. Jh - Jahrhundert der Weltmission: Schwerpunkte N-Amerika (Emigration vieler Europäer) und Afrika. Fast jeder zweite irische Kleriker war Missionar! 157 MISSION ALS INKULTURATION I. Begriff und Problem 1. Zum Begriff: Inkulturation bedeutet "das Eindringen einer Kultur in eine andere" und damit deren gegenseitiges Durchdringen. Wie der Mensch als Person besitzen auch die Kulturen ihre je eigene Würde und verdienen Anerkennung und Hochschätzung. Theologisch gesehen versteht man darunter "das Hineingehen und Einfließen der christlichen Botschaft mit ihrem Welt- und Menschenverständnis, ihren Handlungsimpulsen und ihren Heilsgütern in die verschiedenen Kulturen". Untrennbar damit verbunden ist immer auch eine Rezeption jener Elemente, die mit dem genuin Christlichen vereinbar sind. Eine "Kontextualisierung" der Frohbotschaft (etwa in der Theologie der Befreiung) geht damit Hand in Hand. 2. Problematik: Inkulturation hat - als missionstheologischer Begrifff - nach dem II. Vat. Konzil mehr und mehr die Begriffe Akkomodation (Anpasssung), Akkulturation, Indigenisation u. a. abgelöst. Ausschlaggebend waren dabei die Kritik an der traditionell eurozentrisch ausgerichteten Misionspraxis, das Aufblühen der jungen Kirchen in der 3. Welt sowie die Erkenntnis der Kulturbedingtheit religiöser Vorstellungen und Ausdrucksformen. Nicht "Export" des europäischen Christentums, auch nicht bloße "Übersetzung" und (pragmatische) "Anpassung" an fremde Kulturen können der missionarische Weg der Kirche sein. Das Fremde für eigene Anliegen zu verzwecken und auf das Christliche hin zu instrumentalisieren, war in der Geschichte nichts anderes als religiöser Kolonialismus und kirchlicher Imperialismus. Die Kirche muss sich - so das II. Vaticanum - diesen Kulturen "einpflanzen, und zwar mit dem gleichen Antrieb, wie sich Christus selbst in der Menschwerdung von der konkreten sozialen und kulturellen Welt der Menschen einschließen ließ, unter denen er lebte." (AG 10) Sie muss das Fremde in seiner Werthaftigkeit ernstnehmen, ohne die eigene Sendung zu desavouieren; in der Sprache der Christologie ausgedrückt, muss sie selbst gleichsam "Fleisch werden" (Inkarnation) in fremden Kulturen, dazu bereit, "mit den verschiedenen Kulturformen eine Einheit einzugehen, zur Bereicherung sowohl der Kirche wie der veschiedenen Kulturen." (GS 58) Diese Einheit ("unvermischt und ungetrennt" im Sinne des Konzils v. Chalkedon) darf sich aber weder doketistisch damit begnügen, eine fremde Hülle über das europäische Christentum zu stülpen, noch monophysitisch und kulturromantisch das Fremde bis zur Selbstaufgabe der christlichen Identität unkritisch zu stützen. Papst Paul VI. bezeichnet den Bruch zwischen Evangelium und Kultur als das große Drama unserer Zeit: "Daher ist es nötig, alle Kräfte darauf zu verwenden, die menschliche Kultur, oder besser die Kulturen, zu evangelisieren" (EN 20) Dies betrifft einmal die kulturbedingten Gestalten die Christentums selbst, sodann das Verhältnis von Evangelium und abendländischer Kultur und schließlich die heute geforderte Entkoppelung von Evangelium und westlicher Kultur in Hinblick auf die in anderen Kontinenten geforderten Inkulturationsprozesse. Inkulturation fügt damit dem zeitorientierten Begriff der "Verheutigung" des Evangeliums (Aggiornamento) die Raumorientierung der möglichst weltweiten "Einpflanzung" mit allen ihren Konsequenzen hinzu. 158 (Der "Weltkatechsmus" 1205 fällt in Hinblick auf die Liturgie leider wieder in alte Denkmuster ("Anpassung") zurück, wenn er neben einem unveränderlichen Teil auch Bestandteile kennt, "die verändert werden können und die die Kirche an die Kulturen der neuevangelisierten Völker anpassen kann und mitunter auch anpassen muss.". Die im Frühjahr 1994 in Rom tagende Afrika-Synode brachte die konkreten Probleme zur Sprache Ahnenverehrung, Polygamie, Ehe auf Probe, Priesterehe u. a., doch wurden diese Fragen vom Präfekten der römischen Missionskongregation als "nicht Gegenstand der Inkulturation" von vorneherein ausgeklammert. Der Zölibat beispielsweise sei ein Wert aus dem Evangelium... II. Inkulturation im Lauf der Geschichte Christliche Mission sah sich von Anfang an dem Problem der Inkulturation gestellt, auch wenn es erst heute voll ins Bewusstsein getreten ist und theoretisch abgehandelt wird. 1. Die Entstehung des Christentums als eine eigenständige und universal ausgerichtete Religion geht Hand in Hand mit der bewusst vollzogenen Herauslösung aus dem jüdischen Kulturverbund auf dem Apostelkonzil. Bereits im NT begegnen uns Beispiele erfolgter Inkulturation, wenn neben dem jüdischen Messias-Titel der im hellenistischen Sprachraum angesiedelte Kyrios-Titel herausgestrichen wird. 2. Diese Frühzeit wird nach der Konstantinischen Wende abgelöst von einer Phase, in der das Christentum nach der Symbiose von theologischer Reflexion, griechischer Philosophie und römischem Rechtsdenken in die Rolle eine Kulturproduzenten hineinwächst. Es entwickelt sich eine eigene christliche Architektur und Kunst. Kirchen und Klöster leisten Pionierarbeit bei der Urbarmachung und Kultivierung ganzer Landstriche und im Aufbau eines Bildungswesens. Stammeskulturen wurden und werden dabei freilich bis ins 20. Jh. herauf absorbiert bzw. überformt. Auffallendstes Zeichen ist im Zeitalter der Kolonialisierung und Missionierung die Ersetzung der einheimischen Sprachen durch jene der Kolonialmächte und die gezielte Unterdrückung der Stammesreligionen zugunsten des europäischen Christentums. 3. Die jüngste Phase ist gekennzeichnet durch die Beendigung des europäischen Kolonialismus und die Rückbesinnung jener Völker auf ihre verlorene kulturelle Identität und damit verbunden teilweise auch auf ihre einheimischen Religionen. Missionarische Kirche bedeutet nun nicht mehr "Einbahnstraße", sondern Begegnung und Austausch und gegenseitige Befruchtung. Das wird notwendigerweise auch zu neuen Formen der Gottesverehrung (Kult) führen, zu neuen pastoralen und katechetischen Methoden anregen und zum Nachdenken über zeit- und ortsgemäße Strukturen. Der Reichtum der Kulturen führt damit nicht zu einer Bedrohung (der Einheit), sondern zu einer Bereicherung (Fülle) der Gesamtkirche: durch die lateinamerikanische Befreiungstheologie und die Basisgemeinden, durch die "schwarze" Theologie im Raum der rechtlichen und politischen Diskriminierung, durch die abendländische feministische Theologie... 159 MÄCHTIGE KIRCHE – ARME KIRCHE A. DIE KIRCHE AUF DEM WEG ZUR WELTHERRSCHAFT Die Epoche von Karl d. Gr. bis Friedrich II. (800-1250) war geprägt von der Auseinandersetzung zwischen Imperium und Sacerdotium: 1. PROBLEMLAGE: Die zuvor vornehmlich in den Städten ansässige Kirche nimmt Bodenbesitz und gründet Pfarren auf dem Land. Die (germanischen) Bodeneigentümer beanspruchen Einkünfte und Abgaben von den auf ihrem Boden errichteten Kirchen. Das Feudalsystem der germanischen Welt hält auch in der Kirche Einzug. (Adel stellt den hohen Klerus.) Der Kaiser hat eine religiös-sakrale Stellung, folglich ist die Kirche seine "Eigenkirche". Die Kirche wiederum verleiht dem Herrschertum die religiöse Weihe und prägt das gesamte Leben. 2. STREITFRAGEN: Wer setzt Bischöfe / Pfarrer / Kapläne ein? Papst / Bischof oder der Kaiser / Grundherr? Welche Rechte hat der Kaiser gegenüber dem Papst und umgekehrt? Wem steht der Grundbesitz der Kirche zu? 3. RINGEN UM EIN LÖSUNG IN DREI PHASEN: a. DAS IMPERIUM STEHT ÜBER DEM SACERDOTIUM (Zeit der Ottonen) Papst Nikolaus 1. (+867) hat nach dem Niedergang des Karolingerreiches noch eine relativ große Macht, aber seine Nachfolger erweisen sich als zu schwach und werden zum Spielball der weltlichen Macht. Zu einer Wende kommt es, als Johannes XII. den deutschen König Otto I. in lokalen Kämpfen zu Hilfe ruft: Dieser ordnet die Verhältnisse im Reich neu. Er setzt Reichsbischöfe ein (eigenes Territorium mit eigener Gerichtsbarkeit, mit ZollMarkt- und Münzrecht) und schafft sich damit eine zuverlässige Stütze seiner Zentralgewalt. So gibt es im 13. Jh. 93 geistliche Fürstentümer. Durch die Förderung seitens des Reiches entstehen gewaltige romanische Bauten, Klosterschulen und Seelsorgesprengel, die wie Lehen verliehen werden (Eigenkirchenwesen). Otto erhält für seine Hilfestellung durch Johannes XII. die Kaiserkrone verliehen, setzt diesen wenig später aber ab und lässt Leo VIII. (963965) wählen. Von da an greifen die deutschen Könige immer wieder in die Papstwahl ein... b. DER INVESTITURSTREIT UND DAS WORMSER KONKORDAT 1059 führt Papst Nikolaus II. eine Reform der Papstwahl durch, um eine 160 Einflussnahme der römischen Adelsparteien zu verhindern: Nicht Klerus und Volk von Rom sollten unmittelbar den römischen Bischof (und Papst) wählen, sondern die Kardinalbischöfe sollten als "Erstwähler" einen Kandidaten küren, der dann erst bestätigt wird. Gregor VII. (1073-1085) - entgegen der neuen Wahlordnung durch einmütige Proklamation der Volksmenge erwählt - strebt die Unabhängigkeit der Kirche von der weltlichen Macht an. Sein Reformprogramm: Der Papst ist das Oberhaupt der Kirche Kaiser und Könige verfügen (als Laien) über keine sakrale Gewalt Der Papst kann Fürsten, die in kirchliche Rechte eingreifen, absetzen • Kampf gegen Laieninvestitur, Simonie, Priesterehe Dies führt zum sog. Investiturstreit: Der jugendliche Heinrich IV. (1056-1106) setzte (im "Mailänder Kirchenstreit") seinen deutschen Hofkaplan Tebald als Erzbischof ein. Heinrich gewinnt die bischöflichen Fürsten für sich, die die Rechtmäßigkeit der Papstwahl in Frage stellen. Gregor seinerseits spricht über Heinrich den Bann aus und entbindet die Untertanen von ihrem Treueeid. Heinrich begibt sich als Büßer zur Burg Canossa (1077) und erbittet vom Papst die Lossprechung und Wiederaufnahme in die Kirchengemeinschaft. Nach wiederholten Streitigkeiten zwischen Kaiser und Papst bezüglich der Doppelstellung der Bischöfe / geistlichen Reichsfürsten kommt es 1122 zum sog. Wormser Konkordat: Der Kaiser verzichtet auf die Investitur mit Ring und Stab und sichert allen Kirchen des Reiches freie kanonische Wahl zu. Er darf bei den freien Wahlen anwesend sein und so seinen Einfluss wahren. Er verspricht die Rückerstattung aller Besitzungen und Regalien des Hl. Petrus sowie die sonstigen Kirchengüter. Die Investitur, d. h. die Belehnung mit den Regalien (Hoheitsrechte und vom Reich stammende Kirchengüter) erfolgt anschließend mit dem Zepter als Symbol der weltlichen Macht. Die abschließende Bischofsweihe und -inthronisation (mit Bischofsring und Krummstab) ist ein rein kirchlicher Akt. c. DAS SACERDOTIUM STEHT ÜBER DEM IMPERIUM Unter dem "Papstkaiser" Innozenz III. (1198-1216) erreicht die "Weltherrrschaft Christi durch die Kirche" ihren Höhepunkt: Viele Könige nehmen ihre Länder als Lehen aus der Hand des Papstes entgegen, der zugleich immer mehr zum Schiedsrichter ("arbiter mundi") in politischen Auseinandersetzungen wird. Papst Bonifaz VIII. vertritt schließlich (1302 in der Bulle "Unam sanctam") die sog. Zwei-Schwerter-Theorie (nach Lk 22,35-38): Durch die Übergabe der beiden Schwerter habe Christus den Papst mit geistlicher und weltlicher Macht ausgestattet. Dieser habe dann von sich aus das Gerichtsschwert an den Kaiser delegiert. Der berühmte Schlusssatz erklärt es für jeden Menschen heilsnotwendig, dem römischen Bischof untertan zu sein. 161 B. RÜCKBESINNUNG AUF DIE URSPRÜNGE Wurzeln: Ordensreformen des 10. und 11. Jhs. (Cluny) fordern Rückkehr zur apostolischen Armut. (vgl. Mt 6,19f; 10, 7ff; 19,21) Aufschwung der Städte (blühendes Zunftwesen der Kaufleute; Anteil auch der Kirche am Reichtum und Luxus der Städte); Kriege zwischen den Patriziern verschiedener Städte; große soziale Spannungen. Durch Pilgerberichte (Kreuzzüge) Wunsch nach einer neuen Begegnung mit dem "armen Heiland". (1223 erste Krippenweihnacht) 1. Antikirchliche Protestbewegungen im 12. Jh. a. Die Arnoldisten Der Bußprediger Arnold v. Brescia (+ 1155) kritisierte die Verweltlichung der Kirche (Simonie, Zölibatsbrüche, Kirchenbesitz) und forderte deren Enteignung sowie die Auflösung des Kirchenstaates. In der Zeit seines Exils in Paris kam es zu einem Konflikt zwischen Papst und Kaiser. 1155 wurde Arnold (aus politischen Gründen!) unter Barbarossa hingerichtet. Seine Predigerbewegung wurde in der Folge vom "weltlichen Arm" der Kirche zerschlagen. b. Die Waldenser Petrus Waldes (1140-1217), Seidenkaufmann in Lyon, verschenkte 1176 sein Vermögen (betroffen vom Tod eines nahen Verwandten? Durch die Aufführung der Alexiuslegende? Vom Wort Jesu an den reichen jungen Mann Mt 19,21?), versorgte seine Frau und seine Tochter in einem Kloster und zog bettelnd und predigend durchs Land. Anhänger (v. a. Wucherer sowie verarmte Adelige und Bürger) schlossen sich ihm an und bildeten eine Buß- und Armutsgenossenschaft ("Arme von Lyon"). Waldes predigte den Leuten die Bibel, die ihm zwei Priester in die Volkssprache übersetzt hatten, wobei Missdeutungen und Glaubensirrtümer unvermeidlich waren. Papst Alexander III. lobte auf dem 3. Laterankonzil (1179) zwar das Armutsideal der Waldenser, erlaubte ihnen aber nicht die Glaubenspredigt, sondern lediglich (unter klerikaler Aufsicht) die Sittenpredigt. Waldes forderte die Laienpredigt ("Jeder fromme Laie ist Priester") und die Laieneucharistie (Wandlung nicht in der Hand des unwürdigen Spenders, sondern in der des würdigen Empfängers). Er verwarf in der Folge die kirchliche Lehrautorität, die Hierarchie, die Tradition als Glaubensquelle, die Sakramente (ausser Taufe, Abendmahl, Buße), Eid, Kriegsdienst und Todesstrafe u. a. 1184 exkommunizierte Papst Lucius III. auf der Synode von Verona die Waldenser, sie wurden daraufhin verfolgt und vertrieben. Traurige Höhepunkte erreichte die z.T. blutige Verfolgung in den Jahren 1545, 1557 und 1689. V. a. in N-Frankreich und in den Rheinlanden kam es wiederholt zur Lynchjustiz. Erst das italien. "Risorgimento" (1848) beendete für die piemontesischen Waldenser die Rechtlosigkeit. Seit 1857 intensivierte sich die Auswanderung 162 nach Südamerika (Rio de la Plata). Heute sind sie – reformiert-presbyterial organisiert - v. a. auf Sizilien vertreten. Ihre Geistlichen werden in Rom an einer eigenen Waldenser-Fakultät ausgebildet. c. Die Katharer (Albigenser) Die Katharer (die "Reinen") bildeten die erste Massenbewegung, die nicht von der Präsenz eines Predigers abhing. Grundlagen ihrer Lehre - ein manichäisch getönter Dualismus, verbunden mit einer strengen Askese - gehen auf den mazedonischen Dorfpriester Bogumil und seine "Gottesfreunde" Anfang des 10. Jhs. zurück. Kreuzfahrer brachten sie nach S-Frankreich in die Stadt Albi ("Albigenser"). Absoluter Katharismus: Glaube an 2 Götter (guter Gott als Schöpfer der Geister, böser Gott als Schöpfer der sichtbaren Welt). Durch das Wirken Satans sind beide Welten ineinander verschlungen, der HI. Michael und Christus versuchten die getrennte dualistische Ordnung wiederherzustellen. Gemäßigter Katharismus: Die von Gott erschaffene Welt wurde durch den Satan, der Engel verführt und als Seelen in die Leiber der Menschen bannt, in ihrer Ordnung gestört. Durch Christus (= nicht inkarnierter Sohn Gottes, sondern gefallener Engel) wurden die Engel in den Leibern der Menschen erlöst. Oberstes Ziel der Katharer war es, der dem Satan verfallenen Welt durch strenge Armut und Askese (Vermeidung von Ehe, Geschlechtsverkehr, Handarbeit und damit verbundene materielle Güter; notfalls Selbstmord) aus dem Weg zu gehen. Durch den Tod wird der Engel für das Paradies befreit. Sie lehnten die Kirche ("Synagoge des Satans") radikal ab, ebenso die Sakramente ("Trugmittel des Teufels"), die Messe und die Heiligen- und Kreuzverehrung. Es gibt 2 Gruppen / Klassen von Gläubigen: - Die Vollkommenen ("Getrösteten"), denen durch das Consolamentum (nach einem lebenslangen Katechumenat "Tröstungen" im Sterbesakrament durch Berührung mit dem Evangelientext und Handauflegung = Geisttaufe) der unmittelbare Eingang in das himmlische Lichtreich zugesagt ist. Sie üben sich in strenger Askese. - Die einfachen Gläubigen, die durchaus lebensfreudig sind und durch das Apparellamentum (=Bußwerke) von den Sünden befreit werden. Weitere Entwicklung und Reaktionen der Kirche: Die Bewegung breitete sich schnell aus (ab 1162 in England, 1165 in N-Italien, in Köln wurden eigene Schulen errichtet) und wurde eine ernste Gefahr für die Glaubenseinheit. Sie standen oft unter dem Schutz der Magistrate und Grundherren, der niedere Seelsorgeklerus sympathisierte - durch den täglichen Umgang mit ihnen bedingt - mit ihren Ideen, und auch der aristokratische Episkopat zeigte sich an einer Bekämpfung nicht ernsthaft interessiert. Zunächst Bemühen Innozenz III., das Kranke in der Kirche zu heilen und die Katharer in "Religionsgesprächen" zu überzeugen und durch Predigt und vorbildhaft einfaches Leben der Kleriker zurückzugewinnen. Die Könige Englands und Frankreichs drängten das 3. Laterankonzil (1179) zu härteren Beschlüssen, nämlich die Ketzer (katharoi) aufzuspüren und als Glaubens- 163 und Staatsfeinde dem weltlichen Strafgericht zu übergeben. (Ausbildung der Inquisition zur Eindämmung der Lynchjustiz) 1199 bezeichnete Innozenz III. die neue Häresie als "crimen laesae majestatis" und gab damit den entscheidenden Impuls zur Strafverfolgung. Als 1209 der pästliche Legat Peter v. Castelnau ermordet wurde, rief Innozenz zum Kreuzzug gegen die Katharer auf, der immer mehr in einen Machtkampf zwischen dem Grafen Raimund VI. von Toulouse (Katharer) und dem Grafen Simon von Montfort (Kreuzugsführer) ausartete. In 20 Jahren blutiger "Albigenserkriege" (1229 Friede von Paris) wurden die Katharer fast völlig vernichtet. Gegen die Reste ging die Inquisition vor. 2. INNERKIRCHLICHE ARMUTSBEWEGUNGEN IM 13. JH. Allgemeine Charakteristika der Bettelorden (Mendikanten): Nicht nur der einzelne Mönch, sondern auch die klösterliche Gemeinschaft verpflichtet sich zum Verzicht auf irdischen Besitz (Lebensunterhalt durch Arbeit und Almosen). Mit dieser freiwilligen Abhängigkeit geben sie Zeugnis dafür, dass jeder Mensch auf Gnade und Barmherzigkeit angewiesen ist. Die Mönche versprechen nicht mehr die Bindung an ein Stammkloster (stabilitas loci der Benediktiner), sondern lassen sich dorthin schicken, wo sie gerade gebraucht werden. • Ihre Hauptaufgabe sind Predigt und Seelsorge in den Städten (große, aber einfach ausgestattete Kirchen und Klöster am Rand der Innenstädte) Die Ordensoberen werden jeweils nur für einige Jahre gewählt (= demokratisches Element) Laiengemeinschaften als Vorläufer: Die Beginen: Ca 1170 in Flandern nach urkirchlichem Vorbild entstandene Gemeinschaft von Frauen (grau-beige gekleidet=Beginen), die sich (ohne Gelübde) in sog. Beginen-Höfen zu werktätiger Nächstenliebe zusammenschlossen. (Schriftlesung, Krankenpflege, Handarbeiten für die Armen, Unterricht für Mädchen) Männliches Pendent: Die Begarden Die Mailänder Tuchweber: Eine Produktionsgemeinschaft, die auf Privatbesitz verzichtete und ihren Ertrag karitativen Zwecken widmete. 1201 Teilung in Orden und Säkularinstitut (mit Berufstätigkeit). a. Die Franziskaner (OFM=Ordo Fratrum Minorum=Minderbrüder) Gründer: Giovanni (Francesco) Bernadone (1182-1226), Sohn eines reichen Tuchhändlers; träumte zunächst davon, ein fahrender Sänger oder Ritter zu werden; Gefangenschaft und Krankheit während des Städtekrieges mit Perugia; versteht die Aussendung der Jünger (ohne Vorratstasche, Geld, Schuhe, zweites Hemd, Wanderstab Mt 10, 9f) als persönlichen Aufruf: Die Imitatio des armen, predigenden und helfenden Christus wird sein Lebensprogramm. 164 1206 Verzicht auf Erbschaftsanspruch; Rückzug in die Einsamkeit; Wiederaufbau der Kapelle San Damiano; Bußpredigt (als Laie) und Brüdergemeinschaft; als Waldenser verdächtigt, stellt er sich unter den Schutz des Bischofs von Assisi. Aufenthalt in Portiuncula, wo sich ab 1212 auch Klara und ihre Schwester Agnes aufhalten und den 2. Orden (Klarissen) gründen (Gebet, Askese, Caritas). 1219 Teilnahme am 5. Kreuzzug (Erlaubnis des Sultan El-Kamil, in seinen Territorien zu predigen); 1220 Rückkehr aus Palästina. 1221 Gründung des 3. Ordens (Laiengemeinschaft ausserhalb der klösterlichen Ordnung und ohne Ehelosigkeit). Abgabe der Ordensleitung an Pietro Cantanii Rückzug auf den Berg Alverna zu Gebet und Buße, 1224 Stigmatisierung (Wundmale Jesu), wiederholte Krankheiten, Vollendung des Sonnengesangs, Abfassung seines Testaments und 1226 Tod. 1228 durch Papst Gregor IX. heiliggesprochen. Ordensregeln: 1210 mündliche Bestätigung der 1. (verschollenen) Ordensregel durch Papst Innozenz III. (Traumvision vom Einsturz der Kirche) und Diakonatsweihe des Franziskus. 1221 Promulgation der neuen (2.) Regel (=Schriftstellen-Sammlung) mit 24 Kapiteln durch die röm. Kurie (Regula non bullata): Kein Besitz, keine Arbeit (ausser für eigenen Lebensunterhalt), keine Machtpositionen, kein Umgang mit Geld (notfalls Betteln) • 1223 (gemilderte) Regula bullata von Papst Honorius III. bestätigt. Ziel: Innere Mission (Förderung der Volksfrömmigkeit, Andachten, Beichtpraxis) und äußere Mission; strengste Armut und Gehorsam gegenüber der Kirche. Ordensentwicklung: Nach dem Tod des Gründers Richtungsstreit: Die SPIRITUALEN Die KONVENTUALEN Strengere Richtung mit radikaler Armut, Leben in Einsiedeleien, z.T. Schwärmer: 1317 Verhängung der Inquisition, 1323 Ideal der apostol. Armut als häretisch erklärt; Rückkehr in die Ordensgemeinschaft. Mildere Richtung (Besitztümer und apokalyptische Stiftungen für den Orden=Eigentum der Kirche) und Leben im Konvent der Brüder (Kloster) Am Höhepunkt des sog. Armutsstreits kam es 1528 zur Teilung des (1.) Ordens in die drei autonomen Zweige der FRANZISKANER MINORITEN KAPUZINER b. Die Dominikaner (OFP= Ordo Fratrum Praedicatorum= Predigerbrüder) Gründer: Dominikus v. Osma / Kastilien (1170-1221), Adeliger und Gelehrter; verkaufte anlässlich einer Hungersnot seine Bücher und half mit dem Erlös den Armen; Mitglied des Domstiftes zu Osma und 1201 dessen Superior. Mit seinem Bischof Diego v. Osma vom Papst nach S-Frankreich geschickt, um die Katharer 165 zu bekehren. In der Nähe von Toulouse Errichtung eines Bildungsheimes für Mädchen und einer Ausbildungsstätte für Prediger (später 1. Kloster des 2. Ordens der Dominikanerinnen); 1221 Tod, 1234 Heiligsprechung. 3. Orden. Orden: 1215 Gründung eines Predigerordens nach der Augustinus-Regel (gegen Waldenser und Albigenser); 1216 Bestätigung durch Honorius III.; 1232 Beauftragung des Ordens mit der Durchführung der Inquisition durch Gregor IX. Ziel: Überzeugen statt Bekriegen der Abtrünnigen; d. h. nicht nur Predigt, sondern auch gelebte persönliche Armut als Gegenzeichen zur reichen Kirche. Pflege der theologischen Wissenschaften an Schulen und Hochschulen. Bekannte Mitglieder: Thomas v. Aquin, Albertus Magnus, Meister Eckhart, Ablassprediger Tetzel, Savonarola u. a. c. Die Karmeliten: 1185 gründete der Kreuzfahrer Berthold v. Kalabrien auf dem Berg Karmel eine Einsiedler-Gemeinschaft nach dem Vorbild der Jüngergemeinschaft des Propheten Elija (2 Kg 2); 1207/09 streng beschauliche Regel, die 1226 von Honorius III. bestätigt wurde. 1228 nach Europa verpflanzt: Simon Stock (1247-1265) als erster Generaloberer. d. Die Augustiner-Eremiten: : 1243-1256 Zusammenschluss einiger Einsiedler-Vereinigungen in der Toskana nach der Augustinus-Regel. Bekanntestes Mitglied: M. Luther (Augustiner-Chorherren gibt es bereits seit 1059!) e. Die Serviten: : 1233 in Florenz aus einer Laienbruderschaft von Kaufleuten und Patriziern entstanden "zum Dienst Mariens". 1240 Annahme der Augustinus-Regel, 1255 bestätigt. C. KAMPF UM DIE REINHEIT DER LEHRE Der Streit um die Wahrheit nimmt oft eine eigenartige Wendung: "Luzi und Kathrin sind Schwestern. Die ältere Luzi besucht mit Freude den Sonntagsgottesdienst und den wöchentlichen Religionsunterricht, die jüngere Kathrin hält - für Luzi unverständlich - nicht viel davon. Luzi kann sie trotz allen Bemühens von der Bedeutung des Glaubens nicht überzeugen. Da verhaut sie schließlich ihre kleine Schwester..." 1. DIE INQUISITION: GRUNDGEDANKE: Um der Willkür der weltlichen Obrigkeit und/ oder des Volkes im Kampf gegen Irrlehrer zu begegnen, schuf die Kirche eine eigene Gerichtsorganisation als "Untersuchungsbehörde". Dieses kirchliche Gericht und auch das Gerichtsverfahren sind bekannt unter dem Namen "Inquisition" (lat. 166 inquirere=ausforschen). Gregor IX. legte es als gesamtkirchliche Institution in die Hände der Dominikaner, die schon bald "domini canes" (Hunde des Herrn) genannt wurden. REALITÄT: "Peinliche" Verhöre (Folter, Kerker) und Hinrichtungen durch "Verbrennung", damit auf diesem Weg wenigstens die Seele durch das Fürbittgebet der Kirche gerettet werden könne. (Vgl. 1 Kor 5,5) Beispiel Deutschland/ Frankreich (14./15.Jh.): Äußerst unbeliebt war der 1227 zum päpstlichen Inquisitor für ganz Deutschland bestellte Konrad v. Marburg, der - unter Umgehung der Bischofsgerichte - v. a. gegen den Adel vorging. 1233 wurde er von Rittern erschlagen... Beispiel Spanische Inquisition (1478-1484): Polizeiliche Funktion der Inquisition, da an den König und seinen Machtapparat gebunden. Dem kirchlichen Großinquisitor unterstanden alle Inquisitionstribunale des Landes. Die Bischöfe - zugleich weltliche Herrscher - bedienten sich dieser staatlichen Machtmittel im Kampf gegen die Juden, die Mauren (span. Moslem) sowie verdächtige Landsleute. Tausende endeten auf dem Scheiterhaufen. Vielfach auch Zwangskonversionen. Im Zuge der Reformation/ Gegenreformation richtete sich die Inquisition auch gegen die Protestanten. In Spanien wurde sie erst 1834, in Italien 1859, im Kirchenstaat 1870 offiziell aufgehoben. 2. DIE HEXENVERFOLGUNG: Der "Sachsenspiegel", das älteste mittelalterliche Rechtsbuch (1221), bewertet die Zauberei wie eine Vergiftung oder den Unglauben und bedroht sie mit dem Feurtod. Seit dem Mittelalter wurde Hexerei als Verbrechen gegen die Religion angesehen und wie im Fall der Ketzerei dagegen vorgegangen. Weigerten sich die Angeklagten, dem Teufel abzuschwören, wurden sie dem Staat zur Vollstreckung der Todesstrafe (durch Verbrennen) ausgeliefert. (Erstmals 1275 in Toulouse) Hexerei galt als vierfaches Verbrechen: Blasphemie, Sodomie, Zauberei und Ehebruch/ Kuppelei. Die Teufelsbuhlschaft der Hexen war Kennzeichen der Schwarzen Messe wie auch des Hexensabbats. Zum Ausbruch des eigentlichen Hexenwahns kommt es erst am Ende des Mittelalters: Einen verhängnisvollen Schritt tat Innozenz VIII. 1484 mit der sog. Hexenbulle, zu der die Dominikaner H. Institoris und J. Sprenger mit dem 3. Teil ihres "Hexenhammers" (1487) eine detaillierte Gebrauchsanweisung gaben. V. a. zwischen 1590 und 1630 fielen Tausende Frauen und Mädchen diesem Wahn zum Opfer. Auch Luther und die Reformatoren bejahten die Existenz von Hexen und deren Verfolgung. In Österreich hörte die Hexenverfolgung unter Maria Theresia auf. 167 "BABYLONISCHE GEFANGENSCHAFT" DER KIRCHE Die Bulle "Unam sanctam" (1302) von Papst Bonifaz VIII. - das Hauptdokument der pästlichen Machtansprüche des Mittelalters machte den französ. König Philipp den Schönen zum schärfsten Gegner des Papstes: Der Papst sei nur Herrscher über den Kirchenstaat! Als dieser ihn nach der Exkommunikation 1303 auch mit dem Kirchenbann belegen und dessen Untertanen vom Treueid entbinden wollte, kam es beim sog. "Attentat von Anagni" zur (dreitätigen) Gefangennahme des Papstes, ehe ihn die Bürger seiner Vaterstadt befreiten. Nur wenige Monate später starb Bonifaz. Streit Philipps des Schönen mit Papst Bonifaz VIII. um Machtansprüche Nach dem Übergangspapst Benedikt XI. (1303-1304) kam es zur Wahl Clemens V. (1305-1314), dem früheren Erzbischof v. Bordeaux, bei dessen Krönung in Lyon auch König Philipp anwesend war. Clemens residierte zunächst in versch. Städten Südfrankreichs, ehe er sich 1309 auf Dauer in Avignon niederließ. Folgen: Papst Clemens V. "französischer Hofbischof" und gefügiger Handlanger Philipps - Milderung von "Unam sanctam" für Frankreich und Einleitung eines Prozesses gegen Bonifaz. - Aufhebung des (reichen) Templerordens ("Reformkonzil" zu Vienne 1311/12) und Ansprüche der franz. Fürsten - Blühender Nepotismus (5 Verwandte als Kardinäle) - Kirche degeneriert selbst zu einer Geldinstitution (Ämterkauf, Dispenszahlungen etc., Geldanlage bei florentin. Großbanken wie Medici) - Pfründenanhäufung beim höheren Klerus und Vernachlässigung der Seelsorge. Papst Johannes XXII. (1316-1334) führte die franz. Hofpolitik fort in Papst Johannes XXII. seinem schroffen Vorgehen gegen Ludwig den Bayern (Bann, gegen Ludwig den Exkommunikation, Lösung der Untertanen vom Trteueid). Auf dessen Bayern "Sachsenhausener Appellation" an ein Konzil hin (1324) erklärte ihn Johannes aller seiner Rechte an Reich und Kaisertum für verlustig und verhängte Bann und Interdikt über ihn und seine Anhänger. Auf die Seite Ludwigs stellte sich Marsilius v. Padua mit der "Defensor pacis" von berühmten Schrift (und zugleich Ehrentitel Ludwigs) "Defensor pacis" Marsilius v. Padua (1324), in der er die völlige Unterordnung der Kirche unter die Staatsgewalt propagiert. Johannes verurteilte daraus 5 Thesen, die Fronten verhärteten sich. Auf dem Weg nach Rom (ähnlich Heinrich VII.) ließ sich Ludwig 1327 in Mailand mit der Lombardenkrone krönen, 1328 erfolgte in Rom die Kaiserkrönung. Das "Volk von Rom" erklärte anschließend Johannes für abgesetzt und wählte Nikolaus V. zum Gegenpapst... Die beiden Positionen - Rechtmäßigkeit der Wahl Ludwigs zum deutschen König und seine Kaiserkrönung oder alleiniges Verfügungsrecht des Papstes über die deutsche Königskrone - blieben unvereinbar. Johannes starb 1334. 168 Auch die folgenden Päpste residierten in Avignon. Papst Urban V. (1362-1370), früher Benediktinerabt des Klosters St. Viktor in Marseille, dachte - gedrängt von der Hl. Birgitta v. Schweden und Kaiser Karl IV. - ernsthaft an eine Rückkehr nach Rom. Er traf dort 1367 ein, kehrte aber kurz vor seinem Tod nach Avignon zurück. Erst sein Nachfolger Gregor XI. (1370-1378) - der letzte Franzose auf dem Papstthron - verlegte auf Bitten der Hl. Katharina v. Siena hin 1377 seine Residenz nach Rom in den Vatikan (und nicht mehr in den Lateranpalast). Papst Gregor XI. (1370 - 1378) und Katharina von Siena Rückkehr ABENDLÄNDISCHES SCHISMA UND REFORMKONZILIEN Nach der 70-jährigen "Gefangenschaft" des Papsttums in Avignon Abendländisches erhoben zunächst der Italiener Urban VI. (im Kirchenstaat) und der Schisma Franzose Clemens VII. (ab 1379 in Avignon) Anspruch auf das höchste Amt in der Kirche. Der vermeintliche (konziliaristische) "Ausweg" aus (1378-1417) dem Dilemma mit der Wahl Johannes XXIII. auf der Kirchenversammlung von Pisa 1409 führte zur "verruchten Dreiheit" und dem großen "Abendländischen Schisma" (1378-1417). 1413 unterzeichnete Johannes die Bulle, mit welcher er das Allg. Konzil von Konstanz Konzil in Konstanz für den 1.11. 1414 einberief. Es sollte drei (1414-1418) Hauptprobleme lösen: - Die Frage der Einheit im Oberhaupt: Das Konzil erklärte sich in dem berühmten Dekret "Haec sancta synodus" 1415 als über dem Papst stehend. Es setzte sodann den Pisaner Papst Johannes ebenso wie den Avignoner Benedikt XIII. ab, während der Römer Gregor XII. freiwillig zurücktrat. Damit war der Weg frei für die Wahl des Römers Martin V. (1417-1431) - Die Frage der Einheit des Glaubens: Der böhmische Priester Jan Hus, ein Anhänger der Lehren J. Wyclifs, musste sich gegen den Vorwurf der Häresie (Eucharistie) verteidigen. Er wurde 1415 als Ketzer verurteilt und der weltlichen Macht übergeben. (Feuertod) - Die Frage der Kirchenreform: Terminisierung nachfolgender Konzilien (nach 5, 7 und dann regelmäßig nach 10 Jahren); Ablegung eines Glaubensbekenntnissses durch den neugewählten Papst; Eindämmung des kurialen Ämter- und Pfründenwesens u. a. Das meiste davon versandete... Papst Martin V. (1417-1431) Jan Hus Versäumte Reformen Papst Martin V. fand ein desolates Rom vor: Die halbverfallene Desolates Rom Paulsbasilika diente den Hirten der Campagna als Stall für ihre Schafe, Wölfe drangen aus den Bergen bis in die Stadt vor und scharrten die Toten aus den Gräbern, der Vatikanpalast war ohne Türen und Fenster, die konstantinische Peterskirche baufällig, die Lateranbasilika - "Haupt und Mutter" aller Kirchen - eine mächtige Ruine... Das fällige Reformkonzil (1423 in Pavia / Siena) war lediglich eine Pflichtübung, terminisierte aber für 1431 ein Allgemeines Konzil in Basel. Noch vor dessen Eröffnung starb Martin V. 169 Unter seinem Nachfolger Eugen IV. (1431-1447), einem unerfahrenen und weltfremden Ordensmann, gerieten Papsttum und Kirche erneut in eine schwere Krise. Durch Falschinformationen misstrauisch, löste er nach einem halben Jahr die Versammlung auf und berief für 1433 ein neues Konzil in Bologna ein. Doch die Konzilsväter tagten weiter und erneuerten die Konstanzer Beschlüsse über die Superiorität des Allgemeinen Konzils über den Papst. Man gab sich eine Geschäftsordnung mit starken demokratischen Zügen und befriedete 1433 mit den "Baseler Kompaktaten" den Konflikt mit den böhmischen Hussiten. Diese Erfolge zwangen schließlich den Papst zu einer Kehrtwendung und Anerkennung des Konzils... Papst Eugen IV. und das Konzil von Basel Konfliktbereini-gung mit den Hussiten 1433-1437 entfaltete das Konzil eine reiche und heilsame Tätigkeit v. Reformpläne a. auf dem Gebiet der Kirchenreform (Gegen Konkubinat der Kleriker, Missbräuche bei Verhängung des Interdikts und Nepotismus; verpflichtende Provinzial- und Diözesansynoden; Wahl der Bischöfe durch das Domkapitel und der Äbte durch die Mönche des Klosters; Gottesdienstreformen u. a.) Die damit immer stärker werdenden Spannungen zwischen Papst und Konzil führten zu einem neuen Konflikt in der Frage der Griechenunion: Eugen IV. verlegte zur Behandlung dieser Frage das Konzil nach Ferrara und wurde 1439 schließlich (trotz des Unionserfolges) vom Basler Restkonzil als Häretiker für abgesetzt Griechenunion erklärt. Mit Felix V. (1439-1449) kam es zu einem letzten (und unbedeutenden) Gegenpapst. Eugen IV. starb 1447. Fazit: Abermals keine durchgreifenden Reformen, aber erfolgreiche Abwehr einer Demokratisierung der Kirchenverfassung (Konziliarismus) 170 NATIONALKIRCHLICHE BEWEGUNGEN IN ENGLAND UND BÖHMEN A. DIE KIRCHENKRITIK JOHN WICLIFS (ca 1330-1384) : Engl. Theologe und seit 1372 Professor in Oxford, stellte dem (menschlichen) Kirchenrecht die "lex evangelica" entgegen und vertrat damit Positionen, die die inzwischen zu Reichtum und Macht gelangten Bettelorden vertreten hatten. Übersetzung der Vulgata in die Landessprache. ("Lollarden-Bibel") Hauptkritik in 18 Thesen in seinem Werk "De civili dominio"(1376): Die Könige dürfen in vom Gesetz begrenzten Fällen den Geistlichen ihre weltlichen Güter wegnehmen, wenn sie sie gewohnheitsmäßig missbrauchen, da mit der Schenkung von Gütern an die Kirche a priori die Bedingung verknüpft sei, dass dadurch Gott geehrt und die Kirche erbaut werde. B. DIE KIRCHENKRITIK DES JAN HUS (1369-1415) : Person: Magister an der Prager Universität, von Wiclifs Schriften begeistert, die er eigenständig verarbeitete; wegen seiner Predigten (ab 1402 in der Bethlehemskirche) und Bücher in tschechischer Sprache ungeheuer populär; 1411 Exkommunikation, dann Interdikt; 1412 Predigt gegen den Kreuzzugsablass Johannes XXIII.; nach Konstanz geladen, 1415 als Ketzer verurteilt und hingerichtet; 1416 auch sein Schüler Hieronymus v. Prag hingerichtet. Bewegung: Nach seinem Tod Aufstand des Volkes gegen König und Kirche, Klöster, Bischofs- und Adelssitze. Hussitenkriege (1419-1436). Es war zugleich (unter Karl IV. Prag als Residenz des hl. Röm. Reiches deutscher Nation) eine nationale=antideutsche Bewegung. - Gemäßigte Hussiten (Bürgertum, Hochadel, Gebildete): Freie Predigt, auch Laienkelch (Kalixtiner, Utraquisten), Säkularisierung der Kirchengüter, Ausrottung der Todsünden - Radikale Taboriten (Landvolk, Handwerker): Fanatischer Hass gegen alle Einrichtungen der Kirche; 1422 "76 Artikel" als Programm! (Z.B. "Jeder Gläubige muss seine Hände im Blut der Feinde Christi waschen"; Sola scriptura; christl. Urkommunismus) 1433 Vereinbarung der Kirche mit den Utraquisten in den "Prager Kompaktaten" (Laienkelch und freie Predigt erlaubt), aber schon 1459 von Pius II. für nichtig erklärt. Die Taboriten wurden 1434 vernichtend geschlagen, flohen in die böhmischen Wälder und verbündeten sich mit den ebenfalls flüchtigen Waldensern zur "Unität der böhmischmährischen Brüder". Lehre: Gegen Verweltlichung der Kirche, Sittenverfall der Kleriker, Ablass, Reliquienkult; Papst und Klerus seien "Hunde des Teufels"… Beurteilung: Zuletzt wesentlich milder, Rehabilitierung unter Papst Joh. Paul II.) angebahnt. 171 DIE RENAISSANCEPÄPSTE Nikolaus V. (1447-1455) leitet eine neue Epoche der Papstgeschichte ein, eine Periode, die geprägt ist von prunkvollen Bauwerken, vom Glanz unvergleichlicher Kunstwerke, die das Ideal des einzelnen Menschen (in seiner ganzen Größe und Schönheit) aus der anonymen Masse heraustreten ließ (Humanismus) und sich mit der Wiederbelebung der Antike (griech. Sagen, klass. Latein) paarte. Bahnbrecher waren hier Dante (+ 1321), Petrarca (+ 1374) und Cola di Rienzo (+ 1354) Nikolaus V. (1447-1455) der edelste unter den Päpsten dieser Zeit Nikolaus V. ("All mein Geld möchte ich für Bücher und Bauten ausgeben") zog berühmte Gelehrte und Literaten an die Kurie, ließ Handschriften des klassischen und christlichen Altertums sammeln und abschreiben ("Begründer der Vatikan. Bibliothek"), plante bereits einen Neubau der Peterskirche und des Vatikans und beschäftigte in einem beispiellosen Mäzenatentum bedeutende Maler und Bildhauer. Zu all dem persönlich schlicht und höchst integer, war er der edelste unter allen Renaissancepäpsten. Sein Nachfolger Calixtus III. (1455-1458) aus der span. Familie der Borja stand der Renaissance bereits gleichgültiger gegenüber und strebte v. a. nach der Rückeroberung Konstantinopels aus der Hand der Türken (Kreuzzug; Prediger Johannes von Capistrano) Sein Pontifikat ist überschattet von einem maßlosen Nepotismus (Rodrigo Borja - später Alexander VI. - wurde etwa schon als Jugendlicher zum Kardinal ernannt), der zu wilden Hassausbrüchen des Volkes gegen die "Katalanen" führte... Calixtus III. Enea Silvio Piccolomini (aus Siena) nannte sich mit Blick auf den "pius Aeneas" nach echter Humanistenart Pius II. (1458-1464). Selbst geistvoller Schriftsteller, Historiker und Geograph, Redner und Politiker, "aufgeklärter Fürst im Vatikan" und Förderer der Künste, war er der typische Vertreter der Renaissancezeit. 1463 distanzierte er sich von den eigenen (Baseler) konziliaren Grundsätzen mit dem Wort "Aeneam reiicite, Pium recipite!" Wie seinen Vorgänger beherrschte auch ihn die Kreuzzugsidee: Er begab sich selbst nach Ancona, um sich an die Spitze der Kreuzzugsflotte zu stellen, als ihn der Tod ereilte. Pius II. Nach Paul II. begann mit dem General des Franziskanerordens als Sixtus IV. (1471-1484) das "Zeitalter des Verderbens": Nepotismus wurde zum System, er war in politische Verschwörungen und einen Mordanschlag gegen die Familie Medici in Florenz verwickelt, erhöhte die Einnahmen durch vermehrte Ablassverleihungen und höhere Pfründenbesteuerung. Dem stand eine großzügige Förderung von Kunst und Wissenschaft gegenüber: Die Neuordnung der Vatikan. Bibliothek, der Neubau des Hospitals Santo Spirito und die künstlerische Gestaltung der nach ihm benannten (Sixtinischen) Palastkapelle im Vatikan durch Rosselli, Botticelli u. a. Sixtus IV. (1455-1458) aus der spanischen Familie der Borja (1458-1464) Aufgeklärter im Vatikan Fürst 1471-1484) Moralischer Niedergang Papsttums Sixt. Kapelle des 172 Innozenz VIII. (1484-1492) verbündete sich mit der Familie Medici Innozenz VIII. und festigte diese Verbindung durch eine Ehe seines Sohnes mit einer Tochter Lorenzo Medicis im Vatikanpalast. Auch das (1484-1492) Kardinalskollegium war total verweltlicht, päpstliche Beamte trieben einen schwunghaften Handel mit gefälschten Bullen. Berühmt wurde Innozenz durch seine Hexenbulle (1484), die dem Hexenwahn Hexenbulle Vorschub leistete. Durch simonistische Machenschaften erreichte Kardinal Rodrigo Borja seine Papstwahl und nannte sich Alexander VI. (1492-1503). Er führte - auch an den laxen Begriffen seiner Zeit gemessen - einen sittenlosen Lebenswandel: Aus einer ehebrecherishen Beziehung zu Vanozza de Cataneis gingen vier Kinder hervor (u. a. Cesare und Lukretia). Für Cesare strebte er die Schaffung eines großen mittelitalienischen Königreichs (auf Kosten des Kirchenstaates) an. Die Ermordung seines Lieblingssohnes (1497 in Rom) bewirkte lediglich einen kurzzeitigen Gesinnungswandel (Schuldbekenntnis und Einsetzung einer Reformkommission). Im Streit um die von Columbus entdeckten neuen Länder zwischen Spanien und Portugal erfüllte er als Spanier weitgehend die Wünsche des spanischen Königspaares. Wie die atl. Propheten fühlte sich der Dominikanermönch Girolamo Savonarola (Florenz) berufen, in Predigten und Schriften zu Umkehr und Buße aufzurufen. Nach einem zwischenzeitigen Predigtverbot sprach Alexander die Exkommunikation über Savonarola aus. Die Hängung und Verbrennung als "Häretiker, Schismatiker und Verächter des Hl. Stuhles" erfolgte 1498. Alexander selbst starb 1503 vermutlich an dem Gift, das er gemeinsam mit seinem Sohn Cesare dem Kardinal Castellesi zugedacht hatte und das durch ein Versehen in die Becher der Borja geraten war... Alexander (1492-1503) Pius III. (1503), der schon 23 Tage nach seiner Wahl starb, folgte ein Mann von Welt, König und Feldherr zugleich, eine überdurchschnittliche geistige und körperliche Kraftnatur mit dem Beinamen "il Terribile": Papst Julius II. (1503-1513) Es gelang ihm, den im Zerfall begriffenen Kirchenstaat wiederherzustellen und damit ein unabhängiges Papsttum zu stärken. Familiäre Rücksichtnahmen (Nepotismus) traten dabei in den Hintergrund. Sein Pontifikat ist umstrahlt vom Glanz großzügigen Mäzenatentums: Er beschäftigte Bramante (Planung der neuen Peterskirche, 1506 Grundsteinlegung), Michelangelo (Deckengemälde der Sixtin. Kapelle) und Raffael. Julius II. VI. Moralischer Tiefpunkt Der "Prophet" und Kritiker G. Savonarola (1503-1513) Militarist "Retter Papsttums" und des Papst Leo X. (1513-1521) sagte nach seiner Wahl: "Lasst uns das Leo X. Papsttum genießen, da Gott es uns verliehen hat..." Er war ständig in politische und nepotistische Händel verstrickt und vernachlässigte (1513-1521) sträflich die drängenden geistlichen Aufgaben. Ein ihm vorgelegtes und die Reformation radikales Reformprogramm blieb liegen, die Finanzen reichten nicht aus (Neubau St. Peter). Die letzte Chance schien die Einberufung des 5. Laterankonzils (1512-1517), das eine Reihe wichtiger Reformmaßnahmen beschloss, die aber einmal mehr nicht realisiert werden konnten. 173 DIE REFORMATION Charakteristik der Zeit: - Neue Entdeckungen (Amerika 1492 durch Columbus, Seeweg 1498 durch Vasco da Gama; Heliozentrisches Weltbild durch Kopernikus Die neue Epoche und Galilei) und Erfindungen (Buchdruck 1450 durch Joh. Gutenberg) - Ein Papsttum, das in ständige Auseinandersetzungen sowohl mit Königen, als auch mit den eigenen Bischöfen verwickelt war. Dazu kam der pausenlose Ansturm des Islam vom Osten und Süden her (1529 Türken vor Wien) - Ein reicher höherer Klerus, der seelsorglich uninteressiert war. - Ein weithin ungebildetes Klerusproletariat ("Messeleser"), das nach den zahlreichen Stiftungen und Pfründen strebte. - Ein aufgrund der latein. Kirchensprache ungebildetes Kirchenvolk, das für Schwärmertum und Phantasterei ebenso empfänglich war wie für Aberglauben (Hexenwahn und Teufelsglaube) und Höllenängste (Luther: Wie kriege ich einen gnädigen Gott?) Martin LUTHER (1483-1546) : Geboren in Eisleben / Thüringen; Studium der Rechtswissenschaften in Erfurt (ab 1501); während eines schweren Gewitters Gelübde, Priester zu werden; 1505 Eintritt bei den Augustinereremiten in Erfurt, 1507 Doktor der Theologie und Professor für Bibelwissenschaft in Wittenberg. In der Beschäftigung v. a. mit dem Römerbrief wuchs sein Zweifel daran, dass der Mensch selbst (durch die Vermittlung der Kirche) durch Bußübungen und gute Werke sein ewiges Heil erwirken könne. Gott sei es, der den Menschen gerecht macht, wenn dieser sich ihm vertrauensvoll überantwortet. Seit 1516 hielt der Dominikaner Johann Tetzel mit großem Erfolg seine Ablasspredigten und verkaufte Ablassbriefe unter dem Motto: "Wann immer eine Münze im Kasten klingt, eine arme Seele aus dem Fegefeuer springt." Die eine Hälfte des Erlöses diente dem Bau des Petersdomes, die andere der Schuldentilgung des Mainzer Erzbischofs bei der Familie Fugger. Am 31.Oktober 1517 veröffentlichte Luther 95 lateinische Thesen (1518 in Deutsch) gegen den Ablassmissbrauch und für die Unerlässlichkeit von Reue und Buße. Mithilfe der Buchdruckerkunst fanden sie schnelle Verbreitung in halb Europa. Der päpstliche Legat Kardinal Cajetan eröffnete daraufhin in Augsburg den Ketzerprozess gegen Luther. 1519 bezweifelte Luther in einem öffentlichen Streitgespräch mit dem Theologieprofessor Johannes Eck ("Leipziger Disputation") die Amtsautorität des Papstes und die Irrtumslosigkeit der Konzilien. 1520 entfaltete er in drei großen Schriften seine reformatorische Erkenntnis: - "An den christlichen Adel deutscher Nation" zeigt eindringlich die Missbräuche in der Kirche auf und skizziert Wege zur Besserung. M Luther (1483-1546) Römerbrief Joh. Tetzel 95 Thesen (31. Okt. 1517) Leipziger Disputation mit Eck 174 Entgegen der traditionellen Sonderstellung des geistlichen Standes vertritt Luther die These vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen. "Denn sie sind alle geistlichen Standes, wahrhaftige Priester, Bischöfe und Päpste." - "Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche" enthält Luthers 3 Schriften neues Sakramentsverständnis, das - wegen der Bedeutung der Zeichenhaftigkeit - nur Taufe und Brotbrechen gelten lässt. (Das Bußsakrament sei lediglich der Weg und die Rückkehr zur Taufe und entbehre eines sichtbaren Zeichens) - "Von der Freiheit eines Christenmenschen" handelt über den im Glauben befreiten Menschen: "Ein Christenmensch ist (im Glauben) ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist (in der Liebe) ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan." 1520 kehrte Eck mit der Bannandrohungsbulle aus Rom zurück. Die nachfolgenden Verbrennungen von Luthers Schriften in einigen Städten beantwortete dieser mit der öffentlichen Verbrennung der (gedruckten) Bannandrohungsbulle. Am 3. Jänner 1521 sprach Papst Leo X. den Bann (=Ausschluss aus der sakramentalen Gemeinschaft) über Luther aus. Am 6. März wurde Luther von Kaiser Karl V. vor den Wormser Reichstag geladen, verweigerte aber unter Berufung auf sein Gewissen den Widerruf: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders." Am 26. Mai wurde (im Wormser Edikt) gegen Luther die Reichsacht verhängt (=Ausschluss vom Rechtsschutz). Auf der Rückreise ließ ihn sein Landesherr Friedrich der Weise (Kurfürst von Sachsen) überfallen und auf der Wartburg in Sicherheit bringen. Hier übersetzte er (als "Junker Jörg" getarnt) innerhalb kurzer Zeit das NT ins Deutsche (1522; 1534 auch das AT) Wormser Reichstag 1521 Kirchenbann Reichsacht NT-Übersetzung Währenddessen formierte sich in Wittenberg unter Andreas Karlstadt Ph. Melanchton und Gabriel Zwilling ein neues Kirchentum (Abendmahl in beiden Gestalten, Deutsche Sprache). Philipp Melanchton, seit 1519 Luthers engster Mitarbeiter, wird zum Systematiker der "Neuen Lehre". In Th. Münzer Zwickau bildete sich um den Lutheranhäger Thomas Münzer eine radikale und schwärmerische Bewegung ("Zwickauer Propheten"), die unter Berufung auf den "Geist" auch vor einem gewaltsamen Umsturz nicht zurückschreckte. Das - in der Weltgeschichte beispiellose - Schuldbekenntnis Hadrians VI. (seit 1523), das am Reichstag zu Nürnberg von seinem Gesandten verlesen wurde, konnte die Einheit der Kirche nicht mehr retten: "Wir bekennen aufrichtig, dass Gott diese Verfolgung seiner Kirche geschehen lässt wegen der Sünden der Menschen, besonders der Priester und Prälaten... Wir wissen wohl, dass auch bei diesem Bekenntnis Heiligen Stuhl schon seit manchem Jahr viel Verabscheuungswürdiges Hadrians VI. vorgekommen ist: Missbräuche in geistlichen Dingen, Übertretungen der Gebote, ja, dass alles sich zum Argen verkehrt hat. So ist es nicht zu verwundern, dass die Krankheit sich vom Haupt auf die Glieder, und 175 von den Päpsten auf die Prälaten verpflanzt hat." Unter Berufung auf Luthers "Freiheit eines Christenmenschen" erhoben Bauernkriege die Bauern 1525 soziale, politische und religiöse Forderungen gegenüber ihren Grundherren (Flugblatt "Zwölf Artikel der (1525) Bauernschaft in Schwaben"). Der Bauernaufstand breitete sich (in Thüringen unter Th. Münzers Führung) rasch aus. Luthers Schrift "Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern" war vergeblich. Die Niederlage der schlecht ausgerüsteten Bauern (in der Schlacht in Frankenhausen / Thüringen) war vernichtend. Münzer wurde gefoltert und hingerichtet. Trotz des Wormser Edikts breitete sich die Reformation in Deutschland ungehindert aus. Jeder Reichstand durfte es halten, "wie er es gegen Gott und Kaiserliche Majastät hoffet und vertraut zu verantworten." (Karl V. 1526 am Reichstag zu Speyer) Am 25. Juni 1530 überreichten die evangelischen Stände auf dem Reichstag zu Augsburg die grundlegende lutherische Bekenntnisschrift "Confessio Augustana". So wurde aus der religiösen Volksbewegung eine von den Fürsten getragene politische Bewegung. In den entstehenden Landeskirchen ernennt der Landesfürst ("Notbischof") die Pfarrer, beaufsichtigt das Kirchenvermögen, die Glaubenslehre, Gottesdienst und Schulbildung. Der Versuch Karls V., mit Waffengewalt die Reichseinheit zu retten, führte zum Schmalkaldischen Krieg (1546/47). Entstehung Landeskirchen "Confessio Augustana" 1555 einigten sich schließlich Kaiser und Landesfürsten im Augsburger Religionsfrieden auf folgenden Kompromiss: - Untertanen müssen dem Bekenntnis des Landesherrn folgen ("Cuius Augsburger regio, eius et religio"), die anderen dürfen auswandern. - In den Reichsstädten (kath. und evang. Bevölkerung) soll Toleranz Religionsfriede (1555) herrschen. - Geistliche Fürsten (Bischöfe und Äbte) verlieren bei Konfessionswechsel ihr Territorium, da es nicht ihr Erbbesitz ist. Ulrich Zwingli (1484-1531) : Pfarrer und Feldpriester, begann seine Reformation (nach einer U. Zwingli Begegnung mit Erasmus von Rotterdam in Basel) zunächst unabhängig in Zürich von Luther. 1523 legte er dem Stadtrat von Zürich 67 Thesen vor und erhielt die Predigterlaubnis. Im Zentrum seines Glaubens stand die Prädestinationslehre. Unter Berufung auf die Schrift verschwanden bald Bilder, Orgelmusik und Gesang, Prozessionen, Heiligenverehrung und schließlich (1525) sogar die Messe. Das Abendmahl wurde viermal im Jahr gereicht, die Klöster wurden aufgehoben. 1529 entstand die Übersetzung der Zürcher Bibel. Zwingli gewann den größeren Teil der deutschen Schweiz und einige süddeutsche Städte für seine Reformation. Ein Zusammenschluss mit Luther im "Marburger Religionsgespräch" scheiterte am unterschiedlichen Eucharistieverständnis. von 176 Jean Calvin (1509-1564): J. Calvin Humanist und Jurist, wollte (in der Gottesstadt Genf) das Reich Gottes auf Erden verwirklichen: Gottesdienst wurde zur Pflicht, Gemeindeälteste überprüften die öffentliche Ordnung und die private "Gottesstadt" Genf Lebensführung. Nach einer kurzzeitigen Ausweisung kehrte er 1541 zurück und formte Genf mit harten Kirchenstrafen und sogar Todesurteilen zur reformatorischen Musterstadt. Der Calvinismus fasste in Deutschland, Frankreich, England, Schottland (durch den Calcvin-Schüler John Knox) Fuß. Seine Lehren hat Calvin in der "Institutio religionis christianae" festgehalten: - Prädestination: Gerettete und Verdammte stehen in Gottes souveränem Ratschluss schon fest. An der Gemeinschaft mit Christus, Lehre an der Zugehörigkeit zur Kirche, am entsprechenden Lebenswandel (treue Pflichterfüllung in Familie und Beruf) und am diesseitigen Erfolg kann der Mensch erkennen, ob er zu den Erwählten gehört. - Gottesdienst: Verkündigung des Wortes Gottes (Kanzel) durch den Prediger und Antwortpsalmen der Gemeinde. Nüchterne Kirchenräume ohne Bilder und Statuen, Altar und Kerzen. Kirchenverfassung: Synodalverfassung (Konsistorium als Leitungsgremium, dem Pfarrer und Älteste angehören); damit ein Wegbereiter der neuzeitlichen Demokratien. Die Anhänger Zwinglis vereinigen sich nach dessen Tod 1549 mit den Reformierte Kirche Calvinisten zur Reformierten Kirche. Die Reformierten nennen sich - in Frankreich Hugenotten (dt.-frz. "Eidgenossen") - in Schottland Presbyterianer (nach den Gemeinde-Ältesten) - in England Puritaner (die "Reinen") Durch den Verlust der konfessionellen Einheit verstärkten sich in der 30-jähriger Krieg Folge die politischen und gesellschaftlichen Gegensätze. 100 Jahre nach Luthers Thesen brach der verheerende 30-jährige Krieg aus (1618-1648) und verwüstete ganz Deutschland... Heinrich VIII. (1509-1547) und die "Kirche von England": König Heinrich VIII. widmete noch 1521 (Exkommunikation Luthers) Papst Leo X. die Schrift "Verteidigung der sieben Sakramente gegen Martin Luther" und erhielt dafür den Titel "Verteidiger des Glaubens". Als er die Auflösung seiner (gültigen) Ehe mit Katharina v. Aragonien von Rom nicht erreichte, setzte er Fakten: Er heiratete seine Hofdame Anna Boleyn und ernannte sich 1531 zum "Obersten Haupt der Kirche Englands." Der geistliche Führer Thomas Crammer, seit 1533 Erzbischof von Canterbury, verfasste 1549 das "Book of Common Prayer", in dem vieles aus dem reichen vorreformatorischen Erbe beibehalten worden ist. (Bischofsamt und apostolische Sukkzession, Messgewänder und liturgische Handlungen, Ohrenbeichte, Priesterzölibat, Ordensgelübde u. a.) Die Anglikanische Kirche nimmt damit eine Zwischenstellung ein zwischen der Römisch-Katholischen (Kultus und Organisation) und den Reformatorischen (Lehre) 177 DAS KONZIL VON TRIENT 1545 - 1563 Zielsetzung Kaiser Karl V. Wiederherstellung der Einheit des Deutschen Reichs durch Wiedervereinigung beider Konfessionen. Daher Interesse an einer deutschen Stadt als Tagungsort. Papst Paul III. - Beendigung des Religionsstreits durch Klärung der dogmatischen Streitpunkte (Glaubensdekrete) - Allg. Reform der Kirche (Reformdekrete) - (Befreiung der Christen von der Unterdrückung durch Ungläubige) - Angst vor deutscher Nationalkirche, daher Trient als Tagungsort. (Etwa gleiche Entfernung zu Rom und Wittenberg) Dauer: 1. Periode (1545-1547) 2. Periode (1551-1552) unter Papst Paul III. in unter Papst Julius III. in Bologna: Trient: Teilnahme auch der protestant. Definitionen und Opposition, die freilich mit Dekrete u. a. über Hl. ihrem Protest (Konzil sei nicht Schrift, Erbsünde, allgemein, nicht frei, nicht Rechtfertigung, Taufe, christlich) und mit ihren Firmung. Anträgen (Konziliarismus; Neuverhandlung früherer BeWegen Ausbruch schlüsse) scheiterte und das einer Seuche bzw. des Konzil verließ. Krieges Karl V. mit Dekrete über Eucharistie, Buße, dem Franzosen Krankensalbung. Ende aller Heinrich II. Verlegung Hoffnungen auf nach Bologna u. bald Wiedervereinigung und darauf Vertagung. Abschluss des Augsburger Religionsfriedens 1555. 3. Periode (1562-1563) unter Papst Pius IV. als fruchtbarste Periode mit rein innerkatholischen Reformvorhaben: Residenzpflicht der Bischöfe, Messopfer, Priesterweihe, Ehe, Fegefeuer, Heiligenverehrung, Ablass, Priesterausbildung u. a. (Nachwirkungen: Index der verbotenen Bücher, Tridentin. Glaubensbekenntnis samt Gehorsamsversprechen, Röm. Katechismus 1568, Röm. Brevier, Röm. Missale u. a.) Ergebnisse: GLAUBENSDEKRETE - Sola scriptura? Schrift und Tradition ("mündl. Überlieferung") sind die zwei Quellen des christlichen Glaubens. - Sola gratia? Der Mensch kann trotz seiner erbsündigen Natur Verdienste erwerben, sodass Gnade und Werke einander ergänzen. - Sola fides? Nicht nur der Glaube, sondern auch die Teilnahme am sakramentalen Leben schenkt dem Menschen das Heil. 178 - Nur zwei Sakramente? Festlegung der sieben Sakramente und theologische Fundierung (Schwerpunktthema Eucharistie mit Betonung der Wesensverwandlung) REFORMDEKRETE - Neuregelung der Sakramentenspendung (z.B. Messfeier, Eheschließung u. a.) - Reform des Ablasswesens, der Heiligenverehrung, der Kirchenmusik. - Ordnung für die Ausbildung (Seminarien) und Lebensführung der Geistlichen; Erneuerung der Orden. - Residenzpflicht des Seelsorgers (ausser Kurzurlaub) - Verbot der Ämterkumulation: Dienst am Glauben im eigenen (und einzigen!) Bistum und nicht Herrschaftsdenken und Besitzverwaltung... TEXTPROBEN ÜBER DIE EHE Wenn jemand sagt, der Ehestand sei dem Stand der Jungfräulichkeit oder dem Zölibat vorzuziehen, und das Verbleiben in Jungfräulichkeit und Zölibat sei nicht besser und heiliger als die Bindung der Ehe, der sei im Banne. ÜBER PREDIGT UND KATECHISMUSUNTERRICHT ... wenigstens an allen Sonn- und Festtagen, in der Zeit der 40tägigen Fasten und des Advents, aber täglich oder zumindest an drei Tagen in der Woche...Sie sollen auch dafür sorgen, dass wenigstens an den Sonntagen und anderen Festtagen die Knaben jeder Pfarrei in den Grundzügen des Glaubens und im Gehorsam gegen Gott und die Eltern sorgfältig unterwiesen werden... DAS GLAUBENSBEKENNTNIS Ich, N.N. gelobe, verspreche und schwöre, dass ich diesen wahren kath. Glauben, ausserhalb dessen niemand gerettet werden kann, den ich gegenwärtig aus freiem Willen bekenne und wahrhaft festhalte, mit Gottes Hilfe ganz standhaft bis zum letzten Lebenshauch unversehrt und makellos bewahre und bekenne, und dass ich, soweit es bei mir liegen wird, dafür sorgen werde, dass er von meinen Untergebenen oder jenen, deren Sorge mir in meinem Amte anvertraut sein wird, festgehalten, gelehrt und verkündet wird. So wahr mir Gott helfe und diese hl. Evangelien Gottes. ÜBER DIE RESIDENZPFLICHT ...dass die Gründe einer rechtmäßigen Abwesenheit vom Hl. römischen Papst oder vom Erzbischof... schriftlich anerkannt sein müssen. Wenn aber jemand, was jedoch nie geschehen möge, entgegen diesem Beschluss sich entfernen würde, so beschließt die hochheilige Versammlung, dass er - abgesehen von den anderen unter Paul III. gegen Nichtresidierende verhängten und erneuerten Strafen und der Schuld der Todsünde, in die er fällt - für die Zeit seiner Abwesenheit seine Einkünfte nicht beziehen soll ... ÜBER DIE VOLKSSPRACHE Auch wenn die Messe einen großen Bildungswert für das gläubige Volk besitzt, so schien es den Vätern doch nicht nützlich zu sein, dass sie allerorten in der Volkssprache gefeiert werde... Damit die Schafe Christi nicht hungern, noch die kleinen Kinder um Brot bitten und niemand da ist, der es ihnen bricht, gebietet das hl. Konzil den Hirten und allen, die für die Seelen Sorge tragen, während der Meßfeier entweder selbst oder durch andere häufig etwas von dem, was in der Messe gelesen wird, zu erläutern... Christliche Kirchen im Vergleich (SachthemenQUER.doc) 179 DIE KIRCHE HAUS GOTTES UND VOLK GOTTES A. Die Kirche als "Haus Gottes": 1. Bedeutung: Das christliche Gotteshaus ist nicht mit den heidnischen Tempeln zu vergleichen, in denen die Gottheiten "wohnten" und die vom einfachen Volk daher oft nicht einmal betreten werden durften. Die christliche Kirche ist Haus Gottes nur insofern, als hier die Verkündigung seines Wortes und die Feier des Gedächtnisses von Jesu Tod und Auferstehung stattfinden. Auf der Suche nach gottesdienstlichen Räumen haben die Christen nach der Konstantinischen Wende (313 n. Chr.) daher bewusst nicht die römischen Tempel übernommen, sondern den Stil der Basilika für ihre Gotteshäuser gewählt. 2. Formen und Bezeichnungen: a. KIRCHE (griech. kyriake ekklesia = die dem Kyrios/ Herrn gehörige Gemeinde): Hauptbezeichnung für das Gebäude, in dem die Glaubensgemeinschaft Gottesdienst feiert. b. BASILIKA (griech. königliche Halle):Von den Römern übernommener Stil eines hallenartigen Gebäudes mit einem höheren Mittelschiff und zwei Seitenschiffen (urspr. Amtsgebäude für polit. Versammlungen, Gericht, Börse). Zugleich auch eine vom Papst an bestimmte Kirchen verliehene Ehrenbezeichnung. c. KATHEDRALE (lat. cathedra = Lehrstuhl): Hauptkirche einer Diözese mit dem Bischofssitz, umgeben vom Chor der Presbyter/ Priester (Presbyterium) d. DOM (lat. domus = Haus): Im Frühmittelalter neben der Kathedrale, der "Leutekirche" und der Taufkapelle die "Hauskirche" des Bischofs und seiner Kapläne. An ihr wirkte ein Erzdiakon, weshalb sie oft dem Hl. Stephanus geweiht ist. Seit der Neuzeit eine andere Bezeichnung für Kathedrale. e. MÜNSTER (lat. monasterium = Kloster): Eine Kirche, die ursprünglich zu einem Kloster gehörte. f. KAPELLE (lat. cappa = Mantel): Zuerst ein Nebenraum der Kirche, in dem der Mantel des Hl. Martin aufbewahrt wurde, dann selbständiges kleineres Gebäude. Andachtsraum. (Ausdehnung auch auf die mitwirkende Sänger- / Bläsergruppe) g. ORATORIUM (lat. orare = beten): Reiner Gebetsraum. (Ausdehnung auch auf eine geistliche Komposition) 3. Wesentliches Zubehör: Fester Altar (Stein oder Holz) mit Reliquie - Tabernakel (lat. Zelt) und Ewiges Licht Taufbrunnen - Beichtstuhl - Kanzel - Chor mit Orgel - Kreuzweg - Sakristei u. a.m. B. Die Kirche als "Volk Gottes": 1. Begriffsbilder: Kirche ist die Gemeinschaft der an Christus Glaubenden: Wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, da ist er mitten unter ihnen (Mt 18, 20). Ihr Wesen wird an verschiedenen Bildern deutlich: a. Die Kirche ist "der geheimnisvolle Leib Christi", dessen Organe je verschiedene Aufgaben zum Wohle des Ganzen zu erfüllen haben. (vgl. 1 Kor 12, 12-31) 180 b. Die Kirche ist (mit Blick auf Israel) "das neue Volk Gottes", zu dem alle Getauften (Priester wie Laien) trotz der Vielfalt der Dienste und Ämter gehören. (vgl. Kirchenkonstitution des II. Vat. Konzils) c. Kirche ist nicht das schon vollendete "Reich Gottes" auf Erden, eine "Gemeinschaft von lauter Heiligen", sondern "Sakrament", d. h. lediglich "Zeichen und Werkzeug" des Heils. Sie ist ständig unterwegs zur Vollendung im Reich Gottes. 2. Aufgaben der christlichen Gemeinde: Glaubensverkündigung - Glaubensfeier - Glaubenstat 3. Dienste und Ämter in der Gemeinde: Pfarrer - Kaplan - Diakon - Pastoralassistent - Pfarrgemeinderat - Mesner - Ministranten Lektor - Kantor - Organist - Kommunionspender - Gruppenleiter u. a. 4. Territoriale Gliederung der Kirche: WELTKIRCHE (Papst) KIRCHENPROVINZ KIRCHENPROVINZ (Metropolit) (Metropolit) DIÖZESE DIÖZESE DIÖZESE (Bischof) (Bischof) (Bischof) VIKARIAT VIKARIAT (Bischofsvikar) (Bischofsvikar) DEKANAT DEKANAT DEKANAT (Dechant) (Dechant) (Dechant) PFARRE PFARRE PFARRE PFARRE PFARRE (Pfarrer) (Pfarrer) (Pfarrer) (Pfarrer) (Pfarrer) 181 Thesen zum Thema "Kirche" Bestandsaufnahme Kirche wird konkret in der Gemeinde erlebt, wo sich theoretische Grundsatzfragen (z. B. monarchisch-hierarchische oder demokratische Struktur) kaum stellen. (vgl. Pfarrgemeinderat) Ihr Bild bestimmt sich (leider zu oft) von ihren Repräsentanten (Papst, Bischof, Pfarrer) her, an die oft übermenschliche Erwartungen geknüpft werden. Das Verhältnis zur Kirche und ihre Beurteilung (konstruktive / destruktive Kritik) hängen wesentlich von der eigenen Position (Insider / Outsider) ab. Der Frage nach der Kirche und meiner Stellung zu ihr geht die Grundfrage nach meinem Glauben voraus - wenngleich Glaube und Gemeinschaft sich gegenseitig befruchten. Die Praxis kirchlichen (und auch ökumenischen) Lebens entwickelt sich oft vorauslaufend zu / unabhängig von lehramtlichen Vorgaben (z.B. Empfängnisverhütung, Ministrantinnen). Die Kirche als "Mater et magistra" steht mit ihren vorgegebenen Werten und Wahrheiten vielfach im Widerspruch zur Gesellschaft (z. B. Erziehungsdefizite). Gemeinschaftserfahrungen und Gruppenerlebnisse werden in einer Zeit der Unverbindlichkeiten (Bindungsängste, Scheu vor Verantwortung), des Leistungsdrucks und des Unterhaltungsangebots zunehmend schwieriger. Glaubensverständnis Kirche ist Zeichen des Kreuzes, dem man widersprechen wird: "Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen." (Joh 15,20) Kirche ist Zeichen Gottes unter den Menschen v. a. in ihrer Dienst-Funktion. Wie Jahwe selbst ist sie die "Ich-bin-da" für die Menschen: Weltweites Organsationsnetz (territorial) Offenheit und Engagement für alle Lebensprobleme des Menschen (personal) - rund um die Uhr erreichbar (temporal). Kirche ist zugleich Heils-Mittel (Sakrament) für die Menschen: wie ihr Stifter stets bereit zu helfen, zu verzeihen und zu heilen, statt zu verurteilen. Kirche ist das Neue Volk Gottes, zu dem alle berufen sind. 182 FUNKTIONEN UND TITEL IM WELTKLERUS Funktion Voraussetzungen mögliche Titel Dia kon (Mita rb eiter d es Dia ko na tsw eihe (Theo lo g iestud ium ) , Ernennung d urc h d en Bisc ho f Pfa rrers) Ka pla n ("Ko o p era to r" Priesterw eihe(Theo lo g iestud ium ), Ernennung d urc h d en Bisc ho f d es Pfa rrers) Pfa rrer (Ha up tvera ntw o rtlic her einer Pfa rre) Geistl. Ra t Ko nsisto ria lra t Mo nsig no re Ka no nikus Prä la t Decha nt (Ha up tvera ntw o rtlic her eines Deka na ts = m ehrere Pfa rren) Bischofsvika r (Ha up tvera ntw o rtlic her eines Vika ria ts = m ehrere Deka na te / eines üb erg eo rd neten Bereic hs (Ord en u. a .) Genera lvika r ("Rec hte Ha nd " d es Diö zesa nb isc ho fs) Weihbischof Auxilia rbischof Koa djutorbischof (Unterstützung Diö zesa nb isc ho fs) Bisc ho fsw eihe (m ind . 35 Ja hre a lt, m ind . 5 Ja hre Priester, Do kto ra t d er Theo lo g ie) Ernennung d urc h d en Pa p st (a uf Antra g d es d es Diö zesa nb isc ho fs) / / Ernennung d urc h d en Pa p st (na c h Diözesa nbischof (Ha up tvera ntw o rtlic her Info rm a tio n d urc h d en Nuntius) einer Diö zese/ eines Bistum s, Mitvera ntw o rtlic her für d ie Weltkirc he) Nuntius (Bo tsc ha fter Ernennung d urc h d en Pa p st d es Va tika ns in einem La nd ) Wa hl im Ko nkla ve Pa pst (Ha up tvera ntw o rtlic her für d ie Weltkirc he) Ka rd ina l (Stim m rec ht b ei einer Pa p stw a hl im Ko nkla ve) Po nifex m a xim us Pa tria rc h d es Ab end la nd es 183 LEXIKON KIRCHLICHER BEGRIFFE BISCHOF DECHANT DIAKON KAPLAN KARDINAL KATECHET KLERUS LEKTOR MESSNER MINISTRANT MONSIGNORE NUNTIUS PAPST PASTORALASSISTENT PATER PFARRER PFARRGEMEINDERAT PRÄLAT von griech. Episkopos (=Aufseher); Leiter eines Bistums / einer Diözese (kirchlicher Verwaltungsbezirk; Wien: 57 Dekanate = 638 Pfarren) Als Helfer bei der Spendung von Weihen können ihm sog. Weihbischöfe oder Auxiliarbischöfe (=Hilfsbischöfe) zur Seite stehen. Die Verwaltung der Diözese liegt in den Händen des Generalvikars, der sich auf die sog. Bischofsvikare stützen kann. Leiter eines Dekanats (=ca 10 Pfarren) von griech. diakonos (=Diener); unterstützt den Priester während des Gottesdienstes (Evangelium, Predigt, Kommunionspendung) und auch ausserhalb der Messe (Taufen, Trauungen, Begräbnisse) Früher der mit dem Gottesdienst an einer (Schloss-, Burg-)Kapelle betraute Priester, heute der (meist junge) Kooperator (=Mitarbeiter) des Pfarrers Früher der an einer Hauptkirche (cardo=Angel) angestellte Geistliche, heute (als Bischof) Mitglied jenes Kollegiums, das für die Papstwahl zuständig ist von griech. katechein (= im Glauben unterweisen); frühere Bezeichnung für die geistlichen Religionslehrer von griech. klerós (=Los, Anteil); Kleriker sind die geweihten Amtsträger der Kirche (Diakone, Priester, Bischöfe) lat. (=Vorleser); er trägt die (1./2.) Lesung im Wortgottesdienst vor Er ist v. a. (als Sakristan in der Sakristei) für die Vorbereitung und Organisation der Liturgie verantwortlich (Schlüsseldiernst, Kirchenglocken, Messgewänder, Hostien u. Wein u. a.) von lat. ministrare (= dienen); Altardiener, der bei Gottesdienst und Sakramentenspendung hilft. it. (=mein Herr); vom Papst verliehener Ehrentitel für einen Priester als "Kaplan Seiner Heiligkeit" (Abk: Msgr.) von lat. nuntiare (=melden); er ist der Vertreter (Botschafter) des Papstes bei den Regierungen jener Staaten, mit denen der Vatikanstaat diplomatische Beziehungen unterhält (meist Erzbischof). von it. Papa (=Vater); Oberhaupt der kath. Weltkirche und Bischof von Rom Haupt- oder ehrenamtlicher Helfer eines Pfarrers bei dessen Aufgaben als Seelsorger lat. (=Vater); Anrede für Ordenspriester. Frater (lat.= Bruder) ist Anrede für einen nichtgeweihten Ordensangehörigen. Priester, der eine Pfarre leitet Ein alle 5 Jahre aus Mitgliedern der Pfarre gewähltes Beratungsorgan des Pfarrers Ehrentitel für besonders verdiente Priester 184 CHRISTLICHE BAUKUNST Basilika Besonderheiten: Langhaus mit einem höheren breiten Mittelschiff und zwei (vier) durch Säulenreihen getrennte niederere Seitenschiffe. Der Blick richtet sich geradeaus nach vorne zur ausgebuchteten Apsis, in deren Mitte der Altartisch steht. Große Einfachheit und Strenge, glatte und einfach gefugte Wände, keine Rundungen, Verzierungen oder Plastiken; sparsame Malerei (nicht lebensecht, sondern aussageorientiert); flache Decke aus dunklem Holz oder freier Blick in den Dachstuhl. Dem Kirchenraum vorgelagert ist ein Hof mit einem Säulenrundgang und einem Reinigungsbrunnen in der Mitte. Epoche: Ab der Konstantinischen Wende; Beispiele: Die Basiliken von Ravenna mit den berühmten Mosaiken an den Wänden von Langhaus und Apsis. Romanische Kirche Besonderheiten: Ebenfalls Langbau mit Mittelschiff, Seitenschiffen und Apsis, z.T. auch noch Vorhof, aber Raumgliederung durch eine Vielzahl von Bögen, Bändern, Säulen, Pfeilern in kräftige, voneinander getrennte Abschnitte, die das Auge auf dem Weg nach vorne zu durchwandern hat; vor der Apsis Einschub eines Querhauses (Kreuzform als Grundriss); hohe und schmale Fenster mit typischem Rundbogen; Gewölbedecke; Auflockerung der großflächigen Wände durch Malerei; Einsatz von Plastiken. Epoche: Um das Jahr 1000 nach den Unruhen der Völkerwanderung und der Germanenmissionierung; Beispiele: Die Kaiserdome von Worms, Mainz und Speyer; die Kirche in Schöngrabern (NÖ). Gotische Kirche Besonderheiten: Spitzbogen und Rosette; wuchtiger, emporstrebender Bau, der den Blick nach oben führt, mit zahlreichen Ornamenten, Kreisen, Kreuzblumen und ganzen Girlanden; farbige Glasfenster (mystisches Halbdunkel) vermitteln Gefühl der Geborgenheit; monumentaler und sich verjüngender Hauptturm, viele kleine Türmchen (Fialen) am Ende der Strebepfeiler. Epoche: Anfang 12. Jh. in Frankreich (1182 Notre Dame in Paris); Beispiele: Wr. Stephansdom, Kölner Dom u. a. Renaissancekirche Besonderheiten: Schrittweise Emanzipation der Kunst von der Kirche: Grundform des profanen Palazzo (Stadthaus), d. h. ein völlig in sich ruhender Zentralbau, der den Blick in die Mitte lenkt, mit Tonne, Kuppel und Rundbogen in Verbindung mit Säulen und Gesims; klare Linienführung und ruhende Formen; Kasettendecken laden ein zum Verweilen (Schönheit und Sinnenfreude). Epoche: 15. Jh. ausgehend von Italien; Beispiel: Petersdom mit vier gleich langen Armen als Kreuzform; vorgeschobenes Langhaus. Barockkirche Besonderheiten: Der Grundriss besteht aus vielen Ovalen und sich durchdringenden Kurven (span. barucca = absonderlich geformte Perle), die ein sprühend bewegtes Lebensgefühl und Sinnenfreude (wilde Kraft ebenso wie zarte Verspieltheit) durch Licht, Farben, Ornamente vermitteln. Die Kirchen sind wahre Prunkräume mit aufrauschenden Säulen, schäumenden Kapitellen, wogenden Gesimsen, Blumengirlanden und Puttengetümmel, Heiligenfiguren und prachtvollen Deckengemälden. Epoche: Um 1600; Beispiele: Melk, Göttweig u. a. Die sieben Einzelsakramente im Überblick (SachthemenQUER.doc) 185 DIE CHRISTLICHE TAUFE A. RELIGIONSGESCHICHTLICHE PARALLELEN 1. Reinigungsriten in den ausserchristlichen Religionen: Rituelle Waschungen spielen in vielen Religionen eine große Rolle: im Hinduismus (Mutter Ganga mit ihren Ursprüngen im Himalaya); im japanischen Buddhismus im Judentum (Waschungen vor dem Essen, nach Unreinheit durch Berührung, vor dem priesterlichen Dienst vgl. Lev 11-16) im Islam (vor dem Gebet) Sie dienten nicht nur der Beseitigung kultischer Unreinheit, sondern waren vielfach zugleich ein kraftspendender Akt (v. a. bei Verwendung von fließendem ("lebendigem") Wasser, Blut u. a.) 2. Mysterienkulte: Hier sind v. a. der Kult des Mithras sowie jener der Kybele und ihres Genossen Attis (seit 204 v. Chr. in Rom) zu nennen: Neben den öffentlichen Zeremonien gab es bei der Mysterienweihe auch eine "Taufe" mit dem Blut eines geopferten Stieres (Taurobolium) bzw. Widders (Kriobolium). Mit ihr wurde eine Wiedergeburt für die Ewigkeit verheißen. 3. Mönchssekte der Essener von Qumran: Rituelle Bäder (nur) der Mitglieder dieser Sondergemeinde; es waren Selbst-Bäder, beliebig oft wiederholbar. B. DIE BESONDERHEIT DER TAUFE DES JOHANNES UND IHRE ANHÄNGER 1. Die Johannestaufe am Jordan ist ein religionsgeschichtliches Novum: Sie wird nur "mit Wasser" und nur einmal gespendet zur Vergebung der Sünden (vgl. Mk 1,4) nach entsprechender innerer Umkehr. Jeder ist dazu aufgerufen. 2. Die Johanneschristen (Mandäer, Taucher): Eine gnostische Religionsgemeinschaft des vorderen Orients mit ausgeprägtem dualistischen Denken (Licht / Finsternis; // Manichäer), die in Johannes d.T. den wahren Heilsmittler sieht und Christus und das Christentum ausdrücklich ablehnt. Heute im Iran/Irak verbreitet, hat sie ihren Ursprung in Palästina und ist schon im 1. Jh. nachweisbar. Ihr Kult ist von zwei Grundsakramenten geprägt: 186 der Taufe, die möglichst oft wiederholt werden soll, und zwar in fließendem Wasser (aus den Bergregionen= Lichtregionen) der unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzogenen Toten- oder Seelenmesse, die unmittelbar der Wiedergeburt dienen soll. C. DIE CHRISTLICHE TAUFE 1. Die Anfänge: Jesus hat selbst nicht getauft (vgl. Joh 4,2), wohl aber die Apostel (vormalige JohannesJünger, vgl. Joh 3,22). Nach dem Taufbebehl des Auferstandenen (Mt 28, 18) Anfänge der Taufpraxis "mit Wasser und Heiligem Geist" (vgl. Mk 1,8; Joh 3,5) "auf den Namen Jesu" (Übereignungsformel, vgl. Apg 19, 1-6) 2. Ihre Bedeutung: Sie war von Anfang an der Aufnahmeritus in die Kirche (Apg 2, 14). Paulus spricht von der Eingliederung in den Leib Christi (1 Kor 12, 13). Sie war ein Sakrament "zur Vergebung der Sünden" (Apg 2, 38). Sie war ein Akt der "Wiedergeburt aus dem Wasser und dem Hl. Geist" (Joh 3,5): Überwindung von Sünde und Tod und Gewinn neuen Lebens durch die Teilnahme an Tod und Auferstehung Jesu (vgl. Röm 6, 2 ff). 3. Ihre geschichtliche Entwicklung: a. Form: Nach Taufvorbereitung (Katechumenat) Spendung durch dreimaliges Untertauchen und Sprechen der Taufformel "Ich taufe dich auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes." Ab dem 4./5. Jh. zusätzlich Exorzismen, Salbung, weißes Taufgewand (Osternacht bis "Weißer Sonntag") Ab dem 6. Jh. eine Taufkapelle pro Bistum (Taufe durch Bischof im großen Taufbecken, Hilfestellung durch Diakone/ Diakonissen) Ab dem 11. Jh. Taufbottiche in jeder Kirche (Übergießen mit einer Vase) Ab dem 13. Jh. kleinere Taufbecken, oft auf einer Säule b. Reformströmungen im Gefolge der Reformation: - Gewalttätige Täuferbewegung des Thomas Müntzer (fanatischer Führer des mitteldeutschen Bauernaufstandes, + 1525) mit ihrer eschatologischen Bußtaufe (im Anschluss an Johannes d. T.) - Verinnerlichte gewaltfreie Täuferbewegungen: 187 Menno Simons (+ 1561) und die "Mennoniten" lehnten die Kindertaufe ab und verlangten gegebenfalls eine Wiedertaufe. Dem Calvinismus nahestehend, verstehen sie die Kirche als eine freie Versammlung jener, die durch die "Glaubenstaufe" (ab dem 14. Lebensjahr) die Nachfolge Jesu im Sinne der Bergpredigt antreten wollen. Ähnlich Jakob Hutter (Tirol, + 1536) und die "Hutterischen Brüder" in Mähren (Leben in urkirchlicher Gütergemeinschaft). Dagegen das Konzil v. Trient: Kindertaufe muss bei Erlangung des Vernunftgebrauchs nicht wiederholt werden! - Baptistische Kirchen (Calvinisten) im Gefolge der engl. Revolution des 17. Jhs. (ebenfalls Erwachsenentaufe) 4. Einzelfragen: a. Gültigkeit der Taufe: Taufwiederholung bei Rückkehr von Abtrünnigen in die Kirche ("Ketzertaufstreit" 255 257 n. Chr.)? Pro: Origenes, Synode v. Karthago ca 256 n., Cyprian v. Karthago; Contra: Papst Stephan I. und röm. Brauch, Häretiker als (gültig getaufte) Büßer zu behandeln (nach Bußfrist und Handauflegung durch Bischof Wiederaufnahme) - hat sich allg. durchgesetzt. Taufwiederholung nach Spendung durch einen Abtrünnigen / Todsünder ("Donatismus" Anfang 4. Jh.)? Nein, gültig unabhängig von der Disposition des Spenders! Taufwiederholung bei Wechsel der Konfession? Nein, nur formaler Akt. b. Heilsnotwendigkeit der Taufe? Unverständliche Aussage Jesu: "Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet, wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden" (Mk 16, 16). Damit verbunden ist die oft wiederholte Aussage "Ausserhalb der Kirche kein Heil". Beides gilt für Menschen, die trotz besseren Wissens sich dagegen sträuben. Bei solchen, die ohne ihre Schuld Christus und seine Kirche nicht kennen bzw. noch während des Katechumenats sterben, ist das (ausdrückliche oder eingeschlossene) Verlangen danach ausreichend. ("Begierdtaufe"; vgl. etwa Jesu Rechtfertigung der Sünderin Lk 7,47 sowie des mitgekreuzigten Verbrechers Lk 23, 43) (Ungetaufte) Glaubensmärtyrer werden gleichsam durch ihren Tod getauft. ("Bluttaufe", "Feuertaufe") c. Taufe Unmündiger? Die Kindertaufe ist seit den Anfängen zu vermuten, wenn etwa von der Taufe "des ganzen Hauses" die Rede ist (Apg 16, 15.33), seit dem Ende des 2. Jhs. ist sie allgemein üblich. Es ist für die Eltern eine unabänderliche Gegebenheit und indispensable Verpflichtung zugleich, für ihre Kinder nach bestem Wissen und Gewissen Vor-Entscheidungen zu treffen. (Entscheidung über Wohnort und damit über kulturelle Eingebettetheit, Bildungsweg, aber auch über Religionszugehörigkeit) Die Kinder müssen mit dem Mündigwerden ihre persönliche Glaubensentscheidung treffen und wahrhaftig danach leben (Firmung). Andernfalls gelten sie als sog. "Taufscheinchristen", die weder "kalt" (Austritt) noch "warm" (Glaubenspraxis) sind. (Vgl. Offb 3, 15 f) 188 DAS SAKRAMENT DER FIRMUNG A) DER GEIST GOTTES IM LEBEN DER KIRCHE: 1. Das Leben des Christen ist gekennzeichnet von einer "dynamischen Entfaltung", einem Wachsen und Reifen, getrieben von der "dynamis" (griech. Kraft), die Christus seinen Aposteln verheißen hat mit den Worten: "Ihr werdet dynamis empfangen, wenn der Hl. Geist herabkommen wird auf euch. Und ihr werdet meine Zeugen sein." (Apg 1,8) 2. Das Wirken des Geistes Gottes ist nicht auf ein Sakrament (Firmung) beschränkt, es umfasst alle Lebensvollzüge der Kirche: Die Kirche selbst als Heilssakrament erlebte ihre Geburtsstunde bei der Herabkunft des Hl. Geistes in Jerusalem! Die Verleihung der Sündenvergebungsgewalt erfolgte mit den Worten: "Empfangt den Hl. Geist. Wem ihr die Sünden nachlasst..." Die Taufe ist seit jeher d a s Sakrament der Sündenvergebung; mit ihr war immer eine Salbung (Einheit mit der Firmung) verbunden. Die eucharistische Wandlung beginnt mit den Worten: "Darum bitten wir Dich: Sende Deinen Geist herab auf diese Gaben, damit sie uns werden..." In der Krankensalbung werden Stärkung, Beruhigung und Ermutigung als eine besondere Gabe des Hl. Geistes geschenkt. U. a.m. B) GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG DER FIRMUNG: 1. Ansätze im NT: a. Zusammenhang mit der TAUFE: Es ist die Rede von der "Taufe aus dem Wasser und dem Hl. Geist" (Mk 1,8), vom "Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Hl. Geist" (Tit 3,5), und selbst Pfingsten begegnet nicht als (erste) Firmung, sondern als "Taufe mit dem Hl. Geist". (Apg 1,5) b. Zusammenhang mit SALBUNG: Jesus ist "der mit dem Hl. Geist Gesalbte" (Apg 4,27), was zu einer rituellen Salbung im Anschluss an die Taufe geführt hat. c. Zusammenhang mit HANDAUFLEGUNG: Die Apg (8,14) berichtet von der "Handauflegung der Apostel zur Verleihung des Hl. Geistes." d. Zusammenhang mit SIEGEL: Jesus wurde "mit dem Siegel Gottes beglaubigt." (Joh 6,27) In ihm wurden auch wir "besiegelt durch den Hl. Geist". (Eph 1,13) 2. Firmung als Bestandteil der altkirchlichen Tauffeier: Im Osten (bis heute) SALBUNG mit Chrisam und Formel In der röm. Liturgie v. a. HANDAUFLEGUNG (bis 15. Jh. Salbung, 18. Jh. Salbung samt Handauflegung) 3. Eigenständige Firmfeier der westl. Kirche (seit 11. Jh.): 189 Zunächst Taufe samt Salbungen (am selben Tag) durch den Bischof später Salbung innerhalb der Osterwoche sobald der Bischof wieder kommt 4. bzw. 7. Lebensjahr (4. Laterankonzil) 14. Lebensjahr (Wien) C) FORM DER SPENDUNG: Der Bischof (oder bevollmächtigte Priester) spendet die Firmung durch HANDAUFLEGUNG, SALBUNG an der Stirn und Sprechen der Formel: "N., sei beSIEGELt durch die Gabe Gottes, den Hl. Geist." D) BEDEUTUNG: 1. Taufe, Firmung und Eucharistie bilden zusammen die Sakramente der christlichen Initiation. Durch die Firmung werden die Gläubigen "vollkommener der Kirche verbunden und mit der besonderen Kraft des Hl. Geistes ausgestattet; so sind sie noch strenger verpflichtet, den Glauben als wahre Zeugen Christi in Wort und Tat zugleich zu verbreiten und zu verteidigen." (II. Vat. Konzil, LG 11) 2. Die Firmung ist ein eigenes Sakrament, freilich als "Nebensakrament" ähnlich wie die Buße hingeordnet auf das "Hauptsakrament" Taufe. Aus diesem Grund spricht man nicht von einer Heilsnotwendigkeit der Firmung. 3. Die Firmung hat ihre besondere Bedeutung in mehrfacher Hinsicht: a. Als Vollendung (bewusste Bejahung) der Taufe - höheres Firmalter!? b. Als Stärkung des Heranwachsenden auf seinem Weg zu einem mündigen Christen Pubertätszeit!? c. Als ausdrückliche Feier des Empfangs der 7 Gaben des Hl. Geistes (Jes 11,1-3): WEISHEIT EINSICHT STÄRKE FRÖMMIGKEIT RAT ERKENNTNIS GOTTESFURCHT Oder anders: "DIE FRUCHT DES GEISTES IST DIE LIEBE" (Gal 5,22) E) ANDERE CHRISTLICHE KONFESSIONEN: 1. Ostkirchen: Spendung durch den Taufpriester mit dem vom Bischof geweihten Myron (=Chrisam) 2. Evangelische Kirchen: Kein Firmsakrament, da keine ntl. Einsetzung, wohl aber eine "Konfirmation": Nach Unterweisung, Prüfung, Bekenntnis und Gelöbnis werden die jungen Menschen vollberechtigte Gemeindeglieder (Zulassung zum Abendmahl). 190 DAS SAKRAMENT DER SÜNDENVERGEBUNG 1. BEZEICHNUNGEN - Sakrament der Umkehr (Schwerpunkt eigenes Tun) - Sakrament der Buße (Schwerpunkt Bußakt) - Sakrament der Beichte (Schwerpunkt Sündenbekenntnis) - Sakrament der Vergebung (Schwerpunkt göttliches Gnadenhandeln) - Sakrament der Versöhnung (Schwerpunkt Beziehungsgeschehen) 2. RÜCKBINDUNG AN JESU WORT UND TUN - Jesus selbst hat Menschen seiner Umgebung immer wieder ganzheitlich geholfen. (Heilung von Krankheiten und Vergebung von Sünden) - Er hat die Binde- und Lösegewalt dem Simon Petrus gegeben (Mt 16, 19) und damit den untrennbaren Zusammenhang zwischen Versöhnung mit / Ausschluss aus der Gemeinde und Versöhnung mit / Ausschluss von der Gemeinschaft mit Gott unterstrichen. - Er hat die Vollmacht der Sündenvergebung nach seiner Auferstehung auch den Aposteln verliehen: "Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert." (Joh 20,23) 3. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG In den Anfängen der Kirche folgt der (öffentlich bekannten) Sünde (3 Kapitalsünden: Mord, Ehebruch, Gotteslästerung, später auch Diebstahl) der Ausschluss aus der Gemeinschaft der Kirche ("Ex-Kommunikation"). Erst nach abgelegter öffentlicher Buße (in Sack und Asche) erfolgte (am Gründonnerstag) die Wiederaufnahme. Erst in späterer Zeit kam es zur "Ohrenbeichte" (auch leichter Sünden) mit sofortiger Lossprechung und nachfolgendem (heimlichen) Bußakt (Bußwerke, Gebete). 4. VORAUSSETZUNGEN: DIE FÜNF "B" - Besinnen (Gewissenserforschung) - Bereuen (Reue als Distanzierung vom eigenen Tun) - Bessern (Vorsatz für die Zukunft) - Bekennen (Gespräch mit dem Priester) - Büßen (Genugtuung leisten) 5. HÄUFIGKEIT DER BEICHTE Anfangs nur einmal im Leben (daher oft knapp vor dem Tod!), da bei Rückfall endgültiger Ausschluss drohte. 4. Laterankonzil 1215: Wenigstens einmal im Jahr (Osterzeit) KLEINES BEGRIFFSLEXIKON: Ablass: Nachlass von zeitlichen Sündenstrafen (= Verkürzung der "Zeit" des Fegefeuers) durch Gebete, Sakramentenempfang und Werke der Nächstenliebe. (Sündenschuld ist bereits z.B. durch Beichte getilgt!) Absolution: (lat.) "Lossprechung" durch den Priester nach dem Sündenbekenntnis Exkommunikation: (lat.) Ausschluss aus der Gemeinschaft der Kirche 4. Laterankonzil 1215: Bischofsversammlung im "Lateran" (Palast und Kirche in Rom), bei welcher der wenigstens einmalige Sakramentenempfang von Buße und Eucharistie (in der österlichen Zeit) vorgeschrieben wurde. Metanoia: (griech.) "Umdenken", Umkehr des Menschen Ohrenbeichte: Geheimes Sündenbekenntnis im Beichtstuhl / Aussprachezimmer im Gegensatz zum öffentlichen Bekenntnis vor dem Bischof und der Gemeinde 191 SCHULD UND SÜNDE 1. UNTERSCHEIDUNGEN: OBJEKTIVE EBENE SUBJEKTIVE EBENE Verstoß gegen eine (Rechts-) "Ordnung" Vorwerfbarkeit eines Verhaltens: Jemand ist (unrechtmäßiges Verhalten) und Anrichtung verantwortlich aufgrund seines Wissens und eines Schadens Wollens 2. WESEN DER SÜNDE: Sünde (von "absondern", "trennen") ist immer ein Verstoß gegen eine BEZIEHUNG (zu Gott / zum Mitmenschen): Bei ABBRUCH der Beziehung (schwerwiegende Sache) Schwere Sünde (Todsünde) Bei STÖRUNG der Beziehung Leichte Sünde (Wundsünde, "lässliche", d. h. ausserhalb der Beichte nachlassbare Sünde) 3. VORAUSSETZUNGEN: Nicht jeder Verstoß gegen eine äußere Norm ist automatisch auch schon Sünde. Sie liegt nur vor bei - klarer Einsicht (Wissen) und - freier Entscheidung (Wille), wenn ich mir etwas (Absicht oder grobe Nachlässigkeit) vorwerfen lassen muss. 4. BEREICHE UND FORMEN DER SÜNDE: - Menschen sündigen in ihrem Verhältnis zu Gott (1. Hauptgebot / 1.-3. Gebot), zum Mitmenschen (2. Hauptgebot / 4. - 10. Gebot), zu sich selbst (als Tempel des Hl. Geistes) und zur Schöpfung (Hüten und Bebauen Gen 2,15). - Sie sündigen durch ein TUN (Tatsünden) oder durch ein UNTERLASSEN (Unterlassungssünden). Wir bekennen, "dass wir Gutes unterlassen und Böses getan haben". Zu den TATSÜNDEN gehören aber auch bereits geplante / gewünschte Taten; ebenso Unrecht, das durch Worte zugefügt wird. Menschen sündigen "in Gedanken, Worten und Werken". 5. DIE SIEBEN HAUPTSÜNDEN / WURZELSÜNDEN: - Hoffart (Hoch-fahrt) als übermäßiges Verlangen nach Ehre - Geiz (Hab-sucht) als übermäßiges Verlangen nach Besitz - Unkeuschheit als ungeordneter Umgang mit der Geschlechtlichkeit - Neid als Ärger über ein Gut des Anderen - Unmäßigkeit als maßloses Verlangen nach Genuss - Zorn als Unbeherrschtheit des Gemüts (Rachegefühl) - Trägheit als ungerechtfertigtes Verlangen nach Ruhe und Bequemlichkeit 192 MENSCHEN AUF DEM FALSCHEN WEG A) KRAFT UND MUT ZUR UMKEHR Die Aufforderung zur Umkehr ist gleichsam das Grundprogramm, mit dem Jesus seine Lehrtätigkeit beginnt: "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium." (Mk 1, 15) Die Hinwendung zum Guten bedeutet gleichzeitig auch Abkehr vom Bösen. Das Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk 15, 11-32) ist - als "Evangelium im Evangelium" - eines der berühmtesten Beispiele dafür, und auch die Geschichte vom Zöllner Zachäus (Lk 19, 1-10) zeigt die grundlegende Richtungsänderung im Leben eines Menschen: GESCHICHTE DER FALSCHE WEG Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht... Der verlorene Er führte ein zügelloses Sohn Leben und verschleuderte sein Vermögen. Der Zöllner Zachäus ANSTOSS ZUR UMKEHR DIE NEUE RICHTUNG Es kam eine große Ich will zu meinem Hungersnot, und es ging Vater gehen und sagen: ihm sehr schlecht. Mach mich zu einem deiner Taglöhner. (Unglücksfall) Als oberster Zollpächter Jesus gibt ihm hat er sich Reichtum auf unverhofft die Ehre und Kosten anderer angewill sein Gast sein. häuft. (Glücksfall) Die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich zuviel gefordert habe, gebe ich das Vierfache zurück. B) BITTE UM VERGEBUNG UND WILLE ZUR VERSÖHNUNG 1. Versöhnung nach einem Streit kann nicht nur durch Worte, sondern auch durch Zeichen und Gesten erfolgen. 2. Die Bereitschaft zur Versöhnung muss immer gegeben sein: "Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt, siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal." (Mt 18, 21 f) 3. Versöhnung nach einem Streit ist die Voraussetzung für den Gottesdienst, denn "niemand kann Gott lieben, der seinen Bruder hasst." (1 Joh 4, 20) Deshalb sagt Jesus in der Bergpredigt: "Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir einfällt, dass dein Bruder (zurecht) etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe." (Mt 5, 23f) (Vgl. Allgemeines Schuldbekenntnis zu Beginn der Hl. Messe) 4. Das Maß der Vergebung durch Gott richtet sich nach jenem der eigenen Vergebung. So beten wir: "Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben." (Mt 6, 12) (Vgl. dazu das Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger Mt 18, 23 - 35) 193 EHE und FAMILIE 1. Geschichtliche Entwicklung: Früher Heute Ehe ist ein festgefügtes Gebilde mit relativ klar definierten Rollen/ Aufgaben (Frau: Kinder, Küche, Kirche; Mann: Erhaltung der Familie) Ehe wird "gebaut": Jedes Ehepaar sucht (ohne gesellschaftl. Ächtung) seine spezielle Familien-struktur (Berufstätige Frau, Hausmann ...) Patriarchale Struktur. Partnerschaftliche Struktur. Bild: Haus (auf Dauer) Bild: Eher ein Zelt (auf Zeit) Großfamilie (Familiengründung als "Einheiraten"): Weniger intensive emotionelle Bindungen, aber größere wirtschaftliche und soziale Absicherung (Alte, Kranke, Kinder) Kleinstfamilie (Familiengründung als "Herausheiraten" aus der Herkunftsfamilie): Absicherung durch öffentliche Institutionen bzw. gesetzliche Maßnahmen (Kindergärten, Altersheime etc.) Hoher (auch gesellschaftlicher) Stellenwert der Fruchtbarkeit (Kindersterblichkeit, niedere Lebenserwartung, Arbeitskräfte, Soldaten) Reduziertes Interesse der Öffentlichkeit an einer höheren Kinderzahl (ausgenommen in Hinblick auf die Finanzierung des Pensionssystems) Meist Einheit von Wohnsitz und Arbeitsplatz. Selten Einheit von Wohnsitz und Arbeitsplatz. Eheleben in einer Arbeitsgesellschaft. Eheleben in einer Freizeitgesellschaft. Normalfall: Erwachsener Mensch ist verheiratet und hat Familie. Trend heute: Single ist voll akzeptiert. Größtes Interesse der Öffentlichkeit an Ehe und Familie ("Keimzelle der Gesellschaft") Tendenzen, auch andere Formen des Zusammenlebens als gleichwertig/ gleichberechtigt zu behandeln (Privatisierung der Partnerschaft): Ehe ohne Trauschein, Trennung von sozialer und sexueller Treue, Patchwork-Familien, "Homo-Ehe". Zwischen 20 und 40 (generative Zeit) "Hochzeit" der Ehe (geringere Lebenserwartung) Mehrere unterschiedl. Phasen der Ehe und neue partnerschaftliche Erfahrungen, wenn die Kinder "aus dem Haus" sind. Partnerauswahl durch andere. Reduzierte Erwartungen, da Liebe / Verliebtheit noch nicht im Vorfeld der Ehe) Selbständige Partnerwahl und höchste Erwartungen bezüglich persönlichem Lebensglück 194 NICHTEHELICHE LEBENSGEMEINSCHAFTEN Im Bereich der Ehe- und Sexualmoral - so lautet ein vielgehörter Vorwurf - sei eine Wiederverheiratung (mit deklariertem Bindungswillen und Öffentlichkeitscharakter) mit kirchlichen Konsequenzen verbunden, eine (relativ unverbindliche) nichteheliche Lebensgemeinschaft hingegen werde mit keinen Sanktionen belegt. Das Beharren auf der sakramentalen Ehe als ausschließlichem Ort sexueller Betätigung sei schlicht und einfach weltfremd. Eheschließung und Familiengründung sind heute nur noch selten eine ökonomisch und gesellschaftlich erzwungene Notwendigkeit, personenbezogene psychosoziale Bindungsbedürfnisse sind in den letzten Jahrzehnten in den Vordergrund gerückt. Privatbereich und öffentlicher Lebensbereich werden in ihrer Korrelation nicht mehr gesehen. Die Menschen wollen die Belange ihres privaten Lebens eigenverantwortlich und frei von institutionellen Vorgaben und gesellschaftlichen Normierungen regeln, kennen und anerkennen aber für sich dennoch bestimmte ethische Grundüberzeugungen, an denen sie ihr Handeln ausrichten: Eine bestimmte Form von Treueversprechen / Treueerwartung, personalganzheitliche Liebe und Zärtlichkeit statt oberflächlichem Sexkonsum und grundsätzliche Bejahung der Wichtigkeit einer Dauerbeziehung in Hinblick auf Kinder. Solche freie Lebensgemeinschaften haben aber bis jetzt - trotz des hohen Anspruchs an die Qualität ihrer Beziehungen - nicht dahingehend überzeugen können, dass sie dadurch, dass sie die gegenseitige Liebe und die Treue tagtäglich aufs Neue herausfordern und solcherart sozusagen trainieren, stabiler und tragfähiger seien als Ehen. Der Wert einer lebenslangen Bindung wird hier nicht mehr als Anspruch gesehen, sondern nur noch als eine bloße Möglichkeit des Ausgangs. Umfassende Beziehungen zu einem Menschen sind aber kein Vertrag, der jederzeit aufgekündigt werden kann. Menschen können sich trennen - und sie tun das stärker denn je -, aber dadurch ist der eine nicht aus dem Leben des anderen entlassen. Der Anspruch der Dauerhaftigkeit der Beziehung ist ein sehr hoher, aber ohne ihn würde unabhängig vom Schicksal gemeinsamer Kinder - menschliche Liebe ihren Sinn verlieren. Wenn dieser Wunsch nach dauerhafter Bindung sich aber nicht auf einen überindividuellen Sinn von Liebe stützen kann, wenn weder Glaube noch Philosophie tragen, - wie soll es zwei Menschen dann möglich sein, Augenblicksperspektiven in die Zukunft hin zu verlängern, bis der Tod sie scheidet? Christlicher Glaube vermittelt und ermöglicht eine Bindung an das Leben insgesamt, die alles Bruchstückhafte, alles Scheitern und alle Trennung überschreitet im Wissen um die Verheißung Gottes, der seinen Regenbogen als Zeichen Seiner Bindung zu uns Menschen ans Firmament gesetzt hat. Im Vertrauen auf seinen Beistand schließen auch Menschen einen Bund fürs Leben und setzen damit - als Christen - zugleich ein sichtbares Zeichen der Liebe Christi zur Gemeinschaft der Glaubenden (vgl. Eph 5,32). Nichteheliche Lebensgemeinschaften werden von der Kirche daher grundsätzlich negativ beurteilt. (Vgl. Enzyklika Familiaris consortio 80f; KKK 2390f) Die diesbezüglichen Grundeinstellungen sind freilich höchst unterschiedlich, sie reichen von einer prinzipiellen Ablehnung der institutionalisierten Ehe über grundsätzlich Ehewillige, die noch nach dem richtigen Partner suchen bzw. die Belastbarkeit der Beziehung vorerst erproben wollen, bis hin zu jenen, bei denen berufliche oder andere äußere Gründe einer Eheschließung (noch) entgegenstehen. M. E. müsste daher - ähnlich der vom Konzil deklarierten "hierarchia veritatum" im dogmatischen Breich - so etwas wie eine "hierarchia iustitiae" in der Ethik menschlicher Beziehungen postuliert werden... 195 WAS IST …? "Alle Dinge kann man doppelt betrachten: Als Faktum und als Geheimnis" (H.U. von Balthasar) BEISPIEL Ein Weg Eine Rose ALS FAKTUM ALS GEHEIMNIS Festgetretene Erde mit Kies darauf, unbeweglich und ohne Geräusch, unverändert in seiner Gestalt, sooft ich ihn betrete, passiv und ohne Leben... Er "kommt" irgendwo her und "führt" irgendwo hin, öffnet sich, schlängelt sich und zieht sich dahin, verliert sich, verheißt mir ein Ziel, macht mir Mut, bringt mich in die Freiheit ... Wächst an stacheligen Sträuchern und Hecken in mehr als 100 Arten, hat nie mehr als 5 Blütenblätter; bei (gezüchteten) Edelrosen ist ein Teil der Staubblätter in Blumenkronblätter umgestaltet ... Sie erfreut mich bei ihrem Anblick, erinnert mich an glückliche Stunden, ist ein Teil meiner selbst, den ich zum Abschied gebe, gibt einem Raum Leben und Schönheit, kann bezaubern,mit ihrem Duft den Raum erfüllen. . . Ein Fluss 659o Sauerstoff, 18% Kohlenstoff, höchstentwickelte Materie, Säugetier, vorläufiger Der Mensch Höhepunkt der evolutiven Entwicklung des Lebens, biologische Frühgeburt und Mängelwesen, nackter Affe, eine Ameise im Kosmos... Wer das Geheimnis des Menschen erfassen will, kann immer nur beschreibend Einzelheiten aufzählen. Erst in einer Zusammenschau kommt man dem Wesentlichen etwas näher: ? Der Mensch ist von Natur aus gut - Wer den Menschen kennt, liebt die Tiere - Er ist das einzige Lebewesen, das errötet, das aber auch Grund dazu hat - Nicht 9 Monate, sondern mindestens 50 Jahre dauert die Menschwerdung des Menschen - Der Mensch ist ein Geheimnis: Er steckt voller Rätsel über Ursprung, Wesen und Ziel - Der Mensch ist ein Produkt seiner Umwelt - Er ist ein Geschöpf Gottes - Ebenbild Gottes - Person Dennoch gibt es viele Versuche einer "Kurzdefinition" des Menschen, die sein Wesen zu erfassen trachten: 196 WAS IST DER MENSCH? 1) Philosophisch: Der Mensch als "Geist in Leiblichkeit" A) Der L e i b des Menschen: Als vorerst letztes Produkt der Evolution der Natur (durch Mutation u. Selektion) weist der Mensch zunächst bloß graduelle Unterschiede zu den höchstentwickelten Tieren auf. (Z. B. Äußere u. innere Organe, Fortbewegung, Instinkte und Triebe, Verhaltensformen wie Rudelbildung, Rivalitätskämpfe, Imponiergehabe u. A. m.). Hier liegt auch die Möglichkeit medizinischer Tierversuche zum Wohl des Menschen begründet. B) Der Mensch als G e i s t w e s e n (Person): Nicht nur graduell ("mehr oder weniger"), sondern wesentlich unterscheidet sich der Mensch von allen anderen Lebewesen durch seine 1. Denkfähigkeit (Vernunft, Intellekt) als Fähigkeit, die Dinge nicht bloß "greifend" zu "fassen", sondern "begreifend" (im Begriff) zu "erfassen". Im Ich-Bewusstsein kann der Mensch sogar sich selbst betrachten. 2. Entscheidungsfreiheit zu handeln oder nicht zu handeln, gut oder böse zu handeln (Gewissen). Der Mensch weiß sich verantwortlich für sein Tun. 3. Sprache als Fähigkeit, die Dinge zu benennen. 4. Kultur als Fähigkeit, die Welt zu gestalten (Zivilisation, Technik, Kunst, Wissenschaft...) 5. Religiosität als bewusste Gestaltung der Beziehung zu einem Überweltlichen (Gott), von dem er sich abhängig weiß. C) Die E i n h e i t ("in ") von Körper und Geistseele: Der Mensch ist nicht ein hochentwickeltes Säugetier mit "aufgestülptem" Geist. Zwischen Körper und Geistseele besteht eine lebendiee Wechselwirkung. (Vgl. Psychosomatische Krankheiten, Autogenes Training u. a.m.) Die Geistssele ist ebensowenig denkbar ohne menschlichen Körper wie dieser ohne Geistseele. Aus diesem Grund kann auch nur eingeschränkt von einer Unsterblichkeit der "Seele" gesprochen werden: Der "ganze" Mensch als Person (ICH) wird auferstehen!(Vgl. 1 Thess 5,23) II. Bibeltheologisch: Der Mensch als Ebenbild und Partner Gottes AT: Der Mensch ist von Gott geschaffen als dessen Ebenbild (Person und Herr) - Er ist sein verantwortlicher Stellvertreter gegenüber der Schöpfung - Er ist Kind Gottes, von ihm geliebt und bei ihm geborgen - Er ist der Gesprächspartner Gottes, dazu berufen, Gott als letztes Ziel seines Lebens zu erreichen - Er ist einmalig und unverwechselbar: "Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erwählt. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein", spricht Gott. (Jes 43,1f) NT: Der Mensch ist ein aus der Ursprungsgnade Gottes gefallenes Wesen (Ursünde), anfällig für das Böse und stets auf der Suche nach denn Glück - Er ist durch die Erlösung Jesu Christi wieder wahres "Kind Gottes", das vertrauensvoll Abba (Vater) sagen darf. III. Kirchliches Lehramt: " "In Leib und Seele einer, vereint der Mensch durch seine Leiblichkeit die Elemente der stofflichen Welt in sich." Er ist aber "nicht nur Teil der Natur oder anonymes Element in der menschlichen Gesellschaft, denn in seiner Innerlichkeit (= Geistigkeit und Unsterblichkeit der Seele) übersteigt er die Gesamtheit der Dinge." (II. Vat. Konzil GS 14) 197 ERWACHSEN WERDEN 1. Die Jugendzeit ist eine "Zwischenzeit", geprägt von einem "SCHON" (Übernahme von Pflichten und Verantwortung, wachsendes Selbstbewusstsein, Hinwendung zu einem DU ...) und einem gleichzeitigen "NOCH NICHT" (Materielle Abhängigkeit, Fremdbestimmung, Unsicherheiten...) 2. Der Prozess der "zweiten Abnabelung" (von der Geborgenheit der Familie) - sollte "zum richtigen Zeitpunkt" (kairos) erfolgen, weder zu früh (Ausreisser, Schlüsselkind), noch zu spät (Nesthocker, Muttersöhnchen); - ist mit Krisen und Schmerzen beiderseits verbunden (Unverstandene Kinder, unglückliche Eltern); - ist mit einer tiefen Sehnsucht (Sinn-Sucht) verbunden (Traum von der "heilen" Welt, Idealismus, Gerechtigkeitssinn, totale Geborgenheit...); - sollte nie zum "totalen Bruch" führen! (Gefahr, emotional "unterzuschlupfen" in einer Gruppe, in einer vorschnellen Zweierbeziehung...) Wege zur Selbsterkenntnis (SachthemenQUER.doc) Wo liegt mein Schwerpunkt (SachthemenQUER.doc) Fünf Bereiche der Selbstentfaltung (SachthemenQUER.doc) Die vier Kardinaltugenden (SachthemenQUER.doc) 198 WER BIN ICH? DER SANGUINIKER + Typisch für ihn ist die Leichtigkeit, mit der er mit Menschen umgeht, sich schnell einer Situation anpasst, sich einfügt; kann Streit nicht vertragen… + Hat stets eine neue Idee paxat; begreift blitzschnell Zusammenhänge und ist leicht zu begeistern… + Ein guter Kerl, mit dem jeder auskommt; in der Gemeinschaft sehr beliebt, auch als Unterhändler mit den Lehrern… - Wenig Ausdauer, Gründlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Fleiß, Durchhaltevermögen… - Im Grunde bodenlos faul. Drückt sich mit viel Geschäftigkeit in 1000 nützlichen und angenehmen Dingen um die eine notwendige Pflicht... - Spielt sich auf und blendet und kann andere mit einem unschuldigen Lächeln einwickeln... DER CHOLERIKER + Eine kleine Führernatur mit scharfem Verstand und ausgeprägtem Willen… + Er weiß, was er will, und kann sich leidenschaftlich – fast fanatisch – dafür einsetzen… - Herrschsüchtig, rechthaberisch, starrköpfig und eigensinnig; verträgt keinerlei Widerspruch und leidet gleich danach selbst darunter… - Er ist jähzornig und unberechenbar: Einmal leidenschaftlich engagiert, dann gefühlskalt anderen gegenüber… - Voll von sich selbst eingenommen, wirkt er hochnäsig und die anderen verachtend; verletzt oft durch die Schärfe seiner Worte… - Kann mit Stimmungen und Gefühlen anderer nicht umgehen; zertrampelt solche "Gefühlsduselei" wie ein Elefant im Porzellanladen… DER PHLEGMATIKER + Sehr ausgeglichener Charakter, der kaum einmal übertreibt und aus seiner Reserve gelockt werden kann… + Bewahrt einen kühlen Kopf, wo andere in Panik verfallen oder von Leidenschaften zerrissen werden… + Ist ziemlich objektiv und unbestechlich in seinem Urteil und wird daher als vernünftig und überlegen allgemein anerkannt (oft Klassensprecher)… - Er ist faul, bequem und interesselos, dickhäutig bis stur, wo es nicht um die eigenen Belange geht. Seine Unerschütterlichkeit und Gleichgültgkeit ("Alles egal") kann die anderen zur Weißglut treiben… - Er verfolgt selbst die eigenen Interessen teilnahmslos gegenüber Dank, Lob oder Missbilligung… DER MELANCHOLIKER + Oft übertriebener Fleiß und pedantische Gewissenhafhgkeit… + Große Gemütstiefe, hinter der sich fast ein kleiner Dichter verbirgt ("Stilles Wasser")… + Öffnet sich und fühlt sich wohl im kleinen Kreis, wo er plötzlich lustig und ausgelassen sein kann… - Schwierig im Umgang mit anderen, da überempfindlich und leicht eingeschnappt… - Wenig Selbstsicherheit im Auftreten; wirkt passiv und verschlossen, fast langweilig; man braucht Zeit, um mit ihm warm zu werden… - Kann ein ausgesprochener Miesmacher und Spielverderber sein, wenn ihm aus unerfindlichen Gründen plötzlich etwas nicht passt… 199 ARTEN VON GESETZEN 1. DAS EWIGE GÖTTLICHE GESETZ (LEX AETERNA) Man versteht darunter den "Weltenbauplan" Gottes, durch den er von Ewigkeit her (auch) das Handeln aller Geschöpfe auf ein höchstes Ziel hingeordnet hat. 2. DAS NATÜRLICHE SITTENGESETZ Es ist jener Teil der lex aeterna, der sich auf das sittliche Handeln des Menschen bezieht, ähnlich in die menschliche Natur hineingelegt wie die physischen Gesetze in die Natur der vernunftlosen Dinge. Man unterscheidet dabei: a. Den allgemeinsten ("ersten") Grundsatz: Tue das Gute, meide das Böse; Goldene Regel: Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen, bzw. was du nicht willst... b. Unmittelbare Folgerungen aus dem allgemeinsten Grundsatz: z. B. der Dekalog (ausgenommen Bilderverbot und Sabbatgebot) c. Entferntere Folgerungen samt Anwendungen: z. B. Verbot der Polygamie, der Privatund Blutrache, der Sklaverei, des Selbstmords u. A. m. Die Realität des natürl. Sittengesetzes wird vielfach geleugnet. Pro-Argumente sind die Erkenntnisse der Ethnologie (Völkerkunde) sowie (für Christen) die Hinweise in der Hl. Schrift, wonach den Heiden die Forderung der Thora "ins Herz geschrieben" ist. (Röm 2, 14 f) 3. DAS POSITIVE GÖTTLICHE GESETZ Neben der "natürlichen" Offenbarung hat Gott seinen Willen auch ausdrücklich und ausführlicher kundgetan in der sog. "übernatürlichen" (geschichtlichen) Offenbarung: a. Im atl. "Gesetz des Mose" (Mosaisches Gesetz): - Das Moralgesetz des Dekalogs (= nat. Sittengesetz) - Das Zeremonialgesetz (Opfer-, Speise-, Reinheitsvorschriften) - Das Judizialgesetz (Bürgerliches Recht und Strafrecht des Bundesvolkes) (Die letzten beiden im NT aufgehoben bzw. mit Ende des Alten Bundes belanglos.) b. Im ntl. "Gesetz Jesu Christi": - Ein Gesetz des Geistes u. des Herzens: Lk 16,15 - Ein Gesetz der Liebe und Barmherzigkeit: Mt 22,40; 25,31ff - Ein Gesetz der Freiheit (mit einem Mindestmaß an Einzelvorschriften) - Ein Gesetz der Gnade, das Pflichten zu einer "leichten Bürde" werden lässt (Mt 11,30) - Ein ewig gültiges Gesetz: Mt 24,35 4. DAS POSITIVE MENSCHLICHE GESETZ Staat und Kirche haben die Vollmacht, Gesetze zu erlassen mit dem Ziel, das Naturrecht und das Offenbarungsrecht den konkreten Verhältnissen anzupassen. 200 GRUNDBEGRIFFE DER ETHIK 1. NORM (lat. norma = Winkelmaß, Richtschnur) ist eine ursprüngliche, allgemeinste Regel, die angibt, was sein und geschehen soll ("Die Ordnung") Zugleich ist sie auch der Maßstab der Beurteilung und Bewertung. (Es ist "normal, dass.., in Ordnung, wenn …") Beispiele: 4.-10. Gebot, Goldene Regel 2. KONVENTIONEN (Übereinkünfte) sind positive Vereinbarungen über bestimmte Verhaltensweisen in best. Situationen. Beispiele: Menschenrechtskonventionen, Anstandsregeln, Verkehrsregeln. 3. GESETZE sind Normen, deren Verletzung gerichtlich verfolgt werden kann. 4. WERTE sind Ziele menschlichen Wünschens. FUNKTIONEN VON NORMEN UND GESETZEN 1. Ersatzfunktion: Da der Mensch im Gegensatz zum trieb- und umweltgebundenen Tier umweltfrei und weltoffen veranlagt ist, braucht er als Ausgleich für die mangelnde Instinktsicherheit seines Handelns einen "künstlichen" Normenraster. 2. Schutzfunktion für den Einzelnen: Zur Gestaltung und zum Gelingen des Lebens sind Orientierungsvorgaben notwendig, die allgemein anerkannt werden. 3. Entlastungsfunktion für den Einzelnen in einer Entscheidungssituation, die ein langwieriges Suchen, was richtig/ falsch ist, erübrigt. 4. Gelingensfunktion: Normen integrieren individuelles Verhalten in die Gemeinschaft, die dadurch stabil wird. MÖGLICHE NORMENBEGRÜNDUNGEN 1. DIE BIOLOGISCHE NATURORDNUNG als Normenquelle: Gut und richtig ist, was vernünftig = "natürlich" ist, d. h. der Naturordnung entspricht (Vgl. Naturphilosophie, Vergleichende Verhaltensforschung) 2. DAS METAPHYSISCHE NATURRECHT als Normenquelle: Gut und richtig ist, was dem "geistigen" Wesen des Menschen entspricht, denn allen Wesen ist ein von Gott gelegter Sinn mitgegeben. Aus den Grundrechten "Menschenwürde, Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit" etwa lassen sich allgemein einsichtige Prinzipien des Naturrechts ableiten: - Was du nicht willst... - Suum cuique - Pacta sunt servanda - Gemeinwohl geht vor Eigenwohl - Wohltätern schuldet man Dank - Halte Maß 201 3. NÜTZLICHKEIT UND ANNEHMLICHKEIT als Normenquelle: - Gut und richtig ist, was Lust verschafft (Hedonismus) - was möglichst vielen nützt (Utilitarismus) - was zum Erfolg führt (Pragmatismus) - was die biologische Höherentwicklung der Menschheit fördert (NS-Ideologie, Nietzsches "Übermensch") - was dem Wohl der Gesellschaft dient (Kollektivismus) 4. DIE UNBEDINGTHEIT DER PFLICHT als Normenquelle (Kant): Gut und richtig ist, was Maxime einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte. 5. GRUNDWERTE als Normenquelle: Gut und richtig ist, was den höchsten Werten der Menschheit entspricht (Werteskala nach M. Scheler: Das Angenehme - Das Edle - Das Schöne - Das Rechte - Das Wahre Das Heilige). 6. DIE MENSCHLICHE PERSÖNLICHKEIT als Normenquelle: Gut und richtig ist, was ihrer freien Selbstentfaltung dient (Ethik des Rationalismus v. J. J. Rousseau). 7. DAS VERHALTEN DER MEHRHEIT als Normenquelle (Statistik): Gut und richtig ist, was die meisten anderen auch machen. 8. DER GESETZGEBER als Normenquelle (Rechtspositivismus): Gut und richtig ist, was der rechtmäßige Gesetzgeber für gut erklärt ("Befehl ist Befehl"). 9. DIE SITTLICHE VERANTWORTUNG als Normenquelle (Verantwortungsethik): Gut und richtig ist das, dessen vorhersehbare Konsequenzen der Mensch verantworten kann. (Z. B. die Wahrheit verschweigen, weil...) 10. DIE EIGENE FESTE GESINNUNG als Normenquelle (Gesinnungsethik): Der Mensch führt das als richtig Erkannte unbeirrbar und ohne Rücksicht aus. 11. DIE JEWEILIGE KONKRETE SITUATION als Normenquelle (Situationsethik): Das Sein an sich ist wert- und sinnlos (Nihilismus), erst mit dem Handeln schafft der Mensch Sinn. 12. ILLUMINATIONSM MODELL: Der Mensch erkennt jeweils aufgrund einer göttl. Erleuchtung intuitiv, was gut und richtig ist. 13. BIBLIZISTISCHES MODELL: Gut und richtig ist, was dem (absoluten) Wort der Schrift entspricht. 14. EKKLESIAL-KREATIVES MODELL: Die Kirche als ganze kann Normen finden durch Sacheinsicht (variabel) und Glaubenseinsicht. D. h. gut und richtig ist, was ihren Grundlehren entspricht. 202 DIE FREIHEIT DES MENSCHEN 1. BEGRIFF Das deutsche Wort "Freiheit" geht (wie auch Freund, Friede) in seiner Grundbedeutung auf die indogermanische Wurzel "prai" = lieb und das gotische "frijon" = lieben zurück. Diese ursprüngliche Bedeutung hat sich im Wort "freien" (heiraten) bis heute erhalten. "Zu den Lieben gehörig" und daher als "freier Mann" geschützt war der eigene Stammesgenosse im Unterschied zum Sklaven, dessen Hals von einer Kette umfasst sein konnte. Das Wort "Freiheit" war also ursprünglich positiv definiert! 2. STELLENWERT - Freiheit wird (ähnlich der Gesundheit) meist erst spürbar in der Beeinträchtigung. Sie ist ein Grundrecht des Menschen, das in seinen vielfältigen Ausformungen (Gewissens-, Religions-, Rede-, Pressefreiheit usw.) immer wieder gefährdet ist (vgl. Menschenrechtskataloge). - Der Entzug der Freiheit ist nach den Strafen gegen das Leben (Todesstrafe) und gegen den Leib (Folter, Zwangsarbeit) die empfindlichste Strafandrohung. Strafen, die die Ehre (Schandpranger, Degradierung) und das Eigentum (Geldstrafen) treffen, sind bereits nachrangig. - Es gibt eine ganze Skala von (praktischen) Formen zwischen den Extremwerten "Unfreiheit" und "schrankenlose Freiheit". Auf dieser Klaviatur zu spielen ist das Hauptproblem jeglicher Erziehung! (Und es ist zugleich auch das "Problem" Gottes, der sich in der menschlichen Freiheit selbst eine Grenze seiner Barmherzigkeit gesetzt hat.) - Ohne Anerkennung der menschlichen Freiheit gäbe es keine Moral, keine Verantwortung, kein Gewissen, weder Verdienst, noch Schuld, noch Strafen. - Dem Recht auf Freiheit entspricht umgekehrt die Pflicht, sie zu gewähren. - "Noch nie hatten die Menschen einen so wachen Sinn für die Freiheit wie heute, und gleichzeitig entstehen neue Formen von gesellschaftlicher und psychischer Knechtung". (II. Vat. Konzil GS 4) 3. UNTERSCHEIDUNGEN - Absolute Freiheit (alles zu können, was man will) - relative Freiheit (aufgrund phys. Begrenztheit) - Innere Willens- (Entscheidungs-) Freiheit und äußere Freiheit (Handlungsfreiheit) - Freiheit im politisch-sozialen Bereich - Freiheit im personalen Bereich - Freiheit VON (Fremdbestimmung) - Freiheit FÜR (Selbstbestimmung) 4. SCHRANKEN DER FREIHEIT a. Wodurch Freiheit von aussen beschränkt wird (Autoritäten): - durch den Staat (Gesetze u. a.) - durch die Gesellschaft (Sitte und Anstand, allgemeiner: die Freiheit des anderen) - durch die Kirche (Gebote und Verbote u. a.) - durch Eltern/ Erzieher/ Vorgesetzte (Aufträge, Befehle, Weisungen u. a.) b. Wodurch Freiheit (individuell und sozial) gehemmt wird: Neurosen, Angstzustände, Labilität, Sucht, Milieuprägung, Abhängigkeiten, Drohung, Manipulation, Modetrend, Leistungszwang u. a. 203 c. Wovon Freiheit sich leiten lässt (innere Selbst-Beschränkung): - von der Erkenntnis (das als richtig Erkannte wird getan, z. B. Toleranz) - vom Gewissen (Verantwortungsbewusstsein für sich und andere) - vom Glauben (Opfer zugunsten anderer, Sühne für eigene Schuld u. a.) - von taktischen Überlegungen (um eines angestrebten Erfolges willen) - von Gefühlsmomenten (Neigungen / Abneigungen beeinflussen die Entscheidung) 5. LEUGNUNG DER FREIHEIT (DETERMINISMUS) Die Freiheit des Menschen wird von den verschiedensten Ansätzen her angezweifelt. Von vornherein bestimmt (determiniert und daher unfrei) seien die sog. "Entscheidungen" durch - die jeweils vorgegebenen Produktionsverhältnisse des materiellen Lebens (K. Marx, F. Engels) - den Aggressionstrieb (K. Lorenz, Das sogenannte Böse) - das Unbewusste im Menschen (S. Freud, C. G. Jung) - die Erbanlagen (C. D. Darlington) - Umweltreize (J. B. Watsons Behaviorismus) - Gott (Prädestinationslehre des Calvinismus, Schicksalsglaube im Islam u. ä.) 6. STANDPUNKT DES CHRISTENTUMS a. HI. Schrift: Wie das AT geprägt ist von der Befreiung Israels aus der Knechtschaft Ägyptens, so geht es im NT (v. a. bei Paulus) um die Freiheit von den Mächten des Unheils: Sünde, Gesetz und Tod. (Vgl. Röm 7, 7- 25) In den Evangelien ist mit dem Anbruch des Reiches Gottes (d. h. mit dem Kommen des Erlösers) die Befreiung von den physischen Fesseln des Unheils verbunden: "Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, den Armen wird eine gute Nachricht (das Evangelium) verkündet". Für Paulus ist Unfreiheit mehr als bloße physische Begrenztheit (z. B. durch Krankheit) oder auch moralische Schwäche. Es ist im Grunde die Selbst-Verfallenheit des Menschen, jene "fixe Idee", sich immer wieder vom Ursprung des Lebens lösen zu wollen: "Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will." (Röm 7, 19) Erst seit (und weil) Christus uns "zur Freiheit befreit" hat (Gal 5, 1 ), kann der Mensch wieder wollen, was Gott will. "Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit." (2 Kor 3, 17) Daher bindet Paulus auch nicht mehr die Thora (Gesetz), sondern die Liebe Christi: Dem Geist der Knechtschaft, der Furcht einflößt, steht der Geist der Kindschaft gegenüber, der die Freiheit gibt, zu Gott "Vater" zu sagen. (Röm 8, 15) Obwohl dazu berufen, Kind Gottes zu sein, hat der Mensch dennoch die Möglichkeit, Nein zu sagen. Ist damit die (wirkmächtige) Gnade Gottes angesichts der menschlichen Freiheit zum Scheitern verurteilt? b. Lehramtliche Aussagen der Kirche: Die Kirche betont wiederholt das Personsein des Menschen (Geistigkeit und Freiheit): "Die wahre Freiheit ist ein erhabenes Kennzeichen des Bildes Gottes im Menschen." (GS 17) Der Mensch unterscheidet sich vom Tier dadurch, dass er nicht in notwendige Naturzusammenhänge "eingespannt" (und damit determiniert) ist, sondern gleichsam ins Offene gesetzt und damit gezwungen ist, sich seine Wesensausprägung selbst erst zu geben. 204 "Gott wollte nämlich den Menschen 'in der Hand seines Entschlusses lassen', sodass er seinen Schöpfer aus eigenem Entscheid suche und frei zur vollen und seligen Vollendung in Einheit mit Gott gelange." (GS 17) So ist sich der Mensch selbst Gabe und Aufgabe zugleich: Gabe, weil er weiß, dass er seine Existenz nicht sich selbst verdankt; Aufgabe, weil er die Notwendigkeit erkennt, "etwas aus sich zu machen", nämlich Mensch im Vollsinn des Wortes zu werden. Aber "die menschliche Freiheit ist oft eingeschränkt, wenn der Mensch in äußerster Armut lebt, wie sie umgekehrt verkommt, wenn der Mensch es sich im Leben zu bequem macht und sich in einer 'einsamen Selbstherrlichkeit' verschanzt. Umgekehrt gewinnt sie an Kraft, wenn der Mensch die unvermeidlichen Notwendigkeiten des gesellschaftlichen Lebens auf sich nimmt, die vielfachen Forderungen des menschlichen Zusammenlebens bejaht und sich dem Dienst an der menschlichen Gemeinschaft verpflichtet weiß." (GS 31) . Alles in allem vertritt die katholische Kirche einen gemäßigten Indeterminismus, d. h. eine Abhängigkeit der jeweiligen Entscheidungen von bestimmten Voraussetzungen, äußeren und inneren Einflüssen, die aber dennoch eine freie Gestaltung und Verantwortlichkeit des je persönlichen Lebens nicht verunmöglicht. 205 GESTEUERTE FREIHEIT Formen der Manipulation A) BEGRIFFSUMFELD: Alle Lebensäußerungen (des einzelnen wie auch der Gesellschaft) sind Einflüssen ausgesetzt, die sie in eine ganz bestimmte Richtung zu drängen versuchen: - Sie können direkt und von außen (auch gegen den Willen des Menschen) wirksam werden (etwa durch Gesetze und angedrohte Sanktionen bei Verstößen dagegen); - sie können aber auch indirekt (durch offene oder versteckte Beeinflussung des Willens) gleichsam von innen her wirksam werden ("Motivation"). Solche Willensbeeinflussungen können - egoistische Gründe haben, weshalb sie verdeckt bleiben wollen ("Manipulation"), - oder altruistische ("Erziehung"), über die jederzeit Rechenschaft abgelegt werden kann. An diesen allgemeinen Grundsätzen wird auch die jeweilige Einstufung und Bewertung (positiv oder negativ) Maß nehmen müssen. B) FORMEN GESTEUERTER FREIHEIT: 1. MANIPULATION (Lat. manus/pleo = mit der Hand umfassen, handhaben, eingreifen) ist jede Form der (physischen oder psychischen) Einflussnahme auf die Person des anderen ("Behandlung") in der Absicht, ihn in seiner Selbständigkeit und Freiheit zu beeinträchtigen oder sogar zu verändern. Sie instrumentalisiert den Menschen und ist letztlich ein Macht- und Herrshaftsinstrument von Menschen über Menschen auf verharmlosenden Schleichwegen, während die eigentlichen Ziele (z. B. Machtinteressen im Fall der Propaganda) verdeckt bleiben. (Anders Werbung und Verführung: Sie deklarieren ihre Ziele offen.) 2. LENKUNGSMASSNAHMEN DES STAATES im Interesse des Gemeinwohls (z. B. finanzielle Anreize zur Steigerung des Umweltbewusstseins, der Volksgesundheit, der Geburtenrate u. a.) sind zweifelsohne unbedenklich. Stehen hingegen für die breite Masse unerkennbar eigene (parteipolitische bzw. Gruppen-) Interessen dahinter, werden sie zu Manipulationsversuchen. 3. PSYCHOTHERAPEUTISCHE BEHANDLUNGEN versuchen - unterstützt durch entsprechende Medikamente - das personale Menschsein zu fördern. Eine "Bewusstseinserweiterung" des gesunden Menschen durch den Konsum illegaler Drogen (Künstlermilieu) ist ebenso abzulehnen wie unerlaubtes Doping (Sport). 4. GEHIRNWÄSCHE nennt man alle Formen der Unterdrückung freier Selbstentscheidung (meist aus ideologischen Gründen). 5. HÖRIGKEIT: Durch falsche/ einseitige Information, Gewalt, autoritäre Erziehungsformen, sexuelle Bindung u. a. werden totale Abhängigkeiten geschaffen, in denen die Person einem anderen schließlich willenlos wie eine Sache “gehört”. 6. GENMANIPULATION ist die gezielte Veränderung des genetischen Matierials des Menschen. Ihre Anwendung zur Vorbeugung/ Heilung von Krankheiten ist anders zu bewerten als etwa Experimente zur Menschenzüchtung. C. KIRCHLICHER STANDPUNKT: Die Kirche betont seit jeher die Würde der menschlichen Person: "Alle müssen ihren Nächsten als ein anderes ICH ansehen, v. a. auf sein Leben und die notwendigen Voraussetzungen seines menschenwürdigen Lebens bedacht." (II.Vat. Konzil. GS 27) 206 DAS GEWISSEN 1. Begriff: "Im Inneren seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muss und dessen Stimme ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zur Unterlassung des Bösen anruft." (II.Vat. Konzil GS 16) Das Gewissen ist eine vom Menschen unabhängige innere Instanz, der er sich in seinem Handeln verantwortlich weiß. Paulus redet davon, dass alle Menschen "von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist", weil ihnen "die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist: Ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab, ihre Gedanken klagen sich gegenseitig an und verteidigen sich". (Röm 2,15) Wie Gott mit den ersten Menschen noch unmittelbar verkehrte, so hören wir seine Stimme seither im Spruch unseres Gewissens. Der Philosoph I. Kant bezeichnet treffend das Gewissen als "inneren Gerichtshof im Menschen". Es meldet sich vor / während / nach einer Tat. Es erscheint als gutes oder schlechtes Gewissen. Es gibt auch ein fehlgeleitetes bzw. irriges Gewissen: (Skrupelloses/ weitmaschiges G. - Skrupulöses/ engmaschiges G.) Es gibt aber keinen "gewissenlosen" Menschen! 2. Stufen der Entwicklung des Gewissens: Die absolute Forderung, das Gute zu tun und das Böse zu meiden (Urgewissen) ist dem Menschen seinem Wesen nach eigen. Was jedoch in seiner jeweiligen Lebenspraxis gut / böse ist, das lernt er aus Erfahrung (z.B. durch Versuch und Irrtum) durch Nachahmung (Vorbildlernen) durch Werteinsicht (Intuition) durch Argumentation (Sachverstand, Blick auf die Folgen) durch Aneignung von tradierten Normen (kulturelle Umwelt) Das Gewissen ist kein statisch vorgegebener Bewusstseinsinhalt, sondern ein dynamisches Geschehen, das auch die Notwendigkeit einer entsprechenden Pflege nach sich zieht. Wie bei einer Pflanze muss man darauf achten, dass es (unter dem Unkraut) nicht erstickt oder missbildet wird, sondern sich voll entfalten kann. Bei der lebensgeschichtlichen Entwicklung des Gewissens lassen sich mehrere Stufen unterscheiden: 207 a. Vorform und Basis des Gewissens - Handeln mit Blick auf Bezugspersonen: In dieser Entwicklungsstufe orientiert sich das Kind nicht nach sachlichen Gründen für die Richtigkeit / Falschheit einer Handlung, sondern an (geliebten / gefürchteten) Bezugspersonen, denen es Freude bereiten bzw. die es nicht böse stimmen möchte. b. Das sachgerechte Gewissen - Handeln mit Blick auf die Folgen: In dieser Phase lernt das Kind die Handlungen nach deren Folgen zu beurteilen. Es erkennt, dass ethisch gutes Handeln "der Sache" und "der Situation" entsprechen muss. Das als richtig Erkannte wird zur Norm des Handelns. c. Das personzentrierte Gewissen - Handeln aus persönlicher Überzeugung: Der Jugendliche kämpft oft gegen die "Schein-Moral" der Erwachsenen; er "adaptiert" je subjektiv das System von Normen und Werten für sich selbst und macht es zur (oft einzigen!) Richtschnur seines Handelns. d. Das reife Gewissen - Handeln aus einer letzten Lebensverantwortung heraus: Im reifen Menschen kommt es - ähnlich dem Gärungsprozess - zu einer Klarheit, Einfachheit und Durchsichtigkeit seiner Entscheidungsgrundlagen, dass angelernte / übernommene Normen ebenso wie Bestimmtheiten durch andere Menschen in ihrer Bedeutung absinken. Was bleibt, ist eine "Treue zum Wesentlichen", "Ich-Stärke" und "Wachsamkeit", "Festigkeit" und "Sensibilität". Mit Augustinus: "Liebe, und tu, was Du willst..." 3. Gewissensbildung: Die Rede vom "Gewissen" offenbart eine eigenartige Spannung: Im einen Fall erscheint es als höchste und letzte Instanz, der sich der Mensch (oft im Widerstand gegen allen Druck von außen) verpflichtet weiß; im anderen Fall aber ist davon die Rede, dass das Gewissen seinerseits Maß nehmen muss an vorgegebenen Wertmaßstäben. Eine verantwortungsbewusste Gewissensbildung (mit Blick auf das Wort Gottes, die Lehre der Kirche und menschliche Autoritäten) ist unerlässlich. Diese Gewissensbildung ist die Hauptaufgabe jeder ethischen Erziehung, wobei es weniger auf die Belehrung ankommt, als vielmehr darauf, dem Kind (auch durch eigenes Vorbild) Erfahrungen zu ermöglichen und zu erschließen, aus denen es eigene Grundhaltungen entwickeln kann. 4. Stellenwert: Dem sicheren Urteil seines Gewissens muss stets (!) Folge geleistet werden, denn "alles, was nicht aus Überzeugung geschieht, ist Sünde." (Röm 14,23) Jeder Mensch hat daher das Recht auf Gewissensfreiheit: Er darf nicht gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln, er darf aber auch nicht daran gehindert werden, gemäß seinem Gewissen zu handeln." (II.Vat. Konzil, Dign. Humanae 3) Im Fall des irrenden Gewissens ist zu prüfen, wie weit nicht die zugrunde liegende Unwissenheit zu verantworten ist. 208 RELIGIONSFREIHEIT ALS ELEMENTARES MENSCHENRECHT Anfangs galt unbestritten: Wo die Kirche in der Minderheit war, kämpfte sie um die Freiheit der Religionsausübung, wo sie aber selbst vorherrschend war, machte sie ihren Einfluss bedenkenlos geltend. Zu einer Änderung kam es mit den Verankerungen der Religionsfreiheit (wie auch der Gewissensfreiheit) in den neuzeitlichen Menschenrechtserklärungen: In der Virginia Bill of Rights vom 12.6. 1776 heißt es im Art. 16: "Religion oder die Ergebenheit, die wir unserem Schöpfer schuldig sind, und die Art, wie wir sie erfüllen, kann lediglich durch Vernunft oder Überzeugung bestimmt werden, nicht durch Zwang oder Gewalt, und deshalb haben alle Menschen einen gleichen Anspruch auf freie Ausübung der Religion nach den Geboten ihres Gewissens." Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte durch die franz. Nationalversammlung vom 26.8. 1789 formuliert distanzierter und mit Einschränkung auf weltliche Rücksichten: "Niemand soll wegen seiner Ansichten, auch nicht wegen der religiösen, beunruhigt werden, sofern ihre Äußerung die durch das Gesetz errichtete öffentliche Ordnung nicht stört." Seitdem ist die Gewährung der Religionsfreiheit in die liberalen Verfassungen des 19. und 20. Jhs. eingegangen. Sie umgreift das Recht auf freies Bekenntnis zu einer oder auch zu keiner Religion (Glaubens- und Bekenntnisfreiheit) sowie das Recht auf freie Religionsausübung (Kultusfreiheit). Der Mensch darf nicht bloßes Objekt politischer Systeme oder rechtlich verfasster Wahrheitsordnungen sein, er ist wesentlich Person, deren freie Entfaltung ermöglicht werden soll. Ausdrücklich verankert sind die Religions- und Gewissensfreiheit im Art. 18 der Allg. Erklärung über die Menschenrechte 1948 durch die Vereinten Nationen. Schwierigkeiten damit hatte - wie alle großen Religionsgemeinschaften – auch die katholische Kirche, die in der Folge jedweden Indifferentismus (als Wahlmöglichkeit zwischen gleichwertigen Alternativen) ablehnte. Ihre Einstellung hat sich bis heute allerdings von Grund auf geändert: 19. Jh.: Die Päpste Gregor XVI., Pius IX. und Leo XIII. verurteilten noch entschieden die Lehre von der Religions- und Gewissensfreiheit des Menschen, da es zur Wahrheit keine Alternative geben könne. (Recht der W a h r h e i t gegenüber dem Irrtum!) Anfang 20. Jh.: Pius XII. bestätigte diese Haltung der Kirche, erweiterte sie aber durch den T o l e r a n z - Gedanken: Im Interesse des Gemeinwohls dürfe der Staat (auch o h n e etwaige Zwangsmaßnahmen gesetzlicher Art) auch Irrtümer seiner Bürger tolerieren... II. Vat. Konzil: Das R e c h t auf R e l i g i o n s f r e i h e i t kommt jedem Menschen aufgrund seiner Menschenwürde zu. (Recht der P e r s o n steht über dem Recht der Wahrheit!) Damit verbunden ist freilich die sittliche Verpflichtung zur Wahrheitssuche und die Entscheidung f ü r die erkannte Wahrheit. "Der Mensch darf nicht gezwungen werden, g e g e n sein Gewissen zu handeln. Er darf aber auch nicht daran gehindert werden, gemäß seinem Gewissen zu handeln." (Pos. und neg. Aspekt der Religionsfreiheit) 209 SAUDIARABIEN - ÖSTERREICH Ein religionsrechtlicher Vergleich Der grundsätzliche Unterschied besteht darin, dass Österreich sowohl die Charta der Vereinten Nationen als auch die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat, Saudiarabien diese Charta aber nicht unterzeichnet hat und sich in seinem Grundgesetz nur zur Scharia-konformen Geltung der Menschenrechte verpflichtet hat. Genauerhin geht es um Anerkennung und Umsetzung von Art. 18: "Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden." (Art. 18 der "Allgemeinen Erklärung über die Menschenrechte" der UNO vom 10. 12. 1948) In Österreich In Saudiarabien ...ist Religionsfreiheit sowohl als Recht des einzelnen, als auch als Recht der Gemeinschaft verbrieft. .....ist jede andere Religion als der Islam verboten. ...wird etwa der Islam in allen religionsrechtlichen Gesetzen gleichberechtigt mit dem Christentum behandelt. .... kommen andere Religionen in religionsrechtlichen Gesetzen gar nicht vor. ... dürfen selbstverständlich auch Moslems ihre Moscheen errichten. ... dürfen überhaupt keine Kirchen gebaut werden. ... dürfen selbstverständlich Moslems dort zu ihren Gottesdiensten zusammenkommen. ... sind christliche Gottesdienste auf dem gesamten Territorium (auch in Privathäusern!) verboten. ... ist islamischer Religionsunterricht nicht nur erlaubt, sondern er wird - unter den gleichen Bedingungen wie etwa der christliche Religionsunterricht - sogar vom Staat bezahlt. .. darf überhaupt kein christlicher Religionsunterricht erteilt werden. ... darf selbstverständlich auch jeder Moslem religiöse Literatur einführen, besitzen und verbreiten. ... wird christliche Literatur schon bei der Einfuhr beschlagnahmt und vernichtet. ... darf jeder Moslem religiöse Symbole besitzen und auch in der Öffentlichkeit tragen. ... dürfen christliche Symbole nicht besessen und schon gar nicht in der Öffentlichkeit getragen werden. ... darf jeder Moslem jederzeit und überall das vorgeschriebene fünfmalige Gebet verrichten. ... ist jedes christliche Gebet in der Öffentlichkeit verboten. (Auch Privathäuser und Hotelzimmer gelten als öffentliche Plätze.) ... dürfen Moslems auch via Massenmedien ihre Gläubigen ansprechen. (ORF: "Stimme des Islam") ... ist das für Christen völlig undenkbar. 210 Der Vatikan und der Weltkirchenrat haben bereits mehrmals versucht, wenigstens Genehmigungen zur Errichtung von (öffentlich nicht als Kirchen gekennzeichneten) Gottesdiensträumen zur Abhaltung von Gottesdiensten für die zahlreichen Christen zu erhalten. Während in Rom eine große Moschee und ein islamisches Kulturzentrum gebaut wurden, blieb Saudiarabien unbeugsam. Wofür sich gerade CSI-Österreich einsetzt, liegt auf der Hand: Nach dem völkerrechtlichen Prinzip der Gegenseitigkeit sollen auch Christen jene religiösen Freiheiten in Saudiarabien genießen können, die Moslems in Österreich zukommen. Mit besonderem Nachdruck setzt sich CSI für die Christen Saudiarabiens ein, weil diese überdies zum größten Teil zu einer ohnehin geringgeschätzten Schicht, zu den "Armen des Landes" gehören: Es sind vorwiegend Gastarbeiter aus (z.T. christlichen) Ländern (z.B. aus den Philippinen), die keine Möglichkeit haben, für ihre Grundrechte zu kämpfen. 211 DIE GEBOTE GOTTES – RICHTSCHNUR DES LEBENS Nicht, dass ich Gott seine Existenzberechti gung absprechen würde, ist mein Problem, sondern - dass ich ihm in meinem Leben eigentlich keinen Platz einräumen will; - dass ich nicht ernsthaft damit rechne, dass er Ursprung und Ziel auch meines Lebens ist; - dass ich den Glauben meiner Kindheit abgelegt habe, statt ihn "verpuppen" zu lassen. Nicht, dass mir das Wochenende nicht heilig wäre, ist mein Problem, sondern - dass die Gemeinschaft der Glaubenden mir ziemlich gleichgültig ist; - dass ich die Feier der Danksagung anderen überlasse; - dass ich mir vom Hören des Wortes Gottes eigentlich nichts verspreche; - dass ich schlicht meine Ruhe haben will. Nicht, dass ich gewalttätig wäre, ist mein Problem, sondern - dass ich es gar nicht bemerke, wenn ein Mensch neben mir zu zerbrechen droht; - dass ich für Einsame, Kranke und Sterbende letztlich keine Zeit habe; - dass ich meine Möglichkeiten nütze, um einen anderen fertigzumachen. Nicht, dass ich ein Kleptomane wäre, ist, mein Problem, sondern - dass ich mir eine schlechte oder nichterbrachte Leistung honorieren lasse; - dass ich fremdes Eigentum beschädige oder sogar zerstöre; - dass ich leicht darauf vergesse, Ausgeborgtes wieder zurückzugeben. Nicht, dass ich verächtlich über Gott reden würde, ist mein Problem, sondern - dass ein Gespräch über ihn mir unangenehm ist, weil das jedermanns Privatsache sei; - dass ein Gespräch mit ihm mich nicht reizt, weil er sich möglichst wenig in mein Leben einmengen sollte; - dass ich Zeiten der Stille, der Besinnung und des Gebets selten suche. Nicht, dass ich mit meiner Familie ernsthaft verkracht wäre, ist mein Problem, sondern - dass ich mir kaum Zeit für sie nehme; - dass mich die Sorgen und Probleme der anderen relativ wenig interessieren; - dass ich Konflikte verdränge, statt sie zu verbalisieren und in Ruhe zu lösen; - dass ich nur meine Rechte und Vorteile im Auge habe, Verantwortung aber kaum trage. Nicht, dass ich meinen Partner betrügen würde, ist mein Problem, sondern - dass ich ihn als Objekt missbrauche, weil mir meine eigene Beglückung über alles geht; - dass ich selbst voll von Erwartungen bin, die Hoffnungen des anderen dabei aber nicht einmal registriere; - dass ich nachträglich viele Vorbehalte in mein Eheversprechen eingefügt habe. Nicht, dass ich ein notorischer Lügner wäre, ist mein Problem, sondern - dass ich Fehler und Schwächen der anderen grundlos weiterverbreite; - dass ich Ergebenheit heuchle, um einen Vorteil für mich herauszuschlagen; - dass ich nur die Hälfte der Wahrheit bekenne, den Rest aber verschweige; - dass ich gegebene Versprechen so selten zu halten bereit bin. 212 "GEBOTE" FÜR LEUTE VON HEUTE… 1. Du sollst Dich von der Verehrung der Idole Deiner Zeit nicht distanzieren. Geh mit dem Trend und schätze, was gerade hoch im Kurs steht. 2. Du sollst Gott und die Religion stets griffbereit haben, wenn es Deinem Image nützlich ist. 3. Vergeude nicht einen ganzen Tag der Woche, sondern nütze ihn für liegengebliebene Arbeiten, damit Dein Chef Freude hat mit Dir. 4. Kümmere Dich nicht darum, was Deine Eltern von Dir erwarten, damit Du lange leben kannst, wie es Dir gefällt. 5. Sei nicht empfindlich, wenn es darum geht, Schläge auszuteilen, denn nur der Gewinnertyp setzt sich durch. 6. Investiere nach klugem Kalkül in etwaige Beziehungen, und lasse Dich von "Treue", "Verantwortung" und Ähnlichem in Deiner Selbstentfaltung nicht behindern. 7. Hole Dir, was möglich ist, denn das Leben ist kurz, aber wahre dabei den Schein der Anständigkeit. 8. Sei nicht pedantisch, wenn man Ehrlichkeit von Dir erwartet. Ohne Gerissenheit schaffst Du nur schwer den Durchbruch. 9. Pflege Dein Selbstbewusstsein und genieße Deine Unwiderstehlichkeit, wenn es darum geht, einem anderen den Partner auszuspannen. 10. Finde Dich nie damit ab, dass andere mehr als Du haben, sondern setze alles daran, es ihnen abzunehmen. 213 DER NAME DES HERRN SEI GEPRIESEN! (Das 2. Gebot) 1. Bedeutung: Im hebräischen Denken vertritt der Name die Person: Den Namen Jahwes anzurufen, bedeutet daher, Gott selbst anzurufen; an den Namen des Sohnes Gottes glauben (1 Joh 5, 13) an Christus selbst zu glauben! Mit der Frage nach dem Namen fragt man nach der Person, nach ihrer Existenz und Mächtigkeit, und mit dem Wissen um den Namen hat man Gewalt über die Person (vgl. Gen 32, 30: Gott verweigert sich dem Jakob; Ex 3, 13 f: Er offenbart sich dem Mose). Schreibt man sich den Namen Gottes in die Hand (Jes 44,5) oder wählt man ihn als Teil des eigenen Namens (Vorsilbe Jo = Jahwe: Johannes, Jonatan..; Silbe El = Elohim: Elias, Elisabeth, Daniel, Raffael..), so bekennt man seine Zugehörigkeit zu ihm. 2. Der Name Gottes: Das AT kennt mehrere Bezeichnungen für Gott, u. a. "der Herr" (Adonai), "der Höchste" (Elohim, vgl. Allah), "der Allmächtige" (Schaddaj), "Jahwe" (Ich-bin-da). In der atl. Überlieferung sind drei verschiedene Gottesbezeichnungen ineinandergewachsen: a. Der "Gott der Väter" der aramäischen Halbnomaden (Babylonischer Raum): Der Stammesgott offenbart sich dem Sippenoberhaupt Abraham. Er führt und schützt die Sippe, fordert dafür aber Vertrauen, Gehorsam und ausschließliche Verehrung. Er ist an keinen festen Ort gebunden und wird auch nicht bildlich dargestellt. b. Der Gott "El" der seßhaften Bauern im Kulturland Kanaan: Er begegnet (je unterschiedlich an den verschiedenen Orten) als höchster Gott (Schöpfer), als König und Richter thronend über der Götterversammlung, als Spender der Fruchtbarkeit. Er wird an festen Heiligtümern mit Kultbildern verehrt. ("Elohim" als personelle Einheit sämtlicher Gottheiten!?) c. Der Gott "Jahwe" der Wüstenbeduinen (Sinai): Er ist der Schutzgott ihres Gebietes und hilft ihnen - stets "für sie da" - , in dieser bedrohlichen Umgebung zu überleben. Man kann ihn nicht abbilden. Im NT finden sich als Beinamen (Hoheitstitel) für Jesus "Messias" (Christus) - "Herr" - "Sohn Gottes". 3. Die Ehrfurcht vor dem Namen Gottes: - Grundsätzlich gilt die Forderung: "Geheiligt werde Dein Name" (Mt 6,9). Der Name Gottes soll verherrlicht werden (Joh 12, 28). Gott hat seinen auserwählten Sohn "über alle erhöht und ihm einen Namen gegeben, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu" (Phil 2, 9 f). "Im Namen Jesu Christi" heilt Petrus den Gelähmten, ja "es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen" (Apg 4, 12). Deshalb beginnt das ganze christliche Leben (Taufe) wie auch jedes Gebet "im Namen" des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes. Selig, "wenn ihr wegen des Namens Christi beschimpft werdet." (1 Petr 4, 14) - Das 2. Gebot verbietet den Missbrauch des Namens Gottes bei Gotteslästerung, Flüchen, Meineid ("Ihr sollt nicht falsch bei meinem Namen schwören." Lev 19,12), heilbringendem Zauber, geistleeren Gebetsformeln u. a. Aus Ehrfurcht vor dem Namen Gottes (Jahwe) liest und spricht der Jude seit dem 3. Jh. v. Chr. stattdessen "Herr" (Adonai; "Jehova"). Die "Einheitsübersetzung" schließt sich dieser Gewohnheit an. 214 DU SOLLST DEN TAG DES HERRN HEILIGEN (3. Gebot) A. BEGRÜNDUNGEN: 1. Bewusste Pflege religiöser Traditionen: a. Allgemein: Es gibt gute, lebenswerte Traditionen (gesellschaftliche Traditionen wie etwa den Muttertag, Familientraditionen u. a.), und solche, deren Sinn verlorengegangen ist und die als inhaltslose Hüllen zurecht abbröckeln. Traditionen als internalisierte Gewohnheiten kann man leben, fördern, weiterführen, oder auch sterben lassen. Traditionen haben - ähnlich wie die Normen und Gesetze - eine Schutzfunktion für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft. Sie sind zusätzliche Orientierungsvorgaben, die eine bewusste Gestaltung und ein Gelingen des Lebens ermöglichen. Sie sind das Haus, in dem man sich geborgen fühlt, das Unbefragte, das sich nicht jeweils neu zu legitimieren hat. Dass es "gute Tradition" seit jeher ist, genügt als Rechtfertigung... Traditionen haben aber auch eine Stützfunktion in Zeiten des Umbruchs und der Verunsicherung im Leben des Einzelnen (Pubertät) genauso wie im Leben der Gemeinschaft. Religiöse Traditionen können in "Trockenzeiten" des Glaubens zum Rettungsseil werden, mit dessen Hilfe man Zeiten der Bodenlosigkeit überwinden kann; wo das sog. "Traditionschristentum" nur eine Zwischenphase darstellt, die zu neuen Ufern der GlaubensÜberzeugung führt. b. Auch im Christentum spielt Tradition eine zentrale Rolle: "Was von den Aposteln überliefert wurde, umfasst alles, was dem Volk Gottes hilft, ein heiliges Leben zu führen und den Glauben zu mehren. So führt die Kirche in Lehre, Leben und Kult durch die Zeiten weiter und übermittelt allen Geschlechtern alles, was sie selber ist, alles, was sie glaubt." (II.Vat. Konzil, DV 8) Dass zu diesen wesentlichen Selbstvollzügen der Kirche die Sonntagsfeier zählt, ist unbestritten. Diese Tradierungsprobleme als Schwierigkeit einer Generation, der nächsten ihr religiöses Wissen und ihre christlichen Wertvorstellungen erfolgreich zu vermitteln, wurden in der kurzen Zeitspanne zwischen 1968 und 1973 akut und wirken bis heute nach. Von der großen Emanzipationsbewegung (Infragestellung aller Autoritäten mit dem Ziel der Selbstbefreiung des Menschen) wurden alle Bereiche und Institutionen erfasst. In diesen nur fünf Jahren brach auch in der Kirche ein großer Teil der praktizierenden Gläubigen weg, indem er am religiösen Leben der Gemeinde nicht mehr teilnahm. 2. Sabbat - Zeit des körperlichen, geistigen und seelischen Atemholens: Nicht arbeiten zu müssen ist ein "göttliches" Gefühl: "Am 7. Tag aber ruhte Gott" (Gen 2,2); und so ist auch der Sonntag gedacht: als ein Tag der Festlichkeit, des Etwas-mehr-MenschSeins, des Wissens, warum man arbeitet, des Dankens für das, was einem geschenkt ist. a. Intensives Mensch-Sein: - Ruhe von der "Arbeit", d. h. Unterbrechung der Eingespanntheit in die Zwänge des Müssens im Wahn, "das Leben (um jeden Preis) gewinnen" zu müssen. (Mt 10,39) Der Sonntag als ("getaufter") Sabbat gibt dem Leben eine bestimmten Rhythmus im Wechsel von Arbeit und Ruhe. Mit dem Innehalten und Ausspannen ist ein Regenerieren, ein intensives Ein- und Ausatmen und damit auch ein Aufatmen ermöglicht. (Spaziergang, Lesen, Träumen...) 215 - Tag der Festlichkeit, d. h. Pflege einer "Sonntagskultur" (Festliches Mahl, Musik, Gäste u. a.) - Tag der Familie, d. h. Zeit für Gespräche (und nicht bloß für Informationsaustausch), für Ausflüge, für Besuche, für Spiele... b. Bewusstes Kind-Gottes-Sein : "Es muss im Leben mehr als alles geben." (Kl. Prinz) Es ist nicht nur ein Tag des Innehaltens, sondern auch der religiösen Selbstbesinnung: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt." (Mt 4,4; Dtn 8,3) So gesehen ist der Sonntag - die Zeit, den Grundfragen des Lebens (Woher, Wohin, Wozu) nachzuhängen; - die Zeit zu beten (Dank, Bitte, Lob Gottes); - die Zeit der Umkehr (Schuldbekenntnis). 3. Herrentag - Bewusstes Christ-Sein: Seit den Urzeiten des Neuen Testaments haben sich die Christen als "Tag des Herrn" (Kyrios) den Tag der Auferstehung ausgewählt. Dem Willen Jesu gemäß ("Tut dies zu meinem Gedächtnis") und dem Beispiel der Urkirche folgend (Apg) feiern sie seither vornehmlich an diesem Tag (und nicht am Donnerstag) die Eucharistie, in der sie Jesu "Tod verkünden" und seine "Auferstehung preisen". Er ist weltweit d e r Versammlungstag der Kirche schlechthin und lässt sie so als Heilszeichen ("Sakrament") nach außen sichtbar werden. (Dies ist zugleich auch einer der Haupteinwände der Kirchen gegen eine gleitende Arbeitswoche.) B. FORMEN DER SONNTAGSHEILIGUNG: In seinem Ursprung geht der heutige Sonntag (als Synthese von Eucharistiefeier und Arbeitsruhe) auf Kaiser Konstantin zurück, der 321 den seit dem 1. Jh. n. Chr. der Sonne geweihten (aber nie eigens gefeierten) "Tag der Sonne" zum öffentlichen Ruhe- und Kulttag im Römischen Reich erklärte. Wie in der jüdischen Sabbatfrage entwickelte sich nunmehr auch im Christentum ein kasuistisch gehandhabtes Sonntagsgesetz, dessen Durchsetzung mit staatlichen und kirchlichen Sanktionen verbunden war. (Nüchterne Mitfeier des Gottesdienstes, Mitbringen von Opfergaben, Enthaltung von knechtlicher Arbeit, von ehelichem Verkehr) Heute sieht man die Feier des Sonntags - primär als eine ethische Aufgabe der Kirche (Pfarrgemeinde), - sekundär auch als eine individuelle / familiäre Verpflichtung. Diese sog. Sonn- und Feiertagspflicht besteht - in der "Teilnahme an der Messfeier" (am Feiertag oder Vorabend, bei Fehlen eines Priesters nur Wortgottesdienst, bei Unmöglichkeit längeres Gebet) und - im Vermeiden jener Tätigkeiten, die der Sonntagsfreude und der Erholung entgegenstehen. (CIC § 1247) Auch der Sonntag ist für den Menschen da, und nicht der Mensch für den Sonntag! Auch eine zwischenzeitig nur passive "Teilnahme" am Gottesdienst kann Zeichen für mein "Ich bin da" sein. 216 AUTORITÄT UND GEHORSAM (4. Gebot) ) BEGRIFFE: Autorität = Möglichkeit einer Einflussnahme auf andere Menschen aufgrund - einer bestimmten Funktion (Amtsautorität) - einer besonderen Fachkenntnis (Sachautorität) - persönlicher Überzeugungskraft (Personale Autorität) - des Alters (Altersautorität) Autoritäres Verhalten: Machtausübung, die sich ausschließlich auf die (Staats-) / Amts-/ elterliche Autorität stützt und unbedingten Gehorsam fordert. Damit verbunden sind oft Vorurteile und Intoleranz. Antiautoritäres Verhalten: Verabsolutierung der eigenen Freiheit gegen alle gesellschaftliche Bindung. Gehorsam = Anerkennung einer Autorität in innerer Gesinnung und äußerem Tun, ohne freilich das eigene Denken und die eigene Verantwortung aufzugeben. Nicht blinder Gehorsam (Befehl ist Befehl), sondern notfalls sogar Pflicht zur Verweigerung! AUTORITÄTSTRÄGER: Gott als absoluter Herr und liebender Vater: Durch den Ungehorsam der ersten Menschen kamen Sünde und Tod in die Welt, durch den Leidensgehorsam Jesu die Erlösung (Röm 5,19) Kirche: Sie darf als Vermittlerin der göttlichen Offenbarung Glaubensgehorsam verlangen: Die Gläubigen müssen mit einem auf Glaubens- und Sittensachen bezogenen Spruch ihres Bischofs übereinkommen, wenn er im Namen Christi vorgetragen wird (II.Vat. Konzil) Der Gehorsam ist - neben Armut und Ehelosigkeit - einer der drei "evangelischen Räte". (Besonderheit des Ordensgehorsams) Staat: Er ist für die Aufrechterhaltung der Ordnung und für die Sicherung des Gemeinwohls verantwortlich (vgl. Röm 13,1-6) Die rechtmäßige Staatsgewalt geht auf Gott zurück, und "jedermann ordne sich der Obrigkeit unter". Der Staat erlässt Gesetze und Verordnungen und verlangt deren Respektierung. (Steuer-, Wehr-, Wahl-, Schulpflicht u. a.) Eltern / Erzieher: Sie haben die ursprünglichste Aufgabe der Erziehung ihrer Kinder und Anspruch auf Achtung und Ehrerbietung (4. Gebot) BEWEGGRÜNDE DES GEHORSAMS: - Nützlichkeitsüberlegungen (z.B. Vorgesetzten gegenüber) - Dankbarkeit (z.B. den Eltern gegenüber) - Angst vor Sanktionen (z.B. der staatlichen Autorität gegenüber) - Glaubensüberzeugung (z.B. der Kirche gegenüber) - Verständnis der Sinnhaftigkeit (Einsicht) - Liebe und Verehrung - Bewusster Verzicht auf Selbstbestimmung. DIE FÜNF WEISUNGEN DER KIRCHE: 1. Feiere den Sonntag als "Tag des Herrn"! 2. Nimm regelmäßig an Sonn- und Feiertagen an der Eucharistiefeier teil! 3. Bring jeden Freitag ein persönliches Opfer! 4. Geh regelmäßig, wenigstens aber in der österlichen Zeit, zur Beichte und Kommunion! 5. Hilf Deiner Kirche und Deiner Pfarre! 217 EIN WORT AN VATER UND MUTTER... UND AN DAS KIND ... Deine Kinder sind nicht Deine Kinder. Sie kommen durch Dich, aber nicht von Dir; und sind sie auch bei Dir, so gehören sie Dir doch nicht. Du darfst ihnen Deine Liebe geben, aber nicht Deine Gedanken; denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Du kannst ihrem Leib ein Heim geben, aber nicht ihrer Seele; denn ihre Seele wohnt im Haus von "Morgen", das Du nicht betreten kannst, nicht einmal in Deinen Träumen. Du kannst versuchen, ihnen gleich zu werden; aber versuche nicht, sie Dir gleich zu machen, denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es beim Gestern. Du bist der Bogen, von dem Deine Kinder als lebende Pfeile entsandt werden. (Kahlil Gibran) Ehre Deinen Vater und Deine Mutter, damit Du lange lebst in dem Land, das der Herr, Dein Gott, Dir gibt. (Ex 20,12) Behandle Deine Eltern mit Güte! Weise sie nicht zurück, sondern sprich ehrfurchtsvolle Worte mit ihnen. Und sei aus Liebe demütig vor ihnen. (Aus dem Koran) Von ganzem Herzen ehre Deinen Vater, vergiß niemals die Schmerzen Deiner Mutter. Denk daran, dass sie Dir das Leben gaben! Wie kannst Du ihnen vergelten, was sie Dir getan? (Sir 7,22-36) EIN WORT AN DEN LEHRER... Wünsche Dir nicht glänzende Schüler, sondern strahlende Kinder, und sei dankbar für jeden einzelnen, der den Weg mit Dir teilt. Sie sind das Kostbarste, das Eltern Dir anvertrauen können. Du sollst sie hüten wie Deinen Augapfel und vor allem Bösen bewahren, und sie behandeln wie kostbare Steine, nicht als Dein Abbild, von Dir geschaffen! Erkenne ihren Wert und respektiere ihr Sosein, und laß Dich nicht täuschen von der oft rauhen Oberfläche. Widersteh der Versuchung, sie zum Glänzen zu bringen, um Dich selbst eitel in ihnen zu spiegeln. Mache Dich an die Arbeit: Befreie sie von fremdem Gestein und nimm ihnen ihre Spitzen und Kanten, mit denen sie verwunden können. Trachte danach, ihren Charakter freizulegen und das Funkeln des Feuers. Und stell jeden ins richtige Licht, in dem er am besten zur Geltung kommen und seinen Adel zeigen kann. Und das Leuchten seiner Augen und das Strahlen seines Lächelns werden es Dir lohnen. (E. Mann) 218 EHRFURCHT VOR DEM LEBEN (Das 5. Gebot) ) A. Stellenwert des menschlichen Lebens: Achtung und Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben sind Grundforderungen, um geglücktes menschliches Zusammenleben zu ermöglichen. Die Achtung des menschlichen Lebens betrifft aber nicht nur die biologische Seite des Daseins, sondern auch die Lebensumstände. Jede rechtlich regulierte Gesellschaft ahndet daher nicht nur die private Bedrohung / Gefährdung / Vernichtung des biologischen menschlichen Lebens, sondern auch die willkürliche Unterdrückung freier menschlicher Entfaltung (Fremdbestimmung, Ausbeutung u. a.) bzw. die Unterlassung der pflichtgemäßen Sorge. Auch die Religionen kennen entsprechende Verbote und Schutzmaßnahmen. In der modernen Gesellschaft sind rechtliche Regelungen und moralische Prinzipien freilich nicht immer deckungsgleich (z.B. Abtreibung, Selbstmordversuch) Das Verbot "Du sollst nicht morden" markiert nur die äußerste Grenze, die im Verhalten zum Mitmenschen nicht überschritten werden darf. Unter dem Einfluss der christlichen Verkündigung der "Frohbotschaft" zeigt sich seine ganze Tragweite erst in der positiven Formulierung "Bewahre das Leben". B. Biblische Grundlegung: AT: Absoluter Herr über Leben und Tod ist der lebendige Gott (Dtn 32, 39: "Ich töte und mache lebendig") Ihm verdanken alle Geschöpfe ihre Existenz (vgl. Ps 104, 30) Deshalb nimmt Jahwe das Leben des Menschen unter seinen besonderen Schutz und verbietet den Mord: Gen 4, 9-15: Fluchwort über den ersten Brudermörder Kain. Ex 20, 13 / Dtn 5, 17: "Du sollst nicht morden". Ex 23, 7: "Wer unschuldig und im Recht ist, den bring nicht um sein Leben". NT: In der Bergpredigt (Mt 5, 21) verschärft Jesus das Tötungsverbot, indem er auch die innere Gesinnung des Menschen miteinbezieht (Zorn, Hass) C. Verstöße dagegen: Im engeren Sinn: - Mord (vorbedacht und absichtlich) als Form direkter Tötung - Totschlag (unabsichtlich) und fahrlässige Tötung als Formen indirekter Tötung - Selbstmord (anders: Lebenshingabe für andere) - Abtreibung (ab dem Augenblick der Empfängnis) - Euthanasie (aktiv) Im weiteren Sinn: - Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit (Geiselnahme, Terrorismus u. a.) - Gefährdung der Gesundheit (Verkehr, Konsum, Umwelt, Sport u. a.) - Folter, Vergewaltigung - Medizinische / Psychologische Experimente am Menschen - Gefährdung des seelischen Lebens (Ärgernis, vgl. Mt 18,6; Lk 17, 1) - Fehlende Sorge um Kranke / Schwache / Einsame / Sterbende - Missachtung der Toten (Totenruhe) D. Spezielle Fälle: Todesstrafe, Krieg (Notwehrrecht) 219 AGGRESSIVITÄT UND/ ODER NÄCHSTENLIEBE 1. BEGRIFFLICHKEIT: Aggression = Angriff; Aggressivität = Angriffslust. Es gibt Aggressivität ohne Aggression, und Aggression ohne Aggressivität. 2. URSACHEN: Drei Aggressionstheorien (+ Mischtheorien) a. Trieb-Theorie (Trieblehre S.Freuds, Instinktlehre K.Lorenz') Aggression ist ein T r i e b, der von inneren Antriebskräften gesteuert wird und auch beim Menschen wenigstens teilweise im Ablauf festgelegt ist. Nichtbefriedigte Trieb-/ Instinktbedürfnisse stauen sich auf, der Schwellenwert für die Reizauslösung sinkt. Aufgaben dieses Triebs: - Selbsterhaltung/ Selbstbehauptung im Daseinskampf - Selektion und Höherentwicklung der Art - Verteilung und Ausnutzung des Lebensraumes - Ausformung des Zusammenlebens/ Überleben (Rangordnungen) b. Frustrations-Theorie (H. Marcuse, A. Plack) Aggression ist eine Reaktion des Organismus, wenn zielgerichtetes / bedürfnisgerichtetes Verhalten gestört wird (Enttäuschte Erwartungen, Strebens-Verhinderung) Grundthesen: Aggression ist immer Folge von Frustration, diese führt fast immer zu Aggression. Zusatzthesen: Je stärker die Frustration, desto aggressiver... Am stärksten ist sie gegenüber dem Frustrierenden... Bei Unmöglichkeit Umlenkung auf Ersatzobjekte bzw. sogar Selbstaggression... c. Lern-Theorie (B. F. Skinner) Aggression ist ein angelerntes Verhalten: Aneignung der (Fremd-) Erfahrung, dass aggressives Verhalten schneller zum Ziel führt (Erfolgslernen) Ausserdem ahmen Kinder andere nach (Imitationslernen) Ein völlig aggressionsfreier Mensch wäre demnach möglich. 3. BIBLISCHE ORIENTIERUNG: - Menschliche Aggression führt schon am Anfang der Menschheitsgeschichte zum ersten Mord (Gen 4) - Den Nächsten nicht zu töten, ist als Garant geglückten Zusammenlebens zuwenig: "Du sollst deinen Nächsten nicht ausbeuten und ihn nicht um das Seine bringen. Der Lohn des Tagelöhners soll nicht über Nacht bis zum Morgen bei dir bleiben. Du sollst einen Tauben nicht verfluchen und einem Blinden kein Hindernis in den Weg stellen" (Lev 19, 13 f) - Aggressives Verhalten und Machtmissbrauch König Ahabs und seiner Frau Isebel (vgl. Nabots Weinberg 1 Kön 21) gelten daher als unentschuldbare Schandtaten. - Jesus fordert Liebe und Gewaltlosigkeit als Reaktion auf Aggressivität: Rechte und linke Wange (Mt 5,38. Anders bei der Tempelreinigung Joh 2,15f und beim Verhör Joh 18,22f); Goldene Regel (Mt 7,12); Hauptgebote der Liebe (Mt 22,37ff); Das neue Gebot: "Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben" (Joh 13,34) Daher: "Selig die Sanftmütigen" (Mt 5,5) - Nach Paulus (Gal 5,19) sind "Streit, Eifersucht, Jähzorn" typische Verhaltensweisen des "Fleisches". Die Liebe und der Friede als "Früchte des Geistes" hingegen ändern das Verhalten des Menschen: Die Liebe "lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach" (1 Kor 13,5) Und: Christus selbst ist unser Friede und unsere Versöhnung (Eph 2, 14) 220 4. MÖGLICHKEITEN DER "BEWÄLTIGUNG": Verstehen der typischen Verhaltenskette "Frustration - aggressionsauslösende Situation - Ärger Aggressivität", kognitive Auseinandersetzung mit den Ursachen, Aufarbeitung durch Rollenspiele, Selbstdisziplin, Eindämmen durch Gesetz und Ordnung, Kampf gegen Zwang und Repression, gegen ausweglose "Eng-Stellen" (Ängste) in räumlicher und zeitlicher Hinsicht (z.B. Stress), Umlenken (Arbeit, Sport), medikamentöse Behandlung, Ertragen... Aufstauen (Gefahr eines "Dammbruchs") bzw. Verdrängung (Neurosen) hingegen sind nur Scheinlösungen. Das Gebot der christlichen Nächstenliebe hält S. Freud für "die stärkste Abwehr der menschlichen Aggression und (für) ein ausgezeichnetes Beispiel für unpsychologisches Vergeben"... Zurecht? Dir schlägt dein Bruder in dein Gesicht. Was tust du dann? Du weißt, was die Bibel sagt. Halt ihm die andere Wange hin! Das sagt die Bibel. Und wahrlich, wenn du es tust, dann ist es gut. Dann haut dir dein Bruder eine zweite herunter, von der anderen Seite, und wenn du benommen bist davon, dann lachen die anderen aus ganzem Herzen. Dein Bruder aber, der führt ihr Gelächter wie eine Geiß. Bis hierher ist alles gut. Jetzt aber kannst du zweierlei Wege gehn: Einmal kannst du erröten, wenn alle Augen der anderen dich verspotten, und wenn ihr Gelächter zusammenschlägt über dir. Wenn das gechieht, dann war alles umsonst. Dann winde dich nur in der Verlegenheit! Dann warst du noch nicht tapfer genug für dieses Bravourstück Christi. Der andere Weg ist der: Du hast gemerkt, ganz heimlich, dass der zweite Schlag schon schwächer war als der erste. Und wenn er es nicht war, dann rede dir's ein. Jedenfalls halt ihm wieder die erste hin, die erste Wange, und wenn du nur richtig lächelst dabei, ganz ohne Zorn, ganz gütig, dann wird der folgende Schlag, der Schlag auf die erste Wange, wieder ein wenig unsicherer sein. Nur wenn das nicht ist, wenn der dritte Schlag schon wieder besser sitzt als der zweite und erste, und wenn die Zuschauer herzhafter lachen als früher, und wenn dein Bruder dich weiter schlagen wird wie ein Hündlein, dann leg ihn hin, deinen Bruder, mit einem Schlag auf das Kinn. Dann warst du nicht in der rechten Arena für dieses Bravourstück Christi. Und lächeln musst du, wenn du den Kinnhaken gibst, ganz gütig lächeln musst du dabei, ganz ohne Zorn. Nachher kannst du ihm aufhelfen, deinem Bruder. In mancher Arena muss der Christ ein Stierkämpfer sein, muss zeigen, dass er auch das kann. Sonst wird er von keinem verstanden bei seinem Bravourstück. Damit es die anderen verstehn, dazu tut er's aber. (Walter Toman) Der Mensch kann und soll sich seine aggressiven Antriebe bewusstmachen und sie zu steuern versuchen und damit eigenverantwortlich handeln. Aggressivität kann eigenes Fehlverhalten erklären, aber niemals restlos entschuldigen!! 221 KRIEG UND FRIEDEN A. KRIEG 1. Begriff: Krieg ist die gewaltsame Austragung von Streitigkeiten durch Staaten bzw. organisierte Großgruppen innerhalb eines Staates (Bürgerkrieg) 2. Ursachen: - Nationalismus: NS-Deutschland ( A. Hitler: "Das deutsche Volk gehört zu den besten Völkern der Erde. Uns hat die Vorsehung zu Führern dieses Volkes gemacht, wir haben damit die Aufgabe, dem deutschen Volke den nötigen Lebensraum zu geben") Entwicklungen im ehemaligen Ostblock u. a. - Unterschiedliche polit. Ideologien (West-Ost-Konflikte) - Soziale Ungerechtigkeit und wirtschaftliche Ungleichheit (Nord-Süd-Konflikte, innerstaatliche soziale Ungerechtigkeiten) - Wirtschaftliche Interessen und Kolonialismus - Religiöse Intoleranz (Irland, Indien, Hl. Krieg) - Rassendiskriminierung (Juden in der NS-Zeit, Farbige in Südafrika...) 3. Geschichtlicher Überblick: Die Urchristen waren überzeugte Pazifisten (sie quittierten den röm. Militärdienst, beteiligten sich auch nicht am jüdischen Krieg) Mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion 391 bejahte die Theologie (Wegbereiter war Augustinus) die Erlaubtheit eines "gerechten Krieges". Der Pazifismus lebte fast nur noch in mittelalterlichen Sekten weiter (Katharer, Waldenser) Diesbezügliche Einzelstimmen (Franz v. A., Erasmus v. Rotterdam) wurden nicht gehört. Thomas v. Aquin (+ 1274) nennt 4 Bedingungen, damit von einem gerechten Krieg gesprochen werden könne: - Ein gerechtfertigter Grund (ungerechtfertigter Angriff bzw. Ahndung erlittenen Unrechts) - Rechte Absicht (das Gute zu mehren, das Böse zu mindern) - Angemessenheit der Mittel / Krieg als letztes Mittel - Entscheidung und Kriegserklärung durch das rechtmäßige Staatsoberhaupt. Francisco de Vitoria (+ 1546) überdachte angesichts der Eroberungskriege in der Neuen Welt die Lehre vom gerechten Krieg neu: Er hielt auch einen Angriffskrieg (nach erlittenem schweren Unrecht) für sittlich erlaubt. Pius XII. verurteilte 1944 jeden Angriffskrieg und erlaubte den Verteidigungskrieg, wenn er kontrollierbar sei (Atomwaffen!?) Mit der atomaren Wettrüstung der Weltmächte verlagerte sich die Fragestellung: Nicht wann ein Krieg (noch) gerecht sei, sondern wie man ihn verhindern könne (Ursachen bekämpfen!) Während Paul VI. in der Enzyklika "Pacem in terris" (1963) den Krieg nicht einmal mehr als akzeptables Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte bezeichnet (!!), mildert das II. Vatikan. Konzil diese Aussage: "Solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen."(Gaudium et Spes 79) Joh. Paul II. lehnt den Krieg im nuklearen Zeitalter grundsätzlich ab. Umfassende praktische Verwirklichung der Menschenrechte und vertrauensbildende Maßnahmen sollen ihn von vorneherein verhindern. Der "Katechismus der Katholischen Kirche" nennt (Nr. 2309) vier Bedingungen, die gleichzeitig gegeben sein müssen, damit von einer sittlich erlaubten militärischenVerteidigung 222 ("Notwehr") geredet werden kann: - Sicher feststehender, schwerwiegender und dauerhafter Schaden - Letztes Mittel - Ernsthafte Aussicht auf Erfolg - Geringeres Übel als der zu beseitigende Zustand Ziel aller Bemühungen der Menschheit muss das vom Propheten Jesaja erhoffte messianische Reich des Friedens sein: "Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg." (Jes 2,4) B. FRIEDE 1. Begriff: a. Schwierigkeit einer befriedigenden Definition: Negativ: Abwesenheit von Krieg bzw. organisierter kollektiver Gewalt Positiv: Verwirklichung von sozialer Gerechtigkeit,Wohlfahrt, Glück, Freiheit ... Unterscheidung von Graden und Ebenen (international- individual) bei Frieden/ Unfrieden... b. Drei wichtige Teilwerte: Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Freiheit. Nach dem II.Vat. Konzil ist Friede ist "ein Werk der Gerechtigkeit". Oder: Friede besteht in der Verwirklichung der Menschenrechte! 2. Biblische Bezüge: AT:Das hebr.Wort Schalom (Friede) hat eine weitere Bedeutung als unser deutsches Wort Friede: - Es bezeichnet das umfassende Heilsein der Gemeinschaft / des Einzelnen/ der Natur (Wohlfahrt, intakte Solidarität, Freundschaft, Gesundheit, Gedeihen, Fruchtbarkeit...) - Es bezieht sich auf die kleine, überschaubare Gemeinschaft und erlaubt sogar die Rede vom Schalom des Krieges, der durch freiwillige oder gewaltsame Unterwerfung fremder Völker unter Israel geschaffen wird und zu einem universalen Friedensreich unter israelit. Vorherrschaft führen sollte (Ps 46,9-12) NT: Der Lebenskontext ntl. Friedens-Gedanken ist die Pax Romana und die damit verbundene Ohnmacht gegenüber der Fremdherrschaft, weshalb - anders als bei den radikalen Zeloten die Steuerpflicht (Mk 12,13ff) ebenso anerkannt wird wie das Schwertrecht des (röm.) Staates. Friede ist letztlich vom Menschen nicht "machbar", auch wenn er ihm ständig nachjagen muss: "Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält" (Eph 4,2f) In diesem Sinne soll der Christ nicht nur Frieden stiften (Mt 5,9), sondern auch selbst stets bereit sein zur Versöhnung (Mt 18,21 f) 3. Friedenserziehung: Ziel der Friedenserziehung muss es sein, die Menschen in die friedensbedeutsamen Werte und Verhaltensweisen einzuführen und einzuüben, nämlich in die Grundwerte - Gerechtigkeit (Suum cuique) - Freiheit (Ablehnung von Gewalt/ Unterdrückung) - Toleranz (Bereitschaft, Andere(s) ernst zu nehmen, zu respektieren) - Wahrhaftigkeit (Übereinstimmung von Gedanken,Worten, Taten) - Partnerschaft und Kooperationsbereitschaft - Selbstdisziplin - Gewaltlosigkeit (bei Konfliktregulierung, - lösung) - Umfassende Solidarität und echtes Sympathieempfinden - Anerkennung echter Autorität (Kein unkritischer Gehorsam) 223 FRIEDENSERZIEHUNG A) BIBLISCHE GRUNDLEGUNG: Christliche Friedenserziehung orientiert sich an den zentralen biblischen Begriffen der - UMKEHR - CHRISTUSNACHFOLGE - GEWALTFREIHEIT - VERSÖHNUNG Nach biblischem Verständnis kann das Leben nur gelingen, wenn - nach der Goldenen Regel die Lebensbedürfnisse des anderen ernstgenommen werden. Friede und Gerechtigkeit sind die beherrschenden Merkmale der anbrechenden Gottesherrschaft. "Wo Friede herrscht, wird für die Menschen, die Frieden stiften, die Saat der Gerechtigkeit ausgestreut." (Jak 3,18) B) EBENEN DER FRIEDENSERZIEHUNG: Zwischenmenschliche Ebene: Grobziel Lernoffenheit und Verständnisbereitschaft - Stillung der Grundbedürfnisse (Liebe, Geborgenheit, Selbstwertgefühl, Neugier) - Bewusstes Einüben in die verschiedenen Kommunikationsformen - Abbau von Ängsten und Vorurteilen - Ächtung von Hass und Gewalt Gesellschaftliche Ebene: Grobziel Mündigkeit und Verantwortung - Auseinandersetzung mit allen Formen von Unfrieden / Ungerechtigkeit - Kampf gegen Gleichgültigkeit - Schulung der Kritikfähigkeit - Übernahme von Verantwortung Globale Ebene: Grobziel Betroffenheit und Widerstand - Politische Bildung - Bewusstseinsbildung (Veranschaulichung der Schrecken des Krieges) - Protest C) ZIELE DER FRIEDENSERZIEHUNG: - Bereitschaft, andere unvoreingenommen zu sehen und in ihrem Anderssein anzunehmen - Rücksicht auf fremde Bedürfnisse und Klärung der eigenen - Abbau von Vorurteilen und Pauschalurteilen - Befähigung zur Kompromissbereitschaft - Sensibilisierung für Unrechtszustände und Parteinahme für Benachteiligte - Bereitschaft zu Protest und gewaltfreier Aktion (Widerstand) - Selbstkritik und Verunsicherung der eigenen Position - Stärkung der Versöhnungsbereitschaft - Partnerschaft und Kooperationsbereitschaft - Anerkennung echter Autoritäten und Entlarvung eines blinden Gehorsams - Medienkritisches Verhalten - 224 GENTECHNIK Unter Gentechnik versteht man die gezielte Veränderung genetischen Materials. Sie ist ein Teilbereich der biotechnischen Verfahren und Methoden, biologische Prozesse oder Systeme, Lebewesen oder Teile von Lebewesen technisch zu nutzen. 1. PFLANZLICH / TIERISCHER BEREICH: a. Genetisch veränderte Bakterien: Sie werden in geschlossenen Kulturgefäßen (Labor) gehalten und dienen zur Herstellung etwa von Insulin, Interferonen, Wachstumshormonen, Blutgerinnungsfaktoren u. a. b. Mit Fremdgenen "angezüchtete" Mikroorganismen: Sie dienen z.B. zur Herstellung von Enzymen, die Umweltschadstoffe, Sonderabfälle, Ölteppiche u. a. abbauen können. Da ihr Einsatz nur ausserhalb des Labors sinnvoll ist, können damit große Risken verbunden sein. Zudem besteht die Gefahr eines Einsatzes in der biologischen Kriegsführung. c. Grenzüberschreitungen zwischen verschiedenen Arten (Züchtung von Hybriden): Sie streben eine Steigerung des Ertrags ("Turbo- Kühe"), des Nährwerts, des Geschmacks, der klimatischen Widerstandsfähigkeit an. Gefahr, das ökologische Gleichgewicht der Natur zu stören, da die heute möglich werdenden Veränderungen des Artenspektrums dieser Erde irreversiblen Charakter haben! d. Ungeschlechtliche Vermehrung (Klonieren): Herstellung identischer Kopien etwa als lebende Organreserven für spätere Transplantationen. 2. HUMANGENETISCHE ASPEKTE: a. Ersatz eines defekten (krankheitsauslösenden) Gens durch ein gesundes. b. Feststellung und Behandlung genetischer Defekte, die früher oder später eine Krankheit zum Ausbruch bringen (Infarkt, Krebs...) Eine genetische Durchleuchtung (Gencard) kann Hilfe (Berufswahl, gesundheitliche Vorsorge), aber auch Beeinträchtigung (Bewerbungen, Versicherungen) bedeuten. c. Menschliches Klonieren: Zielstrebiges "Züchten" etwa von Sportlern, Soldaten, Bauarbeitern... Widerspräche der Menschenwürde! 3. GRUNDSÄTZLICHE BEWERTUNG: In diesem noch weithin unbekannten Forschungsbereich ist höchste Vorsicht angebracht: Wie mit der Atomphysik die Atombombe verbunden war, so könnte mit der auf der Evolutionstheorie fußenden Gentechnologie eine Nutzungspraxis verbunden sein, die das Ende der uns tragenden Naturgeschichte bedeuten könnte. Zudem lassen sich - anders als in der atomaren Kernforschung Grundlagenforschung und Anwendung nicht sauber trennen. Sog. "verbrauchende Experimente" im Humanbereich müssen strikt abgelehnt werden! Als allgemeinstes ethisches Kriterium muss gelten, dass solche verändernden Eingriffe die Kontinuität des Gewesenen fortsetzen und - als biotechnische "Neuschöpfung der Natur" - die Zukunft nicht unangemessen festlegen. Detailliertere ethische Richtlinien (Gesetze - in Österr. dzt. Vorlagen) und die Öffentlichkeit dieser Forschungen und ihrer Ergebnisse (soziale Kontrolle) sind unabdingbare Konsequenzen. 4. LEHRAMTLICHE STELLUNGNAHMEN: Pius XI. u. Pius XII: Gegen die Rassismus-Ideologie Hitlers Ablehnung von Zwangssterilisationen aus eugenischen Gründen. Pius XII. plädierte allgemein dafür, "das Gute zu fördern und das Schädigende auszuschalten", stellte allerdings - heute nur noch schwer haltbar - bei Pflanzen und Tieren "die Veredelung der Arten und Rassen vollkommen frei"!? Joh. Paul II.: Positive Haltung gegenüber Steigerung der Nahrungsmittelproduktion, der Züchtung neuer Pflanzen zum Wohl aller, der Behandlung von Gen- und Chromosoemnerkrankungen von Menschen, der vorgeburtlichen Diagnose bei menschlichen Embryonen mit dem Ziel einer Heilung. Verurteilung jedoch aller Experimente an lebenden menschlichen Embryonen, die wie alle menschlichen Personen geachtet werden müssen. "Das nicht direkt therapeutische Experiment mit Embryonen ist unerlaubt." 225 ABTREIBUNG Vorbemerkungen: Ein Professor fragte seine Medizinstudenten, - Das Recht auf Leben ist eines der was man im folgenden Fall tun sollte: fundamentalsten Grundrechte (vgl. Dekalog, UNO- Abtreiben oder nicht abtreiben? Und er Charta; Europ. Menschenrechtskon-vention; erklärte die Familiengeschichte: nationales Strafrecht) Der Vater Syphilis, die Mutter Tuberkulose. - Dieses Recht muss umso mehr dort geschützt Sie haben bereits 4 Kinder gehabt. Das erste werden, wo Betroffene selbst dazu nicht in der ist blind, das zweite starb, das dritte ist taub, und das vierte ist tuberkulös. Die Mutter Lage sind (Ungeborene, Kranke, Behinderte) erwartete das fünfte Kind. Die Eltern sind zu - Das fortschreitende "Können" der Medizin macht einer Schwangerschaftsunterbrechung bereit. die Frage nach dem "Dürfen" (Ethik der Wissenschaft) immer drängender. Die Ehrfurcht "Wenn Sie entscheiden müssten", fragte der Professor seine Studenten, "würden Sie eine vor dem Leben scheint im Schwinden begriffen. Abtreibung vornehmen?" - Mit dem "Recht auf Selbstverwirklichung" der Frau werden Abtreibung und "Leihmutterschaft" Die meisten der Studenten entschieden sich dafür, dass die Mutter die Abtreibung machen gleichermaßen begründet... lassen sollte. - Das Unrechtsbewusstsein schimmert noch im (verharmlosenden) Sprachgebrauch durch. (Statt "Ich gratuliere Ihnen", entgegnete der Abtreibung "Schwangerschaftsunterbrechung", Professor, "Sie haben nämlich soeben "Ambulatorium für Schwangerenhilfe", "Familien- Beethoven ermordet." (KURIER vom 16.9. planung", "nachsteuernde Geburten-kontrolle" u. 1983) a.m.) - Die sittliche Beurteilung der Abtreibung hängt von der Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens ab: - Ab dem Vollzug des ersten intellektuellen Aktes? - Ab der Geburt? - Ab der Überlebensfäfhigkeit (ca 28. Woche) - Ab der Ausbildung des Zentralnervensystems, der Großhirnrinde und der davon abhängigen Gehirntätigkeit 40. - 70. Tag nach der Befruchtung (volles Menschsein im geistigen Vollzug) - Ab der Ausbildung einer menschenähnlichen Gestalt (ab der 12. Woche)? - Ab ca dem 14. Tag nach der Befruchtung (biologische Individualität und nicht etwa eineiige Mehrlinge)? - Ab der Nidation, d. h. der Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter 10-12 Tage nach der Befruchtung? - Ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle (genetisches Informationsmaterial eines neuen Menschen) = Lehre der Kirche Es gibt in vielen Einzelfällen keine "glatte" Lösung. Jede Entscheidung ist schmerzvoll... 1. Österreichische Rechtslage seit 1975: § 96 StGB: Die Abtreibung steht (nach wie vor) grundsätzlich unter Strafandrohung! § 97 StGB (u. a. "Fristenlösung"): Eine Abtreibung ist nicht strafbar - innerhalb der ersten 3 Monate, nach ärztlicher Beratung, vom Arzt durchgeführt - bei Abwendung einer ernsten Gefahr für die körperliche und seelische Gesundheit der Mutter; wenn das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein wird; wenn die Schwangere zur Zeit der Schwängerung unmündig war; wenn sie in allen diesen Fällen von einem Arzt vorgenommen wird. - bei unmittelbarer Lebensgefahr für die Mutter, auch wenn ärztliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist. 226 2. Konfliktsituationen und Indikationen: Medizinische Indikation: Leben der Mutter steht gegen Leben des Kindes ABER: Güterabwägungstheorie? Der Lebenswert der Mutter kann nicht höher eingestuft werden als jener des Kindes! Notwehrrecht der Mutter? Das Kind ist kein "ungerechtfertigter Angreifer"! Vorrang des rettbaren Lebens vor dem auf Dauer ohnedies unrettbaren Leben!? Eugenische (genetische) Indikation: Zu erwartende schwere Missbildung bzw. Erbkrankheit? ABER: Unsicherheit medizinischer Vorraussagen. Auch behindertes Leben hat ein Lebensrecht (vgl. Rassenideologie des Nationalsozialismus) Vermutetes "Unglückliches Leben" des Kindes? Kann nicht dessen Tötung rechtfertigen. Kriminologische Indikation: Vergewaltigung; Missbrauch Minderjähriger; Blutschande ABER: Unschuld des Kindes gegen Unschuld der Mutter? Hilfe seitens der Gesellschaft. Ethische Indikation: Aussereheliche Schwangerschaft; Ausweglosigkeit (Suizidgefahr)? ABER: Besser Freigabe des Kindes zur Adoption Soziale Indikation: Sozialer Notstand (Armut) der Eltern? ABER: Wirksame sozialpolitische Maßnahmen! 3. Religiös-sittliche Bewertung: a. Das kirchliche Lehramt hat die Abtreibung wiederholt verurteilt: "Du sollst ... nicht abtreiben noch ein Neugeborenes töten" (Didaché)"Gott, der Herr des Lebens, hat nämlich den Menschen die hohe Aufgabe der Erhaltung des Lebens übertragen, die auf eine menschenwürdige Weise erfüllt werden muss. Das Leben ist daher von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen." (II. Vat. Konzil, GS 51) "Nicht um Strafen geht es der Kirche, sondern um die Unantastbarkeit und die Unverletzlichkeit menschlichen Lebens... Aber jeder Frau und jedem Mädchen, das sich bei Erwartung eines Kindes in einem Konflikt befindet, soll rechtzeitig geholfen werden." (Hirtenbrief der österr. Bischöfe 1974) Dieser Aufgabe hat sich in Österreich v. a. die "Aktion Leben" verschrieben. b. Die Straflosigkeit der Abtreibung kann freilich sehr leicht als staatlich-gesellschaftliche Billigung missverstanden werden. Das kann dann dazu führen, dass der Wille, ein Kind auszutragen, am entgegenstehenden Drängen der Umgebung scheitert. Die Verantwortung des Mannes, aber auch die Erwartungen der Umwelt an den Mann müssen sich ändern, damit die Frage des Schwangerschaftsabbruchs nicht vorschnell als eine ausschließliche Frauenfrage abgestempelt wird ("Mein Bauch gehört mir") c. Die vorgeburtliche Diagnostik ist sittlich erlaubt, wenn sie das Leben und die Unversehrtheit des Embryos achtet. Unter denselben Voraussetzungen sind auch medizinische Eingriffe am Embryo erlaubt, sofern damit nicht unverhältnismäßig hohe Risken verbunden sind. d. Die Herstellung und Verwertung menschlicher Embryonen (als "biologisches Material") ist ebenso zu verurteilen wie jedweder Versuch von Genmanipulationen. gleichwertige Möglichkeiten der Familienplanung genannt werden! e. Empfängnisverhütung und Abtreibung können niemals in einem Atemzug als gleichwertige Möglichkeiten der Familienplanung genannt werden! 227 EUTHANASIE ("Der gute Tod" = "Sterbehilfe") A) BREITES PROBLEMFELD: Euthanasieprogramm der NS-Zeit: Tötung von "lebensunwertem" Leben Wie kann der Mensch menschenwürdig sterben? Welchen Stellenwert hat der Tod im Leben eines Menschen? Möglichkeiten und Grenzen der modernen Medizin B) INTERESSENSKONFLIKT DES ARZTES: Wille des Sterbenden? Wille der Angehörigen? Ärztl. Berufsordnung? Rechtsordnung? C) ARTEN DER EUTHANASIE (Hilfe z u m Sterben): 1. Indirekte Euthanasie: Zielt direkt ab nur auf Schmerzlinderung (z.B. Morphium), führt aber längerfristig zum Tod. Ethisch wie strafrechtlich erlaubt! 2. Direkte Euthanasie: Ziel direkt auf den Tod ab. a. Aktive Euthanasie: Vorzeitige Abkürzung des Lebens durch ein Tun (z.B. Spritze), sei es ohne Wissen u. Wollen des Patienten oder Tötung auf Verlangen bzw. Beihilfe zum Selbstmord. In Österreich ethisch wie auch strafrechtlich verboten. b. Passive Euthanasie: Abkürzung des Sterbens durch Absetzen einer aussichtslosen Therapie (z. B. Herz-Lungenmaschine) Ethisch und strafrechtlich unter bestimmten Umständen (Wille des Sterbenden, Urteil der Ärzte) erlaubt, da Recht des Menschen auf einen menschenwürdigen Tod! D) STERBEHILFE IM ENGEREN SINN (Hilfe b e i m Sterben): Erleichterung des Sterbens durch menschliche Nähe, Trost aus dem Glauben, Gebet, Stärkung durch das Sakrament der Krankensalbung. 228 TODESSTRAFE I. PROBLEMKREIS "STRAFE" A) RECHTLICHE GRUNDBEGRIFFE - UNTERSCHEIDUNGEN: R a c h e = Sanktion gegen Täter oder Angehörige ohne Rechtsverfahren. S t r a f e = Sanktion gegen Täter aufgrund eines Rechtsverfahrens. M a ß n a h m e n = Entscheidung gegenüber schuldunfähigem Täter aufgrund eines Rechtsverfahrens. - BEGRÜNDUNGEN: V e r g e l t u n g s t h e o r i e (Aufwiegen des geschehenen Unrechts) G e n e r a l p r ä v e n t i o n (Abschreckung anderer potentieller Täter) S p e z i a l p r ä v e n t i o n (Abschreckung desselben Täters = "Denkzettel") - VORAUSSETZUNGEN FÜR EINE VERHÄNGUNG: Nulla poena sine lege Nulla poena sine culpa In dubio pro reo B) SITTLICHE BEURTEILUNG Sittliches Handeln kann durch staatliche Sanktionen nicht erzwungen werden. Das Strafrecht zeigt dann seine größte Wirksamkeit, wenn die gesellschaftlichen Werthaltungen mit den rechtlichen Normen übereinstimmen. Andernfalls werden kirchliche Stellungnahmen etwa zur sog. Fristenregelung als antiquierte Forderung einzelner strafwütiger Christen abgetan. Aus diesem Grund muss es heute verstärkt um die Bildung / Verstärkung des Rechts- / Unrechtsbewusstseins in der Gesellschaft gehen. Und hier hat die Kirche mit ihren ethischen Prinzipien eine unverzichtbare Aufgabe. Diese sog. "Re-Sozialisierung" eines Täters entspricht einem wesentlichen christlichen Anliegen und hat das jahrhundertelange nur nach Normen ausgerichete Gerechtigkeitsdenken der Kirche verdrängt. Aber nur die Bindung an einen bestimmten Menschen vermag in der Regel zu einer inneren Umkehr zu führen, weshalb in diese Richtung verstärkt gearbeitet werden müsste. II. PROBLEMKREIS "TODESSTRAFE" A) PRAXIS DER BLUTRACHE / TODESSTRAFE (GESCHICHTE) 1. Der "Henker": Trotz Zerstörungs-/ Aggressionstrieb natürliche Tötungshemmung (v. a. gegenüber Frauen), die aber gemindert wird durch: 229 Distanz zum Opfer, "humane" Hinrichtungsart, kollektives Urteil samt Vollstreckung, mittelbare Vollzugsart, "Feindbild" Täter u. a. 2. Die bedrohten Unrechtshandlungen: Frauen: Kindesmord, Diebstahl, Hexerei, Zauberei, Ehebruch Männer: Verrat, Gotteslästerung, sexuelle Abnormitäten, Mord, (Ehebruch) 3. Vollzugsformen: Möglichst "zu gesamter Hand", mittelbar, ohne Blutvergießen: Frauen: Ertränken, Verbrennen, lebendig Begraben, Steinigung Männer: Friedlosigkeit, Felssturz, Tötung durch Tiere, Kreuzigung, Hängen, Enthaupten, Rädern, Steinigung. Moderne Arten: Guillotine, Hängen mit Genickbruch, Elektr. Stuhl, Gaskammer, Erschießen. 4. "Zusätze": - Verschärfend: Säcken, Hundehängen, Wüstung - Schwächend : Geißeln, Auspeitschen - Beschämend : Scheren, Ausziehen - Verachtend : Langsames Verwesen, kein Begräbnis - Erleichternd: von Zuschauern unbemerkt! B) BIBLISCHE BEGRÜNDUNGSVERSUCHE Im AT Niederschlag des vorderorientalischen Rechtsdenkens (rächende Vergeltung): "Wer Menschenblut vergießt, durch Menschen soll sein Blut vergossen werden" (Gen 9,6) "Und du sollst in dir kein Mitleid aufsteigen lassen: Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß." (Dtn 19,21) Dieses Talionsgesetz sollte eine Eskalation der Vergeltung verhindern! (nicht etwa LEBEN für AUGE..) Von der Todesstrafe betroffene Delikte waren Mord,Gotteslästerung, Ehebruch und versch. Sexualdelikte, vollstreckt meist in Form der Steinigung, um "das Böse aus Israel wegzuschaffen" (Dtn 22,22) Ein Widerspruch zum 5. Gebot wird nie empfunden, da dort die Ermordnung eines Unschuldigen in Rede steht! Im NT entzieht sich Jesus selbst wiederholt der Steinigung wegen Gotteslästerung (Joh 8,59; 10,39 u.ö.), er verhindert deren Vollstreckung aber auch bei der ertappten Ehebrecherin (Joh 8, 1 - 11), ehe er selbst gekreuzigt wird. Paulus gesteht der Staatsgewalt das Recht der Verhängung und Vollstreckung zu: "Wenn du aber das Schlechte tust, so fürchte, denn nicht umsonst trägt sie das Schwert." (Röm 13,4) C) KIRCHE UND TODESSTRAFE 1. Altertum: Vielfach Stellungnahmen g e g e n die Todesstrafe in Polemik gegen das heidnische Römerreich. Seit 313 Verbot der Vollstreckungsart "Kreuzigung". 2. Mittelalter: - Anzeichen einer Distanzierung ("Kirche ist nicht blutdürstig", schließt betreffende Richter und Vollstrecker von den Weihen aus u. a.) 230 - Zugleich aber prinzipielle Bejahung bei entsprechendem Vorgehen der staatllichen Gewalt ("Nicht aus Hass, sondern aus Gerechtigkeit, nicht unbedacht, sondern überlegt") 3. Neuzeit: Anstöße während der Aufklärung werden nicht aufgegriffen. Pius XI. und Pius XII. nehmen vom Grundsatz der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens jene aus, die todeswürdige Verbrechen begangen haben. (Verwirktes Lebensrecht) Seither (1952) keine offizielle Stellungnahme bis zum Erscheinen (samt "Revision") des sog. Weltkatechismus: "Der Schutz des Gemeinwohls der Gesellschaft erfordert, dass der Angreifer ausserstande gesetzt wird zu schaden. Aus diesem Grund hat die überlieferte Lehre der Kirche die Rechtmäßigkeit des Rechtes und der Pflicht der gesetzmäßigen öffentlichen Gewalt anerkannt, der Schwere des Verbrechens angemessene Strafen zu verhängen, ohne in schwerwiegendsten Fällen die Todesstrafe auszuschließen." (Kat. 2266) Trotz dieses Rechtes des Staates, sie zu verhängen und zu vollstrecken, plädiert die Kirche für deren Abschaffung und konsequenten Freiheitsentzug zum Schutz der Gesellschaft. D) KRITIK AN DER TODESSTRAFE - Aufklärung: Im Anschluss an J. J. Rousseaus Theorien des Staatswesens als eines demokrat. Zusammenschlusses gleicher Wesen mit gleichen Rechten und Pflichten verfasste Cesare B e c c a r i a 1764 die bahnbrechende kleine Schrift "Dei delitti e delle pene". (Für einheitliche Rechtsprechung, Gleichheit aller vor dem Gesetz; gegen unbegründete Untersuchungshaft, anonyme Anklagen, nichtöffentliche Verhandlungen,vorzeitige Begnadigungen, Folter und v. a. Todesstrafe, deren endgültige Abschaffung er fordert) - Revolutionsjahr 1848: Neue Verfassungen mit Grundrechtskatalogen, in denen (1.) das Recht auf Leben und (2.) die Einschränkung der Allmacht des Staates festgeschrieben wurden. - Nach dem NS-Regime: Verankerungen des Rechts auf Leben in den Menschenrechtserklärungen; Abschaffung der Todesstrafe in einzelnen Ländern (Österreich 1950); Bemühen intern. Organisationen um deren weltweite Abschaffung (AI, CSI) 231 DER CHRIST UND DAS EIGENTUM (Das 7. und 10. Gebot) A. Begriffe: Eigentum ist (anders als der bloße Besitz durch Leihe, Miete, Pacht) das weitestgehende Verfügungsrecht einer Person oder einer Gemeinschaft über eine (materielle / geistige) "Sache". Man kann, rechtlich betrachtet, darüber nach Belieben verfügen. Unter dem Anspruch der Nächstenliebe betrachtet, wird diese Verfügungsgewalt relativiert: Erwerb und Gebrauch des Eigentums müssen letztlich vor Gott verantwortet werden! Nur "für sich selbst Schätze zu sammeln" wie der Mann mit der reichen Ernte (Lk 12, 13-21) ist in den Augen Jesu "Narretei": "Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt," (während sein Bruder Not leidet) B. Begründung (Eigentumserwerb): Das Eigentumsrecht kann rechtlich begründet werden durch - Kauf - Fund - Tausch - Okkupation (z.B.Tierfang, Bodenschatz) - Schenkung - Zuwachs (z.B. Früchte, Zinsen) - Ersitzung (Verjährung) - Erbgang u. a. C. Biblische Weisungen: Die Hl. Schrift enthält keine ausformulierte Eigentumslehre. Sie nimmt in Einzelaussagen Bezug auf jene Verhältnisse, in denen das (Privat-) Eigentum mit der Verantwortung gegenüber dem Mitmenschen verbunden ist. 1. AT: Gott als Schöpfer der Welt ist auch "Herr und Eigentümer" dieser Erde und ihrer Güter: "Dem Herrn, Deinem Gott, gehören der Himmel, der Himmel über den Himmeln, die Erde und alles, was auf ihr lebt." (Dtn 10,14) Der Mensch hat als sein Sachwalter den Auftrag, sie zu "bebauen und zu hüten", d. h. verantwortungsvoll damit umzugehen. Eine Bereicherung zum Schaden und auf Kosten des anderen / der anderen verbieten nicht nur das 7. und 10. Gebot, sie wird auch in der wiederholten Sozialkritik der Propheten angeprangert: "Weh euch, die ihr Haus an Haus reiht und Feld an Feld fügt, bis kein Platz mehr da ist und ihr allein im Land ansässig seid. Meine Ohren hören das Wort des Herrn der Heere: Wahrhaftig, all eure Häuser sollen veröden. So groß und schön sie auch sind: Sie sollen unbewohnt sein". (Jes 5, 8 f. Vgl. auch Am 2,6 f) Besondere Sozialmaßnahmen waren - das Recht des Armen auf Ähren- und Traubennachlese ("Afterlesen") (Dtn 24, 19 ff) sowie auf den Zehnten jeden 3. Jahres (Dtn 14,28 f); - das Zinsverbot (Eigentumserwerb durch Zuwachs) zunächst gegenüber dem Armen (Ex 22,24), dann jedem Volksgenossen gegenüber (Dtn 23,20); 232 - Entschuldungsmaßnahmen zur Bereinigung längerfristiger Verschuldungen bzw. zur Verringerung von Eigentumskonzentrationen durch Verzicht auf Ernte und Pachtertrag im 7. Jahr ("Sabbatjahr") (Dtn 15,1) bzw. Rückfall des Eigentums im 50. Jahr (nach 7 mal 7 Jahren = "Jubeljahr"), ein - freilich nur utopischer - Versuch, einen Idealzustand der sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit zu erreichen... 2. NT: Jesus bestätigt das Diebstahlsverbot (Mk 10, 19) und warnt v. a. vor der Gefahr, Gott gegen den Mammon (= Luxus und Reichtum) zu vertauschen (vgl. Mt 6, 24): Sein ganzes Herz daran zu hängen (Mk 10, 22), bedeutet Ausschluss vom Himmelreich (Mt 19, 24) Die Armuts-Forderung Jesu (Reicher Jüngling Mk 10, 21) ist nicht ein allgemeingültiges Gebot Jesu, sondern - wie Gehorsam und Ehelosigkeit - ein Ausdruck besonderer Christusnachfolge ("Evangelischer Rat") In diesem Sinne ist auch das Ideal der urchristlichen Gütergemeinschaft zu verstehen: "Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem soviel, wie er nötig hatte." (Apg 2,44 f) D. Kirchliche Lehraussagen: Das Thema "Eigentum" wurde zunächst in der Problemstellung "Privateigentum oder Gemeineigentum" bzw. in der (den Einzelnen betreffenden) "Almosenlehre" behandelt. Seit dem Aufbrechen der sozialen Frage im 19. Jh. gibt es wiederholte Stellungnahmen des kirchlichen Lehramtes. In vielen päpstlichen Sozialrundschreiben werden soziale Ungerechtigkeiten (Arme-Reiche, Ohnmächtige-Machthaber) im nationalen wie globalen Bereich verurteilt. In Zeiten einer gesamtgesellschaftlichen Not fällt die Verfügungsgewalt darüber an die Gemeinschaft zurück; im Falle extremer individueller Not (an Nahrung, Kleidung, Unterkunft) hat der einzelne das natürliche Recht, sich von dem anzueignen, was andere in Überfluss besitzen (II. Vatikan. Konzil GS 69) E. Verstöße: Im Tun / Unterlassen: - Diebstahl und Raub (heimliche bzw. gewaltsame Entwendung) - Hehlerei (wissentlicher Erwerb einer gestohlenen Sache) - Betrug (Übervorteilung des anderen) - Beschädigung / Zerstörung fremden Eigentums - Nichtbezahlen von Schulden - Nichterbringen einer geschuldeten Arbeit - Behalten von gefundenen / entliehenen Sachen - Unterlassung der erforderlichen Wiedergutmachung u. a. In der Gesinnung: - Habgier (Geiz) als krankhaftes Verlangen nach Besitz - Neid als Ärger über ein Gut des anderen 233 WAHRHAFTIGKEIT UND LÜGE (8. Gebot) ) 1. Begriffsklärungen: WAHRHAFTIGKEIT: Überzeugung und Reden darüber stimmen überein. TREUE: Reden und Tun stimmen überein. IRRTUM: Sachverhalt und Überzeugung stimmen nicht überein. LÜGE: Überzeugung und Reden darüber stimmen nicht überein. 2. Arten der Unwahrhaftigkeit: a. VERLEUMDUNG: Zerstörung des guten Rufs eines Menschen durch Verbreitung von Unwahrheiten. b. EHRABSCHNEIDUNG: Fehler anderer ohne Grund weiterverbreiten. c. VERLEUGNUNG: Abstreiten einer Beziehung zu einem anderen Menschen. d. HEUCHELEI: Vortäuschen von guten Charaktereigenschaften. e. ANGEBEREI: Erfinden von Sachverhalten, um einen guten Eindruck zu machen. f. NOTLÜGE: Unwahrhaftigkeit aus Angst vor den Folgen (für sich und andere) g. BETRUG: Aneignung fremden Eigentums durch Vortäuschen eines Rechts. h. HALBWAHRHEITEN: Unwahrhaftigkeit durch Verschweigen der anderen Hälfte. i. KAMERADSCHAFTSLÜGE: Unwahrhaftigkeit aus falsch verstandener Rücksichtnahme. j. HÖFLICHKEITSLÜGEN: Unwahrhaftiges Reden / Verhalten, um nicht Ärgernis zu erregen bzw. um Freude zu bereiten. k. SCHWINDEL: Für andere erkennbare Unwahrhaftigkeit in relativen Belanglosigkeiten. 3. Christlicher Umgang mit der Wahrheit: a. "Du sollst kein falsches Zeugnis geben gegen deinen Nächsten" (8. Gebot), d. h. Verbot einer falschen Zeugenaussage. b. "Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein, alles andere stammt vom Bösen" (Mt 5,37f), d. h. Wahrhaftigkeit als eine Grundhaltung ohne Wenn und Aber. Damit erübrigt sich jedweder Eid als Bestätigung ... c. "Legt die Lüge ab und redet untereinander die Wahrheit; denn wir sind als Glieder (des Leibes Christi) miteinander verbunden" (Eph 4,25) d. Nicht alles, was wahr ist, muss auch gesagt werden (Grenzen der Offenheit), ja es gibt sogar Pflichten der Verschwiegenheit! e. Bemühen umd die Nachfolge Christi, der selbst "der Weg, die Wahrheit und das Leben " ist (Joh 14,6) und in dessen Mund sich kein Trug findet (1 Petr 2,21f) "Wer sich in seinen Worten nicht verfehlt, isf ein vollkomrriener Mann und kann auch seinen Körper vollig im Zaum halten. Wenn wir den Pferden das Zaumzeug ins Maul legen, damit sie uns gehorchen, lenken wir ihren ganzen Körper. Oder denkt an die Schiffe: Sie sind groß und werden von starken Winden getrieben, und doch lenkt sie der Steuermaran mit einem ganz kleinen Steuer, wohin er will. So ist auch die Zunge nur ein kleiner Teil des Körpers und rühmt sich doch großer Dinge. Und wie klein kann ein Feuer sein, das einen großen Wald in Brand steckt. Auch die Zunge ist ein Feuer." (Jak 3,2-6) 234 MEDIEN BESTIMMEN UNSER LEBEN 1. Begriff und Bedeutung: a. Begriffe: Das natürlichste und ursprünglichste Medium (lat. = Mittel), um mit Menschen in direkten Kontakt zu treten, ist die (verbale und nonverbale) Sprache. Gemeinhin versteht man unter Medien (Pl.) allerdings jene (technischen) Mitteln, mit deren Hilfe (möglichst viele) Menschen (indirekt, anonym und relativ gleichzeitig) erreicht werden können (Massenmedien TV, Radio, Internet, Presse, Film, Plakate u. a.) Es geht dabei weniger um Dialog und Kommunikation, als um (einseitige) Verteilung (Distribution) von Informationen. Sie dienen v. a. der Information Unterhaltung Bildung / Weiterbildung Werbung Medien können aber auch der Kommunikation dienen, indem sie (wechselseitige) zwischenmenschliche Kontakte ermöglichen / erleichtern (Brief, Telephon, Fax, Dias, Filme u. a.) Massenmedien nehmen diese Aufgabe nur am Rande wahr (Leserbriefe, Anrufe; B. Brecht 1932: "Der Rundfunk ist aus einem Distributions- in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln") Medien (TV, Internet, Tel. u. a.) können aber Kommunikation nicht nur ermöglichen / erleichtern, sondern auch verhindern ("Familienhalbkreis") b. Bedeutung: Medien sind "die geheimen Miterzieher" (manchmal sogar Alleinerzieher) der Kinder / Jugendlichen. Ein wahlloser und maßloser Konsum kann erhebliche Nachteile nach sich ziehen: Phantasiearmut - Solipsismus (Icheinsamkeit) - Manipulation - Leseunlust - Unkritisches Denken (Vorurteile) - Trägheit - (schlechtes) Vorbildlernen - Angstzustände / psychische Störungen - Sucht - Realitätsverlust - - Angesichts der Vielfalt des Angebots und der Leichtigkeit des Zugriffs ist eine Medienerziehung unerlässlich: Gewissenhafte Auswahl Vorbereitung und anschließende Aufarbeitung Maßvoller Gebrauch 2. Kirche und Medien: "Der Kirche ist sehr wohl bekannt, dass die sozialen Kommunikationsmittel bei rechtem Gebrauch den Menschen wirksame Hilfe bieten, denn 235 sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Erholung und Bildung des Geistes; sie dienen ebenso auch der Ausbreitung und Festigung des Gottesreiches. Die Kirche weiß zugleich, dass die Menschen diese technischen Erfindungen gegen Gottes Schöpfungsplan und zu ihrem eigenen Schaden brauchen können." (II. Vat. Konzil, Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel 2) Alles in allem stand sie den Medien lange Zeit misstrauisch gegenüber (publizistische Mittel als Gefährdung für Glaube und Sitte) und erhoffte sich von der öffentlichen Gewalt entsprechende Gesetze, um "schwere Schäden für die öffentliche Sitte und den Fortschritt der Gesellschaft zu verhindern." (A.a.O. 12) Die Verantwortung der Medienbetreiber wird am Beispiel von drei speziellen Fragenkreisen aufgezeigt: "Information"? Recht der Gesellschaft auf wahrheitsgemäße und möglichst vollständige Information (Objektivität), aber unter Beachtung der durch Recht und menschliche Rücksichtnahme gezogenen Grenzen; "denn nicht alles Wissen bringt Nutzen, die Liebe aber baut auf (1 Kor 8,1)" (A.a.O. 5) "Freiheit der Kunst"? Auch hier hat die sittliche Ordnung Vorrang: "Die Sittenordnung überragt alle übrigen menschlichen Ordnungen - die Kunst nicht ausgenommen -, so wertvoll sie auch sein mögen, und bringt sie in das rechte Verhältnis." (A.a.O. 6) "Skandalberichterstattung"? Sie kann die Erhabenheit des Wahren und Guten offenbaren und dabei besonders wirksame dramatische Effekte erzielen, andererseits aber auch niedere Instinkte im Menschen wecken. (A.a.O. 7) Heute werden die Mitverantwortung der Katholiken auf diesem Sektor und die pastoralen Chancen erkannt und unterstrichen: "Die neuen Möglichkeiten, die uns die Massenmedien in der heutigen Welt bieten, bedeuten für alle Christen eine Verpflichtung aufgrund ihres Glaubens... Den Beitrag der sozialen Kommunikationsmittel für die Verbreitung der Heilsbotschaft zu unterschätzen, das bedeutet praktisch, das Licht unter den Scheffel zu stellen, es denen vorzuenthalten, die ein Recht darauf haben." (Erklärung der Päpstl. Kommission für soziale Kommunikationsmittel 1974) Aus diesem Grund nützt die Kirche auch verstärkt die Massenmedien zur Evangelisierung (Radio Vatikan; kirchliche Presse; Internet; Rundfunksendungen u. a.) Der neue "Weltkatechismus" fordert einen verantwortungsvollen Gebrauch der Medien: "Die Kommunikationsmittel, v. a. die Massenmedien, können bei den Benützern eine gewisse Passivität erzeugen, indem sie diese zu wenig aufmerksamen Konsumenten von Worten und Bildern machen. Die Benützer sollen die Massenmedien maß- und zuchtvoll gebrauchen und sich ein klares und rechtes Gewissen bilden, um schlechten Einflüssen leichter zu widerstehen" (2496) 236 DIE BEDÜRFNISPYRAMIDE NACH A. MASLOW VERLANGEN NACH Bedürfnis nach ABHILFE DURCH Transzendenz Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit, Entscheidungsbefugnis, Machtposition... Wertschätzung, Respekt, Würde, Freiraum, Erfolgserlebnisse, Sozialprestige, Anerkennung, Rang... Mitmenschliche Zuwendung, Integration, Beheimatung, Gruppenzugehörigkeit, sozialer Status... Soziale Sicherheit (Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Pension); persönliche Sicherheit; Sicherheit des Eigentums... Nahrung, Kleidung, Wohnung, Familiengründung, Arbeitsplatz, Grundbildung, Sicherung des Lebensstandards... Bedürfnis nach Beförderung, freie Arbeitszeitregelung, Weiterbildung... Selbstverwirklichung Ich-Bedürfnisse Gehaltserhöhung, Belobigungen, Auszeichnungen, Orden, Titel, Dienstwagen... Soziale Bedürfnisse Betriebsausflüge, div. Freizeitangebote (Sauna, Tennis, Reisen, Heurigenbesuch).. Sicherheits-Bedürfnisse Existentielle Bedürfnisse Arbeitsverträge, Altersvorsorge, div. Versicherungen; Polizeistreifen, Bewährungshilfe, Einwanderungspolitik... Entsprechender Arbeitslohn, Urlaubsregelung, ärztl. Betreuung, gefördertes Wohnen, Essen (Kantine), Heizen... Diese Bedürfnispyramide veranschaulicht, wie Politik und Wirtschaft den jeweiligen Bedürfnissen entgegenzukommen versuchen: 1. Die Bedürfnishierarchie geht von zunächst rein materiellen Bedürfnisssen allmählich über zu immateriellen. Dem tragen auch Sozialgesetzgebung und Gewerkschaften Rechnung. (Die alte soziale Frage ist in den westlichen Industrieländern mehr oder weniger gelöst, dafür stellt sich die "neue soziale Frage" hier mit aller Dringlichkeit) 2. Das jeweils niedrigere Bedürfnis ist - solange es unbefriedigt ist - das wichtigste. Erst wenn es befriedigt ist, entstehen Bedürfnisse der nächsthöheren Stufe. Gleichzeitig damit wandelt sich auch der Kampf um soziale Gerechtigkeit. 3. Christliche Sicht: "Fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? ... Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben." (Mt 6,31-33) 237 WERTPYRAMIDE Mögliche Grundprinzipien menschlichen Handelns: IV TORHEIT / HEILIGKEIT (Christusnachfolge) III LIEBE / BARMHERZIGKEIT (Ntl. Liebesgebot, Urgemeinde) II GERECHTIGKEIT (Atl. Talionsgesetz, Rechtsstaat) I Ad I: UNGERECHTIGKEIT (Gewaltherrschaft) Der STÄRKERE (ver-) schafft sich gewaltsam Recht. Beispiele: Krieg, Terror ... Ad II: 1. Die Rechtsordnung gibt allen (Gleichberechtigung vor dem Gesetz) dieselben GRUNDRECHTE Beispiel: Strafgesetze schützen den (physisch) Schwächeren ... 2. Verträge / Bündnisse sind zu halten = VETRAGSGERECHTIGKEIT, BÜNDNISTREUE Beispiel: Vereinbarter Lohn ist zu bezahlen ... 3. Im selben sozialen Verband Stehende sind gleich zu behandeln = SOZIALE GERECHTIGKEIT Beispiel: Gleichbehandlung von Arbeitskollegen, Geschwistern ... Ad III: Freiwilliger VERZICHT auf EINZELRECHTE Beispiel: Spenden, Geschenke, Sitzplatz im Bus ... Ad IV: Die Nachfolge Jesu ("Torheit des Kreuzes") bedeutet SELBSTENTSAGUNG ("Selbstentäußerung") des Menschen Beipiele: Nicht bloß Nächstenliebe, sondern sogar Feindesliebe; für andere nicht bloß zu leben, sondern notfalls sogar zu sterben ... 238 BEISPIELE ZUR WERTPYRAMIDE MACHT BESITZ SEXUALITÄT FREIHEIT IV: Dienst Armut Ehelosigkeit Gehorsam III: Kollegialität Großzügigkeit Rücksichtnahme Opferbereitschaft II: Autorität Suum cuique Ehevertrag Respekt I: Gewaltherrschaft Raub/Ausbeutung Vergewaltigung Willkür TEXTBEISPIELE AUS DEM NT: Vom Herrschen und Dienen (Mt 20, 25-28) Die Arbeiter im Weinberg (Mt 20, 1-16) Der Verlorene Sohn (Lk 15, 11-32) Der barmherzige Samariter (Lk 10, 25-37) Der reiche Jüngling (Mt 19, 16-30) Die christliche Ehe (1 Kor 7, 1-7) Jesus am Ölberg (Mk 14, 32-42) 239 IM BERUF ALS MENSCH UND CHRIST 1. BERUF IST MEHR ALS NUR EIN JOB: Beruf ist nicht nur Unterhaltsquelle, es gehören darüber hinaus dazu entsprechende Anlagen und Fähigkeiten Ausbildung und Fortbildung Identifikation und Verantwortungsbewusstsein (vgl. Joh 10,11: Einsatzfreudiger Hirt, nicht nur bezahlter Knecht) Anerkennung und Erfolg (vgl. Joh 15,14: Nicht mehr Knechte, sondern Freunde) 2. BERUF IST DIENST AUCH FÜR ANDERE: Jeder Beruf wird gebraucht und hat seine "Ehre". Gewissenhafte Pflichterfüllung und Kollegialität schaffen ein gutes Arbeitsklima (vgl. Lk 22,24: Der "Boss" soll werden wie der Untergebene) Jeder Beruf trägt bei zum Gemeinwohl 3. BERUF ALS AUFTRAG GOTTES: Wir haben die Verpflichtung, mit unseren Talenten zu arbeiten. (vgl. Mt 25,14: Gott verlangt Rechenschaft über unser Tun) Wir arbeiten an einer schöneren und besseren Welt. (vgl. Gen 2,15: Bebauen und Hüten des Gartens Eden statt Ausbeutung) Neben dem Gebet ist auch die Arbeit Ausdrucksform des Glaubens. (vgl. "Ora et labora" des Hl. Benedikt) Wir sollen im Beruf ein lebendiges Glaubenszeugnis geben. (Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Versöhnungsbereitschaft, Mitgefühl u. a.) "Die Arbeit nämlich, gleichviel, ob selbständig ausgeübt oder im Lohnarbeitsverhältnis stehend, ist unmittelbarer Ausfluss der Person, die den stofflichen Dingen ihren Stempel aufprägt ... Durch seine Arbeit erhält der Mensch sein und der Seinigen Leben, tritt in tätigen Verbund mit seinen Brüdern und dient ihnen; so kann er praktische Nächstenliebe üben und seinen Beitrag zur Vollendung des Schöpfungswerkes Gottes erbringen ... Daraus ergibt sich für jeden einzelnen sowohl die Verpflichtung zu gewissenhafter Arbeit wie auch das Recht auf Arbeit." (II. Vat. Konzil) 240 KIRCHE UND GESELLSCHAFT (Überblick) A. Katholische Soziallehre 1. Aspekte der Katholischen Soziallehre (Unsystematische) Glaubensverkündigung der Kirche (z.B. PapstEnzykliken, Hirten-briefe der Bischöfe etc) WissenschaftlichPraktische Sozialarbeit in den systematische Durch- versch. Institu-tionen leuchtung durch die (Bahnhofs-mission, (universitäre) Jugendhaus der Caritas etc) Sozialwissenschaft 2. Gegenstand der Katholischen Soziallehre a. Grundsatzfragen: Welche Autorität hat die Kirche in Wirtschafts- und Gesellschaftsfragen - Das christliche Menschenbild - Die wichtigen Sozialprinzipien (Subsidiarität, Personalität, Solidarität) Gerechtigkeit oder Liebe - Die Frage der Verantwortung des Menschen (wem gegenüber, wofür).. b. Wirtschafts- und Sozialordnung: Klassengesellschaft - Privateigentum - Kapitalismus oder Laborismus - Entwicklungshilfe und Friedensinitiativen - Humane Arbeitswelt - Arbeitslosigkeit - Gerechter Lohn Mitbestimmung - Streikrecht - Ehe und Familie - Freizeit und Erholung - Sonntagskultur... c. Christ und Politik / Kirche und Staat: Staat-Gesellschaft-Einzelmensch - Christ und Obrigkeit - Grenzen der Staatsgewalt - Kirche und politische Parteien - Aufgaben der Völkergemeinschaft... d. Neue soziale Fragen: Ehe und Familie - Gleichberechtigung der Frauen - Perspektiven für die Jugend Wohlstandsverlierer - Alleinerzieher - Ältere Menschen und ihre Vereinsamung Konsumismus - Die Sinnfrage... 3. Die Entwicklung der Katholischen Soziallehre (siehe unten) 4. Ihre Prinzipien (siehe unten) B. Die Theologie der Befreiung (siehe unten) 241 ) PERSON(ALITÄTS)PRINZIP Die Person ist Ursprung und Ziel des gesellschaftlichen Lebens. Beide Aspekte der Natur des Menschen sind bedeutsam: Er ist in seinem Selbstverständnis als Einzelwesen (Individualnatur) und in seiner Anlage als Mitglied der Gesellschaft (Sozialnatur) gleich ernst zu nehmen. Eigenständigkeit und Gemeinschaftsbezogenheit stehen in einem gegenseitigen Wechselverhältnis: Der Mensch erfüllt seine Existenz im Wirken in der Gemeinschaft, er kann ihr aber nur wirklich dienen als eigenständige und selbstverantwortliche Persönlichkeit. Dagegen: Individualismus und Kollektivismus SOLIDARITÄTSPRINZIP Solidarität (lat. solidare= fest zusammenfügen) besagt die wechselseitige Verbundenheit und Verantwortlichkeit von Individuum und Gesellschaft auf Grund der Sozialnatur des Menschen, d. h. - Gemeinverpflichtung (Gemeinverstrickung) als schicksalshafte Angewiesenheit aller aufeinander ("im selben Boot"); - Gemeinhaftung als wechselseitige Verantwortung ("Einer für alle, alle für einen"); Mögliche Motive solidarischen Handelns sind demnach - Eigeninteresse - Pflichtbewusstsein - christliche Nächstenliebe. Dagegen: Individueller und Gruppen-Egoismus GEMEINWOHLPRINZIP SUBSIDIARITÄTSPRINZIP Das sog. Gemeinwohl umfasst alle Werte, die zum individuellen und sozialen Leben aller Menschen einer Gemeinschaft unbedingt notwendig sind (Friede, Rechtsordnung, Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit u. a.) Es hat unter bestimmten Bedingungen Vorrang vor dem Privatwohl und dem Gruppenwohl, es findet aber seine Grenze in den Grundrechten des einzelnen und in der Würde der menschlichen Person. Hier gilt sogar ein Minderheitenschutz gegenüber der Mehrheit (z.B. der Ungeborenen) Dagegen: Liberalismus (größtmögliches Wohl des isolierten einzelnen), Kollektivismus (Privatwohl-Opfer nur vordergründig zum Wohl des Volkes), div. Egoismen. Dieses Zuständigkeitsprinzip besagt negativ: Was der einzelne / eine untergeordnete Gemeinschaft aus eigener Kraft leisten kann, darf eine übergeordnete Instanz nicht an sich ziehen (z. B. Erziehung); positiv: Letztere muss Hilfestellung (lat. subsidium) geben, wenn der einzelne / untergeordnete Gruppierungen mit Problemen nicht zurecht kommen (z. B. Erziehung) Die Betroffenen können sein der einzelne im Verhältnis zu einer Gemeinschaft, einander unter-/ übergeordnete Gemeinschaften (Gemeinden / Länder / Staat / Staatengemeinschaft (EU) ... Dagegen: Totalitarismus, überzogener Sozialstaat 242 DIE KIRCHE UND DIE SOZIALE FRAGE I. Kath. Soziallehre als Antithese zur sozialistischen Arbeiterbewegung (Konkurrenz) ) 1891 Enzyklika "Rerum novarum" von Papst Leo XIII. A) Kritik und Abwehr: 1. RN kennt noch nicht die Dringlichkeit, die "Zeichen der Zeit" zu erkennen und auch kirchlicherseits eine Anpassung (Aggiornamento) vorzunehmen, wie es später unter Papst Joh. XXIII. erfolgte. Im Gegenteil: Es gelte, den "Geist der Neuerung" zu bekämpfen, der, "nachdem er auf politischem Gebiete seine verderblichen Wirkungen entfaltet hatte", nunmehr auch "das volkswirtschaftliche Gebiet erfasse". Im Gefolge der industriellen Revolution habe sich das Verhältnis der besitzenden Klassen und der Arbeiter wesentlich verändert: Das Kapital befinde sich in den Händen einiger weniger, während die Massen verarmen; die Arbeiterschaft beginne sich selbstbewusst zu organisieren; dazu komme ein Niedergang der Sitten... Dies alles hat den sozialen Konflikt wachgerufen (!), vor welchem wir stehen"... 2. RN vertritt mit dieser Bestandsaufnahme zugleich eine scharfe antisozialistische Position v. a. in zwei Bereichen: a) Eigentumspolitik: "Wenn die Sozialisten dahin streben, den Sonderbesitz in Gemeingut umzuwandeln, so ist klar, wie sie dadurch die Lage der arbeitenden Klassen nur ungünstiger machen". Zudem verstoßen sie damit gegen die Gerechtigkeit, "denn das Recht zum Besitz privaten Eigentums hat der Mensch von der Natur erhalten." b) Familienpolitik: "Das sozialistische System, welches die elterliche Fürsorge beiseite setzt, um eine allgemeine Staatsfürsorge einzuführen, versündigt sich an der natürlichen Gerechtigkeit und zerreisst gewaltsam die Fugen des Familienhauses." B) Gegenmodell: Klassenversöhnung statt Klassenkampf RN geht nicht von einem naturgegebenen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeiterschaft aus, der nur in einem Klassenkampf mit dem Ziel einer "klassenlosen Gesellschaft" gelöst werden könne. Denn "so wenig das Kapital ohne die Arbeit, so wenig kann die Arbeit ohne das Kapital bestehen". Und die Kirche sei sozusagen die natürliche Vermittlerin zwischen beiden , denn "ihre Lehren und Gebote führen beide Klassen zu ihren Pflichten gegeneinander und namentlich zur Befolgung der Vorschriften der Gerechtigkeit". D. h. Versöhnung 1) durch beiderseitige treue Pflichterfüllung nach dem Grundsatz "Jedem das Seine": - Pflichten der Arbeiter: Vertragstreue, vollständige Arbeitsleistung, dem Arbeitgeber keinen Schaden zufügen, keine Gewalttätigkeit in Wahrung der eigenen Interessen, in keinem Fall Aufruhr stiften oder mit Übelgesinnten sich verbünden, die nur trügerische Hoffnungen wecken... - Pflichten der Arbeitgeber: Arbeiter nicht als Sklaven betrachten, sondern ihre personale Würde und ihre Würde als Christen achten; Rücksichtnahme auf deren geistige und religiöse E. MANN 243 Bedürfnisse; Bewahrung vor sittlichen Gefahren; Förderung des Sinns für Häuslichkeit und Sparsamkeit... "Wer wird in Abrede stellen, dass die Befolgung dieser Vorschriften allein imstande sein würde, den bestehenden Zwiespalt samt seinen Ursachen zu beseitigen?" 2) durch Konfliktregelungsmechanismen: "Zur Erledigung von Beschwerden der einen oder anderen Seite sollten Ausschüsse aus unbescholtenen und erfahrenen Männern derselben Vereinigung gebildet werden mit einer durch die Statuten gewährleisteten Geltung ihres Schiedsspruches." (Idee einer "Sozialpartnerschaft"!?) RN unterstützte also nur christliche Arbeitervereine, während die sozialistische Arbeiterbewegung als Gefahr für das Seelenheil der Arbeiter angeprangert wurde. (Einheitliche geheime Leitung, antireligiöse Einrichtungen, Streben nach Arbeitsmonopol, Druckausübung bei Mitgliedswerbungen) In diesem Zusammenhang ist auch die Ablehnung des Streiks als Mittel des Arbeitskampfes zu sehen. "Bei Arbeiststockungen, bei Krankheit, im Alter und bei Unglücksfällen" plädiert RN für eine private Vorsorge und gegen "ein staatliches System des Wohltuns". 1931 Enzyklika "Quadragesimo anno" von Papst Pius XI. QA änderte das Argumentationsmuster von RN nicht grundlegend, obwohl in den vergangenen 40 Jahren große Veränderungen sowohl in der kapitalistischen Wirtschaftsweise, als auch im Sozialismus stattgefunden hatten. Dennoch weist dieses Rundschreiben neue Akzentsetzungen auf: 1) Staatliche Sozialpolitik: Anders als in RN wird sie ausdrücklich bejaht, wobei für die Verteilung der Aufgaben zwischen dem Einzelnen/ einzelnen Gruppen und dem Staat das sog. Subsidiaritätsprinzip herausgestrichen wird: "Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen." 2) Gesellschaftsordnung: Als "durchgreifende Abhilfe" im Klassengegensatz empfiehlt QA eine berufsständische Ordnung. (Auf sie hat sich später übrigens Engelbert Dollfuß bei der Errichtung des autoritären "christlichen Ständestaates" berufen, als er die politischen Parteien durch Berufsgruppen ersetzte) QA schlägt vor, "dass wohlgefügte Glieder des Gesellschaftsorganismus sich bilden, also "Stände", denen man nicht nach der Zugehörigkeit zur einen oder anderen Arbeitsmarktpartei, sondern nach der verschiedenen Funktion des einzelnen angehört." (Vgl. Zunftwesen) Die Eigeninteressen der verschiedenen Stände zueinander finden jedoch ihre Grenze im "Gemeinwohl, zu dem sämtliche Berufstände, jeder zu seinem Teil, mitzuwirken und beizutragen haben." 3) Organisierte Interessensvertretungen: Die frühere totale Frontstellung der Kirche gegenüber der sozialistischen Arbeiterbewegung wird angesichts der "zwingenden Not, gegen den Ansturm der Mächte des Umsturzes" mit vereinten Kräften anzukämpfen, gemildert: Wo rein katholische Gewerkschaften nicht zustande kämen, dürfe ein christlicher Arbeiter bei E. MANN 244 entsprechender bischöflicher Erlaubnis auch sog. "gemischten Gewerkschaften" angehören, sofern diese Gewissensfreiheit garantierten. 4) Christentum und Sozialismus: Die Spaltung zwischen sozialistischer und kommunistischer Arbeiterbewegung macht eine Differenzierung auch in der Beurteilung notwendig, wenngleich "die dem ganzen Sozialismus gemeinsame widerchristliche Grundlage" nach wie vor gegeben sei. Während der Kommunismus in schärfster Weise als kirchenfeindlich, gottlos und rücksichtslos abqualifiziert wird, lasse sich "eine bemerkenswerte Annäherung sozialistischer Propagandaforderungen an die Postulate einer christlichen Sozialreform" feststellen. Dies betreffe v. a. die Abschwächung klassenkämpferischer Töne bzw. die Milderung der Eigentumsfeindlichkeit. Von einem Dialog mit der nichtkatholischen (linken) Arbeiterbewegung kann dennoch keine Rede sein, im Gegenteil: "...Der Sozialismus ... bleibt mit den Lehren der katholischen Kirche immer unvereinbar, er müsste denn aufhören, Sozialismus zu sein. Der Gegensatz zwischen sozialistischer und christlicher Gesellschaftsauffassung ist unüberbrückbar ... Es ist unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein." Die österreichische Entwicklung )1) Die Position der katholischen Kirche: Seit dem Zusammenwirken von Thron und Altar in der Zeit der Gegenreformation standen die Bischöfe in einem engen Verhältnis zum Herrscherhaus. Trotz RN war die Hierarchie g e g e n ein diesbezügliches soziales Engagement der Kirche, ja viele Würderträger meinten, der Klerus sei in sozialpolitischen Fragen zum Schweigen verpflichtet. Völlig anderer Auffassung war die junge christlich-soziale Partei, die - unter dem maßgeblichen Einfluss engagierter Geistlicher wie Rud. Eichhorn und Jos. Scheucher sowie Adeliger wie Karl Frh.v. Vogelsang und Alois Liechtenstein - in strikt antisozialistischem Sinn eine intensive Beschäftigung der Kirche mit der Arbeiterfrage forderte. Die Vereinigung der Christlichsozialen mit den Katholisch-Konservativen im Jahre 1907 beendete die Spaltung des katholischen Lagers und wurde - als politischer Katholizismus - zur dominierenden politischen Kraft Österreichs, die in Prälat Ign. Seipel als Bundeskanzler ihren sichtbaren Ausdruck fand. Die Hirtenbriefe zur Zeit der 1. Republik plädieren wie RN für eine Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit in Befolgung der Lehre der Kirche. Im Hirtenbrief "Lehren und Weisungen der österr. Bischöfe über soziale Fragen der Gegenwart " (Weihnachtshirtenbrief 1925) geht es um "die alles beherrschende Aufgabe, die Gesellschaft der Gegenwart in Christo zu erneuern." Nach einem 1. Teil, in dem "vor wirtschaftlichem Liberalismus und mammonstischen Kapitalismus" gewarnt wird, geht es im 2. Teil um Sozialismus, Kommunismus und Bolschewismus. "Der Sozialismus hat sich an die Arbeiterschaft herangemacht, ihr Besserstellung der wirtschaftlichen Lebensbedingungen verheißen und hat dadurch viele Tausende von Arbeitern an sich zu ziehen gewusst ... In Wahrheit ist der Sozialismus auch selbst ein Irrweg, dessen Ende Verderben ist, eine falsche Messiashoffnung, eine materialistische Vergröberung des Messiasglaubens des späteren Judentums ... Manche haben den Sozialismus als Gottesgeißel bezeichnet für den Kapitalismus, um die Welt aufzurütteln aus der Gleichgültigkeit gegenüber dem Elend ... Der Sozialismus ist anarchistisch, revolutionär, phantastisch und irreligiös ... Er ist der Herold des Gotteshasses." E. MANN 245 Das offenbare sich "in der sog. Kinderfreundebewegung zum Verderben der Jugend, in den sozialistischen Gewerkschaften zum Unheil der Erwachsenen." Die sozialistische Arbeiterbewegung wird sogar mit dem Teufel verglichen: "Welche Gemeinschaft hat die Gerechtigkeit mit der Gottlosigkeit? Was haben Licht und Finsternis gemeinsam? Wie stimmen Christus und Belial zusammen? Welche Gemeinschaft haben die Gläubigen mit den Ungläubigen? ... Christlicher Arbeiter! Du gehörst nicht in die Sozialdemokratie, nicht in die sozialdemokratischen Gewerkschaften, nicht in die Kommunistische Partei und am allerwenigsten in den Bolschewismus. Die Sozialdemokratie ist dein Verderben und das Verderben der Gesellschaft." Der 3. Teil legt die schon bekannten Grundsätze der kath. Soziallehre unter Heranziehung vieler Belege aus Schrift und Tradition dar. 2) Die Position der sozialistischen Arbeiterbewegung: Innerhalb der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (SDAP) lassen sich in der Haltung gegenüber Religion/ Christentum/ Kirchen bis 1934 verschiedene Positionen unterscheiden: a) Die parteioffizielle Position (Linzer Programm 1926) trat ein für - eine Bekämpfung des politischen Katholizismus - eine Trennung von Kirche und Staat - Toleranz gegenüber den religiösen Standpunkten des Einzelnen. "Im Gegensatz zum Klerikalismus, der die Religion zur Parteisache macht, um die Arbeiterklasse zu spalten und breite proletarische Volksmassen in der Gefolgschaft der Bourgoisie zu erhalten, betrachtet die Sozialdemokratie die Religion als Privatsache des Einzelnen. Die Sozialdemokratie bekämpft also nicht die Religion, die Überzeugung und Gefühle der Einzelnen, sie bekämpft aber Kirchen und Religionsgesellschaften, welche ihre Macht über die Gläubigen dazu benützen, dem Befreiungskampf der Arbeiterklasse entgegenzuwirken und dadurch die Herrschaft der Bourgoisie zu stützen." Nach dieser Position war für das "Diesseits" (Gestaltung von Staat und Gesellschaft) ausschließlich der Sozialismus, für das "Jenseits" die Religion zuständig... b) Eine erste ideologische Variante sah das Gemeinsame mit sozialistischen Bestrebungen, indem sie das Christentum auf eine bloße Ethik verkürzte und Jenseitiges ausklammerte. c) Eine zweite ideologische Nebenlinie bekämpfte nicht nur den politischen Katholizismus, sondern - in atheistischer Prägung - Religion und Christentum überhaupt . (Freidenkerbewegung) d) Der Bund der religiösen Sozialisten Österreichs schließlich verstand den Sozialismus als e i n e n Schritt zur Verwirklichung des Reiches Gottes. 3. Reaktion der (österr.) Kirche: 1933 Abberufung des Klerus aus der aktiven Politik E. MANN 246 II. Von der Konkurrenz zur Konvergenz Die österreichische Entwicklung nach 1945 Schon im Herbst 1945 entschieden die österr. Bischöfe bei ihrer ersten Sitzung nach dem Krieg, die 1933 erfolgte Abberufung des Klerus aus der aktiven Politik und die Vermeidung jeder politischen Bindung beizubehalten: "Habt keine Angst, die Kirche wird keine Politik treiben, ihr einzige Bemühen wird sein, das Reich der Wahrheit und der Gnade, der Gerechtigkeit und der Liebe, des Friedens und der Heiligkeit aufzurichten." Kard. Innitzer fasste die Position der Kirche in dem Wort zusammen: "Eine freie Kirche im neuen Österreich."Bald darauf vereinbarten ÖVP und SPÖ in ihrem Koalitionpakt, ihrerseits kulturpolitische Fragen nicht anzusprechen. A) Der Sozialhirtenbrief der Österr. Bischöfe im Jahr 1956 will "Richtlinien für den Aufbau des modernen Lebens" geben, wobei er - gestützt auf die "Goldene Regel" in der Bergpredigt - drei Bereiche anspricht: 1) Die moderne industrielle Arbeitswelt: Die Bischöfe lehnen den liberalen Kapitalismus ("maßlose Freiheit, die zur Willkür wird") ebenso ab wie den Kommunismus ("maßloser Zwang, der den Menschen entrechtet") Der gemäßigte Sozialismus strebe eine sozialere Gesellschaftsordnung an, und das sei begrüßenswert. "Doch sprechen seine ersten Vertreter immer noch von einer sozialistischen Weltanschauung im Gegensatz zur christlichen und katholischen Weltanschauung." Und diese sei - als materialistisch - eine Gefahr für jede Religion: "Daher unser Vorwurf: Wozu haben die Sozialisten ungezählten Arbeitern ohne Not ihre lebendige Beziehung zu Gott geraubt?" Im Gegenüber zu einer "starken Bürokratisierung" und einem "unguten Zentralismus" , der nach Verstaatlichung verlange, plädieren die Bischöfe für Vermenschlichung: "Dem verstaatlichten Menschen sind die schönsten Möglichkeiten der Selbstentfaltung, des verantwortungsbewussten Einsatzes, der schöpferischen Tätigkeit und damit der Leistungsfreude genommen." Das christliche Sozialsystem könne "als das soziale Partnerschaftssystem" bezeichnet werden, basierend auf den Prinzipien "Vermenschlichung, Sozialgestaltung, Eigenverantwortung." "Es geht heute um die verantwortliche Zusammenarbeit der Sozialpartner." 2) Die bäuerliche Welt: Die großen Umwälzungen im landwirtschaftlichen Bereich und ihre Folgen für den Bauernstand werden schon klar vorausgesehen: "Der Bauer wird zum bloßen Farmer, der nur an raschen Gewinn denkt und dem die Verkarstung oder Auslaugung des Bodens gleichgültig sind ... Oder der Bauer wird zum Wochenendbauer, der unter der Woche in einer Fabrik tätig ist und nur am Wochenende seine Bauernarbeit tut. Und schließlich: Der Bauer wandert ab, in die Industrie, in die Stadt, in den Fremdenverkehr." 3) Die Welt des Staates: - Wohlfahrtsstaat, aber nicht Versorgungsstaat - Nicht Allzuständigkeit des Staates, sondern subsidiäre Zuständigkeit - Echter Kulturstaat, der die grundlegenden menschlichen, sittlichen und religiösen Werte anerkennt - Die Abgeordneten zum Nationalrat sind Abgeordnete des Volkes und nicht der Parteien! E. MANN 247 B) Aussöhnung von Kirche und Gewerkschaft unter Kard. König / Präs. Benya 1961 Enzyklika "Mater et Magistra" von Papst Johannes XXIII. Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus und der Herausbildung des kommunistisch dominierten Osteuropa tritt die Auseinandersetzung der Kirche mit der Sozialdemokratie zunehmend in den Hintergrund. Erstmals werden zugleich die sozialen Probleme der/ in den Staaten der dritten Welt angesprochen. Inhaltliche Schwerpunkte von MM sind: 1) Die Eigentumsfrage: Ohne die sozialistische Arbeiterbewegung ausdrücklich zu nennen, vermerkt MM, "dass jene gesellschaftlichen und politischen Verbände und Organsisationen, die einen Ausgleich zwischen Freiheit und Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Zusammenleben suchen und bis vor kurzem das Eigentum an Produktionsmitteln ablehnten, heute, durch die soziale Entwicklung belehrt, ihre Meinung merklich geändert haben." Es genüge aber nicht, nur auf das natürliche Recht auf Eigentum zu verweisen, mit gleichem Nachdruck fordert MM eine möglichst breite Eigentumsstreuung sowie private Hilfsbereitschaft und christliche Caritas. (Soziale Funktion und Verpflichtung des Eigentums) 2) Solidarität: Erneute Forderung einer Zusammenarbeit von Arbeit und Kapital und damit verbunden eine doppelte Abgrenzung der Kath. Soziallehre vom Liberalismus einerseits und vom Marxismus andererseits: "Endlich sollen Arbeiter und Arbeitgeber ihre Beziehungen zueinander regeln nach den Grundsätzen der menschlichen Solidarität und im Sinn der christlichen Brüderlichkeit, dagegen sind sowohl ein Wettbewerb, wie ihn die sog. Liberalen wollen, als auch der Klassenkampf im Sinne des Marxismus ganz und gar unvereinbar mit der christlichen Soziallehre, ja mit der menschlichen Natur." Im Sinn der Solidarität wird - v. a. mit Blick auf den benachteiligten Bereich der Landwirtschaft - Gerechtigkeit auch in den Beziehungen zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen gefordert. 3) Sozialstaat und Eigenverantwortlichkeit: Bejahung des Wohlfahrtsstaates, der sich in den Industriestaaten mittlerweile durchgesetzt hat: "Zweifellos bringt der so verstandene Vergesellschaftungsprozess mancherlei Vorteile. So kann zahlreichen Rechtsansprüchen der Person Genüge geschehen, insbesondere solchen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Natur, z. B. auf Deckung des lebensnotwendigen Bedarfs, auf Gesundheitspflege, auf erweiterten und vertieften Grundunterricht, auf eine angemessene Fachausbildung, auf Wohnung, Arbeit, auf gebührende Freizeit und angemessene Erholung." Bei all dem dürfe aber die Eigenverantwortlichkeit des Menschen nicht zu kurz kommen, auch wenn es zunehmend schwerer werde, "noch unabhängig von äußeren Einflüssen zu denken, aus eigener Initiative tätig zu werden, in Eigenverantwortung seine Rechte auszuüben und seine Pflichten zu erfüllen, die geistigen Anlagen voll zu betätigen und zu entfalten." 4) Betonung des Rechts der Arbeitnehmer auf betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung: "Offenkundig erleben die Arbeiterorganisationen in unserer Zeit einen mächtigen Aufschwung und haben ganz allgemein ... eine anerkannte Rechtsstellung. Sie treiben die Arbeiter nicht E. MANN 248 mehr in den Klassenkampf, sondern leiten sie zu sozialer Partnerschaft an. Dazu dienen vor allem die Gesamtarbeitsverträge zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden. Wir möchten darauf hinweisen, wie notwendig oder mindestens höchst angemessen es ist, dass die Arbeiterschaft Gelegenheit hat, ihre Meinung und ihr Gewicht auch über die Grenzen des Unternehmens hinaus geltend zu machen, und zwar in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens." MM empfiehlt damit eine weitreichende Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretung, wie sie übrigens in der österr. Sozialpartnerschaft verwirklicht ist. 1963 Enzyklika "Pacem in terris" von Papst Johannes XXIII. Die geänderte Haltung der Kirche gegenüber der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung wird erneut unterstrichen: "Wer könnte übrigens leugnen, dass in solchen Bewegungen, soweit sie sich den Gesetzen einer geordneten Vernunft anpassen und die gerechten Forderungen der menschlichen Person berücksichtigen, etwas Gutes und Anerkennenswertes sich finden kann? ... Daher kann der Fall eintreten, dass Fühlungnahmen und Begegnungen über praktische Fragen, die in der Vergangenheit unter keiner Rücksicht sinnvoll erschienen, jetzt wirklich fruchtbringend sind oder es morgen sein können." 1) Beziehungen zwischen den politischen Gemeinschaften: Keine Rassendiskriminierung, Schutz von Minderheiten, Schutz politischer Flüchtlinge und nicht zuletzt Abrüstung: "Deshalb fordern Gerechtigkeit, gesunde Vernunft und Rücksicht auf die Menschenwürde dringend, dass der allgemeine Rüstungswettlauf aufhört; dass ferner ... die Waffen auf beiden Seiten und gleichzeitig vermindert werden; dass Atombomben verboten werden, und dass endlich alle auf Grund von Vereinbarungen zu einer entsprechenden Abrüstung mit wirksamer gegenseitiger Kontrolle gelangen." 2) Beziehungen zwischen den einzelnen politischen Gemeinschaften und der Völkergemeinschaft: PT fordert die Einsetzung einer "universalen politischen Gewalt", deren Entscheidungen - in Verantwortung für das universale Gemeinwohl und die Rechte der Personen - "durch das Subsidiaritätsprinzip gelenkt und geordnet werden müssen." 1965 Konstitution "Gaudium et Spes" des II. Vatikan. Konzils In GS hat die Kirche endgültig das Konkurrenzdenken hinter sich gelassen. Denn "Gaudium et spes/ Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi", weshalb Gläubige und Nichtgläubige "zum richtigen Aufbau dieser Welt, in der sie gemeinsam leben, zusammenarbeiten müssen." 1) Unter Berufung auf die Würde der menschlichen Person wird angeprangert, "was immer die Unantastbarkeit der menschlichen Person verletzt, wie Verstümmelung, körperliche oder seelische Folter und der Versuch, psychischen Zwang auszuüben; was immer die menschliche Würde angreift, wie unmenschliche Lebensbedingungen, willkürliche Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel und Handel mit Jugendlichen, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel und nicht als freie und verantwortliche Person behandelt wird." E. MANN 249 2) GS setzt in der Bewertung des Verhältnisses von Arbeit und Kapital neue Akzente, wobei der Vorrang der Arbeit nicht nur markant formuliert, sondern auch schöpfungstheologisch untermauert wird: "Die in der Gütererzeugung, der Güterverteilung und in den Dienstleistungsgewerben geleistete menschliche Arbeit hat den Vorrang vor allen anderen Faktoren des wirtschaftlichen Lebens, denn diese sind nur werkzeuglicher Art. Die Arbeit nämlich, gleichviel, ob selbständig ausdgeübt oder im Lohnarbeitsverhältnis stehend, ist unmittelbarer Ausfluss der Person, die den stofflichen Dingen ihren Stempel aufprägt ... Durch seine Arbeit erhält der Mensch sein und der Seinigen Leben, tritt in tätigen Verbund mit seinen Brüdern und dient ihnen; so kann er praktische Nächstenliebe üben und seinen Beitrag zur Vollendung des Schöpfungswerkes Gottes erbringen ... Daraus ergibt sich für jeden einzelnen sowohl die Verpflichtung zu gewissenhafter Arbeit wie auch das Recht auf Arbeit." 1967 Enzyklika "Populorum progressio" von Papst Paul VI. Diese erste Sozialenzyklika von Papst Paul VI. widmet sich erstmals zur Gänze den Problemen einer neuen und gerechten Weltwirtschaftsordnung unter besonderer Berücksichtigung der Lage der Länder in der Dritten Welt. "Die Völker, die Hunger leiden, bitten die Völker, die im Wohlstand leben, dringend und inständig um Hilfe ... Die Erde ist für alle da, nicht nur für die Reichen." 1) Das Recht auf Eigentum wird relativiert: "Das Privateigentum ist für niemand ein unbedingtes und unumschränktes Recht. Niemand ist befugt, seinen Überfluss ausschließlich sich selbst vorzubehalten, wo anderen das Notwendigste fehlt." (Sozialpflichtigkeit des Eigentums) So verlange das Gemeinwohl manchmal sogar eine Enteignung von Grundbesitz, wenn dieser wegen seiner Größe, seiner geringen Nutzung, wegen des Elends breiter Bevölkerungsmassen dem Gemeinwohl entgegenstehe. 2) Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten: PP will sich "der gegenwärtigen Situation mutig stellen und ihre Ungerechtigkeiten tilgen und aus der Welt schaffen." In diesem Zusammenhang wird auf Extremsituationen verwiesen, "deren Ungerechtigkeit zum Himmel schreit: Wenn ganze Völker, die am Mangel des Notwendigsten leiden, unter fremder Herrschaft gehindert werden, irgendetwas aus eigener Initiative zu unternehmen, zu höherer Bildung aufzusteigen, am sozialen und politischen Leben teilzunehmen, dann ist die Versuchung groß, solches gegen die menschliche Würde verstoßende Unrecht mit Gewalt zu beseitigen. Trotzdem: Jede Revolution - ausgenommen im Fall der eindeutigen und lange dauernden Gewaltherrschaft, die die Grundrechte der Person schwer verletzt und dem Gemeinwohl des Landes schweren Schaden zufügt - zeugt neues Unrecht ... Man kann das Übel, das existiert, nicht mit einem noch größeren Übel vertreiben." Stattdessen spricht sich PP für umfangreiche und großzügige Entwicklungsprogramme zugunsten der Dritten Welt sowie für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung aus. "Entwicklung" wird als "neuer Name für Frieden" bezeichnet. 1971 Apostolisches Schreiben "Octogesima adveniens" von Papst Paul VI. Nach einer Skizzierung der neuen Probleme der Zeit setzt sich OA mit "Ansprüchen und Ideologien" auseinander: Marxismus und Liberalismus werden erneut - freilich differenziert - E. MANN 250 wegen ihrer materialistischen Grundlage abgelehnt, hingegen wird die generelle Verdammung des demokratischen Sozialismus (Sozialdemokratie) erstmals explizit aufgegeben: "Heutzutage üben sozialistische Ideologien ... große Anziehungskraft auf Christen aus ... Hier bedarf es eines genauen, scharfsichtigen Urteils. Allzu oft lassen Christen sich vom Sozialismus anziehen und zeigen die Neigung, sich von ihm ein Idealbild zu machen, als sei er etwas allseitig Vollkommenes; so erscheint der Sozialismus als der Wille zur Gerechtigkeit, zu gegenseitigem Verständnis und zur Gleichheit. Zudem weigern sie sich, von den Gewaltmaßnahmen der geschichtlichen sozialistischen Bewegungen Kenntnis zu nehmen, die nach wie vor Ausfluss seiner ursprünglichen Lehren sind. Zwischen den verschiedenen bekannten Formen, in denen sich der Sozialismus ausdrückt - hochherziges Streben und Suchen nach einer gerechteren Gestalt der Gesellschaft, geschichtliche Bewegungen mit politischer Organisation und Ausrichtung, systematisch aufgebaute Ideologie, die vorgibt, ein vollständiges und autonomes Menschenbild zu bieten - sind Unterschiede zu machen, um die richtige Auswahl zu treffen." Die noch im selben Jahr tagende Römische Bischofssynode "De iustitia in mundo" nimmt sich in einer "Gewissenserforschung " den "Lebensstil der Bischöfe, der Priester, der Ordensmänner und Ordensfrauen, der Laien" vor: "Unser Glaube verlangt von uns ein gewisses Maß von Enthaltsamkeit im Gebrauch der irdischen Dinge; die Kirche hat so zu leben und ihre Güter so zu verwalten, dass das Evangelium den Armen verkündet wird. Erscheint die Kirche dagegen als eine, die es mit den Reichen und Mächtigen dieser Erde hält, dann büßt sie dadurch an Glaubwürdigkeit ein." 1981 Enzyklika "Laborem exercens" von Papst Joh. Paul II. 1) Die erste Sozialenzyklika von Papst Joh. Paul II. bezeichnet die Arbeit gleich eingangs als "den entscheidenden Dreh- und Angelpunkt der gesamten sozialen Frage". Es geht dabei aber nicht um einen eingeschränkten Begriff (Arbeit = Erwerbsarbeit), sondern um "jede Art menschlicher Betätigung, die man an den verschiedenen Betätigungsweisen, zu denen der Mensch befähigt ist oder wozu seine spezifisch menschlichen Anlagen ihn hindrängen, als Arbeit ansehen kann oder anzusehen pflegt." 2) In der Eigentumsfrage wird erneut die Sozialpflichtigkeit des Eigentums unterstrichen. Denn schließlich sei das Kapital nur durch die Arbeit vieler Generationen zustande gekommen, weshalb "der Primat des Menschen im Produktionsprozess, der Primat des Menschen gegenüber den Dingen" und von daher "das Prinzip des Vorrangs der Arbeit vor dem Kapital" für die Kirche unaufgebbar sei. (Laborismus vor Kapitalismus) "Unter diesem Gesichtspunkt also, im Hinblick auf die menschliche Arbeit und den gemeinsamen Zugang zu den Gütern, die dem Menschen zugedacht sind, ist unter den entsprechenden Bedingungen auch die Überführung von Produktionsmitteln in Gemeineigentum nicht auszuschließen." 3) Über bisherige lehramtliche Dokumente geht LE hinaus, wenn ausdrücklich gesagt wird, die Kirche müsse sich "als Kirche der Armen bewähren", indem sie strengstens verpflichtet sei, "dort zur Stelle zu sein, wo die gesellschaftliche Herabwürdigung des Subjekts der Arbeit, die Ausbeutung der Arbeitnehmer und das wachsende Ausmaß von Elend oder sogar Hunger" solidarisches Handeln fordere. 4) Die Gewerkschaften sind nicht (mehr) "sozusagen die geborenen Träger des das gesellschaftliche Leben unabwendbar beherrschenden Klassenkampfes". Sie sind wohl Vorkämpfer für die soziale Gerechtigkeit: "Dieser "Kampf" sollte jedoch als regelrechter E. MANN 251 Einsatz "für" ein gerechtes Gut ... und nicht als "Kampf gegen andere"" verstanden werden. Zudem wäre es wünschenswert - und hier klingt das Anliegen eines A. Kolping wieder durch-, "wenn der Arbeiter dem Wirken seiner Gewerkschaft nicht nur mehr "Haben", sondern vor allem mehr "Sein" zu verdanken hat". Der Streik wird ausdrücklich als legitimes Mittel zur Durchsetzung berechtigter Forderungen bezeichnet. 1987 Enzyklika "Sollicitudo rei socialis" von Joh. Paul II. SRS ist 20 Jahre nach "Populorum progressio" erschienen und fordert unter den tragenden Stichworten "Entwicklung" und "Solidarität" eine neue und gerechte Weltwirtschaftsordnung. So "wird Solidarität, wie wir sie vorschlagen, der Weg zum Frieden und zugleich zur Entwicklung." 1991 Enzyklika "Centesimus annus" von Joh. Paul II. 1) CA bemerkt, dass der Grundirrtum des Sozialismus anthropologischer Natur sei. "Er betrachtet den einzelnen Menschen lediglich als ein Instrument und Molekül des gesellschaftlichen Organismus, sodass das Wohl des Einzelnen dem Ablauf des wirtschaftlich-gesellschaftlichen Mechanismus völlig untergeordnet wird; gleichzeitig ist man der Meinung, dass eben dieses Wohl unabhängig von freier Entscheidung und ohne eine ganz persönliche und unübertragbare Verantwortung gegenüber dem Guten verwirklicht werden könne. Der Mensch wird auf diese Weise zu einem Bündel gesellschaftlicher Beziehungen verkürzt, es verschwindet der Begriff der Person als autonomes Subjekt moralischer Entscheidung, das gerade dadurch die gesellschaftliche Ordnung aufbaut." 2) Kapitalismus: Nach einer ausführlichen Bezugnahme auf die Ereignisse des Jahres 1989 in den Ländern Mittel- und Osteuropas stellt CA sich selbst die Frage, ob sich damit der Kapitalismus als das siegreiche Gesellschaftssystem erwiesen habe: "Die Antwort ist natürlich kompliziert. Wird mit "Kapitalismus" ein Wirtschaftssystem bezeichnet, das die grundlegende und positive Rolle des Unternehmens, des Marktes, des Privateigentums und der daraus folgenden Verantwortung für die Produktionsmittel, der freien Kreativität des Menschen im Bereich der Wirtschaft anerkennt, ist die Antwort sicher positiv. Vielleicht wäre es passender, von "Unternehmenswirtschaft" oder "Marktwirtschaft" oder einfach "freier Wirtschaft" zu sprechen. Wird aber unter "Kapitalismus" ein System verstanden, in dem die wirtschaftliche Freiheit nicht in eine feste Rechtsordnung eingebunden ist, die sie in den Dienst der vollen menschlichen Freiheit stellt und sie als eine besondere Dimension dieser Freiheit mit ihrem ethischen und religiösen Mittelpunkt ansieht, dann ist die Antwort ebenso entschieden negativ." 3) CA weist auf die besonderen Probleme und Gefahren der Wirtschaft in den Industrieländern hin. "Das Problem besteht heute nicht nur darin, eine bestimmte Menge ausreichender Güter anzubieten, sondern auch in der Nachfrage nach der Qualität: Qualität der zu erzeugenden und zu konsumierenden Güter, Qualität der beanspruchten Dienste, Qualität der Umwelt und des Lebens überhaupt." E. MANN 252 CA nennt in diesem Zusammenhang - das Phänomen des Konsumismus, der "auf das Haben und nicht auf das Sein ausgerichtet ist;" - die sinnlose Zerstörung der natürlichen Umwelt, "der ersten Ur-Schenkung der Dinge von seiten Gottes"; - die Gefährdung "der moralischen Bedingungen einer glaubwürdigen 'Humanökologie'" (Schutz der auf die Ehe gegründeten Familie, des werdenden Lebens); - die Entfremdung mit dem Verlust des wahren Lebenssinnes. 4) In scharfer Ablehnung des totalitären Staates , der darauf aus ist, "die Nation, die Gesellschaft, die Familie, die Religionsgemeinschaften und die Menschen selbst in sich aufzusaugen", würdigt CA "die berechtigte Autonomie der demokratischen Ordnung", verzichtet dabei aber darauf, "sich zugunsten der einen oder anderen institutionellen oder verfassungsmäßigen Lösung zu äußern." 5) Grenzen des Wohlfahrtsstaats: Das Subsidiaritätsprinzip ("Eine übergeordnete Gesellschaft darf nicht in das innere Leben einer untergeordneten Gesellschaft dadurch eingreifen, dass sie diese ihrer Kompetenzen beraubt. Sie soll sie im Notfall unterstützen und ihr dazu helfen, ihr eigenes Handeln mit dem der anderen gesellschaftlichen Kräfte im Hinblick auf das Gemeinwohl abzustimmen") gilt auch für die staatliche Wohlfahrt: "Der Wohlfahrtsstaat, der direkt eingreift und die Gesellschaft ihrer Verantwortung beraubt, löst den Verlust an menschlicher Energie und das Aufblähen der Staatsapparate aus, die mehr von bürokratischer Logik als von dem Bemühen beherrscht werden, den Empfängern zu dienen." Ausserdem "kennt tatsächlich derjenige die Not besser und vermag die anstehenden Bedürfnisse besser zu befriedigen, der ihr am nächsten ist und sich zum Nächsten des Notleidenden macht." Dabei dürfe aber in vielen Fällen (Flüchtlinge, Einwanderer, Alte und Kranke, Drogenabhängige) "die tiefere menschliche Not und Anfrage" nicht übersehen werden. 6) "Der Mensch ist der Weg der Kirche": Die Kirche will und darf den "realen, konkreten und geschichtlichen Menschen" nicht verlassen, weil "dieser Mensch der erste Weg ist, den die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrages beschreiten muss,...den Weg, der von Christus selbst vorgezeichnet ist und unabänderlich durch das Geheimnis der Menschwerdung und der Erlösung führt." E. MANN 253 Die christliche Soziallehre im Vergleich mit Marxismus und Liberalismus Marxismus /Sozialismus Chr. Soziallehre /Personalismus Liberalismus /Individualismus Mensch = bloßes Individuum. Menschenrechte als Schutz vor dem Staat. Nur Freiheitsrechte des anderen als Grenze eigener Selbstverwirklichung. Keine Solidarität.. Mensch und Gesellschaft Mensch = nur soziales Wesen. In der Theorie Gleichheit aller im Sozialismus; in der Praxis völlige Abhängigkeit vom Kollektiv bzw. deren Funktionären. Mensch = Person. Er hat einen unveräußerlichen, unantastbaren Eigenwert (Individualnatur) und ist zugleich bestimmt, befähigt und verpflichtet, in Gemeinschaft zu leben (Sozialnatur) Grundziele Herrschaft des Proletariats nach Erreichen einer "klassenlosen Gesellschaft" auf dem Weg der Revolution. Streben nach sozialer Freie PersönlichkeitsGerechtigkeit unter Beachtung entfaltung , Individualismus der Prinzipien: Personalität, und Humanismus. Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl. Aufgaben des Staates Allmacht der Staatsgewalt (Partei); Versorgungsstaat. Ordnungsfunktion für das menschliche Zusammenleben (Gemeinwohl, Subsidiaritätsprinzip) "Nachtwächterstaat" = bloße Zweckeinrichtung zur Sicherung von Freiheit und Eigentum; im übrigen aber funktionslos.(Gegen Sozialstaat) Wirtschaftsordnung Planwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft. Freie Marktwirtschaft (Freier Wettbewerb, Selbstregulierung durch Angebot und Nachfrage)Klassische Ausprägung im Kapitalismus. Eigentum Kein Privateigentum an Produktionsmitteln. Naturrrecht auf Privateigentum, aber Sozialfunktion. Keinerlei Einschränkung des Erwerbs/ der Verfügbarkeit von Eigentum. Religion und Kirche Materialist. Atheismus, Religion als "Opium für das Volk" erübrigt sich. Botschaft Christi als Grundlage der Weltanschauung/ Weltgestaltung. Religion ist Privatsache (Indifferenz) Völlige Trennung von Kirche u. Staat im Sinn feind-seliger Distanzierung. Kampf gegen Religion . Ehe und Familie Eingriffe im Interesse der Gesellschaft möglich. Familie als Grundeinheit der Gesellschaft. Privatangelegenheit. Moralprinzipien Gut ist, was der Gesellschaft nützt - festgelegt durch die Partei. Gerechtigkeit, Wahrheit, Freiheit und Verantwortung. Gottes- und Nächstenliebe. "Bürgerliche" Moral aus Restbeständen christl. Tradition und Anstandsregeln. E. MANN 254 THEOLOGIE DER BEFREIUNG 1. DER BEGRIFF BEFREIUNG (span. liberación) in seinen drei Aspekten (G. Gutiérrez): a. Die politisch- soziale Befreiung der gesellschaftlichen Klassen und der unterdrückten Völker: Aufhebung der ungerechten Strukturen und Gestaltung einer Gesellschaft mit humanen Lebensbedingungen für alle. b. Die geschichtlich-prozesshafte Befreiung als Emanzipation des Menschen in Form einer permanenten Kulturrevolution: (Schöpferische Freiheit, d. h. Ermöglichung der vollen Entfaltung des einzelnen Menschen (individuelle Fähigkeiten, aber auch soziale Entfaltung) unter menschenwürdigen Lebensbedingungen; Schaffung eines neuen Menschen in einer qualitativ anderen Gesellschaft c. Christologisch-soteriologische Befreiung des Menschen von der Sünde als der zerstörerischen Kraft im Menschen durch Christus (Erlösung) und Gestaltung eines neuen Lebens in Liebe und gegenseitiger Achtung. Dies sind drei Aspekte eines einzigen, vielschichtigen Prozesses. Es geht nie etwa nur um eine "geistige" Befreiung, die die gesellschaftlichen Strukturen ausser acht ließe, genausowenig nur um einen Sozialkampf, wo die Religion in Politik aufgeht (Marxismus-Verdacht) Das Böse begegnet nicht nur in den ungerechten Strukturen (soziale Sünde), es findet sich auch im Menschen selbst (personale Sünde), weshalb gesellschaftliche Veränderung und innere Umkehr nicht voneinander zu trennen sind! Befreiung kann daher nie nur Befreiung von Ausgebeuteten, sondern muss immer auch eine solche von Ausbeutern sein, und Motiv des Handelns kann immer nur die Liebe auf beiden Seiten sein (Versöhnung als grundlegende Kategorie des Christentums) 2. ENTSTEHUNG: Die Befreiungstheologie ist in Lateinamerika (Brasilien, Peru, Chile) Anfang der 60er-Jahre angesichts der Verelendung unzähliger Mitchristen enstanden. Ausgehend von der Umkehrforderung Mk 1, 5 zielt sie auf eine tätige Neugestaltung des gesamten Lebens nach dem Evangelium ab ("Option für die Armen") 1.Phase: Vorbereitungsphase zwischen II. Vat. Konzil und Medellin (1968), d. h. Bewusstseinsbildung in christlichen Kreisen und Entwicklung der Dependenztheorie: Die bewusste Öffnung der Kirche und ihre Hinwendung zur Welt auf dem II. Vat. Konzil (vgl. Konstitution "Gaudium et Spes") löste gerade in Lateinamerika so etwas wie ein kleines Erdbeben in Theologie und Kirche aus. Angesichts der jahrhundertelangen Unterdrückung und Ausbeutung ihres Kontinents durch Europäer und Nordamerikaner und angesichts des unvorstellbaren Elends der Menschen (Resultat weltweit verankerter Strukturen von Ungerechtigeit und Ausbeutung) stellten sich Theologen und Bischöfe der radikalen Frage, wie man unter solchen Umständen noch glaubwürdig Christ sein und die Frohbotschaft vom Reich Gottes verkünden könne. 2.Phase 1968-72: Ausformulierung der Grundgedanken (Theologie als kritische Reflexion des handelnden Glaubens) und Namensgebung "BTh" durch den peruanischen Theologen E. MANN 255 Gustavo Gutiérrez im Juli 1968 (nach Medellin); kritische und ablehnende Reaktionen seitens der zivilen und kirchlichen Machtträger. 3.Phase: Zeit der "Gefangenschaft" und des Exils (Militärdiktaturen und repressive "Demokratien" unter dem Deckmantel der "nationalen Sicherheit" - Diktatoren als Schutzmacht des christlichen Glaubens) In Puebla (1979) werden die Ursachen bereits präziser in der "Überproduktion" der reichen Nationen sowie in den Interessen des transnationalen Kapitals und seiner Brückenköpfe in der 3. Welt erkannt: Weil es reiche Länder gibt, die ihren Besitz ständig mehren, werden die armen Länder - bloßes Reservoir unterbezahlter Arbeitskräfte und billiger Rohstoffe - immer ärmer (Dependenztheorie) Nach der "institutionalisierten Gewalt" (Medellin) wird nun auch von "Strukturen der Sünde" (Puebla) gesprochen. 4.Phase: Die Befreiungstheologie in der Bedrängnis (seit der Instruktion "Libertatis nuntius" der röm. Glaubenskongregation im August 1984, she unten) Bekannte Vertreter der Befreiungstheologie sind: Clodovis Boff Leonardo Boff Dom Helder Camara Ernesto Cardenal Gustavo Gutierrez Aloisio Lorscheider Jean Bertrand Aristide 3. GRUNDTYPEN UND METHODISCHE EIGENART DER BEFREIUNGSTHEOLOGIE a. Die sozial-populistische Befreiungstheologie: "Populismo" als Ideologie, die sich gegen jede Form des Feudalismus (Oligarchie) und Imperialismus und Neokolonialismus richtet; d. h. letztlich ein Sozialismus, der national, demokratisch, "popular", humanistisch, christlich und kritisch zugeich ist. So etwa "Priester für die dritte Welt" in Argentinien; Paolo Freire in Brasilien, Lucio Gera in Argentinien, Segundo Galilea in Kolumbien, Raul Vidales in Mexiko b. Die marxistisch inspirierte Befreiungstheolgie: Marxistisch geprägte Dependenztheorie (Abhängigkeit durch intern. Kapitalismus und Imperialismus) "Liberación" im Sinne einer sozialistischen sozialwissenschaftlicher Ausgangspunkt der Bewegung Revolution = Klassenkampf; So etwa "Christen für den Sozialismus", Priestergruppe Golconda (Kolumbien) u. a. c. Die evangelisatorische Befreiungstheologie: "Liberación" bedeutet Argumentation von der Bibel her zur Befreiungspraxis hin. Dieser Richtung sind durchwegs die Befreiungstheologen zuzuordnen, sie stimmt mit den E. MANN 256 lehramtlichen Entscheidungen (vom II. Vat. Konzil über Medellin, Evangelii nuntiandi bis Puebla) überein. Befreiungstheologie ist eine neue Art, Theologie zu betreiben: Sie ist eine Reflexion in und über den Glauben als befreiende Praxis (Befreiungskampf bzw. befreiende Aktion) Sie wäre ohne Volksbewegung (Basisgemeinden) und ohne Option für die Armen (Puebla) nicht denkbar. Das VOLK (= die Klasse der Armen) ist ihr Gesprächspartner. Sie ist "Theologie als kollektive Praxis". "Theologie der Befreiung ist kritische Reflexion der geschichtlichen Praxis im Lichte des Glaubens" (G. Gutiérrez) 4. DIE BASISGEMEINDE ALS CHARAKTERISTISCHE GRUNDSTRUKTUR a. Gemeinsame Kennzeichen der vielfältigen Basisgemeinden: Natürlich gewachsene Gemeinden (Nachbarschaft, gemeinsamer Beruf, Schicksalsgemeinschaft der Not / Arbeitslosigkeit, seien es die campesinos auf dem Land oder die Armen in den Elendsvierteln der Städte), wo jeder jeden kennt (10-30 Mitglieder) aufgrund der Homogenität auch beständig. - Dezentralisation, d. h. Treffen in den Wohnungen der Mitglieder (und nicht nur in der Pfarre) als Regel. (Auch der Pfarrer ist als Gast nur einer der Mitarbeiter) Leitung durch einen Koordinator bzw. Animator, im übrigen eine Vielzahl von Diensten. Dabei führende Rolle der Frauen! - Solidarität untereinander und gegenseitige brüderliche Hilfe (urchristlicher Gemeinschaftsgeist) - Zentrale Bedeutung der Bibel: Regelmäßige (wöchentliche) Zusamenkünfte mit Schriftlesung, Gebet und Reflexion über die Bibel aus dem alltäglichen Leben heraus sowie Gedanken über gemeinsame Aktionen - Erwachsenen-Gemeinden: Nicht primär Kinderpastoral, um über sie auch die Erwachsenen zu erreichen, sondern umgekehrter Weg - Christsein ist Gemeindesein (gegen Individualismus): Jeder weiß sich angesprochen und gefordert. b. Zwei Typen von Basisgemeinden: a. Integrierende Basisgemeinden: Sie stehen in enger Verbindung mit Pfarrer, Bischof (auch von Puebla betont) und wollen als erneuernde geistliche Kraft das Funktionieren der kirchlichen Institutionen verbessern. b. Kontestierende Gemeinden (span. "contestación" = Erwiderung, Antwort,Wortwechsel): Ihr Schwerpunkt liegt in der ausserkirchlichen Arbeit: Basis bedeutet hier Volk, Arme, bisweilen auch ausgebeutete Klasse ... Auch sie gehen aus vom Evangelium, sie engagieren sich aber gegen ungerechte Strukturen nicht nur in der Gesellschaft, sondern notfalls auch innerkirchlich durch Kritik an mangelnder Solidarität mancher Bischöfe mit den Armen... c. Die Bedeutung der Hl. Schrift: Das Hauptproblem der Basisgemeinden ist aufgrund des Priestermangels das Fehlen der Eucharistie, weshalb die Schriftlesung eine zentrale Stellung im Leben der Gemeinde hat. Es ist dies eine "Relectura" der Bibel vor dem Hintergrund der eigenen Unterdrückung: Während WIR - weitab von existentieller Bedrohung - die BIBEL zu verstehen versuchen, um unser Leben danach auszurichten, versucht man DORT das eigene LEBEN (in all seiner E. MANN 257 Erbärmlichkeit) zu "lesen" und zu verstehen - und findet die eigene Situation in vielen Texten der Bibel wieder... So wird die Bibel den Armen zum "Buch des (je eigenen) LEBENS"! Bevorzugte Schriftstellen der Befreiungstheologie sind: Ex 3, 7 ff "Der Herr sprach (zu Mose): Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreissen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen..." Dtn 26,5b-9 "Die Ägypter behandelten uns schlecht, machten uns rechtlos und legten uns harte Fronarbeit auf. Wir schrien zum Herrn, dem Gott unserer Väter, und der Herr hörte unser Schreien und sah unsere Rechtlosigkeit, unsere Arbeitslast und unsere Bedrängnis. Der Herr ... brachte uns an diese Stätte und gab uns dieses Land, in dem Milch und Honig fließen." Lk 1, 46 ff "Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten; er zerstrreut, die im Herzen voll Hochmut sind, er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen..." Lk 4, 18 ff "(Jesus) schlug das Buch auf und fand die Stelle (Jes 61), wo es heißt: Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe..." Lk 6, 20-26 Seligpreisung der Armen und Weherufe über die Herrschenden... Methodisch ist die Befreiungstheologie gekennzeichnet durch den Dreischritt: Sehen: Verarmung als Kehrseite der Bereicherung ("Wir sind arm, weil ihr reich seid"); Urteilen: Erkennen des hinter der eigenen Situation stehenden Systems, das eindeutig von der Sünde geprägt ist; Handeln: Praxis ist nicht nur "Sozialarbeit" , sondern - als Dienst am Nächsten - auch zugleich Gottesdienst (Verschmelzen des LEBENS im Ganzen, d. h. Sakrales mit dem Profanen, Gottesdienst mit dem Weltdienst) 5. LATEINAMERIKANSICHE DOKUMENTE ZUR BEFREIUNGTHEOLOGIE a. ZWEITE GENERALVERSAMMLUNG DES LATEINAMERIKANISCHEN EPISKOPATS IN MEDELLIN (Kolumbien)1968: In die Basisgemeinden Lateinamerikas ist bereits Leben und Bewegung gekommen. Die Befreiungstehologie wird zwar nicht eigens genannt, doch sind die Aussagen von ihr inspiriert. Innerkirchliche Strukturen werden kritisch hinterfragt, Reformen gefordert. Wichtige Aussagen: E. MANN 258 Am Anfang steht -kennzeichnend für die Befreiungstheologie - eine Analyse der sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Situation in Lateinamerika: Hunger und Elend, Massenerkrankungen und Kindersterbichkeit, Analphabetismus, enorme Lohnunterschiede und Spannungen zwischen den sozialen Klassen ("interner Kolonialismus" 27), Gewaltbereitschaft ("institutionalisierte Gewalt" 35) u. a. Diese menschenunwürdige Situation wird als "Zustand der Sünde" verstanden. "In der Heilsgeschichte ist das Werk Gottes eine Handlung der ganzheitlichen Befreiung und Förderung des Menschen in seiner vollen Dimension, die als einzigen Beweggrund die Liebe hat" (18) Jesus Christus ist Mensch geworden, "um alle Menschen aus der Knechtschaft zu befreien, in der sie die Sünde, die Unwissenheit, der Hunger, das Elend und die Unterdrückung und der Hass gefangenhalten, die ihren Ursprung im menschlichen Egoismus haben. Kulturelle Liberación (Handschrift vom brasilianischen Pädagogen Paolo Freire): Analphabetismus und Unwissenheit sind eine unmenschliche Knechtschaft der Menschen: "Sie müssen befreit werden von ihren Vorurteilen nd ihrem Aberglauben, von ihren Minderwertigkeitsgefühlen und Hemmungen, von ihrem Fatalismus, von ihrer ängstlchen Verständnislosigkeit gegenüber der Welt, in der sie leben, von ihrem Misstrauen und ihrer Passivität" (49 f) Eine emanzipatorische Erziehung ist der Schlüssel in diesem Befreiungsprozess. Die Kirche erklärt sich solidarisch mit den Armen und will ausdrücklich auf ihrer Seite stehen und ihnen die Frohbotshaft verkünden. (133-139) Förderung der Basisgemeinden: "Die christliche Basisgemeinschaft ist so der erste und fundamentale kirchliche Kern, der sich in seinem eigenen Bereich für den Reichtum und die Ausbreitung des Glaubens, wie auch für die des Kultes, der sein Ausdruck ist, verantwortlich machen muss. Sie ist die Kernzelle kirchlicher Strukturierung, Quelle der Evangelisierung und gegenwärtig der Hauptfaktor der menschlichen Förderung und Entwicklung" (72) b. DRITTE GENERALVERSAMMLUNG DES LATEINAMERIKANISCHEN EPISKOPATS IN PUEBLA (Mexiko) 1979: Inzwischen war es (nach Medellin) zu einer großen Verbreitung der Befreiungstheologie gekommen, auf dem ganzen lateinamerikanischen Kontinent (v. a. in Brasilien) waren Basisgemeinden aus dem Boden gewachsen, aber der optimistische Schwung der Anfangszeit war verlorengegangen: Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme hatten sogar an Schärfe zugenommen, dazu kamen innerkirchliche Spannungen. Das Dokument von Puebla ist denn auch nüchterner und ernster abgefasst. Wichtige Aussagen: Scharfe Kritik am Kapitalistischen System sowie an den multinationalen Konzernen (492) Verurteilung der "Ideologie der nationalen Sicherheit", in deren Folge der Einzelne den Staatsinteressen völlig untergeordnet wird. Der Wille des Staates wird als Wille der Nation ausgegeben, "die Unsicherheit des Einzelnen institutionalisiert" (314) Apell, die unverzichtbare Würde des Menschen und die Menschenrechte zu achten, denn "alles das, was der Würde des Menschen Abbruch tut, verletzt auf die eine oder andere Weise auch Gott selbst" (Botschaft an die Völker Lateinamerikas 3) E. MANN 259 Umfassende Sicht der Liberación (483) Noch entschiedenere Option für die Armen: "Das trifft insbesondere für unsere Urbevölkerung, die Landbevölkerung, die Arbeiter, die Randgruppen in den Städten und in starkem Maße für die Frau in diesen sozialen Schichten aufgrund ihrer Unterdrückung und ihrer Randstellung zu."(1135) Die Basisgemeinschaften sind für die Kirche "Anlass zu Freude und Hoffnung" (96) 6. DER KONFLIKT UM DIE BEFREIUNGSTHEOLOGIE a. Die Instruktion der römischen Glaubenskongregation "Libertatis nuntius" (1984) bezieht kritisch Stellung zu einigen Aspekten der Theologie der Befreiung: - Die Hinwendung zur "Marxistischen Analyse": Man dürfe nicht vergessen, "dass der Atheismus und die Negation der menschlichen Person, ihrer Freiheit und ihrer Rechte im Zentrum der ganzen marxistischen Anschauung stehen." Wer daher die Theologie durch eine "Analyse" vervollkommnen will, "deren Interpretationsnormen von dieser gottlosen Konzeption abhängen", der verstricke sich notwendig in verhängnisvolle Widersprüche. (DS 4734) - Das Eintreten in den Klassenkampf (die Reichen als prinzipielle Klassenfeinde) als ein Erfordernis der Liebe: Man könne nicht den Willen verwerfen, schon jetzt (und nicht erst nach dem Sieg der Revolution) jeden Menschen zu lieben und ihm gewaltlos (Gespräch und Überzeugungsarbeit) zu helfen. (DS 4736) - Die Kirche als ausschließlich geschichtliche Größe: Die eigentliche Wahrheit der Kirche bestehe darin, dass sie "eine Gabe der göttlichen Gnade und ein Geheimnis des Glaubens ist" (DS 4737) - Die Kirche der Armen (Volkskirche) als eine Klassenkirche: Man werfe den Armen der Hl. Schrift und das Proletariat des K. Marx heillos durcheinander. Dadurch werde "die christliche Auffassung vom Armen entstellt" (DS 4738) - Die Infragestellung des "sakramentalen und hierarchischen Gefüges der Kirche" (DS 4741): Das Volk könne sich eben nicht "gemäß den Erfordernissen seiner geschichtlichen und revolutionären Aufgabe" selbst nach eigenem Gutdünken seine Amtsdiener wählen! 1985 folgte eine Notifikation der Glaubenskongregation zu L. Boffs Buch "Kirche - Charisma und Macht" (Düsseldorf 1981) b. Die (zweite) Instruktion der Glaubenskongragation "Libertatis conscientia" (1986) versucht "die grundlegenden Elemente der christlichen Lehre über Freiheit und Befreiung" vorzulegen. E. MANN 260 KATH. SOZIALLEHRE THEOLOGIE DER BEFREIUNG Ausgangssituation In Europa in der 2. Hälfte des 19. Jhs. Massenarmut der Arbeiter im Gefolge des Industrialisierungsprozesses In Lateinamerika in der 2. Hälfte des 20. Jhs. Massenarmut der (Land-) Arbeiter als Folge von Rassismus (Ureinwohner, Mischlinge) Machismo (Vorherrschaft des Mannes) Kapitalist. Wirtschaftssystem (Konzerne) Militarismus (Ideologie der "nationalen Sicherheit" als Vorwand der Machtelite, Sozialreformen = Kommunismus zu bekämpfen) Grundintention Kampf der Amtskirche (Seite an Seite mit den Mächtigen) gegen die aufkommenden Freiheitsideen (Gewissen-, Religions-, Presse, Meinungsfreiheit; demokratische Verfassungen) und Erneuerung der Gesellschaft auf der Grundlage der neuscholastischen Soziallehre Kampf der lateinamerikanischen Kirche (Seite an Seite mit den Armen) gegen das herrschende kapitalistische Wirtschaftssystem und Aufbau einer gerechteren Welt als konkreter Ausdruck christlicher Nächstenliebe (Option für die Armen) (Restauration) ("Revolution") Gottesbild Deistische Färbung, d. h. Gott als geschichtsloser Schöpfer der Welt, der in seiner Ewigkeit die Seinsgesetze der Weltordnung aufgestellt hat und über Welt und Kosmos thront. "Befreiung" als "Erlösung" betrifft nur den ethischen Bereich "Sünde". Biblischer (atl.) Gott der Befreiung des Menschen aus allen Formen der Unterdrückung. "Erlösung" als "Befreiung" umfasst alle Dimensionen der menschlichen Existenz, auch die soziale. Aufgabe der Kirche Nach der Säkularisation Zielvorstellung einer Re-Christianisierung und normativen Gestaltung der Gesellschaft auf der Grundlage der kath. Soziallehre: Einsatz für Gerechtigkeit und Beteiligung an der Umgestaltung der Welt (= umfassende Befreiung) als Wesensbestandtteil der christlichen Frohbotschaft Ewiges Heil vor irdischem Wohl (Aufbau des Reiches Gottes) (Aufbau einer menschlicheren Welt und damit Wachstum des Reiches Gottes) E. MANN 261 Stellung des Laien In der "Katholischen Aktion" Mitarbeit und Teilhabe am hierarchischen Apostolat der Kirche = Unterordnung unter die und prakt. Umsetzung der Leitlinien der Hierarchie Im Verständnis der Kirche als "Volk Gottes" gemeinsame Verantwortung aller Mitglieder der Basisgemeinden beim Aufbau des Reiches Gottes Theorie - Praxis Ableitung ethischer Konkretionen von den in der "christlichen Philosophie" (am Schreibtisch) erarbeiteten überzeitlichen "Wesenheiten" Theologie in ständiger Wechselbeziehung zum Leben in den Basisgemeinden (Seelsorger als Theologen), d. h. Theologie als Reflexion von Orthopraxie Erkenntnisquelle Sozialphilosophische Begründung (Naturrecht) ohne Bezug zur Offenbarung Befreiungspraxis und daran anschließende Reflexion = Vernunft (soziale Analyse) und (jüdische und christliche) Traditionen als Grundlage einer Befreiungsethik Ausdehung Antworten auf die sozialen Probleme in Europa und Ausklammerung der anderen Kontinente (inkl. Kolonialismus, Imperialismus, Sklaverei u. a.) Öffnung zu einer zwar universalen, aber polyzentrisch gestalteten Kirche Eurozentriertheit der nichteuropäischen Kirchen (vgl. Mission) (Befruchtung der europäischen Kirche und Theologie) Ideologieverdacht Sie hat sich dem Faktum der Vorwurf einer marxistischen Ideologie, in Geschichtlichkeit weitgehend entzogen und deren Konsequenz der Kommunismus liege. eine überzeitliche Sozialdogmatik als Schutzwall um die Spezialdogmatik geschaffen (Ideologie des spätkapitalistischen Bürgertums) E. MANN 262 PERSONALER GLAUBE A) Fragwürdige, weil einseitige Definitionen: 1) GLAUBE = GEFÜHLSSACHE: Feierlichkeit, Gemeinschaftserfahrung, schöner äußerer Rahmen bringen eine Saite im Menschen zum Schwingen... Und der Verstand? Glaube darf kein blinder Glaube sein. Er hat einen Inhalt und muss kritischen Anfragen standhalten können, stets bereit, "Rede und Antwort zu stehen" (1 Petr 3,15) 2) GLAUBE = VERSTANDESSACHE: Aneignung von Lehren, Wahrheiten, Dogmen, Definitionen, "Geheimnissen". Verflachung zu einer bloßen Ideologie, mit deren Hilfe alles erklärt werden könnte... Und der "Rest" des Menschen? Der Mensch antwortet einem Anruf Gottes und über-antwortet sich als ganzer (II. Vatikan. Konzil) Kein nüchterner, kopflastiger Glaube! 3) GLAUBE = PRIVATSACHE: Kein äußeres Bekenntnis; "Mein Glaube geht niemanden etwas an." "Das mach ich mir mit meinem Herrgott aus." Weltveränderung? Jeder muss mit sich selbst zurechtkommen! Und die anderen? Jeder ist auf die Gemeinschaft der Glaubenden angewiesen, er hat empfangen und soll sein Zeugnis weitergeben. "Ein Christ ist kein Christ!" (Tertullian) 4) GLAUBE = NICHTWISSEN: Es gibt keinerlei Beweise, alles ist unsicher; letzte klare Antworten bleiben aus. Und das Vertrauen in die Person Jesu? Zwischenpersonales Vertrauen verlangt keine Beweise und gibt dennoch größte Sicherheit! Glaube muss sich täglich in der Praxis bewähren! B. Positive Glaubensbestimmung 1) Christlicher Glaube ist p e r s o n a l e r Glaube: Er hat wesentlich und primär nicht Glaubenswahrheiten und Dogmen zum Gegenstand ("WAS Christen glauben"), sondern mit Jesus Christus eine Person ("WEM Christen glauben") Aus dem JA zu Christus resultiert dann auch die Zustimmung zu seiner Botschaft und die Identifikation mit der "Sache Jesu" nach seinem Tod. (Kirche als Heilssakrament) 2) Glaube ist V e r t r a u e n: Man "leiht" dem anderen nicht nur ein aufmerksames "Ohr" für dessen (überzeugende) Darlegungen, sondern man "schenkt" ihm sein ganzes "Herz" (credere = cor dare) Solcher Glaube steht aber nicht - als willkürliche Entscheidung - am Anfang der Begegnung mit Gott, sondern ist das Ergebnis einer vorangegangenen Geschichte Gottes mit dem Menschen, in der er (zuerst) seine liebevolle Zuwendung "unter Beweis gestellt" hat. 3) Christlicher Glaube heißt primär nicht Bejahung einer Dogmatik, sondern Leben einer christlichen E t h i k: "Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt." (Mt 7,21) (Orthopraxie v o r Orthodoxie) 4) Glaube ist ein W e g, eine ständige Herausforderung, mit der man nie zu Ende kommt: Er muss täglich neu bejaht (Glaubensentscheidung) und bekannt (Glaubensbekenntnis) werden. Den "Glauben bekennen" heißt "sich selbst bekennen und stehen zu einer Beziehung", in der man lebt. (Glaubensbiographie als Credo. Vgl. Ältestes bibl. Credo Dtn 26,5-9) 5) Glaube ist B e g e g n u n g, in der ein DU sich uns zuwendet: Offenheit und Bereitschaft zum Hören (Stille) und ein (sich selbst) Aussprechen (Gebet) sind wichtigster Ausdruck des Glaubens. Seinen Höhepunkt findet er in der L i e b e: In ihr ist die höchste Form der Gewißheit erreicht, der sicherste Halt im Leben des Menschen (hebr. aman = fest sein, Bestand haben; vgl. "Amen"): "Glaube ist Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht." (Hebr 11,1) 6) Glaube ist wie jedes zwischenpersonale Vertrauen letztlich ein W a g n i s, ein Eintausch alter Sicherheiten gegen die Hoffnung auf heilvolle Geborgenheit: In ständiger Unruhe und immer neuen Anläufen sucht er nach der letztlich unbeweisbaren Gewißheit (Glaubenszweifel) Ein "LiebesBeweis" ist ein Widerspruch in sich! 7) Glaube ist ein G e s c h e n k: Er kann nicht gefordert oder erzwungen, sondern nur dankbar angenommen werden. "Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt" (Joh 15,16) E. MANN 263 GLAUBENSBEKENNTNISSE A. PROBLEMFELD: Das überzeugendste (indirekte) Bekenntnis ist das aus dem Glauben (oder auch Unglauben) heraus gestaltete Leben: Auf die Frage: "Was tust Du, wenn Du einen Menschen für Christus gewinnen willst?", sagte Clemens v. Alexandrien: "Ich lasse ihn ein Jahr in meinem Hause wohnen." Zurecht fragen die ersten Jünger daher Jesus nicht nach den Grundsätzen seiner Lehre, sondern: "Meister, wo wohnst Du?" Und Jesus will sich ihnen zu erkennen geben in der Einladung "Kommt und seht" (Joh 1, 38 f); bzw. später: "Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht." (Mt 11, 5ff) Eine Konsequenz dieser Grundwahrheit ist die Entstehung des christlichen Ordenswesens, eine weitere die Form christlicher Missionstätigkeit. Es gibt (direkte) Bekenntnisse nonverbaler Art und verbaler Art (Credo / Symbolon) Die wichtigsten nonverbalen sind: Symbol der Hoffnung, der Beständigkeit und der Treue. In der Hoffnung auf die Verheißung der baldigen Rückkehr Christi auf Erden haben die ersten Christen "einen sicheren und festen Anker der Seele" (Hebr 6, 19) Früher auch ein verstecktes Kreuzsymbol. Symbolische Nähe zum Lebenselement Wasser. Eines der ältesten Geheimnissymbole für Christus (zunächst mit Bezug auf die Wassertaufe, dann im griechischen Wort "ICHTHYS" als Akrostichon der Wörter "Jesus Christus, Gottes Sohn, Retter" gedeutet) Ende 1.- Mitte 4. Jh. Symbol der Erlösung: Zunächst Schandpfahl (Apg 10,39; Gal 3, 13), Ärgernis und Torheit, für die Christen aber "Gottes Kraft" (1 Kor 1, 18) Formen: 1 Ankerkreuz 2 Andreaskreuz 3 Ägypt. Kreuz 4 Lanzenförmiges Kreuz 5 Hakenkreuz 6 Griechisches Kreuz 7 Hugenottenkreuz 8 Lateinisches Kreuz 9 Doppeltes Kreuz 10 Lothringer Kreuz 11 Malteserkreuz 12 Päpstliches Kreuz 13 Krückenkreuz 14 Tauförmiges Kreuz 15 Kleeblattkreuz 16 Russisches Kreuz E. MANN 264 Beim verbalen Bekenntnis gibt es das personale Bekenntnis (Lebensgeschichtliches Zeugnis) das Symbolon (Glaubensartikel als Erkennungszeichen) "Ich bekenne mich zu..." Vgl. Dtn 26, 5-9; S. Stoiber; P. Mönnigmann: Erzählen der eigenen Geschichte als einer Heilsgeschichte: "Meinen Glauben bekennen" = "Mein Leben mit Gott erzählen" und dazu stehen. Vgl. Beil. "Der Mensch vor Gott". "Ich bekenne etwas..." Vgl. Höre Israel; Nicäno-Konstantinopolitan. Credo u. a. Eine formelhafte, in ihrem Wortlaut festgelegte und meist knappe Zusammenfassung der Kernpunkte einer Religion. Das Symbolon kann sein offene Rede (Symbolon) zudeckende Rede (Credo) die zu denken / reden / tun aufgibt, da sie Raum lässt für Denkmöglichkeiten, Phantasie… D. h. metaphorische Rede (in Symbolen, Bildern, Geschichten etc.) d. h. Reden in Unbestimmtheiten, in AnSpielungen, zwischen den Zeilen (von Gott etwa als der Liebe, vom Glauben als einer personalen Beziehung u. a.) (Kommunikationsfördernd) die Bescheid gibt und Raum lässt lediglich für ein Ja oder ein Nein. D. h. Rede in abstrakten Definitionen mit dem Ziel der Abgrenzung / Eingrenzung / Ausgrenzung.*) D. h. Reden in exakt definierter Begrifflichkeit (von der Trinität, der hypostatischen Union, der Transsubstantiation u. a.) (Kommunikationshemmend) *) Eines Tages machte der Teufel mit einem Freund einen Spaziergang. Sie sahen, wie sich vor ihnen ein Mann bückte und etwas aufhob. "Was hat dieser Mann gefunden?" fragte der Freund. "Ein Stück Wahrheit", sagte der Teufel. "Beunruhigt dich das nicht?" fragte der Freund. "Nein, durchaus nicht", sagte der Teufel, "ich werde ihm gestatten, ein religiöses Glaubensbekenntnis daraus zu machen." (A. de Mello, Warum der Vogel singt) Glaubenszeugnisse/ -bekenntnisse entwickeln sich. Z.B. Anlass Geburtstag der Mutter: 4-jähriger Sohn: Gedicht (FORMEL), 8-jähriger Sohn: Äußere Gabe als Geschenk (OPFER), 12-jährige Tochter: Blumenstrauß (SYMBOL), 17-jährige Tochter: Übernahme der Haushaltspflichten als Zeichen des Dankes (TAT), Ehemann: Liebevoller Blick und wortlose Umarmung Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in der Geschichte des Petrus erahnen, der sich emphatisch und bedingungslos zu Jesus bekennt, der alles verlassen hat und 3 Hütten bauen will, der ihn mit dem Schwert verteidigen will und sogar den Tod riskiert, dem schließlich müde geworden - ein ausdrückliches Bekenntnis gleichsam "abgerungen" werden muss: "Du weißt ja, dass ich Dich liebe." (Joh 21, 15 f) Glaubenszeugnisse und - bekenntnisse sind risikobefrachtet: Hinter allem "Stehen zu.." bleibt letztlich ein Fragezeichen! Glaubensbekenntnis wie auch Unglaubensbekenntnis werden je voneinander verunsichert durch das kleine Wort "Vielleicht...", und auch ein Wechsel der Seiten kann diesen Rest an Unsicherheit nicht beseitigen! "Eines Tages kam ein gelehrter Mann, der von einem frommen Rabbi gehört hatte, und wollte mit ihm über die Existenz Gottes diskutieren. Er war zwar Kind gläubiger Juden, konnte aber seit geraumer Zeit mit dem Gott seiner Eltern nichts mehr anfangen. Als er nun in die Stube des Rabbiners trat, ging dieser gerade - tief in Gedanken versunken - mit einem Buch in der Hand auf und ab. Er schien den Ankömmling nicht einmal gesehen zu haben. Aber auf einmal blieb er stehen, warf einen flüchtigen Blick auf den Professor, der da zu ihm gekommen war, und murmelte vor sich hin: "Vielleicht ist es aber doch wahr!" Den gelehrten Mann durchfuhr es. Er hatte keine Antwort parat auf eine so einfache Aussage. Als er nun in das Gesicht dieses Frommen sah, schlotterten ihm die Knie. "Mein Sohn", sagte E. MANN 265 der Rabbi nun, sich dem Gast voll zuwendend, "die Theologen haben dir Gott und sein Reich nicht auf den Tisch legen können, und ich kann es auch nicht. Aber bedenke: Vielleicht ist es wahr!" Diesem furchtbaren "Vielleicht" konnte der Gelehrte nichts entgegenhalten. Glaubenszeugnisse und - bekenntnisse sind eine Ant-Wort (dialog. Aspekt) in Richtung Gott, der sich zuerst zum Menschen bekannt hat; in Richtung Geschichte (Vergangenheit), die ich als Wurzel (initium und prinzipium) bejahe und vergegenwärtige; in Richtung Gegenwart, von deren negativen Einflüssen ich mich absetze (Taufgelübde: "Ich widersage..."); in Richtung Zukunft, die ich unter ein bestimmtes Vorzeichen (=Versprechen) setze (Ehe: "Dich will ich lieben..") B. BIBLISCHE BEKENNTNISSE: AT: Inhalt: Israel bekennt sich (antwortend!) zu seinem Gott, der sich durch die Geschichte hindurch immer wieder als sein Retter erwiesen hat (Schema: Er - unser Gott, Wir - sein Volk; vgl. Bundesformel "Jahwe - der Gott Israels; Israel - Jahwes Volk") Form: Es gibt individuelle Kurzbekenntnisse, die im Alltag angesiedelt sind: "Du bist mein Gott", "Der Herr ist mein Gott" (# Credo etwa im Rahmen der Messe), aber auch liturgische / gemeindliche Glaubensbekenntnisse ("Höre Israel"; Kleines histor. Credo, s.o.) NT: 1. Eingliedrige Formeln: JESUS a. Hoheitstitel, die man Jesus beilegt: Vgl. das Petrusbekenntnis "Du bist der Messias" (Mk 8, 29) und seine Erweiterung (Mt 16, 16-19) b. Kurze Bekenntnisformeln: "Herr ist Jesus" (1 Kor 12, 3; Röm 10,9); "Gott hat Jesus von den Toten auferweckt" (Röm 10,9); "Christus ist für uns gestorben" (Röm 5, 6) u. a. c. Entfaltete Formeln: Ältestes Zeugnis von Tod und Auferstehung Jesu (1 Kor 15, 3-5 - Wir glauben) 2. Zweigliedrige Formeln: GOTT der VATER / JESUS der HERR: "Wir haben nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr Jesus Christus." (1 Kor 8, 6; vgl. 1 Tim 6, 13) 3. Dreigliedrige Formeln: VATER - SOHN - GEIST "Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott" (1 Kor 12, 4f) Taufe "auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes" (Mt 28, 19) E. MANN 266 C. GLAUBENSBEKENNTNISSE DER JUNGEN KIRCHE: 1. Das Apostolische Glaubensbekenntnis: Ignatius v. Antiochien (+ ca 110) ermahnt in einem Brief die kleinasiatische Gemeinde von Tralles: "Seid also taub, wenn jemand zu euch redet ohne Jesus Christus, der aus dem Geschlecht Davids, aus Maria stammt, der wirklich geboren wurde, aß und trank, wirklich verfolgt wurde unter Pontius Pilatus, wirklich gekreuzigt wurde und starb vor den Augen derer, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind, der auch wirklich von den Toten auferweckt wurde, indem ihn sein Vater auferweckte; dementsprechend wird sein Vater auch uns, die an ihn glauben, ebenso auferwecken in Christus Jesus, ohne den wir das wahre Leben nicht haben." Hippolyt von Rom (+ ca 235) beschreibt in seiner 215 erschienenen Schrift "Traditio apostolica" auch den röm. Taufritus: "Wenn also der Täufling in das Wasser hinabsteigt, soll der Taufende ihm die Hand auflegen und ihn so ansprechen: Glaubst Du an Gott, den allmächtigen Vater? Und der Täufling soll antworten: Ich glaube. Und sogleich soll der, der die Hand auf seinem Haupt liegen hat, ihn ein erstes Mal taufen. Und danach soll er sprechen: Glaubst Du an Jesus Christus, den Sohn Gottes, der geboren ist durch den Hl. Geist aus Maria der Jungfrau, gekreuzigt unter Pontius Pilatus, gestorben und begraben, am dritten Tag lebend von den Toten auferstanden, aufgefahren in den Himmel, der sitzt zur Rechten des Vaters und kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten? Und wenn jener geantwortet hat: Ich glaube, wird er wiederum getauft. Und wiederum soll er sprechen: Glaubst Du an den Heiligen Geist und die Heilige Kirche und die Auferstehung des Fleisches? Der Täufling soll antworten: Ich glaube. Und dann wird er ein drittes Mal getauft. Und nachdem er hinaufgestiegen ist, soll er mit dem geweihten Öl gesalbt werden vom Presbyter, der dabei sagt: Ich salbe Dich mit heiligem Öl im Namen Jesu Christi. Und so sollen dann die einzelnen (Täuflinge) sich abtrocknen und ankleiden und in die Kirche eintreten." Aus der Taufformel (Frage - Antwort) entwickelten sich als einseitig vom Taufwerber gesprochener Text ("Ich glaube...") das Romanum (3. Jh.) und dessen Ausgestaltung (Kursivdruck) zum Apostolischen Glaubensbekenntnis (4./5. Jh.): "Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen." Im 5. Jh. wandert dieses Glaubensbekenntnis von der Tauffeier in die Eucharistiefeier, wo es heute noch seinen festen Platz hat. Im 6. Jh. begegnet in einer Augustinus zugeschriebenen E. MANN 267 Predigt erstmals die Legende über seine Entstehung, die sicherlich "apostolisches Urgestein" unter den Schichten der redaktionellen Gestaltung erkennen lässt: "Am zehnten Tag nach der Himmelfahrt waren die Jünger versammelt in Furcht vor den Juden. Da sandte ihnen der Herr den verheißenen Hl. Geist. Alle wurden wie von glühendem Feuer entflammt; und mit der Wissenschaft aller Sprachen erfüllt, verfassten sie das Glaubensbekenntnis. Petrus sagte: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen... Andreas sprach: Und an Jesus Christus, seinen Sohn... Matthias sagte: Und an das ewige Leben. So durch den Hl. Geist wie Gold durch Feuer geprüft, zogen die Apostel, die sich bisher für unwürdig gehalten hatten, mutig aus, um aller Kreatur das Evangelium zu verkünden, wie der Herr es ihnen geboten hatte." 2. Von den ersten Konzilien formulierte Bekenntnisse: Mit dem Auftreten verschiedener Irrlehrer (Abgrenzung unterstrichen) sah sich die Kirche gezwungen, den Glaubensstandpunkt in umfangreicheren Glaubensbekenntnissen möglichst prägnant herauszustellen und abzusichern: Glaubensbekenntnis der Kirchenversammlung Glaubensbekenntnis der Kirchenversammlung von Nizäa (325) = von Konstantinopel (381) = Nizänisches Credo Nicaeno-Konstantinopolitanisches Credo Wir glauben an den einen Gott, den Ich (Wir) glaube(n) an den einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer aller sichtbaren allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und unsichtbaren Dinge, und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, und an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, als Einziggeborener gezeugt vom Vater, das heißt aus der Wesenheit des Vaters, Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesenseins mit dem Vater, durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf Erden ist, der um uns Menschen und um unseres Heiles willen herabgestiegen und Fleisch und Mensch geworden ist, gelitten hat und am dritten Tage auferstanden ist, aufgestiegen zu den Himmeln und kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten, und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes ein(zig)geborenen Sohn. Er ist aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen. Er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau, und ist Mensch geworden. Gekreuzigt wurde er sogar für uns. Unter Pontius Pilatus hat er den Tod erlitten und ist begraben worden. Er ist auferstanden am dritten Tage gemäß der Schrift, er ist aufgefahren in den Himmel und sitzet zur Rechten des Vaters. Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, Gericht zu halten über Lebende und Tote, und seines Reiches wird kein Ende sein. und an den Heiligen Geist. Ich (Wir) glaube(n) an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, der vom Vater (und vom Sohne) ausgeht. Er wird mit dem Vater und dem Sohne zugleich angebetet und E. MANN 268 verherrlicht. Er hat gesprochen durch die Propheten. Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Ich bekenne die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt. Amen. 3. Ausblick: Das Nicaeno-Konstantinopolitanische Credo verdrängte in der römischen Liturgie das ursprüngliche "Romanum", während Karl d. Gr. es als Taufformel einheitlich vorschrieb. Erst im 9./10. Jh. verschaffte sich das Taufbekenntnis Karls d. Gr. wieder Eingang in die römische Taufliturgie. Anfang des 11. Jhs. führte Benedikt VIII. das "große" Credo in die sonntägliche Eucharistiefeier ein. Seit der Liturgiereform im Rahmen des II. Vat. Konzils kann auch das kürzere Apostolicum in der Sonntagsmesse (nach Evangelium und Predigt) gebetet werden. Wie befrachtet und damit nicht praktikabel solche Symbola werden können, zeigt das viele Seiten umfassende und daher kaum bekannte Credo Papst Pauls VI. Da derart umfangreiche Glaubensbekenntnisse nur unter großen Schwierigkeiten angeeignet werden können, versuchte man in den letzten Jahrzehnten erneut, in "Kurzformeln des Glaubens" das Wesentliche zur Sprache zu bringen. E. MANN 269 DIE MENSCHWERDUNG DER SUSI S. (E. Mann nach einem Entwurf von S. Stoiber) Im Religionsunterricht in einer Abschlussklasse einer Wiener HAK ging es um das Thema "Gebet". Nach anfänglichen Bedenken und Widerständen seitens der Schüler packten sie - zunächst noch mündlich - ihre ganz persönlichen Glaubens- und Unglaubensbekenntnisse aus, in der Hoffnung freilich, sich damit der (vom Lehrer erbetenen) mühsamen Arbeit der schriftlichen Formulierung entziehen zu können. Im Laufe des Gesprächs begann dann aber doch einiges zu keimen in ihren Köpfen und in ihren Herzen, und nach und nach begannen sie zu schreiben... S. Stoiber wählte als Form ihres Bekenntnises den Schöpfungshymnus Gen 1. Inhaltlich aber wurde es - ohne dass es ihr bewusst gewesen sein dürfte - zu einem modernen Abbild des ältesten Glaubensbekenntnisses der Bibel, wie es im Buch Dtn 26, 5-9 vorliegt: Wird dort das Befreiungshandeln Gottes am auserwählten Volk in den einzelnen Stationen seines Weges erzählt und schlussendlich - im Wechsel zur 1. Person Singular im Vers 10 - persönlich beantwortet und dankbar bejaht, so handelt es sich hier um ein zentrales Stück der persönlichen Lebensgeschichte eines Menschen, das ebenfalls in ein Gebet mündet. Ein ganzes Volk (Israel) und ein einzelner Mensch (Susi S.) bekennen betend nicht "etwas" (Dogmatisches Credo), sie bekennen "sich selbst' im Rückblick auf ihre je eigene Heilsgeschichte voll Dankbarkeit zu ihrem Gott und stehen zu ihm (Lebensgeschichtliches Credo) (Vgl. G. Braulik, Sage, was du glaubst. Das älteste Credo der Bibel - Impuls in neuester Zeit, Stuttgart 1979)] Am Anfang sprac h der Arzt: Es ist gleich soweit! Und dann war ich da, ein Bündel voll Leben. Meine Umgebung war nackt und kahl, Neonlicht durchflutete den Kreisssaal, aber schier unendliche Liebe und Fürsorge ergoss sich über mich. Und meine Mutter sprach: Du bist Fleisch von meinem Fleisch, mir wie aus dem Gesicht geschnitten. Hab keine Angst, du bist nicht allein! Und in ihren Armen und unter iohren Küssen Verschmolzen wir beide auf eine neue Weise. Und es wurde Abend und es wurde Morgebn: Meine Geburt. Da sprach der Priester: Ein Kind Gottes soll sie werden Und nicht mit allen Wassern gewaschen. Und die Eltern fanden, dass das gut sei. Und sie baten Tante Herta, meine Patin zu sein, zogen mir ein weißes Kleidchen an und brachten mich zur Kirche.# Und der Priester sprach: Susi, ich taufe dich Auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes. Und es wurde Abend und es wurde Morgen: Meine Taufe. Dann sprachen meine Eltern: Gehen soll sie lernen und Sprechen Und imstande sein, auf eigenen Beinen zu stehen. Und mit Gottes Hilfe und ihrer stützenden Hände Machte ich die erste Schritte und nannte die Dinge beim Nehmen, ein jedes auf meine Art… Und es wurd Abend und es wurde Morgen: Mein Säuglingsalter. Dann sprach Gott: Lichter sollen ditr strahlen an düsteren Tagen, wenn Kummer dich trifft und Angst dich quält. Und er schenkte mir die beiden Lichter meines Lebens, E. MANN 270 verständnisvolle Eltern, die mein Zuhause sind, und meine Freundin Sabine, die treu zu mir hält.# Und ich merkte, wie gut das für mich war, und ich fühlte mich sicher und geborgen. Und es wurde Abend und es wurde Morgen: Meine Kindheit. Dann befahl Vater Staat: Das Kind muss zur Schule Und seine Anklagen entfalten, und so geschah es. Und es kam für mich mein erster Schultag Und ich lernte Lesen, Schreiben und Rechnen. Dann sprachen die Lehrer: Susi, lass die Begabungen, die du hast, nicht verkümmern, und weite deinen Horiziont. Und ich lernte Geographie und Geschichte, Biologie, fremde Sprachen. Und man fand, dass ich gut sei… Und es wurde Abend und es wurde Morgen: Meine Schulzeit. Dann sprach ich: Ich will meinen Lebenskreis öffnen Und neue Welten kennenlernen. Und ich blieb seltener zu Hause, traf mich öfters mit Freunden, ging schnell auif ein Eis und abends ins Kino, fuhr im Sommer ans eer und bestaunte die Berge, entdeckte die Wunder der Schöpfung und ahnte die Herrlichkeit Gottes… Und es wurde Abend und es wurde Morgen: Meine Jugend. Dann sprachen meine Eltern: Du musst nun dein Leben In die eigene Hand nehmen. Wir beraten dich gerne, woll es dir aber nicht verplanen nach unserem Bild und unseren Vorstellungen. Und ich fand mich allein gelassen Und spürte die Last der Verantwortung, und erst allmählich begriff ich, dass es gut so war, sehr gut sogar. Und es wurde Morgen für mich und ich wurde erwachsen, und die Sonne steht hoch am Firmament meines Lebens. Und ich danke dem Schöpfer, der es gut mit mir meint: "Gott, Du hast alles vor Jehrmillionen ins Dasein gesetzt, und immer warten die Menschen darauf, von Deiner Hand geleitet zu werden und so zur Vollendung ihres Lebens zu gelangen. Du bist noch lange nicht fertig mit mir, und ich freue mich auf neue Herausforderungen und Ziele, die mir mein Leben bringen mag. Ich möchte mich bemühen, dass Du zufrieden sein kannst mit Deinem Werk." E. MANN 271 DAS BEKENNTNIS DER PETRA MÖNNIGMANN "Sie diente Gott ihr ganzes Leben lang mit ihrer ganzen Kraft, in vollem Bewusstsein, dass sie nicht wirklich glaubte an ihn, oder besser: an das, was man von ihm lehrte, stets tätig, als ob sie glaubte, und in brennender Hoffnung, er möchte wirklich da und in ihrer Nähe sein. Als sie jung war, versuchte sie ihn zu verstehen und zufriedenzustellen, und beides misslang ihr völlig. Er schien ihr von Grund auf ungerecht: Er verlangte, "gut" genannt zu werden, und legte zugleich den Menschen grausame Schmerzen und Ängste auf; er gab Anordnungen und gestaltete die Menschen so, dass sie sündigen mussten; er gewährte keine Freiheit, keine Wahl und keine Möglichkeit zu entkommen. An ihn zu denken erfüllte sie oft mit Schrecken, bis sie es endlich lernte, sich dem Unbekannten und Unerkennbaren zu unterwerfen. Später nahm sie dann mit großer Verwunderung wahr, dass sie Gott liebte, und sie war nie imstand zu verstehen, dass jemand Gott sosehr lieben und mit ihm so viel und so lebendig umgehen kann, ohne auch nur in irgendeinem Punkt über ihn Gewissheit zu haben. Sie glaubte, dass vielleicht ein Großteil dieser Liebe Sehnsucht sei. Sie konnte sich nie ganz von dem Verdacht befreien, Theater zu spielen, wenn sie betete oder über Gott sprach oder für ihn arbeitete. Sie lernte es nie, die Schmerzen von Menschen und Tieren anzusehen, ohne selber tiefes Mitleid zu empfinden, und sie liebte Jesus, wer immer er sein mochte, wegen seines Mitgefühls mit dem Lebendigen; sie war sehr erschüttert über die Grausamkeit seines Todes. Sie blieb in seiner Kirche und arbeitete in ihr, weil sie nicht wusste, wo sie anders hingehen sollte. Sie wusste, dass sie mit all ihrer Arbeit auch nicht eines der Leiden des Menschen entscheidend ändern konnte, aber sie arbeiete so viel und so hart wie möglich, um an jedem Tag zumindest das zu erreichen, dass ein Mensch weniger leiden musste, und dann erfuhr sie großes Glück. Tief in ihrem Herzen wusste sie mit all ihrer Gewissheit, dass der unbekannte und unerkennbare und geliebte Gott sie ständig führte, aber nie verschwand ihre tödliche Furcht vor den Dingen, die dieser Gott den Menschen antut, sie gestand nur die Möglichkeit zu, dass diese Grausamkeiten sich irgendwie doch mit seiner Liebe vertrugen, und sie sah mit ungeduldiger Erwartung dem Tag ihres Todes entgegegen, wenn Gott sich selbst und seine Wege offenbart und wenn alle Ungewissheit, alle Furcht und alles Leid vorüber sind." [Petra Mönnigmann (1924-1976) war einige Jahre als Ordensschwester Gymnasiallehrerin in Deutschland. Als sie von ihrem Orden nach Indien geschickt wurde, war sie vom Elend des Landes so beeindruckt, dass sie den Orden verließ, um sich nur noch Hungernden und Kranken zu widmen. In einem kleinen Dorf gründete sie für junge Inderinnen ihren eigenen Orden, die "Dienerinnen der Armen". Sie starb 1976 bei einem Verkehrsunfall. Nach ihrem Tod fand man einen Zettel ohne Datum und Adresse, aber mit ihrer Unterschrift - dieses in englischer Sprache und in der 3. Person geschriebene geistliche Testament.] E. MANN 272 WELTBEWEGENDE HOFFNUNG "Die Welt gehört denen, die ihr die größere Hoffizung anbieten." (Teilhard de Chardin) A. Allgemeines: - Hoffnung ist fundamentales Zukunftsvertrauen. Doch darüber hinaus geht es dabei zugleich um eine verlangende Erwartung, als Sehnsucht nach dem Künftigen bzw. als geduldiges Ausharren. (Vgl. dazu Röm 8, 18-25) - Die Hoffnung steht - vielfach unbemerkt - zwischen den beiden "großen" Tugenden des Glaubens und der Liebe, sie ist aber dennoch eine weltbewegende Kraft. - Sie ist die Ur-Gebärde des Lebendigen: Geborgenheit hat ihren Grund in Liebe und Hoffnung. - Sie artikuliert die Spannung zwischen dem Schon und dem Noch-nicht. B. Unterscheidungen: Aktives Hoffen (Erwarten) Z.B. Bereitschaft, Advent, auf etwas selbst zugehen... Hoffnung leben Passives Hoffen (Warten) Hoffnung geben Z.B. Leben aus einer Mitte heraus, optimistische Grundeinstellung... Konkretes Hoffen (aus einer Not heraus) Z.B. Warten, dass endlich etwas passiert, mir begegnet ... Z.B. in Krankheit auf Gesundung, als Flüchtling auf Heimat, in Schuld auf Befreiung, in Zwietracht... in Einsamkeit... in Todesangst... Z.B. Mut machen aus einer Anteilnahme heraus, Kreativität... Anonymes Hoffen (auf Glück hin) Z.B. Das "große Glück" machen... C. Bedrohungen der Hoffnung: - Angst (als Erwartung des Unheils) - Kleinmut, Verzagtheit, Verzweiflung, Resignation (Nicht-Aushalten der Spannung) - Vermessenheit (exzessive Form) - Gleichgültigkeit (Tod der Hoffnung) D. Zeichen christlicher Hoffnung: - Das Bittgebet (Zuversicht auf die Hilfe Gottes) - Die Geduld (Tapferkeit im Ertragen von Leid) E. MANN 273 ESCHATOLOGIE (Die Lehre von den "letzten Dingen" des Menschen) A) Vorbemerkungen - Der Tod gehört zum Leben des Menschen, und doch reden wir nur vom Tod des Anderen! - Die Grundeinstellung zum Tod bestimmt auch die Einstellung des Menschen zum Leben! - Ein Reden über diese letztlich unvorstellbaren Dinge, "was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat" (1 Kor 2,9), in exakter Begrifflichkeit ist unmöglich. Aus diesem Grund spricht die Bibel darüber nur in Bildern und Gleichnissen! - Letzter Grund und Maßstab christlicher Hoffnung ist die Auferstehung Jesu! (Röm 6,3-11) B) Ursprung des Jenseitsglaubens - Die Ursehnsucht des Menschen nach einem vollkommenen Leben ohne sinnwidrigen Abbruch. Stattdessen Vorstellung einer "linearen Fortsetzung ohne Ende" (Unendlichkeit, Ewigkeit) bzw. "zyklisches" Denken (Wiedergeburt) - Fortleben in der Erinnerung und "Begegnungen" mit Toten im Traum - Analogie-Denken zum Zyklus der Natur (Herbst und Frühling) - Schlussfolgerung von der Einheit und Unteilbarkeit der Geistseele auf ihre Unzerstörbarkeit - Der Schlaf als "Bruder des Todes", Erwachen und Aufstehen als Bild für die Auferstehung - Das Verlangen nach "umfassender" Gerechtigkeit (Monströse Verbrechen, die nach einer Hölle schreien, weil menschliche Gerechtigkeit zu kurz greift.) - Erfahrungen der klinisch Toten über ein körperloses Fortleben - Die göttliche Offenbarung in Hl. Schrift, Tradition und kirchl. Lehramt C) Der Tod in christlicher Sicht Der Tod bedeutet das unwiderrufliche Ende der Zeit der Bewährung des Menschen. Die Endültigkeit des Todes ist dann eingetreten, wenn der Mensch vor Gottes Angesicht steht. Er kann nun sein ewiges Heil weder (in einem Akt der Reue) verdienen, noch (in einem Akt der Sünde) verlieren. Der Verstorbene ist somit auf die Barmherzigkeit Gottes und auf das Gebet und Opfer der Angehörigen angewiesen ("Arme"Seelen) Der Glaube an eine Reinkarnation ist dem Christentum fremd! AT: Vorstellung von einem "Schattendasein" aller (ohne Trennung Gut/Böse) im Totenreich (hebr. scheol), d. h. in der Unterwelt (im Erdinneren), wo sie - abgeschnitten vom Leben ihrer Lieben und ausgeschlossen vom gemeinsamen Gotteslob - mehr "dahinvegetieren" denn "leben". Der Gläubige freilich hofft (in den Psalmen) auf die Gemeinschaft mit Gott: "Gott ist getreu, ich werde ihn schauen." In der Spätzeit taucht der Gedanke an eine Sonderstellung ("Vorhölle") der Gerechten auf: "Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand, und keine Qual kann sie berühren." (Weish 3,1. Vgl. Apostol. Glaubensbekenntnis: Jesus ist "hinabgestiegen in das Reich des Todes") Daneben gibt es den Glauben an die Auferstehung der Toten aus der Unterwelt (Dan 12) NT: Gott ist "ein Gott der Lebenden" (Mk 12,27), weshalb die Gerechten eingehen in den "Schoß Abrahams" (Lk 16,22) bzw. ins "Paradies" (Lk 23,43) Jesus selbst ist "die Auferstehung und das Leben": "Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben". (Joh 11,25f) Paulus spricht davon, "beim Herrn zu sein". (2 Kor 5,8) D) Die Unsterblichkeit der Seele "Seele" bedeutet den Kern der menschlichen Person, das je eigene, unverwechselbare "Ich" des Menschen, das über den Tod hinaus fortbesteht, wobei es in der "Zwischenzeit" (vor der Auferstehung der Toten am Ende der Zeit) freilich seiner vollen Körperlichkeit entbehrt. Weil hier die Einheit des Menschen ("Geist in Leiblichkeit") nicht gewahrt wird (Absterben E. MANN 274 des Leibes, Weiterleben der Geistseele), spricht man auch (v. a. in der evangel. Kirche) vom "Ganztod" des Menschen und seiner "Neuschöpfung" am Ende der Zeit, ohne freilich die IchIdentität damit erklären zu können... Zwei Extreme sind hier zu vermeiden: - Primitiver Materialismus: Bis ins Detail identische Leiblichkeit mit allen Organen... - Weltloser Spiritualismus: Rein geistige, körperlose Existenz. Paulus redet nicht von einem "neugeschaffenen", sondern von einem "verklärten, verwandelten" Leib: Wie Samenkorn und Frucht grundverschieden und doch identisch seien, so sei es auch mit der Auferstehung: "Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib". (1 Kor 15,44) E) Das (besondere) Gericht Gottes Die Begegnung mit Gott im Augenblick des Todes ist zugleich auch das Stehen "vor dem Richterstuhl Christi": Alle Masken fallen, jedem Einzelnen geht die Wahrheit über sein Leben auf, ob er es endgültig "gewonnen" oder "verloren" hat. Nicht Gott spricht das Urteil, sondern der Mensch erkennt schlagartig Gutes und Böses, das er in seinem Leben getan hat! F) Das "Fegefeuer" (Zustand der Läuterung, Reinigungsort) Es handelt sich dabei wohl um schmerzliche (peinigende) Selbst-Vorwürfe des Menschen, im Wissen freilich, dass ihm letztlich (aufgrund einer aufrichtigen Umkehr zu Lebzeiten) verziehen worden ist. Dennoch bleiben die negativen Begleiterscheinungen seiner Sünden noch zu sühnen ("Sündenstrafen") Neben einer alten jüdischen und christlichen Tradition (Gebet und Opfer für arme Seelen, Ablasswesen) wird zur Begründung eines Fegefeuers v. a. auf Paulus verwiesen, der von einer Prüfung der Werke "wie durch Feuer" spricht. (1 Kor 3,13) G) Der Himmel Es ist der Zustand vollendeten Glücks in der ewigen Gemeinschaft mit Gott (Schauen Gottes "von Angesicht zu Angesicht" 1 Kor 13,12), angesprochen von Jesus selbst in vielen Bildern (Paradies, Himmlisches Hochzeitsmahl, Leben in Fülle, Licht, Frieden...) Gibt es Grade der himmlischen Seligkeit? Erhält jeder den ihm gemäßen Lohn (Mt 16,27)? Wie bei zwei unterschiedlich großen Gefäßen wird jeder auf seine Weise "voll" der Freude sein! Dass jemand "im Himmel" ist, verbürgt uns Jesu Wort an den reuigen Verbrecher bzw. die kirchliche Praxis der Heiligsprechungen. H) Die Hölle Es ist der Zustand der endgültigen Ausgeschlossenheit/des Selbst-Ausschlusses aus der Gemeinschaft mit Gott, dargestellt in den Bildworten von der Finsternis, der ewigen Pein, dem ewigen Feuer, dem Heulen und Zähneknirschen u. a. Jesu Rede davon ist immer eine Mahn-Rede mit dem Ziel, zur Umkehr zu bewegen; d. h. die Hölle ist die reale Möglichkeit der endgültigen Verwerfung, von der vielleicht aber noch nie Gebrauch gemacht worden ist?! (Kein Wissen darüber, dass ein Mensch tatsächlich Gott total verfehlt habe!) Die "Apokatastasis-Lehre" des Origines (3.Jh.), die eine Wiederherstellung der ganzen Schöpfung (inkl. Dämonen und Sündern) am Ende der Zeit als Ausdruck der L i e b e Gottes annimmt, wurde als irrig verurteilt. I) Der neue Himmel und die neue Erde Die ganze Schöpfung "seufzt und liegt in Geburtswehen" und strebt der Vollendung zu (Röm 8,22) Nach vielen Vorzeichen des Endes der Welt (Mk 13) kommen Weltuntergang, Auferstehung von den Toten, die Wiederkunft des Menschensohnes, um (das allgemeine, jüngste) Gericht zu halten (Mt 25,31 ff9), und der Anbruch eines neuen Himmels und einer neuen Erde. E. MANN 275 DAS GEBET Ausdruck unseres Glaubens an Gott 1. Bedeutung: a. Beten heißt Sprechen mit Gott wie mit einem guten Freund, dem wir alles erzählen können und der alle Freuden und Sorgen, Ängste und Nöte mit uns teilt und stets bereit ist zu helfen. Inhalt unseres Gebets wird daher all das sein, was uns tagtäglich bewegt: unsere Freuden und Traurigkeiten, Dankbarkeit und Angst, Hoffnungen und Enttäuschungen, Schmerzen und Krankheiten, Vorsätze und Überraschungen ... Wir sollten daher bewusst beten und nicht gedankenlos "plappern wie die Heiden" (Mt 6,7) b. Die entsprechende Grundhaltung angesichts des Wortes Gottes (im Gewissen, in der Hl. Schrift, im Gottesdienst, durch einen best. Menschen, durch seine Schöpfung) sollte sein Stille und die Bereitschaft zum Hören ; ehrliches Nachdenken darüber; Antwort in Wort und Tat. 2. Arten des Gebets: a. Einteilung nach ihrem Inhalt: Klagegebet - Bittgebet (für sich selbst und andere) - Bekenntnisgebet (Glaube, Sünden) Reuegebet - Lob-und Dankgebet ... b. Einteilung nach ihrer Form: Formelgebet (z.B. Vaterunser) und freies Gebet (mit eigenen Worten); Inneres Gebet (Herzensgebet), d. h. wortlose Hinwendung zu Gott, seine Gegenwart "spüren" und bejahen; Betrachtendes Gebet, d. h. sich innerlich in eine best. Situation des Lebens Jesu (anhand einer Schriftstelle, eines Bildes...) versetzen; Religiöses Lied ("Wer singt, betet doppelt'); Religiöser Tanz; c. Einteilung nach der Zeit: Tradition des kirchlichen Stundengebets in Klöstern (Laudes, Vesper u. a.); Morgen- / Tages- / Abend- / Nachtgebet; Tischgebet; 3. Gebetshaltungen: STEHEN als Zeichen der Ehrerbietung (z.B. Hören des Evangeliums) bzw. als Ausdruck der Bereitschaft, etwas in Bewegung zu setzen (vgl. Pascha-Nacht) VERBEUGEN/ KNIEBEUGE/ KNIEN/ LIEGEN als Zeichen der Unterwerfung unter Gottes Willen HÄNDEFALTEN als Zeichen der freiwilligen Bindung an seine Gebote SITZEN als Zeichen der Bereitschaft und des Empfangens (z. B. Predigt) KREUZZEICHEN als Zeichen der Bereitschaft zur Christusnachfolge 4. Jesus und das Gebet: a. Jesus ist unser Vorbild im Beten: Er hat regelmäßig am Sabbat in der Synagoge gebetet (Vgl. Lk 4,16) Er hat in entscheidenden Stunden gebetet (Lk 3,21; 5,16 u.ö.) b. Jesus mahnt uns zum beharrlichen Gebet (Mt 7,7 f; Mk 14, 38) c. Jesus verspricht eine besondere Wirkung des Gebets in seinem Namen (Joh 14,13) In der Liturgie "durch Christus, unseren Herrn. Amen." E. MANN 276 ASKESE A. WORTBEDEUTUNG: Askese (griech. askeo = üben, einüben, lat. exerceo - vgl. Exerzitien) meint das angestrengte Bemühen um Vollkommenheit, das Verzicht und Selbstverleugnung erfordert. Sie ist nicht einem bestimmten (= Kleriker-) Stand vorbehalten: "Alle Christen sind zum Streben nach Heiligkeit und ihrem Stand entsprechender Vollkommenheit eingeladen und verpflichtet." (II. Vat. Konzil, GS 42) B. ASKESE IN DEN VERSCHIEDENEN RELIGIONEN: 1. Askese erscheint vielgestaltig und oft gegensätzlich in ihrer Form und ihrem Zweck: a. Freiwilliger Verzicht, um etwas zu gewinnen: Formen des Fastens, der Abstinenz, Einsamkeit, Keuschheit, Weltflucht, Schweigen u. a. ("Die größte Offenbarng ist die Stille." Laotse) b. Selbsterniedrigung, um erhöht zu werden. c. Enthaltsamkeit, um Kraft zu erlangen (ekstatische Zustände, Befreiung von kultischer Unreinheit) d. Zur Sühne von (eigener u. fremder) Schuld 2. Askese ist in verschiedenen Stärkegraden möglich: Die gebräuchlisten Formen sind Fasten und Keuschheit, verstärkt durch Abhärtung, Züchtigung, Selbstverstümmelung bis hin zum freiwilligen Hungertod (z.B. im Jainismus) C. FORMEN DER CHRISTLICHEN ASKESE: 1. Moralische Askese: Sie bezweckt (negativ) eine Abwendung vom Bösen (metanoia = Umkehr) und (positiv) die liebende Hinwendung zu Gott und Mitmensch in der Form des Tugendstrebens. 2. Mystische Askese: Sie strebt wachsende Gotteserfahrung bis hin zum Einswerden mit ihm an durch ein Loslassen alles Eigenen und Einübung in hoffende Erwartung. 3. Kultische Askese: Sie dient der Disponierung für die Kultteilnahme durch Fasten, Nachtwachen, Vigilien, eucharistische Nüchternheit u. a. (Besondere Formen christlicher Askese sind die drei "evangelischen Räte" Armut - Gehorsam Ehelosigkeit.) D. THEOLOGISCHE DIMENSION DER ASKESE: 1. D i e grundlegende Übung (Askese) des Christen ist der Glaube ("Glaubensaskese") In ihm übersteigt der Christ die Wirklichkeit dieser Welt, er lässt sie (und damit sich selbst) auf Gott hin los. Ziel dieser Übung ist die vorgängige Bereitschaft, sich wie Abraham ohne Murren rufen zu lassen. (Glaubensgehorsam) Sie wird konkret in der Nachfolge Christi, "des Anführers und Vollenders unseres Glaubens." (Hebr 12,2) 2. In seiner Knechtsgestalt (Phil 2,7) ist Christus d e r Asket schlechthin, der die Schuld der ganzen Menschheit ans Kreuz geschleppt hat (1 Petr 2, 24) Glaubensaskese ist daher immer auch "Kreuzesaskese" (vgl. Mk 8, 34) 3. Glaubens- und Kreuzesaskese weisen über sich hinaus auf die endgültige Herrlichkeit. Wegen der Gefahr von Glaubensermüdung (Resignation, Überdruss am Religiösen) soll der Christ "wachbleiben", geduldig "ausharren" und sich allmählich von der Welt lösen ("Eschatologische Askese"; vgl. 1 Kor 7, 29ff) E. MANN 277 FASTEN 1. Fasten in den Religionen: - Ausdruck der Trauer - reinigende Kraft (Opfer, Sühne für begangenes Unrecht) - Abwehr lebensbedrohender magischer Kräfte (v. a. in den "kritischen" Zeiten des Lebens) - Versetzung in Ekstase (als Vorbereitung eines unmittelbaren Kontakts mit dem Göttlichen in Traum, Offenbarung, Trance…) 2) Christliches Fasten: Anfangs in bewusster Unterscheidung von den Pharisäern (Dienstag u. Donnerstag) ein wöchentliches Fasten Mittwoch und Freitag, später nur noch Freitagsfasten. (Heute: persönliches Opfer bzw. Werk der Nächstenliebe) Neben diesem "Enthaltungsfasten" gibt es das strengere "Abbruchsfasten" am Aschermittwoch und Karfreitag (keine Fleischspeisen, einmalige Sättigung) 3) Ursprung und Geschichte des "Aschermittwochs": Im AT ist Asche ein Bild der Vergänglichkeit: Man streut sie sich aufs Haupt (Jes 61, 3 u.ö.) oder wälzt sich in ihr (rituelle Reinigung, ähnlich dem Feuer - vgl. "Fegefeuer") Einfache Kleidung (Sack) verstärkt noch das Fasten. Schon die Propheten übene aber Kritik am religiösen Formalismus ihrer Zeit: "An euren Fasttagen macht ihr Geschäfte und treibt alle eure Arbeiter zur Arbeit an. Obwohl ihr fastet, gibt es Streit und Zank, und ihr schlagt zu mit roher Gewalt ... Ist das ein Fasten, wie ich es liebe, ein Tag, an dem man sich der Buße unterzieht, wenn man den Kopf hängen lässt, so wie eine Binse sich neigt, wenn man sich mit Sack und Asche bedeckt? Nein, das ist ein Fasten, wie ich es liebe: Die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden, und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen. Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Wunden werden schnell vernarben" (Jes 58,3-8) Auch Jesus kritisiert das heuchlerische und auf Äußerlichkeiten bedachte Fasten seiner Zeitgenossen. (Mt 6,16f) In der Urkirche erhalten öffentliche Sünder zu Beginn ihrer Bußzeit ein Bußkleid und nehmen die Asche; ab dem 10. Jahrhundert solidarisiert sich die Gemeinde mit ihnen und nimmt ebenfalls zu Beginn der Fastenzeit die Asche. Seit 1091 ist dieser Brauch in der Kirche allgemein vorgeschrieben (Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit: Staub bist Du...) E. MANN 278 FEST UND FEIER 1. Begriffsbestimmungen: Fest und Feier haben seit jeher das Leben der Menschen bestimmt. Sie befreien aus den Zwängen und Sorgen der Gegenwart und schaffen Hoch-Zeiten voller Lebensfreude. Sie bezeichnen je verschiedene Formen der Sprengung des Alltags: Das Fest ist gekennzeichnet durch den ungeordneten, z.T. sogar exzessiven "Ausstieg" aus dem All-Tag (oft in der Nacht), während die Feier das kultivierte, nach bestimmten Regeln ablaufende Begehen eines Anlasses darstellt, bei dem Spontaneität und ungezügelter Lebensausbruch niedergehalten werden (vgl. Hochzeits-Feier, Hochzeits-Fest, EucharistieFeier, Garten-Fest, Promotions-Feier) In seinen Ursprüngen ist das Fest eine religiös bestimmte Feier (vgl. holy-days) 2. Bedeutung; Der immer wieder kehrende Wechsel von Werktag und Ruhetag, von Aussaat und Ernte, von Alltag und Fest prägt das menschliche Leben und verleiht ihm Glanz und Farbe. In der Erfahrung des Rhytmischen (im Zyklus der Natur) wird zugleich aber auch die als gefährlich-bedrohlich empfundene Zukunft vertrauter: Man ordnet die Zeit (Tage, Monate, Jahre), "beherrscht" sie damit und richtet sich in ihr wohnlich ein. Fest und Feier führen Menschen zusammen und bringen ihre Verbundenheit zum Ausdruck. Sie sind gemeinschaftsstiftend. Sie versuchen, durch Aussergewöhnliches (Speisen und Getränke, Anzahl der Gäste, Rahmen, Festreden u. a.) ein Stück im Leben des einzelnen / der Gemeinschaft zu fixieren = fest- zu -machen und damit der Erinnerung zu behalten. (Bedeutung der Filme /Fotos) Sie schaffen eine Atmosphäre, in der Fröhlichkeit und Ernst sich im Spiel verbinden und eine "andere" Wirklichkeit aufblitzt. In der heutigen Zeit fällt es dem Menschen zunehmend schwerer, echte Feste zu feiern: - Schwierigkeit, "auszusteigen" und die Hektik des Lebens zu vergessen (Problem allein schon bei der Terminvereinbarung) - Geschichtslosigkeit (Blick nur noch nach vorn) und Traditionsverlust (z. B. Volkslieder, Volkstänze, Volksfeste) - Phänomen der Singularisierung (z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Heurigen) - Hoher Lebensstandard und Verlust der Askese ("Fastenzeit"), die "Festessen" zum Alltäglichen werden lassen; u. a. 3. Wesenselemente: - Feste brauchen einen Anlass, der in der Feier dankbar bejaht wird (Geburt, Hochzeit, Amtsübernahme u. a.) - Feste brauchen ihre Zeit, sie vertragen keine Hetze und Termine. - Feste fordern die ganzheitliche Eingebundenheit des Menschen (mit Leib und Seele): Sie werden "begangen" mit Umzügen, Tänzen, Essen und Trinken, Spielen, Diskutieren und Träumen... - Ein Fest ist ein soziales Freignis, das alle in seinen Bann ziehen möchte. (Vgl. Lk 15, 28 die Einladung des Vaters an den Älteren) (Passive) Zuschauer werden als störend empfunden (vgl. Mt 11, 16 f den Spielboykott der E. MANN 279 Kinder) Ausgeschlossensein "ist die Hölle" (Mt 22, 11-14) - Vorbereitung und Nachbesprechung sind integrierender Bestandtteil des Festes selbst. Sie können nicht "delegiert" werden. - Ein Fest braucht Planung und lebt gleichzeitig von der (gelungenen) Improvisation. - Ein gelingendes Fest kann nicht "veranstaltet" werden: Es ist letztlich (trotz aufwendigster Vorbereitungen) nicht erzwingbar, sondern ein Geschenk des Himmels. - Die Zeit des Festes schafft eine eigene Wirklichkeit, die "normale Regeln" des Zusammenlebens sprengt: Gleichheit aller statt Herren / Untergebene, Reiche /Arme, Erwachsene / Kinder Rollentausch (mittelalterl. Narrenkönige, Faschingsprinzen u. a.) Festgewand / Verkleidung / Maskerade statt Alltagskleidung Festsaal (Blumen, Musik...) statt Wohraum / Gastraum... Zeitlosigkeit oder eigenes Zeitmaß (Tänze / Spiele statt Stunden / Minuten) 4. Die Stellung Jesu zu Fest und Feier: Jesus hat als gläubiger Jude den Sabbat und die großen religiösen Feste seines Volkes regelmäßig mitgefeiert. Er war auch wiederholt Gast bei privaten Festen und Feiern (z.B. Hochzeit zu Kana Joh 2, 1-12) und nahm auch Einladungen zu Gastmählem gerne an (bei Levi Lk 5, 27-32, bei Zachäus Lk 19, 1-10, bei Lazarus und seinen Schwestern u. a.) Man beschimpfte ihn sogar als "Fresser und Säufer" und als "Freund der Zöllner und Sünder" (Mt 11,19) Fest und Feier werden in den Gleichnissen Jesu immer wieder als Bild für Vergebung (Barmh. Vater Lk 15, 11-32) und himmlische Glückseligkeit (Königl. Hochzeitsmahl Mt 22, 1-10) verwendet. 5. Kirchliche Feste und die Feier des Glaubens: Festzeiten / Feiertage: Im Ablauf des Kirchenjahres (Advent, Weihnachten, Fastenzeit, Ostern, Pfingsten, Sonntage im Jahreskreis) gedenkt die Kirche der wichtigsten Heilsereignisse des Christentums. Unter den Heiligenfesten (Todestag) ragen besonders die Marienfeste heraus (1.1. Hochfest der Gottesmutter, 25.3. Mariä Verkündigung, 15.8. Mariä Himmelfahrt, 8.9. Mariä Geburt, 12.9. Mariä Namen, 8.12. Mariä Erwählung/ Empfängnis) Die Feier des Sonntags am 1. Tag der Woche in dankbarer Erinnerung an die Auferstehung Jesu. Die Feier der Fucharistie (Messe), d. h. Wiederholung des Abendmahles ("Tut dies zu meinem Gedächtnis") und Vergegenwärtigung Jesu in den Gestalten von Brot und Wein. Die lebensgeschichtlichen Feiern der einzelnen Sakramente der Kirche. E. MANN 280 SEHNSUCHT – SINNSUCHT SUCHT 1. Positive Assoziationen: a. Sehnsucht: Paulus redet davon, dass die gesamte Schöpfung "seufzt und in Geburtswehen liegt." (Röm 8, 22) Der Mensch erfährt sich auch in seiner eigenen Sehnsucht als Fremdling in seiner Geschichte: "Die Welt ist eine Nummer zu klein geraten". (K. Tucholsky) Ihre Grenzen werden in der Bewegung der Sehnsucht immer neu überschitten. Der Hl. Augustinus interpretiert diese unstillbare Sehnsucht religiös: "Du hast uns zu Dir hin erschaffen, und unser Herz kommt nicht zur Ruhe, bis es ruht in Dir." "Aus der Sehnsucht der Raupe, als Schmetterling ihre Flügel ausbreiten zu dürfen; aus der Sehnsucht des Volgels im Käfig, im Urwald von Ast zu Ast zu hüpfen; aus der Sehnsucht der Eisdecke, als Welle tanzen zu dürfen; aus der Sehnsucht der erloschenen Sterne, noch einmal leuchten zu dürfen; aus der Sehnsucht des Blinden, sehen zu können; aus der Sehnsucht der Verfolgten, Frieden zu finden aus Sehnsucht, nur aus Sehnsucht ist das Weltall aufgebaut." Auch die Zeit der Pubertät und der damit verbundene Prozess der "zweiten Abnabelung" zeitigt eine neue, "andere" Wirklichkeit. Eine tiefe, unbestimmte Sehnsucht nach diesem "Ideal" trägt und bewegt den jungen Menschen. b. Sinn-Suche (Ziele): Der Mensch ist ein Leben lang auf der Suche, er strebt tagaus tagein die verschiedensten Ziele an. Jesus warnt uns vor den sich breit machenden "Sorgen der Welt, dem trügerischen Reichtum und der Gier nach all den anderen Dingen." (Mk 4,19) Die Notwendigkeiten des alltäglichen Lebens (Essen, Trinken, Kleidung) sind wohl wichtig, doch soll uns die Sorge darum nicht versklaven (vgl. Mt 6, 19f) Paulus mahnt daher: "Lasst euch vom Geist leiten, dann werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen ..... Denn beide stehen sich als Feinde gegenüber, sodass ihr nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt." (Gal 5, 16f) Da der Mensch ohne Sinnerkenntnis nicht leben kann, flüchtet er sich oft in eine Scheinwelt (K. Marx: "Religion" als Opium!?) oder geht freiwillig in den Tod. (Bedeutung der Logotherapie V. Frankls) E. MANN 281 2. Negatives Begriffsumfeld: Sucht (siech = krank, vgl. etwa "Magersucht") ist eine Krankheit. Sie zeigt sich auch als krankhaftes Verlangen nach kurzfristigem Lustgewinn, als ein maßloses egozentrisches Begehren (Gier), das oft nicht mehr kontrollierbar ist. (Vgl. 9. / 10. Gebot) a. Sucht ohne Droge: Sie zeigt sich in den verschiedenen Formen von Gier / Sucht: Habgier - Machtgier - Neugier - Genußsucht - Geltungssucht - Eifersucht - Spielsucht Arbeitssucht (workaholic) etc. b. Drogensucht: Maßloser bzw. missbräuchlicher Konsum von Nikotin, Koffein, Alkohol, Rauschgift, Medikamenten u. a. E. MANN 282 E. MANN