- RUNGIS express

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- RUNGIS express
MAIN-ECHO VOM SAMSTAG / SONNTAG, 18. / 19. JUNI 2011
WOCHENENDMAGAZIN
Reise Mykonos ist
das Edel-Ibiza
der Kykladen S. 4
Kinder-Echo Paula Print
besucht das Historische
Museum in Speyer S. 8
Essen & Trinken Im
Spessart macht Stephen Dietz
aus Forellen Matjes S. 3
Karawane des
guten
Geschmacks
Lebensmittel: Rungis Express in Meckenheim versorgt
Spitzenköche, Kaufhäuser und Fußballteams mit Viktualien
von Jürgen Overhoff
Ein kapitaler Brocken. 65 Kilo schwer
und sicher 150 Zentimer lang. Vor gar
nicht allzu langer Zeit schwamm der
Gelbflossen-Thunfisch noch in den
Gewässern um die Malediven. Bis er
einem Fischer an die Leine ging. Wenige Stunden später landete das
Prachtexemplar am Frankfurter Flughafen. Um von dort aus in das Städtchen Meckenheim bei Bonn transportiert zu werden. Auf Eis gebettet versteht sich.
In
Meckenheim hat der wohl bekannteste
Lebensmittelhandel
Deutschlands
seine Zentrale: Rungis Express. Feinkost- und Logistikexperten par excellence. Die Einkäufer des Großhandelsunternehmens kaufen in der ganzen Welt ein. Vom Adlerfisch aus Spanien bis zur Vanilleschote aus Tahiti,
vom Wagyu Roastbeef aus den USA bis
zur Dorade Royale aus Griechenland,
vom kanadischen Hummer bis zur Piemonteser Trüffel, vom Seealgen-Salat aus Taiwan bis zum Maiskolben aus
Mosambik, vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein bis zum Heilbutt
aus Norwegen, von der Orangensenfsauce aus dem Tessin bis zum Reisessig aus China. Ein riesiges Sortiment.
»Wir haben täglich rund 6000 Frischund Trockenwarenprodukte
im Angebot«, erklärt
Christian Helms, der
Vorstand der Rungis Express AG.
Und: »Auf Vorbestellung erhöht sich
diese Zahl auf täglich 20 000 Artikel«.
Etwa 2000 Kunden
kaufen bei Rungis
ein. Es sind dies
Spitzengastronomen,
Hoteliers,
Groß- und Feinkosthändler, Caterer und Eventplaner und in eher geringerer
Anzahl auch Privatkunden.
Fernsehköche kaufen ein
Wer
bei Rungis Express
im Versand
arbeitet, muss
sich mit Lebensmitteln
auskennen. Jakobsmuscheln beispielsweise werden
einem Geruchstest
unterzogen.
»Die weitaus größte Zahl der
deutschen Sterneköche bestellt bei uns, aber auch Köche
in Österreich, Portugal, Spanien und in Dubai«, weiß
Helms.
Der bekannteste und mithin
größte Rungis-Kunde ist das
Kaufhaus des Westens in Berlin.
Auch die Teilnehmer an den G 8Gipfeln delektieren sich an Viktualien aus Meckenheim. 2006 versorgten
die unterdessen wieder rund 400 Mitarbeiter des Lebensmittelspezialisten
die 32 an der Fußball-Weltmeisterschaft teilnehmenden Mannschaften.
Schließlich, erklärt Helms, kaufen
auch die meisten Fernsehköche Produkte aus Meckenheim. Das will etwas
heißen: Die Kochshows sehen täglich
Millionen Fernsehzuschauer. Ein immenser Schaden, wenn dort etwas in
Sachen Frische und Hygiene anbrennen würde. Die Frische, verderbliche
Ware auf ihrem langen Weg zum Kunden frisch zu halten, ist Christian
Helms' Steckenpferd.
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Frische Jakobsmuscheln aus Norwegen – bestellt von einem Gastronom in Spanien.
Frische Fische wie dieser Heilbutt werden bis zu sechs Mal wöchentlich nach Meckenheim geliefert und von dort weiterverkauft. Rungis Express ist wohl Deutschlands bekanntester Lebensmittelhandel. Hinter der Frischephilosophie des Unternehmens steckt eine gewaltige logistische Kraftanstrengung.
Fotos: Harald Schreiber
Im Gemüselager: Rund 2000 Kunden, überwiegend Gastronomen, beziehen von dort ihre Viktualien.
Der Eiffelturm ist Teil des Firmenlogos. 1978, als das Unternehmen gegründet wurde, bezog es seine Produkte vom Pariser Großmarkt Rungis.
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SAMSTAG/SONNTAG, 18./19. JUNI 2011
Helms ist entsetzt, dass weltweit 30
Prozent der verkauften Frischeprodukte weggeschmissen werden. »Mit
dem, was der Mensch gegenwärtig anbaut, könnten 2,5 Milliarden Menschen mehr ernährt werden«, ist Helms
überzeugt. Demzufolge müsste niemand hungern, denn nur 900 Millionen sind von diesem Schicksal betroffen. Der Welthunger ist für den eloquenten Betriebswirt und Spediteur
also eine Folge der globalen Wegwerfphilosophie. Wie auch die enormen Mengen an CO2, die bei der Verbrennung von Müll entstehen. »Der
deutsche
Lebensmittelhandel
benimmt sich wie vor 50 Jahren«, ist
Helms entsetzt. Ebenso sei die ganze
Farmphilosophie völlig antiquiert.
Helms nennt ein Beispiel: Erdbeeren, sagt er, müssen innerhalb von zwei
Stunden nach der Ernte auf zwei Grad
heruntergekühlt werden, wenn sie
frisch bleiben sollen. Dass die meisten
Produzenten nicht so verfahren, sei
hinlänglich bekannt. Dementsprechend schnell vergammelten die
Früchte auch.
Ausgeklügelte Logistik
»Die Wegwerfquote zu reduzieren ist
deshalb unsere Philosophie«, erklärt
Helms. Dies versucht das Unternehmen mit Hilfe einer ausgeklügelten
Logistik, in der möglichst ununterbrochene Kühlketten eine zentrale
Rolle spielen. So besteht die Rungis
Lkw-Flotte aus 240 Fahrzeugen mit
Drei-Kammer-Kühlsystem. 120 unternehmenseigene Fahrzeuge und 120
von unter Vertrag genommenen
Fremdfirmen. Eine Karawane des guten Geschmacks. Unterwegs in ganz
Europa. Zum Wohle der Anhänger einer an Frische und Qualität orientierten Esskultur.
Die Einkäufer von Rungis – zwei
Drittel von ihnen sind gelernte Köche
– suchen in der ganzen Welt nach den
besten Produzenten. Sie sind vor Ort,
aber natürlich ebenso am Telefon in der
Firmenzentrale. Und auch in der Meckenheimer Küche. Denn viele Produzenten kommen selbst zu Rungis, um
ihre Erzeugnisse vorzustellen. Vor Ort
bereiten Köche sie dann zu und servieren sie zur Qualitätskontrolle.
»95 Prozent unserer Ware kaufen wir
direkt beim Erzeuger. Auch das ist Teil
unserer Frischephilosophie«, erklärt
Helms. Vom Erzeuger werden die Produkte dann zu Sammelpunkten transportiert. Die befinden sich im dänischen Padborg, in Barcelona, Verona,
Boulogne sur Mer, Paris und Frankfurt. So nimmt beispielsweise ein in
Norwegen gefangener Kabeljau den
Weg über Padborg nach Meckenheim,
während der Thunfisch von den Malediven nach Frankfurt geflogen und
von dort mit den Rungis-Lkw weitertransportiert wird.
Sechs Mal wöchentlich kommt so
Ware nach Meckenheim. Der weitaus
größte Teil davon in den frühen
Abendstunden so ab 18.30 Uhr. Dann
Sieht aus wie gemalt: Fruchtige Beeren, knackige Karotten, delikater Knoblauch, feiner Grünspargel.
ist im Versand die Hölle los. Denn
schon am nächsten Vormittag soll die
Ware beim Kunden sein.
Versandleiter Andreas Kissling hat
jedoch alles im Griff. Er kennt das Geschäft, arbeitet schon seit 25 Jahren bei
Rungis. »Der Ablauf ist immer der gleiche«, erklärt er, »aber es gibt immer
andere Probleme«. So wird von der
Autobahn aus Richtung Frankfurt Stau
gemeldet. Die Ankunft der Ware verzögert sich. Aber dann öffnet sich doch
die Ladeklappe des Lasters.
Andreas Kissling kontrolliert die
Temperatur mit einem Lasergerät. Alles klar. Nichts passiert auf dem Weg
von Frankfurt nach Meckenheim. Gemüse aus Thailand, Hummer aus Ka-
nada kommen nun ins Lager. Dort
warten schon Kommissionierer mit den
Bestellscheinen der Kunden. Alles wird
wunschgemäß verpackt und wieder auf
den Weg gebracht.
Qualitätskontrolle ist obligatorisch,
dass frischer Fisch mit Eis verpackt
wird ebenso. Die Zeit drängt. Jedenfalls die für die Lieferung nach Nor-
derney. In diesem Fall muss der Liefer-Lkw ja auch noch eine Fähre erreichen.
Die in der Meckenheimer Zentrale
zusammengestellten Pakete werden
nicht direkt zu den Endabnehmern gefahren, sondern zunächst in die sogenannten Verteilpunkte im ganzen
Land. Von dort schwärmt die Kara-
wane des guten Geschmacks dann in
alle Himmelsrichtungen aus. In Meckenheim wird Nacht für Nacht bis etwa 1.30 Uhr geladen. Um die 40 Tonnen Lebensmittel sind dann verstaut
und auf den Weg gebracht. Stefan
Kissling kann das Firmentor abschließen. Und in wenigen Stunden
kommt neue Fracht.
Hintergrund: Rungis Express
Der Bonner Gastronom Karl-Heinz Wolf
gründete 1978 Rungis Express. Den Namen
wählte er nach dem Pariser Großmarkt
Rungis, wo er einen großen Teil der Ware
bezog. 1980 stieg Georg Kastner in das
Unternehmen ein und übernahm sechs
Jahre später dessen alleinige Leitung. 2005
musste Rungis nach mehreren Jahren sinkender Umsätze Insolvenz anmelden. Die
Bremer CCG Holding (Cool Chain Gruppe), deren Vorstand ebenfalls Christian
Helms ist, erwarb daraufhin 72 Prozent der
Rungis Express AG. Die CCG ist ein globales Netzwerk, spezialisiert auf FrischwarenLogistik und Handel mit temperatursensiblen Produkten. Die CCG als Hauptanteilseigner strukturierte das Unternehmen um.
Fast die Hälfte der damals rund 300 Mitarbeiter wurde entlassen. Unterdessen erwirtschaften aber wieder mehr als 400
Menschen einen Jahresumsatz von rund
100 Millionen Euro. An der Spitze von
Rungis steht mit dem 50-jährigen Christian
Helms ein erfahrener Manager, der mehr
als 20 Jahre für Speditionen in Asien,
Australien und in den USA gearbeitet
hat. Für seinen Job bei Rungis ist es gewiss
nicht von Nachteil, dass der aus Norddeutschland stammende Helms ein passionierter Hobbykoch mit einem Faible für
die naturbelassene Küche ist.( joff)
Arbeiten im ewigen Eis: Mit Tiefkühlprodukten macht Rungis jedoch nur einen kleinen Teil des
Umsatzes.
Frische ist alles: Fische werden deshalb grundsätzlich reichlich mit Eis versorgt (rechts) und
auf ihre Qualität geprüft.
Stapelweise Zitronen.
Christian Helms ist Vorstand der Rungis
Express AG in Meckenheim.
Saftiges aus tropischen Gefilden: Ananas für süße Leckermäuler.
Der Lkw aus Frankfurt: Geladen hat er Flugware wie Hummer aus Kanada oder Gemüse aus Thailand.