Befreit in Minuten

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Befreit in Minuten
Wissen
Rendezvous
in der Lagune
Kaum ein Tier fasziniert den Menschen so wie der Delfin. Doch gerade
diese Liebe bringt den Meeressäuger in Gefahr. Das muss nicht sein, beweist
der Schweizer Biologe Sylvan Oehen auf einer Bootsfahrt im Roten Meer.
Einzig Respekt und Geduld ermöglichen ­magische Begegnungen.
Unsere Autorin hat diese erlebt.
Text Angela Lembo Fotos Urs Möckli
Suez
ISRAEL
JORDANIEN
Dahab
SAUDIARABIEN
Sharm
al-Sheikh
Hurghada
Safaga
Nil
El Qusier
ROTES MEER
Port Ghalib
Marsa Alam
Sataya-Riff
Hamata
Infografik: tnt-graphics
ÄGYPTEN
SUDAN
Das Sataya-Riff vor der
­ägyptischen Küste bildet eine
Lagune, in der die Spinnerdelfine
Schutz zum Schlafen finden.
Schweizer Familie 7/2013
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Wissen
Jedem Tier
seinen Namen
Delfine geben sich mit einer für jedes
Tier individuellen Tonfolge zu erkennen.
Als Jungtiere entwickeln sie diesen Signa­
turpfiff, den sie ein Leben lang behalten
und mit dem sie auch Emotionen ausdrü­
cken. Weil Delfine sich immer wieder
aus grösseren Gruppen in klei­nere
Verbände abspalten, hilft er
­ihnen auch, zur Gruppe
zurückzufinden.
Weibchen
haben Köpfchen
Kluge Köpfe schützen sich. Das wissen
auch Delfine. Darum haben sich einige
Tümmler in Westaustralien eine spezielle
Technik zur Futtersuche zugelegt: Sie stülpen
einen Schwamm über ihre empfindliche
Schnauze, mit der sie im Meeresgrund nach
Krebstieren und Tintenfischen suchen. ­
Die Schwämme schützen vor Seeigel­
stacheln. Die Technik beherrschen
nur wenige Delfine, haupt­
sächlich Weibchen.
Wach im Schlaf
Delfine atmen nicht automatisch, wie es
der Mensch tut. Für jeden Atemzug müssen
sie bewusst auftauchen. Auch im Schlaf. Dar­
um bleibt bei den Säugern eine Hirnhälfte
stets wach, und ein Auge ist immer geöffnet.
So holen sie nicht nur Luft, sondern reagieren
auch auf Umweltsignale. Amerikanische
Forscher fanden heraus, dass Delfine
15 Tage am Stück wachsam sein
und dabei sogar Aufgaben
lösen können.
Forscher vermuten, dass die Spinnerdelfine des Roten Meeres mit ihrer schwarzen Schnabelspitze
und der dunklen Färbung am Rücken eine Unterart bilden, die nur hier vorkommt.
Schweizer Familie 7/2013
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Wissen
Begegnung der sanften Art:
Unsere Redaktorin
­beobachtet aus nächster
Nähe die Delfine.
Grosser
Bruder Orca
Aus Delfinperspektive: Die «Blue Waves»
liegt in der Lagune vor Anker.
draussen im Roten Meer, hat das Riff sich
zu einem riesigen Herz geformt, in dessen
Mitte, geschützt vom Nordwind, der sandige Grund überall zu sehen ist. In diese
zwei Kilometer breite Lagune kommen
die Tiere nach der nächtlichen Jagd, um
sich auszuruhen. Sie bietet ihnen Schutz
vor Haien, die sich nicht unbemerkt anschleichen können.
A
m fünften Tag sind sie da. Ihr
Pfeifen ist nicht zu überhören.
Weit entfernt und doch hell
und klar. Ich halte inne. Und
warte. Ich warte darauf, dass ein Traum in
Erfüllung geht. Der Traum, mit Delfinen
zu schwimmen.
Das Pfeifen wird lauter. Durch das
Glas der Taucherbrille zeichnen sich erste
Konturen ab. Geistern gleich schweben sie
durch das türkisblaue Wasser. Ein Delfin
löst sich aus der Gruppe. Schiesst in meine
Richtung. Verlangsamt das Tempo und
stösst ein paar Klicklaute aus. Sein Blick
begegnet dem meinen. Seine Brustflosse
berührt beinahe meinen Arm. Dann wendet er. Kehrt zurück zu seiner Gruppe. Und
kommt kurz darauf wieder. Aber nicht
allein. Ehe ich mich versehe, treibe ich inmitten einer Schar von gut 70 Delfinen,
gerade so, als hätten sie mich eingeladen.
Das ist die Belohnung für meine Geduld. Tagelang habe ich gewartet, an Deck
der «Blue Waves», die hier im südlichen
Roten Meer vor Anker liegt. Habe Aus-
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Schweizer Familie 7/2013
schau gehalten. Bin Hunderte von Metern
durchs Wasser gepaddelt. Immer in der
Hoffnung, einer Gruppe Delfine zu begegnen. Jetzt sind sie da. Sie haben mich
gefunden.
Eine Begegnung wie diese erfordert
Zeit. Darum hat der Schweizer Delfin­
spezialist Sylvan Oehen das Schiff eine
Woche lang für seine Reisegruppe gemietet. Der 52-jährige Meeresbiologe erklärt
uns, worauf es ankommt: «Nur wer das
Verhalten der Tiere versteht und geduldig
wartet, bis sie von sich aus Kontakt aufnehmen, kommt danach mit einem guten
Gefühl aus dem Wasser.»
Das Schlafzimmer im Riff
Seit je fühlen sich Menschen von den
Meeressäugern angezogen. Die amerikanische Filmreihe über Flipper, den klugen
Delfin, hat in den Sechzigerjahren die Faszination noch verstärkt. Wir wollen den
Tieren begegnen, sie bewundern und mit
ihnen schwimmen. Genau darin liegt aber
die Gefahr. «Die Menschen vergessen,
dass gerade diese Liebe den Tieren zum
Verhängnis werden kann», sagt der ehemalige Flipper-Trainer und heutige Delfinschützer Richard O’Barry (siehe S. 36).
Das Geschäft mit Delfinen boomt. Seit
etwa fünfzehn Jahren bieten Reisever­
anstalter neben dem Beobachten das
Schwimmen mit wilden Delfinen an. Häufig werden die Tiere dabei in ihren Ruhephasen gestört oder von Booten verletzt.
Besonders prekär ist die Situation hier
in Ägypten. Die politischen und wirtschaftlichen Probleme zwingen immer
mehr Einheimische dazu, mit Delfintouren
ihr Geld zu verdienen. Der Massentourismus aber bedroht die Tiere, bis sie eines
Tages ganz verschwinden. So war es im
Samadai-Riff im südlichen Roten Meer vor
Marsa Alam. Die Delfine kamen erst zurück, nachdem die Regierung einen Teil
der Bucht für die Touristen gesperrt hatte.
Das Gleiche könnte mehr als hundert
Kilo­meter weiter südlich im Sataya-Riff
geschehen. Es ist das Schlafzimmer von
rund 300 Spinnerdelfinen. Hier, weit
Wie Touristen Delfine schützen können
In dieser Lagune war unser Schiff am ersten Tag unserer Reise nach einer zwölfstündigen Fahrt von Marsa Alam vor
Anker gegangen – für die nächsten sechs
Tage. Es ist die erste Reise, die Sylvan
­Oehen für Touristen organisiert. Im letzten
Sommer hatte er hier mit eigenen Augen
Wer an Delfine denkt, denkt an den
Grossen Tümmler, der einst Flipper in
der gleichnamigen Filmreihe darstellte.
Doch die Delfinfamilie, die zu den Zahn­
walen gehört, umfasst rund 40 verschie­
dene Arten. Der kleinste, der Hector-­
Delfin, wird bloss 1,5 Meter lang. Der
grösste, der Killerwal oder Orca,
kann eine stolze Länge von
10 Metern erreichen.
gesehen, was Delfin-Ausflügler anrichten. Zwölf Schiffe
ankerten zu Spitzenzeiten an einem Nachmittag in
der kleinen Lagune. «Motorboote rasten umher, Touristen sprangen zu
den schlafenden Tieren ins Wasser – es
sah aus wie bei einer Treibjagd.» Später
entdeckte der Delfinspezialist mehrere
Tiere mit Verletzungen von Motorbootpropellern. «Ich war erschüttert.»
Weltweit gibt es rund 40 Delfinarten.
Forscher vermuten, dass es sich bei den
Spinnerdelfinen im Roten Meer mit ihrer
schwarzen Schnabelspitze und der dunklen Färbung am Rücken um eine r­ egionale
Unterart handelt. «Verschwinden sie aus
Delfine beobachten – Was Sie beachten sollten
Klären Sie vorgän­
gig, ob der Anbieter einen
respektvollen Umgang mit
den Tieren pflegt. Er sollte
eine kompetente Fach­
person an Bord haben,
keine motorisierten
Schlauchboote einsetzen
und die Ruhezeiten der
Delfine respektieren.
Buchen Sie eine
mehrtägige Tour. Das lässt
Ihnen genügend Zeit, die
Tiere und ihre Verhaltens­
muster zu beobachten.
Sylvan Oehen (r.) stellt
seinen Gästen die
Delfinarten vor.
die Delfine selbst entschei­
den, ob sie Kontakt mit
Ihnen aufnehmen wollen.
Berühren Sie niemals
Nähern Sie sich
einen Delfin, er hat eine
den Delfinen nur sehr lang­ sehr empfindliche Haut.
sam und niemals von vorne
oder von hinten. Das bringt
Melden Sie
sie in Bedrängnis.
Ihre Erlebnisse der Meeres­
schutzorganisation Ocean
Schwimmen Sie
Care. 044 780 66 88
nicht näher an die Tiere als [email protected]
50 Meter, und lassen Sie
www.oceancare.org
dem Sataya-Riff,
so ist die ganze
Art gefährdet», sagt
Meeresbiologe Oehen.
Doch er ahnte, dass
Sperrzonen für Touristenboote
in der Lagune zwecklos wären, da niemand ein Verbot so weit entfernt von der
Zivilisation kontrollieren kann. Also beschloss Sylvan Oehen, selber Reisen an­
zubieten und «es besser zu machen». Er
möchte nicht nur die Touristen sensibilisieren, sondern auch die Einheimischen.
Unterstützt wird Sylvan Oehen dabei
vom 29-jährigen Kapitän der «Blue Waves», Maher Goma. Wann immer dieser
sich im Trockendock mit anderen Schiffsführern trifft, wird er seine Berufskollegen mit Infoblättern des Schweizer Biologen aufklären. «Wir tragen hier im
Roten Meer eine Verantwortung», sagt
Maher Goma, «darum bin ich sicher, dass
die anderen Kapitäne mich anhören und
ihre Crews ebenfalls schulen werden.»
Der Schlüssel zum Erfolg sind die Menschen vor Ort. Sylvan Oehen hofft, dass
eines Tages die Tour-Guides einander in
der Lagune gegenseitig kontrollieren.
Geduld und Respekt. Das sind die
obersten Prinzipien auf unserem Schiff.
Morgens um sechs Uhr sitze ich bereits an
Deck und schaue hinaus aufs Meer. Suche
den Horizont nach Rückenflossen ab.
Die Faszination der Menschen für Delfine geht zurück bis in die Antike. Ganze 
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Wissen
Paarungsballett:
Bauch an Bauch
schwebt ein Paar
durchs Wasser.
Wenn Touristen mit Schlauch­booten
rücksichtslos in schlafende Delfin-Schulen
fahren, werden immer wieder Tiere verletzt
– wie dieser Spinnerdelfin (o.) an der
Rückenflosse.
Mit den
Ohren sehen
Wale und Delfine sehen vor allem
mit ihrem Gehör. Die Echoortung, oder
das Sonar, sichert ihnen das Leben auch
in trüben und dunklen Gewässern. Sie
­senden Klicklaute aus und lauschen auf
das Echo, das beim Abprall von Objekten
im Wasser zurückkommt. Auf diese
­Weise finden sie ihre Beute selbst
50 Zentimeter tief im Sand oder
100 Meter entfernt in abso­
luter Dunkelheit.
Richard O’Barry – Er war Flippers Lehrer
36
Richard O’Barry, Sie haben in
den 1960er-Jahren den FernsehDelfin Flipper trainiert …
RICHARD O’BARRY: … und ich
bin nicht stolz darauf.
Warum?
Weil es falsch war. Delfine ge­
hören nicht in Gefangenschaft.
Doch damals wusste ich es
nicht besser. Es war mein Job.
Also half ich dabei, Delfine im
offenen Meer zu fangen, und
brachte sie in Delfinarien, um
sie für Shows zu trainieren.
Damit habe ich massgeblich
dazu beigetragen, dass heute
das Geschäft mit gefangenen
Delfinen boomt.
Was hat Ihre Meinung geändert?
Ich spürte mehr und mehr, wie
die Tiere in der Gefangenschaft
nervös und gestresst waren.
Die Augen geöffnet hat mir
nach dem Ende der Dreh­
arbeiten der Tod von FlipperDar­stellerin Cathy.
Sie haben einmal die Vermutung
geäussert, Cathy habe Selbstmord begangen.
Ich bin sicher, dass es so war.
Anders als bei uns Menschen
ist das Atmen beim Delfin eine
Schweizer Familie 7/2013
Richard O’Barry, 73,
war Delfintrainer für die
Fernsehserie «Flipper».
Dann wechselte der
US-Amerikaner die
Seiten und wurde zum
bekanntesten Delfinschützer der Welt. Er
war Protagonist im
2010 mit einem Oscar
gekürten Dokumentarfilm «Die Bucht».
www.diebucht.ch
bewusste Handlung. Cathy
­wollte nicht mehr. Sie schwamm
in meine Arme, sah mir in die
Augen und nahm einen letzten
tiefen Atemzug. Dann sank sie
auf den Grund des Beckens
und tauchte nicht mehr auf.
Was hat dieses Erlebnis vor
40 Jahren in Ihnen ausgelöst?
Es war traumatisierend: Als
Cathy starb, starb auch ein Teil
von mir. Kurz darauf sass ich
auf den Bahamas im Gefäng­
nis, weil ich versucht hatte,
Delfine zu befreien.
Heute sind Sie der bekannteste
Delfinaktivist der Welt und rufen
Zwei Freunde:
Flipper und sein
Filmpartner
Sandy Ricks
alias Luke Halpin
in der Fernsehserie.
die Menschen dazu auf, keine
Tickets zu kaufen für DelfinShows oder für das Schwimmen
mit Delfinen.
Weil die Tiere das niemals frei­
willig tun würden. Sie werden
gefangen und aus ihrem natür­
lichen Lebensraum gerissen.
Bei diesen Treibjagden werden
jeweils Hunderte von Delfinen
getötet.
Viele Show-Delfine sind aber
schon in den Delfinarien zur
Welt gekommen und wurden
nicht gejagt.
Das macht die Sache nicht
besser. Auch sie gehören hin­
aus ins offene Meer zu ihren
Verwandten. Und nicht in
einen Pool, in dem man sie
hungern lässt, damit sie an­
schliessend für einen Beloh­
nungsfisch ein Kunststück
­vorführen.
Wie beurteilen Sie das
Schwimmen von Menschen mit
Delfinen im offenen Meer?
Das ist eine gute Art, mit den
Tieren in Kontakt zu treten.
Doch es ist wichtig, dass man
sich vorgängig gut darüber
informiert, ob der Anbieter
einen respektvollen Umgang
mit den Tieren pflegt.
Völker verehrten die Meeressäuger als Beschützer von Reisenden. In manchen Kulturen galten Wale und Delfine als heilig.
Sie halfen Schiffspassagieren in Seenot.
Und tun es noch heute. Immer wieder
­berichten Menschen von Delfinen, die sie
vor einem Haiangriff oder dem Ertrinken
bewahrt haben.
Doch sind es nicht bloss Mythen und
Legenden, die Delfine für Menschen so
faszinierend machen,
sondern
auch ihr soziales
Verhalten. «Delfine
sind intelligente Wesen mit
eigenen Persönlichkeiten und
Einfühlungsvermögen, die in komplexen
Verbänden leben», sagt Sylvan O
­ ehen.
Geht eine Mutter auf die Jagd, passt die
Tante auf deren Baby auf. Die Tiere helfen
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Schnupfen?
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Befreit in Minuten –
für Stunden
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Fotos: zvg, Getty Images
«Delfine gehören ins offene Meer»
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Die mit dem Regenbogen
ohne
Konservierungsmittel
einander als Gruppe beim Zusammentreiben der Fische. Sie
tauschen Zärtlichkeiten
aus, berühren und stupsen einander. Und sie streiten und zanken
sich so, wie auch wir es in Grossfamilien
­gewohnt sind. «Man könnte ­meinen, die
Delfine seien unser Ebenbild im Wasser»,
sagt Sylvan Oehen.

Wissen
Nur Geduld: Sylvan
Oehen (l.) sucht mit
seinen Gästen die
­Wasseroberfläche ab,
vielleicht zeigen sich
die Delfine bald.
Schnupfen
unter Wasser
Es ist kurz vor halb acht Uhr morgens
am zweiten Reisetag, als die ersten dunklen Spitzen aus dem Wasser ragen. «Delfine! Auf zwölf Uhr!», ruft jemand. Tatsächlich. Sie sind da. Am liebsten würde ich
Flossen und Taucherbrille anziehen und
losschwimmen. Doch ich weiss: Ruhe bewahren und beobachten.
Ruhe bewahren
Im Moment sind die Delfine noch ­aktiv.
Schwimmen wild durcheinander. Ab und
zu springt einer aus dem Wasser. «Das ist
wie bei uns: Kommen wir abends nach
Hause, tauschen wir uns aus, spielen mit
den Kindern und fahren langsam mit der
Energie herunter», erklärt Sylvan ­Oehen.
Eine halbe Stunde später ist Schlafenszeit. Die Tiere formieren sich zu einer
­parallel schwimmenden Gruppe. Die Rückenflossen ziehen nur noch ­
langsam
durchs Wasser und beschreiben ein breites Zickzackmuster. «Jetzt sind sie in
ihrem Schlafmodus», sagt ­Sylvan Oehen.
So soll es die nächsten sechs Stunden
auch bleiben. Die Delfine brauchen Ruhe.
Vielleicht sind sie gerade am Verdauen.
Vielleicht haben sie aber auch nichts gefangen und sind jetzt unterzuckert. «All
das sehen wir ihnen nicht an», sagt der
Fachmann. «Umso wichtiger ist es, dass
wir sie in Frieden lassen.» Werden die Tie38
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Wie Menschen können sich auch
Delfine mit Viren anstecken. Das haben
Forscher in Florida herausgefunden.
Manche dieser Erreger verursachen
eine Art Schnupfen. Auch Papillomaviren,
re in dieser Phastürmt
ein
die bei Frauen Gebärmutterhalskrebs
se mit lauten
Mann mit einer
hervorrufen können, hat man bei
und gefährlichen
Motorsäge. Also
den Säugern gefunden. Sie rufen
Motoren gestört,
flüchtet ihr ins
aber bei Delfinen keine
können sich ihre
Wohnzimmer. Doch
­Tumore hervor.
hochempfindlichen
Sinnesorgane nicht erholen, und ­ihnen fehlt die Kraft
für die nächste Jagd.
Doch genau das geschieht. Soeben
­haben zwei Tagesboote in der Lagune
­geankert. Die Touristen sitzen bereits in
den Zodiacs. Die Guides starten die
­Motoren und fahren geradewegs auf die
schlafende Gruppe zu. Die Touristen
springen ins Wasser. Schwimmen den
Tieren hinterher. Die fliehen. Werden
eingeholt von den Motorbooten und
­
zurückgetrieben.
«So sollte es nicht laufen», sagt Sylvan
Oehen. Doch die Guides wissen es vermutlich gar nicht besser. «Es braucht
­Aufklärungsarbeit», sagt der Delfinspezialist. Er beginnt an diesem Morgen bei
der eigenen, der «Blue Waves»-Crew.
Anhand eines Plakats, das er selber
­
kreiert hat, ­
­
erklärt er das Schwimm-­
Muster, an dem die Bootsführer erkennen, dass die D
­ elfine schlafen. «Jetzt
­solltet ihr k­ eine Motorboote mehr benützen», sagt er. «Stellt euch vor, ihr wollt
schlafen, doch in euer Schlafzimmer
dort wartet schon der
nächste Mann und startet
seine Motorsäge.»
Wer mit Del­
finen schwimmen
will, braucht mehr als ein paar Stunden.
Es kann Tage dauern, bis sich die Tiere
zeigen. Und auch dann gibt es keine Garantie. Seit zwei Tagen bin ich in der Lagune. Einige meiner Reisegefährten sind
den Tieren im Wasser schon begegnet. Ich
aber habe sie bisher nur aus der Ferne gesehen. Mir bleiben noch vier Tage. Abends
in der Koje habe ich nur einen Gedanken:
Hoffentlich geht mein Traum noch in
Erfüllung.
Das Warten wird belohnt
Am nächsten Morgen bin ich im Wasser,
bevor die Delfine in die Lagune kommen.
Schnorchle dem Riff entlang. Studiere die
Korallen, beobachte einen Rochen im
Sand. Doch die Ohren sind stets gespitzt,
die Augen weit geöffnet. Da ist nichts.
Nicht an diesem Morgen. Nicht am Nachmittag. Und auch nicht an den folgenden
beiden Tagen. Die Delfine wollen einfach
nicht.
Abschied: Ein wilder Ritt auf der Bugwelle der «Blue Waves».
Am Ende des vierten Tages habe ich
genug und gebe auf. Eine Begegnung mit
den Tieren lässt sich auf respektvolle Art
nicht erzwingen. Als ich am fünften Tag
ins Wasser springe, habe ich keine Erwartungen mehr.
Und plötzlich höre ich, worauf ich so
lange gewartet habe.
Wenig später bin ich mitten unter
­ihnen: zu Gast bei den Delfinen. Sehe zu,
wie ein Pärchen einen geschmeidigen
Tanz vollführt, wie zwei Männchen einander hinterherjagen, wie sich ein Baby
dicht an den Körper der Mutter schmiegt
und ein Paar beim Liebesakt Bauch an
Bauch durchs Wasser schwebt. Ich treibe
im Schlafzimmer, und kein einziges Tier
lässt sich stören. Im Gegenteil, es scheint
ihnen zu gefallen. Ein Männchen umkreist mich, als wollte es tanzen. Andere
schwimmen dicht unter mir hindurch,
und wieder andere segeln seitlich vorbei.
Etwa eine halbe Stunde dauert die Begegnung. Dann ziehen die Delfine von
dannen. Zurück auf der «Blue Waves» ist
er da. Der Rausch, von dem alle sprechen,
die mit den Tieren geschwommen sind.
Als wäre etwas im Wasser geschehen. Als
hätten die Delfine ein unsichtbares Band
zu mir geknüpft. Mich in ihrer Gemeinschaft willkommen geheissen. Mir das
Gefühl gegeben, Teil einer Welt zu sein,
die den Menschen verborgen bleibt.
Jenseits der Vorstellung
Von diesem Phänomen erzählen viele
Schwimmer nach ihrer ersten Begegnung
mit Delfinen. Und doch ist es für die
Wissenschaftler schwer nachvollziehbar.
Seit Jahren erforschen sie die Intelligenz
der faszinierenden Meeressäuger. Fest
steht nach neuesten Erkenntnissen, dass
das Gehirn von Delfinen ähnlich komplex ist wie das von Menschen. Delfine
kennen Emotionen, begegnen einander
mit Respekt und Zuneigung, lösen
komplexe Aufgaben und nehmen sich
selbst im Spiegel wahr. Solche Leistungen
vollbringen sonst nur Menschen und
Menschenaffen.
Doch der Vergleich mit dem Menschen hinkt. «Delfine leben in einer völlig
anderen Welt als wir Menschen», sagt Sylvan Oehen. «Im Wasser kennen wir uns
nur ungenügend aus, und darum lassen
sich schwer Vergleiche ziehen.» Tatsächlich scheine es aber mehr zu geben, als wir
Menschen erahnen, ist der Meeresbiologe
überzeugt. «Eine Form von stiller Kommunikation und Empathie, die unsere
Vorstellungskraft übersteigt.» Mit dem
Kopf nicht zu erfassen und doch für jeden
spürbar, der zum ersten Mal einem wilden
Delfin begegnet.
Am Ende des sechsten Tages geht es
heimwärts. Als das Schiff die Lagune verlässt, reiten fünf Spinnerdelfine auf der
Bugwelle mit. Und obwohl ich weiss, dass
das eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen
ist, stelle ich mir vor, sie täten es um
meinetwillen.
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