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Nachrichten 3/2015 Magazin der Akademie für Raumforschung und Landesplanung Zuwanderung Herausforderungen für die räumliche Planung 45. Jahrgang Räumliche Aspekte des aktuellen Flüchtlingszustroms Rolf-Dieter Postlep Ausländer in Deutschland – Herausforderungen und Chancen Gabriele Sturm, Nadine Körner-Blätgen Politische Steuerung der Zuwanderung Steffen Angenendt Raumwissenschaftliche Rückwanderungsforschung ... aber wie? Robert Nadler Migration und Diversität als urbane Ressource Erol Yildiz Migration und Mobilität als Ansatzpunkte städtischer Regenerierung Felicitas Hillmann www.arl-net.de 0_Umschlag-3_2015.indd 1 AKADEMIE FÜR RAUMFORSCHUNG UND LANDESPLANUNG LE IB NIZ -FORUM FÜR RAUMWISSEN SCHAFTEN 26.11.2015 09:45:52 Arbeitsberichte 9 Tourismus und Regionalentwicklung in Bayern Hubert Job, Marius Mayer (Hrsg.) Hannover 2013 252 Seiten, Abb. PDF: ISBN 978-3-88838-387-8 Print: ISBN 978-3-88838-388-5 10 Nimm´s sportlich – Planung als Hindernislauf Swantje Grotheer, Arne Schwöbel, Martina Stepper (Hrsg.) Hannover 2014 214 Seiten, Abb. PDF: ISBN 978-3-88838-389-2 Print: ISBN 978-3-88838-390-8 11 Anpassung an den Klimawandel in der räumlichen Planung Handlungsempfehlungen für die niedersächsische Planungspraxis auf Landesund Regionalebene Jan Spiekermann, Enke Franck (Hrsg.) Hannover 2014 178 Seiten, Abb. PDF: ISBN 978-3-88838-391-5 Print: ISBN 978-3-88838-392-2 12 Siedlungsflächenmanagement – Bausteine einer systematischen Herangehensweise mit Beispielen aus Baden-Württemberg Hany Elgendy, Susanne Dahm, Alfred Ruther-Mehlis (Hrsg.) Hannover 2015 113 Seiten, Abb. PDF: ISBN 978-3-88838-393-9 Print: ISBN 978-3-88838-394-6 13 Internationalisierung der Gesellschaft und die Auswirkungen auf die Raumentwicklung Beispiele aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland Birte Nienaber, Ursula Roos (Hrsg.) Hannover 2015 137 Seiten, Abb. PDF: ISBN 978-3-88838-395-3 Print: ISBN 978-3-88838-396-0 14 Reurbanisierung in baden-württembergischen Stadtregionen Axel Fricke, Stefan Siedentop, Philipp Zakrzewski (Hrsg.) Hannover 2015 205 Seiten, Abb. PDF: ISBN 978-3-88838-397-7 Print: ISBN 978-3-88838-398-4 Alle Bände stehen zum kostenfreien Download unter shop.arl-net.de bereit. Dort kann auch eine kostenpflichtige gedruckte Ausgabe bestellt werden. INHALT Inhalt Editorial 2 Gabriele Schmidt Aktuell 4 Rolf-Dieter Postlep Räumliche Aspekte des aktuellen Flüchtlingszustroms 34 Andreas Klee Grenzüberschreitende Raumentwicklung Bayerns 35 Robert Koch Regionalentwicklung in Grenzräumen 38 Sara Reimann BMBF fördert Innovationsgruppe „UrbanRural SOLUTIONS“ 40 Neuerscheinungen Thema 41 Personen 6 Gabriele Sturm, Nadine Körner-Blätgen Ausländer in Deutschland – Herausforderungen und Chancen 42 Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep ist neuer Präsident der ARL 11 Steffen Angenendt Politische Steuerung der Zuwanderung Aus Raumforschung und -planung 18 Robert Nadler Raumwissenschaftliche Rückwanderungs- forschung … aber wie? 43 Stefanie Rößler, Christian Schneider Probewohnen in Görlitz 21 Erol Yildiz Migration und Diversität als urbane Ressource 24 Felicitas Hillmann Migration und Mobilität als Ansatzpunkte städtischer Regenerierung Aus der ARL 28 Gabriele Schmidt, Evelyn Gustedt, Martina Hülz, Lisa Marquardt, Barbara Warner, Christian Strauß Migration, Integration: Diskussionen und Ergebnisse der Workshops des ARL-Kongresses 32 Jens Nußbaum, Brigitte Wotha Koordination und Kooperation in ländlichen Räumen 44 Tanja Ernst „City of the Future“ – internationale Presse zu Gast im Wissenschaftsjahr 45 Thomas Hartmann, Jiřina Jílková Wasser-Governance matters 47 Gabriele Schmidt Best of „Future City“ 49 Andreas Klee Werner-Ernst-Preis 2015 verliehen 50 Andreas Klee Werner-Ernst-Preis 2016 52 Förderkreis für Raum- und Umweltforschung 53 Ausgewählte Zeitschriftenbeiträge 58 Neuerscheinungen aus anderen Verlagen Nachrichten der ARL • 3/2015 1_Inhalt_3-2015(S01).indd 1 I 26.11.2015 09:50:32 EDITORIAL Editorial Liebe Leserinnen und Leser, als wir vergangenes Jahr den ARL-Kongress 2015 planten, ahnten wir bereits, dass die Themen Migration und Integration für die Raumordnung und Raumentwicklung an Bedeutung gewinnen würden. Mit dem Ausmaß und der Dramatik der aktuellen Flüchtlingsbewegung hatten wir jedoch nicht gerechnet. Rückblickend scheinen unsere Fragen, so z. B. nach den Folgen der räumlich sehr ungleichen Verteilung der Zuwanderinnen und Zuwanderer für die wirtschaftliche Entwicklung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in einzelnen Regionen, aktueller denn je. Auch auf europäischer Ebene gewinnt die räumliche Verteilung tagtäglich an Brisanz: Das DublinAbkommen funktioniert nicht mehr – doch welche Alternativen dazu gibt es? Scheitert Europa am Vorrang nationaler Egoismen und an neuen Grenzzäunen? Und wie lange lässt sich die Willkommensbereitschaft und das tatkräftige Engagement der vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer in Deutschland aufrechterhalten, wenn – und das ist angesichts der zahlreichen Krisen in Afrika, im Nahen Osten und in Asien absehbar – die Zuwanderung weiter anhält? Wie steht es um unsere Integrationsbereitschaft, wenn aus den Menschen, die derzeit in Notaufnahmen zu sehen sind, Nachbarinnen und Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen oder gar Konkurrenten um Jobs, Transferleistungen und öffentliche Güter wie Gesundheit und Bildung werden? Der ARL-Kongress behandelte diese und andere zentrale Fragen der Zuwanderung in Keynote-Vorträgen und vier Workshops zu den Themenfeldern Arbeitsmarkt, Siedlungsentwicklung, gesellschaftlicher Zusammenhalt und internationale Erfahrungen. Eine Auswahl an Vorträgen findet sich in redaktionell überarbeiteter Form in diesem Heft. Wir möchten damit die Diskussionen auf dem Kongress noch einmal aufgreifen, sie einem breiteren Publikum zugänglich machen und weiterentwickeln. Den Auftakt macht Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep, Präsident der ARL, in der Rubrik „Aktuell“. Ihm geht es um die Auswirkungen der Flüchtlingsbewegung auf das raumstrukturelle Gefüge in Deutschland und Europa. Bietet der Zustrom Entwicklungschancen für strukturschwache Regionen? Oder profitieren nur die Wachstumsregionen? Wie steht es um die Integrationskapazität in unterschiedlichen Regionen? Nach Postlep wirken die Ausgaben zur Versorgung und Integration der Flüchtlinge wie ein kleines Konjunkturprogramm, dessen Effekte allerdings regional sehr ungleich verteilt sein werden. 2 Um die ökonomischen Effekte von Wanderungsbewegungen geht es auch im Beitrag von Dr. Robert Nadler, Leibniz-Institut für Länderkunde. Er betrachtet allerdings nicht die Zuwanderung aus dem Ausland, sondern eine bislang wenig erforschte Gruppe: die „Rückwanderer“ nach Ostdeutschland. Angesichts der zum Teil erheblichen Bevölkerungsverluste in ländlich-peripheren Regionen gibt es zahlreiche Rückkehrinitiativen aus Politik und Wirtschaft, die potenzielle Rückkehrer umwerben und mobilisieren. Doch sind solche Initiativen auch erfolgreich? In welchem Umfang findet Rückkehr statt und welche Regionen profitieren davon? Diesen Fragen geht Nadler in seinem Beitrag nach. Der Beitrag von Dr. Gabriele Sturm, Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung, und ihrer Mitarbeiterin Nadine Körner-Blättgen bietet einen Überblick über die Verteilung von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland. Auf einer Karte zeigen sie eindrucksvoll den großen Ost-West-Unterschied und die Konzentration in einigen südwestdeutschen Großstädten. Ferner geben sie einen Überblick über Statistiken zur Herkunft der Zuwanderergruppen, zu ihrer Altersstruktur und der Beschäftigungssituation. Mit ihren Forschungsergebnissen zum Zusammenleben von Ausländern und Deutschen in Nachbarschaften bestätigen Sturm und Körner-Blättgen die Kontakthypothese aus der Sozialpsychologie: Die alltägliche Erfahrung mit „Fremden“ wirkt sich positiv auf die Integrationsbereitschaft aus. Im Zentrum des Vortrags von Dr. Steffen Angenendt, Stiftung Wissenschaft und Politik, steht die Steuerung der Zuwanderung. Nach einem Überblick über die Zuwanderungsphasen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Steuerungsinstrumente der deutschen und europäischen Asylpolitik diskutiert er die Schwachstellen der gegenwärtigen Asyl- und Migrationspolitik. Diese lägen vor allem in den fehlenden legalen Zuwanderungsmöglichleiten, den uneinheitlichen Standards bei der Unterbringung von Flüchtlingen sowie in der sehr ungleichen Verteilung auf die EU-Staaten. In diesem Zusammenhang warnte Angenendt bereits im Juni vor der Wiedereinführung von EU-Binnengrenzen, wenn keine europäische Antwort auf die Flüchtlingsfrage gefunden werde. Eine Prognose, die bedauerlicherweise mancherorts bereits von der Realität eingeholt wurde. Umso interessanter liest sich sein Alternativmodell zum Dublin-Abkommen, das, so Angenedt, die gegenwärtige Asylpolitik der Europäischen Union „vom Kopf auf die Füße“ stellen würde. 3/2015 • Nachrichten der ARL 2_Editorial_3-2015(S02-03).indd 2 26.11.2015 09:55:53 EDITORIAL Prof. Dr. Erol Yildiz, Universität Innsbruck, beschäftigt sich mit der engen Beziehung von Stadt, Urbanität und Migration. Am Beispiel von Köln zeigt er, wie sehr der urbane Alltag von Migration geprägt wird und sich zunehmend divers und kosmopolitisch gestaltet. „Stadt ist Migration, (…) die Globalisierung ist konstitutiver Bestandteil urbanen Lebens.“ Doch was bedeutet dies für die Lebenswelten und Identitäten der Bewohner? Yildiz schildert, wie Kinder und Enkelkinder der Gastarbeitergeneration ihre ganz eigenen, „postmigrantischen“ Lebensentwürfe entwickeln, indem sie simultane Zugehörigkeiten an die Stelle alter Grenzziehungen setzen. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! Gabriele Schmidt 0511 34842-56 [email protected] © Anne Ritzinger, ARL Auch der den Themenschwerpunkt dieses Heftes abschließende Beitrag von Prof. Dr. Felicitas Hillmann, Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), fokussiert die städtische Ebene und zeigt, wie sehr städtische Transformationen durch Migration und Mobilität beeinflusst werden und welchen Stellenwert Migration und die neuen Mobilitätsformen in der Stadtentwicklungsplanung einnehmen sollten. In der Rubrik „Aus der ARL“ informieren wir Sie über aktuelle Neuigkeiten aus dem Netzwerk der Akademie und zeigen, wie Debatten in der ARL fortgeführt werden. An dieser Stelle sei insbesondere auf den Veranstaltungsbericht zum ARL-Kongress hingewiesen, in dem die Ergebnisse aus den Workshops zusammenfassend dargestellt werden. In der Rubrik „Aus Raumforschung und -planung“ stellen wir Ihnen wie gewohnt Neuigkeiten aus anderen Einrichtungen der Raumforschung und -planung vor. Nachrichten der ARL • 3/2015 2_Editorial_3-2015(S02-03).indd 3 3 26.11.2015 09:55:58 AKTUELL Räumliche Aspekte des aktuellen Flüchtlingszustroms V Entwicklungschance für struktur- schwache Regionen? on einem kann man zurzeit ausgehen: In diesem Jahr sind eher 1 Million Flüchtlinge in Deutschland zu erwarten als 500.000. Auch in den nächsten Jahren wird dieser Zustrom spürbar anhalten und sich in entsprechenden Asylanträgen und dann vermutlich in erheblichem Umfang in Aufenthaltsgenehmigungen bzw. Bleiberechten niederschlagen. Dies stellt für Deutschland Chance und Herausforderung dar. Die große Herausforderung besteht vor allem kurzfristig in der humanitären Erstversorgung und der organisatorischen Bewältigung des Flüchtlingsstroms. Die Chancen sind eher längerfristig angelegt, vor allem unter Arbeitsmarktgesichtspunkten, aber auch unter dem Blickwinkel eines allgemeinen gesellschaftlichen Diversitätsgewinns. Entsprechend vielfältig sind die Beurteilungs- und Analyseebenen des Phänomens, das wir gerade erleben. Eine in diesem Zusammenhang des Öfteren gestellte Frage lautet: Liegen in diesem Zustrom auf längere Sicht Chancen für sich tendenziell entleerende Regionen in Deutschland, vor allem in Ostdeutschland? Eine Antwort auf diese Frage ist gegenwärtig schwer zu geben, sollte aber in jedem Fall vorsichtig ausfallen. Die häufigste Ursache für solche anhaltenden regionalen Entleerungsprozesse sind fehlende Arbeitsplätze. Alle regionalpolitischen Maßnahmen, die hier gegensteuern sollten, sind bisher nur sehr begrenzt wirksam gewesen. Warum sollte sich dies angesichts der neuen Situation ändern, zumal das infrage kommende neue Arbeitskräftepotenzial in Volumen und Qualität zurzeit schwer einschätzbar ist? Inwieweit hier vor dem Hintergrund der neuen Situation gezielte Änderungen auf der instrumentalen Ebene der Regionalpolitik zu neuen Chancen der Regionalentwicklung führen können, wäre gesondert zu diskutieren. Grundsätzlich ist jedoch zu berücksichtigen, dass vermutlich ein erheblicher Teil der Gruppe der Asylbewerber dem Arbeitsmarkt aus verschiedensten Gründen nicht zur Verfügung stehen wird, sondern auf mittlere Sicht, wenn sie in Deutschland bleiben, eher durch die Sozialsysteme gestützt werden müssen. Schließlich kennen wir heute die räumlichen Präferenzen der sich längerfristig in Deutschland ansiedelnden Menschen noch nicht, die ja zu einem erheblichen Teil anderen Kulturkreisen entstammen und hier andere Verhaltensmuster zeigen können. Zunächst ist dieser Prozess mit Blick auf Ursachen, Steuerung und Lastenverteilung sicherlich vielschichtig politisch zu bewerten, er ist aber auch unter soziologischen Vorzeichen genauer zu analysieren und in seiner ökonomischen Bedeutung einzuordnen. Von besonderem Interesse sind dabei die Auswirkungen des anhaltenden Zustroms von Flüchtlingen auf das regionalstrukturelle Gefüge in Deutschland. Hierzu möchte ich einige Gedanken skizzieren. © Lydia Geissler, www.fotolia.com Zuwanderung in wachstumsstarke Regionen 4 Wahrscheinlicher erscheint ein Szenario, bei dem die durch ein Bleiberecht hinzukommenden Arbeitskräfte eher ein Potenzial für die wachstumsstarken Regionen in Deutschland darstellen und den dort besonders herrschenden Fachkräftemangel abmildern helfen. Hierfür sind aber erhebliche Bildungs- und Integrationsanstrengungen auf allen Ebenen unseres Bildungssystems nötig, und dies möglichst mit individuell zugeschnittenen Angeboten vor Ort, möglichst unter Beteiligung der Arbeitgeberseite (z. B. durch Praktika). Vor allem in diesen Wachstumsregionen sind entsprechend sehr schnell die notwendigen Voraussetzungen in der Bildungspolitik zu schaffen, angefangen von gezielter Information über bestehende und neu aufgesetzte 3/2015 • Nachrichten der ARL 3_Aktuell_3-2015(S04-05).indd 4 26.11.2015 09:59:33 AKTUELL Bildungsangebote, über niederschwellige Zugänge zu Bildungseinrichtungen (z. B. Willkommensklassen für Flüchtlingskinder) und finanzierte Vergünstigungen (z. B. Erlass von Semesterbeiträgen beim Studium) bis hin zu geeigneten Sprachkursangeboten und begleitenden Eingliederungsmaßnahmen. Ein besonderes Problem stellt in den Wachstumsregionen auch die zusätzliche Bereitstellung von Wohnraum dar. Es birgt schon eine gewisse Sprengkraft, dass ausgerechnet in jenen Städten und Regionen, die gegenwärtig ohnehin durch einen hohen Druck auf den Wohnungsmarkt und einen Mangel an preisgünstigem Wohnraum gekennzeichnet sind, nun Wohnunterkünfte für Flüchtlinge gesucht bzw. gebaut werden müssen. Hier können zentrale zusätzliche Programme der (gezielten) staatlichen Wohnraumförderung für einen besseren Ausgleich von Angebot und Nachfrage sorgen. Nur am Rande: Da die korrespondierenden Ausgaben zur Versorgung und Integration zu einem nicht geringen Teil in der Wirtschaft ankommen, etwa in der Bauwirtschaft, wirkt dies kurzfristig wie ein kleines Konjunkturprogramm – allerdings in den positiven Effekten auf Beschäftigung und Produktion regional eher breit gestreut. Integrationsfähigkeit ist ungleich verteilt Auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt ist die Frage, inwieweit die gesellschaftliche Integrationskapazität der hier Lebenden regional (etwa im Verhältnis von Agglomerationen zu dünner besiedelten Räumen) unterschiedlich ausgeprägt ist und entsprechend unterschiedliche Grenzen für den Zustrom von Flüchtlingen in verschiedenen Regionen setzt. In jedem Fall muss dieser Aspekt gerade auf kürzere Sicht einbezogen werden, wenn man die laufenden sozialen „Frustrationskosten“ gering halten und die Aufnahmebereitschaft prinzipiell erhöhen will. Die europäische Dimension Schließlich ist der gesamte Prozess des Zustroms von Menschen aus Afrika, dem Vorderen Orient und dem (West-)Balkan in seiner europäischen Dimension mit Blick auf die Veränderungen im Wettbewerb der Regionen in Europa zu betrachten. Derzeit sind die realisierten Aufnahmevolumina der einzelnen Nationalstaaten sehr unterschiedlich. Auch hier stellt sich mit Blick auf die Regionalstrukturen in den EU-Staaten die Frage: Belastung oder Chance? Verbessern sich die regionalen Wettbewerbspositionen derer, die Flüchtlinge aufnehmen, oder werden sie schlechter? Die angesprochenen Fragen und weitere Aspekte werden die raumordnungs- und regionalpolitische Diskussion in Deutschland und Europa in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen. Die ARL wird sich an dieser Diskussion u. a. im Rahmen eines neuen Ad-hocArbeitskreises konstruktiv beteiligen. Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep Präsident der ARL Kontakt: Rolf-Dieter Postlep 0511 34842-37 [email protected] Überhaupt ist im Hinblick auf die finanzwirtschaftliche Bewältigung des Flüchtlingszustroms dringend die Frage zu beantworten, welche staatliche Ebene in den Übergangsperioden bis zur partiellen dauerhaften Integration (und den dann durchaus auch positiven Effekten auf die öffentlichen Kassen) die finanziellen Lasten tragen soll. Eines ist dabei klar: Je stärker die Lasten auf die untere Ebene (Kommunen und Landkreise) verlagert werden, desto unterschiedlicher sind unter diesem Aspekt die regionalen Aufnahmekapazitäten, es sei denn, diesen Unterschieden wird z. B. im Kommunalen Finanzausgleich oder durch andere finanzielle Ausgleichsmaßnahmen vom Bund und von den Ländern wirksam Rechnung getragen. Nachrichten der ARL • 3/2015 3_Aktuell_3-2015(S04-05).indd 5 5 26.11.2015 09:59:34 THEMA Ausländer in Deutschland – Herausforderungen und Chancen A ktuell beherrscht das Thema „Flüchtlinge“ die deutschen Medien. Regionalstatistisch ist über diese Personengruppe jedoch noch kaum etwas zu sagen – unser Blick kann sich fundiert nur auf vergangene Jahre richten. Für unsere hier vorzustellende Analyse über Ausländer in Deutschland nutzen wir drei Zugänge: Zunächst gehen wir anhand der Zensusdaten 2011 kurz auf die räumliche Ungleichverteilung der Bevölkerung ohne deutsche Staatsangehörigkeit auf dem Gebiet der Bundesrepublik ein. Da der Ausländeranteil in den Großstädten traditionell am höchsten ist – und derzeit dort auch stetig zunimmt – ,fokussieren wir unseren Blick sodann auf die Internationalisierung der Großstädte im Jahr 2013. Solch amtliche bzw. kommunale Statistiken, die auch objektive Daten genannt werden, ermöglichen zunächst nur Verteilungsaussagen. Deshalb wollen wir abschließend anhand der BBSR-Umfrage aus dem Jahr 2012 auf Wahrnehmung und Beurteilung von Ausländern im eigenen Wohnumfeld eingehen. Diese sogenannten subjektiven Daten ermöglichen dann eindeutigere Rückschlüsse auf den uns hier interessierenden gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deutschland, ein Einwanderungsland Seit der Banken- und Finanzkrise 2008–2010 nimmt die Zuwanderung nach Deutschland stark zu: Auslöser ist unter anderem das ökonomische Ungleichgewicht zwischen den Staaten – auch innerhalb der EU. So stammt die Mehrheit der Zuwandernden wie der in Deutschland lebenden Ausländer aus europäischen Staaten – etwa 45 % aus EU-Staaten. Laut Statistischem Bundesamt lag 2013 der Außenwanderungsgewinn bei fast 429.000 Personen. Darunter fällt nur ein Teil der 110.000 Menschen, die 2013 erstmals einen Asylantrag stellten: Als „schutzbedürftig“ wurden 2013 von knapp 81.000 bearbeiteten Anträgen etwa 20.000 Flüchtlinge anerkannt (Schutzquote: 25 %). Im Jahr 2014 stieg der Wanderungsüberschuss auf mehr als 470.000 Personen. Zuwanderung erfolgt vor allem in große Städte: Laut Zensus 2011, den wir hier als Referenz anführen, lag der Ausländeranteil im Bundesdurchschnitt bei 7,7 %, in den Großstädten bei durchschnittlich 12,5 %. Der West-Ost-Unterschied ist dabei nach wie vor deutlich: 8,7 % im Westen der Republik versus 3,7 % im Osten einschließlich Berlin. In den Flächenländern variierte der Ausländeranteil zwischen 11,1 % in Hessen und 1,5 % 6 in Thüringen. Zwar haben sich seither die absoluten Anteile überall erhöht, die Größenverhältnisse sind jedoch unverändert. Internationalisierung der Großstädte Aber auch Großstadt ist nicht gleich Großstadt. So variierte der Ausländeranteil 2013 zwischen 34 % in Offenbach und knapp 4 % in Chemnitz, Erfurt und Rostock. Im Durchschnitt hatten in den rund 50 Städten, die jährlich ihre untergemeindlichen Statistiken in den Datenkatalog der Innerstädtischen Raumbeobachtung (IRB) einspeisen, 15 % der Bevölkerung keine deutsche Staatsangehörigkeit. Regional differenziert war der Ausländeranteil in den Großstädten Bayerns und BadenWürttembergs mit durchschnittlich 21 % vergleichsweise am höchsten. Wohnstandorte auch nach Nationalitäten sortiert Im Allgemeinen kennzeichnet Segregation den unterschiedlichen Zugang von Individuen zu den Ressourcen einer Gesellschaft in Abhängigkeit von Lebensphase/ Generation, Konfession/Religion, Herkunftsland/Ethnie oder sozialem Status/Milieu. Segregation ist also ein Vorgang der Entmischung und bildet eine Facette des gesellschaftlichen Zusammenhalts in unseren Großstädten ab. Residenzielle Segregation ist entsprechend die ungleiche Verteilung einer betrachteten Bevölkerungsgruppe auf die Wohngebiete einer Stadt. Im Weiteren wird hier der Segregationsindex SI von Duncan & Duncan für die Ungleichverteilung von Ausländern auf Stadtteile verwendet; je kleiner der Wert ist, umso geringer ist die residenzielle Segregation. Für 2013 liegen die Werte des SI zwischen 0,10 für Heidelberg und 0,39 für Chemnitz (wobei zu beachten ist, dass sich dort das sächsische Erstaufnahmelager für Flüchtlinge befindet). Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sind diese Werte nicht als übermäßig hoch einzuordnen. Aber auch hier gilt, dass Ausländer in Selbst- wie Fremdwahrnehmung nicht gleich Ausländer ist. So sind für Zugewanderte aus bestimmten Herkunftsländern höhere Werte der residenziellen Ungleichverteilung festzustellen: Für EU2007-Bürger/-innen aus Bulgarien und Rumänien liegt der SI-Wert zwischen 0,12 in Heidelberg und 0,54 in Dortmund. Für Türkinnen/Türken liegt er zwischen 0,13 in Offenbach und 0,51 in Berlin 3/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 6 26.11.2015 11:30:43 THEMA Ausländeranteile auf Ebene der Gemeindeverbände/Verbandsgemeinden gemäß Zensus 2011 Nachrichten der ARL • 3/2015 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 7 7 26.11.2015 11:30:48 THEMA Altersgruppenverteilung der Bevölkerung in IRB-Städten: Ausländer, Mehrstaater, Deutsche ohne weitere Staatsangehörigkeit (2013) (wobei die Ausländerverteilungen in Berlin nach wie vor den Verlauf der „Mauer“ erkennen lassen und dadurch hohe SI-Werte liefern). Die Ungleichverteilung der internationalen Migration in und nach Deutschland hängt (bislang) zum einen mit der Siedlungsstruktur und dem wirtschaftlichen Potenzial der Städte und Regionen und zum anderen mit historischen Besonderheiten der Ost-West-Entwicklungen zusammen. Bei residenzieller Segregation in einer Stadt sind der gesellschaftliche Stellenwert des ausweisenden Merkmals – hier Ausländer, Türken, EU2007-Bürger – und im Hinblick auf die Wohnstandortverteilung die Mechanismen der lokalen Wohnungsmärkte zu berücksichtigen. Auch die Größe der betrachteten Gruppe sowie der Zuschnitt der Raumeinheiten spielen in die Statistik hinein. Von 2005 bis 2013 hat die Bevölkerung in den hier fokussierten Städten der IRB um 3,7 % (auf 21,3 Mio.) zugenommen – die Zahl der dort lebenden Ausländer hingegen um 11,3 % (auf 3,2 Mio.). Der Ausländeranteil stieg dabei von 14 % auf 15 %. Damit ist das Großstadtwachstum zwischen 2005 und 2013 zu mehr als 40 % auf den positiven Außenwanderungssaldo zurückzuführen. Wenn wir die Jahre mit niedrigen oder gar negativen Außenwanderungssalden ausblenden und nur die jüngst vergangenen Jahre betrachten, dann speist sich das Großstadtwachstum zwischen 2009 und 2013 gar zu zwei Dritteln aus Außenwanderungsgewinnen. Ausländische Bevölkerung ist jünger Bundesweit sind Personen mit Migrationshintergrund1 jünger als jene ohne Migrationshintergrund (Durchschnittsalter 33,8 gegenüber 44,6 Jahre), weitaus 1 Bezüglich der Bevölkerung mit Migrationshintergrund greifen wir hier auf Aussagen des Statistischen Bundesamts auf Grundlage des Mikrozensus zurück. Migrationshintergrund kann man bislang nur befragungsgestützt feststellen. Vergleichbare Auswertungsprogramme für das Melderegister, die mit dem Geburtsort arbeiten, sind noch in der Erprobung. Dies begründet auch, warum wir uns nach wie vor auf den Indikator Ausländeranteil stützen. 8 häufiger ledig (45 % gegenüber 38 %), und der Anteil der Männer unter ihnen ist höher (50,8 % gegenüber 48,5 %). Bei den unter 5-Jährigen stellen Personen mit Migrationshintergrund ein Drittel dieser Altersgruppe. Wir bleiben hier bei der Betrachtung ausländischer Bevölkerung, d. h. bei denjenigen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, und fokussieren von den in IRB-Städten Gemeldeten zwei ausgewählte Altersgruppen (siehe auch BBSR 2015): die Gruppe der 18bis unter 30-Jährigen und die Gruppe der 15- bis unter 65-Jährigen. Zu den Großstädtern im Alter von 18 bis unter 30 Jahren zählt ein Großteil der mehr als 300.000 im Wintersemester 2013/14 in Deutschland studierenden Ausländer, denn die Mehrheit der Hochschulen befindet sich in Großstädten. Erstes Beispiel: In München waren von den dort gemeldeten Ausländern im Alter von 18 bis unter 30 Jahren (n = 84.709) etwa 22 % zum Studium in der Stadt. Zweites Beispiel: An Dresdner Hochschulen waren von den 35.592 Studierenden 12 % Ausländer (n = 4.284). Sie machten 50 % der in Dresden gemeldeten Ausländer im Alter von 18 bis unter 30 Jahren aus (n = 8.465). Deutsche Hochschulen stellen sich als weltoffen und international vernetzt dar. Sie werben um ausländische Studentinnen und Studenten, weil über diese kulturelles Verstehen und wirtschaftliche Kontakte gestärkt werden. Solches soll Städte und Regionen im internationalen Standortwettbewerb stärken. Ausländerfeindliche Aktionen schaden jeder Hochschule und jeder der betroffenen Städte. Die absolute Mehrheit der zuwandernden wie der in Deutschland lebenden Ausländer ist im Alter zwischen 15 und 65 Jahren: Im Bundesdurchschnitt liegt der Anteil dieser Altersgruppe bei 65 %. Der Anteil unter den in Großstädten lebenden Ausländern in diesem Alter hat zugenommen – 2013 lag er bei 83 %. Aber ihre ökonomische Lage ist schwierig (Güleş/Sturm in BBSR 2014: 525 ff.): Zwischen 2006 und 2012 nahm in den IRBStädten zwar die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer von 687.200 auf 869.500 zu. Auch die Zahl der arbeitslos gemeldeten Ausländer 3/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 8 26.11.2015 11:30:51 THEMA (nach SGB II und SGB III) nahm von 291.500 auf 230.700 ab. Allerdings schwankte aufgrund der wechselhaften Konjunktur auch die Zahl der erwerbsfähigen hilfebedürftigen Ausländer, die SGB-II-Leistungen bezogen, zwischen 480.000 und 616.000. Welche Rückschlüsse lassen sich aus den Zahlen für den Arbeitsmarkt und die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands ziehen? Insgesamt verlangsamt Zuwanderung die Alterung der Bevölkerung in Deutschland. Für die ökonomische Stärke Deutschlands ist der (Erfahrungs-)Austausch gerade junger Erwachsener wichtig, da so früh Vernetzungen über Sprach-, Kultur- und Staatsgrenzen hinweg entstehen. Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) belegen, dass die steigende Zuwanderung aktuell auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu einer Ausweitung des Arbeitsangebots geführt hat, ohne dass zugleich die Arbeitslosigkeit gestiegen ist. Allerdings geht dies mit einer Ausweitung der Beschäftigung in Helfer- und Anlerntätigkeiten, mit häufiger Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträgen, mit einer zunehmenden Zahl von Arbeitsverhältnissen unterhalb des Qualifikationsniveaus der Beschäftigten und mit entsprechendem Druck auf das Lohnniveau einher. Dabei zeigen sich deutliche regionale Disparitäten – vor allem eine erhebliche Problemkonzentration (hohe Arbeitslosen- und Leistungsbezieherquoten) in einigen wirtschaftlich weniger starken Großstädten. In Nachbarschaften bestätigt sich die Kontakthypothese In der laufenden BBSR-Umfrage wurde jährlich nach der wahrgenommenen Sozialstruktur im eigenen Wohngebiet gefragt – unter anderen nach Ausländern und ausländischen Familien. Die nun vorgestellten Befunde stammen aus einer früheren Umfrageanalyse von Antje Güleş und Gabriele Sturm (in BBSR 2013: 427436). Im Jahr 2000 gaben 44 % der Befragten an, dass es keine Ausländer in ihrer Nachbarschaft gebe – 2012 sagten dies noch 25 %. Zeitgleich stieg die „Integrationsbereitschaft“ (auf 64 %) bei abnehmender „Indifferenz“ und etwa gleichbleibender „Segregationsneigung“ (um 9 %). Im Zeitverlauf zeigten sich Schwankungen dieser Einstellungen infolge des Anschlags auf das World Trade Center 2001 und infolge der jüngsten Finanzkrise. Bei der Untersuchung von Zusammenhängen dieser berichteten Wahrnehmungen und Beurteilungen mit anderen erfragten Einstellungen zeigt sich, dass die Beurteilung der Qualität des nachbarschaftlichen Zusammenlebens mit Ausländern weniger von deren Wahrnehmung als Nachbarn (viele versus wenige Ausländer in der eigenen Wohnumgebung) abhängt, sondern vor allem von der Beurteilung des Wohnumfeldes. Zugleich aber ist diese Zufriedenheit mit der eigenen Wohnumgebung als Indikator für die bauliche und sozialräumliche Qualität des Wohngebiets einzuschätzen. Wenn ein Quartier generell als problematisch eingestuft wird („unzufrieden mit Wohnumgebung“), Beurteilung des Nachbarverhältnisses zwischen Deutschen und Ausländern nach Intensität der Kontakte in Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft und Arbeitsplatz (2011) Erwünschte Modelle des Zusammenlebens mit Ausländern nach Intensität der Kontakte in Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft und Arbeitsplatz (2011) Nachrichten der ARL • 3/2015 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 9 9 26.11.2015 11:30:52 THEMA werden auch eher Reibereien mit ausländischen Nachbarn aufgeführt. Die Wahrnehmung von Ausländern in der Nachbarschaft – und somit die alltägliche Erfahrung mit „Fremden“ – wirkt sich auf die „Integrationsbereitschaft“ der Befragten aus. Diejenigen, die quasi keine Erfahrung mit Ausländern als Nachbarn haben, äußern am ehesten einen Segregationswusch: „Es ist besser, wenn die Deutschen und die Ausländer getrennt für sich leben“. Erklärungen für solche Unterschiede bieten vor allem sozialpsychologische und konflikttheoretische Ansätze. Weitere Fragen richten sich auf vorhandene Kontakte mit Ausländern in der Familie, im Freundes-/Bekanntenkreis, am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft. Für die Analyse haben wir daraus einen Index „Kontaktintensität“ gebildet: Je höher diese ist, desto besser wird das Nachbarverhältnis mit Ausländern beurteilt und desto höher erscheint die Integrationsbereitschaft. In Deutschland erfolgt die Integration von Migrantinnen und Migranten verbreitet in Wohnnachbarschaften. Diese ermöglichen auf Ebene eines eher distanzierten Nachbarverhältnisses ein Kennenlernen in alltäglichen Lebensvollzügen. Die größten Differenzen im Hinblick auf die Beurteilung von Ausländern als Nachbarn und einer durchmischten Nachbarschaft besteht zwischen denen, die gar keine ausländischen Nachbarn, und denen, die zumindest einige wenige Ausländer in ihrer Wohnumgebung wahrnehmen. Insofern unterstützen die Analysen der BBSR-Umfrage die Kontakthypothese der Sozialpsychologie und neuere konflikttheoretische Ansätze. So kann freiwillige räumliche Segregation zwar kleine Gemeinschaften stärken, erweist sich mancherorts jedoch weniger förderlich im Hinblick auf das gesellschaftliche Zusammenwachsen. Ein vorläufiges Fazit Im Titel dieses Beitrags ist von Herausforderungen und Chancen die Rede. Was also erscheint auf Grundlage und als Folge des hier kurz Referierten als Herausforderung? Da ist zu nennen, dass ■■ eine ungleiche Verteilung von Flüchtlingen und/oder von gering qualifizierten Zuwandernden auf Länder und Kommunen erfolgt mit entsprechend ungleich verteilten Belastungen; ■■ der Bedarf an finanziellen, sozialen und kulturellen Ressourcen, um Integration schnell und nachhaltig zu gewährleisten, hoch und aktuell nicht gedeckt ist; ■■ Zuwandernde oft Projektionsfolie für Benachteiligte und vom Leben Enttäuschte sind; ■■ zudem eine latente Fremdenfeindlichkeit eine schnellstmögliche Thematisierung auf verschiedensten Ebenen und mittels vielfältiger Medien erfordert. ■■ ■■ ■■ die zusätzlichen Arbeitskräfte erhöhen die ökonomische Leistungsfähigkeit / den Wohlstand in Deutschland; die internationale Vernetzung ist auf Dauer förderlich – nicht nur in Bezug auf die ökonomische Entwicklung; die kulturelle Vielfalt fördert gegenseitiges Verstehen und auf Dauer individuelle Kreativität wie gesellschaftlichen Frieden. Quellen BBSR (Hg.); Körner-Blätgen, N. (Bearbeitung); Sturm, G. (Bearbeitung) (2015): Informationen aus der vergleichenden Stadtbeobachtung. Internationale Migration in deutsche Großstädte. Bonn. = BBSR-Analysen KOMPAKT 11/2015. BBSR (Hg.); Skowski, J. (wiss. Red.) (2014): Zuwanderung, Armut, Verantwortung. Stuttgart. = Informationen zur Raumentwicklung 6.2014. BBSR (Hg.); Cârstean, A. (wiss. Red.) (2013): Migration und Stadt. Stuttgart. = Informationen zur Raumentwicklung 5.2013. Körner-Blätgen, N.; Sturm, G. (2015): Deutsche Großstädte im Netz internationaler Wanderungen. In: Stadtforschung und Statistik 28 (2), 4-9. Dr. Gabriele Sturm ist Projektleiterin im Referat I6 (Stadt-, Umwelt- und Raumbeobachtung) des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) in Bonn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Raum- und Stadtsoziologie, Methoden empirischer Sozialforschung, Umfrageforschung, (kleinräumig) vergleichende Stadtbeobachtung. Kontakt: Gabriele Sturm 0228 99401-1360 [email protected] Nadine Körner-Blätgen ist wissenschaftliche Sachbearbeiterin im Referat I6 des BBSR. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Humangeographie, Bevölkerungsstatistik, (kleinräumig) vergleichende Stadtbeobachtung. Kontakt: Nadine Körner-Blätgen 0228 99401-2314 [email protected] Zugleich sollten wir uns der Chancen bewusst sein, denn ■■ die Gesellschaft in Deutschland wird jünger; ■■ der absehbare Fachkräftemangel wird in vielen Bereichen ausgeglichen; 10 3/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 10 26.11.2015 11:30:52 THEMA Politische Steuerung der Zuwanderung Vortrag von Dr. Steffen Angenendt auf dem ARL-Kongress S ehr geehrter Herr Professor Beckmann, sehr geehrter Herr Professor Danielzyk, meine sehr geehrten Damen und Herren, vielen Dank für die Einladung. Ich bin Politikwissenschaftler, kein Raumwissenschaftler, aber alles, was mit Migration zu tun hat, hat auch mit Räumen zu tun. Deswegen ist mir das Konferenzthema nah und ich freue mich auf die anschließende Diskussion. Die politische Steuerung von Zuwanderung ist ein großes Thema. Dabei geht es vor allem um zwei Fragen. Die erste lautet: „Über welche Zuwanderung reden wir eigentlich?“, die zweite: „Wen betrachten wir, wenn wir über Steuerung sprechen?“. Weil es so komplex ist, teile ich meinen Vortrag in zwei Blöcke: Zunächst spreche ich über Deutschland, anschließend über die Situation auf europäischer Ebene. Ich komme zur ersten Frage: „Über welche Zuwanderung reden wir?“. Diese Frage ist außerordentlich wichtig, denn man muss sich zunächst einmal den Unterschied zwischen Flüchtlingen und Migranten klarmachen. In der politischen Debatte geht wegen dieser unzureichenden Differenzierung einiges durcheinander. Wer ist Flüchtling? Der Flüchtlingsbegriff wird in der Genfer Flüchtlingskonvention definiert. Hierbei sind insbesondere folgende drei Punkte wichtig: Die Konvention verlangt erstens, dass ein Flüchtling begründete Furcht vor Verfolgung hat. Dies beinhaltet, dass er oder sie in einem Verfahren die Chance bekommen muss, diese Verfolgungseigenschaften nachzuweisen, zu begründen. Die Begründung hängt also mit dem Verfahren zusammen. Der zweite Punkt ist der Begriff der Verfolgung selbst. In der Genfer Konvention werden hierzu bestimmte Ursachen aufgeführt: Der Begriff der Verfolgung bezieht sich auf die Rasse, Religion, Nationalität usw. Diese Auflistung wirkt heute ein bisschen aus der Zeit gefallen, weil wir inzwischen andere Verfolgungsgründe kennen, etwa die Verfolgung aufgrund des Geschlechts. Dieser Verfolgungsgrund war damals nicht im Fokus der Aufmerksamkeit, er wird aber in der Rechtssprechungspraxis mittlerweile anerkannt. Und der dritte Punkt ist: Die Person muss sich außerhalb des Landes befinden. Das ist sehr wichtig, denn die Schutzverpflichtung der Flüchtlingskonvention und alle Schutzverfahren beziehen sich nicht auf Menschen, die innerhalb des Landes geflohen sind. Für die Menschen in Syrien oder im Irak, die momentan am schlimmsten von Konflikten betroffen sind, besteht in der Flüchtlingskonvention eine Schutzlücke. Ähnliches gilt auch für andere Flüchtlinge, die vor allgemeiner Gewalt wie z. B. Bürgerkriegen fliehen. In der Anerkennungspraxis wird dieser Umstand allerdings berücksichtigt. Diese Flüchtlinge erhalten einen Status, der dem Flüchtlingsstatus sehr ähnlich ist. Es gibt in der Praxis also eine Entwicklung, diese Schutzlücke der Genfer Flüchtlingskonvention auszugleichen, die daraus entstanden ist, dass diese bestimmte Fluchtursachen nicht abdeckt. Wenn wir nach dieser Definition wissen, was ein Flüchtling ist, wissen wir im Umkehrschluss, dass alle, die diesen Eigenschaften oder den abgeleiteten Folgen davon nicht entsprechen, Migranten sind. In der Praxis ist diese Unterscheidung allerdings oft schwierig, denn auch Migranten verlassen ihre Heimat selten freiwillig. Oft sind Menschen aus wirtschaftlicher Not zur Flucht gezwungen. Das qualifiziert sie aber nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, und sie genießen deshalb auch keinen Schutz. In den Booten, die über das Mittelmeer kommen, sitzen vielleicht zur Hälfte Menschen, die aus wirtschaftlicher Not ihre Länder verlassen haben und eben nicht als Flüchtlinge im engeren Sinne zu gelten haben. Der aufnehmende Staat kann sie zurückschicken. Nur, wie geht man in der Praxis damit um? Erschwerend kommt hinzu, dass beide Gruppen Schlepperorganisationen in Anspruch nehmen, weil es kaum noch legale Möglichkeiten gibt, in die EU zu kommen. Das gilt für Flüchtlinge seit der Asylgesetzänderung von 1992, und es gilt auch für Migranten, weil es auch für sie kaum legale Möglichkeiten gibt, in die EU einzuwandern und dort zu arbeiten. Die Menschen kommen deswegen irregulär oder illegal, je nachdem, wie man das bezeichnen will, und das stellt unsere Politik vor erhebliche Steuerungsprobleme. Nachrichten der ARL • 3/2015 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 11 11 26.11.2015 11:30:52 THEMA Migration in Deutschland: Trends, Triebkräfte und Steuerungsmöglichkeiten Ich möchte nun auf die verschiedenen Zuwanderungsphasen nach Deutschland zu sprechen kommen. Die Abbildung 1 zeigt die deutsche Einwanderungsgeschichte. Quelle: Statistisches Bundesamt Die rote Linie zeigt die Zuzüge nach Westdeutschland – ab 1990 in das wiedervereinigte Deutschland –, die blaue Linie zeigt die Fortzüge. Für die Steuerungsdiskussion sind besonders die Balken interessant: Sie machen deutlich, dass es fünf Phasen in der deutschen Nachkriegsgeschichte gab, in denen mehr Menschen aus Deutschland fortgezogen als zugezogen sind. Wenn man die Konjunkturentwicklung über diese Grafik legt, sieht man, dass diese Wanderungsbewegungen eine ziemlich zeitnahe Reaktion auf wirtschaftliche Veränderungen, insbesondere auf Einbrüche in der Konjunktur, Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Juni 2015 Abb. 1: Zuzüge und Fortzüge, Deutschland, 1954–2014 Abb. 2: Asylanträge (Erstanträge) in Deutschland, 1970–2015 (1. Hj.) 12 3/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 12 26.11.2015 11:31:00 THEMA waren. Einer Rezession folgte, leicht zeitversetzt, immer ein negatives Wanderungssaldo. Migration gehorcht in erster Linie wirtschaftlichen Entwicklungen. Die Abbildung 2 zeigt die Asylanträge in den vergangenen 45 Jahren bis heute. Ganz deutlich wird der Peak um 1992, in diesem Jahr beantragten 438.000 Menschen in Deutschland Asyl. Dies war eine Zeit, in der es auch vermehrt andere Zuwanderer in Deutschland gab, was oft vergessen wird, wenn über diese Jahre gesprochen wird. Es kamen noch 400.000 Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, die aufgrund unserer Verfassung die Möglichkeit hatten, zuzuwandern. Und weiterhin gab es eine starke Zuwanderung aus Ostdeutschland in die westlichen Bundesländer, dies waren auch noch einmal 400.000 Menschen. Die Nettozuwanderung in Westdeutschland lag also deutlich höher als in dieser Graphik angezeigt, sie lag bei 1,2 Millionen Zuwanderern. Seit den Unruhen in der arabischen Welt ändert sich dies wieder. Die lila Linie rechts zeigt die Prognose des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für das Jahr 2015. Inzwischen hat auch das BAMF seine Prognose nach oben korrigiert, die Zahl der Asylanträge wird wahrscheinlich bei 800.000, möglicherweise aber auch über einer Million liegen, also deutlich über der Zahl von 1992. Wenn die Flüchtlinge es geschafft haben, in Deutschland ihren Asylantrag zu stellen, werden sie nach einem Verteilsystem einer Erstaufnahmeeinrichtung zugewiesen. Die Verteilung folgt unterschiedlichen Kriterien wie z. B. den Aufnahmekapazitäten der Einrichtungen oder ihren Zuständigkeiten für bestimmte Herkunftsländer. Anschließend werden die Flüchtlinge nach dem sogenannten „Königsteiner Schlüssel“ auf die einzelnen Bundesländer verteilt. Die Verteilung orientiert sich dabei an der Bevölkerungszahl und dem Steu- Quelle: BAMF, Das Bundesamt in Zahlen 2014, Nürnberg 2015 Wenn wir uns an diese Jahre zurückerinnern, erinnern wir uns auch an furchtbare Szenen: Kommunen waren nicht mehr in der Lage, die zur Versorgung nötige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, Schulen wurden geschlossen und Turnhallen konfisziert. Es gab eine Welle fremdenfeindlicher Gewalt, in der ganzen Republik brannten Asylbewerberheime, es gab Mordanschläge. Nach 1992 ist die Zahl der Asylbewerber infolge der Asylgesetzänderung stark zurückgegangen. Das zuvor unbeschränkte Recht auf Asyl im Artikel 16 GG wurde durch die damalige Bundesregierung eingeschränkt. In Deutschland und auch in den europäischen Nachbarländern wurde ein ganzes Instrumentarium eingeführt, um Asylbewerber von Europa fernzuhalten. Seitdem ist die Zahl der Asylanträge stark zurückgegangen. Abb. 3: Zuzüge nach Herkunftsländern, Deutschland, 2014 Nachrichten der ARL • 3/2015 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 13 13 26.11.2015 11:31:05 THEMA eraufkommen der Bundesländer. Nordrhein-Westfalen liegt mit 21 % an der Spitze aller Bundesländer, was aber vor allem mit der Bevölkerungszahl zu tun hat. Gruppe der Erwerbstätigen, die die ältere Bevölkerung mitversorgen muss, schrumpft. Sie sehen dies sehr deutlich in der Abbildung 4. Von den 520.000 Menschen, die im Jahr 2014 aus Nicht-EU-Staaten zuwanderten, kamen nach den aktuellsten Zahlen des Bundesamtes 11,1 % zu Ausbildungszwecken, 12,3 % zum Familiennachzug und nur 7,2 % zu Arbeitszwecken nach Deutschland. Das ist erstaunlich, man muss sich eigentlich fragen: Ist das die Prozentzahl, die wir mit unserer Zuwanderungspolitik erreichen wollen, in einem Land, das zunehmend auf qualifizierte und auch weniger qualifizierte Zuwanderung angewiesen ist? Mit anderen Worten: Steuern wir die Zuwanderung richtig? Und lässt sie sich überhaupt steuern? Der Anstieg der grünen Linie zeigt die Generation der Babyboomer, also die Bevölkerungsgruppe, die in den 1960er Jahren geboren wurde. Wenn diese Gruppe, wie in der nach rechts verschobenen blauen und schwarzen Linie angedeutet, ins Rentenalter kommt, verändert sich das Verhältnis von Erwerbsbevölkerung zu älteren Alterskohorten deutlich. Im Moment müssen 100 Menschen im arbeitsfähigen Alter 64 Menschen mitversorgen, hierzu zählen Kinder und Senioren. In 20 Jahren wird sich das Verhältnis zu einer 1:1-Versorgung wandeln, also 100 Menschen im arbeitsfähigen Alter werden 100 Menschen im Kinder- oder Rentenalter mitversorgen müssen. Das ist eine erhebliche Belastung für unsere Kinder und deren Nachkommen. Wie viel Einwanderung braucht Deutschland? Die Frage ist natürlich: Warum steuern wir eigentlich? Ein Grund ist der demographische Wandel. Die Zusammensetzung der Arbeitsbevölkerung verändert sich. Die Nun zu der Frage, wie viel Einwanderung Deutschland eigentlich bräuchte, um diesen Trend auszugleichen: Wenn wir gar keine Einwanderung hätten, würde die Bevölkerung bis zum Jahr 2050 um 28 % schrumpfen. Wenn die Zuwanderung ungefähr auf dem aktuellen Niveau bliebe, könnten wir die Bevölkerungszahl stabil halten. Allerdings wissen wir in diesem Zusammenhang nicht, wohin sich die Zuwanderung aus den EU-Ländern Abb. 4: Schrumpfende Erwerbsbevölkerung: Größe der Alterskohorten, Deutschland, 2013 – 2040 e 14 Quelle: Holger Schäfer, IW; Statistisches Bundesamt Um dies zu beantworten, müssen wir zunächst betrachten, woher die Zuwanderer kommen. Die Abbildung 3 zeigt, welche Herkunftsländer unter den Migranten besonders stark vertreten sind. 3/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 14 26.11.2015 11:31:08 Source: United Nations Population Division THEMA Abb. 5: Ersatzmigration entwickeln wird, dies ist die große Unbekannte in der Gleichung. Wenn sich die wirtschaftliche Situation in den Krisenländern Südeuropas verbessert, kann es gut sein, dass viele Italiener und Spanier wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Das ist sozusagen die Kehrseite meiner These, dass Migration stark auf wirtschaftliche Entwicklungen reagiert. Wenn wir trotz des demographischen Wandels das Verhältnis von der älteren zur jüngeren Arbeitsbevölkerung stabil halten wollen, bräuchten wir ungefähr eine Nettozuwanderung von 3,4 Millionen, so Berechnungen der Vereinten Nationen. Dann hätte Deutschland 300 Millionen Einwohner, 80 % davon hätten einen Migrationshintergrund. Wenn wir uns ansehen, wie viele Menschen aus den Nicht-EU-Staaten zu uns kommen – im Jahr 2013 waren es laut Statistischem Bundesamt knapp 24.000 –, dann ist diese Zahl nicht sonderlich hoch in Anbetracht der Anstrengungen der Bundesregierung, über eine Reform des Zuwanderungsgesetzes Hochqualifizierte ins Land zu locken. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Deutschland nach Aussage der OECD das Land mit dem offensten Zuwanderungsgesetz für qualifizierte und hochqualifizierte Arbeitskräfte in der EU ist. Meine Vermutung ist: Die deutsche Einwanderungspolitik ist im In- und Ausland zu wenig bekannt – meines Erachtens der wichtigste Grund für weitere Reformen und für ein Einwanderungsgesetz, das diese Regelungen in transparenter und verständlicher Form kommuniziert. Ich komme jetzt zur europäischen Ebene. EU-Flüchtlingspolitik: Herausforderungen und Handlungsoptionen Im Hinblick auf die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union sehe ich vor allem drei Probleme: Erstens gibt es keine legalen Zuwanderungsmöglichkeiten für Flüchtlinge in die EU. Zweitens gibt es keine einheitlichen Standards bei der Unterbringung von Flüchtlingen in den EU-Mitgliedsländern. Dies ist frappierend, weil eigentlich alle Aspekte über EU-Richtlinien geregelt sind. Aber diese Richtlinien werden nicht eingehalten. Das dritte Problem ist die Quotenregelung, also eine faire Lastenverteilung bei der Verteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen Mitgliedstaaten. Hierauf möchte ich kurz näher eingehen: Momentan ist es so, dass fünf Mitgliedstaaten drei Viertel aller Asylbewerber in der EU aufnehmen, Deutschland ist einer dieser fünf Staaten und nimmt im Jahr 2015 wahrscheinlich die Hälfte aller Flüchtlinge auf. In dem Zusammenhang stellen sich grundlegende Fragen: Wie gehen wir in den EU-Staaten mit Flüchtlingen um? Und was heißt Solidarität in der EU? Wenn wir auf diese Fragen keine Antworten finden, prognostiziere ich, dass wir in absehbarer Zeit wieder ständig kontrollierte Binnengrenzen in der EU haben. Allerdings möchte ich in diesem Zusammenhang auch auf eine andere Zahl hinweisen: In den vergangenen Jahren lag das Passagieraufkommen innerhalb der EU im Durchschnitt bei 700 Millionen. Ich nenne diese Zahl hier nur, um deutlich zu machen, welch ein großer Bewegungsraum die EU dank des Schengener Abkommens eigentlich ist. Nachrichten der ARL • 3/2015 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 15 15 26.11.2015 11:31:12 THEMA Wir brauchen dringend eine Diskussion darüber, wie eine faire Verteilung der Flüchtlinge aussehen könnte. Ich habe hierzu mit Kollegen einen Vorschlag erarbeitet, den ich Ihnen hier vorstellen möchte und der in modifizierter Form von der EU-Kommission übernommen wurde. Unser Ausgangspunkt war, dass die gegenwärtige Verteilung von Flüchtlingen nach dem Dublin-Abkommen nicht funktioniert, weil sich einzelne Staaten nicht mehr an dieses System halten. Griechenland oder Italien z. B. lassen Flüchtlinge in den Norden Europas weiterreisen, weil sie mit der Situation überfordert sind. Und da die Standards in der Flüchtlingsunterbringung und die Wirtschaftslage in diesen beiden Ländern schlecht sind, wollen die Menschen auch weiterreisen. Unser Vorschlag war, die Flüchtlinge nach einem Multifaktorenmodell zu verteilen, das folgende vier gewichtete Kriterien enthält: Quelle: Eurostat, UNHCR Alternativen zum Dublin-Abkommen Abb. 7: Asylanträge in Bezug zum Multifaktorenmodell, ausgewählte EU-Staaten, 2009–2013, in Tausend Quotenregelung oder Finanzausgleich? Quelle: SWP/SVR Was macht man nun mit so einem Verteilungsschlüssel? Im Endeffekt gibt es zwei Möglichkeiten: die physische Verteilung der Flüchtlinge nach einer Quotenregelung oder die Schaffung eines finanziellen Ausgleichs für die EU-Mitgliedstaaten, die mehr Flüchtlinge aufnehmen, als sie der Quote nach müssten. Dies ist eine politische Frage, die auch politisch beantwortet werden muss. Abb. 6: Multifaktorenmodell zur Bestimmung fairer Aufnahmequoten Diesen Vorschlag haben wir im Dezember 2013 der Europäischen Kommission vorgelegt, die diesem in ihrem eigenen Vorschlag weitestgehend gefolgt ist. Einzig das Kriterium „Größe/Territorium“ wurde von der Kommission durch das der bereits erfolgten Aufnahme von Flüchtlingen in den jeweiligen Mitgliedsländern ersetzt, was auch sinnvoll ist. Wenn man die Aufnahmequoten der einzelnen Länder aus dem Jahr 2013 mit den Quoten, die sich nach unserem Modell ergäben, vergleicht, müssten tatsächlich einige Länder mehr, einige Länder weniger Flüchtlinge aufnehmen. Die Aufnahmezahlen von Deutschland blieben in etwa gleich, Spanien, Italien, England und Polen müssten hingegen mehr Flüchtlinge aufnehmen. 16 Ich bin der Meinung, dass die erste Möglichkeit, die physische Verteilung der Flüchtlinge, in der Praxis nicht gut funktioniert. Sie funktioniert nicht, weil die Flüchtlinge nicht dort hingehen, wo sie nach der Quote hingehen sollen, sondern sie gehen in die Länder, in denen sie bereits Kontakte haben und wo sie eine Zukunftschance sehen. Die Quotenregelung funktioniert auch deshalb nicht, weil sie teuer ist und ein Bürokratiemonster schafft. Das sehen wir bereits an der Praxis des Dublin-Systems, das nach diesem Prinzip funktioniert. Mein Vorschlag wäre deswegen, anstelle der physischen Verteilung ein finanzielles Ausgleichsverfahren zu schaffen. Und auch hier gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder man erstattet die Kosten der Aufnahme von Flüchtlingen und entschädigt das Land, das überproportional viel Flüchtlinge aufgenommen hat, durch einen entsprechenden EU-Fonds. Oder aber, und dies wäre mein Vorschlag, man stellt das System der Finanzierung sozusagen „vom Kopf auf die Füße“. Mit anderen Worten: Was würde passieren, wenn wir nicht nur die tatsächlichen Kosten erstatten, sondern wenn wir darüber hinaus eine bestimmte Summe pro Asylbewerber berechnen, sagen wir z. B. 6.000 bis 12.000 Euro, und diese nicht den jeweiligen Landesregierungen zur Verfügung stellen, sondern direkt den Kommunen, die die Flüchtlinge aufnehmen? 3/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 16 26.11.2015 11:31:19 Quelle: SWP/SVR Quelle: Eurostat, UNHCR THEMA Abb. 8: Anteile gemäß Quotenmodell, SWP/SVR und EU-KOM Ich bin mir ziemlich sicher, dass das eine radikale Wende in der Flüchtlingspolitik einleiten würde und ich könnte mir vorstellen, dass einige strukturschwache Regionen ein sehr großes Interesse daran hätten, Zuwanderer aufzunehmen, weil die Kompensation der Kosten den Kommunen direkt zugutekäme. Ich kann mir gut vorstellen, dass der eine oder andere Landrat oder Bürgermeister höchstes Interesse daran hätte, für die Integration dieser Menschen zu sorgen, weil er sonst nicht wiedergewählt würde. Dies ist ein erster Vorschlag zur Diskussion. Er wäre die Umkehr von dem, was wir tagtäglich erleben. Er würde Schluss machen mit den Top-down-Entscheidungen in Berlin oder im zuständigen Landesamt, er würde Schluss machen mit der gegenwärtigen Situation in den Bezirken, die von einem auf den anderen Tag eine bestimmte, ihnen von oben zugewiesene Zahl von Flüchtlingen unterbringen und zusehen müssen, wie sie mit der Situation vor Ort klar kommen. Der Top-down-Ansatz der bisherigen Flüchtlingspolitik, der meiner Ansicht nach in keiner Hinsicht mehr befriedigend funktioniert, würde in diesem Modell durch einen Bottom-up-Ansatz ersetzt. Dr. Steffen Angenendt ist Senior Associate der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Kontakt: Steffen Angenendt 030 880 07 234 [email protected] Nachrichten der ARL • 3/2015 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 17 17 26.11.2015 11:31:24 THEMA Raumwissenschaftliche Rückwanderungsforschung … aber wie? W anderungsbedingte Bevölkerungsverluste betreffen in Deutschland derzeit vor allem ländlichperiphere Regionen, während viele Großstadtregionen starke Wanderungsgewinne verzeichnen. Um der Schrumpfung, Alterung und der damit einhergehenden Fachkräfteproblematik in den ländlichen Regionen zu begegnen, sind die dorthin Zuziehenden in den Fokus von Politik und Forschung gerückt. Eine Teilgruppe stellen die Rückwanderer dar. Ihnen wird eine starke Heimatverbundenheit und eine emotionale Bindung an die für andere Migrantengruppen weniger attraktiven Regionen attestiert. Daher wird auch eine hohe Bleibeabsicht vermutet. Mit einer Vielzahl von Rückkehrinitiativen wird deshalb gezielt versucht, Abgewanderte zur Rückkehr zu mobilisieren. Lokalpolitiker und Wirtschaftsvertreter erhoffen sich, mit Rückkehrern neue Bürger und Fachkräfte zu gewinnen, die das in der Ferne gewonnene Know-how, neue Kompetenzen sowie soziale Netzwerke für die Regionalentwicklung in den Heimatregionen einbringen. Diese Annahmen sind bisher jedoch nicht ausreichend empirisch fundiert. Während also mit der Gruppe der Rückwanderer große Hoffnungen verbunden sind, weiß man bislang wenig über sie. Hier setzt die raumwissenschaftliche Rückwanderungsforschung an. Lücken in der Statistik Die Schwierigkeit bei der Beobachtung von Rückwanderung besteht darin, dass Rückwandernde in den statistischen Systemen nicht als solche erfasst werden. Wenn Menschen umziehen, verlegen sie in der Regel ihren Wohnsitz. Ziehen sie zurück, werden sie im Meldesystem jedoch nur als Zuziehende registriert, da bei der Anmeldung lediglich der direkt vorangegangene Wohnort erfasst wird. Die Wanderungsbiographie mit allen vorherigen Wohnorten wird im deutschen Einwohnermelderegister nicht erhoben. Damit lassen sich Rückwanderer anhand von amtlichen Registern nicht identifizieren. Eine Alternative bietet der Rückgriff auf Befragungsdaten, die Wanderungsbiographien erheben. Meist sind jedoch auch in den großen Befragungen (wie bspw. dem europäischen Labour Force Survey oder dem Sozioökonomischen Panel) nur Auswertungen auf der 18 nationalen Ebene möglich, da die Fallzahlen für regional differenzierte Betrachtungen zu gering sind. Die für die Raumwissenschaften spannenden Fragestellungen bezüglich regionaler Ungleichheiten im Rückwanderungsverhalten lassen sich damit nicht bearbeiten. Viele Forschungsprojekte zur Rückwanderung arbeiten daher mit kleinen Fallstudien und sind selten flächendeckend angelegt. Zwei zentrale Forschungslücken leiten sich daraus ab. Erstens ist unklar, welchen Umfang die Rückwanderung insgesamt hat und welche regionalen Muster sich abbilden lassen. Zweitens fehlt es an Wissen über den tatsächlichen Einfluss von Rückwanderung auf die Regionalentwicklung in Abwanderungsregionen. Die IAB-Beschäftigtenhistorik als innovative Datenquelle Dennoch gibt es innovative Möglichkeiten, bestehende Datensätze aus der Perspektive der raumwissenschaftlichen Rückwanderungsforschung neu auszuwerten. Die Beschäftigtenhistorik (BeH) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) stellt z. B. eine Vollerhebung zu allen in Deutschland sozialversicherungspflichtig Beschäftigten dar. Dieser Datensatz wird aus den Entgeltmeldungen der Arbeitgeber an die Sozialversicherungsträger generiert. Aus raumwissenschaftlicher Sicht ist der Datensatz interessant, weil seit 1999 für jeden Beschäftigten Arbeits- und Wohnort erfasst werden. Zudem werden durch die Panelstruktur personenbezogene Veränderungen in diesen beiden Variablen mitgeführt, sodass sich individuelle Wanderungsbiographien aus dem Datensatz ableiten lassen. Auch lässt der Datensatz aufgrund der hohen Fallzahl regional differenzierte Analysen zu. Letztlich ist die Möglichkeit, Quell- und Zielgebiete von Wanderungen auf kleinräumiger Ebene in Verbindung zu bringen ein großer Vorteil für die Raumbeobachtung und Raumplanung. Neben den genannten Möglichkeiten hat die Verwendung des Datensatzes jedoch einige Nachteile. Ein grundlegendes Problem ist, dass der Datensatz nur die ca. 30 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigten beinhaltet. Diese repräsentieren ca. 56 Prozent der Personen im erwerbsfähigen Alter. Nicht beobachten lassen sich demnach all die Personen, die nicht oder in anderer 3/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 18 26.11.2015 11:31:25 THEMA Form erwerbstätig sind (bspw. Beamte, Selbstständige). Ebenso können jüngere und ältere Gruppen nicht abgebildet werden. Da das Erfassungskriterium eine Anstellung in Deutschland ist, fallen auch Grenzpendler mit Arbeitsort im Ausland aus der Betrachtung heraus. Für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit Phasen der Arbeitslosigkeit, nicht sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit oder Beschäftigung im Ausland entstehen Erfassungslücken für die entsprechenden Zeiträume. Die IAB-Beschäftigtenhistorik ist also ein adäquates Mittel für die Beobachtung der Arbeitskräftemobilität innerhalb Deutschlands, nicht jedoch für die Bevölkerung insgesamt. Forschungspraktisch besteht die Notwendigkeit, den Datensatz aufgrund der Datenschutzregelungen gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu bearbeiten, da die Rohdatensätze außerhalb der IAB-Netzwerke nicht zur Verfügung stehen. Nachrichten der ARL • 3/2015 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 19 19 26.11.2015 11:31:35 THEMA Rückwanderung nach Ostdeutschland Chancen für die Wanderungsforschung Für den Spezialfall der Rückwanderung von Ostdeutschen aus den alten in die neuen Bundesländer wurde die Beschäftigtenhistorik in einer Kooperation zwischen dem Leibniz-Institut für Länderkunde und dem Regionalen Forschungsnetz am IAB Sachsen im Jahr 2013 erstmalig ausgewertet. Für den Zeitraum 2000–2010 wurde die Rückwanderung kreisscharf analysiert. Als abwandernde Ostdeutsche waren alle Personen definiert, deren erste Beschäftigung und damit erstmalige Meldung zur Sozialversicherung seit 1992 in einem ostdeutschen Kreis stattfand und die ihren Wohnsitz seit 1999 mindestens einmal aus den neuen in die alten Bundesländer verlagerten. Rückwandernde Ostdeutsche waren demnach diejenigen, die ihren Wohnsitz in der Folge wieder in den Herkunftskreis der neuen Bundesländer zurückverlagerten. Im Vergleich der Zeiträume 2000–2005 und 2006–2010 lässt sich erkennen, dass die Rückkehrraten – also der Anteil der Rückwanderer an der Abwanderergruppe – in fast allen ostdeutschen Kreisen deutlich zugenommen haben. Die Rückkehrraten sind insbesondere in den Kreisen vergleichsweise hoch, die durch eine geographische Nähe zu den alten Bundesländern gekennzeichnet sind. Die brandenburgischen Kreise im Ballungsraum Berlin haben hingegen niedrige Abwanderungs- und Rückkehrraten, da hier der Berliner Arbeitsmarkt eine große Relevanz hat. Auch zeigt sich, dass die kreisfreien Städte in den neuen Ländern nicht so stark von der Rückwanderung profitieren wie die ländlichen Kreise. Wie die nebenstehende Karte – in auf Landesebene aggregierter Form – verdeutlicht, lassen sich auch die Beziehungen zwischen Quell- und Zielgebieten klar abbilden. So kehren Rückkehrer tendenziell eher aus den nahe gelegenen alten Bundesländern in ihr ostdeutsches Bundesland zurück. Neben der skizzierten Anwendung auf den Fall der Rückwanderung nach Ostdeutschland ermöglicht die Beschäftigtenhistorik des IAB weitere aus raumwissenschaftlicher Sicht spannende Zugänge zur Wanderungsund Mobilitätsforschung. So wäre eine geographische Ausdehnung auf Phänomene der Rückwanderung in ländliche Gebiete der alten Bundesländer vor dem Hintergrund interessant, dass auch hier die Bevölkerungsschrumpfung und -alterung in einigen Regionen deutlich zunimmt. Auch eignet sich der Datensatz für Fragestellungen, die sich mit dem Phänomen der (Re-) Urbanisierung beschäftigen oder die gegenläufige Entwicklung einer Stadt-Land-Rückwanderung in den Blick nehmen. Anschlussfähig wären Forschungen mit diesem Datensatz auch im Hinblick auf die in der ARL im Rahmen des AK Multilokalität diskutierten Phänomene. So könnten spezifische Stadt-Land-Partnerschaften auf Basis multilokaler Arbeitskräfte identifiziert werden. In Kombination mit anderen Datenquellen könnten auch strukturelle Merkmale von Regionen mit hohen Rückwanderungsraten weitergehend untersucht werden, um die Attraktivität von Regionen differenziert zu betrachten. Weiterhin ermöglicht der Datensatz Rückschlüsse auf die Auswirkungen von Rückwanderung auf die Regionalentwicklung im ländlichen Raum Ostdeutschlands. Aufgrund der demographischen Entwicklung zeichnet sich hier ab, dass der Fachkräftemangel ein zunehmendes Problem für die wirtschaftliche Entwicklung darstellen wird. Insofern ist ein ergänzender Blick auf die Arbeitsorte der Rückkehrer sinnvoll. In den Regionen mit hohen Rückkehrraten ist der Anteil der „Auspendler“ an den Rückkehrern vergleichsweise hoch. Auspendler sind Arbeitskräfte, die ihren Wohnsitz zurück an ihren Herkunftsort verlegt haben, aber weiterhin zur Arbeitsstätte in den alten Bundesländern pendeln. Im Hinblick auf den zunehmenden Fachkräftemangel in den neuen Bundesländern ist von ihnen nur begrenztes Potenzial für die Regionalentwicklung zu erwarten. 20 Zum Nachlesen Nadler, Robert; Wesling, Mirko (2013): Zunehmende Rückwanderung von Arbeitskräften nach Ostdeutschland. In: Nationalatlas aktuell/ 7 (13.12.2013) 11. - 7 (13.12.2013) 11 [http://aktuell.nationalatlas.de/rueckwanderung-11_122013-0-html/] Dr. Robert Nadler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am LeibnizInstitut für Länderkunde (IfL). Kontakt: Robert Nadler 0341 60055-140 [email protected] 3/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 20 26.11.2015 11:31:39 THEMA Migration und Diversität als urbane Ressource I n diesem Artikel werde ich die vorherrschenden urbanen Mythen über Migration und Diversität radikal infrage stellen und versuchen, neue Blicke zu eröffnen. Im Gegensatz zu einem nationalen Ordnungsdenken, das auf Eindeutigkeit und Homogenität beharrt, wird hier eine andere Perspektive eingenommen: Die „Stadt ist Migration“. Diese Grundidee werde ich nachfolgend entfalten. Statt einer systematischen Abhandlung geht es mir hier um unterschiedliche Perspektiven, Ideen und Visionen, die Migration, Urbanität und Diversität zum Ausgangspunkt des Denkens wählen und nicht als isoliertes Objekt der Forschung. Deswegen steht hier keine Analyse des Verhältnisses von sogenannten Mehrheiten, Minderheiten oder Migranten im Fokus. Solche Gegensätze schaffen ihre eigene Normalität bzw. ihren eigenen Referenzrahmen und werden der Vielheit des urbanen Zusammenlebens und ihrer Widersprüchlichkeit nicht ansatzweise gerecht. Wenn man wie ich Migration, Urbanität und Diversität zum Ausgangspunkt des Denkens machen will, erfordert dies eine neue Art und Weise des Herangehens. Migration und Stadt: eine Frage der Perspektive Auf welche Weise der Zusammenhang zwischen Stadt und Migration diskutiert und beschrieben wird, hängt von der Art und Weise ab, wie das Phänomen beobachtet und von welchen Prämissen ausgegangen wird. Oft sind die weiteren Erzählungen davon abhängig, wie und welche Fragen gestellt werden. Die Art der Fragestellung spielt also für unsere Beobachtungen und Analysen stets eine wesentliche Rolle. Mit ihr legen wir fest, was wir sehen – und was wir übersehen. Denn Sehen und Wahrnehmen sind keine passiven, sondern aktive Handlungen. Man kann Migration aus der Perspektive der Sesshaftigkeit als eine problematische Randerscheinung kommunizieren oder, im Gegensatz dazu, als einen integralen Bestandteil urbaner Entwicklungen, womit Stadtgeschichten als Migrationsgeschichten in den Mittelpunkt rücken. Zwar wird Mobilität allseits als Erfordernis unserer globalisierten Welt beschworen, transnationaler Migration bzw. Zuwanderung wird aber weiterhin mit Argwohn und Ablehnung begegnet. Nahezu unreflektiert erstreckt sich dieser Blick auch auf Stadtviertel oder Straßenzüge, die sichtbar von Migration geprägt sind, wo inzwischen die Nachkommen von Zuwanderern bereits in der dritten Generation leben und arbeiten. Schnell werden solche Quartiere als Problemviertel abgetan, geraten langfristig in Verruf. Das führt schließlich dazu, dass die Bedeutung von Migration für Städte aus dem Blick gerät und die Potenziale, die solche Stadtviertel für urbanes Leben bieten, übersehen werden. Die Gegenwart der Geschichte Wer heute die Zeitung aufschlägt, braucht nicht lange zu suchen, bis er den ersten Bericht über Integrationsprobleme von Migranten findet. Migrationsgeprägte Viertel – manchmal sind es nur einzelne Straßenzüge – geraten pauschal ins Gerede. Sie werden vielfach als „Parallelgesellschaften“ abgewertet und zum Symbol einer verfehlten Migration und Integration stilisiert. Dadurch werden sie regelmäßig stigmatisiert. Das Leben in diesen Quartieren gilt als Entgleisung, wird durch negative Abweichung von der Mehrheitsgesellschaft bzw. von der Mittelschicht charakterisiert. Die Begriffe „Mehrheitsgesellschaft“ oder „Mittelschicht“ bezeichnen dabei eine nicht weiter definierte implizite Norm. Aus dieser Sicht erscheinen migrationsgeprägte Stadtviertel „als Horte versammelter Regellosigkeit, Abweichung und Anomie“, wie Loic Wacquant in Bezug auf die öffentliche Repräsentation amerikanischer Ghettos festgestellt hat (1998: 21). Eine solche Haltung versperrt jedoch den Blick auf die gesellschaftsverändernde Kraft von Migrationsbewegungen und deren innovatives Potenzial. Es fällt jedenfalls auf, dass der konstitutive Beitrag von Migrationsbewegungen im öffentlichen Gedächtnis kaum existiert. Dieser Umgang produziert und reproduziert ein gesellschaftliches Rezeptwissen, das als Wegweiser der Wahrnehmung fungiert und auf dem weitere Beobachtungen basieren. Kontrapunktischer Blick Zur Charakterisierung gegenwärtiger Städte benutze ich die Metapher „Die Öffnung der Orte zur Welt“. Damit meine ich, dass wir in unserem Alltag ständig mit unterschiedlichen und widersprüchlichen Elementen zu tun haben, die in einem weltweiten Kommunikationszusammenhang stehen. Weltweite Bezüge gehören zur Alltagsnormalität. Es ist jedenfalls nicht mehr möglich, die durch die Öffnung der Orte zur Welt entstandene Diversität und Vielschichtigkeit zu einem einheitlichen Gebilde zusammenzufügen. Diese durch Diversität Nachrichten der ARL • 3/2015 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 21 21 26.11.2015 11:31:39 THEMA geprägten Lebenswirklichkeiten gleichen dem, was Edward Said (1990) „atonales Ensemble“ nannte: Die urbane Realität kann am besten charakterisiert werden durch radikale Vielheit, Mehrdeutigkeit, Ambivalenz und Widersprüche. Menschen sind in der globalisierten Welt grundsätzlich mobil, Bewegung wird aus unterschiedlichsten Motiven zum Lebensentwurf, ob für eine gewisse Zeit oder dauerhaft. In der Gegenwart erfahren Phänomene wie Sesshaftigkeit und Mobilität einen Wandel. Jede dritte Lebensgeschichte in Großstädten ist mittlerweile eine von Migration geprägte. Lokale Geschichten sind heutzutage immer eingebettet in weltweite Zusammenhänge. Infolge geografischer Mobilität haben fast alle Menschen Verwandte oder Bekannte in verschiedenen Ländern, ihre Biografien weisen weltweite Bezüge auf, was als eine Art alltäglicher Kosmopolitismus bezeichnet werden kann. Stadt ist Migration In der Geschichte haben gerade grenzüberschreitende Migrationsbewegungen, die die Großstädte im Zuge der Industrialisierung von Anbeginn an prägten, wesentlich zu Stadtentwicklung und Urbanität und damit zur Kosmopolitisierung unseres Alltags beigetragen. Im Grunde sind Stadtentwicklung und Urbanität ohne die geografische Mobilität von Menschen kaum vorstellbar (vgl. Yildiz 2013; Yildiz/Mattausch 2009). Sozialhistorische Studien legen nahe, dass Sesshaftigkeit über mehrere Generationen ein Mythos ist. Mobilitätserfahrungen und die damit verbundene Diversität haben das urbane Leben immer geprägt (siehe exemplarisch Yildiz/ Mattausch 2009). Gerade Köln ist ein gutes Beispiel dafür, wie Migration vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg die Städte geprägt und eine große Vielfalt hervorgebracht hat. Ohne diese Vielfalt wäre Köln heute kaum vorstellbar. Auch in den einzelnen Stadtteilen haben Migrationsbewegungen ihre Spuren hinterlassen und wesentlich zur Kosmopolitisierung und Pluralisierung und damit auch zur Lebensqualität beigetragen. Aus historischethnografischer Perspektive beschreibt Erwin Orywal (2007) die Kölner Migrationsgeschichte, die Sozialgefüge und Alltagskultur der Stadt ständig gewandelt und eine Diversität hervorgebracht hat, die durchaus als Ergebnis einer zweitausendjährigen Zuwanderung angesehen werden kann. Köln bezeichnet sich gern als die nördlichste Stadt Italiens. Tatsächlich finden sich im Stadtbild, in den Geschäftsstrukturen und im Straßenleben zahlreiche Hinweise auf den mediterranen Einfluss. Viele Beispiele zeigen, wie erfolgreich die Einwanderer trotz restriktiver Bedingungen und struktureller Barrieren waren. Allein angesichts der Tatsache, dass unter den Migranten die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch und die allgemeine Qualifikation nur halb so hoch ist, stellen migrations- 22 geprägte Stadtteile oder Straßenzüge in Köln eine Erfolgsgeschichte dar. Sie zeigen, dass Einwanderer auch unter extrem ungünstigen Bedingungen einen hohen Integrationswillen besitzen und neue Kompetenzen entwickeln. Postmigrantische Urbanität Die Kinder und Enkelkinder der Gastarbeitergeneration formulieren neue Perspektiven und beginnen, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Darin setzen sie sich sowohl mit der Migrationsgeschichte ihrer Eltern und Großeltern als auch mit ihren eigenen Lebensbedingungen auseinander. Sie entwickeln neue Lebensentwürfe und Strategien zur gesellschaftlichen Verortung und fügen unterschiedliche Elemente zu hybriden Lebensentwürfen zusammen. Das Ergebnis sind kulturelle Überschneidungen, Irritationen, Grenz- und Zwischenräume sowie simultane Zugehörigkeiten. Sie sehen sich als Kölner, Berliner oder Wiener, entwickeln eine provokante „Kanakenkultur“ oder „Tschuschenkultur“ und schaffen auf diese Weise urbane Räume, die beschränkten Vorstellungen über Migration und Integration entgegenstehen. Dieses neue Verständnis und die Strukturen, die daraus hervorgehen, könnte man als „postmigrantisch“ bezeichnen (vgl. Yildiz 2010). Eine postmigrantische Perspektive entwirft z. B. der in München aufgewachsene Autor und Schauspieler Emre Akal in seinem Theaterstück „Die Schafspelzratten“, das auf zahlreichen Gesprächen mit Immigranten der ersten, zweiten und dritten Generation basiert. Aus diesen Gesprächen und seinen Erfahrungen als Kind türkischer Einwanderer entwickelte er die Figuren und die Sprache des Theaterstückes. Hier werden widersprüchliche Geschichten zwischen Generationen sichtbar, die bewusst Authentizität und Eindeutigkeit infrage stellen und festgefahrene Wahrnehmungsmuster wie „Migranten“ und „Einheimische“ durcheinanderbringen. Interessant ist auch der Versuch, die Stigmatisierung von Migrantenvierteln als ökonomische Ressource nutzbar zu machen. Halit Özet, der im Duisburger Stadtteil Marxloh, genannt „Klein-Istanbul“, aufwuchs, nennt diesen Stadtteil eine „kreative Parallelgesellschaft“. Im negativen Image des Stadtviertels sieht Halit, der mit einem Kollegen eine Film- und Fernsehproduktionsfirma in Marxloh gegründet hat, viele schöpferische Potenziale. Ethnische Klischees und Stigmatisierung sollen als Chance und Geschäftsidee genutzt werden. Marxloh wird als Marke inszeniert. Halit Özet ist stolz darauf, ein Marxloher zu sein. Er sei eben „Made in Marxloh“, so wie es auf dem Logo steht, das er und seine Freunde als Button tragen – ein Zeichen ihrer symbolischen Identität. Dabei handelt es sich um eine kreative, ironische und subversive Nutzung zugeschriebener Merkmale. Auch der Name „Kanak Attack“ – ein loses Bündnis postmigrantischer Jugendlicher und Heranwachsender in Deutschland, eine Art soziale Bewegung – bezeichnet 3/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 22 26.11.2015 11:31:39 THEMA eine solche subversive Umwendung, die aus der hegemonialen Zuschreibung „Kanake“ mittels ironischer Umdeutung eine positive Selbstdefinition macht: Auf diese Weise werden Räume des Widerstands gegen eine hegemoniale Normalisierungspraxis und gegen die „Kanakisierung“ bestimmter Gruppen geschaffen. Der Widerstand besteht in einer kreativen Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden Wissen der Dominanzgesellschaft, in der Absicht, dieses zu dekonstruieren. Was die Umkehrung negativer Zuschreibungen und deren ironische Umdeutung betrifft, spricht Stuart Hall von „Transkodierung“. Nach seiner Überzeugung können Bedeutungen niemals endgültig festgelegt und kontrolliert werden. Transkodierung meint die Aneignung und Re-Interpretation, kurz die Umdeutung bestehender Begriffe und Wissensinhalte (vgl. Hall 1994: 158). In den von mir aufgeführten Beispielen werden Stereotype ironisch inszeniert und binäre Gegensätze auf den Kopf gestellt, indem der marginalisierte Begriff privilegiert wird, um durch positive Identifikation negative Klischees auszuräumen. Durch solche Verortungspraktiken werden mehrdeutige, mehrheimische lokale Räume geschaffen, in denen unterschiedliche Traditionen, Kulturen, Erinnerungen und Erfahrungen kombiniert und kultiviert werden. Das „Leben zwischen unterschiedlichen Kulturen und Welten“ wird nicht als „Identitätsdefekt“ oder schizophrene Situation betrachtet, sondern positiv in Szene gesetzt (vgl. Yildiz 2015). Gerade die Fähigkeit, zwischen oder in unterschiedlichen Welten denken und handeln zu können, macht die besondere Kompetenz in der weltoffenen Stadt, besser gesagt, ihrer Bewohnerinnen und Bewohner aus. Indem die Nachkommen der Zuwandererinnen und Zuwanderer ihre Migrationsgeschichte neu erzählen, neue Perspektiven aufzeigen, sich mit den Lebensbedingungen vor Ort auseinandersetzen und negative Zuschreibungen subversiv und ironisch umdeuten, schaffen sie ihre eigenen urbanen Räume, Transtopien, in denen unterschiedliche, widersprüchliche, mehrdeutige, lokale wie grenzüberschreitende Elemente miteinander verknüpft werden und sich zu urbanen Strukturen und Kommunikationsformen verdichten. Transtopien sind Orte des Übergangs, an denen marginalisierte Akteure und Wissensarten ins Zentrum der Betrachtung rücken und privilegiert, zum Teil auch kultiviert werden. Es sind Orte, an denen herrschende Normen infrage gestellt und eine andere urbane Selbstverständlichkeit erzeugt wird. Transtopien können im übertragenen Sinn Denkräume, virtuelle Räume und postmigrantische Lebensentwürfe bezeichnen. Globalisierung als urbaner Alltag Urbaner Wandel durch Migration bedeutet, sich vom „methodologischen Nationalismus“ (Beck 2004: 51) zu distanzieren, das hegemoniale Diktat der Sesshaftigkeit infrage zu stellen, an urbanen Welten anzusetzen und die (Post-)Migranten als Experten ihrer eigenen Lebenspraxis zu betrachten. Die neuen Verortungspraktiken im urbanen Alltag können mit einem „methodologischen Kosmopolitismus“ (Beck 2004: 125) sichtbar gemacht und analysiert werden. Hier geht es um eine urbane Bewegung, die Regionen, Kulturen, Lebensformen und Lebensentwürfe, die räumlich wie zeitlich voneinander entfernt sind, auf lokaler Ebene zusammenbringt und miteinander verknüpft. Dabei entstehen Transtopien, die unterschiedlich gelagerte, weltweit gespannte gesellschaftliche Elemente in die lokale Alltagspraxis übersetzen. Aus dem kosmopolitischen Blick sind (post-)migrantische Wirklichkeiten ein konstitutiver Bestandteil urbanen Lebens und machen Globalisierungsprozesse zum urbanen Alltag. Literatur Beck, Ulrich (2004): Der kosmopolitische Blick oder: Krieg ist Frieden. Frankfurt a. M. Hall, Stuart (1994): Das Spektakel des ‚Anderen’. In: Hall, Stuart: Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4. Hamburg, S. 108-166. Orywal, Erwin (2007): Kölner Stammbaum. Zeitreise durch 2000 Jahre Migrationsgeschichte. Köln. Said, Edward (1990): Figures, Configuations, Transfigurations. In: Race & Class, Nr. 1, S. 16–22. Wacquant, Loic J. D. (1998): Drei irreführende Prämissen bei der Untersuchung der amerikanischen Ghettos. In: Heitmeyer, Wilhelm/Dollase, Rainer/Backes, Otto (Hrsg.): Die Krise der Städte. Frankfurt a. M., S. 194-210. Yildiz, Erol (2015): Postmigrantische Perspektiven. Aufbruch in eine neue Geschichtlichkeit. In: Yildiz, Erol; Hill, Marc (Hrsg.): Nach der Migration. Postmigrantische Perspektiven jenseits der Parallelgesellschaft. Bielefeld, S. 19-36. Yildiz, Erol (2013): Die weltoffene Stadt. Wie Migration Globalisierung zum urbanen Alltag macht. Bielefeld. Yildiz, Erol (2010): Die Öffnung der Orte zur Welt und postmigrantische Lebensentwürfe. In: SWS-Rundschau (50. Jg.) Heft 3/2010, S. 318-339. Yildiz, Erol; Mattausch, Birgit (Hrsg.) (2009): Urban Recycling. Migration als Großstadt-Ressource. Basel/Boston/Berlin. Erol Yildiz ist Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Innsbruck. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Migration und Bildung. Kontakt: Erol Yildiz 0043 512 507 40042 [email protected] Nachrichten der ARL • 3/2015 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 23 23 26.11.2015 11:31:39 THEMA Migration und Mobilität als Ansatzpunkte städtischer Regenerierung S tadtentwicklung in Deutschland1 hat sich lange an einigen wenigen Stereotypen im Umgang mit „Migration und Mobilität“ orientiert. Migration und Migranten wurden bis weit in die Nachkriegszeit hinein vornehmlich als „Problem“ rezipiert und Migranten in die städtische Planung in der Regel in einer defizitorientierten Perspektive einbezogen. Heute nun rücken durch die Zuspitzung der Flüchtlingssituation in den Kommunen – auf den ersten Blick schlagartig – Migranten ins Zentrum der medialen Öffentlichkeit. Die heutige Situation in den Städten ist jedoch historisch nicht vergleichbar – auch wenn dies gelegentlich durch demographische, d. h. rein zahlenmäßige Argumente suggeriert wird. Dieser Beitrag arbeitet am Beispiel von Berlin zwei Argumentationslinien zur Bedeutung von Migration und Mobilität für die Stadtentwicklung heraus: Erstens lässt sich insbesondere im Deutschland der Nachkriegszeit das Bedürfnis erkennen, Migranten und Migration als randständig zu sehen (= urbane Marginalität) und so unbewusst dem seit der Nazizeit bestehenden Denkmuster einer anzustrebenden homogenen Bevölkerungszusammensetzung nachzukommen. Beschrieben wird der Übergang zu etwas, das sich eher als „marginale Urbanität“ darstellt, d. h. eine starke Präsenz und Bedeutung von Migration und Migranten für die Stadtentwicklung seit den späten 1990er Jahren, sowie eine veränderte Wahrnehmung dessen, was man als städtisches Gewebe bezeichnen könnte. Eine neue Bevölkerungszusammensetzung wurde Teil von „Urbanität“, denn fast alle Großstädte waren durch Zuwanderung geprägt. Der beruflichen Selbstständigkeit von Migrantinnen und Migranten sowie den langjährigen Bottom-up-Aktivitäten unterschiedlichster Akteure fiel in dieser städtischen Transformation eine Schlüsselrolle zu – was jedoch lange an der Wahrnehmung durch die Mehrheitsgesellschaft vorbeiging (= marginale Urbanität). Der zweite Argumentationsstrang richtet sich auf die Transformation und Regenerierung von Städten, wie sie aktuell durch neue, in der Regel kurzfristige bzw. 1 Dieser Beitrag bezieht sich auf das Verhältnis von Stadt und Migration, wie es sich für die Bundesrepublik Deutschland und insbesondere für Westberlin nachzeichnen lässt. Die sehr anders gelagerte Migrationsgeschichte der DDR bleibt in diesem Beitrag leider außen vor. 24 transitäre Formen der Mobilität vorangetrieben wird. Zu dieser Gruppe gehören die hochmobilen Mittelschichten, multilokal lebende Menschen mit ihren Teilbedürfnissen und auch Touristen, die das Stadtgebiet als einen einzigen großen Konsumraum betrachten. Neuerdings stellen die transitären Flüchtlingscamps eine zusätzliche Herausforderung für die Stadtplanung dar, die – je nachdem, wie fragil das Stadtgefüge an sich ist – zu einer Bestärkung bestehender Nachbarschaften und Gemeinden führen oder ihr Gegenteil, Konflikt und Zerstörung, befördern können. Besonders diese neuen Mobilitäten machen deutlich, dass große Teile der Stadtentwicklung zwar lokal stattfinden, sich mittlerweile jedoch in ein nationales, internationales bzw. globales Set an Einflussgrößen einpassen müssen. Was also als „Diversität“ daherkommt, ist im Grunde ein Ensemble von Mobilitäten unterschiedlichster Selektivität (wer kommt?), Reichweite (von wo und wohin?), Frequenzen (wie oft?) und Ressourcen (verschiedene Kapitalien), die völlig heterogen im Stadtraum agieren (können) und auf die Stadtplanungspraxis mit unterschiedlichen Instrumenten auf verschiedenen Handlungsebenen und durch Einbindung unterschiedlicher Akteure Einfluss nehmen kann. Nachkriegsdeutschland: Migranten und Migration am Rande Westdeutschland, das mit dem Wirtschaftsaufschwung seit den 1960er Jahren massenhaft Arbeitskräfte aus Südeuropa, teilweise auch aus Nordafrika, angeworben hatte, bewegte sich mit den Vorstellungen darüber, wie der Umgang mit diesen Arbeitern sein sollte, auf lang erprobtem Terrain: Die anfänglich genutzte Bezeichnung des „Fremdarbeiters“ wurde durch den „Gastarbeiter“ ersetzt, die gedanklichen Konstruktionen, wie sich die Hinzugeholten in den meist städtisch geprägten Ankunftsorten einfügen sollten, änderten sich kaum. Im Nationalsozialismus hatte die Idee, dass ein homogenes (d. h. einer möglichst ähnlichen physiologischen Abstammung entspringendes) „Volk“ besonders wertvoll sei, die Vertreibung und Ermordung von Millionen Menschen legitimiert. So war „Migration“ in der deutschen Wissenschaft bis lange in die Nachkriegszeit hinein kaum ein Thema. Die wesentlichen Arbeiten 3/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 24 26.11.2015 11:31:39 THEMA zur Migrationsthematik fanden bei Robert Ezra Park in Chicago statt. In den USA entstand erstmals Literatur über Wanderarbeiter, über ethnische Segregation in Städten, über Transnationalismus, über das Wechselspiel zwischen einer weißen Mehrheitsgesellschaft und den „Schwarzen“. Mit dem auf die Ölpreiskrise erfolgenden Wirtschaftsabschwung und dem Anwerbestopp 1973 wurde der Familiennachzug ermöglicht. Die Gastarbeiter zogen aus den Wohnheimen aus und nach und nach in billige, fabriknahe Wohnungen oder in Sanierungsgebiete in der Innenstadt, in einigen Stadtteilen entstanden „Einwandererkolonien“. In Berlin entstanden sie jeweils da, wo Investoren auf den Verfall von Mietshäusern warteten oder wo Planungsunsicherheiten bestanden. Die sichtbarsten Zeichen der Einwanderung im Stadtraum waren die ersten Läden und, hier und da, die ersten Moscheen in den Hinterhöfen. Auch wurden allmählich die ersten Probleme sichtbar, die sich vor allem bei den Einwandererkindern als „Integrationsprobleme“ äußerten. Die Konzepte, die die Sozialwissenschaftler für die Erklärung dieser Veränderung heranzogen, entstammten dem US-amerikanischen Vokabular, unabhängig davon, ob sich diese auf die bundesdeutsche Zuwanderungsrealität übertragen ließen. Was fehlte, war eine Reflexion der weiterhin bestehenden Vorstellung einer „natürlichen“ homogenen Gesellschaft. Es war klar, dass es eine Mehrheitskultur gab. Eine erste institutionalisierte Anerkennung der veränderten städtischen Realitäten erfolgte nach langen Aushandlungen 1981 durch die damalige Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John. Weg vom Rand, in die Gesellschaft hinein, doch wer merkt’s? Der mit dem ökonomischen Strukturwandel entstandene Sockel struktureller Arbeitslosigkeit unter den ehemals angeworbenen Industriearbeitern führte in den Folgejahren zu einer starken Präsenz von Migrantinnen und Migranten in bereits degradierten Stadtgebieten. Die Wahrnehmung der „Ausländer“ durch die Öffentlichkeit, Planung und Sozialreformer blieb auf die defizitorientierte Seite der Migration gerichtet – sprichwörtlich an den „Rändern der Städte“ angesiedelt. Auch hier griffen die Sozialwissenschaftler bei der Analyse und Interpretation der Veränderungen auf angelsächsische Konzepte zurück, sie rekurrierten u. a. auf Wacquandts „urban marginality“. Richtige Enklaven, so wie etwa Chinatown in New York City, waren für deutsche Städte © F. Hillmann In Westdeutschland schrumpften die herbeigeholten Arbeitskräfte in der öffentlichen Wahrnehmung auf ihre Funktion als Arbeitskräfte, sie selbst sahen sich höchstwahrscheinlich auch nicht als Teil einer städtischen Wirklichkeit. Politisch war ihre Integration auf Widerruf gestellt. Straßenszene in Chinatown, New York City, 2014 undenkbar. Die deutschen Stadtsoziologen sprachen von einer zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung der Städte, sie forderten neue planerische Instrumente, die dann über Planungsinstrumente wie etwa das „Quartiersmanagement“ umgesetzt wurden. Sie griffen damit auf, was erstmals durch die IBA (Internationale Bauausstellung) 1987 in Berlin erprobt worden war, bei der Migranten aktiv in Stadtentwicklungsmaßnahmen einbezogen wurden. Im isolierten Kreuzberg, im Windschatten der Stadt, experimentierten Sozialarbeiter, Künstler und Institutionen schon lange mit pragmatischen Hilfestellungen für die migrantische Bevölkerung. Die Stadtpolitik bemühte sich immer deutlicher um eine Einbindung von Migrantinnen und Migranten in die kulturellen, zivilgesellschaftlich organisierten Aktivitäten. Veranstaltungen, Paraden und Karnevals, die von einer gewissen Exotik lebten, wurden selbstverständlicher Teil von Stadtentwicklungspolitiken zur Regenerierung. Auch wenn die Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung ihrem politischen Motto „kein Einwanderungsland zu sein“ treu blieb, so war doch auf kommunaler und lokaler Ebene die Migrations- und Integrationsthematik de facto ins Zentrum vieler Stadtentwicklungspolitiken gerückt. Der Übergang in postindustrielle Arbeitsmärkte verändert die Stadt für alle Angesichts der massiven Veränderungen durch den strukturellen Wandel in den Städten und der damit einhergehenden stärkeren Polarisierung und Ausdifferenzierung insgesamt, kamen insbesondere auch Migrantinnen und Migranten unter Druck. Die wachsende berufliche Selbstständigkeit Nachrichten der ARL • 3/2015 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 25 25 26.11.2015 11:31:42 THEMA der migrantischen Bevölkerung war eine mögliche Reaktion auf die für sie besonders schwierigen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig resultierte diese Selbstständigkeit aus der generellen Tendenz zu atypischen Beschäftigungsverhältnissen (mehr Befristungen, mehr Teilzeit, mehr 400-EuroJobs) und einem zerklüfteten Arbeitsmarkt mit neuen Anforderungen an die arbeitende Bevölkerung. Die Dynamik dieser Entwicklung und ihre Bedeutsamkeit für die Stadtentwicklung insgesamt erschließt sich sofort, wenn man die Gewerbemeldestatistik betrachtet. Schon die Daten für 2013 zeigten, dass sich die Zahl der Gewerbeanmeldungen seit 2005 in allen Bundesländern um etwa ein Viertel erhöht hatte und dass die Meldungen von „Ausländern“ (= ohne deutsche Staatsangehörigkeit) in einigen Bundesländern die Mehrheit darstellten. Dies traf auf Berlin, Bremen, Hamburg und Hessen zu. Während die Gewerbemeldungen der „Deutschen“ zurückgingen, stiegen die Meldungen der „Ausländer“. Bei den Abmeldungen verhielt es sich umgekehrt: Deutsche Staatsbürger meldeten seltener ab, „Ausländer“ häufiger. Für Deutschland lässt sich auch eine Zunahme der Überschuldungen aufgrund gescheiterter Selbstständigkeit feststellen. Trotz dieser zunehmenden Gewerbeanmeldungen von Migrantinnen und Migranten ist in der mental map Vieler die migrantische Selbstständigkeit bis heute immer noch auf den Gemüseladen an der Ecke beschränkt – was nicht stimmt und damit zusammenhängt, dass man die vielen migrantischen Unternehmerinnen und Unternehmer, die Teil einer städtischen Dienstleistungsgesellschaft sind, viel weniger im Stadtraum wahrnehmen kann. Neueste Zahlen (2015) zeigen, dass die Zahl der Gewerbeanmeldungen für Berlin für die deutsche Bevölkerung mit 41 % in der Minderzahl ist. © F. Hillmann Trotz massiver Schwierigkeiten und hoher Fluktuation wurde das migrantische Unternehmertum in vielen Städten fester Bestandteil der Urbanität, hier verstanden Von Migranten betriebenes Kleingewerbe, Berlin, 2012 26 als urbane Lebensweise. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer sind äußerst erfolgreich. Sie sind aber noch mehr: Sie sind Ansprechpartner für Institutionen und tragen insgesamt zu einer Stabilisierung der Stadtteile bei. Viele wirken wie ein Scharnier zwischen den Institutionen und den communities. Massenveranstaltungen wie der „Karneval der Kulturen“ locken Millionen von Menschen auf die Straße. Die Besonderheit liegt auf der symbolischen Ebene: Die Stadt ist jetzt gelegentlich auch eine Bühne für das „Migrantische“, das wiederum zu einem asset der Stadtentwicklung mutierte, wie sich an internationalen Beispielen mühelos zeigen lässt. Dieses Paradox, einerseits die zentrale Position der migrantischen Bevölkerung in den Städten und ihr Beitrag zu der dort empfundenen Urbanität und andererseits die weiter bestehende Wahrnehmung der Migrantinnen und Migranten in großen Teile der Gesellschaft als randständig, wird hier mit dem Begriff der „marginalen Urbanität“ gefasst. Angesichts des hohen Anteils der Stadtbewohner mit Migrationshintergrund an der Stadtbevölkerung – im Berliner Bereich Friedrichshain-Kreuzberg z. B. lag dieser im Jahr 2014 bei 38,6 % – ist eine Abkehr von einer ausgrenzenden Sichtweise dringend geboten. Es stellt sich vielmehr die Frage, welche Mehrheiten sich über welche Anliegen bezüglich der Stadtentwicklung verständigen können und wie insgesamt benachteiligte Gruppen stärker an der Stadtgesellschaft partizipieren können. In Kreuzberg steht mittlerweile ein migrantisch geführter Supermarkt, Bizim Bakkal, im Zentrum eines Protestes gegen Gentrifizierung – was den beschriebenen gesellschaftlichen Wandel deutlich macht. Die migrantischen Unternehmer sind nicht nur geduldet, sondern erwünscht, sie werden als selbstverständlicher Teil des städtischen Lebens betrachtet. Und all die anderen: Hochqualifizierte Mittelschichten, Investoren, Multilokale und Flüchtlinge Großstädte wie Berlin erfahren weitere Veränderungen durch kurzfristige Mobilitäten, wie sie durch neue Wohnformen wie Multilokalität oder die Umnutzung von Wohnbestand zu Ferienwohnungen oder etwa Eigentumswohnungen gegeben ist. Die in diesen Wohnungen lebenden Bewohner fragen nur eine temporäre Wohnfunktion nach, an einer sozialen Einbindung oder an nachbarschaftlichem Engagement sind sie selten interessiert. Anstelle von Nachbarschaften entstehen Verwertungsgemeinschaften zur gezielten Nutzung ausgewählter Dienstleistungen. Man kann diese Transformation im semi-öffentlichen Raum auch an Orten beobachten, die von vielen Touristen besucht werden – zum Leidwesen der langansässigen Stadtbewohner. Die Stadt wird von diesen kurzfristigen Bewohnern wie ein großer Konsumraum behandelt und das Verantwortungsgefühl für die Wohnumgebung ist zwangsläufig 3/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 26 26.11.2015 11:31:44 © F. Hillmann THEMA Das transitäre Flüchtlingscamp am Oranienplatz, Berlin, 2013 gering. Einige von ausländischen Investoren geführten Wohnimmobilien sind Spekulationsobjekte und stehen monatelang leer. Manchmal gibt es kurzfristige Benutzer, die z. B. für einen Klinikaufenthalt kommen und die durch ihre Anwesenheit nicht dazu beitragen, die ansässigen kleinen Läden aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt eine Gruppe hochmobiler und global orientierter Mittelschichten, die für ihre Arbeit genau diese Stadt und für ihr Privatleben einen bestimmten urbanen Lifestyle anstreben. Auch sie schlagen keine Wurzeln in der Nachbarschaft und beteiligen sich selten an der Stadtteilarbeit. Eine weitere Form neuer Mobilität, die neue Anforderungen an die Städte stellt, ist die Unterbringung und Eröffnung von Perspektiven für die massenhaft ankommenden Flüchtlinge seit etwa einem Jahr. Diese Situation ist für die Kommunen völlig neu, weil hier schwierigste rechtliche Fragen mit dem Gebot der Menschlichkeit kollidieren. Wie die Geflüchteten langfristig in die städtischen Arbeitsmärkte eingebunden werden können, sofern sie nicht übertragbare Qualifikationen mitbringen, das wird die nächste große Aufgabe sein. Anders als dies bei den Flüchtlingsbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war, werden auf dem heutigen Arbeitsmarkt kaum unqualifizierte Arbeiter gebraucht. Es steht außer Frage, dass die Städte jetzt handeln müssen, um nicht gemachte „Integrationsfehler“ der 1990er Jahre zu wiederholen. Doch eine Blaupause für ein kluges, weil auf Zukünftiges ausgerichtetes Planen, gibt es im Falle dieser neuen Mobilitäten nicht. Gerade bei der Frage der Flüchtlingsintegration scheint ein Defizit vor allem in der geringen kommunenübergreifenden Kommunikation zu liegen. In verschiedenen Kommunen und Landkreisen sind funktionierende Konzepte zur kurz- und mittelfristigen Bewältigung der aktuellen Herausforderungen vorhan- den und die spontane Hilfsbereitschaft der Bevölkerung hat im Zeitraffer neue Modelle für geglückte Ansätze zur Integration hervorgebracht. Was fehlt, ist eine gemeinsame Anstrengung, in Form von Systematisierung und koordinierten Regionalkonferenzen, die das vorhandene Wissen für verschiedene Typen von Städten und Gemeinden nutzbar machen. Dieser kurze Überblick zeigt, dass Migrantinnen und Migranten, überhaupt Mobilität, zukünftig ein viel stärkerer Stellenwert für die Stadtentwicklungsplanung beizumessen ist. Denn die städtischen Wirklichkeiten, hier verstanden als Ensemble ökonomischer, politischer, sozialer und kultureller Einflüsse, stehen zunehmend unter dem Einfluss einer Vielzahl von Faktoren, die „von außen“ auf den Stadtteil einwirken. Wie Konzepte aussehen und wie sie gleichzeitig zur Regenerierung von Städten beitragen könnten, ist eine spannende Frage für die angewandte Forschung. Prof. Dr. Felicitas Hillmann leitet am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturforschung (IRS) die Forschungsabteilung 4 „Regenerierung von Städten“ und ist Professorin für das Fachgebiet „Transformation städtischer Räume im internationalen Kontext“ an der Technischen Universität Berlin. Kontakt: Felicitas Hillmann 03362 793-232 [email protected] Nachrichten der ARL • 3/2015 4_Thema_3-2015(S06-27).indd 27 27 26.11.2015 11:31:47 AUS DER ARL Migration, Integration: Diskussionen und Ergebnisse der Workshops des ARL-Kongresses W elche Auswirkungen hat die internationale Migration auf die Raumentwicklung, insbesondere auf stadtregionaler Ebene und in ländlichen Räumen? Was folgt aus der räumlich sehr ungleichen Verteilung der Migrantinnen und Migranten für die räumlichen Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland bzw. im ländlichen Raum und in Metropolregionen? Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich aus der Zuwanderung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Entwicklung? Diese Fragen standen im Zentrum des Jahreskongresses der ARL am 18. und 19. Juni 2015 in Köln. Neben den Keynote-Vorträgen von Expertinnen und Experten aus Deutschland und dem europäischen Ausland – einige davon finden Sie im Themenschwerpunkt in diesem Heft (S. 6–27) – wurden diese Fragen auch intensiv in den vier Workshops diskutiert. Die wichtigsten Ergebnisse möchten wir nachfolgend zusammenfassen. Migration als Chance für regionale Arbeitsmärkte? In Workshop 1 wurden zunächst Zahlen und Fakten zur regionalen Verteilung von Zuwanderung in Europa und innerhalb Deutschlands präsentiert und es wurde diskutiert, welche Chancen daraus für die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen erwachsen. Den Auftakt machten Tobias Panwinkler vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und Prof. Dr. Gerhard Untiedt von der Gesellschaft für Finanz- und Regionalanalysen. Sie zeigten, dass Migrationsbewegungen in der EU maßgeblich durch wirtschaftliche Faktoren (wie z. B. Erwerbstätigenquote, Wirtschaftsleistung (BIP/ Kopf), Durchschnittseinkommen) beeinflusst werden. Davon profitierten insbesondere wirtschaftsstarke Länder wie Deutschland und die skandinavischen Länder. Die Verteilung der aus dem Ausland Zugezogenen innerhalb Deutschlands sei dagegen in erster Linie von Netzwerkeffekten und Bildungs- und Studienmöglichkeiten bestimmt, ökonomische Faktoren seien lediglich für die Bewegungen der sogenannten Binnenwanderer (bereits in Deutschland lebende Migranten) ausschlaggebend. Prof. Dr. Marek Dutkowski, Universität Szczecin, und Dr. Robert Nadler, Leibniz-Institut für Länderkunde 28 (IfL), richteten anschließend den Fokus auf spezifische Migrantengruppen: Dutkowski beschäftigte sich mit den Beweggründen und Aufenthaltsstrategien polnischer Migranten in Deutschland und zeigte, dass die Entscheidung zur Migration seit dem EU-Beitritt Polens vor allem von ökonomischen Faktoren wie z. B. besserer Bezahlung, sichereren Arbeitsbedingungen und staatlichen Sozialleistungen beeinflusst wird. Nadler sprach über Rückwanderungsbewegungen von Ostdeutschen und deren Auswirkungen auf die Regionalentwicklung in Ostdeutschland. Den Hintergrund seiner Untersuchung bilden politische Initiativen, die zur Bewältigung demografischer Probleme ihre Hoffnungen auf die Rückkehr ehemals Abgewanderter setzen. Vor allem junge und gut ausgebildete Fachkräfte kehrten häufiger in den Osten zurück, laut Nadler gibt es jedoch nur wenig Wissen über diese Wanderungen und die Beweggründe der Rückwanderer. Das Ergebnis seines am IfL durchgeführten Forschungsprojektes „Re-Turn“: Während der Wegzug meist wirtschaftlich motiviert ist (Karrierechancen, Einkommen etc.), sind für den Rückzug meist soziale bzw. private Gründe ausschlaggebend, oftmals sogar unter Inkaufnahme ökonomischer Nachteile (s. hierzu auch den Themenbeitrag von Nadler in diesem Heft, S. 18). Daraus hat Nadler Handlungsempfehlungen für die Politik abgeleitet, um Rückkehrern Unterstützung bei der Reintegration in den heimischen Arbeitsmarkt sowie beim sozialen und kulturellen (Wieder-)Ankommen anzubieten. Auf die Willkommenskultur kommt es an Am zweiten Tag lag der Schwerpunkt des Workshops auf der Seite der Aufnahmegesellschaft. Prof. Dr. Carmella Pfaffenberg, RWTH Aachen, und Prof. Dr. Claus-C. Wiegandt, Universität Bonn, stellten zwei Forschungsprojekte zu den Maßnahmen für eine verbesserte Willkommenskultur in den Städten Bonn, Aachen, Köln und Essen vor. Sie zeigten, wie diese von hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten bewertet und angenommen werden. Dabei machten sie deutlich, dass grundsätzlich eine kommunale Integrationspolitik für Alle von der für Hochqualifizierte zu unterscheiden sei (segmentierte Willkommenskultur). Als Vorbilder für eine institutionelle Willkommenskultur in Kommunen 3/2015 • Nachrichten der ARL 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 28 26.11.2015 11:28:29 © Fotostudio Eidens-Holl AUS DER ARL Konzentrierte Kleingruppenarbeit nannten sie die „Relocation Center“ bei Großunternehmen und die „Welcome Center“ an Universitäten. Auch wenn bei hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten der Kontakt zu Einheimischen meist auf das direkte Arbeitsumfeld beschränkt bleibe, gelinge die Integration vor Ort dennoch recht gut. Im Hinblick auf die öffentliche Verwaltung kritisierten Pfaffenbach und Wiegandt die häufig noch anzutreffende Weigerung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ausländerbehörden, Englisch zu sprechen, sowie fehlende englischsprachige Formulare. Daraus entstünden nicht nur beim Erstkontakt Probleme, sondern auch der Umgang mit den Migrantinnen und Migranten im weiteren Verlauf ihres Aufenthaltes werde dadurch erschwert. Um die Willkommenskultur im ländlichen Raum ging es im Vortrag von Lena Horlemann und David Westenberg vom Institut für Ressourcenmanagement in Berlin. An Beispielen aus dem MORO-Projekt zur Fachkräftesicherung im ländlichen Raum zeigten sie, wie Ausbildungsinitiativen für ausländische Migranten besser regional verankert werden können. Hierzu gehöre es z. B., im Rahmen eines „one-stop government“ Verwaltungshandeln besser an die Bedürfnisse der neuen Mitbürger anzupassen und die Arbeits- und Integrationspolitik besser miteinander zu verzahnen. Im Hinblick auf den ländlichen Raum konstatierten sie, dass hier die kommunale Aufgabenübernahme oft über die „gängige“ Willkommenskultur hinausgehe, weil die Kommunen Aufgaben übernehmen, die in Städten von Unternehmen wahrgenommen werden. Können Defizite strukturschwacher Regionen also durch Zuwanderung abgemildert werden? In der Dis- kussion wurde dies grundsätzlich für möglich gehalten, allerdings unter der Voraussetzung eines breiten Unterstützungsangebotes für Zuwanderer vor Ort. Allerdings sei es angesichts der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsdynamiken wahrscheinlicher, dass Migration die Disparitäten zwischen Räumen eher erhöhen als abschwächen werde. Aufnahme und Integration von Flüchtlingen Am ersten Kongresstag ging es in Workshop 2 zum Thema „Siedlungsentwicklung“ um die Frage, wie Kommunen der aktuellen Herausforderung begegnen, für eine stetig steigende Zahl von Flüchtlingen Unterkünfte bereitzustellen. Um einen intensiven Erfahrungsaustausch zu ermöglichen, wurde zunächst in Kleingruppen gearbeitet. Prof. Dr. Birgit Glorius, TU Chemnitz, und Veronika Lowke, Beauftragte für Asylfragen des Sächsischen Landkreistages, Dresden, stellten die Situation in Kommunen in Sachsen vor, PD Dr. Jan Hilligardt, Hessischer Landkreistag, Wiesbaden, erläuterte die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen in Hessen und Dr. Ansgar Schmitz-Veltin, Statistisches Amt der Landeshauptstadt Stuttgart, gab Einblicke in die Aufnahmeregelungen und Probleme der Stadtregion Stuttgart. Beim anschließenden Zusammentragen der Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass in allen drei Fallbeispielen grundsätzlich versucht wird, Flüchtlinge dezentral und möglichst in eigenen Wohnungen unterzubringen. Während dies in Sachsen aufgrund des entspannten Wohnungsmarktes recht gut Nachrichten der ARL • 3/2015 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 29 29 26.11.2015 11:28:30 AUS DER ARL In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde von allen vier Referentinnen und Referenten eine stärkere Koordination zwischen den Kommunen durch die Regionalverbände eingefordert. Die Wohnungsmärkte müssten regional betrachtet werden, um die gegenwärtige „Einzelkämpfer-Situation“ der Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu überwinden und stattdessen gemeinsame Langfristperspektiven zu entwickeln. Steuerungsmöglichkeiten der Stadt- und Regionalentwicklung Im zweiten Teil des Workshops ging es um Veränderungen in den Migrationsformen und die Steuerungsmöglichkeiten der Stadt- und Regionalentwicklung im Hinblick auf Integration und Segregation. Prof. Dr. Paul Gans, Universität Mannheim, stellte hierzu zunächst die Forschungsergebnisse des ARL-Arbeitskreises „Räumliche Auswirkungen internationaler Migration“ vor: Es lasse sich sowohl ein Wandel in den Migrationsformen beobachten – z. B. in Form einer zunehmenden Transnationalität, multidirektionaler Ortswechsel und häufiger werdender multilokaler Lebensformen – als auch eine zunehmende Diversität unter den Migrantinnen und Migranten. Auch die räumliche Verteilung der Migrantengruppen werde komplexer. Zur Integration von Migrantinnen und Migranten im Stadtraum sei eine Förderung der Wohneigentumsbildung gegenüber den weniger aussichtsreichen Versuchen einer Durchmischung nach Quoten vorzuziehen. Anschließend präsentierten Prof. Dr. Birte Nienaber und Ursula Roos von der Universität Luxemburg Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppe „Internationalisierung der Gesellschaft und Auswirkungen auf die Raumentwicklung“ der LAG Hessen/Rheinland-Pfalz/ Saarland. Am Beispiel der Wohnsituation von grenzüberschreitenden Wohnmigranten an der deutschluxemburgischen Grenze zeigten sie Gründe für einen grenzüberschreitenden Umzug auf und gaben Handlungsempfehlungen an die räumliche Planung vor dem Hintergrund einer zunehmenden Internationalisierung der Gesellschaft. Migration und gesellschaftlicher Zusammenhalt Welche Ansätze und Erfahrungen gibt es bei der Integration von Migrantinnen und Migranten? Wie kann der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden? Und wie unterscheiden sich die Ausgangslagen und Integra- 30 © Fotostudio Eidens-Holl funktioniert, sieht die Situation in Stuttgart anders aus. Hier konkurrieren Alleinerziehende, ALG-II-Empfänger und anerkannte Flüchtlinge um zu wenige günstige Wohnungen. Die Region ist deswegen dazu übergegangen, Systembauten zu errichten. Vor ähnlichen Herausforderungen stehen auch Landkreise in Hessen. v. l.: Anne Ritzinger, Geschäftsstelle der ARL, und Dr. Peter Billing, Espon tionsanforderungen zwischen Städten und Kommunen des ländlichen Raumes? Um diese Fragen ging es im Workshop 3. Zwei Rahmenvorträge erläuterten die Problemlagen überlasteter Städte und entleerter ländlicher Regionen, um die konzeptionellen Grundlagen für eine Planung zur Förderung der Integration in unterschiedlichen räumlichen Kontexten zu legen. Zu Beginn verdeutlichte Dr. Gabriele Sturm, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Bonn, die Herausforderungen und Chancen der Zuwanderung seit 2010 aus der Perspektive von Großstädten. Kritisch äußerte sie sich zu der räumlichen Ungleichverteilung von Migrantinnen und Migranten sowie zu deren Konzentration in niedrig qualifizierten Beschäftigungsverhältnissen. Gudrun Kirchhoff, ehem. Schader Stiftung, präsentierte anschließend die Strategien ländlicher Regionen, sich interkulturell zu öffnen und die Integration von Migranten als kommunales Politikfeld zu verankern. In der Diskussion schieden sich die Meinungen der Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer am Integrationsbegriff. Während die Kritiker davor warnten, Zuwanderung allein als nützlich und bereichernd anzusehen und unter Beschönigung der gesellschaftlichen Situation die zumeist prekären und segregierten Lebensverhältnisse der Migrantinnen und Migranten aus dem Blick zu verlieren, stellten andere die Potenziale und Chancen der Systemintegration in den Vordergrund. Die Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit bilde mit der regionalen Wirtschaftsförderung einen gemeinsamen Aufgabenbereich, der nur durch die Vernetzung kommunaler Eliten und durch die Offenheit der Strukturen zu bewältigen sei. Auch im Hinblick auf die Kompetenzen und die Belastbarkeit räumlicher Planung vertraten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedliche Standpunkte. Im zweiten Teil des Workshops stellte Sebastian Beck vom Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung (vhw) in Berlin Ziele, Analyseansatz, Methoden und Ergebnisse des vom vhw ins Leben gerufenen Städtenetzwerkes vor. Durch Milieu- und Akteursanalysen im Vorfeld der Beteiligung und mehrstufige deliberative 3/2015 • Nachrichten der ARL 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 30 26.11.2015 11:28:31 AUS DER ARL Einen anschaulichen Einblick in ganz praktische Probleme der Integration von Zuwanderern in der Metropolregion Rhein-Neckar gab Christian Specht, Erster Bürgermeister der Stadt Mannheim. Er zeigte am Beispiel der Schwierigkeiten der Freiwilligen Feuerwehr bei Noteinsätzen, wie wichtig es ist, sich mit den unterschiedlichen Wertvorstellungen und Wahrnehmungen der verschiedenen Migrantengruppen auseinanderzusetzen. Erfahrungen im europäischen Nachbarland In Workshop 4 „Internationale Erfahrungen“ standen im Ausland gewonnene Forschungserkenntnisse zu Migrationsaspekten im Mittelpunkt. Verschiedene Formen und Motivationen von Migration – wie der demografische Wandel (inklusive natürlicher Bevölkerungsentwicklung), lebensstilspezifische Migration (z. B. Zweitwohnsitze im europäischen Süden), ReMigration und Flüchtlingsströme – wurden diskutiert. Die Beispiele wiesen sehr unterschiedliche Raumbezüge auf: Zum Teil wurden großräumige demografische Veränderungsprozesse aufgezeigt (etwa in „Südosteuropa“), überwiegend aber wurde ein lokaler oder quartiersbezogener, teils auf Einzelgebäude bezogener Maßstab herangezogen. Entsprechend den verschiedenen beschriebenen Migrationsströmen kamen diverse räumliche Aspekte wie Urban Sprawl, Entwicklung von Kurorten, Veränderung von Immobilienwerten sowie schließlich die Integration und die Qualität von Lagern für Flüchtlinge zur Sprache. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Raumbezüge war damit korrespondierend die Diskussion aller Handlungsebenen – von der gesamtstaatlichen bis zur lokalen Ebene – erforderlich. Gleichwohl stellte sich die lokale Ebene in dem Workshop als die hauptsächliche Handlungsebene heraus, auf der raumbezogene Instrumente zum Umgang mit Migrationsprozessen zur Anwendung kommen. Raumordnerische Wirkungen und Instrumente spielten in der Diskussion nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn räumliche Konsequenzen von Migration, wie der erwähnte Urban Sprawl, mit raumplanerischen Aufgaben verknüpft sind. Demgegenüber erhielten gesellschaftspolitische und sozio-ökonomische Aspekte größeres Gewicht: der Umgang lokaler autochthoner Bevölkerungsgruppen mit Migranten und Re-Migranten, die soziale Konstruktion von Fremdenbildern oder auch die Eigenwahrnehmung von Migranten sowie die Veränderung von Institutionen und systemischen Bedingungen. © Fotostudio Eidens-Holl Dialogverfahren sei es vielerorts gelungen, sowohl die Prozess- und Erkenntnisqualität von lokalen Entscheidungsverfahren zu erhöhen als auch die Partizipation von Migrantinnen und Migranten an Verfahren der Stadtentwicklung zu stärken. Die Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft und der gesellschaftliche Zusammenhalt seien dadurch gestärkt worden. Wie kann der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden? Christian Specht in Workshop 3 Im Ergebnis zeigte sich, dass auch die internationalen Beispiele für Migrationsprozesse äußerst vielfältige Formen aufweisen. Um mit Migrationsprozessen besser umgehen zu können, so die einhellige Meinung, sei es dringend erforderlich, die Ausprägungen der Migration selbst, ihre räumlichen und gesellschaftspolitischen Konsequenzen zu erfassen, zu typisieren und diesbezügliche wissenschaftliche Analysen und gesellschaftliche Diskussionen voneinander zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang wurden in dem Workshop sowohl unzureichende Datengrundlagen sowie Theoriedefizite für die empirische Sozialforschung aufgezeigt als auch Probleme der Praxis mit der Dateninterpretation angesprochen. Alles in allem hat der ARL-Kongress viele interessante und neue Perspektiven auf ein hochaktuelles Thema eröffnet. Manche Beiträge und Thesen sind von den rasanten Entwicklungen der letzten Monate überholt, manche in ihren Prognosen noch übertroffen worden. Dass die zentralen Fragen des Kongresses zur richtigen Zeit gestellt wurden, zeigen die gegenwärtigen Ereignisse. Für ihre Beantwortung durch Politik und Gesellschaft bleibt wenig Zeit. Gabriele Schmidt 0511 34842-56 [email protected] Evelyn Gustedt 0511 34842-29 [email protected] Martina Hülz 0511 34842-28 [email protected] Lisa Marquardt 0511 34842-61 [email protected] Barbara Warner 0511 34842-22 [email protected] Christian Strauß 03343282338 [email protected] Nachrichten der ARL • 3/2015 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 31 31 26.11.2015 11:28:32 AUS DER ARL Koordination und Kooperation in ländlichen Räumen Fachöffentliche Veranstaltung der LAG Bremen / Hamburg / Niedersachsen / Schleswig-Holstein am 4. Juni 2015 in Osnabrück L ändliche Räume werden geprägt durch sich gegenseitig verstärkende und überlagernde Transformationsprozesse zwischen Suburbanisierung und Peripherisierung, zwischen Entleerung und Siedlungswachstum, zwischen Verbrachung und neuen Landnutzungskonflikten. Die Gleichzeitigkeit verschiedener Tendenzen der Raumentwicklung ist es, die Planerinnen und Planer vor neue Herausforderungen stellt und den ländlichen Räumen Chancen eröffnet. Soft qualities, wie Umweltqualität, Ruhe und soziale Integrationsfähigkeit, dominieren die gesellschaftliche Wahrnehmung ländlicher Räume und spiegeln sich im andauernden Erfolg von Lifestyle-Magazinen (z. B. „Landlust“). Neue land- und energiewirtschaftliche Funktionen und Eigenschaften, so u. a. die Resilienz der ländlichen Räume im Gegensatz zur Vulnerabilität der Städte, sind immer häufiger Themen der wissenschaftlichen Diskussion. Die spannende Frage ist, wie ländliche Regionen durch intelligente Wachstumsimpulse und Zusammenarbeit gestärkt werden können. Dabei spielt die Innovationsfähigkeit ländlicher Räume eine ebenso entscheidende Rolle wie deren Koordinations- und Kooperationsfähig- Referenten und Vorträge ■■ ■■ ■■ ■■ 32 Prof. Dr. Peter Weingarten (Thünen-Institut für Ländliche Räume): Koordination raumwirksamer Politiken – Anforderungen an die Politik für die Entwicklung ländlicher Räume Prof. Dr. Hans-Ulrich Jung (CIMA Institut für Regionalwirtschaft): Regionale Innovationsstrategien in Niedersachsen – Herausforderungen einer zukunftsorientierten Regionalpolitik für ländliche Räume Prof. Dr. Ingo Mose (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg): Rural Governance in Europa – Erfahrungen mit ausgewählten Ansätzen im Vergleich Horst Heinicke (Grontmij): Konkrete Projektansätze zur Sicherung der Daseinsvorsorge am Beispiel der Region Mitte Niedersachsen keit. Im Zentrum der fachöffentlichen Sitzung standen deshalb Innovationsstrategien sowie effektive Steuerungsmodelle für ländliche Räume. Innovation in ländlichen Räumen? Das geht! In ländlichen Räumen herrschen spezifische regionalwirtschaftliche Bedingungen (geringere Dichte von Betrieben, geringere Marktpotenziale, Bildungsabwanderung etc.), die die Innovationsfähigkeit mindern. Somit unterliegen insbesondere periphere und strukturschwache Regionen einer extremen Pfadabhängigkeit, aus der es sich zu lösen gilt. Konzentriert man sich bei der Betrachtung von Innovationen allerdings nicht nur auf Produktinnovationen, sondern schließt auch inkrementelle Prozess-, Organisations- und Marketinginnovationen mit ein, so sind ländliche Räume besser als ihr Ruf. Auch aufgrund geringer Forschungs- und Entwicklungsbudgets kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) gibt es in ländlichen Regionen Engpässe, die es zu überwinden gilt. Die Antwort muss eine innovationsorientierte Strukturpolitik sein, die wirtschaftliche Impulse durch das Anstoßen von Innovationen in ländlichen Räumen fördert. Der Schlüssel sind hochspezialisierte KMU, die den innovationsgetriebenen Strukturwandel flexibel beschleunigen können. Die Nischen für mögliche Spezialisierungen sind dabei vielfältig und können von der Meerestechnik über Bioökonomie bis zu RecyclingTechnologien reichen. Die Innovationsfähigkeit ländlicher Räume bedarf vielfältiger Instrumente, um den speziellen Wachstumshemmnissen zu begegnen: Vor allem dem Fachkräftemangel muss mit regionalen Fachkräftesicherungsstrategien begegnet werden. Eine besondere Herausforderung wird zukünftig darin bestehen, junge Leute für „ihre“ Region zu begeistern. Die Ansprache und Bindung beginnt dabei schon in den Schulen. Regionale Unternehmen müssen in diese Kampagnen eingebunden und in die finanzielle Verantwortung genommen werden. Schließlich geht es hier um die Sicherung ihrer zukünftigen Fachkräfte. 3/2015 • Nachrichten der ARL 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 32 26.11.2015 11:28:32 AUS DER ARL Große Bedeutung kommt auch der erfolgreichen Anbindung der Hochschulen (v. a. der Fachhochschulen) und anderer Ausbildungseinrichtungen an die regionale Wirtschaft zu. Denn Innovation entsteht in enger Kooperation zwischen dem Bildungssystem und regionalen Unternehmen. Entscheidend ist hier die starke Ausrichtung der Hochschulen auf spezifische Probleme der ländlichen Region. Die Entwicklung sogenannter Rural Solutions stärkt die regionale Wirtschaft und verankert die Hochschule zugleich im regionalen Governance-Netzwerk. Die Politik kann insbesondere durch effiziente Governance-Strukturen zum Innovationspotenzial einer Region beitragen. Sei es durch die Förderung von Unternehmensnetzwerken, um fehlende Entwicklungspartnerschaften zu kompensieren, oder durch die Schaffung neuer Finanzierungsinstrumente zur Innovationsförderung. Governance: ein strapazierter Begriff Europaweit ist eine starke Dynamik von RegionalGovernance-Prozessen in ländlichen Peripherien zu erkennen. Unstrittig ist dabei, dass für die Bewältigung der Herausforderungen dieser Regionen die erfolgreiche Ausbildung netzwerkartiger Akteurskonstellationen unabdingbar ist. Doch trotz der steilen Karriere des „Governance“-Begriffes gibt es noch keine verbindliche und belastbare Definition. Für die Ausbildung neuer Governance-Formen haben europäische Rahmensetzungen für Strategieentwicklung und Zielformulierungen eine herausragende Bedeutung (z. B. LEADER, INTERREG). Allerdings birgt die starke Dominanz staatlicher Akteure auch die Gefahr von Exklusion oder reinen Fördermittelzwecknetzwerken. Die Mehrzahl dieser Netzwerke arbeitet thematisch bzw. problemorientiert fokussiert, was zu einer stärkeren Einbindung der regionalen Akteure führt. Die Erarbeitung angewandter und interessanter Themen sowie der einfache Netzwerkzugang sind hier von zentraler Bedeutung für die Netzwerkbildung. Für eine erfolgreiche Arbeitsweise im Rahmen einer Regional Governance muss vor allem eine breitere Mobilisierung der Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft gelingen. Hier helfen herausragende Persönlichkeiten in Führungsrollen. Die Nachhaltigkeit von Strukturen ist damit stark personengebunden: Ein Verlust von Schlüsselfiguren führt immer zu einem Wissens- und Sozialkapitalverlust. Kurzfristige Mittelzuweisungen und Förderperioden und die damit einhergehende hohe personelle Fluktuation in Governance-Netzwerken sind hier eher kontraproduktiv. Ebenso nachteilig wirken sich langwierige Koordinations- und Abstimmungsprozesse aus, die GovernanceProbleme in Deutschland verursachen. Im Zusammenhang mit der 2. Säule der gemeinsamen Agrarpolitik entsteht unnötiger Mehraufwand durch die ausgeprägte Mehrebenenverflechtung und die vielfach kritisierte Kompetenzverteilung auf Agrar-, Umwelt und Regionalpolitik. So hat sich der dreistufige Strategie- und Programmaufbau zwischen EU, Bund und Ländern in der vergangenen Förderperiode 2007–2013 als zu komplex, zu zeitaufwendig und für föderale Mitgliedsstaaten als ungeeignet erwiesen. Nach Ablauf der aktuellen Förderperiode 2014–2020 sollte die Kompetenzverteilung und ggf. Reduzierung der staatlichen Ebenen sowie eine Verlagerung der Kompetenzen nach unten überprüft werden. Good Practices zur Daseinsvorsorge Genauso wie es regionaler Innovationsstrategien zur Entwicklung wirtschaftlicher Impulse bedarf, sind auch regionale Strategien zur Daseinsvorsorge im ländlichen Raum unabdingbar. Vor allem im Bereich der hausärztlichen Versorgung, der Mobilität und der Siedlungsentwicklung sind Kommunen auf Kooperationen und Verantwortungsgemeinschaften angewiesen. Was in diesem Fall gut funktionierende Governance-Netzwerke leisten können, zeigen Beispiele aus der Region „Mitte Niedersachsen“. Die Zukunft der medizinischen Versorgung steht insbesondere in ländlichen Räumen vor großen Veränderungen: In einer Studie der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen sagten 54 % der Befragten, sie würden nicht in Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnern ziehen. Unabhängig vom Geschlecht wünschen sich junge Ärztinnen und Ärzte andere Arbeits- und Lebenszeitmodelle und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier setzt die Hausärztekampagne der Region „Mitte Niedersachsen“ an. Sie stellt vor allem die Lebensqualität der Region in den Mittelpunkt und konzentriert sich auf die Aspekte Nachhaltigkeit, Gesundheit und Entschleunigung. Für die jeweiligen Partnerinnen und Partner werden zusätzliche interessante Angebote geschaffen. Zudem wird die Kampagne mit der Fachkräfte-Initiative des Landkreises Nienburg synchronisiert. Um potenzielle Ärztinnen und Ärzte in der Region zu integrieren, wird besonderer Wert auf die Willkommenskultur und Familienfreundlichkeit gelegt. In dem vom Regionalmanagement Mitte Niedersachsen entwickelten Projekt Ressourcensharing wird eine Nutzung untergenutzter (halb-)öffentlicher Fahrzeugkapazitäten (z. B. von Kommunen, Sportvereinen, Kirchengemeinden oder der freiwilligen Feuerwehr) zur Verbesserung der Mobilitätsangebote im Sinne eines alternativen ÖPNV ermöglicht. Die Vermittlung der Fahrzeugressourcen erfolgt dabei über das MobilitätsRessourcen-Management MOREMA, das sowohl das Angebot nach Fahrzeugen und Personen, die die Fahrzeuge bedienen, als auch die Nachfrage systematisch erfasst, verwaltet und darstellt. Der gesamte Buchungsvorgang (Benachrichtigung, Reservierung der Ressour- Nachrichten der ARL • 3/2015 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 33 33 26.11.2015 11:28:32 AUS DER ARL cen und bargeldlose Abbuchung) wird automatisch abgewickelt. Auf die Menschen kommt es an! Im Rahmen der fachöffentlichen Veranstaltung hat sich gezeigt, dass sowohl klassische Top-down-Instrumente als auch Bottom-up-Ansätze für die Entwicklung ländlicher Räume von großer Bedeutung sind. Dabei schließen sich strategisches Handeln (top-down) und endogene Impulse (bottom-up) nicht aus. Denn auf die rahmensetzenden Instrumente der Europäischen Union sind ländliche Regionen ebenso angewiesen wie auf herausragende Persönlichkeiten an entscheidenden Positionen innerhalb von Governance-Netzwerken. Entscheidend ist dabei, dass mit Impulsen so weit wie möglich an der Basis angesetzt wird. Nur durch kurze Wege und niedrigschwellige Angebote lassen sich Men- schen dafür begeistern, an der Regionalentwicklung mitzuwirken. Diese Aufgabe können die Akteure nicht alleine leisten. Sie sind auf effiziente, innerregionale Kooperationen und Koordinationsstrukturen angewiesen. Nicht zuletzt ist es auch die Aufgabe der ARL am Schnittpunkt zwischen Praxis, Wissenschaft und Politik, diese Ansätze zu diskutieren und gemeinsam weiterzuentwickeln. Die Präsentationen zur Tagung finden Sie unter www. arl-net.de/projekte/lag-nordwest. Jens Nußbaum Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften 05341 875 52210 [email protected] Prof. Dr. Brigitte Wotha Büro für Stadt- und Regionalentwicklung 04349 914654 [email protected] Grenzüberschreitende Raumentwicklung Bayerns Neue Arbeitsgruppe der Landesarbeitsgemeinschaft Bayern E uropaweit ist derzeit eine große Dynamik in der grenzüberschreitenden Raumentwicklung zu beobachten. Es bilden sich neuartige Kooperationsformen heraus, die im Hinblick auf die Raumentwicklung große Bedeutung haben. Insbesondere die Makroregionen, die diversen Europäischen Verbünde für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) und auch eine große Anzahl von bi- und multilateralen Institutionalisierungen ergänzen die etablierten Formen der Zusammenarbeit wie Euregios und Interreg-Programme. Gerade auch für die Grenzräume Bayerns ergeben sich durch diese politische Dynamik neue Perspektiven. Dies gilt sowohl für die südlichen als auch für die östlichen Grenzbereiche: Die sogenannte EUSALP (Makroregionale Strategie Alpen) befindet sich derzeit in der Konkretisierungs- und Etablierungsphase. In einem großflächigen Perimeter, der unter anderem ganz Bayern, Österreich und weite Teile Norditaliens umfasst, werden derzeit die Weichen für die künftige Entwicklung gestellt. Dieser Prozess ist im Zusammenhang zu sehen sowohl mit den bisherigen Instrumenten wie dem Alpenplan und der Alpenkonvention als auch mit der 34 aktuell anlaufenden Förderperiode der europäischen Regionalpolitik, insbesondere Alpine Space. An der bayerisch-tschechischen Grenze ist derzeit ebenfalls eine vielfältige Dynamik zu beobachten: die Europaregion Donau-Moldau (EDM) befindet sich in der Etablierungsphase, bei der auch die Institutionalisierung eines EVTZ diskutiert wird. Als Teil der sogenannten Bayerischen Heimatstrategie wird derzeit zudem das Entwicklungskonzept Bayern-Tschechien erstellt. Parallel werden grenzüberschreitende Ambitionen der Europäischen Metropolregion Nürnberg konkretisiert (sogenannte Hersbrucker Erklärung). Nicht zuletzt ist der Freistaat Bayern auch Teil der Makroregion Donau. Es bestehen hierbei enge Bezüge zur EDM, wobei der geographische Fokus weit darüber hinausgeht. In der Zusammenschau dieser Entwicklungen liegt die These nahe, dass die grenzüberschreitende Raumentwicklung – gerade in Bayern – in eine neue Phase eintritt. Vor diesem Hintergrund wurde eine neue Arbeitsgruppe der Landesarbeitsgemeinschaft Bayern eingerichtet, die Potenziale und Risiken der grenzüberschreitenden Raumentwicklung für Bayern herausarbeiten möchte. 3/2015 • Nachrichten der ARL 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 34 26.11.2015 11:28:32 AUS DER ARL Die Leitung der Arbeitsgruppe hat Prof. Dr. Tobias Chilla von der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg übernommen. Die Arbeitsgruppe ist – ihrem Thema entsprechend – international besetzt. Neben Expertinnen und Experten aus Bayern wirken Kollegen aus der Schweiz (Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft), aus Österreich (Österreichische Akademie der Wissenschaften) und aus Italien (Europäische Akademie Bozen) mit. Insbesondere folgende Themen werden bearbeitet: ■■ Erfassung, Abgrenzung und Bewertung geeigneter großräumiger grenzüberschreitender Kooperationsräume ■■ Chancen und Herausforderungen von Makroregionen für die Praxis der Regionalentwicklung und Regionalplanung ■■ Bedeutung von EUSALP, Alpenkonvention und Alpenplan für die Raumordnung und Landesentwick- ■■ ■■ ■■ ■■ ■■ ■■ lung im deutschsprachigen Alpenraum aus Sicht des Freiraumschutzes Weiterentwicklung der regionalen Governance im Alpenraum – unterschiedliche räumliche Konfigurationen und Konkurrenz von Förderprogrammen Analyse veränderter Raumwahrnehmungen und räumlicher Verflechtungsmuster in Grenzräumen Bayern-Tschechien Makroregion Donauraum – Europaregion DonauMoldau: Good Governance im Donauraum? Kapitalverflechtungen in Bayern mit seinen südlichen und östlichen Nachbarn Analyse alternativer Ökonomien in Grenzräumen Städte als neue Akteure in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit? Andreas Klee 0511 34842-39 [email protected] Regionalentwicklung in Grenzräumen 10. Sächsische Regionalplanertagung am 11./12. Juni 2015 in Hoyerswerda W ie entwickeln sich Regionen im Grenzraum? Diese Frage stand im Zentrum der diesjährigen sächsischen Regionalplanertagung in Hoyerswerda. Die Stadt wurde bewusst als Tagungsort gewählt, steht sie doch für wechselnde territoriale Zugehörigkeiten und eine dynamische Stadtentwicklung, welche in besonderer Weise wechselnden ökonomischen, sozialen und demographischen Rahmenbedingungen unterliegen. So haben z. B. Bevölkerungsrückgang und Deindustrialisierung zu einem intensiven Stadtumbau geführt. Der Strukturwandel kann nur gesamträumlich bewältigt werden Wie bewältigen die Stadt Hoyerswerda und die umliegende Region die Herausforderungen des Strukturwandels? Hierauf gingen zunächst Dietmar Wolf, Fachbereichsleiter Bau der Stadt Hoyerswerda, Bernd Lange, Landrat des Kreises Görlitz und Verbandsvorsitzender des Regionalen Planungsverbandes, und Max Winter, Abteilungsleiter im sächsischen Staatsministerium des Innern für Landesentwicklung, Vermessungswesen und Sport, ein. Laut Wolf liegen die Entwicklungspotenziale der Stadt in der unmittelbaren Nachbarschaft zum Lausitzer Seenland, in der Zugehörigkeit zum sorbischen Siedlungsgebiet sowie im gemeinsam mit Bautzen und Görlitz wahrgenommenen oberzentralen Status. Dass urbane Zentren attraktiv für innerregionale Wanderungen sind, bestätigte auch Bernd Lange und sprach sich für einen gerechten Ausgleich zwischen Stadt und Land aus. Winter wiederum verwies auf die besonderen Potenziale des Grenzraums als Brückenraum. Hierzu dienten nicht zuletzt gemeinsame Konzepte und Projekte. Michael Köllner, Teamkoordinator Stadtentwicklung der Stadt Hoyerswerda, thematisierte wiederum die Auswirkungen des wirtschaftsstrukturellen und demo- Nachrichten der ARL • 3/2015 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 35 35 26.11.2015 11:28:32 AUS DER ARL graphischen Wandels auf die Stadt Hoyerswerda. Zentral für die Stadtentwicklungsstrategie seien neben dem Rückbau von Plattenbauwohnungen die Stabilisierung des Kerns der Neustadt sowie die Sanierung der Altstadt. Bei einem anschließenden Rundgang um den Lausitzer Platz wurden hierzu gute Beispiele für neu gewonnene Frei- und Kommunikationsräume vorgestellt. Als innovativ sind dabei ferner die bauliche Aufwertung markanter Hochhäuser sowie der kleinmaßstäbliche Neubau mit Stadtvillen und Einfamilienhäusern zu bewerten. Herausforderungen in internationalen Grenzräumen Dr. Maciej Zathey, Direktor des Instituts für territoriale Entwicklung in Breslau (Wrocław), charakterisierte Grenzräume als Verflechtungs- und Kontakträume, was einem neuen Leitbild der Zusammenarbeit entspricht und nicht zuletzt die Grundlage für ein gemeinsames deutsch-polnisches Zukunftskonzept im Rahmen der Oder-Partnerschaft darstellt. Demnach umfassen die Visionen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit die nachhaltige und polyzentrische Entwicklung entlang der großräumigen und leistungsfähig auszubauenden Verbindungsachsen, wobei sich Ansätze für eine intensive funktionale Verflechtung nicht zuletzt in den Bereichen Kulturerbe, Tourismus und Hochschulen ergeben. Die zwischen den Metropolräumen Dresden und Prag gelegene Grenzregion Ústecý Kraj (Region Aussig) stellte Jolana Novotná, Leiterin der Abteilung Raumplanung der Krajverwaltung, vor. Novotná betonte die Bedeutung einer strategisch ausgerichteten und durch bürgerschaftliche Diskurse getragenen Regionalentwicklung. Besonders hob sie dabei die strukturkonforme Einbindung städtebaulicher Großvorhaben und die zielgerichtete Gestaltung von öffentlichen Räumen mit hoher Aufenthaltsqualität hervor, die eine überregionale Ausstrahlungswirkung entfalteten. Die entsprechende infrastrukturelle Vernetzung würde unter anderem durch die laufende Komplettierung der Autobahn Dresden–Prag sowie Planungen zur Realisierung einer Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen beiden Metropolen geleistet. Überwindung kultureller Grenzen in der Region Zurück in die einladende Region um Hoyerswerda führte der Vortrag von Dawid Statnik, Vorsitzender der Domowina, des Dachverbands der Sorben. Diese in Südbrandenburg und Ostsachsen ansässige westslawische Bevölkerungsgruppe zählt ca. 60.000 Angehörige und konnte sich auch bei voranschreitendem Braunkohlenbergbau in der Region behaupten. Dementsprechend seien die sorbische Sprache, Kultur sowie Traditionen wichtige Belange, die von der Regionalplanung zu beachten und zu schützen seien, erklärte Statnik. Insofern 36 komme der Regionalplanung die Aufgabe zu, durch Vorgaben zur Sicherung kultureller Einrichtungen sowie geeigneter Umsiedlungsstandorte die räumlichen Voraussetzungen für den diesbezüglichen Erhalt und die Weiterentwicklung zu schaffen. Blick ins europäische Ausland Am zweiten Tag standen europäische und regionale Strategien auf dem Programm. Barbara Daferner und Kaspar Sammer, Projektmanagerin und Geschäftsführer der Europaregion Donau-Moldau in Niederbayern, berichteten über die seit 1991 währende grenzübergreifende Kooperation. Aus einer gemeinsamen Problemlage mit Strukturschwäche, peripherer Lage und demographischem Wandel habe sich die EUREGIO Bayerischer Wald – Böhmerwald – Unterer Inn zu der breiter aufgestellten Europaregion Donau-Moldau mit 120 Städten und Gemeinden entwickelt. Die Handlungsfelder seien vielfältig und umfassten u. a. die wirtschaftliche Zusammenarbeit, Sprache, interkulturelle Bildung sowie eine Wissensplattform, an der verschiedene Hochschulen beteiligt seien. Eine Netzwerk- und Potenzialanalyse ermögliche es, weitere Defizite zu ermitteln und Lösungen zu konzipieren, etwa im grenzüberschreitenden ÖPNV. Eine andere Grenzsituation stellte Daniel Hilligsmann, Berater der Regierung der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, vor. Diese sei zwar in die föderalen Strukturen des belgischen Staats integriert, verfüge jedoch über keine eigenen Kompetenzen in der Raumordnung und Wirtschaft. Immerhin habe durch ein Regionales Entwicklungskonzept eine langfristige Perspektive für die Regionalentwicklung erarbeitet werden können, welche in das Regierungsprogramm eingeflossen und Grundlage für konkrete Fördermaßnahmen sei. Als übergreifendes Prinzip diene die Nachhaltigkeit, welche über geeignete Kriterien operationalisiert und dadurch in ihrer Wirkung nachvollzogen werden könne. Einen systematischen Überblick über die unterschiedlichen formellen und informellen Formen der Zusammenarbeit gab Prof. Dr. Rainer Danielzyk, Generalsekretär der ARL. Regionale Kooperationsformen existieren, so Danielzyk, insbesondere als regionale Gebietskörperschaften, regionale Planungsverbände, aufgabenbezogene Zweckverbände bzw. Metropolregionen, Regionalkonferenzen und Sonderformen (IBA, Regionale etc.). Sofern man die Grenzlage nicht als Schicksal, sondern als interkulturelle und integrative Chance begreife, resultierten daraus einige Ansatzpunkte für eine grenzübergreifende Kooperation, welche etwa die Anhebung und Harmonisierung der Raum- und Lebensqualität zum Ziel haben könne, um den angestrebten Verflechtungen und tatsächlichen Aktionsradien der Bevölkerung und Wirtschaft Rechnung tragen zu können. Weitere Kooperationsthemen seien die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und der Res- 3/2015 • Nachrichten der ARL 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 36 26.11.2015 11:28:32 AUS DER ARL sourcenschutz. Je nach raumstrukturellen Rahmenbedingungen kämen regionsspezifische organisatorische Formen infrage. Beispiele für transnationale und länderübergreifende Kooperationen gab Prof. Dr.-Ing. Klaus Kummer, Abteilungsleiter Geoinformation und Landesentwicklung im Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr Sachsen-Anhalt. Das Land Sachsen-Anhalt praktiziere z. B. eine transnationale Zusammenarbeit im Kooperationsraum Mitteleuropa über INTERREG V B zum Zweck des Wissensaustauschs und der konzeptionellen Vernetzung in den Bereichen Umwelt (Hochwasserschutz), Innovation und Kultur (Transromanica), sagte Kummer. Analog dazu werde auch die länderüberschreitende Kooperation durch die Förderrichtlinie Regio LSA unterstützt, was u. a. die regionale Konzeptentwicklung, die nachhaltige Kulturlandschaftsentwicklung sowie Maßnahmen in Tourismus, Wissenstransfer und Standortmarketing betreffe. Die intensivste Interaktion findet nach Kummer in der europäischen Metropolregion Mitteldeutschland statt und reiche hier exemplarisch von der Raumentwicklung im Allgemeinen und der Fachkräftesicherung bis hin zu einem Gewerbeflächenmarketing mit Immobiliendatenbank. Den Kern bilde dabei die Raumordnungskommission Halle-Leipzig, welche sich originär mit regionalplanerischen Themen wie verkehrlicher Infrastruktur, abgestimmter Gewerbeflächenentwicklung und großflächigem Einzelhandel befasse. Insgesamt sei ohne eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen keine tragfähige Regionalentwicklung denkbar. Interkommunale und grenzüberschreitende Kooperationen in Sachsen Der Freistaat Sachsen unterstützt mit der finanziellen und nichtmonetären Förderung von kommunalen Zusammenschlüssen kleinräumige Kooperationen. Gerold Wehner, Referatsleiter für kommunale Gebietsstrukturen im sächsischen Staatsministerium des Innern, erläuterte die damit verbundenen Ziele, die leistungsfähige Gemeinden mit mindestens 5.000 Einwohnern, eine funktionale Konsolidierung bestehender Verwaltungsgemeinschaften und -verbände sowie eine Stärkung Zentraler Orte zum Gegenstand hätten. So habe sich durch gesetzliche und freiwillige Zusammenschlüsse die Zahl der Gemeinden zwischen 1990 und 2015 von rund 1.700 auf gut 400 verringert. Aktiv in die grenzübergreifende Zusammenarbeit eingebunden ist auch die Landesdirektion als höhere Raumordnungsbehörde, wie der Abteilungsleiter Infrastruktur der Landesdirektion Sachsen, Godehard Kamps, darlegte. Hierzu seien mit den tschechischen Bezirken Karlovy Vary/Karlsbad und Ústí nad Labem/Aussig sowie der Region Oberfranken und der polnischen Wojewodschaft Lubuskie (Lebuser Land) Vereinbarungen geschlossen worden. Unmittelbar raumplanerisch relevante Themen seien der Hochwasser- bzw. Katastrophenschutz sowie die Revitalisierung von Bergbaugebieten. Künftig solle auch die Abstimmung im Zusammenhang mit überregionalen Achsen als kooperative Verbindungselemente ausgebaut werden. Abschließend stellten Prof. Dr. Andreas Berkner, Leiter der Regionalen Planungsstelle des Regionalen Planungsverbandes Leipzig-Westsachsen, und Steffen Lehmann, Geschäftsführer des Mitteldeutschen Verkehrsverbunds, Ergebnisse ihres Forschungsprojekts für eine Regionalstrategie zur Daseinsvorsorge und Mobilität vor. Dabei verdeutlichten sie anschaulich die Verbindung von Regionalplanung und -entwicklung. Aufbauend auf einer analytischen Bestandsaufnahme der teilräumlichen Versorgung mit schulischen, medizinischen, Einzelhandels- und Verkehrsangeboten wurden Handlungsbedarfe für die Weiterentwicklung des ÖPNV-Netzes ermittelt. In diesem Zusammenhang würden etwa die verbesserte räumliche Erschließung und Anbindung des S-Bahn-Netzes durch ein darauf ausgerichtetes regionales Busnetz angestrebt und bspw. am Pilotraum Muldental erprobt, um zusammen mit mobilen Versorgungseinrichtungen die zumutbare Erreichbarkeit der jeweiligen Einrichtungen der Daseinsvorsorge gerade auch im ländlichen Raum zu gewährleisten. Insgesamt sei vorgesehen, die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen in das laufende Regionalplanverfahren einzuspeisen. Die vielfältigen Beispiele einer überregionalen und grenzüberschreitenden Kooperation zeigen, dass das Bewusstsein für die entsprechenden Verflechtungen und Entwicklungserfordernisse weitverbreitet ist. Auch wenn die Themen und institutionellen Rahmenbedingungen regionsspezifisch vorgegeben bzw. ausgeprägt sind, gibt es doch jeweils ein erhebliches Handlungsund Gestaltungspotenzial. Um dieses in der Praxis ergebnisorientiert zu nutzen, bedarf es insbesondere der konzeptionellen und organisatorischen Vernetzung staatlicher, kommunaler, privatwirtschaftlicher und bürgerschaftlicher Akteure. Dr. Robert Koch ist Referent des Regionalen Planungsverbands Oberlausitz-Niederschlesien. Kontakt: Robert Koch 03591 67966-140 [email protected] Nachrichten der ARL • 3/2015 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 37 37 26.11.2015 11:28:33 AUS DER ARL GEFÖRDERT VOM BMBF fördert Innovationsgruppe „UrbanRural SOLUTIONS“ Die ARL fungiert als transdisziplinäre Schnittstelle zwischen den wissenschaftlichen Instituten und den regionalen Partnern in Göttingen-Osterode, Hannover und Köln D er demografische Wandel hat bereits heute gravierende Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Daseinsvorsorge. Diese schließt kommunale und regionale öffentliche Leistungen in den Bereichen Verkehr, Bildung, Gesundheit, Kultur und Freizeit ebenso ein wie die Sicherung der Nahversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs. In vielen Kommunen besteht die Gefahr, dass Bevölkerungsrückgang und -alterung zu einer „Abwärtsspirale des demografischen Wan- dels“ führen, so dass die Leistungen und finanziellen Möglichkeiten der örtlichen Daseinsvorsorge immer weiter zurückgehen. Dem stehen Wachstumsregionen gegenüber, in denen starke Urbanisierungsschübe zu Engpässen bei der Daseinsvorsorge führen können. Beide Probleme lassen sich nicht allein durch Veränderungen der Organisation einzelner Einrichtungen lösen. Gefragt sind innovative Strategien zur regionalen Aufgabenteilung und räumlichen Organisation, die nur in Fakten zum Projekt „UrbanRural Solutions“ ■■ ■■ 38 ARL-Geschäftsstelle: Sara Reimann (Koordinatorin in der ARL-Geschäftsstelle); Anne Ritzinger (Referatsleiterin „Bevölkerung, Sozialstruktur, Siedlungsstruktur“) Aufgaben: Qualifizierungsangebote in Form von Seminaren, Fachveranstaltungen und Förderung der Innovationsgruppenmitglieder; Wissenstransfer durch innovative Medien- und Veranstaltungsformate innerhalb des Projektverbunds und für die Fachöffentlichkeit Projektpartner: • Institut für Verkehrsplanung und Logistik und Institut für Technologie- und Innovationsmanagement an der Technischen Universität Hamburg-Harburg (Koordination) • Finanzwissenschaftliches Forschungsinstitut an der Universität zu Köln (FiFo) • ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung • Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) • Landkreis Göttingen • Netzwerk Erweiterter Wirtschaftsraum Hannover (Netzwerk EWH)/Region Hannover • Stadt Köln Laufzeit 01.04.2015 bis 31.03.2019 Weiterführende Informationen: http://www.innovationsgruppen-landmanagement.de/ http://www.landkreis-goettingen.de/staticsite/staticsite. php?menuid=593&topmenu=442 http://de.netzwerk-ewh.de/de/projekte/regional planungsprojekt/EWHvernetzt.php http://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/ finanzen/urbanrural-solutions 3/2015 • Nachrichten der ARL 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 38 26.11.2015 11:28:34 AUS DER ARL enger Abstimmung zwischen allen relevanten Akteuren einer Region umgesetzt werden können. Entsprechende Kooperationen in der Daseinsvorsorge kommen aber – wenn überhaupt – nur zögerlich zustande. Das Projekt Die Anfang April 2015 gestartete Förderung der Innovationsgruppe „UrbanRural SOLUTIONS“ durch das BMBF soll regionale Kooperationen für eine nachhaltige Daseinsvorsorge ermöglichen. Dazu werden die bisherigen Grenzen der Aushandlungsprozesse erforscht, um die Hemmnisse der Umsetzung besser zu verstehen. Auf dieser Basis werden innovative und praxisrelevante Ansätze entwickelt, mit deren Hilfe die bisherigen Hemmnisse gezielt adressiert und überwunden werden können. Anhand von Fallstudien in den Regionen GöttingenOsterode, Hannover und Köln werden unterschiedliche Herangehensweisen erprobt und Werkzeuge für Politik und Planung entwickelt. Hierzu gehören beispielsweise neue Beteiligungsformate, Kosten-Nutzen-orientierte Szenario-Tools und ein digitaler Daseinsvorsorgeatlas. Die Unterschiedlichkeit der Problemlagen in den Untersuchungsräumen verspricht, Lösungen für ein breites Spektrum an Kooperationshemmnissen zu identifizieren. So wird das Instrumentarium auch für andere Regionen nutzbar. Ziele Im Projekt werden die klassischen Dialogformen in Vortragsveranstaltungen und Workshops ausgebaut und optimiert. Es ist vorgesehen, neue Formen der Beteiligung und des transdisziplinären Dialogs zu erproben und bei Erfolg zu etablieren. Für die Verstetigung nach Projektende ist die Entwicklung und Etablierung eines eigenen Weiterbildungsmoduls „Regionale Kooperationslösungen in der Daseinsvorsorge“ vorgesehen. Damit können das gesammelte Praxiswissen und die Methodenkompetenz in kompakter Form weitervermittelt werden. Die innovative Praxis-Wissenschafts-Kooperation im Projekt und der Transfer der gemeinsamen Erfahrungen sind zentrale Voraussetzungen, um das ehrgeizigste Ziel des Forschungsprojekts erreichen zu können: die Umsetzung von Kooperationslösungen schon während der Projektlaufzeit anzustoßen und diese so zu verankern, dass sie dauerhaft Bestand haben. Die Innovationsgruppe „UrbanRural SOLUTIONS“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Fördermaßnahme „Innovationsgruppen für ein Nachhaltiges Landmanagement“ im Rahmenprogramm „Forschung für nachhaltige Entwicklung – FONA“ gefördert. Sara Reimann 0511 348 42-52 [email protected] Aufgaben der ARL Eine besondere Stärke des Projektes ist die enge Zusammenarbeit von Akteuren der finanziellen und fachlichen Planung der Untersuchungsregionen mit wissenschaftlichen Instituten (Transdisziplinarität). Die Vertreter der Praxis und der Wissenschaft gestalten das Vorhaben von vornherein als gleichberechtigte Partner. Erfahrungen aus anderen Drittmittelprojekten haben gezeigt, dass die Mitarbeit an einem inter- und transdisziplinären Verbund dann mit einem erheblichen Wissens- und Technologietransfer der Beteiligten einhergeht, wenn Transferprozesse durch geeignete Techniken und Standards und ein professionelles Wissensmanagement begleitet werden. Aufgabe der Mitarbeiter der ARL-Geschäftsstelle ist es deshalb, Angebote für alle Verbundpartner zu entwickeln, um fachliche Qualifikationen zu erwerben und inter- und transdisziplinär zu arbeiten. Ein entscheidender Erfolgsfaktor für einen positiven Projektverlauf ist die Verknüpfung von Innovationskompetenz, Wissenschaft und Praxiswissen. Im Mittelpunkt der Qualifizierungsmaßnahmen steht somit das Motto „Gemeinsam und voneinander lernen“. Nachrichten der ARL • 3/2015 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 39 39 26.11.2015 11:28:34 AUS DER ARL Neuerscheinungen Gebiets- und Verwaltungsstrukturen im Umbruch Beiträge zur Reformdiskussion aus Erfahrungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Martin T. W. Rosenfeld, Matthias Gather, Andreas Stefansky (Hrsg.) Arbeitsmaterial der ARL Nr. 360 Hannover 2015, 171 S., Abb. ISBN (Print): 978-3-88838-360-1 W eitgehende Maßnahmen zum Umbau der Verwaltung werden vielfach mit dem demographischen Wandel sowie der Finanznot der Kommunen und der Länder begründet. Nur mit größeren Einheiten, so die Argumentation, könnte in Zukunft noch ein qualitativ hochwertiges kommunales Leistungsangebot zu vertretbaren Kosten gewährleistet werden. Die Tendenz zur Vergrößerung kommunaler Einheiten passt in das Gesamtbild der in Deutschland seit 1945 praktizierten Maßnahmen im Bereich der Kommunalreform, die bislang überwiegend mit Konzentrations- und Zentralisationsbestrebungen verbunden waren. Im Gesamtspektrum von Verwaltungsreformen sind Gebietsneugliederungen allerdings nur ein Element: Die Reform des Bestands an öffentlichen Aufgaben (Aufgabenkritik), die Verlagerung von Zuständigkeiten zwischen den Ebenen (Funktionalreform) sowie eine Veränderung der Festlegung der Finanzierungsregelungen in Bezug auf die dem öffentlichen Sektor übertragenen Leistungen (Finanzierungsreform) sind weitere Elemente einer Verwaltungs(neu)gliederung. Die vorliegende Veröffentlichung enthält die Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Verwaltungs- und Gebietsreformen“ (AG VGR) der Landesarbeitsgemeinschaft Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL). Ein wesentliches Anliegen der AG VGR bestand darin, mehr Licht in die raumbezogenen Wirkungszusammenhänge von Maßnahmen zur Verwaltungsreform zu bringen, 40 denn speziell empirisch gut gesicherte Befunde sind eher spärlich und lassen zahlreiche Fragen offen. Anm. d. Red.: Die Reihe „Arbeitsmaterial der ARL“ ist mit diesem Band (Nr. 360) abgeschlossen. Inhaltlich wird die Reihe bereits seit 2011 mit den „Arbeitsberichten der ARL“ fortgeführt. • Reurbanisierung in baden-württembergischen Stadtregionen Axel Fricke, Stefan Siedentop, Philipp Zakrzewski (Hrsg.) Arbeitsberichte der ARL 14 Hannover 2015, 205 S., Abb. ISBN (PDF): 978-3-88838-397-7 ISBN (Print): 978-3-88838-398-4 I n Baden-Württemberg, wie auch in Deutschland insgesamt und zahlreichen westlichen Industriestaaten, ist ein demographischer Konzentrationstrend zugunsten der Metropolregionen nachweisbar. Die Suburbanisierung als intraregionale Dekonzentration hat in den baden-württembergischen Stadtregionen deutlich an Dynamik eingebüßt, teilweise hat sie sich sogar in eine „Reurbanisierung“ umgekehrt. Über die Hintergründe und Dauerhaftigkeit dieses Phänomens ist eine lebhafte Debatte entbrannt. So ist zu hören, der aktuelle Reurbanisierungstrend sei ein temporärer Effekt, bedingt durch besondere demographische und bildungspolitische Konstellationen. Andere betrachten die Reurbanisierung als Ergebnis eines sozioökonomischen Strukturwandels und damit als neue, dauerhafte Phase der Stadtentwicklung. Unsicherheiten bestehen darüber hinaus auch im Hinblick auf eine evidenzbasierte Bewertung der Wirkungen von Reurbanisierung und angemessene politische Antworten. Vor diesem Hintergrund verfolgt dieser Band das Anliegen, eine Bestandsaufnahme aktueller demographischer Entwicklungsprozesse in Deutschland 3/2015 • Nachrichten der ARL 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 40 26.11.2015 11:28:40 AUS DER ARL und Baden-Württemberg vorzunehmen und zum Gegenstand einer raumordnungs- und stadtentwicklungspolitischen Positionsbestimmung zu machen. Welche Bevölkerungsgruppen und welche Wanderungstypen bestimmen den Reurbanisierungstrend? In welchem Maße könnten sich Reurbanisierungsprozesse als persistent erweisen? Welche planerischen Strategien und Konzepte werden in baden-württembergischen Städten bereits verfolgt? Welche mittel- und langfristigen Herausforderungen offenbaren sich für Stadtplanung und Politik? Auf diese und weitere Fragen rund um das Thema Reurbanisierung in Baden-Württemberg versuchen die Autoren aus Wissenschaft und Praxis Antworten zu geben. Mit Beiträgen von Werner Brachat-Schwarz, Karoline Brombach, Axel Fricke, Paul Gans, Marco Hereth, Bernhard Hochstetter, Johann Jessen, Heike Schmidt, Ansgar Schmitz-Veltin, Stefan Siedentop, Norbert Uphues und Philipp Zakrzewski. Neuaufstellung des Zentrale-OrteKonzepts in Nordrhein-Westfalen Positionspapier aus der ARL 102 Hannover 2015, 8 S. D ieses Positionspapier wurde von Mitgliedern der Arbeitsgruppe „Neuaufstellung des Zentrale-Orte-Konzepts in Nordrhein-Westfalen“ der Landesarbeitsgemeinschaft Nordrhein-Westfalen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) erarbeitet. Personen Dr. Andreas Klee, Stellvertreter des Generalsekretärs und Leiter der Zentralabteilung in der Geschäftsstelle der ARL, wurde von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg zum Honorarprofessor für das Fachgebiet Geographie bestellt. Mit der Bestellung wurde sein langjähriges fachliches Engagement im dortigen Institut für Geographie und Geologie gewürdigt. † Günther Steffen † Karl Heidemann Prof. Dr. Dr. h. c. Günther Steffen, Korrespondierendes Mitglied der Akademie sowie langjähriger Inhaber des Lehrstuhles für Angewandte Landwirtschaftliche Betriebslehre und Dekan der Landwirtschaftlichen Fakultät der Rheinischen-FriedrichWilhelms Universität Bonn, ist am 14. Mai 2015 im Alter von 90 Jahren verstorben. Am 7. Mai 2015 ist Dr. Jur. Karl Heinz Heidemann, Staatssekretär a. D., in Münster verstorben. Heidemann war seit 1982 Korrespondierendes Mitglied der Akademie und bereicherte die Akademiearbeit durch seine engagierte Mitarbeit im Kuratorium der ARL. Steffen hat besonders in den 1980er Jahren die Arbeit der Akademie durch sein breites Fachwissen mitgestaltet. Rund zwei Jahrzehnte war er ein engagiertes Mitglied in der Landesarbeitsgemeinschaft Nordrhein-Westfalen. Bereits im Jahre 1981 wurde Steffen aufgrund seines Einsatzes zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie berufen. Wir sind ihm für seinen Einsatz sehr dankbar und verlieren mit ihm einen langjährigen Weggefährten. Die Akademie wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Wir sind ihm für seinen Einsatz sehr dankbar und verlieren mit ihm ein treues Mitglied der Akademie. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Nachrichten der ARL • 3/2015 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 41 41 26.11.2015 11:28:41 AUS DER ARL Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep ist neuer Präsident der ARL R olf-Dieter Postlep ist Präsident der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL), Leibniz-Forum für Raumwissenschaften, für die Amtszeit 2015/2016 © Pressestelle Universität Kassel Die Mitgliederversammlung der ARL hat am 19. Juni 2015 im Anschluss an die Jahrestagung der Akademie Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep zum neuen Präsidenten gewählt. Die Berufung Postleps zum Präsidenten durch das Kuratorium der ARL erfolgte am 23 Juli. Seine Amtszeit begann am 1. September. Rolf-Dieter Postlep Postlep war bis Ende September 2015 Präsident der Universität Kassel und ist seit 1994 Ordentliches Mitglied der Akademie. Er war bereits seit den 1970er Jahren in zahlreichen Gremien und Projekten der Akademie aktiv und wirkte an zahlreichen Veröffentlichungen und Kongressen mit. Der heute 69-Jährige promovierte im Fach Volkswirtschaft an der Universität Marburg, wo er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Eine Gastprofessur führte ihn 1992 nach Kassel. 1994 wurde er Abteilungsleiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, bevor er 1996 als Leiter des Fachgebietes Allgemeine Wirtschaftspolitik nach Kassel zurückkehrte. „Ich bedanke mich für das Vertrauen der Akademie und freue mich sehr auf diese neue Aufgabe. Nach meinem Ausscheiden aus dem Amt des Universitätspräsidenten in Kassel werde ich mich damit wieder Fragestellungen widmen, die mich in meiner wissenschaftlichen Tätigkeit immer interessiert und begleitet haben“, so Rolf-Dieter Postlep nach der Wahl. 42 Weitere Mitglieder des Präsidiums: Der bisherige Akademiepräsident, Prof. Dr. Klaus J. Beckmann, bleibt dem Gremium als Vizepräsident erhalten. Beckmann ist seit 2000 Ordentliches Mitglied der ARL. In seiner Zeit als Akademiepräsident hat er einige Akademieprojekte vorangebracht und insbesondere das wissenschaftliche Profil der ARL geschärft. Er vereint in seiner Person die Erfahrung des langjährigen Praktikers und die Expertise des Wissenschaftlers, eine Doppelqualifikation, die ihn für den transdisziplinären Ansatz der Akademie prädestiniert. Nach seiner Promotion an der Technischen Universität Braunschweig und seiner Referendarzeit für den höheren bautechnischen Verwaltungsdienst erhielt er 1985 einen Ruf an die Universität Karlsruhe. 1990 wechselte er als Technischer Beigeordneter nach Braunschweig, 1996 war er Professor und Institutsleiter am Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen. Von 2006 bis 2013 war Beckmann Direktor des Deutschen Instituts für Urbanistik in Berlin. Er ist Mitglied in zahlreichen Gremien, u. a. im Beirat für Raumentwicklung und im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Im Amt des Vizepräsidenten bestätigt wurde Dr.Ing. Stefan Köhler. Köhler studierte Geographie, Ökologie, Kartographie und Städtebau an der TU München. Anschließend war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Städtebau und Landesplanung an der Uni Karlsruhe tätig. Nach seiner Promotion wechselte er aus der Wissenschaft in die Praxis: Von 1992 bis 1998 war er Stellvertreter des Verbandsdirektors beim Regionalverband HeilbronnFranken, anschließend zehn Jahre lang Verbandsdirektor des Regionalverbandes Bodensee-Oberschwaben. Seit 2008 ist er Erster Bürgermeister der Stadt Friedrichshafen. Köhler ist seit 2006 Ordentliches Mitglied der ARL. Im Amt der Vizepräsidentin bestätigt wurde auch Dr. Susan Grotefels, Geschäftsführerin des Zentralinstituts für Raumplanung. Grotefels studierte Rechtswissenschaften an der Universität Münster, wo sie 1992 zum Thema „Bürgerbeteiligung im Recht der Raumordnung und Landesplanung“ promovierte. Grotefels ist seit 2005 Korrespondierendes Mitglied, seit 2010 Mitglied der ARL. Sie ist seit 1991 am Zentralinstitut für Raumplanung tätig. 3/2015 • Nachrichten der ARL 5_AusderARL_3-2015(S28-42).indd 42 26.11.2015 11:28:44 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Probewohnen in Görlitz IÖR untersucht Wohnwünsche M itte September ist in Görlitz die Neuauflage des Projektes „Probewohnen“ gestartet. Interessierte können wieder eine Woche in der Görlitzer Innenstadt wohnen und testen, ob ein Umzug dorthin für sie infrage kommt. Das Probewohnen wurde 2008 als bundesweit einmaliges Modellvorhaben erstmals umgesetzt – damals im Gründerzeit-Quartier. Dieses Mal warten Wohnungen in der historischen Altstadt auf Probebewohner. Das „Probewohnen Altstadt“ ist ein Projekt der kommunalen Wohnungsgesellschaft KOMMWOHNEN Görlitz GmbH, wissenschaftlich begleitet durch das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR), Dresden. Die Stadt Görlitz unterstützt das Projekt. Die KOMMWOHNEN Görlitz GmbH stellt für das Projekt drei sanierte Altbauwohnungen zur Verfügung. Die Wohnungen sind möbliert, komplett ausgestattet und stehen mietfrei zur Verfügung. Die Probebewohner zahlen lediglich eine Betriebskostenpauschale. Ziel des Projektes ist es, Auswärtige für einen Umzug nach Görlitz zu begeistern und vor allem die Innenstadt als attraktiven Wohnort bekannt zu machen. Von der Auswertung der Fragebögen erhoffen sich die Wissenschaftler Hinweise darauf, durch welche Maßnahmen das Wohnen in Innenstadtquartieren attraktiver werden kann. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, wie sich Stadtteile „alternssensibel“, also für alle Generationen geeignet, gestalten lassen. Eine Rolle spielen aber auch Fragen des Klimawandels. Auf Basis der Ergebnisse sollen künftige Handlungsfelder für die Stadtplanung aufgezeigt werden, um die Görlitzer Altstadt, auch stellvertretend für Innenstädte anderer Klein- und Mittelstädte, als attraktiven Wohnstandort zu erhalten. Offene Fragen können die Wissenschaftler dann bei ihrer künftigen Arbeit, insbesondere im IZS in Görlitz, bearbeiten. Weitere Informationen und Bewerbung unter: www.kommwohnen.de/pages/probewohnen.php Ansprechpartner im IÖR: Dr. Stefanie Rößler und Christian Schneider [email protected] Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt insbesondere durch das Interdisziplinäre Zentrum für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau (IZS), welches das IÖR gemeinsam mit Partnern in Görlitz betreibt. Wissenschaftliche Befragungen der Teilnehmer am Probewohnen sollen unter anderem Erkenntnisse dazu liefern, wie die Stadt und das kommunale Wohnungsunternehmen noch besser auf Wohnwünsche und Wohnbedürfnisse heutiger und zukünftiger Bewohner eingehen können. Die Teilnehmer werden im Vorfeld zu ihren Erwartungen an das Wohnen in der Innenstadt und während ihres Aufenthaltes in Görlitz zu ihren Erfahrungen in der Zeit des Probewohnens befragt. © Europastadt GörlitzZgorzelec GmbH Im Fokus der Wissenschaft: Wohnwünsche und Wohnbedürfnisse Brüderstraße in Görlitz Nachrichten der ARL • 3/2015 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 43 43 26.11.2015 11:53:59 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG „City of the Future“ – internationale Presse zu Gast im Wissenschaftsjahr A uf Einladung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) besichtigten 16 renommierte Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten aus 15 verschiedenen Ländern vom 21. bis 26. Juni 2015 raumwissenschaftliche Forschungseinrichtungen in Deutschland. Den Auftakt der Reise bildete die Eröffnungsveranstaltung in Düsseldorf, bei der Prof. Dr. Rainer Danielzyk (ARL) und Dr. Frank Roost (ILS) den Einführungsvortrag hielten. In ihrer Präsentation über „Forschung zu nachhaltiger Stadtentwicklung in Deutschland“ machten sie vor allem auf bundesdeutsche Besonderheiten der Stadtentwicklung aufmerksam. Sowohl die ökonomischen als auch demografischen Trends hierzulande unterscheiden sich zum Teil deutlich von der Entwicklung der Megacities in einigen der Herkunftsländer der Journalistinnen und Journalisten. Während Megacities eine zum Teil rasante Entwicklungsdynamik mit hohem Bevölkerungszuwachs verzeichnen, wird die deutsche Stadtentwicklung eher durch innerdeutsche und internationale Migration sowie das oft kleinteilige Nebeneinander von Schrumpfung und Wachstum geprägt. Besonderheiten der Planung in Deutschland sind ihre Einbettung in den Föderalismus und das bundesdeutsche System kommunaler Selbstverwaltung sowie die umfangreichen Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung, während Stadtentwicklungsprozesse in anderen Ländern oft zentral entschieden werden und die baulich-technische Umsetzung vielfach ohne Beteiligung der Bevölkerung erfolgt. Und die Raumwissenschaft? Welche Rolle der Forschung hierbei zukommt, wurde auch am Beispiel der Arbeit des ILS im Bereich „Mobilität“ verdeutlicht. Hier interessierten sich die internationalen Zuhörer vor allem für Ansätze, bei denen das spezifische Mobilitätsverhalten einzelner Bevölkerungsgruppen, wie Jugendliche oder weibliche Personen mit Migrationshintergrund, in den Mittelpunkt gestellt wurde. Es wurde deutlich, welche Beiträge eine differenzierte Mobilitätsforschung leisten kann, die über ein herkömmliches Verständnis von Verkehrsplanung als technisch geprägte Infrastrukturentwicklung hinausgeht. Abschließend informierten die Vortragenden noch über den Agenda-Prozess der „Nationalen Plattform Zukunftsstadt“. Diese stand auch im Mittelpunkt der anschließenden Informationsreise durch Deutschland, bei der die internationalen Journalistinnen und Journalisten Forschungseinrichtungen in Essen, Dortmund, Braunschweig und Berlin besuchten und für die der Vortrag mit der anschließenden intensiven Diskussion einen anregenden Auftakt darstellte. Tanja Ernst ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Kontakt: 0231 9051-131 [email protected] Wie misst man Nachhaltigkeit? Mit Blick auf eine nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung stellten die Vortragenden vor, mit welchen Indikatoren in Deutschland versucht wird, Nachhaltigkeit zu messen. Hierzu werden verschiedene Faktoren wie die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit, der Auf- und Ausbau energie- und klimaeffizienter räumlicher Strukturen, die soziale und räumliche Gerechtigkeit sowie der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in einer Zusammenschau bewertet. Mit der Darstellung solcher Ansätze, wie sie beispielsweise vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) verfolgt werden, konnte vermittelt werden, dass die Ziele einer nachhaltigen Raumentwicklung am besten im Kontext differenzierter Abwägungs- und demokratischer Aushandlungsprozesse erreicht werden können. 44 3/2015 • Nachrichten der ARL 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 44 26.11.2015 11:54:00 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Wasser-Governance matters 15. World Water Congress vom 25. bis 28. Mai 2015 in Edinburgh, Schottland W asser wird in der Planung häufig als ein Umweltmedium der Fachplanung betrachtet. Die Wasserwirtschaft erstellt etwa Bewirtschaftungspläne oder Hochwasserrisikomanagementpläne, die in die raumplanerische Abwägung eingehen. In der Regel stehen bei wasserwirtschaftlichen Planungen ingenieurwissenschaftliche oder technische Herangehensweisen im Vordergrund. Aus Sicht der Raumplanung gibt es jedoch gewichtige Argumente, sich mit dem Thema „Wasser“ auseinanderzusetzen. Insbesondere in urbanen Bereichen überlagern sich Raum- und Wassernutzung zunehmend, Nutzungskonflikte werden intensiver. Dies wird nicht nur an Themen wie „Hochwasser“ oder „Trinkwasserversorgung“ deutlich, bei denen Veränderungen im Wassersektor Anpassungen der Raumnutzung erfordern. Umgekehrt hat auch die Raumnutzung Konsequenzen für den Wassersektor, etwa wenn in Schrumpfungsregionen das Entwässerungsnetz angepasst oder wenn in städtischen Gebieten Trinkwasser bereitgestellt werden muss. Wasser als Lösung, Hydrodiplomatie und der Crystal Drop Im Rahmen der feierlichen Eröffnung der Konferenz führten verschiedene Keynotes in die Thematik ein und gaben gleichzeitig einen Überblick über die aktuellen wissenschaftlichen Diskurse und weltweiten Debatten rund um das Thema „Wasser“. Der Präsident der International Water Resources Association (IWRA), Prof. Dogan Altinbilek, betonte die Notwendigkeit einer holistischen Perspektive auf Wasser. Herausforderungen bestünden in der grenzüberschreitenden und transdisziplinären Herangehensweise. Die Relevanz des World Water Congress reiche über den Wassersektor hinaus und berühre soziale, ökonomische und ökologische Fragestellungen. „Water is a solution, not a problem“, so Prof. Benedito Braga, Präsident des World Water Council. Er verdeutlichte den Zusammenhang von Wohlfahrt und Wasser auf der einen Seite, betonte aber gleichzeitig, dass das Wasser das größte Risiko für unsere Gesellschaft darstelle. Dies bezog er auf Wasser als Naturgefahr, aber auch auf Wasser als Ursache für Konflikte (etwa um Trinkwasser). Auch Torgney Holmgren, Executive Director des Stockholm International Water Institute, erläuterte den Zusammenhang zwischen Wasser und Naturkatastro- phen, insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel. Er schrieb der räumlichen Planung auf unterschiedlichen Ebenen eine besondere Rolle zu – etwa bei Themen der Urbanisierung und den damit verbundenen Problemen der Wasserversorgung. Holmgren erläuterte, dass bis 2050 circa 9,3 Milliarden Menschen auf der Erde leben werden, davon zwei Drittel in Städten. Loïc Fauchon, Ehrenpräsident des World Water Council, sprach von einer zunehmenden Politisierung von Wasserthemen und einer damit einhergehenden Notwendigkeit von Hydrodiplomatie: „In the future, water will be less scientific and more political.“ Fauchon rief dazu auf, das Thema weiter auf die Agenda zu setzen. Dabei gelte es, Wasser in andere Fachpolitiken zu integrieren und hierfür entsprechende rechtliche Rahmung und transparente Governance zu schaffen. Darüber hinaus müssten innovative Konzepte wie virtual water oder smart water grids weiterentwickelt werden. Mit dem „Crystal Drop“ werden alle drei Jahre Personen oder Organisationen ausgezeichnet, die sich in besonderer Weise für Wasser in der Welt einsetzen. Professor Vijay J. Singh, Texas A&M University, wurde mit der Auszeichnung für sein Lebenswerk zum Thema „Wasser“ geehrt. Professor Singh, selbst Ingenieur, betonte die Notwendigkeit, sich in unterschiedlichen Disziplinen mit der Thematik auseinanderzusetzen. Auf dem Weg zu Wasser-Governance 220 Autoren präsentierten Forschungsergebnisse und Fallstudien und diskutierten diese mit den circa 900 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in 58 Sessions und 39 Special Sessions. Inhaltlich waren die Sessions um neun große Themenkomplexe gruppiert. Einer der Themenkomplexe befasste sich mit Herausforderungen der Wasser-Governance. Hier wurden häufig Themen der Partizipation und Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Akteuren diskutiert. So berichtete z. B. Christopher Spray von der Universität Dundee über partizipatives Flusseinzugsgebietsmanagement in Schottland und wie mehr bottom-up und inklusive Governance zu einer effektiveren Umsetzung von ecosystem services führen können. Andere Themenkomplexe befassten sich mit unkonventionellen Wasserressourcen oder Fragen der Monetarisierung von Wasser – was ist ein fairer Preis für Wasser? Gerade letztere Frage wurde auch in den anderen Sessions durchaus kontrovers diskutiert. Während Loïc Nachrichten der ARL • 3/2015 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 45 45 26.11.2015 11:54:00 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Fauchon in seiner Keynote etwa dafür plädierte, dass Wasser einen angemessenen Preis bekommen sollte, um Investitionen in Infrastrukturen zu ermöglichen, erklärte Muhammad Muzanur Rahaman aus Dhaka in einer Session, wie informelle Wassermärkte in Slums zu extremen Preisverzerrungen führen können. Aber die ökonomische Komponente von Wasser wurde auch aus anderen Perspektiven beleuchtet. So reflektierte Jan Machac in seinem Beitrag die Kosten-Nutzen-Analyse bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie. Darüber hinaus wurde das bestehende Wasserparadigma reflektiert und es wurde diskutiert, wie die Nutzung von Wasserressourcen zwischen konkurrierenden Nutzungen und Nutzern organisiert werden kann, wie mit Risiko und Vulnerabilitäten – nicht nur durch den Klimawandel – umgegangen werden kann und wie grenzüberschreitende Probleme gelöst werden können. Mit acht Sessions war das Wasserrecht ein besonders großer Themenkomplex. Rechtliche Aspekte wurden dabei sowohl auf nationalstaatlicher als auch auf internationaler Ebene intensiv diskutiert. Die Themen spiegelten eine inhaltliche Aufbruchstimmung in der Herangehensweise zu Wasserthemen wider: Das bisher in der Wasserwirtschaft vorherrschende ingenieurwissenschaftliche Paradigma wird zunehmend ergänzt und teilweise ersetzt durch Governance-Lösungen. Der World Water Congress 2015 in Edinburgh machte diese Veränderung deutlich. Selbst Themen, die bisher klar technisch besetzt waren, werden nun immer häufiger aus ökonomischer, juristischer, sozial- bzw. politikwissenschaftlicher oder raumwissenschaftlicher Perspektive behandelt. Grund genug, den World Water Congress aus raumplanerischer und raumwissenschaftlicher Sicht zu reflektieren. Interessant war, dass die Teilnehmenden, obwohl sie aus mehreren Kontinenten kamen, in ihrer Orientierung an Fachthemen übereinstimmend eine Abkehr von technischen Themen zeigten. OECD-Grundsätze für WasserGovernance So passt es auch, dass sich am Rande der Veranstaltung die OECD Water Governance Initiative traf und Grundsätze für Wasser-Governance diskutierte. Diese Initiative ist ein internationales Netzwerk von staatlichen Akteuren sowie öffentlichen und privaten Einrichtungen und NGOs, das sich mit Fragen der good governance von Wasser auseinandersetzt. In Edinburgh wurden 12 Governance-Grundsätze diskutiert, die in der darauffolgenden Woche von den 34 OECD-Mitgliedstaaten anerkannt wurden. Die Grundsätze sollen zu einer effektiveren, effizienteren und demokratischeren Umsetzung von Wasserpolitik beitragen. 46 Diese Grundsätze wurden auch in der Special Session zu „Water Governance Capacity“, organisiert von der Erasmus Universität Rotterdam, besprochen. Aziza Akmouh, Head des OECD Water Governance Programme, plädierte für mehr Multi-Level- und Bottom-up-Initiativen. Jurian Edelenbos von der Erasmus Universität Rotterdam ergänzte, dass Wasser bisher häufig zu fragmentiert betrachtet werde, und dass die verbindende Kapazität von Wasser in der Governance mehr genutzt werden sollte. Am Rande eines Paradigmenwechsels? Die Vielfalt und die inhaltliche Tiefe der Beiträge lassen sich nur anekdotisch in Form eines solchen Konferenzberichtes wiedergeben. Dennoch kann als Resümee ein Paradigmenwechsel konstatiert werden. Der internationale Diskurs zum Thema „Wasser“ befindet sich derzeit in einer Veränderung, möglicherweise in ähnlicher Form wie in der Raumplanung in den 1970er Jahren, als sich das Selbstverständnis des Planers vom Ingenieur der Stadt hin zu einem Moderator widerstreitender räumlicher Interessen wandelte. Seither sind Konzepte wie collaborative planning, kommunikative Raumplanung, Partizipation oder Co-Evolution aus der Planungstheorie und -praxis kaum wegzudenken. Der World Water Congress 2015 in Edinburgh hat also eine deutliche Tendenz hin zu Wasser-Governance gezeigt. Die technischen Ansätze und Lösungen werden zwar berücksichtigt, jedoch nicht mehr als wichtigste Maßnahmen aufgefasst. Diese Veränderung einer Fachplanung kann und darf von der Raumplanung nicht unbeobachtet bleiben. Aus diesem Grund sollte die ARL das Thema „Raumplanung und Wasser“ weiterhin auf der Agenda behalten. Dr. Thomas Hartmann ist Assistant Professor an der Universität Utrecht in den Niederlanden und der J. E. Purkyně Universität in Ústí nad Labem, Tschechien. Kontakt: Thomas Hartmann [email protected] Prof. Dr. Jiřina Jílková ist Prorektorin für Wissenschaft an der J. E. Purkyně Universität in Ústí nad Labem, Tschechien. Kontakt: Jiřina Jílková [email protected] 3/2015 • Nachrichten der ARL 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 46 26.11.2015 11:54:00 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Best of „Future City“ Gabriele Schmidt 0511 34842-56 [email protected] Back to the roots – Gemeinschaftsgärtnern in Großstädten Blog-Beitrag zum Thema „Natur in der Stadt“ G egenwärtig kommen viele Zuwanderer nach Deutschland. Die großen Städte in Deutschland wachsen über ihre Grenzen hinaus. Immer mehr Menschen wollen in den Metropolregionen leben, da sie dort Bildung und Arbeit finden. Der Platz für Natur und Grünflächen in der Stadt ist stark begrenzt. Dass jeder seinen eigenen Garten zum Anbauen und Pflegen hat, scheint schon lange vorbei zu sein – doch es gibt Alternativen. © www.greengopost.com „Wie sieht eure Stadt der Zukunft aus?“ Diese Frage stellten ARL, Akademie für Raumforschung und Landesplanung, und IRS, Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Schülerinnen und Schülern aus Hannover, Brandenburg und Berlin. Die Jugendlichen wurden dazu aufgefordert, ihre Perspektiven auf die Chancen und Herausforderungen der zukünftigen Stadtentwicklung in einem Blog-Text zu verarbeiten. Das Kooperationsprojekt war anlässlich des Wissenschaftsjahres 2015 zum Thema „Zukunftsstadt“ gemeinsam von ARL und IRS ins Leben gerufen worden. Im Rahmen des Projekts führten die Schülerinnen und Schüler Kurzinterviews mit Expertinnen und Experten aus beiden Forschungseinrichtungen. Darauf aufbauend verfassten sie ein- bis zweiseitige Texte für die Blog-Plattform „Futurecity“ (http:// futurecity.hypotheses.org). Die Texte behandeln Themen wie Soziale Disparitäten, Gesundheit, Natur, Wohnformen, Energiewende oder Mobilität jeweils im Kontext der Stadt, manche wurden durch zusätzliches kreatives Audio- und Videomaterial ergänzt. Ziel des Kooperationsprojektes war es, bei den Jugendlichen eine Debatte zur Zukunft der Stadt anzuregen und den Schülerinnen und Schülern einen ersten Kontakt zu den Forschungseinrichtungen zu ermöglichen. Durch das Zusammentreffen der Expertise der Forscherinnen und Forscher mit der Kreativität der Jugendlichen entstanden ganz neue Perspektiven auf das Thema „Zukunftsstadt“ und einfallsreiche Vorschläge für Lösungsansätze. Der im Folgenden exemplarisch veröffentlichte Blog-Beitrag hat uns unter den Einsendungen besonders gut gefallen. Er stammt von einer Schülergruppe der St. Ursula-Schule Hannover und beschäftigt sich mit dem Thema Gemeinschaftsgärten / Urban Gardening. Im nächsten Heft werden wir einen weiteren von der Jury ausgezeichneten Text veröffentlichen. Alle Blog-Texte sowie Informationen zum Projekt finden Sie unter www.futurecity.hypotheses.org. Wir stellen euch in diesem Blog eine der Möglichkeiten vor, sich für den Ausbau und die Erhaltung der Natur in der Stadt einzusetzen – das sogenannte „Urban Gardening“. „Urban Gardening“ ist ein Trend, der aus den USA kommt und im Moment auch unsere deutschen Großstädte erobert. Ein simples Konzept mit einfacher Umsetzung, welches positive soziale und ökologische Aspekte hat. „Urban Gardening“ lässt sich grob als „urbanes Gärtnern“ ins Deutsche übersetzen. Ein Paradebeispiel dafür sind Gemeinschaftsgärten in Großstädten. Diese sind so einfach erklärt wie umgesetzt: Man nehme eine geeignete Fläche, beispielsweise eine Brachfläche oder einen unbebauten Hofbereich eines Wohnblocks, und statte diese mit nötigen Agrarwerkzeugen aus. Gemeinsam können Bürgerinnen und Bürger auf dieser Fläche Gemüse anbauen. Die Regeln sind relativ einfach: Jeder kann sich eine kleine Fläche in der Anlage suchen und sein Gemüse anbauen. Es gibt keine Teilnehmer- oder Mitgliederliste. Jeder hat die Möglichkeit, egal wie weit entfernt er wohnt, sich an Gemeinschaftsgärten zu beteiligen. Das gilt auch für Nachrichten der ARL • 3/2015 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 47 47 26.11.2015 11:54:03 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Man mag sich jetzt fragen: „Warum sollte man sich bei so einem Projekt beteiligen?“ Um diese Frage zu beantworten, sollte man einmal die bereits bestehenden Gemeinschaftsgärten betrachten. Es gibt auch jetzt schon viele dieser Gärten in Deutschland, und fast alle werden aktiv von vielen Anwohnern genutzt. Dies hat wohl mehrere Gründe: Das landwirtschaftliche Anbauen und Ernten scheint tief in uns verwurzelt zu sein. Viele, die sich vorher nicht vorstellen konnten, in einem Gemeinschaftsgarten mitzuwirken, ließen sich nach kurzem Ausprobieren und Mitarbeiten schnell dafür begeistern, etwas anzubauen. Dazu stärkt das Arbeiten an einem Gemeinschaftsprojekt das soziale Zusammengehörigkeitsgefühl. Den Ertrag mit anderen Anwohnern zu teilen, erzeugt für viele ein starkes Gefühl der Freude. Der Mensch ist stolz auf das, was er erschaffen hat – und das gilt auch für den gemeinschaftlichen Ertrag eines Gartens. Unsere Großstädte zeichnen sich dadurch aus, dass dort Menschen aus aller Welt zusammenleben. Die Frage ist: „Wie schafft man es, Menschen aus allen Teilen der Welt in Großstädten zu vereinen?“ Damit ein gutes Zusammenleben gelingt, muss man Gemeinsamkeiten finden. Gemeinsamkeiten, mit denen sich jeder identifizieren kann. Menschen brauchen soziale Kontakte zu anderen Menschen. Daher muss man eine Tätigkeit finden, die alle Kulturen kennen, verstehen und mögen. Gemeinschaftsgärten sind eine gelungene Antwort auf diese Frage. Besonders in den multikulturellen Gärten herrscht eine entspannte, fröhliche Stimmung. Das gemeinsame Arbeiten im Beet verbindet Kulturen, knüpft Freundschaften und hat vor allem noch einen Effekt: Es macht auch einfach Spaß. Quelle: eigene Aufnahme das Ernten des Angebauten: Jeder hat das Recht, sich einen Teil des Ertrags zu nehmen. Ein urbaner Garten in einem Hinterhof in der Innenstadt von Trier Gemeinschaftsgärten sind aber nicht die einzige Möglichkeit, um sich aktiv für die Natur einzusetzen. Jeder, der ein paar Behälter, ein wenig Erde und Saatgut besitzt, kann seinen Beitrag dazu leisten, die Natur in der Stadt auszubauen. Wenn jeder von uns auch nur eine alte Kiste, die er irgendwo herumliegen hat, mit Erde füllen würde und bepflanzte, würde dies die Stadtluft bereits extrem entlasten. Der ökologische Wert des „Urban Gardenings“ ist daher kaum zu übertreffen und wird besonders in Bezug auf die globale Erwärmung in naher Zukunft eine sehr wichtige Rolle spielen. Laura Tietz, Katja Nordhusen, Lauryn Thomas, Steffen Sievering und Justin Uhleman Klasse 10 d, Gymnasiusm St. Ursula-Schule Hannover © Annika Mayer, ARL Der Beitrag basiert auf einem Interview mit Dr. Barbara Warner aus der ARLGeschäftsstelle. Schüler und Schülerinnen zu Besuch in der ARL 48 3/2015 • Nachrichten der ARL 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 48 26.11.2015 11:54:08 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Werner-Ernst-Preis 2015 verliehen Z Vereine in sich bereits institutionalisierte Netzwerke, begünstigen sie durch ihre weitgehend homogene und abgesicherte Umgebung die Bildung von erweiterten privaten Verflechtungen, die in ganz unterschiedlichen Richtungen Wirksamkeit und Nutzen entfalten können“. Einwanderungsvereine wirken somit politisch, sozioökonomisch und kulturell auf die Migrantinnen und Migranten, sie beeinflussen ihre Identität. Beispielhaft wird der Wandel ihrer kollektiven Identitätskonstruktion – der Prägung durch das „Deutschtum“ hin zur „argentinidad“ – unter Einbeziehung gesellschaftlicher Kontexte in Herkunfts- wie Ankunftsland analysiert. Mit der allmählichen Entgrenzung der ethnisch definierten Einwanderervereine geht eine zunehmende transnationale und transkulturelle Identitätskonstruktion und Integration in die sich bildende argentinische Nation einher. Kramer zeigt in seiner Arbeit, dass zunächst ethnisch definierte Gemeinschaften sich aufgrund ihrer schrittweise sich intensivierenden Einbindung über private wie institutionelle Netze in die Gesellschaft des Ziellandes Elemente des „Fremden“ aneigneten. Diese Übernahme führte – gefördert durch Bildungssystem und evangelische Gemeinden – zu einer mit deutschen Motiven durchsetzten argentinischen Nationalidentität deutschstämmiger Einwohnerinnen und Einwohner Argentiniens. Übertragen auf die aktuelle Situation in Deutschland zeigt die Arbeit die Bedeutung von Schulen, Vereinen und religiösen Gemeinschaften für die Integration von Personen mit Migrationshintergrund – unter Wahrung eigener Kulturelemente. Die Arbeit bietet also auch für unsere aktuelle Diskussion lohnenswerte Anregungen. © Fotostudio Eidens-Holl iel des jährlich vom Förderkreis für Raum- und Umweltforschung (FRU) ausgelobten Werner-ErnstPreises ist die Nachwuchsförderung. Angelehnt an den Jahreskongress der ARL lautete das diesjährige Wettbewerbsthema „Internationale Migration – Stadt – Region“. Es wurden vier Wettbewerbsbeiträge eingereicht. Die Jury – bestehend aus Prof. Dr. Ingrid Breckner (HafenCity Universität Hamburg), Prof. Dr. Susanne Frank (Technische Universität Dortmund) und Prof. Dr. Paul Gans (Universität Mannheim) – hat sich in diesem Jahr dafür ausgesprochen, einen ersten Platz zu vergeben. Der erste Preis, dotiert mit 2.000 Euro, ging an Valentin Kramer aus Münster. Er hat von 2004 bis 2010 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Geschichte Lateinamerikas, Neuere und Neueste Geschichte sowie Lateinamerikanistik studiert. Von 2011 bis Ende 2013 war er Promotionsstipendiat der Stiftung Katholische Universität Eichstätt und Mitglied des Forschungskollegs „Migration“. Die eingereichte Arbeit stellt seine Dissertation dar. Das Thema lautet „Die Identität des Blutes. Deutsche Einwanderervereine in Rosario und Esperanza 1856–1933“. In seiner Arbeit beschäftigt sich Kramer mit der Konstruktion und dem Wandel ethnischer und nationaler Identitäten in den deutschen Einwanderervereinen der argentinischen Provinz Santa Fe. Im Mittelpunkt stehen die Organisationen in den Städten Rosario und Esperanza im Zeitraum zwischen 1856 und 1933. Wie Valentin Kramer schreibt, schaffen Vereine „durch einen kollektiven Interessen- und Ideenkonsens, Einwanderervereine zusätzlich durch sprachliche und kulturelle Kontinuität ‚vertraute Räume‘. Immigranten nutzen diese Räume, um die Erfahrung des Fremdseins zu relativieren bzw. zu verarbeiten. […] Sind Andreas Klee 0511 34842-39 [email protected] Verleihung des Werner-Ernst-Preises, v.l.: Jörg Knieling, Valentin Kramer Nachrichten der ARL • 3/2015 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 49 49 26.11.2015 11:54:09 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Förderkreis für Raumund Umweltforschung e. V. Werner-Ernst-Preis 2016 Facetten der Reurbanisierung Internationale Ausschreibung Der Förderkreis für Raum- und Umweltforschung e. V. (FRU) schreibt den Werner-Ernst-Preis 2016 aus. Das Wettbewerbsthema lautet: ■■ Facetten der Reurbanisierung ■■ Thematischer Rahmen des Wettbewerbs Reurbanisierung ist im urban age eine ebenso spannende wie vielgestaltige Thematik. Der Begriff kann einerseits als vielschichtiger Prozess verstanden werden: Reurbanisierung als „neuerliche Inwertsetzung innerer Stadtgebiete“ (Brake/Herfert 2012: 16), die ungeplant durch das Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren, und dies in regional unterschiedlicher Ausprägung, erfolgt. Reurbanisierung kann aber auch normativ als „eine umfassende sozialintegrative Strategie mit dem Ziel der Entwicklung der Wohn- und Lebensstandards in der gesamten Kernstadt, insbesondere in ihren an das Zentrum angrenzenden historischen Wohnquartieren“ verstanden werden (Brake/Urbanczyk 2012: 39). Über dieses allgemeine Verständnis von Reurbanisierung hinaus bleiben viele Fragen offen oder werden uneinheitlich beantwortet. Der Werner-Ernst-Preis 2016 ruft dazu auf, sich mit „Reurbanisierung“ auseinanderzusetzen. Die Beiträge können sich aus unterschiedlicher Fachsicht mit dem Themenfeld befassen, sie können theoretischkonzeptionell ausgerichtet sein oder sich empirisch auf Fallbeispiele oder einzelne Projekte beziehen. Mögliche Fragen könnten sein: ■■ Ist Reurbanisierung primär ein räumlicher, sozialer oder ökonomischer Prozess – oder alles gleichzeitig? 50 ■■ ■■ ■■ ■■ ■■ ■■ ■■ Wer sind die Reurbaniten? Sind es junge Singles oder Paare, mit oder ohne Kinder? Ältere Menschen? Besserverdienende? Studierende? Alle zusammen? Welche Sinus-Milieus tragen den Prozess der Reurbanisierung? Welche Rolle spielen die derzeitigen Veränderungen der Arbeitswelt auf dem Weg zur Wissensgesellschaft bei dem Prozess der Reurbanisierung? Welche Rolle spielen kulturelle gesellschaftliche Veränderungen wie die gleichzeitige Berufstätigkeit von Mann und Frau in der Familienphase oder der gesunkene Stellenwert des Autos bei Teilen der Gesellschaft? Ist Reurbanisierung auf Altbauquartiere in den Innenstädten beschränkt oder treten Reurbanisierungsprozesse auch in suburbanen Räumen auf? Ist Reurbanisierung nur ein Phänomen westlicher ehemaliger Industriestädte oder kann sie auch in Städten mit anderer Geschichte beobachtet werden? Ist Reurbanisierung unter anderem in Ostdeutschland ein lang anhaltender Trend oder doch nur eine vorübergehende Erscheinung, weil die meisten Reurbaniten junge Erwachsene sind, die nach ihrer Kindheit und Jugend in „Suburbia“ in die Stadt zurückkehren, diese Gruppe aber zahlenmäßig begrenzt ist? Wie kann oder sollte eine Reurbanisierung gestaltet werden, die die Vorgaben der Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt erfüllt? In welchem Verhältnis steht Reurbanisierung als Strategie zur Großen Transformation (WBGU 2011), die zur Realisierung der globalen Klimaschutzziele in den Städten der Entwicklungs- wie der Industrieländer für erforderlich gehalten wird? © B. Warner, ARL 25. FRU-Förderpreis-Wettbewerb 3/2015 • Nachrichten der ARL 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 50 26.11.2015 11:54:14 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Die hier aufgeworfenen Fragen sollen als Anregung und Inspirationsquelle dienen. Themen der Wettbewerbsbeiträge können einzelne Fragestellungen mit Bezug zu diesen inhaltlichen Zusammenhängen sein, es können aber auch weitere Aspekte des Themenfelds „Reurbanisierung“ aufgegriffen werden. Erwartungen an die Wettbewerbs- beiträge Der Wettbewerb richtet sich an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler (Master-, Promotions- oder Postdoc-Phase) ebenso wie an Personen, die sich in ihrer beruflichen Praxis in der Verwaltung, in Planungsbüros etc. mit Fragen der Stadt- und Raumentwicklung beschäftigen. Er ist offen für alle raumrelevanten Disziplinen. Wissenschaftlich ausgerichtete Beiträge mit eher theoretischem Ansatz sind ebenso willkommen wie analytische Arbeiten oder reflektierte Erfahrungsberichte aus der Praxis mit wissenschaftlicher Fundierung. Interessierte können gerne zunächst beim Förderkreis anfragen, ob sich ein vorgesehenes Thema für den Wettbewerb eignet. Neben eigens für den Werner-Ernst-Preis 2016 erstellten Beiträgen können auch solche Arbeiten zum Thema eingereicht werden, die auf umfassenderen, bereits vorliegenden oder in Arbeit befindlichen Studien-, Projekt- oder Abschlussarbeiten sowie Dissertationen beruhen. Preise und Preisverleihung Der Werner-Ernst-Preis 2016 ist mit insgesamt 4.500 € dotiert. Vorgesehen ist die Vergabe eines ersten Preises (2.000 €), eines zweiten Preises (1.500 €) und eines dritten Preises (1.000 €). Auf Vorschlag der Jury können eine Reduzierung der Zahl der Preise und eine andere Aufteilung der Preissumme erfolgen. Als Anerkennung für weitere, nicht mit Geldpreisen ausgezeichnete Wettbewerbsbeiträge stehen wertvolle Buchgeschenke zur Verfügung. Die Preise werden im Rahmen des ARL-Kongresses vom 15. bis 18. September 2016 in Hannover überreicht. Die Verfasserin bzw. der Verfasser des mit dem ersten Preis ausgezeichneten Wettbewerbsbeitrages erhält Gelegenheit zur Vorstellung der Arbeit. Teilnahmebedingungen Teilnehmen können Studierende, Absolventinnen und Absolventen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Lehre, Forschung und Praxis aller relevanten Fachbereiche. Das Höchstalter beträgt 35 Jahre (Stichtag: 15. März 2016). Zugelassen sind auch Arbeiten von Teams aus bis zu drei Autorinnen bzw. Autoren. Die eingereichten Arbeiten sind in englischer oder deutscher Sprache abzufassen und dürfen noch nicht an anderer Stelle veröffentlicht oder zur Veröffentlichung angeboten worden sein. Die Arbeiten müssen bis zum 15. März 2016 (Datum des Poststempels) in vierfacher Druckversion und in elektronischer Version – bevorzugt auf CD – zusammen mit dem ausgefüllten Bewerbungsbogen (herunterzuladen von der Website des FRU unter www.FRU-online.de) bei der Geschäftsstelle des Förderkreises eingereicht werden. Die Druckversionen und die elektronische Version müssen identisch sein und dürfen keinen Hinweis auf die Verfasser enthalten. Pro Bewerber bzw. Bewerberin kann nur eine Arbeit eingereicht werden. Über die Preisvergabe entscheidet eine unabhängige Jury, deren Mitglieder vom FRU bestimmt werden. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die eingereichten Arbeiten können leider nicht zurückgegeben werden. Der FRU lädt die Preisträger bzw. Preisträgerinnen zur Teilnahme am ARL-Kongress 2016 in Hannover ein. Er sorgt bei Bedarf für Unterkunft und erstattet die Fahrtkosten nach dem Bundesreisekostengesetz. Die Preisträger verpflichten sich zur unentgeltlichen Übertragung des Rechts zur Veröffentlichung ihrer eingereichten Arbeiten oder von Teilen daraus an den FRU bzw. an die ARL, sofern in deren Verlag eine Veröffentlichung erfolgt. Die Arbeiten sind einzureichen an folgende Adresse: Förderkreis für Raum- und Umweltforschung e. V. Geschäftsstelle Jury Werner-Ernst-Preis 2015 ARL Hohenzollernstraße 11 30161 Hannover Auskünfte erteilt Prof. Dr. Andreas Klee von der Geschäftsstelle des FRU, Tel. 0511 34842-39, Fax 0511 34842-41, E-Mail: [email protected]. Quellen Brake, K.; Herfert, G. (2012): Auf dem Weg zu einer Reurbanisierung? In: Brake, K.; Herfert, G. (Hrsg.): Reurbanisierung: Materialität und Diskurs in Deutschland. Wiesbaden, 12-19. Brake, K.; Urbanczyk, R. (2012): Reurbanisierung – Strukturierung einer begrifflichen Vielfalt. In: Brake, K.; Herfert, G. (Hrsg.): Reurbanisierung: Materialität und Diskurs in Deutschland. Wiesbaden, 34-51. WBGU – Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen (2011): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Hauptgutachten. Berlin. http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/ veroeffentlichungen/hauptgutachten/jg2011/wbgu_ jg2011.pdf (28.04.2015). Nachrichten der ARL • 3/2015 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 51 51 26.11.2015 11:54:14 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG nfobörse FRU c/o ARL Hohenzollernstr. 11 30161 Hannover Fax: 0511 34842-41 [email protected] Unter dieser Rubrik erscheinen Hinweise auf kürzlich abgeschlossene Diplomarbeiten und Dissertationen. Der Förderkreis möchte auf diese Weise auf Leistungen des wissenschaftlichen Nachwuchses aufmerksam machen. Interessenten können die Adressen, an die Anfragen zu den gemeldeten Arbeiten zu richten sind, über den Förderkreis erhalten. Diese Rubrik steht allen inner- und außerhalb des personalen Netzwerks der ARL zur Verfügung; eine Auswahl ist vorbehalten. Informationen über Arbeiten (nicht älter als sechs Monate), die in den folgenden Heften der ARL-Nachrichten veröffentlicht werden können, werden erbeten an: Diplomarbeiten, Dissertationen etc. Kürzlich abgeschlossene Arbeiten HafenCity Universität Hamburg Lindfeld, Julia Industrieallmende – Weg aus der gentrifizierten Industrie (Dissertation, abgeschl. 07/2015) ■■ Band 73 Band 73 Heft 3 Heft 4 Juni 2015 August 2015 Papierausgabe: ISSN 0034-0111 Elektronische Ausgabe: ISSN 1869-4179 Papierausgabe: ISSN 0034-0111 Elektronische Ausgabe: ISSN 1869-4179 Zur Diskussion Wissenschaftliche Beiträge Hans Heinrich Blotevogel / Timm Sebastian Wiegand Anne Rabe / Uta Hohn Zur Evaluation von Wissensgenerierung und Wissenstransfer in der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) – Leibniz-Forum für Raum-wissenschaften Die Innere Stadt als Wohnstandort der „jungen Alten“? Wissenschaftliche Beiträge Claus-C. Wiegandt / Frank Osterhage / Stefan Haunstein Polyzentralität in Deutschland – Eine vergleichende Untersuchung für drei Stadtregionen Manfred Kühn / Ulrike Milstrey Mittelstädte als periphere Zentren: Kooperation, Konkurrenz und Hierarchie in schrumpfenden Regionen Simone Strambach / Hendrik Kohl Mobilitätsdynamiken und Wissensarbeit – zum Wandel berufsbedingter zirkulärer Mobilität Thomas K. Bauer / Rüdiger Budde / Martin Micheli / Uwe Neumann Immobilienmarkteffekte des Emscherumbaus? Stefan Greiving / Florian Flex / Thomas Terfrüchte Vergleichende Untersuchung der Zentrale-OrteKonzepte in den Ländern und Empfehlungen zu ihrer Weiterentwicklung Robert Nadler / Knut Petzold / Robert Schönduwe Doing Online Surveys: Zum Einsatz in der sozial-wissenschaftlichen Raumforschung Bericht aus Forschung und Praxis Sascha Anders Lebensmitteldiscounter und Supermarkt. Untersuchung zu Verkehrseffekten, Einzugsgebieten, Vorlieben der Kunden und zum Genehmigungsprozess vor dem Hintergrund der Regelungen des § 11 Abs. 3 BauNVO 52 Bestellungen nimmt der Verlag entgegen: Springer Customer Service Center GmbH Haberstraße 7, 69126 Heidelberg Tel. (+49-6221) 3454303 Fax (+49-6221) 3454229 E-Mail: [email protected] www.springer.com/geography/human+geography/journal/13147 3/2015 • Nachrichten der ARL 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 52 26.11.2015 11:54:20 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Ausgewählte Zeitschriftenbeiträge 1. Theoretische und methodische Grundlagen Balland, P.-A.; Boschma, R.; Frenken, K. (2015): Proximity and Innovation: From Statics to Dynamics. In: Regional Studies 49 (6), 907-920. Battis, U. (2015): Baukultur – Operationalisierung eines Rechtsbegriffs. In: Die Öffentliche Verwaltung 68 (12), 508-518. Benediktsson, K.; Brunn, S. D. (2015): Time Zone Politics and Challenges of Globalisation. In: Tijdschrift voor economische en sociale geografie 106 (3), 276-290. Bitterer, N.; Heeg, S. (2015): Die Macht der Zahlen. Kalkulative Praktiken in der Immobilienwirtschaft. In: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 59 (1), 34-50. Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden? In: fub – Flächenmanagement und Bodenordnung 77 (2), 75-79. A ls Informationsservice für die Forschung und zur Förderung des Transfers raumwissenschaftlicher Forschungsergebnisse in die Praxis wird in den ARL-Nachrichten in jedem Heft auf raumrelevante Beiträge aus national und international bedeutsamen Zeitschriften hingewiesen. Vollständigkeit wird nicht angestrebt. Autoren und Leser werden gebeten, die Redaktion auf erwähnenswerte Arbeiten aufmerksam zu machen. Glenn, D. T.; Endter-Wada, J.; Kjelgren, R.; Neale, C. M. U. (2015): Tools for evaluating and monitoring effectiveness of urban landscape water conservation interventions and programs. In: Landscape and Urban Planning 139, 82-93. Die Aufsätze werden nur einmal – nach ihrem inhaltlichen Schwerpunkt – einer Rubrik zugeordnet. Greenlee, A. J.; Edwards, M.; Anthony, J. (2015): Planning Skills: An Examination of Supply and Local Government Demand. In: Journal of Planning Education and Research 35 (2), 161-173. 2. Raumplanung und -entwicklung Hanisch, J. (2015): Zukunft der Planung ... Zur Wiedergewinnung des Politischen über die deregulierte Ökonomie. In: Planerin (3), 35-36. Die Zeitschriftenschau ist wie folgt gegliedert: 1. Theoretische und methodische Grundlagen 3. Umwelt 4. Wirtschaft 5. Soziales 6. Infrastruktur reach and Education. In: Journal of Planning Education and Research 35 (2), 174-187. Brandmeyer, O. (2015): Crowdfunding Urbanism. Schwarmfinanzierung als Instrument der Stadtentwicklung. In: Planerin (3), 10-12. Hansjürgens, B. (2015): Zur Neuen Ökonomie der Natur: Kritik und Gegenkritik. In: Wirtschaftsdienst 95 (4), 284-291. Brandt, A. (2015): Zivilgesellschaft in postdemokratischen Zeiten. In: Neues Archiv für Niedersachsen (1), 22-31. Hofmann, H. (2015): Zur Abschaffung der Quoren bei Bürgerentscheiden. In: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 34 (11), 715-718. Mäntysalo, R.; Kangasoja, J. K.; Kanninen, V. (2015): The paradox of strategic spatial planning: A theoretical outline with a view on Finland. In: Planning Theory & Practice 16 (2), 169-183. Busch-Geertsema, A.; Klinger, T.; Lanzendorf, M. (2015): Wo bleibt eigentlich die Mobilitätspolitik? Eine kritische Auseinandersetzung mit Defiziten und Chancen der deutschen Politik und Forschung zu Verkehr und Mobilität. In: Informationen zur Raumentwicklung (2), 135-148. Homburg, S.; Dullien, S.; Höpner, M.; Schrader, K.; Schettkat, R. (2015): Austeritätspolitik in der Europäischen Währungsunion: Bilanz und Perspektiven. In: Wirtschaftsdienst 95 (4), 231-248. Plüss, L. (2015): Municipal councillors in metropolitan governance: Assessing the democratic deficit of new regionalism in Switzerland. In: European Urban and Regional Studies 22 (3), 261-284. Kawka, R. (2015): Gleichwertigkeit messen. In: Informationen zur Raumentwicklung (1), 71-82. Schmitz, H.; Haselmann, C. (2015): Das raumordnerische Wegplanen von Konzentrationszonen für Windenergieanlagen und seine entschädigungsrechtlichen Folgen. In: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 34 (13), 846-852. Deschermeier, P. (2015): Die Entwicklung der Bevölkerung Deutschlands bis 2030 – ein Methodenvergleich. In: IW-Trends 42 (2), 97-111. Fina, S.; Lintzmeyer, F.; Müller-Herbers, S. (2015): Der neue Vitalitäts-Check 2.0 – Unterstützung der Daseinsvorsorge und Innenentwicklung im ländlichen Raum. In: Planerin (3), 33-34. Friesecke, F.; Kötter, T. (2015): Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme gem. §§ 165 ff. BauGB – ein Instrument für die erfolgreiche Kment, M.; Pleiner, T. (2015): Neues von der Abschnittsbildung – Planerisches Instrument gewinnt weiter an Konturen. In: Deutsches Verwaltungsblatt 130 (9), 542-547. Kummer, K. (2015): Die Ministerkonferenz für Raumordnung. In: fub – Flächenmanagement und Bodenordnung 77 (2), 49-52. Söfker, W. (2015): Die neuen bauplanungsrechtlichen Vorschriften für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden. In: fub – Flächenmanagement und Bodenordnung 77 (2), 53-57. Mandarano, L. (2015): Civic Engagement Capacity Building: An Assessment of the Citizen Planning Academy Model of Public Out- Soja, E. (2015): Accentuate the Regional. In: International Journal of Urban and Regional Research 39 (2), 372-381. Nachrichten der ARL • 3/2015 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 53 53 26.11.2015 11:54:20 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Sondermann, M. (2015): Zivilgesellschaftliches Engagement und die kulturelle Dimension kooperativer Stadtgrünentwicklung am Beispiel Hannovers. In: Neues Archiv für Niedersachsen (1), 98-111. Steffenhagen, P.; Weitkamp, A. (2015): Perspektive „Leerstand“ im Dorf – Möglichkeiten zum Einsatz zivilgesellschaftlichen Engagements. 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In: Standort 39 (1), 22-25. Witting, H. (2015): Standards als Steuerungsinstrumente. Prozesse und Wirkungen im Güterverkehr am Beispiel des carbon footprints. In: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 59 (2), 102-114. Neiberger, C. (2015): Leitbild Nachhaltigkeit – radikaler Wandel in Güter- Nachrichten der ARL • 3/2015 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 57 57 26.11.2015 11:54:20 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Neuerscheinungen aus anderen Verlagen Mei-Ing Ruprecht Serge Latouche Bauliche Erneuerungen und demographische Veränderungen in Zeilenbauten der 1950/60er Jahre Es reicht! Das Beispiel Hannover IÖR Schriften 66 Z eilenbauten der 1950/60er Jahre wurden nach dem Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ errichtet, liegen aus heutiger Sicht innenstadtnah und bieten kompakten, meist preisgünstigen Wohnraum. Zeilenbauten werden große Entwicklungspotenziale zugeschrieben, jedoch können eine „doppelte Alterung“ von Bewohnerschaft und Gebäudebeständen, die Konzentration sozial benachteiligter Haushalte sowie Verkäufe von Wohnungsbeständen an internationale Wohnungsanbieter zu Umbrüchen und ggf. zu Abwärtsspiralen führen. Abrechnung mit dem Wachstumswahn L eise Töne sind seine Sache nicht, auch nicht im Alter von über 70 Jahren. Expräsident Sarkozy verglich seine Antiwachstumsbewegung Décroissance schon einmal mit Terrorismus – zu Unrecht, denn gewaltsame Veränderungen sind Serge Latouche fremd. Was er hingegen liebt, ist die wortstarke Provokation, und so fordert er nichts anderes als eine radikale Absage an die „Religion der Ökonomie“. Konkret plädiert Latouche für einen politischen und wirtschaftlichen Mix aus Schrumpfung und Regionalisierung sowie die Übertragung aller echten Kosten auf die Verursacher „ökologischer und sozialer Funktionsstörungen“, die Unternehmen. Diedrich Bruns, Olaf Kühne, Antje Schönwald, Simone Theile (Eds.) Landscape Culture – Culturing Landscapes The Differentiated Construction of Landscapes I n this book an international group of authors reflects mechanisms of the cultural and social construction of landscapes. International migration and global exchange are associated with a multitude of different cultural meanings of landscapes. The logics of multi-cultural perceptions and meanings of landscape call for transdisciplinary research, and for guidance on addressing culturally sensitive issues and inclusion in practical planning. ISBN 978-3-658-04283-7 • Frank Othengrafen, Martin Sondermann (Hrsg.) Was trägt zu einer Modernisierung oder zu einer Abwertung bei? Welche Möglichkeiten gibt es, diesen großen Wohnungsbestand der Nachkriegszeit weiterzuentwickeln? Da kleinräumige quantitative Studien zu baulichen und demographischen Veränderungen bislang fehlen, wurde am Beispiel der Stadt Hannover eine gebäudetypspezifische Analyse für Zeilenbauten der 1950/60er Jahre durchgeführt. ISBN 978-3-944101-66-8 58 In „Es reicht!“ präsentiert die Gallionsfigur der französischen Wachstumskritik ein Politikprogramm jenseits des Wachstums, ein Plädoyer für eine Welt der Suffizienz, Einfachheit und bescheidenen Fülle. Seine Abrechnung mit dem Wachstumswahn wird begleitet von einem Vorwort von Niko Paech. Städtische Planungskulturen im Spiegel von Konflikten, Protesten und Initiativen ISBN 978-3-86581-707-5 n der Stadtentwicklung treffen unterschiedliche Akteure mit ihren Ansprüchen und Sichtweisen, Werten und Idealen aufeinander, was zu Kon- Planungsrundschau 23 I 3/2015 • Nachrichten der ARL 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 58 26.11.2015 11:54:34 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Wege) im Längsschnitt individueller Lebensläufe zu erfassen und zu verstehen. Dazu wurde eine Reihe von theoretischen und methodischen Grundlagen sowie konzeptionellen Ideen entwickelt. In jüngster Zeit werden diese ergänzt durch eine beachtliche Anzahl empirischer Studien. Das Buch umfasst sowohl theoretische und methodische Überlegungen als auch aktuelle empirische Arbeiten aus dem Forschungsfeld. ISBN 978-3-658-07545-3 • Holger Floeting (Hrsg.) flikten und Protesten führt – oder auch die Entstehung zivilgesellschaftlicher Initiativen fördert. Welche Möglichkeiten hat die Stadtplanung, hiermit umzugehen? Und inwieweit verändern sich städtische Planungskulturen im Spiegel von Konflikten, Protesten und Initiativen? Diesen Fragen widmet sich der Band. ISBN 978-3-937735-15-3 • Joachim Scheiner, Christian HolzRau (Hrsg.) Räumliche Mobilität und Lebenslauf Studien zu Mobilitätsbiografien und Mobilitätssozialisation Studien zur Mobilitäts- und Verkehrsforschung 27 S eit etwa zehn Jahren werden in der Verkehrsforschung Versuche unternommen, die Mobilität (im Sinne der täglichen oder auch selteneren Sicherheit in der Stadt Rahmenbedingungen – Praxisbeispiele – Internationale Erfahrungen Edition Difu – Stadt, Forschung, Praxis 14 U rbane Sicherheit umfasst eine große Vielfalt von Aufgaben. An der Schaffung und dem Erhalt sicherer Städte ist eine Vielzahl von Akteuren beteiligt. Sicherheit ist im Grundsatz eine staatliche Aufgabe. Für viele Bürgerinnen und Bürger und damit auch in der öffentlichen Diskussion sind aber die Städte und Gemeinden die ersten Ansprechpartner, wenn es um Missstände geht. Integrierte Ansätze kommunaler Sicherheitspolitik sind mit der Einbeziehung einer Vielzahl von Handelnden in der Kommunalverwaltung vom Stadtplanungsamt bis zum Jugendamt und über die Verwaltung hinaus verbunden. Handlungsoptionen bestehen, wird häufig ideologisch geprägt diskutiert: Setzt man eher auf das solidarische Verhalten der Bürgerinnen und Bürger, gegenseitige Rücksichtnahme, das Gewähren von Spielräumen sowie auf Aushandlungsprozesse im Umgang miteinander oder auf das Schaffen und Durchsetzen von Regeln, verstärkte Kontrolle und Ahndung von Regelübertretungen? Werden eher Top-down- oder Bottom-up-Ansätze favorisiert? In welchem Maß hält man Prävention für notwendig und das Zusammenwirken von Prävention und Repression für sinnvoll? Wie werden Störungsfreiheit einerseits und Lebendigkeit andererseits in einer Stadt bewertet? ISBN 978-3-88118-534-9 • Gudrun Claßen, Jonathan Franke, Karin Lorenz-Hennig Kommunale Wohnungsbestände in Deutschland Ergebnisse der BBSRKommunalbefragung 2012 vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen Analysen Bau. Stadt. Raum. 11 D as Bundesinstitut für Bau-, Stadtund Raumforschung hat im Jahr 2012 eine bundesweite Befragung aller Städte und Gemeinden ab 5.000 Einwohnern und aller Landkreise zur kommunalen Wohnraumversorgung und zu kommunalen Wohnungsbe- Sicherheit und Ordnung in der Stadt sind kontrovers diskutierte Themen. Wie sie bewertet werden und welche Nachrichten der ARL • 3/2015 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 59 59 26.11.2015 11:54:39 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG ständen durchgeführt. Aktuellen Herausforderungen wie der Versorgung einkommensschwacher Haushalte, der zunehmenden Alterung der Bevölkerung sowie der Erfüllung klimapolitischer Ziele wurde dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Veröffentlichung enthält die differenzierten Ergebnisse der Befragung. Sie gibt ein umfassendes Bild zu Umfang und Eigentumsformen, Strukturmerkmalen, energetischem Zustand und Altersgerechtigkeit des kommunalen Wohnungsbestandes. Darüber hinaus enthält sie Analysen zu Investitionen in die kommunalen Wohnungen und zum Beitrag dieser Wohnungen zur Wohnraumversorgung. ISBN 978-3-515-11027-3 • Harald A. Mieg, Heike Oevermann (Hrsg.) Planungsprozesse in der Stadt: die synchrone Diskursanalyse P lanungsprozesse in der Stadt sind oftmals gekennzeichnet durch Konflikte, aber auch durch die Vermittlung unterschiedlicher Anliegen und die Entwicklung alternativer Gestaltungsoptionen. Das Buch bietet Praktikern sowie für Studium und Forschung die geeigneten Werkzeuge, um Transformationsprozesse zu analysieren und zu verstehen sowie in diesen regulativ wirksam zu handeln. Ein Fallbeispiel (Industriekomplex Zeche Zollverein in Essen) veranschaulicht Theorie und Praxis. ISBN 978-3728136381 • Annedore Bergfeld, Robert Nadler Mobilität und Arbeitsmarktverflechtungen in der EURES-TriRegio forum ifl 27 D ie detaillierte Aufbereitung der Barrieren und Hemmnisse für den grenzüberschreitenden Austausch von Arbeitskräften innerhalb der EURES-TriRegio sowie die Ableitung entsprechender Handlungsempfehlungen basiert auf der detaillierten Analyse der Ausgangssituation, der Auswertung verfügbarer Literatur sowie der Befragung von Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsexperten aus den drei Teilregionen der EURES-TriRegio. Zudem wurden die Ergebnisse in einem trilateralen Workshop mit Akteuren aus allen Teilregionen diskutiert und die herausgearbeiteten Handlungsansätze weiter präzisiert. Paul Gans, Ingrid Hemmer (Hrsg.) Zum Image der Geographie in Deutschland Ergebnisse einer empirischen Studie forum ifl 29 D ie vorliegenden Studienergebnisse dienen der Diskussion, nicht zuletzt darüber, wie man mit den Images der Geographie, die durch die Studie sichtbar gemacht wurden und die dadurch eine gewisse Wirksamkeit bzw. Macht entfalten könnten, umgeht. Startet man Versuche, die Stärken der Geographie in ein besseres Licht zu rücken oder an den Schwächen zu arbeiten, versucht man im Konsens einen Soll-Wert zu definieren und sich diesem anzunähern? Das Fazit endet mit Vorschlägen, die von den Probanden der Studie hinsichtlich einer weiteren Steigerung der Attraktivität des Schulfaches Geographie und einer besseren Platzierung der Wissenschaft Geographie in den Medien angeregt wurden. Online-Ausgabe: www.ifl-leipzig.de/ de/publikationen/zeitschriften-undreihen/forum-ifl.html ISBN 978-3-86082-100-8 In diesem Kontext wird es zunehmend wichtiger, Debatten und Entscheidungsprozesse zu verstehen. Hier setzt die synchrone Diskursanalyse an: Sie ist ein Instrument, um Konflikte und Vermittlungen über Ziele und Konzepte in Planungs- und Transformationsprozessen der Stadt systematisch zu erfassen. 60 Online-Ausgabe: www.ifl-leipzig.de/ de/publikationen/zeitschriften-undreihen/forum-ifl.html ISBN 978-3-86082-096-4 3/2015 • Nachrichten der ARL 6_AusderRaumszene_3-2015(S43-60).indd 60 26.11.2015 11:54:44 KURZPROFIL / IMPRESSUM AKADEMIE FÜR RAUMFORSCHUNG UND LANDESPLANUNG Über die ARL LEIBNIZ-FORUM FÜR RAUMWISSENSCHAFTEN Die Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) – LeibnizForum für Raumwissenschaften ist eine selbstständige und unabhängige außeruniversitäre raumwissenschaftliche Forschungseinrichtung. Seit ihrer Gründung im Jahr 1946 versteht sich die ARL als Forum und Kompetenzzentrum für die Erforschung räumlicher Strukturen und Entwicklungen, ihrer Ursachen und Wirkungen sowie ihrer politisch-planerischen Steuerungsmöglichkeiten. Der Fokus liegt auf den für eine nachhaltige Entwicklung bedeutsamen Bereichen Wirtschaft, Soziales, Ökologie und Kultur sowie deren Wechselwirkungen untereinander. Die Arbeit der ARL ist durch eine ganzheitliche, integrative und zukunftsorientierte Perspektive auf komplexe raumbezogene gesell- Impressum schaftliche Herausforderungen gekennzeichnet. Die Zielsetzung der Akademie besteht darin, ein Verständnis für aktuelle räumliche Entwicklungen und Strukturen zu gewinnen, Probleme der Raumentwicklung zu identifizieren, eigene Forschungsfragen zu formulieren sowie Anregungen für Forschungen an anderen Orten zu geben. Auf der Basis eigener Forschungsergebnisse und Erkenntnissen Dritter sollen tragfähige Problemlösungsansätze für die Zukunft erarbeitet und zielgruppenspezifisch adressiert werden. Die ARL ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit Sitz in Hannover. Aufseiten des Landes Niedersachsen ist das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur für die ARL, aufseiten des Bundes ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zuständig. Die ARL ist in ihrer Funktion und Form einzigartig, von überregionaler Bedeutung und gesamtstaatlichem wissenschaftspolitischem Interesse. Sie ist seit 1995 Mitglied der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e. V. (LeibnizGemeinschaft). Die Besonderheit wie auch das Alleinstellungsmerkmal der ARL ist das Zusammenwirken von ehrenamtlich tätigen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis in den Arbeitsgremien der ARL. Nähere Informationen über die ARL finden Sie unter www.arl-net.de. NACHRICHTEN DER ARL Herausgeber: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL®) Leibniz-Forum für Raumwissenschaften Hohenzollernstraße 11, 30161 Hannover Tel.: +49 511 34842-0 Fax: +49 511 34842-41 [email protected] www.arl-net.de Redaktion: Dr. Gabriele Schmidt (V.i.S.d. P.) Die Nachrichten der ARL erscheinen viermal im Jahr. Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. Heft 3, Oktober 2015, 45. Jahrgang Auflage: 2500 ISSN 1612-3891 (Printausgabe) ISSN 1612-3905 (Internetausgabe) Lektorat: Cornelia Maria Hein, Heike Wegner Satz /Layout: Gabriela Rojahn, Oliver Rose Cover: Jonathan Stutz, www.fotolia.com Druck: BenatzkyMünstermann GmbH & Co. KG, 30559 Hannover Nachrichten der ARL • 3/2015 61 ISSN 1612-3891 (Printausgabe) Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier 0_Umschlag-3_2015.indd 2 ISSN 1612-3905 (Internetausgabe) www.arl-net.de 26.11.2015 09:45:52
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