Tödliche Computerspiele? - Communication Opielka sc

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Tödliche Computerspiele? - Communication Opielka sc
Tödliche Computerspiele?
Der Amoklauf eines Jugendlichen in Emsdetten hat erneut eine Debatte über negative
Wirkungen von aggressiven Computerspielen wie „Counterstrike“ und „Prey“ ausgelöst. Zwar
scheinen einige Politiker mit ihren angekündigten Gesetzesverschärfungen engsichtig zu
reagieren, doch auch Fachleute sehen einen deutlichen Zusammenhang zwischen brutalen
Killerspielen und realer Jugendgewalt. Gleichwohl müsse, so der Tenor vieler Experten, die
Diskussion viel tiefer ansetzen: Es geht vor allem um Ausgrenzung, Familienprobleme,
Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher – und um Gewalt in der Gesellschaft. Von Jan Opielka
Der 13-jährige Christopher ist selbst eher Anhänger von PC-Strategiespielen ohne übermäßige
Gewalt. Doch warum andere Jungs und einige seiner Kameraden gerne Computerspiele spielen, in
denen Schießen, Töten und Blut im Vordergrund stehen, glaubt er dennoch zu wissen: „Man schießt
und tötet in diesen Spielen so gerne, weil es auch in der Realität so vorkommt, etwa in Kriegen“, zeigt
er sich überzeugt. Man wolle die reale Leben digital nachahmen – auch, weil man sich als Jugendlicher
davon mehr Ansehen verspreche. Doch bereits er als junger Teenager sieht die Ursachen von
Jugendgewalt oder der Amokläufe von Jugendlichen nicht in den Spielen selbst begründet, sondern im
sozialen Hintergrund der Heranwachsenden. „Viele haben Probleme in der Familie. Aber auch die
Freunde haben großen Einfluss“, glaubt der Siebtklässler einer Hannoverschen Gesamtschule. Die
negative Wirkung der Freundeskreise fasst er dann überaus pointiert zusammen: „Das ist wie eine
Krankheit übertragbar.“
Diese Laienmeinung wird insgesamt auch von Fachleuten geteilt. Der Kriminologe Professor
Christian Pfeiffer etwa sieht einen deutlichen Zusammenhang zwischen Gewalt verherrlichenden
Computerspielen und den Amokläufern von Erfurt und jüngst auch Emsdetten. Gefestigte Jugendliche
könnten solche Szenarien am Computer spielen, ohne Amokläufer zu werden, meint der Leiter des
renommierten Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) in Hannover. „Aber für
jeden, der keinen Rückhalt hat, sind die dort erlebten Machtgefühle Entschädigung für ihre
Demütigung“, sagte Pfeiffer nach dem Amoklauf von Emsdetten.
Doch aggressives Handeln ist nicht gleich zu setzen mit einem Amoklauf, der in einem Blutbad
endet. Die Frage bleibt also: Können Computerspiele mit gewalttätigen Inhalt Jugendliche zu Mördern
oder Selbstmördern werden lassen? Medienwissenschaftler Matthias Kleimann, Mitarbeiter von Pfeiffer
am KFN, möchte diesen Zusammenhang kausal nicht herstellen. Aggressive Computerspiele seien stets
als „Verstärkereffekte” zu sehen, nicht als alleinige Ursache eines Amoklaufs oder einer Gewalttat, sagt
er auf Nachfrage. Gerade die Amokläufe von Emsdetten und Erfurt sind für ihn kein gutes Beispiel für
die Wirkung von Mediengewalt auf Jugendliche. „In diesen beiden tragischen Fällen gab es andere
Faktoren, die eine wichtigere Rolle gespielt haben, etwa der soziale Hintergrund der Jugendlichen.
Daher halte ich es nicht für seriös, anhand gerade dieser Fälle die Debatte über gewalttätige Spiele zu
führen”, sagt er. Viel zu wenig werde hingegen die „Desensibilisierung” der Jugendlichen gegenüber
Gewalt und Leiden durch Killerspiele thematisiert – obwohl sie in zahlreichen Kurz- und Langstudien
auch am KFN nachgewiesen worden sei.
Empirisch gestützt werden die Analysen der Niedersachsen auch durch andere Forschungen. Eine
Studie von Psychologinnen der Uni Potsdam mit über 3300 Teilnehmern legte offen, dass gewalttätige
Spiele im Gegensatz zu solchen ohne Gewalt bei ihren Nutzern kurzfristig Aggressionen hervorrufen.
Tendenziell neigten Spieler von aggressiven Spielen dazu, in Konfliktsituationen aggressiv zu handeln
und ihrem Gegenüber eine feindselige Handlung zu unterstellen, heißt es weiter. Umgekehrt fühlen sich
aber auch aggressive Jugendliche (und Erwachsene) besonders zu aggressiven Killerspielen hingezogen
– die berühmte Frage, was zuerst da war, „die Henne oder das Ei”, bleibt im Einzelfall mitunter
schwierig zu beantworten. „Die Spiele sind nur ein Puzzleteil neben einer Reihe anderer Faktoren. Ein
Verbot würde meiner Meinung nach nichts bringen“, sagt Ingrid Möller, Mitverfasserin der Studie.
Der Marburger Kriminologe Professor Dieter Rössner spricht von einer „Katalysatorwirkung“, die
aggressive Computerspiele bei Jugendlichen mit Sozialisationsstörungen hätten. Zudem kommen, so
der Wissenschaftler, viele jugendliche Gewalttäter, wie auch die Amokläufer, aus dem Kreis der so
genannten Borderline-Persönlichkeiten, die leicht kränkbar seien. Generell steht auch er scharfen
Gesetzen positiv gegenüber, aber: „Im Ergebnis sind Gewalttaten wie etwa Amokläufe durch ein
Verbot brutaler Computerspiele nicht zu verhindern“, betont Rössner. Wenn Gewalt in der Gesellschaft
Realität sei, müssten sich auch Medieninhalte damit auseinander setzen. Doch entscheidend sei dabei
das Wie: Wird Gewalt als Lösungsmittel dargestellt, wird auch die Wirkung auf die Empfänger negativ
sein.
Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) sowie sein niedersächsischer Kollege
Schünemann (CDU) haben also bei ihren Plänen zur Verschärfung entsprechender Paragrafen
scheinbar gute Argumente im Gepäck. Beckstein strebt eine Erweiterung des Paragrafen 131 StGB an,
wobei er einen Passus zum „aktiven Handeln” des Spielers einfügen will. Schünemann legt noch eine
Schippe drauf: Er fordert bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe statt wie bisher nur einem Jahr etwa für die
Verbreitung von Gewalt verherrlichenden Spielen an Jugendliche unter 18 Jahren. Zudem erwägt sein
Ministerium, den bloßen Besitz solcher Spiele unter Strafe zu stellen. Bayern und Niedersachsen
werden ihre Gesetzesentwürfe wohl absprechen und voraussichtlich im Februar eine
Bundesratsinitiative starten.
Bundesinnenministerin Brigitte Zypries (SPD) vermag indes in beiden Vorschlägen „keinen
strafrechtlichen Mehrwert” zu erkennen. Ihrer Ansicht nach gibt es „keine Strafbarkeitslücke” beim
„notwendigem Schutz vor Killerspielen”, heißt es in einer entsprechenden Erklärung ihres
Ministeriums. Medienwissenschaftler Kleimann vom KFN stützt Zypries’ Ansicht und bestätigt, dass
Deutschland bereits jetzt die strengsten Jugendschutzgesetze Europas, „möglicherweise gar mit die
schärfsten Regelungen auf der Welt hat”. Er ergänzt aber: „Was nicht heißt, dass sie perfekt sind.“
Schünemanns Vorschlag zur bloßen „Nutzung als Straftat“ bezeichnet Kleimann jedoch als
unverhältnismäßig. Vielmehr sieht das KFN vor allem die Arbeit der Unterhaltungssoftware
Selbstkontrolle (USK), eine Einrichtung der Softwarehersteller ähnlich der FSK bei Filmen, äußerst
kritisch. „Wir führen gerade eine Studie durch, in der wir 72 von der USK freigegebene Spiele selbst
einstufen“, sagt Kleimann. Obgleich die Ergebnisse noch nicht endgültig vorliegen, „können wir bei
knapp der Hälfte der Spiele die Altersfreigaben der USK nicht nachvollziehen“. Hier bestehe
gesetzlicher Änderungsbedarf, ebenso wie bei indizierten Spielen. Diese sind zwar ab 18 Jahren
freigegeben, dürfen aber nicht öffentlich ausgestellt oder beworben werden. Laut Forschungen am
KFN erreichen diese Spiele dann tatsächlich nicht den Massenmarkt. Doch einmal freigegebene Spiele
können nach geltender Rechtslage nicht mehr nachträglich indiziert werden. Hier müsste der
Gesetzgeber schärfere Regeln setzen und die Hürden für eine Indizierung senken. Durch die damit für
die Spielehersteller entstehenden Verluste würde man diese indirekt zwingen, „auf Spiele zu setzen, die
nicht vom Indizierungsrisiko bedroht sind“, heißt es in einem Positionspapier des KFN. Das recht
bekannte Egoshooter-Spiel „Counter Strike“ wird von den Niedersachsen im Übrigen nicht als
besonders gefährlich eingestuft, weil dort der „Wettbewerbscharakter“ dominiere.
Die Bestürzung in der Öffentlichkeit nach dem Amoklauf in Emsdetten war groß. Auch
gesellschaftliche Gruppen meldeten sich zu Wort. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche,
Wolfgang Huber, sagte der Tageszeitung WELT, dass „die Verführung, die das Internet beinhaltet,
sicher ein Grund“ für wachsende Jugendgewalt sei. Als besonders anfällig bezeichnete er Jugendliche
ohne Perspektive, die sich nicht gebraucht und akzeptiert fühlten. Er ergänzte: „Auch die Kirche muss
helfen, Jugendliche aus der Isolation zu holen. Sie müssen erleben, dass wir sie ernst nehmen und
wertschätzen.“
erscheint in: Publik Forum, Januar 2007