26. Juni – 17. Juli 2011 Bochum – Leverkusen – Mönchengladbach
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26. Juni – 17. Juli 2011 Bochum – Leverkusen – Mönchengladbach
Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen 21 von uns FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Deutschland 2011™ 26. Juni – 17. Juli 2011 Bochum – Leverkusen – Mönchengladbach Lebensbildung www.mfkjks.nrw.de 21 von uns Einundzwanzig von uns. Ein Titel, ein Magazin, passend zur Weltmeisterschaft im Frauenfußball. Eine Weltmeisterschaft, die in den Sommermonaten Juni und Juli für elf Spiele im Sport- und Fußballland Nordrhein-Westfalen gastiert. In den Stadien von Bochum, Leverkusen und Mönchengladbach. Jedes Team kommt mit 21 Spielerinnen. 21 Fußballerinnen, die sich für diese WM in ihren Heimatländern qualifiziert haben. Unser NRW-Team – „21 von uns“ – ist auch dabei. Es sind Top-Sportlerinnen aus Nordrhein-Westfalen, die als Botschafterinnen des Sports für dieses Land stehen. Wir porträtieren die ehemaligen Gewinnerinnen von Pokalen und Medaillen, aber auch die aktuellen Erfolgssportlerinnen sowie Talente mit Zukunft. 21 Sportlerinnen aus Nordrhein-Westfalen und das NRW-Team in der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft begleiten uns in den schönsten Fußballwochen dieses Sommers. FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Deutschland 2011™ 26. Juni – 17. Juli 2011 Bochum – Leverkusen – Mönchengladbach 4 i n h a lt einundzwanzig von uns editorial 6Ute Schäfer Die Sportministerin will die FIFA Frauen-WM nutzen, um Mädchen mit Migrationshintergrund zu integrieren Fussball-WM in NRW 8 Die Fußballroute Unterwegs zu historischen Stätten des Fußballs als Einstimmung auf die WM 9 Bochum Currywurst und Grönemeyer 10 Leverkusen Chemie & Sport unter dem Bayer-Kreuz 11 Mönchengladbach Große Spieler, weltbekannte Trainer unterwegs in nrw 90 Land und Leute Von Flüssen und Seen, Tälern und Hügeln, Dörfern und Städten, freundlichen und sturen Menschen 92 Metropolen Münchens begeisterter Blick auf Deutschlands einzigen Ballungsraum – die Region Rhein-Ruhr 94 Landschaften Schönheiten mit hohem Erholungswert zwischen Eifel und Teutoburger Wald 96Quartiere Die schönen und heimlichen Ecken – Spurensuche in Häfen und auf türkischen Meilen 21 SPortlerinnen im Porträt 12 Heide Ecker-Rosendahl Die Leverkusenerin fühlt sich im Münchner Olympiastadion zu Hause 16Silvia Neid Die Welttrainerin gibt sich vor der Operation Titelverteidigung gelassen 20Steffi Nerius Die Engagierte will Speerwerfen in Deutschland populärer machen 22 Juliane Schenk Die Gegensätzliche holt sich die Ruhe für ihr Badmintonspiel in einer Krefelder Kirche 26 Claudia Bokel Die IOC-Dame kümmert sich nun international um das Wohl der Sportler 28 Marion Rodewald Olympiagold, Gartenarbeit, Doktorarbeit – so entspannt die Hockey-Kapitänin 32Angelina Grün Der Volleyballstar ist immer unterwegs – jetzt probiert sie Beachvolleyball 36Nadine Schmutzler Die Ruderin ist mit der Heimat verbunden und trainiert auf Dortmunder Kanälen 38 Clara Woltering Bevor die Handball-Torhüterin Bäuerin wird, will sie in die Champions League 42Sarah Poewe Die Weltenbummlerin will nach London, muss aber zuvor zur Fürstenhochzeit 44Anke Feller Die Quereinsteigerin steht an der Spitze der NRW-Sportstiftung 56 Petra Quade Die Laufschuhe der sechsfachen Olympiasiegerin liegen im Hafenbecken von Sidney 60 Linda Stahl Die Speerwerferin hat klare Ziele: 72 Meter und ihre Promotion 62Stephanie Groß Die Weltklasseringerin krabbelte schon als kleines Mädchen auf der Matte 66 Katja Seizinger Deutschlands erfolgreichste Skiläuferin fuhr ihre erste Abfahrt im Wiehengebirge 70 Britta Heidemann Eine außergewöhnliche Sportlerin, die chinesisch spricht und nun ein Buch schreibt 74 Ingrid Klimke Die Olympiasiegerin wollte Lehrerin werden, nun bildet sie Pferde aus 76Ulrike Nasse-Meyfarth Zwischen zwei Olympiasiegen lag die Hochspringerin richtig am Boden 80 Tanja Szewczenko Die Eisprinzessin schauspielert nun 84 Isabell Werth Nach vier Olympiasiegen denkt die Dressurreiterin nicht ans Karriereende 88 Lena Schöneborn Bis London heißt es für die Moderne Fünfkämpferin studieren und trainieren fuSSball extra Sportland NRW 48 19 25 01 Frauenfußball 31 03 Deutsche Sporthochschule 41 04 Gerry Weber Open 47 05 Sportstiftung NRW 59 06 Behindertensport 64 07 Fußballland 73 08 DFB-Fußballmuseum 83 09 CHIO Aachen Die Spielerinnen Zum Kader des deutschen Fußballteams gehören acht Frauen aus Nordrhein-Westfalen 49Ursula Holl Die Torfrau ist „verliebt in Köln“ 49 Linda Bresonik Die Vielseitige sagt, was sie denkt 50Mannschaftsfoto Acht plus 1 – Sportland NRW, Fußballerinnenland 52Simone Laudehr Die Weltmeisterin mit dem tollen Torjubel 52 Inka Grings Die Torjägerin mit dem einmaligen Rekord 53Annike Krahn Die Bochumerin mit dem Heimatgefühl 54 Lisa Weiß Die Torfrau möchte mit Oliver Kahn gern Kaffee trinken 54Sonja Fuss Die Wechselkönigin kommt bei Tai Chi zur Ruhe 55Alexandra Popp Die Sportrockerin kickte mit den Schalker Jungs 02 Landessportbund 5 6 e d i to r i a l Sport – Schule des Lebens Sportministerin Ute Schäfer freut sich auf die Frauenfußball-WM und will den Mädchenfußball in NRW voranbringen Frau Schäfer, ist die Ministerin nur für Sport zuständig oder treibt sie auch aktiv Sport? Ich bin mit Sport groß geworden. Bevor ich in die Politik gegangen bin, habe ich sehr engagiert Volleyball gespielt, bis in die Landesliga. Das habe ich mit großer Leidenschaft gemacht, mit allem, was dazugehört: Training, Spiele, Mannschaftsleben. Doch nach dem letzten Bänderriss habe ich dann gedacht: So, jetzt ist die Zeit für einen Wechsel da. Leider bleibt mir heute während meiner Arbeit nur noch Joggen und Schwimmen. Ich jogge zweimal in der Woche, morgens bevor ich ins Ministerium fahre. Das Schwimmen reduziert sich auf die Wochenenden, dann gehe ich sehr gerne in meiner Heimat ins Thermalbad von Bad Salzuflen. Welche Bedeutung hat die FrauenfußballWM für Nordrhein-Westfalen? Es ist wunderbar, dass wir drei Spielorte haben; für uns sind zwei Punkte sehr wichtig. Zum einen möchten wir natürlich den Frauenfußball in Nordrhein-Westfalen nachhaltig unterstützen und stärken. Er ist eine gute Marke für unser Land. Zum anderen möchten wir uns auch bei dieser Fußball-WM gerne als das gastfreundliche, weltoffene und sportbegeisterte Bundesland zeigen, das wir sind. Wie machen Sie das? Die Landesregierung unterstützt die Weltmeisterschaft mit einem großen Rahmenprogramm, mit Festivals in Bochum, Leverkusen und Mönchengladbach. Wir haben zusammen mit den Partnern aus dem Tourismus einen Guide erstellt, um auch inter- nationalen Gästen ein gutes Angebot zu machen. Die drei Städte stellen sich vor und werben für sich und auch für Nordrhein-Westfalen. Alle, die in einem Umfeld einer Fußballweltmeisterschaft dabei sind, sollen überzeugt sein, dass es sich lohnt, nach Nordrhein-Westfalen zu kommen, weil wir in Sport, in Kunst und in Kultur viel zu bieten haben. Ihr Thema ist, war und bleibt die Bildungspolitik. Kann die Frauenfußball-WM auch genutzt werden, um diese Sportart im Schulsport interessanter zu machen? Zunächst muss ich sagen, dass Frauenfußball vor allem Mädchenfußball ist. Mädchenfußball ist im Schulsport wirklich im Kommen. Natürlich nehmen wir die Weltmeisterschaft zum Anlass, die Schulen zu bitten, im Umfeld der Fußballweltmeisterschaft das Thema im Unterricht einzubringen und die Spiele zu besuchen. Das betrifft vor allem die Schulen im Umfeld der Veranstaltungsorte. Außerdem: Wir haben in Nordrhein-Westfalen über 318 000 junge Mädchen und Frauen, die in 3100 Vereinen Fußball spielen. Außerdem fördern wir die Sportart in den drei Leistungsstützpunkten Kamen-Kaiserau, Bochum und Leverkusen. Die Erfolge sind sichtbar, schließlich stehen sechs Spielerinnen aus NRW im Kader der deutschen Nationalmannschaft. NRW ist eine Keimzelle für guten Frauenfußball, und wir möchten Fußball noch stärker als Integrationsmotor nutzen. Dafür haben wir ein Projekt gestartet, das heißt „Mädchen mittendrin“. Junge Mädchen mit Migrationshintergrund und Zuwanderungsgeschichte sollen über den Fußball noch stärker in die Gesellschaft eingebunden werden. Wenn ich die Kader von Frauen- und Männernationalmannschaft vergleiche, sieht man, dass es im Bereich Integration bei den Frauen durchaus noch Potenziale gibt. Welche Bedeutung hat der Sport heute in der Gesellschaft? Ich bezeichne Sport gerne als Schule des Lebens. Man lernt vor allem im Mannschaftssport viele Dinge, die man im Leben gebrauchen kann. Das gemeinsame Gewinnen, das gemeinsame Verlieren, den Mannschaftsgeist, den Respekt vor anderen Menschen, das Einsetzen von Kräften und vor allen Dingen das Hinarbeiten auf ein Ziel. All diese Dinge bekommt man mit, wenn man mit dem Sport groß wird und Mitglied eines Teams ist. Deswegen ist die gesellschaftliche Bedeutung des Sports nicht zu unterschätzen. Für mich ist Sport ein Teil der Lebensbildung. Außerdem ist Sport in einzigartiger Weise geeignet, Gräben zuzuschütten, die aus welchen Gründen auch immer zwischen unterschiedlichen Nationen entstanden sind. Das gemeinsame Sportspiel ist die internationale Verständigung – da spielt Hautfarbe, Kultur, Religion keine Rolle. Erwarten Sie wie 2006 ein Sommermärchen? Das hängt natürlich vom Wetter ab. Ich glaube, diese Fußballweltmeisterschaft wird eine ganz eigene Ausstrahlung haben. Ein großes und fröhliches Sommerfest für alle – in den Stadien und im ganzen Land. Das wünsche ich uns! 7 8 h i sto r i s c h e o rt e Die Fußballroute s p i e lo rt bo c h u m Die Wahrzeichen Bochums: die Currywurst-Meile „Bermuda3Eck” in der Innenstadt, der Kulturtempel Jahrhunderthalle (Mitte) und das Deutsche Bergbau-Museum Nordrhein-Westfalen empfängt die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft zu elf Spielen in drei tollen Stadien und stimmt die Fans an historischen Stätten auf den Sommer ein Bochum – Currywurst und Grönemeyer Frauen zeigten ein geradezu bestrickendes Spiel.“ Auf der DFR kann die Stinnes-Kampfbahn heute besichtigt werden. W er Geschichte und Geschichten rund um den „Mythos Fußball“ an touristisch attraktiven Reisezielen und Kultstätten erleben will, ist in Nordrhein-Westfalen richtig aufgehoben. Die Deutsche Fußball Route NRW (DFR) macht die ganze Faszination des Fußballs bereits im Vorfeld und natürlich auch während der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2011 als Gesamterlebnis erfahrbar. Die Ferienstraße der Ballkultur führt zu den Kultstätten des Fußballs. Die Stadien in Bochum, Leverkusen und Mönchengladbach, die zu den WM-Spielorten gehören, sind per Radtour perfekt und stressfrei erreichbar. Dazu locken viele attraktive Ausflugstipps rund um Ball, Kultur und Shopping. Alles auf der Deutschen Fußball Route. In einer Zeit, in der „Damenfußball“ noch verpönt, verlacht und sogar vom DFB verboten war, wurde beispielsweise im Essener Mathias-Stinnes-Stadion Geschichte geschrieben. Am 23. September 1956 kam es hier vor 18 000 Zuschauern zum ersten „FußballLänderspiel der Damen zwischen Westdeutschland und Westholland“. Deutschland gewann 2 : 1, und die Wochenschau kommentierte begeistert: „Die Gleichberechtigung schreitet auch in Fußballstiefeln voran. Die deutschen Nicht weniger als 90 Ballerlebnisse auf 820 Kilometern ausgeschilderter Radstrecke sowie 15 lokale Städterouten voller Lust und Leidenschaft von Aachen nach Bielefeld erwarten Freunde des runden Leders auf der Fußball-Ferienstraße. Es ist eine Route, die für die ganze Familie in Etappen erlebt werden kann. Selbstverständlich gibt es auch rund um die WM-Spielorte Bochum, Leverkusen und Mönchengladbach eine Menge zu erzählen. Die Deutsche Fußball Route NRW führt zu den Kultstätten des Fußballs. Etwa ins Aachener „Café Madrid“, wo die halbe Alemannia-Mannschaft 2006 vor dem Fernseher ihres Stammlokals saß und ihren vorzeitigen Aufstieg in die Fußballbundesliga spontan feierte. Das Geißbockheim des 1. FC Köln im idyllischen Stadtwald steht natürlich auf der Besuchsliste, zumal sich auf der Terrasse regelmäßig Spieler, Trainer und auch Clubpräsident Wolfgang Overath sehen lassen. Mönchengladbach ist eine Station, schließlich lässt sich am neuen Borussia Park die Deutsche Eiche besichtigen, die von der Meistermannschaft um Günter Netzer 1970 bezahlt und angepflanzt wurde. Oder die Pizzeria „La Barca“ in Krefeld, wo der spätere Italienstar und heutige Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff seinen 18. Geburtstag feierte. Ein Ort der Trauer ist der Worringer Platz in Düsseldorf, auf dem Willy Pesch, Torwart der 33er-Meisterelf der Fortuna, bei einem tragischen Straßenbahnunfall ums Leben kam. In der rheinischen Nachbarstadt Duisburg erinnert man sich im Meidericher Clubhaus des MSV noch gern an das Telegramm vom DFB mit der Nachricht über die Teilnahme an der ersten Bundesligaspielzeit. Bochums Botschafter heißen Grönemeyer. Herbert, der Barde. Und sein Bruder, der nicht singen kann, aber auch bekannt ist. Dietrich heißt der, ist Medizinier mit Institut in Bochum und hält professorale Vorlesungen in Harvard und an der Georgetown University. Die Grönemeyers, Söhne eines Bergwerkdirektors, wurzeln in Bochum. Sie bekennen sich trotz Weltruhms zu der Stadt, die anders geworden ist als sie war, da die Brüder in der Blüte von Kohle und Stahl aufgewachsen sind. Damals zählte Bochum die meisten Zechen im Ruhrgebiet. Kohle und Stahl, das ist vorbei. Geblieben ist Opel. Geblieben ist die Herzlichkeit. Der Altmarkt in Oberhausen zählt dazu, wo Kneipenwirt Carl Fritz seine Gaststätte „Fritz am Altmarkt“ in Rotlicht tauchte, wenn RWO gewonnen hatte. Auch die „Friesenstuben“ in Essen, das Stammlokal von Helmut Rahn, wo der „Boss“ am Tresen immer wieder an sein drittes Tor von Bern erinnerte – wenn er gut drauf war. Klar, dass die Fußballroute auch am Schalker Markt haltmacht, wo vor dem Krieg sechs Deutsche Meisterschaften und drei weitere Finalteilnahmen gefeiert wurden. Einen Stopp auf der Fußballroute kann man gut an der Privatbrauerei Moritz Fiege einlegen, in der sich regelmäßig Fans und Spieler des VfL Bochum zum Saisonauftakt treffen. Oder am Stammsitz der Firma Steilmann in Bochum: Hier verdiente SG Wattenscheids Übervater, Mäzen und Clubpräsident Klaus Steilmann die Brötchen für die Mannschaftskasse. Nur wenige Kilometer entfernt liegt das Stadion Rote Erde in Dortmund, in dem Borussia 1963 – mit Hans Tilkowski im Tor und Wolfgang Paul als Libero – in einem wahren Spielrausch Benefica Lissabon mit ihrem Star Eusebio mit 5 : 0 vom Platz fegte. In Westfalen endet die NRW-Fußballroute. Entweder an der Alten Mühle in Münster, wo Spielerlegende Fiffi Gerritzen, der wegen Verletzung die WM 54 verpasste, später ein Künstleratelier betrieb. Oder im Stadion Russheide in Bielefeld. Dort hängte Nationalkeeper Uli Stein seine Torwarthandschuhe an den berühmten Nagel. Und die Currywurst. Herbert, die Stimme, besingt sie wie kein anderer: „Gehse inne Stadt, wat macht dich da satt? Ne Currywurst.“ Und wo isst er sie? Im „Bermuda3Eck“ natürlich, „die Echte von Dönninghaus“. Der Siegeszug dieser knusprig gebratenen krummen Dinger, die in einer geschärften roten Tomatentunke zum Verzehr gereicht werden, hat längst die Grenzen des Reviers gesprengt. Technologie, flankiert von einer kreativen Kulturszene Bochum in Zahlen • Einwohner: 367 117 • Fläche: 145,44 km² • Region: Ruhrgebiet • Stadion: FIFA Frauen-WM-Stadion Bochum • Kapazität: 23 000 überdachte Plätze • Spiele: 4 Vorrundenspiele Bochum ist derweil modern geworden. Die Ruhr-Universität trägt dazu bei, und die angeschlossenen wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen. So lässt der kanadische Blackberry-Hersteller RIM hier seit einigen Jahren speziell für den europäischen Markt Geräte entwickeln. Der digitale Umbruch der Gesellschaft schafft in der Reviermetropole neue, moderne Arbeitsplätze. In der Kulturszene wird der Wandel besonders sichtbar. So strahlt die Industrieruine Jahrhunderthalle als Zentrum des jährlichen Kulturfestivals Ruhrtriennale eine ganz besondere Atmosphäre aus. Das Schauspielhaus ist durch sein fantastisches Sprechtheater bundesweit bekannt geworden. Bleibt noch der Sport und der VfL – natürlich auch von Grönemeyer besungen. Dem schon gewohnten Wechsel zwischen Bundesliga und 2. Liga wurde in diesem Jahr (fast) ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Doch es klappte nicht ganz mit dem Aufstieg. In der Relegation scheiterten die kämpfenden Revierfußballer an der spielerischen Klasse des rheinischen Nachbarn aus Mönchengladbach. s p i e l p l a n WochentagDatum/Uhrzeit Montag b o c h u m Begegnung 27. Juni 2011, 15:00 UhrVorrunde Gruppe B: Japan – Neuseeland Donnerstag 30. Juni 2011, 18:00 UhrVorrunde Gruppe A: Kanada – Frankreich Sonntag 03. Juli 2011, 14:00 Uhr Vorrunde Gruppe D: Australien – Äquatorialguinea Mittwoch 06. Juli 2011, 20:45 UhrVorrunde Gruppe C: Nordkorea – Kolumbien 9 10 s p i e lo rt l ev e r kus e n s p i e lo rt m ö n c h e n g l a d bac h Vielfalt in Leverkusen: Der Bayer-Konzern prägt das Stadtbild, in dem schöne, ruhige Ecken wie Schloss Morsbroich und der Japanische Garten zum Verweilen einladen Tolles Museum – historische Gebäude: das Städtische Museum Abteiberg in Mönchengladbach, die Altstadt und die Kaiser-Friedrich-Halle Leverkusen – im Zeichen des Bayer-Kreuzes Nach Sonnenuntergang leuchtet Leverkusen schon von Ferne. Das Bayer-Kreuz – aufgestellt über dem Autobahnkreuz von A 1 und A 3, signalisiert als Wahrzeichen den anreisenden Autofahrern, dass man auf eine Stadt zusteuert, die von diesem einen Konzern lebt. Der nicht nur die Welt mit seinen Arzneimitteln und Chemieprodukten verändert hat, sondern mit seinen auf Hunderten Hektar ausgebreiteten Industrieanlagen das Bild einer kleinen rheinischen Stadt mit 160 000 Einwohnern prägt. Der sich an seinem Standort engagiert, in das Stadtbild wie in das Gemeinwohl investiert. Und der mit vielen Millionen Euro ein Image als Sportstadt aufgebaut hat. Mönchengladbach – rund um den Abteiberg Dass Mönchengladbach auf eine 1000-jährige Geschichte zurückblickt, spürt der Besucher nicht auf den ersten Blick. Eingebettet in die attraktive grüne Landschaft zwischen Maas und Niederrhein, begegnet ihm ein pulsierendes Stadtleben. Die Nähe zu den niederländischen Grenzstädten Venlo und Roermond sorgt für einen regen kleinen Grenzverkehr, der sich besonders an den Wochenenden bemerkbar macht. Kulturell ist Mönchengladbach ein kleines Schatzkästlein: So zeigt das Städtischen Museum Abteiberg moderne und zeitgenössische Kunst, das Münster bietet Liebhabern sakraler Kunst viel Sehenswertes, und bei Besuchen von Schloss Rheydt und Schloss Wickrath erhält man einen kleinen Einblick in die Welt der früheren rheinischen Adelshäuser. Sport in Leverkusen, darüber ist in diesem Heft noch einiges zu lesen. Wir wollen nicht weiter erwähnen, wie oft das Fußballteam vom TSV Bayer 04 Vizemeister geworden ist. Immerhin haben die Kicker 1988 den UEFA-Cup gewonnen, man galt und gilt als Ausbildungsverein für junge deutsche und südamerikanische Talente, die sich in der Werkself ihre Klasse für die europäische Spitze antrainierten. Aber Sport ist nicht nur Fußball, ist nicht nur Rudi Völler und Ulf Kirsten. Bayer-Sport ist auch Leichtathletik, Behinderten- und Breitensport, ist Nachwuchsförderung. Die größten Erfolge erzielten die Münchner Olympiasiegerinnen Heide Ecker-Rosendahl und Ulrike Nasse-Meyfahrt, die erst kürzlich in die „Hall of Fame“ des deutschen Sports aufgenommen wurden. Oder Heike Henkel und Britta Heidemann mit ihren olympischen Goldmedaillen. Leverkusen in Zahlen Exotik und Schönheit im Japanischen Garten • Einwohner: 160 593 • Fläche: 78,85 km² • Region: Rheinland • Stadion: FIFA WM-Stadion Leverkusen • Kapazität: 30 210 Plätze • Spiele: 3 Vorrundenspiele, 1 Viertelfinale Schauen wir uns noch kurz in der Stadt um: Auch die Kultur spielt in der ersten Reihe. Das Jazzfestival und die Ausstellungen im Museum von Schloss Morsbroich werden national beachtet. Und zur Entspannung geht man in Bayer-Town mit 30 000 anderen am Wochenende nicht nur in die unter einem schwungvollen Dach verborgene supermoderne BayArena, sondern bisweilen auch in den Japanischen Garten. Exotik und Schönheit, eine Ruheoase mitten in der Stadt. s p i e l p l a n WochentagDatum/Uhrzeit l e v e r k u s e n Begegnung Große Spieler und weltbekannte Trainer Mönchengladbach in Zahlen • Einwohner: 258 251 • Fläche: 170,44 km² • Region: südlicher Niederrhein • Stadion: Stadion im BORUSSIA-PARK Mönchengladbach • Kapazität: 46 249 Plätze • Spiele: 2 Vorrundenspiele (eines mit deutscher Beteiligung), 1 Halbfinale Am Wochenende geht man zur Trabrennbahn, auf den Golfplatz, zum Hockey und/oder – zur Borussia. Mönchengladbachs Werbeträger Nummer 1, seit sich die Textilindustrie aus der Region weitgehend verabschiedet hat, die Fachleute für Textil und Design allerdings noch immer an der Fachhochschule ausgebildet werden. Also Borussia: fünffacher deutscher Meister, UEFA-Cup-Sieger. Große Spieler betraten auf dem Bökelberg als „Fohlen“ den Rasen: Netzer, Heynckes, Vogts oder Matthäus; weltbekannte Trainer wie Hennes Weisweiler oder Udo Lattek standen an der Außenlinie und ließen einen fantastischen Angriffsfußball spielen. Das liegt Jahrzehnte zurück. Seit dem Umzug in den neuen Borussia-Park läuft es nicht mehr so gut. Immerhin schaffte das Team in diesem Jahr per Relegation den Klassenerhalt in der Bundesliga. Die Fan-Begeisterung ist jedoch nach wie vor riesengroß. s p i e l p l a n m ö n c h e n g l a d b a c h WochentagDatum/Uhrzeit Begegnung Dienstag 28. Juni 2011, 15:00 UhrVorrunde Gruppe C: Kolumbien – Schweden Mittwoch 29. Juni 2011, 18:15 UhrVorrunde Gruppe D: Brasilien – Australien Freitag 01. Juli 2011, 15:00 UhrVorrunde Gruppe B: Japan – Mexiko Dienstag 05. Juli 2011, 20:45 UhrVorrunde Gruppe A: Frankreich – Deutschland Mittwoch 06. Juli 2011, 18:00 UhrVorrunde Gruppe D: Australien – Norwegen Mittwoch 13. Juli 2011, 18:00 Uhr Samstag 09. Juli 2011, 18:00 UhrViertelfinale Erster B – Zweiter A Halbfinale Sieger VF 2 – Sieger VF 4 11 p o rt r ä t h e i d e ec k e r - ros e n da h l 12 Die Königin Heide Ecker-Rosendahl ist ihrem Verein TSV Bayer 04 Leverkusen treu geblieben – und fühlt sich im Münchner Olympiastadion zu Hause D as Jahr 1972. Willy Brandt wird erneut Bundeskanzler. Und Heide Rosendahl Bundeslieblingssportlerin. Die Welt blickt nach Bonn, mehr noch nach München. Olympische Spiele. Sechs Tage dauern sie schon, als am 31. August unter dem futuristisch geschwungenen Glasdach des Stadions eine junge atletische Frau ihre Spikes in den roten Kunststoff der Weitsprunganlage bohrt und mit kräftigen, weit ausholenden Schritten gen Absprungbalken des Sandkastens vor der Haupttribüne stampft. Sie fliegt, der Sand spritzt auf, als sich der Körper – Beine voraus, der Kopf tief zwischen den Schultern – mit Wucht in das feine, feuchte, gelbe Gekörn bohrt. Das weiße Trikot mit dem roten Brustring verschwindet bei der Landung im aufspritzenden Sand. 6,78 Meter! Das Stadion bebt, wie ein einziger Schrei erlöst sich der Jubel aus 80 000 Kehlen in den sommerlich blau-weißen Münchner Himmel. Der erste Versuch hat die Konkurrenz geschockt. Stunden später ist es Gewissheit. Keine andere Athletin hat die 25-jährige Deutsche, Dozentin der Sporthochschule Köln, übertrumpfen können. Olympiasieg. Die erste Goldmedaille für Deutschland. Am ersten Tag der Leichtathletik, der Königsdisziplin. Unvergessen. 39 Jahre später. Leverkusen, ein schlichter dunkler Raum, ein runder Tisch mit leerer hellgrauer Kunststoffplatte, zwei Stühle. Da sitzt diese Frau nun und sagt: „Ich bin seit dem vergangenen Jahr Rentnerin.“ Kühl, ruhig, distanziert. Rentnerin hört sich an wie – „Ich mach nichts mehr“. Aber das kann ja nicht stimmen, denn die große Dame des deutschen Sports hat in ihrem Terminkalender gerade einmal eine Stunde Zeit gefunden für ein Gespräch. „Ich bin in diesem Mai total ausgebucht.“ Jetzt diese Begegnung, das erste Mal. Zwischenzeitlich Treffen mit vielen. Die Kanzler dieser Republik, Brandt, Kohl, Schmidt, Schröder, Merkel waren dabei, die Sportasse Becker, Baumann, Beckenbauer. Aber sie nicht. Und nun – nach vier Jahrzehnten – Heide Ecker-Rosendahl. In dieser abgetrennten Ecke eines Besprechungsraums der Leichtathletikhalle des TSV Bayer 04 Leverkusen. Es hätte auch schöner sein dürfen. „Meine Medaillen sind immer auf Reisen, zuletzt in der Sparkasse von Bielefeld“ Was macht also eine Frau, die mit 25 Jahren zweimal Gold (außer im Weitsprung noch als Schlussläuferin der 4 x 100-Meter-Staffel) holte und eine Silberne (Fünfkampf)? Und damit im Olymp des deutschen Sports ihren Platz zementierte! Die denkt zunächst nach. Ob es „wirklich schon 39 Jahre“ zurückliegt? Bilder rasen durch den Kopf. Der grüne Trainingsanzug damals, die beiden Arme, die sie hochreckte, als sie auf das oberste Podest kletterte, wie sich ihre Hände über dem Kopf anfassten. Das Lachen, die Brille, groß und nickelgerahmt. So trug man das 1972. John Lennon und Fritz Teufel setzten den Modetrend. Die Brille ist schmaler geworden, randlos, die Trainingsjacke kommt immer noch aus Herzogenaurach, die Farbe hat gewechselt, ist jetzt lila. Die Haare sind kürzer geschnitten, betongrau. „Ich habe vier Enkelkinder.“ Schon wieder was Privates, das vielleicht bedeuten soll, ich bin nicht mehr wichtig. Also, noch ein Versuch: Die Medaillen, wo hängen die, haben die 13 p o rt r ä t h e i d e ec k e r - ros e n da h l 14 „Eine Stimmung wie in München habe ich bei Olympischen Spielen nie wieder erlebt“ einen besonderen Platz? „Nein, die sind ordentlich aufbewahrt, aber die sind auch oft auf Ausstellungsreisen, zuletzt in der Sparkasse in Bielefeld.“ Rosendahl mit 26 Jahren ihre Aktivenzeit. „Ich musste an meinen Beruf denken, wir haben mit dem Sport ja nichts verdient, das war anders als heute.“ Okölogisch und ökonomisch leben Trotz des Abstechers an die amerikanische Westküste blieb der Lebensmittelpunkt die rheinische Industriestadt unter dem Bayer-Kreuz. Sohn Danny wurde hier geboren. Auch ihn zog es – natürlich – in den Verein, in dem seine Eltern ihre Erfolge feierten. Danny Ecker wurde Stabhochspringer, brachte manchen Sieg und eine 6-Meter-Überquerung mit nach Hause, doch die Muskeln und Sehnen warfen ihn immer wieder zurück, beklagt die Mutter. Nun will er noch einmal angreifen, mit 33 Jahren. „Wenn er London im nächsten Jahr schaffen würde, das wäre schon toll“, sagt Heide Ecker-Rosendahl, „die Konkurrenz ist groß.“ Sie selbst hat nach ihren Münchner Spielen fast alle Olympischen Spiele in der Welt besucht, und begleitet ihren Sohn oft zu Wettkämpfen. Der 300 Quadratmeter große Winkelbungalow im Leverkusener Stadtteil Pattscheid ist offensichtlich kein Museum. Das passt nicht zur Lebenseinstellung der Pensionärin, die ein bewusstes Leben mit ihrer Umwelt in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellt. Als Unternehmerin hat sie in den vergangenen Jahren Sportstudios betrieben – und eine Ernährungsberatung. 2008 legte sie sich ein Auto mit Hybridantrieb zu, ein Jahr später wechselte die Vorzeigedame des deutschen Sports daheim die Ölheizung aus. Wo früher 5000 Liter Heizöl im Tank auf Verbrennung warteten, lagern nun sieben Tonnen Holzpellets, die ökologisch und ökonomisch ihr Heim mit Wärme versorgen. Bewusst leben, gehört dazu auch noch Sport, vielleicht Joggen? „Um Himmels willen, alles, was länger als eine 400-Meter-Runde ist, wird zu Qual.“ Damals wie heute. „Wir spielen mit Leidenschaft Golf und fahren Ski, dafür haben wir jetzt auch Zeit.“ Heide Rosendahl spricht von ihrem Mann, John Ecker, dem früheren amerikanischen Basketballstar bei den Leverkusenern, den sie nach ihrem Olympiasieg kennengelernt hatte und dessen Namen sie nach der Heirat ihrem eigenen voranstellte. Zusammenhalt, Familienleben ist in diesem Sportlerhaus offenbar sehr wichtig. Zusammen gingen die beiden Topathleten damals für eineinhalb Jahre nach Los Angeles, „mein Mann wollte seine Ausbildung beenden“. Das war wichtiger als die Karriere unter dem Basketballkorb oder auf der Laufbahn. Ein Jahr nach ihren Olympiasiegen beendete Heide Olympia begleitet ihr Leben Wo es am schönsten war? „München, diese Stimmung habe ich nie wieder erlebt. Vielleicht war Sydney so ähnlich, aber nie so beeindruckend und euphorisch wie bei uns.“ Wie sie das so sagt, hat man nicht den Eindruck, dass Heide Ecker-Rosendahl wegen des eigenen Ruhms diese Auswahl trifft. Es wirkt bei ihr – wie alles, was sie sagt – überlegt. „Die Einmaligkeit eines zusammenhängenden Olympiaparks hat es nirgendwo mehr gegeben.“ Und wenn sie nach München kommt, in dieses Stadion, das nun verwaist am Olympiaberg liegt und statt Leichtathleten Bon Jovi oder Madonna die Bühne bietet, wie ist dann ihr Gefühl? „Ich fühle mich da unglaublich zu Hause. So wie Boris Becker in Wimbledon. Ich könnte Wohnzimmer dazu sagen, aber das hat er ja schon getan.“ Also überzieht diese so kühl wirkende Frau doch Gänsehaut, wenn sie oben am Rand dieser einmaligen Betonschüssel steht. Auch nach 39 Jahren sind die Gefühle von 1972 nicht abgestreift. Wäre auch wenig glaubhaft. Wie überhaupt Olympia ihr Leben begleitet. Nicht nur der Besuch der Spiele – auch für die leider nicht erfolgreiche Bewerbung Düsseldorfs für 2012 war sie einst als Botschafterin unterwegs. Im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) arbeitet sie in Gremien mit und hat als stellvertretende Vorsitzende der NRW-Sportstiftung auf die Beine geholfen. Heide Ecker-Rosendahl hat mitgeholfen, dass der Spitzensport an Rhein und Ruhr topausgebildete Trainer und Betreuer erhält. Nun nimmt sich die Stiftung die Individualförderung der Sportler vor. Auch wenn das Geld nicht mehr ganz so fließt wie zu Beginn – die Erfolge sind sichtbar. Das Jahr 2011. Heide Ecker-Rosendahl baut ein Haus, eine Ferienanlage in Goch am Kesseler See. Das Alfred-J.-Kwack-Haus. Kwack, ja, die Ente aus Herman van Veens Balladen, ist Namensgeber dieser Erholungsanlage für Kinder und Jugendliche, die seelisch oder körperlich benachteiligt sind, durch schwerwiegende Krankheitsverläufe kein fröhliches, unbeschwertes Leben hatten. Diesen jungen Menschen, die bisher nicht, wie ihre Gleichaltrigen, mit ihren Familien unbeschwerte Erholung oder Ferien genießen durften, will sie helfen. Auch in den nächsten Jahren, als 2. Vorsitzende der Hermanvan-Veen-Stiftung. biografie Heide Ecker-Rosendahl, 64, Leichtathletin Erfolge: 1972 Olympiasiegerin im Weitsprung, 4 x 100-Meter-Staffel, Silbermedaille im Fünfkampf, Weltrekordlerin im Weitsprung und Fünfkampf, Sportlerin des Jahres Verein: TSV Bayer 04 Leverkusen Persönliches: Mitglied im Vorstand der Sportstiftung NRW, Mitglied in der DOSB-Kommission zur Aufarbeitung Die Königin der Laufbahn hat die Dynamik von vor fast 40 Jahren nicht verloren. Sie wirkt noch immer, nur stiller. Auch dafür könnte es eigentlich Gold geben. der Dopingvergehen im Trainerstab der früheren DDR, 2. Vorsitzende der Hermanvan-Veen-Stiftung Aufgenommen in die „Hall of Fame“ des deutschen Sports, ausgezeichnet mit Der Sprung in die Sportgeschichte: der Goldenen Sport- Heide Rosendahl wird am 31. August 1972 pyramide Olympiasiegerin im Weitsprung 15 16 p o r t r ä t s i lv i a n e i d Die Welttrainerin Silvia Neid wirkt ziemlich gelassen und entspannt vor der Operation Titelverteidigung der Frauenfußball-Weltmeistermannschaft D biografie Silvia Neid, 47, Fußballbundestrainerin Erfolge: siebenfache Deutsche Meisterin, sechsfache Pokalsiegerin, dreimal Europameisterin, 48 Tore in 111 Spielen für die deutsche Nationalmannschaft, ab 1996 Assistentin von Bundestrainerin Tina Theune-Meyer, seit 2005 Cheftrainerin, Weltmeisterin 2007, Bronze bei den Olympischen Spielen 2008, Europameisterin 2009 Verein: TSV Siegen Persönliches: Trägerin des Bundesverdienst- as ist sie also. Auf dem Platz war sie eine der erfolgreichsten deutschen Fußballerinnen, am Rand des Spielfelds brachte sie es zur Rekordbundestrainerin. Zur Weltmeisterin. Silvia Neid wirkt erstaunlich gelassen. Vielleicht, weil sie so viele Titel einsammelte, die ihr keiner mehr nehmen kann: Die Fifa kürte sie zur ersten „Welttrainerin des Jahres“, Kanzlerin Angela Merkel erkor sie zum „Glücksfall“ für ihre Sportart, und DFB-Chef Theo Zwanziger adelte sie beim Empfang der deutschen Mannschaft nach dem Europameistertitel 2009 in Frankfurt laut Bild-Zeitung gar zur „Lichtgestalt“. Mit Fototerminen geht die 47-Jährige in diesen Tagen freundlich, professionell um. Man könnte meinen, dass Silvia Neid die Erwartungen kurz vor Beginn der Frauenfußball-Weltmeisterschaft in Deutschland langsam nervös machten: den Titel im eigenen Land ein drittes Mal zu verteidigen und am Rande – bitteschön – noch für eine Wiederholung des Sommermärchens von 2006 zu sorgen. Aber Neid lässt sich nicht beirren. Das hat sie noch nie getan. Nicht, als sie als Kind anfing, Fußball zu spielen, Anfang der 70er-Jahre noch ziemlich exotisch für ein Mädchen. Und auch nicht, als sie, blond und zierlich, später dazu herangezogen wurde, das Image ihrer Sportart im wahrsten Sinne des Wortes aufzuhübschen. Fest steht: Ohne Silvia Neid wäre der Frauenfußball in Deutschland heute nicht das, was er ist – ein professioneller Leistungssport, der immer mehr Zuschauer in die Stadien und Mädchen in die Vereine zieht. Neid hat diese Entwicklung nicht nur miterlebt – sie hat sie mitgestaltet. kreuzes am Bande, Silbernes Lorbeerblatt, FIFA-Welttrainerin 2010 Wenn sie als Trainerin auf dem Platz steht und mit verschränkten Armen die Spielerinnen beim Aufwärmen beobachtet, ist klar: Sie ist hier die Chefin. „Die Ansprüche, die sie an sich hatte, hat sie heute an die Spielerinnen. Das fängt schon beim Aufwärmen an – wenn da ein Pass nicht sitzt, ist sie sofort da, und dann wird sie auch laut“, sagt Tina TheuneMeyer, deren Assistentin Neid neun Jahre war. Und findet: „Das ist super, anders kann man sich nämlich nicht an der Spitze behaupten.“ Sportjournalisten loben Neids immenses Fachwissen – und vergleichen sie schon mal mit Felix Magath. Sie selbst gibt zu, dass auch bei ihr die Disziplin im Vordergrund steht. Spielerinnen, die vor 1985 geboren wurden, dürfen sie duzen. Alle anderen nicht. Neid sieht sich nicht als strenge Trainerin: „Das möchte ich zumindest nicht sein.“ Sie spreche Fehler eben „sehr direkt“ an. Aber immer konstruktiv. „Das ist das, was eine Spielerin von einer Trainerin erwarten darf und muss. So ging es mir auch als Spielerin, ich habe das Feedback von meinem Trainer gebraucht, gar eingefordert, er solle mir sagen, was ich wie besser machen kann. Das ist gerade vor dem Hintergrund, dass sich der Frauenfußball sehr schnell entwickelt, ein ziemlich wichtiger Aspekt.“ Sie weiß, wovon sie spricht. 1964, als Silvia Neid in Walldürn im Odenwald zur Welt kam, war Fußball für Frauen verboten. Neid kickte dennoch, seit sie laufen konnte. 25 Jahre später erlebten 23 000 Zuschauer im Stadion Bremer Brücke in Osnabrück die erste Europameisterschaft deutscher Fußballerinnen. Neid half mit, die Norwegerinnen im Finale zu besiegen. Und sie kann sich heute noch an die Prämie erinnern: ein Kaffeeservice für jede Nationalspielerin. Wenn die Frauennationalmannschaft die WM 2011 gewinnen sollte, bekämen die Spielerinnen 60.000 Euro. Eröffnet wird das Turnier im Berliner Olympiastadion, das mit über 70 000 Tickets längst ausverkauft ist. 17 18 s p o r t l a n d 01 19 Sorgt immer für gute Stimmung in ihrem Team: Bundestrainerin Silvia Neid coacht die Weltmeisterinnen Das letzte Spitzenspiel der Saison in Duisburg Homberg: Champions-League-Halbfinale zwischen dem FCR Duisburg (rotes Trikot) und Turbine Potsdam Der Frauenfußball-Boom soll mit der WM noch verstärkt werden. Silvia Neid sagt: „Wir wollen mit diesem Turnier auch einen Eindruck hinterlassen, der den Entscheidern in der Wirtschaft signalisiert, dass ihr Geld gut in den Frauenfußball investiert ist.“ Das Ziel: mehr Geld in den Vereinskassen, bessere Verdienstmöglichkeiten für die Spielerinnen, mehr Profis im Frauenfußball. Die Trainerin weiß: Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Sie meistert deshalb selbst merkwürdige Marketingtermine im Vorfeld der WM mit souveräner Freundlichkeit. Die Präsentation der Silvia-Neid-Barbie etwa. „Die Ähnlichkeit ist deutlich erkennbar“, scherzte sie da, „nur befürchte ich, dass meine Doppelgängerin etwas beweglicher ist als ich.“ Bei aller Koketterie: Silvia Neid als Barbie – absurd. Sie lässt sich nicht verbiegen. Wenn jemand ihren Sport nicht ernst nimmt oder plumpe Vergleiche mit dem Männerfußball zieht, wird sie eisig. Weich ist dann nur noch der ganz leicht odenwäldische Klang ihrer Stimme. Legendär ist ihre Antwort auf die Reporterfrage, ob sie der weibliche Lothar Matthäus sei: Dazu, so Neid trocken, fehlten ihr „die entscheidenden fünf Gramm“. Ihr gelingt es, den Boulevard zu bedienen, aber ihr Privatleben auch privat zu halten. Sie lebt in Siegen, fühlt sich dort zu Hause. Samstags – wenn die Männer in der Bundesliga kicken – ist ihr fußballfreier Tag. Sie spielt leidenschaftlich gern Golf. Alles andere geht keinen etwas an. Wenn ihre Spielerinnen den Umgang mit Privatem lockerer sehen, hat sie nichts dagegen. Allüren duldet sie nicht. Fußball ist schließlich Mannschaftssport. „Die besten Individualisten“, sagt Neid, „sind für mich die Typen, die wissen, wie sie sich mit ihrer persönlichen Klasse am wirkungsvollsten in die Mannschaft einbringen können und sich dabei nicht selbst zwingend in den Vordergrund drängen wollen.“ Sie verlangt absoluten Teamgeist. Aber sie ist auch Teil des Teams. Andere Trainer ziehen sich auf den Posten des stillen Beobachters zurück, sie ist mittendrin. „Soll ich euch schon mal sagen, was wir heute machen?“, fragt sie in die Runde, während sich die Spielerinnen stretchen. Sie will nicht befehlen, sie will überzeugen. „Sie legt strenge Maßstäbe an, die muss man aber auch haben innerhalb eines Teams. Aber gleichzeitig ist sie herzlich, humorvoll, offen, mutig und spontan“, sagt Tina Theune-Meyer. Nach jedem Titelgewinn müsse Neid zum Beispiel für die Mannschaft singen – womit sie keinerlei Probleme habe. Im Gegenteil: „Sie hat durchaus Talent als Entertainer.“ Ihre Vorgängerin hofft, dass es am 17. Juli nach dem Finale in Frankfurt wieder so sein wird. Frauenfußball An Duisburg führt im Fußball in diesem Jahr kein Weg vorbei. Während die Männer des MSV als Zweitligist immerhin das deutsche Pokalfinale in Berlin erstürmen, etablierten sich die Frauen des FCR schon vor Jahren in Europas Spitze. Champions League, bis ins Halbfinale schafft es das Team aus Duisburgs Westen. Der Club von der Mündelheimer Straße wird zudem Dritter in der Bundesliga und stellt sieben aktuelle Nationalspielerinnen. Der FCR Duisburg prägt zusammen mit Turbine Potsdam und dem FFC Frankfurt seit mehr als zehn Jahren die nationale Spitze im Frauenfußball. Die Bundesliga-Heimspiele trägt der kleine Verein (450 Mitglieder) aus Duisburgs Westen im PCC-Stadion des VfB Homberg aus, doch für die ganz großen Spiele lohnt schon mal der Umzug in die MSV-Arena. Wie 2009, beim größten Erfolg der Vereinsgeschichte, als das Team vor 28 000 Zuschauern den UEFA-Pokal gewann. Solche Erfolge lösen nicht nur Begeisterung bei den Fans aus, sondern sorgen auch für einen Boom auf dem grünen Rasen. Vier Vereine – ein Drittel von den zwölf deutschen Topteams – spielten zuletzt in der Bundesliga: neben den Duisburgerinnen noch Bayer Leverkusen, SG EssenSchönebeck und Herforder SV Borussia Friedenstal. Insgesamt kicken in NordrheinWestfalen 217 429 Frauen und 101 588 Mädchen in 1077 Frauen- und 2053 Mädchenvereinen. Bundesweit meldeten sich laut Statistik des Deutschen Fußballbundes (DFB) im vergangenen Jahr 27 477 weibliche Mitglieder neu in Vereinen an, was einen Zuwachs auf jetzt 1 050 301 Frauen und Mädchen im Frauenfußball bedeutet. Was Berlin für den Männerfußball ist, das ist Köln für den Frauenfußball geworden – Ort des DFB-Pokalendspiels. Eine gute Entscheidung, denn bei der ersten Austragung wurde 2010 mit mehr als 26 000 Zuschauern gleich ein europäischer Rekord für nationalen Frauenvereinsfußball aufgestellt. Zudem blieb der Pokal in NRW und steht nun als kleine Kopie im Trophäenschrank des FCR Duisburg. Einen weiteren Zuschauerrekord stellte die U20-Weltmeisterschaft in Deutschland auf: Insgesamt sahen im vergangenen Jahr 397 385 Besucher die FIFA-Spiele; im mit 24 633 Fans ausverkauften Finale in Bielefeld gewann das deutsche Nachwuchsteam den Weltpokal. 20 p o rt r ä t st e f f i n e r i us Die Engagierte Steffi Nerius will ihren Weltmeistertitel und ihre Bekanntheit nutzen, um Speerwerfen in Deutschland populärer zu machen D er Speerwurf ist eine der technisch anspruchsvollsten Disziplinen. Nur der Speer, so heißt es, gebe dem Sportler eine derart ehrliche Rückkopplung über die Qualität seiner Bewegung. Der Speer ist wie eine Diva, die stets 100-prozentige Aufmerksamkeit und Demut fordert. biografie Steffi Nerius, 39, Speerwerferin Erfolge: Weltmeisterin in Berlin 2009, Europameisterin in Göteborg 2006, OlympiaSilber in Athen 2004, sechsmalige Deutsche Meisterin Verein: TSV Bayer 04 Leverkusen Unkompliziert, bodenständig, geradeheraus. So soll sie sein: die Grande Dame des deutschen Speerwurfs. Stets wird sie beschrieben als ehrliche Haut, als Kumpeltyp, als eine, der selbst die Konkurrenz gewogen war. Als Steffi Nerius bei der WM 2009 in Berlin ihre Karriere mit Gold krönte, applaudierte die Zweitplatzierte, die Tschechin Barbara Spotakova, bevor sie die Siegerin herzlich und ohne den geringsten Anflug von Neid in die Arme nahm. Wir treffen die Frau, der jeder alles zu gönnen scheint, in der „Wacht am Rhein“ in Leverkusen. Erst seit zwei Stunden zurück vom Trainingslager auf Zypern, ordert Steffi Nerius zum „Wachwerden“ erstmal einen Kaffee. gewohnt: Als Gründerin und Schirmherrin des Fördervereins „aclive“ klappert sie potenzielle Sponsoren ab für die Behindertensport-Abteilung. Mit dem Geld soll der Nachwuchs gefördert und eine Basis bereitet werden, so wie sie seit Jahren im Nichtbehindertensport üblich ist. Trainingsgruppen schon für Acht- bis Zehnjährige, Fahrdienste, um die Eltern zu entlasten: Bei „aclive“ – der Name steht für aktiv leben oder auch live dabei sein – geht es weniger um Rekorde, sondern mehr um den raschen Aufbau von Selbstvertrauen und die Gewissheit: Ich komme im Leben zurecht. Und selbst? Wie lebt es sich im Jahr zwei nach dem Rücktritt? Mehr Zeit für’s Privatleben gibt es in diesem Frühjahr jedenfalls nicht. Steffi Nerius steckt mittendrin in den Vorbereitungen zum Cup, der ihren Namen trägt. Mit ihrem ersten Speerwurf-Event will die große Blonde vor allem Kinder für ihre Disziplin begeistern. Vorbild sind die speerwurfverrückten Finnen, die den Nachwuchs jedes Jahr mit einem viertägigen Wurf-Karneval locken. Nachwuchstrainerin der BehindertensportAbteilung des TSV Bayer Leverkusen Schirmherrin des BehindertensportFördervereins „aclive“ NRW-Trainerin des Jahres 2008 Goldenes Band 2007 (Auszeichnung des Verbandes Berliner Sportjournalisten) BMI-Preis für Toleranz und Fair Play 2006 www. steffi-nerius.de Nerius ist als Diplom-Sportlehrerin seit zwei Jahren Vollzeittrainerin beim TSV Bayer 04. Mit dem Triumph in Berlin hat die damals 37-Jährige ihre aktive Laufbahn beendet und kümmert sich nun ganz um den Erfolg behinderter Leistungssportler. Muss man mit gehandicapten Sportlern anders trainieren? Irgendwie behutsamer? „Ach was, die wollen genauso an ihre Leistungsgrenzen geführt und gefordert werden“, sagt Nerius. Trainer wiederum hätten den Ehrgeiz, ihre Schützlinge siegen zu sehen – egal ob diese zwei gesunde Beine haben oder nur eines. Schon als Studentin der Sporthochschule Köln hat Steffi Nerius die Schwerpunkte Rehabilitation und Behindertensport gewählt. Das Jobangebot vom TSV Bayer kam zum richtigen Zeitpunkt. Das war alles. Nun aber hängt sich Steffi Nerius rein, gibt Gas, wie Nerius ist zu viel Hallodri eigentlich zuwider. Dass dank der Albernheiten von Stefan Raab die Wok-WM reichweitenstärker ist als die tatsächliche Bob-WM, hat sie früher richtig geärgert. Mittlerweile aber bewundert sie Raab: „Was der anpackt, mögen die Leute ganz einfach.“ Mit ihrer Veranstaltung will Nerius nun beides: anspruchsvollen Sport zeigen und rein Unterhaltsames bieten. So ist neben dem offiziellen Qualifikationswettkampf ein Speerwerfen von Promis geplant sowie ein Kids-Parcours, der Lust macht aufs Werfen. Gegen die Müdigkeit hat auch ein zweiter Kaffee nicht wirklich geholfen. Steffi Nerius will nach Hause. Dort steht übrigens jener bunte Speer, der durch das Berliner Stadion 67,30 Meter weit flog, an der Wand hinter der Hausbar im Esszimmer. Ein guter Platz für eine Diva: Aufmerksamkeit ist garantiert. 21 22 porträt juliane schenk Die Gegensätzliche Juliane Schenk tankt Gelassenheit in der Ruhe der Krefelder Pfarrkirche St. Cyriakus – und triumphiert dann auf den Badmintonplätzen der Welt W „Ich habe den Schläger in die Wiege gelegt bekommen“ enn an Feiertagen Stille einkehrt unter den Gläubigen in der Pfarrkirche St. Cyriakus im Krefelder Stadtteil Hüls, das diffuse Licht der hohen Buntglasfenster und die Kerzen auf dem schweren Altartisch die weißen Gewölbe in feierliches Licht tauchen, dann kommt auch Juliane Schenk zur Ruhe. Das hier ist ihre Kraftquelle. Der Glaube, ihre Familie, ihre Freunde, die um sie auf der Holzbank sitzen. Im Alltag der deutschen Spitzenspielerin im Badminton zählen vor allem Tempo und Dynamik. Und doch liefert erst die stille Stärke die Grundlage für all das – findet Juliane Schenk. Sie hat in den Gegensätzen ihren Platz gefunden. Wie weit die Pole von Juliane Schenks Welt auseinanderliegen, versteht, wer sie spielen sieht. Ihr Vorteil sind ihre Kraft und ihre Schnelligkeit – die 28-Jährige ist eine der wenigen europäischen Spielerinnen, die mit den temporeich aufspielenden Asiaten mithalten kann. Ein Vormittag im Trainingsstützpunkt des Deutschen Badminton-Verbandes in Mülheim an der Ruhr. Auch in der Halle herrscht konzentrierte Ruhe. Zu hören sind nur das gedämpfte Ploppen und Zischen der Federbälle und Schläger, das quietschende Reiben der Schuhsohlen auf dem Hallenboden und gelegentlich der leise Aufschrei einer Spielerin, wenn ein Ball nicht so fliegt wie geplant. Juliane Schenks Körper ist gespannt, ihre Mimik wirkt angespannt. Und doch ist sie es, die oft laut lacht und mit Trainingspartnerin Karin Schnaase scherzt. Blitzschnell ist sie nicht nur in den Ballwechseln, sondern auch im Umschalten zwischen höchster Konzentration und Entspannung. Im Gespräch ist sie konzentriert, sie spricht schnell und eindringlich, die hellblauen Augen fixieren das Gegenüber. Immer wieder aber blitzt ein Lächeln auf – dann dokumentiert ihr ganzes Gesicht diese pure Freundlichkeit. Voller Einsatz, auch in der Entspannung. Aber da kann die ehrgeizige Athletin noch zulegen. Ihre Leidenschaft fürs Badminton entdeckte Juliane Schenk früh. „Ich hab den Schläger in die Wiege gelegt bekommen“, sagt sie. Beide Eltern sind begeisterte Badmintonspieler, folglich verbringen Juliane Schenk und ihr Bruder viele Wochenenden in Sporthallen. Während sie auf ihre Eltern wartet, fordert sie die nächstbesten matchfreien Spieler heraus – genau wie ihren älteren Bruder. Später trainiert sie bei den Großen mit. Herausforderungen waren nie etwas, was Juliane Schenk abgeschreckt hätte. Im Gegenteil. Als sie 16 ist, spielt Schenk ihre ersten China Open, eine Art Grand-Slam-Turnier des Badminton. Die Krefelderin trifft das erste Mal auf eine Spitzenspielerin der Badminton-Weltmacht China – und kommt gar nicht dazu, auch nur über die Möglichkeit eines Sieges nachzudenken. Das Tempo der Gegnerin ist für die Deutsche einfach nicht zu fassen. „Ich bin untergegangen“, bilanziert Juliane Schenk trocken. Ihr Fazit, damals schon: „Da will ich auch mal hin.“ Ihr Vorbild: die Dänin Camilla Martin, damals einzige Europäerin, die mit den Asiatinnen mithalten und sie manchmal sogar schlagen kann. Und Juliane Schenk trainiert und spielt. Sie wird Deutsche Meisterin und Europameisterin, spielt bei internationalen Turnieren und Weltmeisterschaften und reist 2004 zu ihren ersten Olympischen Spielen. Dort scheidet sie im Einzel zwar in der ersten Runde aus, kommt im Doppel aber bis ins Achtelfinale. „Ich wollte mit dem Kopf durch die Wand“, sagt Juliane Schenk heute über diese Zeit. Immer mehr, immer weiter – das Motivationscredo von Oliver Kahn wurde ihres. Doch dann wurde alles anders. 23 24 s p o r t l a n d 02 Liege auf den Südbalkon stellt und sich ein Buch schnappt, gelingt es ihr, ihre Gedanken wegzulocken vom Training, von den anstehenden Spielen. Und wenn sie das Gefühl hat, dass sie mal eine Einheit aussetzen muss, dann macht sie das einfach. „Wenn Juliane sagt, ich hab den Kopf zu, ich will heute nur ein bisschen laufen, dann weiß man, dass das für sie richtig ist“, sagt Stephan Kuhl, einer ihrer Trainer am Mülheimer Stützpunkt. Juliane Schenk in Aktion auf dem Badminton-Feld biografie Juliane Schenk, 28, Badmintonspielerin Erfolge: Teilnahme Olympische Spiele Athen 2004 und 2008, EM-Bronze 2006 (Mannschaft/Einzel), Silber im Doppel, WMBronze (Mannschaft), Vizeeuropameisterin 2010 Im April 2011 auf Platz 6 der Weltrangliste. Siebenfache Deutsche Meisterin (Einzel und Doppel) Verein: SG EBT Berlin Persönliches: Schenk ist Sportsoldatin der Eine Schulterverletzung bremst sie 2006 aus. Nicht abrupt, sondern langsam und schmerzhaft. Die Sportlerin kämpft mit aller Kraft gegen ihren streikenden Körper, will ihn besiegen. Über Monate trainiert sie unter Schmerzen, spielt mit Tränen in den Augen. Bis sie einsehen muss: So geht es nicht weiter. „Es war ein Fingerzeig: Da läuft was nicht richtig. Änder was!“, meint Schenk. Neun Monate sollte es dauern, bis sie ihre „Werferschulter“, eine unangenehme Verletzung der Bizepssehne, schließlich auskuriert hat. Neun Monate ohne Training, ohne Spiele – verlorene Zeit? Überhaupt nicht: „So habe ich erst die Reife bekommen, die mir gefehlt hat“, sagt Juliane Schenk. Sie ist heute geradezu dankbar für die erzwungene Auszeit. „Man definiert sich ja zu schnell nur noch über die Erfolge.“ Schenk verbringt viel Zeit mit ihrer Familie, mit Freunden – und findet neues Vertrauen, auch in den großen Plan, der über allen Trainingsplänen steht. Dieses Vertrauen zu leben, dankbar zu sein, statt immer mehr zu wollen, hat ihr Ruhe gegeben. Bundeswehr Heute schaltet sie problemlos um zwischen Anspannung und Entspannung. Wenn sie in den Trainingspausen an der Ruhr spazieren geht oder den knappen Kilometer zu ihrer Wohnung am Rand der Mülheimer Innenstadt läuft, die orangefarbene Ihre Leidenschaft für den Sport und ihr Ehrgeiz haben keineswegs nachgelassen durch die neue Gelassenheit. 2008 qualifizierte sie sich erneut für die Olympischen Spiele, schied allerdings in der 1. Runde aus. Dafür schaffte sie es 2009 bis ins Viertelfinale der Weltmeisterschaften, 2010 bis ins Achtelfinale. 2010 wurde sie Vizeeuropameisterin, gewann die Dutch Open, erreichte das Finale der German Open und der Canada Open, das Halbfinale der US Open und Hongkong Open. 2009, 2010 und 2011 wurde sie Deutsche Meisterin im Dameneinzel. Im Dezember 2010 firmierte sie auf der Weltrangliste des Badminton-Weltverbandes auf Platz 6. „Sie ist Sportlerin durch und durch“, sagt Kuhl, „sehr professionell und voll konzentriert auf das, was sie tut. Man kann sie eigentlich fast alleine trainieren lassen.“ Juliane Schenk sagt: „Ich muss nicht trainieren – ich darf. Ich sehe meinen Job als Berufung, ich bin dankbar, dass Gott mir dieses Potenzial gegeben hat.“ Auf der orangefarbenen Liege schlägt sie derzeit vor allem Sportlerbiografien auf, zuletzt die von Oliver Kahn. Ein Großereignis wirft seinen Schatten auf den sonnigen Platz: die Olympischen Spiele 2012 in London. Juliane Schenk will wieder dabei sein – und mehr. Das beeinflusst ihre Liegen-Lektüre, gefährdet aber nicht ihre Ruhe. Schließlich hat sie im Fragebogen eines Badminton-Magazins als Schlagzeile, die sie einmal über sich lesen möchte, eingetragen: „Juliane Schenk – glücklichste Olympiasiegerin aller Zeiten“. Und sie weiß: In der Ruhe liegt die Kraft. Und die Schnelligkeit. Vielleicht nicht in Ewigkeit, aber ganz sicher bis 2012. 25 Die Zentrale des nordrhein-westfälischen Sports im Sportpark Duisburg-Wedau: der Landessportbund Landessportbund Mehr Mitglieder hat nur der Deutsche Fußballbund, nämlich 6,7 Millionen. Dann folgt aber schon der Landessportbund Nordrhein-Westfalen mit einem beeindruckenden Zahlenwerk: Fünf Millionen Menschen sind Mitglied in 20 000 Sportvereinen, 1,5 Millionen von ihnen engagieren sich als ehrenamtliche Helfer, und jedes Jahr bringen weit mehr als 200 000 NordrheinWestfalen die Leistungen, um mit dem Sportabzeichen ausgezeichnet zu werden. 2010 waren es sogar 238 415 Menschen. Sport bewegt NRW. Und wie. Kinder, Jugendliche, Erwachsene – und immer mehr Ältere – kicken, joggen, turnen oder radeln. Die Menschen werden immer älter, müssen länger arbeiten – und genießen es, fit zu bleiben. Das geht in Nordrhein-Westfalen schon in mehr als 900 Vereinen. Der Landessportbund koordiniert und erfasst die Sport- und Bewegungsangebote in einer speziellen Datenbank. Zusammen mit dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport fördert der Landessportbund die Initiative „Zukunft gestalten – aktiv und gesund älter werden in Nordrhein-Westfalen“. Nicht nur die sportlichen Alten liegen dem Landessportbund und Präsident Walter Schneeloch am Herzen. Die Initiative „Sport bewegt NRW“ bedeutet für ihn, dass in allen Jahrgängen mehr für Bewegung getan werden muss. Sorgenkind von Landessportbund und Sportministerium sind – man glaubt es kaum – die Kinder: „Viele können nicht einmal schwimmen, balancieren oder einen Purzelbaum schlagen“, klagt Ministerin Ute Schäfer, als sie den „Pakt für den Sport“ mit 3,4 Millionen Euro ausstattete. Breitensport, Nachwuchsförderung, Leistungssport – der Landessportbund hat alle Bereiche im Blick. Doch ohne Medaillen, ohne Sportstars im eigenen Land, würde es keine Breitenbewegung für den Sport geben. Deshalb liegt der Fokus auch auf der Nachwuchsarbeit und Förderung der Eliten in Landesleistungszentren und der Verknüpfung von Vereinen, Sportstiftung, Schulen und Hochschulen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen, denn „Nordrhein-Westfalen ist nicht nur die erste Adresse für Leistungssport und Karriere, sondern auch eine bedeutende Bühne des internationalen Sports“, betont Walter Schneeloch. Auch dienen Zahlen und Statistiken als Beleg: Seit 1990 kamen Sportler zu mehr als 400 Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und anderen internationalen Sportveranstaltungen nach NRW. Einmalig in Deutschland. Und was passiert nach dem Sport? Beruf! Warum nicht im Sport? Deshalb bildet der Landessportbund ganz aktuell „Talente von heute zu Führungskräften von morgen“ aus. Junge Menschen sollen Projekt-, Selbst- und Zeitmanagement lernen, Rhetorik, Leiten und Moderieren. Das Ziel: Junge Sportler werden vorbereitet für das Leben nach der Karriere. Ein Stück Lebensbildung im Landessportbund. 26 porträt claudia bokel Die Kümmerin Claudia Bokel war erst Fechtweltmeisterin und kämpfte bei Olympia in Peking um die geringe Chance auf den Einzug ins IOC – geschafft D iese Frau ist nicht zu übersehen: Sie ist sehr groß, sehr schlank, ihr Gesicht braucht keine Schminke. Claudia Bokel kommt in Jeans, schwarzen, kniehohen Stiefeln und trägt einen Blazer über dem Pulli. Um den Hals hängt eine zarte Silberkette mit den fünf Olympia-Ringen. Verabredet sind wir am Eingang eines Restaurants, das jetzt blöderweise geschlossen hat. Es folgt: eine knappe Problemanalyse mit den Eckpunkten „begrenztes Zeitbudget“ und „mangelnde Alternativlokale“ sowie die anschließende pragmatische Entscheidung, sich einfach in den angrenzenden Park zu hocken. biografie Claudia Bokel, 37, Fechterin Erfolge: Weltmeisterin in Nimes 2001, Europameisterin in Izmir 2006, viermal Deutsche Meisterin, OlympiaSilber mit der Mannschaft in Athen 2004 Ehrenämter: Mitglied im IOC, Präsidentin der EOC-Athletenkommission, Mitglied im Kuratorium des NADA, persönliches Mitglied im NOK Als Mitarbeiterin in der internen Unternehmensberatung des Bayer-Konzerns erledigt die studierte Chemikerin montags bis freitags einen anspruchsvollen Job. Ihre Freizeit verbringt die 37-Jährige in diversen Ausschüssen und Gremien sowie mit Protokollen, Vorgaben und anderem Funktionärskram im Auftrag des Internationalen Olympischen Komitees. Katar, Togo, Montreal, Lausanne – an den Wochenenden düst Bokel im Dienst der Spiele um den Globus. Warum sich unsere Schöne wohl so reinhängt? Aufgewachsen ist sie in den Niederlanden, in Ter Apel, dem größten Dorf der Provinz Groningen. Als Kind turnt und tanzt sie, später geht sie zum Fechten. Sie genießt die Übungsstunden, das wöchentliche Fußballspielen zur Verbesserung der Kondition, das intensive Vereinsleben. Herrlich sind die Trainingslager und die Fahrten zu den Wettkämpfen. Freundschaften entstehen, die Gemeinschaft gibt Geborgenheit, zunehmende Erfolge schenken wachsendes Selbstvertrauen. Mit 16 Jahren verlässt Bokel die Heimat der Kindheit und zieht nach Bonn. Dort wohnt sie im Internat des deutschen Fechterbundes, macht Abitur und studiert anschließend Chemie. Mit dem Degen wird sie vier- mal Deutsche Meisterin, einmal Europa- und einmal Weltmeisterin. Hinzu kommen zahlreiche Silbermedaillen mit der Mannschaft bei Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen 2004 in Athen. Und ihre Karriere als Kümmerin? Die Funktionärin lacht: „Da bin ich so reingerutscht.“ Irgendjemand müsse es schließlich machen, denkt Bokel damals, als ihr Fechterkollege Alexander Koch den Posten als Sprecher der Aktiven niederlegt. Sie ahnt noch nicht, dass die spontane Entscheidung der Beginn eines furiosen Ämter-Aufstiegs ist. Vor drei Jahren – Claudia Bokel ist neben anderem mittlerweile Vorsitzende der Athletenkommission des Europäischen Olympischen Komitees – hat sie die geringe Chance auf eine exklusive Mitgliedschaft im Internationalen Olympischen Komitee. Wie ein Politiker macht sie Wahlkampf. Jeder Sportler hat eine Stimme. Bokel stellt sich im olympischen Dorf in Peking vier Wochen lang täglich in die Nähe der Mensa, spricht die vorbeigehenden Athleten an und verteilt fast 10 000 Prospekte in den unterschiedlichsten Sprachen. Lohn der Strapaze: Bokel zieht als eine von vier Gewählten unter mehr als 30 Kandidaten in die IOC-Athletenkommission ein. Über Nacht ist sie eine mächtige Frau geworden. Als eines von weltweit insgesamt 115 IOC-Mitgliedern darf sie etwa mitentscheiden, wo die Sommer- und Winterspiele der Zukunft stattfinden. Gab es schon Bestechungsversuche? „Nein“, sagt Bokel, „ich denke auch nicht, dass sich das einer traut.“ Vor unmoralischen Angeboten schützt sie vermutlich ihr Ruf als Idealistin. Schnell hat es sich herumgesprochen, dass es Claudia Bokel ernsthaft um Inhalte geht. „Mich reizt, etwas bewegen zu können“, so erklärt sich Bokel selbst ihre Lust aufs Ehrenamt. Außerdem, sagt sie zum Abschied, „ist der Sport ein so schöner Teil meines Lebens, jetzt kann ich endlich etwas zurückgeben.“ 27 28 p o r t r ä t m a r i o n r o d e wa l d 29 Die Rastlose Marion Rodewald war Kapitän der Hockeynationalmannschaft, holte 2004 in Athen Gold, entspannt bei der Gartenarbeit und schreibt gerade an ihrer Doktorarbeit D „In NRW wurde durch die Sportstiftung schon viel auf den Weg gebracht“ er eigene Garten ist für viele Menschen eine Quelle der Entspannung. Pflänzchen zupfen, vielleicht den Rasen mähen – dann auf der Terrasse den Feierabend genießen. Deutsche Idylle. Auch Marion Rodewald gärtnert gern. Der Garten der Hockey-Olympiasiegerin in Frechen-Königsdorf bei Köln bietet allerdings mehr Herausforderungen als das durchschnittliche Reihenhaus-Grün: Auf den gut dreihundert Quadratmetern rund um das Backsteinhaus müssen Gemüsebeete und Obstbäume gepflegt, Hühner und Enten versorgt werden, und dann ist da noch der eigene Bienenstock. Alles andere würde auch nicht zu der 34-jährigen Sportlerin passen. „Manche würden das vielleicht als Stress empfinden – aber das ist meine Form der Entspannung“, sagt Marion Rodewald fast entschuldigend. Wo andere langsam müde werden, blüht sie erst richtig auf. Marion Rodewald wirkt zierlich, fast zart, so, wie sie jetzt im Trainingsdress auf der Terrasse des Kölner Tennis- und Hockeyclubs sitzt. Ihre Mutter ist Französin. Ob man sich Rodewald mit ihren feinen Gesichtszügen deshalb auch in einem Etuikleid auf einem Pariser Prachtboulevard vorstellen könnte? Nur der handtellergroße, zwischen dunklem Rot und Lila changierende Bluterguss an ihrem linken Knie passt nicht in diese Vorstellung. „Da habe ich letztes Wochenende einen abgekriegt.“ Halb so schlimm. Und die Narben auf ihren Fingerknöcheln? Die größte Narbe, auf dem Handrücken, stammt von einem Sturz vom Rennrad. Marion Rodewald fährt gerne Rad. Und wenn sie etwas gern macht, macht sie es richtig: 2003 fuhr sie eine Jedermann-Etappe der Tour de France, 200 Kilometer durch die Pyrenäen. Außerdem mag sie Mountainbiking, Nordic Running und Inlineskating. „Das bringt Abwechslung ins Ausdauertraining“, sagt sie. Wieder fast entschuldigend. 2004 wollte Marion Rodewald Freunde zum Start des Inlineskate-Feldes des Hamburg-Marathons be- gleiten und danach mit ihrer Mannschaft, dem KTHC Rot-Weiß Köln, das Bundesliga-Match gegen den „Club an der Alster“ bestreiten. Dann fiel jemand aus der Gruppe aus, und Rodewald wurde gefragt, ob sie nicht mitfahren wolle. Sie überlegte kurz – und fuhr: erst 42 Kilometer auf der Marathonstrecke in gut anderthalb Stunden, danach zum Hockeyplatz, wo sie mit ihrer Mannschaft auflief. Eine Extremsportlerin. Ganz normal? Marion Rodewald muss lachen, wenn sie auf die Anekdote angesprochen wird. Sie sei „vor allem hinsichtlich Kampfgeist und Ausdauer kaum zu übertreffen“ und „bis in die letzte Körperfaser austrainiert“, schrieb das Fachmagazin „Hockeyliga“ über sie. Ihrem Trainer hat Rodewald ihren Marathon-Ausflug trotzdem lieber erst nach dem Spiel gebeichtet. Dann habe ich es erzählt – und musste mir fortan vor jedem Spiel einen Spruch anhören.“ „Duracell“ haben sie sie eine Zeitlang genannt. Ist sie rastlos? „Joaah“, macht Marion Rodewald und zerpflückt dabei eine Brezel aus der Cafeteria des Hockeyclubs. „Vielleicht kann man das schon so sagen.“ Jedenfalls kann sie schlecht einfach nur vor dem Fernseher sitzen. Wenn, dann muss sie sich beschäftigen. Gerade hat sie sich das Häkeln beigebracht, per Youtube. Mit dem Stricken hat es nicht geklappt, aber das kann ja noch kommen. Die Linksverteidigerin war Spielführerin der Hockeynationalmannschaft, die bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen überraschend Gold holte. Bis heute sind die „Wundertüten“ in Kontakt. „So etwas gemeinsam zu erleben, das schafft eine ganz starke Verbindung“, sagt Rodewald. Sechs Jahre lang war sie Kapitän des Teams. Und weil sie eben noch Energie übrig hatte, kümmerte sie sich auch um andere Sportler. Seit 2005 ist sie Athletenvertreterin im Vorstand der Sportstiftung NRW, seit 2006 Athletensprecherin des Deutschen Hockey-Bundes und im 30 s p o r t l a n d 03 31 Athen 2004: Spielführerin Marion Rodewald jubelt über Gold nach Ende des Finales gegen die Niederlande biografie Marion Rodewald, 34, Hockeyspielerin Die Deutsche Sporthochschule Köln ist gleich neben dem Müngersdorfer Sportpark angesiedelt Erfolge: 2004 Goldmedaille Olympische Deutsche Sporthochschule Spiele Athen, 2006 1. Platz Halleneuropameisterschaft, 2007 1. Platz Europameisterschaft, 2008 4. Platz Olympische Spiele Peking Deutsche Meisterin mit dem KTHC Rot-Weiss Köln 2003 und 2007, Vizemeisterin 2004, 2005, 2006, 2008, Vizeeuropapokalsiegerin 2006 und 2007 Verein: KTHC RotWeiss Köln Persönliches: verheiratet mit dem Sportwissenschaftler Dr. Achim Schmidt, Athletenvertreterin im Vorstand der Sportstiftung NRW, Athletensprecherin des Deutschen HockeyBundes, Mitglied des Beirats der Aktiven des Beirat der Aktiven des Deutschen Olympischen Sportbundes sowie Mitglied im Aufsichtsrat der Stiftung Deutsche Sporthilfe, seit 2009 sitzt sie in der Europäischen Athletenkommission. Eigentlich, betont Marion Rodewald, sei sie gar nicht so die typische Klassensprecherin: „Ich habe nie Hier geschrien. Aber ich bin ungern Marionette, und es wäre doch schlimm, wenn über die Köpfe der Athleten hinweg entschieden würde.“ Tatsächlich sei Rodewald niemand, der sich etwas aus Ämtern mache, meint Badri Latif, die zehn Jahre mit ihr in der Nationalmannschaft gespielt hat. „Es ist überhaupt nicht ihre Art, sich in den Vordergrund zu drängen“, sagt Latif und erinnert sich, wie Rodewald zum Kapitän des Teams wurde: „Sie hat mich gebeten, ihr sofort zu sagen, wenn sie irgendwie komisch werden sollte. Für sie war das Allerwichtigste, nicht die Bodenhaftung zu verlieren.“ Dass Rodewald sich in so vielen Gremien gleichzeitig engagiert, passe dennoch zu ihr, meint Badri Latif: „Ihr wäre langweilig, wenn sie nur eine Sache machen würde.“ Deutschen Olympischen Sportbundes sowie im Aufsichtsrat der Stiftung Deutsche Sporthilfe, Mitglied der Europäischen Athletenkommission Neben dem Hockey jongliert die Diplom-Sportwissenschaftlerin längst auch mit anderen Herausforderungen: Sie schreibt unter anderem für das Magazin „RADtouren“ und macht die Pressearbeit für den Radclub Deutschland und die „Kölner Liste“, einem Aufklärungsprojekt zu Nahrungsergänzungsmitteln des Olympiastützpunktes Rheinland. Außerdem bie- tet sie Radcamps für Kinder und Frauen sowie Motivationstraining für Unternehmen an. Und vergleicht in ihrer Doktorarbeit die dualen Karrieren von Sportlern in mehreren europäischen Ländern. Nachwuchsathleten fit zu machen für das Berufsleben nach – beziehungsweise neben – dem Sport, ist ihr wichtig. Nordrhein-Westfalen sieht sie auf einem guten Weg: „Hier wurde schon viel auf den Weg gebracht, gerade auch durch die Sportstiftung NRW. Das wird jetzt nach und nach Früchte tragen.“ 2009 hat sie sich aus der Nationalmannschaft zurückgezogen. „Der Schwerpunkt meines Lebens liegt nicht mehr auf dem Hockey, da verändert sich gerade etwas“, sagt sie. Völlig hinter sich lassen will sie den Sport aber nicht. Auch wenn das paradoxerweise manchmal bedeutet, dass sie einen Trainingstermin in Köln verpasst, weil zeitgleich in Rom die Europäische Athletenkommission tagt. Deswegen muss sie jetzt, da sie ihr Spezi ausgetrunken und die Breze gegessen hat, auch rüber zum Trainingsplatz. Übermorgen geht der Flug nach Italien, heute will sie noch mal mit der Mannschaft aufs Feld. 95 Studenten folgten am 7. Juli 1947 Gründungsrektor Carl Diem im Kölner Stadion ins Erstsemester der Sporthochschule Köln. Der Zonenerziehungsrat für die britische und amerikanische Zone hatte ein Jahr zuvor die Einrichtung zur Ausbildung eines körperlichen, geistigen, moralischen und künstlerischen Berufs beschlossen. 1952 zählte man schon 285 Studierende, die sich zum Sportlehrer ausbilden lassen wollten. Heute ist die 1962 vom Land Nordrhein-Westfalen übernommene Deutsche Sporthochschule Köln als Europäische Sportuniversität für ihre Lehre und Forschung weltweit bekannt. 5200 Studierende aus 59 Ländern haben sich zurzeit eingeschrieben, die von 25 Professoren unterrichtet werden. Die „SpoHo“, wie sie unter Studierenden, Professoren, Ehemaligen und in der gesamten Sportwelt genannt wird, genießt einen exzellenten Ruf als Ort für qualifizierte Ausbildung und internationale Forschung. Als europäisch ausgerichtete Universität mit modernen Bachelor- und Masterstudiengängen, Lehrerausbildung sowie weltweit anerkannter Forschung hat sie der Sportwissenschaft stets Impulse gegeben und sie nachhaltig beeinflusst. An 19 wissenschaftlichen Instituten wird geforscht und gelehrt – von erziehungs-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern bis hin zu medizinisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen. Forschung an der Deutschen Sporthochschule Köln hat viele Facetten. Das renommierte Dopinglabor des Instituts für Biochemie unterstützt den internationalen Kampf gegen Doping. Experimente des Instituts für Physiologie und Anatomie flogen mit ins All, und im neuen Forschungszentrum für Leistungssport „Momentum“ arbeiten die beteiligten Institute Hand in Hand mit dem Betreuungssystem rund um die einzelnen Athletinnen und Athleten. Viele nationale und internationale Spitzensportler nehmen auch wegen der vorbildlichen Trainingsbedingungen im Müngersdorfer Sportpark ihr Studium in Köln auf. Dennoch: Sportliche Höchstleistungen setzen einen außerordentlich hohen zeitlichen Aufwand der Aktiven voraus, der während der üblichen Ausbildungszeiten an den Hochschulen von studierenden Spitzensportlerinnen und -sportlern nur schwer zu erbringen ist. Da die bessere Vereinbarkeit von Studium und Spitzensport ein Anliegen der Deutschen Sporthochschule Köln und der Universität zu Köln ist, haben die Rektoren der beiden Hochschulen 2003 eine Kooperationsvereinbarung „Partnerhochschule des Spitzensports“ mit dem zuständigen Olympiastützpunkt Köln/Bonn/Leverkusen und dem Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband abgeschlossen. Sie gilt für Athletinnen und Athleten, die einem Bundeskader (A-/B-/C- oder D/C-Kader) angehören. Auch der Deutsche Fußballbund kooperiert in seiner Trainerausbildung mit der Sporthochschule. Die ehemaligen Stars der Liga mussten hier ein gutes halbes Jahr die Bank drücken, ehe sie die höchste Trainerlizenz erhalten. Da gibt es kein Erbarmen. Berlins Trainer Markus Babbel musste das zuletzt erfahren, als er noch in Stuttgart jobbte – ohne Lizenz. Der frühere Nationalspieler scheiterte im Ländle, mit der Hertha – und Lizenz – stieg er gerade in die Bundesliga auf. 32 porträt angelina grün Die Reisende Volleyballstar Angelina Grün wurde in Tadschikistan geboren, spielte in Deutschland, Italien und der Türkei – in Köln fühlt sie sich zu Hause A m besten schmeckt der Cappuccino. „Der ist wirklich gut“, empfiehlt Angelina Grün und löffelt etwas Schaum aus der weißen Tasse mit dem kleinen roten Logo. „Heilandt Kaffeemanufaktur“ steht darunter. Eine junge Kölner Rösterei. Geheimtipp. Grün sitzt im Biergarten der „Playa in Cologne“. Die Anlage zwischen der Sporthochschule und dem Stadion des 1. FC Köln ist so etwas wie ihr zweites Wohnzimmer. Oder vielmehr: ihre Terrasse. Nicht, weil die Volleyballerin so häufig auf den Sandplätzen hier trainieren würde oder weil sie von den Holzbänken zwischen den Kübeln mit Palmen und Olivenbäumchen aus den Nachwuchs im Blick hat. Sondern weil ihre Kölner Wohnung um die Ecke liegt, weil sie hier fast immer Freunde und Bekannte trifft und inzwischen sogar den Kaffeeröster persönlich kennt. Angelina Grün ist hier zu Hause. Keine Selbstverständlichkeit. Nicht nur, weil die Profisportlerin acht Jahre im Ausland gelebt und gespielt hat. Sondern auch, weil das Gefühl der Heimatlosigkeit schon seit ein paar Generationen Begleiter der Familie Grün ist. Angelina Grün ist eine der erfolgreichsten deutschen Volleyballerinnen. Jahrelang spielte sie in der Nationalmannschaft, zweimal bei den Olympischen Spielen, dreimal bei der Weltmeisterschaft, neunmal wählten die deutschen Fans sie zur „Volleyballerin des Jahres“. Sie gewann mit Foppapedretti Bergamo zweimal die Champions League, zuletzt spielte sie bei Vakifbank Istanbul, einem der Topteams der finanzstarken türkischen Liga. Ihr Vertrag dort lief 2009 aus. Er wäre verlängert worden, wenn sie gewollt hätte. Aber Angelina Grün wollte nicht. „Ich hatte das Empfinden, dass da etwas fehlt, trotz aller Erfolge.“ Und sie wusste auch, was: „Ich habe nach einem Zuhause gesucht“, sagt Grün. Köln war ein guter Ort, um anzufangen. Viele ihrer Freunde wohnen in der Gegend, ihre Familie lebt in Velbert, wo Grün auch aufgewachsen ist. „Ich bin ein NRW-Kind“, sagt sie. Geboren wurde sie allerdings gut 7600 Kilometer weiter östlich: im heutigen Tadschikistan. Ahnen ihres Vaters wanderten noch zu Zarenzeiten aus Deutschland nach Russland aus und landeten schließlich in der sowjetischen Provinz. Dort waren sie: die Deutschen. Auch wenn die Generation von Angelina Grüns Vater schon kein Deutsch mehr spricht. Während des Studiums in Moskau lernte er seine spätere Frau, eine Russin, kennen. 1979 kam Tochter Angelina zur Welt, in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe. Als sie zwei Jahre alt war, wanderte die Familie nach Deutschland ein. Hier sind sie nun: die Russen. „Ich habe nach einem Zuhause gesucht und bin ein NRW-Kind geworden“ Dass beide Eltern sportlich aktiv sind, erleichtert das Ankommen. Die Mutter spielt Basketball, der Vater, ein ehemaliger russischer Jugendnationalspieler: Volleyball. Angelina Grün und ihr Bruder gehen mit in die Vereine, er zum Basketball, sie zum Volleyball. Die Kinder haben keine Erinnerungen an Duschanbe, sie gehören hierher, zwischen Ruhrgebiet und Bergischem Land. 1990 beginnt Angelina Grün beim VC Essen-Borbeck zu trainieren und zeigt sich bei „Jugend trainiert für Olympia”, nur vier Jahre später gibt sie ihr Debüt in der Jugendnationalmannschaft. 2001 wechselt sie in die italienische Liga, zuerst nach Modena, später, bis 2008, nach Bergamo. Dann kommt Istanbul. Hier ist sie: die Deutsche. Auch wenn sie lieber im Appartement als im Hotel lebt, um zumindest etwas halbwegs Eigenes zu haben, 33 34 porträt angelina grün „Ich wollte ein normales Leben, eines, in dem ich nicht nur Sportlerin sein kann“ biografie Bei den Olympischen Spielen in Athen baggerte, pritschte und schmetterte Angelina Grün, 32, Angelina Grün noch im deutschen Volleyballteam Volleyballerin Erfolge: 5. Platz Olympische Spiele 2000, 9. Platz Olympische fühlt sich Angelina Grün als Ausländerin. So wie ihre Eltern und Großeltern – nur in einem anderen Land. „Das“, sagt Grün, „wollte ich unterbrechen.“ Inzwischen ist sie wieder viel unterwegs: Mit Rieke Brink-Abeler hat sie sich im vergangenen Jahr zu einem Beachvolleyball-Duo zusammengeschlossen, das auch international an den Start geht. Und doch ist etwas anderes für Angelina Grün wichtig: Sie hat jetzt eine Basis, zu der sie zurückkehren kann. In ihrer Wohnung im Kölner Westen liegen oft halb ausgepackte Reisetaschen im Abstellzimmer. Aber genauso oft stehen inzwischen frische Schnittblumen auf dem Küchentisch, ein sicheres Zeichen dafür, dass Grün zumindest ein paar Wochen da sein wird. In den Wintermonaten fährt sie morgens um acht von hier aus zum Training nach Mönchengladbach, dort trifft sie sich mit Trainer Gerald Maronde und Rieke Brink-Abeler, die aus Münster anreist. Abends um 18 Uhr kommt sie wieder in Köln an. Nicht ganz nine-to-five, aber sehr nah dran am deutschen Alltag, nach dem sich Angelina Grün irgendwann so gesehnt hat, dass sie ihr Sportlerleben beinahe komplett aufgegeben hätte. Ihre besten Freunde sind Lehrer und Anwälte, diese hatten Wochenenden, wenn Grün Turniere spielte. „Ich wollte ein normales Leben, eins, in dem ich nicht nur Sportlerin sein kann“, sagt Grün. Sondern auch Freundin, Tochter, Schwester, Patentante für ihre kleine Nichte. Aber nur noch Alltag, das war auch nichts. „Ich schätze am Sport diese unmittelbare Emotion – das findet man sonst nicht so leicht“, sagt Grün. Als sie vor zwei Jahren auf einem Spaßturnier Rieke BrinkAbeler wiedertraf, die sie aus ihrer Zeit beim USC Münster kannte, beschlossen beide, sich zusammenzutun. Für Angelina Grün ein Weg, der funktioniert – denn nicht nur das Spiel auf Sand ist ganz anders. Das Miniunternehmen Brink-Abeler/Grün ist auch wesentlich selbstbestimmter, als es die Vereinssportlerin Angelina Grün zuvor sein konnte. Selbst Termine und Trainingslager planen, einen Trainer anstellen – das passte gut in ihr neues Leben. „Ich habe die Reset-Taste gedrückt – und am Ende vieles so gemacht wie vorher“, bilanziert Grün. Von April bis August touren sie und Rieke Brink-Abeler mit der Beachvolleyball World Tour um die Welt. Das Ziel des Duos ist klar umrissen: die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2012 in London. Und zwischendurch kommt sie immer mal wieder nach Köln zurück. Sie weiß dann, wo sie ihre Freunde trifft. Und wo ihr der Cappuccino am besten schmeckt. Spiele 2004, 3. Platz Europameisterschaft 2005, Italienische Pokalsiegerin 2002 (Modena), 2006, 2008 (Bergamo), Italienische Meisterin 2004, 2006 (Bergamo), Champions-LeagueSiegerin 2005, 2007 (Bergamo) Deutsche Meisterin 1997, Deutsche Pokalsiegerin 1998 und 2000 (USC Münster) Volleyballerin des Jah- i n t e r v i e w Rieke Brink-Abeler über ihre Beachvolleyball-Partnerin Angelina Grün: Hat es Sie überrascht, dass die erfolgreiche HallenSand gewagt hat? Ich glaube, wir haben uns einfach zum richtigen Zeitpunkt getroffen – vorher hätte es wohl nicht geklappt. Zwischenzeitlich habe ich schon gezweifelt, ob sie nicht wieder in die Halle wechselt. Aber da hat sie ja alles erreicht. Was zeichnet Angelina Grün aus? res 2000 – 2008 4. Platz bei den Deutschen Meisterschaften im Beachvolleyball 2010 Verein: Beachvolleyball-Duo mit Rieke Brink-Abeler (Partner: USC Münster) Persönliches: Seit 2009 ist Angelina Grün Botschafterin der Sportstiftung NRW Ist die Olympia-Teilnahme ein realistisches Ziel? volleyballerin Angelina Grün den Schritt auf den Sie ist sehr ehrgeizig und arbeitet sehr hart an sich. Als wir uns das erste Mal getroffen haben, damit ich ihr ein bisschen was über die Beachvolleyball-Szene erzähle, hat sie einen Collegeblock herausgeholt und alles mitgeschrieben. Das ist noch ein harter Weg. Das ist immer auch ein Psychospiel. Aber wenn wir es schaffen, unsere Leistung abzurufen, bin ich guter Dinge. Wie beurteilen Sie die Bedingungen für die noch junge Sportart Beachvolleyball in NRW? Für viele ist Beachvolleyball immer noch Funsport. Deshalb fehlen Trainingsmöglichkeiten, gerade in der Halle, für die Wintermonate. Aber grundsätzlich wird der Sport in Deutschland immer professioneller betrieben. Liegt es daran, dass Sport in Deutschland hauptsächlich im Verein betrieben wird und es kaum spezielle Beachvolleyball-Abteilungen oder -Verei- Und menschlich? ne gibt? Sie ist sehr sensibel und aufmerksam mir gegenüber. Gerade beim Beachvolleyball ist das wichtig, wir sind ja nur zu zweit und deshalb sehr aufeinander angewiesen. Ja, da ist noch viel Potenzial. Die meisten Vereine trennen nicht zwischen Beach- und Hallenmannschaft. Dabei könnte man ja durchaus separate Trainings anbieten. 35 36 porträt nadine schmutzler Die Heimatverbundene Nadine Schmutzler taucht ihre Ruderblätter tagein, tagaus in die Fluten des Dortmund-Ems-Kanals und will im Achter zu Olympia nach London A uf dem Harkortsee bei Herdecke steigt eine neugierige Gymnasiastin zum ersten Mal in ein Ruderboot. 14 Jahre später zählt sie zur Weltspitze im Frauenrudern. Der Sprung vom idyllischen Ruhrsee bei Dortmund auf die harten Regattaplätze in Peking, London oder Luzern gelang Nadine Schmutzler nur mit Tausenden Trainigskilometern. 13 Jahre, im schlanken Boot auf dem Wasser. biografie Nadine Schmutzler, 27, Ruderin Erfolge: 2006 Vizeweltmeisterin im Achter, 2007 Vizeweltmeisterin im Vierer ohne Verein: RC Westfalen Herdecke von 1929 Persönliches: mag Wanderungen im heimischen Ruhrgebiet und sucht noch Spon- Rudern ist Quälerei. Wie Marathonlaufen. Training, Training, Training. Bis es vor den Augen schwarz wird. Manches entschädigt. Zum Beispiel, dass die 1,82 Meter große Modellathletin vor der Haustür üben kann, auf dem Dortmund-Ems-Kanal, auf der Lieblingsstrecke vom Stadthafen bis zum Schiffshebewerk Henrichenburg. Das ist wichtig für die 27-Jährige, die sich selbstbewusst als „Kind des Ruhrgebiets“ bezeichnet und von ihrer Heimat schwärmt: „Die Mischung aus ehemaligen Industrieanlagen und grünen Winkeln vermittelt eine einmalige Schönheit. Mit der Renaturierung der Emscher begann der Aufstieg aus den kohlschwarzen Ruinen des Reviers. Ich bin hier sehr gern zu Hause.“ Dort, wo sie auf ihren täglichen Trainingsfahrten ein Wettrennen mit den bulligen Frachtkähnen veranstaltet, die schwer beladen mit ihr die Fahrrinne des Kanals teilen. Auch nach 13 Tageskilometern taucht sie noch mit Wucht die schweren Ruderblätter in das dunkle Wasser. Denn ein großes Ziel treibt Nadine Schmutzler an. Im August will sie wieder im Achter sitzen und bei den Weltmeisterschaften in Bled, Slowenien, mit dem Paradeboot des Deutschen Ruderverbandes ganz vorne landen. Im kommenden Jahr locken die Olympischen Spiele. Die Vizeweltmeisterin im Achter von 2006 brennt vor Ehrgeiz: „Olympia in der britischen Hauptstadt ist ein tolles Ziel. Schon Peking 2008 hat mir wunderbar gefallen.“ soren für den Frauenachter Erlebnisse, die antreiben, die den Schmerz des dauernden Trainings vertreiben. Das gemeinsame Erle- ben des Wettkampfs, das gegenseitige Anfeuern, das Kennenlernen anderer Sportlerinnen und ihrer Disziplinen. Auf dem Flug nach Peking saß sie mit den deutschen Fußballspielerinnen zusammen. Das war allerdings der einzige Kontakt. In China lagen Fußballstadion und Regattastrecken zu weit auseinander. Aber jetzt, im Sommer, will Nadine eines der TopWM-Spiele besuchen: „Ich mag Fußball, auch wenn ich nicht jedes Wochenende ins Stadion gehe.“ Als Generalprobe für die Frauen-WM jubelt sie schon mal ihren heimatlichen Schwarz-Gelben bei der nicht endenden Dortmunder Meisterfeier zu. Die Ruderinnen haben es nicht nur in den Armen, im Wintertraining leisten sich Nadine und ihre Kolleginnen als Ausgleich schon mal einen Hallenkick. Ganz vorsichtig, versteht sich. Denn jede der Ungeübten hat natürlich Angst vor einem Fehltritt am Ball – und einer wochenlangen Rehabilitation. Am Schreibtisch ist die Spitzenruderin routinierter. Nach einem Studium der Raumplanung mit dem Abschluss DiplomIngenieurin arbeitet Nadine Schmutzler neben dem „Hauptberuf Sport“ in einem privaten Ingenieurbüro. Aber ohne die Sportstiftung Nordrhein-Westfalen, den Ruderclub Westfalen Herdecke und zwei Herdecker Organisationen – Lions Club und Werner Richard-Dr. Carl Dörken Stiftung – könnte sie sich ihren Spitzensport nicht leisten: „Über diese Unterstützung bin ich sehr froh.“ Denn dem Rudersport fehlt es seit Jahren an finanzkräftigen Sponsoren. Auf der Suche nach Vorbildern landet Nadine Schmutzler dann ganz schnell beim Frauenfußball: „Es ist fantastisch, was die Sportlerinnen und ihr Umfeld erreicht haben.“ Das Ziel ist klar formuliert: mit Erfolgen eine ähnliche Aufmerksamkeit in den Medien und der Öffentlichkeit erreichen. „Ich hoffe, dass der Frauenrudersport eines Tages auch so wertgeschätzt wird wie der Frauenfußball.“ 37 38 p o r t r ä t c l a r a w o lt e r i n g Die Landwirtschafterin Clara Woltering ist im besten Alter einer Handballtorhüterin und weiß genau, was sie will: erst Champions League, dann Bäuerin im Münsterland I ch krieg ganz gern was in die Fresse – wenn das Ergebnis dafür steht.“ Clara Woltering nennt „Dinge besser beim Namen, verbale Eiertänze sind nicht so meine Sache“. Stattdessen tanzt die Handballtorhüterin der deutschen Nationalmannschaft lieber ihre Angreiferinnen aus. Auf der Linie, im Strafraum oder beim Herauslaufen aus ihrem Kasten – bei Tempogegenstößen der gegnerischen Mannschaft etwa. Angst vor Verletzungen oder vor dem Ball selbst hat sie jedenfalls nicht. „Der ist mal Freund, mal Feind – das ändert sich in Millisekunden.“ habe ich mich für Handball entschieden. Darum soll das immer meine Rückennummer auf dem Trikot bleiben, in all meinen Vereinen und auch im Nationalteam.“ Sehr hingegen wurmt die 1,78 Meter große Torfrau, dass sie mit Leverkusen noch nie Deutsche Meisterin wurde. Viermal Zweiter. „Vizekusen“, kommt ein gequältes Grinsen, „das hängt uns nach, genau wie unseren Männern beim Fußball.“ Immerhin: 2005 gewann sie mit Bayer den Europapokal. Zweimal nacheinander wurde sie aktuell zur Handballerin des Jahres gewählt. Doch lieber wären ihr „mehr richtige Titel – darüber reden wir noch“. „Die hält wie ein Mann, bietet ihren Gegnern den ganzen Körper als Trefferfläche an“, bestätigt Andreas Thiel, als „Hexer“ selbst langjähriger Nationalkeeper und Claras Torwarttrainer bei Bayer Leverkusen. So zählen zwischendurch ein Mittelhandbruch, ab und an ein Bandscheibenvorfall und immer mal wieder Bänderrisse für die 28-jährige Münsteranerin zum spielerischen Alltag. Ein Kreuzbandriss, der sie 2002 sechs Monate außer Gefecht setzte, „war die einzige schwere Verletzung, die ich bislang hatte – toi, toi, toi!“ Bis zum Teeniealter spielte sie neben Handball auch noch passabel Tennis, aber vor allem herausragenden Angriffsfußball. Im Sturm der Mädelsmannschaften vom DJK Coesfeld. Sowohl mit dem großen wie auch mit dem kleinen Leder spielte sie in der Westfalen-Liga. „Aber beides parallel ging dann nicht mehr.“ Die Schule, der Sport, und dann der elterliche Betrieb. „Darüber reden wir noch.“ „Der Ball ist mal Freund, mal Feind – das ändert sich in Millisekunden“ Mit Glück und Glanzparaden schaffte es die Landwirtstochter 2003 erstmals in die Nationalauswahl, spielte vor drei Jahren das Olympische Turnier in Peking und stand beim WM-Qualifikationsspiel gegen Ungarn Mitte Juni zum 124. Mal zwischen den Pfosten. Dass sie – numerisch gesehen – nie zur Nummer eins im DHB-Tor aufsteigen wird, damit kann Clara Woltering prima leben. „Das will ich so. Mit 16 Mit 16 in die Seniorenmannschaft, mit 17 – zwei Jahre vor dem Abitur – der Wechsel zu Bayer in die Bundesliga. Das war vor elf Jahren. Aber erst mit Ende 20 kommen Torhüter in ihre stärksten Jahre. „Also jetzt. Und da muss was kommen.“ Soll heißen? – „Ich hab meinen Vertrag noch mal um ein Jahr verlängert – das wird das Testjahr.“ Wenn es 2012 nicht mit der Meisterschaft klappt, so ihre Pläne, wird sie Ja sagen – zu einem anderen Verein. „Ich weiß, was ich an Bayer habe und auch eben nicht.“ Spanien, Österreich, Ungarn, Norwegen – neben Offerten der üblichen Verdächtigen im internationalen Frauenhandball reizte Woltering Anfang des Jahres ein Angebot besonders: das von Viborg HK, dem dänischen Meister und Champions- 39 40 s p o r t l a n d 04 41 In der nächsten Saison steht Clara Woltering (noch) für Anfang Juni jeden Jahres schaut die Bayer Leverkusen im Handballtor Tenniswelt nach Halle/Westfalen Gerry Weber Open biografie Clara Woltering, 28, Handballerin Erfolge: 124 Länderspiele, viermal deutsche Vizemeisterin, Deutsche Pokalsiegerin 2002, 2010, Europapokalsiegerin 2005, 6. der Weltmeisterschaft 2005 Verein: TSV Bayer 04 Leverkusen League-Sieger. Schon grübelt sie, „ob die mich nächstes Jahr auch noch wollen“. Aber warum hat sie dann das Angebot, in Europas Belle Etage spielen zu können, gerade erst abgelehnt? – „Weil ich zu Hause erst noch was regeln muss.“ Darüber reden wir jetzt. Zu Hause, im Münsterland, warten 250 Bullen und 70 Hektar Weizen, Gras und Mais darauf, dass Clara Woltering ihr prächtiges Gedeihen vorantreibt. Der elterliche Hof kommt ohne ihre Hilfe nicht aus. An zwei Tagen die Woche ist sie hier komplett im Einsatz, von Mittwoch bis Sonntag pendelt die jüngste von drei Töchtern der Wolterings zwischen Münster und Leverkusen. 125 Kilometer hin, 125 zurück. Die Agrarbetriebswirtin wurde zweimal zu Deutschlands Handballerin des Jahres (2009 und 2010) gewählt und ist Botschafterin der „Fördergesellschaft Neben dem Handball arbeitet sie im Marketing bei Bayer Cropscience, der Pflanzenschutzsparte des Weltkonzerns, engagiert sich in der „Fördergesellschaft Nachhaltige Landwirtschaft“ (FNL) und kämpft, wann immer sich die Gelegenheit bietet, „gern gegen Klischees“. Nachhaltige Landwirtschaft“ (FNL) Dreckige Landwirtschaft, Umweltbelastung, Massentierhaltung sind Bedingungen, mit denen die Botschafterin für eine ressourcenschonende Agrarwirtschaft aufräumen will – in Vorträgen und PRKonzepten genauso wie in der eigenen Praxis. Auf 400-Euro-Basis ist sie im Konzern beschäftigt, eine Leistungsvergütung für den Sport bekommt sie vom Verein, und einen Firmenwagen hat sie. Nicht genug, um einen Ersatzmann einzustellen, der ihre Arbeit im elterlichen Betrieb übernehmen könnte. Und auch deshalb haben Lockrufe potenter europäischer Handball-Ligen für die junge Frau aus Westfalen ihren Reiz. „Mit dem, was ich als Vollprofi bei einem Champions-League-Club mehr verdienen würde als hier und heute, könnte ich eine Fachkraft bezahlen, die gemeinsam mit den Eltern zu Hause den Betrieb schmeißt.“ Nur so könnte „das mit einem Auslandsengagement klappen“. Verantwortung, Ehrgeiz und Disziplin sind ihr selbstverständlich. „Mach was Gescheites, werd bloß nicht Landwirtin“, hatten die Eltern ihr gesagt, als sie mit vielen Plänen zu Hause auszog. Da hat sie wohl nicht richtig zugehört. Nach dem Abitur machte sie zunächst eine Lehre als Landwirtin. Studierte dann aber BWL in Köln. Betriebswirtschaftslehre, wie ihre zwei älteren Schwestern, das wäre doch was „Gescheites“. Doch nach zwei Semestern war klar: „Das wurde mir alles zu theoretisch.“ Sie wechselte den Ausbildungsgang und ist heute Staatlich geprüfte Agrarbetriebswirtin. „Mit der Verbindung von ‚Land‘ und ‚Wirtschaft‘ hab ich genau mein Ding gefunden.“ Es begann mit einer Idee, einem Rasenplatz, Stahlrohrtribünen und einem Tennisturnier für die zweite Garde. Gerhard Weber ließ vor 20 Jahren in einem westfälischen Kleinstädtchen erfolgreich Damenröcke, Blusen und Kostüme schneidern. Und da der Unternehmer äußerst sportbegeistert war, schuf er ein Tennisturnier, gab ihm seinen (Firmen-)Namen und platzierte es kurz vor Wimbledon. Daraus sind die Gerry Weber Open in Halle/Westfalen geworden, das wichtigste Rasentennisturnier vor dem Grand Slam in London. Nicht nur das: Die Freiluftanlage hat der Investor zu einer der schönsten und größten Multifunktionsarenen des Landes ausgebaut. Die Gerry Weber Open sind das größte Tennisereignis in Deutschland. Mehr als 100 000 Zuschauer füllten Anfang Juni wieder die Tribünen des grün-weißen Stadions auf der grünen Wiese. Zum 19. Mal traf sich die Weltelite des weißen Sports im kleinen ostwestfälischen Halle, gelegen zwischen Bielefeld und Osnabrück mit Blick auf die sanften Hänge des Teutoburger Waldes. Dieses Mal waren so viele Superstars (5 Top-Ten-Player) angereist wie nie zuvor, um sich auf das Tennisereignis des Jahres, das Turnier in Wimbledon, perfekt vorzubereiten. Für Roger Federer, den Schweizer Weltklassespieler, ist Halle zum Pflichttermin geworden. Er schlägt sich auf dem deutschen Rasen ein, der dem Grün auf dem englischen Center Court sehr ähnlich sein soll. Federer kommt nach Halle, solange er auf der ATP-Tour spielt, das hat er in einem „Lebenszeitvertrag“ mit den Westfalen so vereinbart. In Halle haben die Stars gespielt – und die vom Spitzensport nicht gerade verwöhnte Region begeistert. Henri Leconte war der umjubelte Liebling in den ersten Jahren, als das 1993 gestartete Turnier zum Ereignis wurde. Dann kamen Boris Becker, Michael Stich, Andre Agassi, kaum einer der großen Stars ließ das Turnier aus. Und Weber entwickelte aus seiner Marketingidee einen eigenen Sportveranstalter, der sich um die großen Events in vielen Sportarten bewirbt. Den Rasenplatz mit den Stahlrohrtribünen baute er nach und nach aus, bis zum Stadion mit 12 300 Zuschauern, das zusätzlich ein in 90 Sekunden zu schließendes mobiles Dach erhielt. Eine der modernsten Arenen Europas. Weber errichtete neben dem Stadion ein FirstClass-Hotel, damit die Sportler standesgemäß direkt an der Anlage wohnen können. Ein sportmedizinisches Zentrum mit exzellenten Ärzten und Wissenschaftlern, die nach neuesten Erkenntnissen und Methoden die Athleten behandeln, und eine fantastische Golfanlage komplettieren Gerry Webers Sportpark auf dem Lande zu einem der begehrtesten Sportplätze in Deutschland. Das Umfeld ist perfekt, die Zuschauer dankbar und immer zahlreich – eine solche Atmosphäre verknüpft mit perfekter Organisation lockt den internationalen Sport an. Die Handballweltmeisterschaft war 2007 mit mehreren Spielen zu Gast ebenso wie Basketball, Volleyball mit Länderspielen – und Boxen. Henry Maske war der Erste im Ring, er verteidigte in Halle gleich zweimal seinen Weltmeistergürtel. 42 porträt sarah poewe Die Weltenbummlerin Sarah Poewe wuchs in Kapstadt auf, studierte in den USA, schwimmt in Wuppertal und ist persönlicher Gast bei der Prinzenhochzeit in Monaco D ie Sonnborner Straße in Wuppertal ist eine dieser Straßen, in denen das Stadtleben seinen dörflichen Charakter bewahrt hat. In der Gaststätte „Alt Sonnborn“, im Bioladen gegenüber und ein paar beige, grau oder erbsengrün gestrichene Häuser weiter kennt man sich. Wuppertal-Sonnborn ist ziemlich weit entfernt von den Orten, an denen Sarah Poewe bislang gelebt hat. Kapstadt, Südafrika. Athens, Georgia (USA). Los Angeles, Kalifornien. Aber jetzt sitzt Poewe im Eiscafé „Gardasee“. Seit Ende Januar wohnt die Schwimmerin gleich um die Ecke. An ihrem linken Ringfinger schimmern silbern die olympischen Ringe. Sie sind der Grund, warum Sarah Poewe hier ist: 2012 will sie in London Bestleistungen bringen. Und Wuppertal ist eben nicht nur Freilichtmuseum, sondern auch Sitz des SV Bayer, in dessen Leistungszentrum die Kaderathletin trainiert. Aufgewachsen ist die Spezialistin auf den Bruststrecken in Kapstadt, als Tochter einer südafrikanischen Mutter und eines deutschen Vaters. Bis 2001 startete Sarah Poewe für Südafrika, auch bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney. Bei den Europameisterschaften 2002 schwamm sie das erste Mal für Deutschland. Athen und Peking folgten für die mehrfache Deutsche Meisterin und Gewinnerin der Bronzemedaille bei Olympia 2004. London sollen ihre vierten Spiele werden, eine außergewöhnliche Leistung bei den Zehntelsekundenjägern auf der 50-Meter-Bahn. Den ersten Schubser ins Becken verpasst ihr der ältere Bruder Jean-Claude während ihrer Zeit in Malente, Schleswig-Holstein. Er nimmt die kleine Sarah mit in den Schwimmverein. Mit zehn beginnt sie ernsthaft zu trainieren. Von da an ist sie mehrere Monate pro Jahr unterwegs, in Trainingslagern und zu Wett- kämpfen. „Ich wollte das“, sagt die 28-Jährige mit den breiten Schultern, die ihren kraftintensiven Sport verraten. Als Sarah Poewe mit 18 Kapstadt endgültig verlässt, ist das Reisen bereits ihr Alltag. Die Übersiedlung ins Land ihres Vaters hat auch mit der Karriere zu tun. „Die Möglichkeiten, professionell zu schwimmen, waren in Deutschland besser“, sagt Sarah Poewe. „Von Südafrika aus muss man ja immer richtig weit reisen, um internationale Wettkämpfe zu schwimmen.“ Aber: „Kapstadt wird immer meine Heimat bleiben.“ Südafrika, das ist Vergangenheit. Die Gegenwart ist Wuppertal. „Wenn ich hier bin, fühle ich mich schon deutsch.“ Gut: Die Deutschen könnten etwas lockerer sein. Gleiches gelte aber für die Amerikaner, wo sie acht Jahre lebte, studierte und trainierte. An der Wupper hat sie ihre eigene Wohnung, zwei Zimmer in einem Altbau mit Blick auf ein Fachwerkhaus, Baujahr 1743. Zehn Minuten braucht sie von hier aus zum Leistungszentrum, für ihr Krafttraining muss sie nur über die Wupper, wenige Minuten zu Fuß. Ende Juni wird sie Wuppertal in eine ganz andere Richtung verlassen: Sarah Poewe ist Gast der Glamour-Hochzeit des Sommers – der des monegassischen Fürsten Albert und der ehemaligen südafrikanischen Schwimmerin Charlene Wittstock in Monte Carlo. Mit der Braut schwamm sie vier Jahre für das südafrikanische Nationalteam, bei Wettkämpfen und Lehrgängen teilten sie das Zimmer. Wenn die beiden Schwimmerinnen sich jetzt wiedersehen, trägt die eine wohl ein von Pariser Couturiers gefertigtes weißes Brautkleid. Die andere setzt bei der Wahl der Festrobe auf die Künste einer Wuppertaler Designerin. Sarah Poewe ist angekommen. biografie Sarah Poewe, 28, Schwimmerin (Brust) Erfolge: Olympische Spiele 2000 (für Südafrika): 4. Platz (100 m Brust)/6. Platz (200 m Brust), Olympische Spiele 2004: 5. Platz (100 m Brust)/3. Platz (Staffel 4 x 100 m Lagen), Weltmeisterschaft 2005: 3. Platz (4 x 100 m Lagen), Olympische Spiele 2008: Teilnahme. Bis 2009 zwei Europarekorde, sieben deutsche Rekorde, 15-fache Deutsche Meisterin Verein: SV Bayer Wuppertal 43 44 porträt anke feller 45 Die Quereinsteigerin Anke Feller holte in Athen WM-Gold mit der 4 x 400-Meter Staffel, wurde Journalistin und Sportfunktionärin – Karrieren, die sie mit viel Engagement betreibt E ins ist beim Treffen mit Anke Feller sofort klar: Sie ist niemand, der unauffällig im Hintergrund bleiben kann. Nicht, weil sie ständig angestrengt ins Zentrum der Aufmerksamkeit drängen würde. Sondern einfach, weil sie ist, wie sie ist: Groß. Athletisch. Attraktiv. Und von mitreißender Energie. Als Sprinterin war Anke Feller mit der 4 x 400-Meter-Staffel Weltmeisterin, Weltcupsiegerin und Europameisterin. Inzwischen ist die 39-Jährige erfolgreiche Moderatorin, Reporterin und Autorin für Radio- und Fernsehsender – und seit dem Frühjahr Vorstandsvorsitzende der Sportstiftung NRW. Mit Feller Schritt zu halten, ist nicht ganz einfach. Ihr Gang ist der einer Läuferin, federnd, raumgreifend. Zielstrebig durchquert sie jetzt den Leverkusener Neuland-Park in Richtung des Ausflugslokals „Wacht am Rhein“, hinten rauscht die A1, vorn rauchen die Schlote des Bayer-Werks, rechts fließt der Rhein. Anke Feller ist auch heute immer in Bewegung, als berufstätige Mutter eines vierjährigen Sohnes und jetzt eben auch ehrenamtliche Funktionärin. Der enge Takt der Termine beschleunigt ihren Alltag. Hektisch macht sie das kein bisschen. „Jetzt einen Kaffee in der Sonne, das wär es doch“, sagt sie, und ihre Schritte werden noch etwas länger. Die Übernahme des Vorsitzes der NRW-Sportförderung hat Anke Feller nicht gezielt angestrebt. Sie hat sich sogar ziemlich herausgehalten aus den üblichen Funktionärskreisen, bis sie Anfang des Jahres gefragt wurde, ob sie den Posten übernehmen wolle. Für sie selbst kam das völlig überraschend. Sie erbat sich Bedenkzeit – und sagte dann sehr schnell zu. Wichtige Entscheidungen bräuchten bei ihr eigentlich lange, sagt Anke Feller, „aber ich bin schnell, wenn mich etwas begeistert“. Anfang April wählte das Kuratorium der Stiftung sie zur neuen Chefin. Ein Quereinstieg also – womit gleich eines der wichtigsten Themen der Sportfunktionärin Anke Feller benannt wäre: der oftmals holprige Umstieg zwischen einer Karriere als Leistungssportler in das Berufsleben danach. Denn außer den – männlichen – Fußballprofis können nur wenige Athleten ihr Leben lang von den erlaufenen, erschwommenen, erspielten Geldern zehren. „Ich habe häufig Kollegen erlebt, die nur auf den Sport fokussiert waren und gesagt haben: Ach, da wird sich schon was ergeben. Das war ja auch immer so, dass dann der Vereinsboss jemanden kannte und Vitamin B ins Spiel kam“, erinnert sich Anke Feller. „Heute ist das anders – da muss man etwas vorweisen können.“ Nach ihrem Abitur wollte Anke Feller eigentlich Krankengymnastin werden, gab aber dem Sport den Vorrang. Neben dem Training bei Gerd Osenberg in Leverkusen studierte sie an der Kölner Sporthochschule. Ihr Schwerpunkt: Leistungs- und Breitensport. Der Einstieg in ihren heutigen Beruf war: ein Quereinstieg. Und dazu noch ein riesiger Zufall. Vor elf Jahren lernte Anke Feller bei einem SportEmpfang die zukünftige Chefredakteurin von „Radio Leverkusen“ kennen, „witzigerweise“, sagt sie heute. Man kam ins Gespräch, und sie bot Feller einen Praktikumsplatz im Sender an, falls sie Interesse habe. Ein Jahr später verpasste Anke Feller die Qualifikation für die Weltmeisterschaften. Einen kompletten Monat hatte sie sich für die Wettkämpfe frei gehalten. Den, beschloss sie, würde sie nun eben anders nutzen – und machte das Praktikum, erst beim Radio, dann beim WDR-Fernsehen. Beide Redaktionen boten ihr an, als freie Mitarbeiterin weiterzumachen. Feller nahm an. 46 s p o r t l a n d 05 47 accabor empero eressitas Ecae serat dolupta quo beatis ut vitate velestio. Ic tempost autet ped qui recuscitis estrum tistrum ius, evendi o dolup is digen esecum sundici aspe Bild wird ersetzt Leichtathletik-WM 1997 in Athen: Anke Feller (Zweite von rechts) Ihre Erfolge wurden durch die Unterstützung der Sportstiftung NRW wird mit der deutschen 4 x 400-Meter-Staffel Weltmeisterin erst möglich: Vizeweltmeisterin und Siebenkämpferin Jennifer Oeser Sportstiftung NRW biografie Anke Feller, 39, Leichtathletin Erfolge: mit der 4 x 400-Meter-Staffel Europacupzweite 1996, Weltmeisterin 1997, Europameisterin und Weltcupsiegerin 1998, WM-Dritte 1999, Olympische Spiele 2004 (Teilnahme, ohne Einsatz) Verein: TSV Bayer 04 Leverkusen Persönliches: verheiratet mit dem ehemaligen Basketballprofi Helge Kuprella, 2007 kam ihr Sohn auf die Welt. Im April wurde Feller zur Vorstandsvorsitzenden der Sportstiftung NRW gewählt Naja könnte man jetzt denken, ist sie halt so reingerutscht. Tatsächlich bedeutete der Berufseinstieg für Anke Feller drei Jahre Doppelbelastung. Ab 2003 moderierte sie die Frühsendung von „Radio Leverkusen“, morgens von 6 bis 9 Uhr. Das hieß: 4 Uhr aufstehen, in den Sender fahren, arbeiten. Mittags nach Hause kommen, zwei Stunden schlafen, dann ab zum Training. „Wenn der Biorhythmus so richtig unten war, dann musste ich Tempoläufe machen“, sagt Feller. Sie lacht, während sie das erzählt. Ihr großes sportliches Ziel schaffte sie auch: die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2004. Sie fuhr nach Athen, dorthin, wo sie 1997 mit der Staffel WM-Gold geholt hatte. Laufen durfte sie aber nicht, und die deutsche Staffel schied im Halbfinale aus. Ohnehin war für Anke Feller klar: „Danach höre ich auf. Die Belastung war einfach zu hoch. Außerdem konnte ich mich so weder in den Sport noch in den Beruf voll reinhängen.“ Zwei Monate lief sie danach überhaupt nicht. „Man soll ja eigentlich abtrainieren. Aber ich habe das überhaupt nicht vermisst“, sagt Feller und muss wieder lachen. Inzwischen ist der Sport willkommener Ausgleich zu ihrem Alltag. Der besteht zu einem guten Teil aus dem Einfinden in die Stiftungsarbeit, also vor allem Gesprächen mit den Vertretern der beteiligten Institutionen wie der Landesregierung, dem Landessportbund, dem Deutschen Forschungszentrum für Leistungssport „mo- mentum“, den Vereinen. „In den letzten Jahren ist durch die Stiftung schon viel verändert worden. Ziel war dabei immer, das Trainingsumfeld für die Sportler optimal zu gestalten, etwa durch mehr Trainerstellen. Jetzt wollen wir uns um die Athleten selber kümmern“, erklärt Anke Feller. Einen Schwerpunkt will sie auf eine präventive Gesundheitsförderung bei den Sportlern setzen – „auch durch Frusterlebnisse wie lange Verletzungszeiten gehen dem Sport Athleten verloren. Das können wir verhindern, wenn wir Schwächen frühzeitig erkennen.“ Wichtig ist ihr aber vor allem die duale Karriereplanung. „Die jungen Sportler sollen Schule, Studium und Ausbildung und einen Olympiasieg schaffen – und das am besten, bevor sie 25 sind“, beschreibt Feller den Druck, der auf den Athleten lastet. Die bekämen die Doppelbelastung immer früher zu spüren, auch weil in Zeiten wirtschaftlicher Krisen Sponsorengelder weniger locker säßen. Umso wichtiger werden neben öffentlichen Fördergeldern Strukturen und Menschen, die helfen, die Herausforderungen miteinander zu vereinbaren. „Ich habe mir meinen Weg selber gesucht“, bilanziert Anke Feller. „Ich hätte gern ein Volontariat, eine journalistische Ausbildung gemacht. Aber darauf bin ich erst zu spät gekommen, da war ich schon zu alt“, sagt sie. „So werde ich immer Quereinsteigerin bleiben.“ Gut zehn Jahre ist es her, dass die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen die Gründung der Sportstiftung NRW initiierte. Die Schaffung einer Organisation war notwendig geworden, um dem Nachwuchs Perspektiven für den Leistungssport zu geben, Trainerausbildung und Trainingsbedingungen zu verbessern. Von Beginn an engagierte sich die zweifache Olympiasiegerin Heide Rosendahl für die Stiftung, mit Anke Feller hat nun eine ehemalige Spitzensportlerin den Vorsitz übernommen. Michael Vesper, früher Sportminister in Nordrhein-Westfalen und heute Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), nennt das NRWModell „bundesweit beispielgebend, wenn es um die systematische Förderung des Nachwuchses im Leistungssport geht“. Für Stiftungsvize Heide Rosendahl ist mit der Sportstiftung „in den ersten zehn Jahren die grundlegende Basis für die Förderung des Leistungssports gelegt. Jetzt werden wir sehr gezielt die Athleten unterstützen.“ Die Leverkusenerin engagierte sich nicht nur für die Stiftung, sondern trat verstärkt als Botschafterin für den Sport in Nordrhein-Westfalen an, so für die Olympiabewerbung der Region Rhein-Ruhr. Wenn es auch nicht ganz gereicht hat mit den ambitionierten Plänen von Düsseldorf & Co, so ist eines geblieben: Es hat eine Identifikation der Sportler mit ihrem Land gegeben. Die ist heute überall zu spüren, die Sportler selbst sind unter dem Begriff „Sportland Nordrhein-Westfalen“ enger zusammengerückt. Beigetragen hat zu diesem neuen Wirgefühl wesentlich die Sportstiftung mit mehr als 30 Millionen Euro, mit denen sie im ersten Jahrzehnt zusätzlich die Spitzensportförderung unterstützte. Im Fokus der Förderung stehen alle Sportler, die eine realistische Chance auf die Teilnahme an Olympischen Spielen und Paralympics haben. Athleten mit geringem monatlichen Einkommen können schon jetzt monatlich eine finanzielle Unterstützung bekommen, außerdem fließt bei Medaillengewinnen eine ordentliche Prämie. Diese individuelle Förderung soll in den nächsten Jahren verstärkt werden. Damit will man der sportlichen Nachwuchselite in Nordrhein-Westfalen eine optimale Karriereentwicklung auf sportlicher und beruflicher Ebene ermöglichen. Die neue Vorsitzende Anke Feller betont, dass nichts wichtiger sei, als „einen optimalen Verbund von Schule, Hochschule, Ausbildung und Hochleistungssport“ zu schaffen. Die Sportstiftung finanzierte im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens besonders die Anstellung von Trainern und unterstützte den Aufbau von Sportinternaten. Auch die wissenschaftliche Begleitung, sportmedizinische Untersuchungen sowie Anti-Doping-Maßnahmen wurden und werden unterstützt. Die Stiftung ermöglichte so die Schaffung von 140 neuen Arbeitsstellen im und rund um den Sport in NordrheinWestfalen. 48 49 Ursula Holl Linda Bresonik I S n ihrer Wohnung in der Kölner Südstadt hat Ursula Holl eine Postkarte mit dem Slogan „Verliebt in Köln“ an die Wand gepinnt. Die gebürtige Würzburgerin scheint den rheinischen Frohsinn verin- nerlicht zu haben – obwohl sie erst seit anderthalb Jahren hier lebt. Denn der Torfrau kann fast nichts die gute Laune verderben. ie sei nicht die Runde, sondern die Eckige, hat sich Linda Bresonik einmal selbst beschrieben. Sie sagt, was sie denkt, auch wenn sie sich damit manchmal unbeliebt macht. Auf dem Platz aber geht sie dahin, wo sie gebraucht wird. Sie mag Shopping und schnelle Autos, aber am meisten hängt sie an ihrer Heimatstadt. Kompliziert? Nein. Nur anders, als man denkt. „Das rheinische Naturell liegt mir sehr gut, weil ich immer versuche, authentisch zu sein. Und ich freue mich, wenn das mein Umfeld Für die Mannschaft ist Linda Bresonik vor allem: die Vielseitige. Sie auch ist“, sagt Holl. Als sie im Juni vergangenen Jahres ihre Freun- spielt statt im Mittelfeld auch mal in der Abwehr, wenn es nötig ist. din Carina heiratete, galt sie indes auf einmal nicht nur als authen- Schon mit 16 war sie Leistungsträgerin in ihrem Verein, dem FCR tisch, sondern wurde gleich zur Vorreiterin eines neuen, offenen Duisburg, mit 17 gab sie ihr Debüt in der A-Nationalmannschaft. Sie Umgangs mit Homosexualität im Fußball erkoren. Dabei war das ist schnell, spielt beidfüßig, ihre Pässe kommen an. doch ihre Privatsache. Sie nahm es gelassen. Warum sie als schwierig gilt? Schwer zu sagen, meint Bresonik. „Viel- Weltmeisterinnen-Jubel: Das deutsche Frauenteam nach dem Finalsieg bei der Fußball-WM vor vier Jahren Die Spielerinnen Zum Team der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft gehören acht Frauen aus Nordrhein-Westfalen Holl, die außerhalb ihrer Familie nur Uschi genannt wird, ist aber leicht liegt es daran, dass die meisten Menschen immer nur das Gute ziemlich gut darin, das Beste aus einer Lage zu machen. Als sie hören und nicht mit dem Unangenehmen konfrontiert werden wollen, 1999 in die Bundesliga wechselte, war sie lange nur die Nummer weil sie Angst davor haben.“ Sie sei eben kein Jasager. Dass das nicht zwei. Obwohl sie, wenn sie spielte, immer gut war. 2007 wurde sie bei jedem gut ankommt, weiß sie. Ihre Meinung sagen zu können, ist dank zwei gehaltenen Elfmetern zur Heldin des Pokalfinales zwi- ihr trotzdem wichtiger. schen dem 1. FFC Frankfurt, ihrer damaligen Mannschaft, und dem FCR Duisburg. Danach war sie zumindest in der Bundesliga die Aber sie ist ein Teamplayer: Nach ihrem Elfmetertor bei der EM 2009 Nummer eins, erst beim SC 07 Bad Neuenahr, später in Duisburg. gegen Norwegen rannte sie zur Seitenauslinie, um mit den Ersatz- In der Nationalmannschaft ist noch Nadine Angerer gesetzt im Tor. spielerinnen zu jubeln. Das Zimmer teilt sie mit Torfrau Nadine Ange- Aber: Holl gehört zum Kader. Alles andere kommt schon noch. rer – weil niemand anderes wollte. Denn Angerer löscht laut eigenen Angaben nie vor zwei Uhr nachts das Licht. Sie und Bresonik, sagte Schlechte Laune bekommt sie allerdings, wenn sie Hunger hat. Er- Angerer in einem Interview, seien aber „ein Klasseteam“. nährung ist ein großes Thema in ihrem Leben. In ihrer Küche reihen A uch an diesem Vormittag werfen nur die Schönwetterwolken Schatten auf den akkurat gemähten Rasen. Postkartenidylle gegen Ende des vierten Lehrgangs der deutschen Frauennationalmannschaft in der Sportschule Bitburg. Nach und nach, in kleinen Grüppchen, trudeln die Spielerinnen nach ihrem Frühstück auf dem Trainingsplatz ein, vom Hotel ist es nur ein kurzer Fußweg. Es herrscht Harmonie. Schließlich kennen sich die Spielerinnen. Aus der Nationalmannschaft oder aus den Topclubs der Bundesliga. Acht von ihnen haben vor der WM in NRW gespielt – Inka Grings, Linda Bresonik, Annike Krahn, Simone Laudehr, Alexandra Popp und Torfrau Ursula Holl beim FCR 2001 Duisburg, Lisa Weiß von der SG Essen-Schönebeck und Sonja Fuss aus Duisburg stehen für den Kader auf Abruf bereit. sich Vorratsgläser mit Getreide, Körnern und Nüssen, per Fernstu- Während Angerer den Paradiesvogel der Mannschaft gibt, ist Linda dium lernt sie Ernährungswissenschaften. Sie backt leidenschaft- Bresonik das heimliche Glamour-Girl. Ihre markante Kurzhaarfrisur lich gern, ihre Freunde schätzen ihre Qualitäten als Gastgeberin. ist fast schon Markenzeichen, und beim Promo-Termin mit Sponsor Mercedes war sie in ihrem Element. Nach der WM plant sie einen Zu ihrem Geburtstag kommen dieses Jahr 70 000 Gäste – der ist Urlaub in der Sonne inklusive Jetskitouren, einer Ballonfahrt und nämlich am 26. Juni, wenn die deutsche Frauenelf zum Eröff- eines Fallschirmsprungs. nungsspiel der WM im Berliner Olympiastadion aufläuft. Vielleicht Die Spielerinnen sind so vielseitig wie das Bundesland, in dem sie spielen – da gibt es die Frohnatur Ursula Holl und die besonnene Annike Krahn, Durchstarterin Simone Laudehr und Debütantin Alexandra Popp, die erfahrenen Spielerinnen Inka Grings und Linda Bresonik. Doch trotz aller Unterschiede: Sie sind ein Team. Mit dem gleichen großen Traum: dabei zu sein bei der WM im eigenen Land, die auch an den Spielorten Leverkusen, Bochum und Mönchengladbach ausgetragen wird. holt Ursula Holl die private Party trotzdem nach. Ihre Hochzeits- Höher, schneller, weiter – das ist aber nur so lange ihr Ding, wie es feier hat sie auf den Geschmack gebracht: „Am liebsten würde ich danach auch wieder nach Hause geht. „Ich bin total heimatverbun- ehrlich gesagt jedes Wochenende so ein Fest feiern, weil es ein- den und kann mir schwer vorstellen, aus Essen wegzuziehen“, sagt fach toll war.“ sie. Hier wohnen ihre Familie, ihre Freunde – „Das ist das Wichtigste Ursula Holl, 29, Torfrau. Verein: FCR 2001 Duisburg. Weltmeisterin 2007, Europameisterin 2005, 2009, Bronze bei den Olympischen Spielen 2008, UEFA-Cup-Siegerin 2002, 2006, Deutsche Meisterin 2001, 2002, 2003, 2007, DFB-Pokalsiegerin 2001, 2002, 2003, 2007, 2010. Seit 2009 ist die gelernte Bankfachwirtin Sportsoldatin für mich.“ Eigentlich doch ganz unkompliziert. Linda Bresonik, 27, Abwehr/Mittelfeld. verein: Bisher beim FCR 2001 Duisburg, kürzlich gab Bresonik bekannt, dass sie den Verein verlässt. Weltmeisterin 2003, 2007, Europameisterin 2001, 2009, Bronze bei den Olympischen Spielen 2008, UEFA-Cup-Siegerin 2009, DFB-Pokalsiegerin 2009, 2010. Gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau 50 51 Die Nationalspielerinnen aus dem Sportland Nordrhein-Westfalen waren zusammen mit ihrer Trainerin Silvia Neid Sonja Fuss (WM-Spielerin auf Abruf), Ursula Holl, Simone Laudehr, Annike Krahn, Inka Grings (obere Reihe von links) (oben rechts) beim Fotoshooting in Bitburg bester Laune: sowie Lisa Weiß (WM-Spielerin auf Abruf), Alexandra Popp, Linda Bresonik (knieend von links) 52 53 Simone Laudehr I Mit Anfang 20 kommentiert sie nun auf ihrer Website sehr abgeklärt 1996 gab sie ihr Debüt in der Nationalmannschaft, bei der WM 1999 die sportliche Situation ihres Vereins und findet gewählte Worte für in den USA schoss sie im zweiten Gruppenspiel gegen Mexiko die überraschende Entlassung von Trainerin Martina Voss-Tecklenburg. drei Tore. Bei der EM 2009 wurde sie zur besten Spielerin gewählt. Über die Heiratsanträge im Gästebuch muss sie eher schmunzeln. Aber immer wieder warfen langwierige Verletzungspausen sie zurück. 2001 verpasste sie die EM in Deutschland, 2003 wegen einer Die Prämie für den WM-Titel 2007 hat sie in einen Bausparvertrag Zerrung die WM. „Das Ruhrgebiet ist einfach meine Heimat“, sagt Krahn. „Ich bin hier geboren, aufgewachsen und wohne immer noch da, weil ich investiert. „Ich will mir mal ein Häuschen bauen“, erklärte sie da- m Finale der WM 2007, vier Minuten vor Abpfiff, köpfte Simone mals. Im Moment würde sie den Grundstein noch in ihrer Heimat Manchmal warf sie sich aber auch selbst zurück – zumindest war mich hier richtig wohlfühle.“ Das Klischee, das sie am meisten är- Laudehr den Ball zum 2:0 ins brasilianische Tor. Weltbekannt wur- legen, in der Nähe von Regensburg. das der öffentliche Eindruck. „Ich finde nicht, dass ich zu direkt bin, gert: „Dass die Luft bei uns so schlecht sei, obwohl die Landschaft im Gegenteil“, sagt Grings. „Offen und ehrlich seine Meinung zu sa- hier sehr grün und schön ist.“ de sie aber durch ihren Torjubel inklusive hochgehobenen Trikots. Simone Laudehr wurde zum Gesicht, oder besser: zum Bauch der Ist sie auch irgendwann mal unvernünftig? „Das verrate ich nicht“, gen, erachte ich als eine positive Eigenschaft. Nur beim Meckern WM. Seitdem ist sie eine der Vorzeigefrauen, die das Image ihrer grinst Laudehr. Eine sehr vernünftige Antwort. auf dem Platz müsste ich mich vielleicht noch etwas zügeln und die- Über solche Vorurteile kann sie sich aufregen. Und über Ungerech- se Energie ins Positive umsetzen. Und ich habe auch schon gelernt, tigkeiten. „Ansonsten denke ich, bin ich nicht sehr emotional – zu- dass es in manchen Situationen besser ist, den Mund zu halten.“ mindest nicht nach außen hin“, formuliert Krahn. Interviewfragen Sportart noch weiter in Richtung eines jungen, frischen Glamours rücken sollen. Dabei ist Laudehr eigentlich ziemlich bodenständig. Simone Laudehr, 24, Mittelfeld. Verein: FCR 2001 Duisburg. Weltmeisterin 2007, Bronze bei den Olympischen Spielen 2008, Europameisterin 2009, U19-Weltmeisterin 2004, UEFA-Cup-Siegerin 2009, DFB-PokalSiegerin 2009, 2010. Die gelernte Bürokauffrau und Sportsoldatin spielt in ihrer Freizeit gerne Basketball beantwortet sie mitunter genauso schnörkellos, wie sie spielt. Ver2006 wurde sie nach Unstimmigkeiten erst von ihrem Verein sus- schlossen ist sie nicht: Auf ihrer Internetseite bloggt sie regelmäßig pendiert, dann flog sie aus dem Kader für die WM 2007, weil sie über Spiele und Trainingslager, beantwortet Fan-Fragen und verrät, konnte. Erst ein paar Wochen vorher war sie in den A-Kader aufge- Leistungstests verpasste. „Ich kann das, was damals passiert ist, dass sie Süßigkeiten und den Curryreis ihrer Mutter liebt. rückt, und jetzt das: Interviews, Fotoshootings, Sponsorentermine – nicht mehr rückgängig machen“, sagt Grings heute über diese Zeit. auf einmal war da kaum noch Sport in ihrem Leben. „Ich hatte nach „Deswegen lasse ich heute einfach viele Dinge, die mich an diese Zum Dauergast in Talkshows und auf roten Teppichen wird Krahn der WM einfach sehr wenig Zeit für mich und zum Durchatmen. Ich Zeit erinnern, an mir abprallen und versuche nach vorne zu schauen wohl dennoch nicht werden. Chichi? Ohne sie. „Ich würde mich musste direkt danach für zwei Monate zur Bundeswehr, hatte auch und voranzukommen.“ Es funktioniert: Die gebürtige Düsseldorfe- durchaus als bodenständig bezeichnen, da es für mich keinen dort keinen richtigen Alltag. Das war eine sehr belastende Situation rin spielt bis heute für den FCR Duisburg. Mit anhaltendem Erfolg. Grund gibt, mich zu verändern, nur weil ich sportlich erfolgreich damals, gerade auch mental“, sagt sie heute. Sie brauchte Abstand, Und jetzt auch wieder in der Nationalmannschaft. bin“, sagt sie, ganz Pragmatikerin. Nach ihrem Tor – und dem Jubel – schoss die Karriere von Simone Laudehr so schnell voran, dass ihre Gefühlswelt kaum Schritt halten am Ende auch vom Fußball. Inka Grings wird sich vor den Spielen mit den Songs der amerikani- Sie engagiert sich lieber für das Projekt „sozialgenial“, das regiona- Ein Vierteljahr dauerte es, dann hatte sie sich gefangen. Nicht nur auf schen Pop-Göre Pink einstimmen. Vor Kurzem war sie auf einem les bürgerschaftliches Engagement von Schülern fördert. „Es leben dem Rasen ist die gertenschlanke 24-Jährige robuster, als sie aus- Konzert von Schlager-Wiedergänger Matthias Reim, „das echt irre einfach so viele Kinder und Jugendliche in unserer Nachbarschaft sieht. Fußball spielt sie, seit sie drei Jahre alt ist, und weil sie auch gut war. Anschließend durfte ich ihn sogar persönlich kennenlernen. oder Umgebung, denen es nicht so gut geht wie den meisten von später jede Minute ihrer Freizeit damit verbrachte, meldeten ihre El- Ich glaube, das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich auf- uns. Wir leben sozusagen Tür an Tür mit ihnen, deswegen müssen tern sie beim FC Tegernheim an. Begründung: „Wenn du eh immer geregt war.“ wir ihnen auch helfen“, sagt sie. Auch ziemlich pragmatisch. hen.“ Pragmatismus, von dem Laudehr eine Menge mitgenommen Ein bisschen aufgeregt dürfte sie aber auch jetzt sein. Immerhin Was sie sonst auszeichnet, ist vor allem ihr Ehrgeiz. Im August, hat, als sie mit 17 nach München zog, um für den FC Bayern in der geht ein Traum in Erfüllung. zehn Monate vor der WM, riss beim Champions-League-Qualifikati- mit den Jungs spielst, dann kannst du auch gleich in den Verein ge- Bundesliga aufzulaufen. Eine Saison später ging es noch weiter weg: nach Duisburg. „Ich hatte damals großes Heimweh, da mir meine Familie sehr wichtig ist“, blickt Laudehr zurück. Der Oberpfälzer Einschlag in ihrer Sprache verrät, dass ihre Heimat woanders ist als hier im Ruhrgebiet. „Aber je älter ich werde, desto eingespielter ist die Situation, und ich habe gelernt, sie so zu bewältigen, dass ich einigermaßen damit klarkomme.“ Inka Grings I ncredible Inka wird sie genannt, weil sie Tore mit rechts, links oder onsturnier in Nordirland das Kreuzband ihres linken Knies – ein schwerer Rückschlag vor dem wichtigen Turnier. Aber Krahn kämpfte sich durch die Reha. Vier bis sechs Stunden täglich. Mit Erfolg. Andere sagten über sie, sie sei für jeden Spaß zu haben, meint per Kopf macht. Sechsmal war die Stürmerin Bundesliga-Tor- Krahn. Offenbar nicht nur eine Floskel: Zusammen mit Alexandra schützenkönigin, ihr Rekord von 38 Toren in der Saison 1999/2000 Popp hat sie mit der Kombo „Sportrock“ den Song „Fußballsom- ist bis heute ungeschlagen. Genauso wie der schnellste Hattrick der Bundesliga-Geschichte: drei Tore in vier Minuten gegen den SC 07 Bad Neuenahr im Meisterschaftsspiel 2004/2005. Eine geradlinige Sportlich hatte sie ohnehin nie Probleme, anzukommen: Beim FCR Inka Grings, 32, Stürmerin. Verein: FCR 2001 Duisburg. 61 Tore in 87 Länderspielen, Europameisterin 2005, 2009, Bronze bei den Olympischen Spielen 2000, Uefa-Cup-Siegerin 2009, Deutsche Meisterin 2000, DFB-Pokalsiegerin 1998, 2009, 2010. Die gelernte Bürokauffrau lebt in Köln Erfolgsgeschichte? Das nicht. Aber eine mit Happyend. Duisburg wurde sie genauso schnell zur Leistungsträgerin wie später Annike Krahn B ochum, ich komm aus dir, Bochum, ich häng an dir“, sang Herbert Grönemeyer. Er lebt längst nicht mehr hier. Annike Krahn in der Nationalmannschaft. „Für mich war es ein ganz normales Er- „Es ist meine zweite Weltmeisterschaft und sicherlich auch meine wachsenwerden einer jungen Fußballerin, nichts Außergewöhnliches. letzte. Und was gibt es dann Schöneres, als eine WM im eigenen Klar war ich zwar in der Mannschaft ein junges Küken, aber ich bin Land zu spielen? Es ist etwas, von dem ich schon immer geträumt anderer Clubs. Selbst Theo Zwanziger nennt sie „mein Ruhrpottmäd- langsam in meine Rolle hineingewachsen, das war schon o.k. so, wie habe und nie gedacht hätte, dass dieser Traum einmal in Erfüllung chen“. Für sie ist das eine Auszeichnung. es gelaufen ist“, sagt Laudehr. geht“, sagt Grings. ist noch da. Wohnt nach wie vor in Bochum, wo sie aufgewach- sen ist, und spielt für den FCR Duisburg. Trotz zahlreicher Angebote mer“ aufgenommen. „Als die Anfrage kam, haben Poppi und ich spontan zugesagt, weil wir die Idee einfach cool fanden“, sagt Krahn. Immerhin kommt die Band aus Bochum – und Nachbarschaftshilfe ist schließlich Ehrensache. Annike Krahn, 25, Abwehr. Verein: FCR 2001 Duisburg. Weltmeisterin 2007, Bronze bei den Olympischen Spielen 2008, Europameisterin 2009, UEFA-Cup-Siegerin 2009, DFB-Pokalsiegerin 2009. Hat in diesem Jahr ihr Diplom im Fach Sportwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum gemacht 54 55 Aber die Heimatstadt dauerhaft verlassen? Auf keinen Fall. Für zwei sogar in der zweiten Liga. Der Vertrag mit dem 1. FC Köln sollte Monate hat sie es mal mit Essen versucht, in einer WG mit einer der gebürtigen Bonnerin, die heute in Köln lebt, Zeit sparen. Denn Mitspielerin. Danach fuhr sie lieber wieder jeden Tag. „Düsseldorf“, anders als viele Sportlerinnen hat sich Sonja Fuss auch bei der sagt Weiß bestimmt, „ist einfach die schönste Stadt der Welt.“ Das Wahl ihres Studienfachs nicht für das Naheliegende entschieden: Bis sie 14 war – also gut zehn Jahre lang – spielte sie in der Jungen- muss sich auch Mannschaftskollegin Inka Grings ab und zu mal Sie studiert Architektur. Mit dem Leistungssport ist das eigentlich mannschaft des FC Schwarz-Weiß Silschede, am Nordrand des ie Freunde von Lisa Weiß bezeichnen die Torfrau schon mal anhören. Die kommt zwar auch aus der Landeshauptstadt, lebt kaum vereinbar. Ruhrgebiets. „Für mich gab es eben einfach nur die Jungs-Liga, in als „Freak“. Aber richtig gute Torhüter sind schließlich oft Ex- aber in Köln und ist auch noch FC-Fan. Das, sagt Weiß und grinst, zentriker. Und Weiß ist immerhin die Nummer drei der Natio- geht eigentlich gar nicht. Lisa Weiß D nalmannschaft, die Nummer eins der SG Essen-Schönebeck – und längst mehr als nur ein Talent im Tor. Lisa Weiß, 23, Torfrau. Verein: SG Essen-Schönebeck. Europameisterin 2009. Studiert Sportwissenschaften und Germanistik der ich und ein weiteres Mädchen mitgespielt haben. Und da dachte Aber die 32-Jährige hat sich daran gewöhnt, an ganz unterschiedli- ich eben, dass wir die zwei einzigen Frauen sind, die Fußball spielen“, chen Fronten zu kämpfen. Zur Not auch gleichzeitig. Früher wurde sagt sie. Zugegeben: Das sei vielleicht etwas naiv gewesen. Aber so sie manchmal aufgerieben zwischen den so unterschiedlichen Po- sah die Welt halt aus, von Silschede aus gesehen. len ihres Lebens: „Ich war als Kind immer sehr konzentrations- Als Kind war Torfrau Lisa Weiß mal im Karnevalsverein, wie sich schwach, habe deswegen später mit einem Psychologen Methoden Später besuchte sie das Fußballinternat der Gesamtschule Berger das für eine echte Düsseldorferin gehört. Aber „alte Männer büt- entwickelt, wie ich für mich selbst besser abschalten kann, aber Feld in Gelsenkirchen – und kickte da zusammen mit den jungen zen“, das war nicht so ihr Ding. Stattdessen fing sie lieber Bälle, auch, wie ich von einer Aufgabe auf die andere umschalten kann“, Spielern des FC Schalke 04. „Ich habe vor allem Robustheit ge- erst mit den Jungs aus dem Kindergarten, dann beim SV Lohau- erzählt Fuss. „Das war früher ein großes Problem und nicht einfach, lernt und weiß, wie ich richtig in die Zweikämpfe gehen kann. Oder, sen, beim FCR Duisburg und schließlich bei der SG Essen-Schöne- vom Büro direkt auf den Sportplatz umzuschalten und sich darauf dass ich nach einem Foul gleich wieder aufstehe und weiterspiele, beck. Das machte sie so gut, dass sie 2009 mit dem A-Kader zur zu konzentrieren.“ das sind alles Eigenschaften, bei denen mir das Training mit den Jungs sehr geholfen hat“, sagt Popp bescheiden. Dabei lobt sogar EM reisen durfte. Inzwischen hat sie ihre innere Ruhe gefunden. Auch per Meditation Bundestrainerin Silvia Neid das Training mit Jungen als „sinnvolle Dort teilte sie ein Zimmer mit Stürmerin Kim Kulig, „eine verrückte und Tai Chi hat sie ihren Alltag verlangsamt, wenn sie es brauchte. Ergänzung“. Nudel, genau wie ich“. Offenbar ist die Torfrau also in der Mann- Und ab und zu braucht Sonja Fuss es, das tiefere Nachdenken über schaft angekommen: Immerhin beteuert die 23-Jährige mit den eis- die Dinge. Religion fasziniert sie, besonders der Buddhismus. „Den Im Sommer 2008 wechselte die damals 17-Jährige zum Bundes- blauen Augen, dass sie, wenn sie unter Leuten sei, die sie nicht rich- Dalai Lama möchte ich unbedingt einmal treffen, weil ich seine Aus- ligisten FCR Duisburg. Seitdem verläuft ihre Karriere im Schnell- tig gut kenne, „eher der stille und zurückhaltende Typ“ sei. Aber strahlung wahnsinnig faszinierend finde“, sagt Fuss. Ihr Lieblings- durchlauf: DFB-Pokal und UEFA-Cup in der ersten Saison, erfolg- wehe, sie wird warm mit ihrer Gesellschaft: Dann dreht sie auf. „Ich buch: Faust I, „weil ich die Persönlichkeit des Doktor Faust sehr reiche Titelverteidigung im Pokal ein Jahr später, im Februar 2010 tanze dann zum Beispiel wie wild durch die Gegend oder mache an- spannend finde, die Wirren, die sich in seinem Leben abspielen und Debüt in der A-Nationalmannschaft, im Sommer der Sieg bei der dere verrückte Sachen“, sagt Weiß. denen er erlegen ist“. U20-WM in Deutschland. Jetzt die WM mit dem A-Kader. Muss sie Für eine Torfrau gar keine schlechte Basis – ist der Torhüter doch immer ein bisschen der Individualist in der Mannschaft. Dabei ist Lisa Weiß eigentlich ins Tor gegangen, weil es sonst keiner machen wollte. Heute schätzt sie ihre Verantwortung: „Ich kann durchaus ein Spiel entscheiden – positiv aber auch negativ.“ Mit Oliver Kahn würde sie gern mal einen Kaffee trinken, noch lieber aber irgendwann Nummer eins Nadine „Natze“ Angerer beerben. Dass sie darauf wohl noch etwas warten muss, verdirbt ihre Laune Sonja Fuss O sich manchmal kneifen, um zu schauen, ob sie nicht in ihrem eigenen Fußballtraum steckt? „Ja, das könnte man so sagen“, lacht Alexandra Popp. Auf den Lehrgängen hat sie immer besonders auf Birgit Prinz ge- rtswechsel, Vereinswechsel, der Wechsel zwischen Sport achtet – „auf ihr abgeklärtes Spielverhalten, mit wie viel Ruhe sie und Job: Nichts davon bringt Sonja Fuss noch aus der Ruhe. am Ball agiert“. Ruhe und Routine – die braucht sie noch. Sonst ist Die Konstante in ihrer Karriere: der Wechsel. In zehn Jahren alles da. Sogar ein Siegestanz. Bundesliga wechselte sie nicht weniger als achtmal den Club. Und ganz nebenbei studierte sie noch Architektur. nicht. Auch, wenn sie das schon eine ganze Weile tut: Bei der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2008 war sie das erste Mal im 1991 kam Fuss zum Bundesligisten FFC Brauweiler Pulheim. Von Kader, 2009 reiste sie mit zur EM, blieb aber ohne Einsatz. Im Feb- da ging es zu den Hartford Hawks, dem Team, mit dem sie während ruar vergangenen Jahres durfte sie endlich ihr Debüt geben – und eines Auslandsjahres gleich die US-College-Meisterschaft holte, hielt im Spiel gegen Nordkorea das Tor sauber. dann zurück nach Brauweiler, danach nach Frankfurt, Potsdam, Vielleicht lernt man zu träumen, wenn man in Düsseldorf-Lohausen Sonja Fuss, 32, Mittelfeld. Verein: FCR 2001 Duisburg. Weltmeisterin 2003, 2007, Bronze bei den Olympischen Spielen 2004, Europameisterin 1997, 2005, 2009, UEFA-Cup-Siegerin 2005, 2009, Deutsche Meisterin 1997, DFB-Pokalsiegerin 1997, 2005, 2009. Sie studiert Architektur an der RWTH Aachen Alexandra Popp A ls Alexandra Popp im vergangenen Jahr mit der U20-Auswahl Weltmeisterin wurde, war sie nicht nur beste Spielerin des Turniers – sondern auch diejenige, deren per Spielkon- sole einstudierter Siegestanz mit der Mannschaft im Gedächtnis wieder nach Brauweiler, weiter nach Duisburg, nach Köln, wieder blieb. Mit der Kombo „Sportrock“ und Kollegin Annike Krahn hat nach Duisburg. „Poppi“ einen WM-Song aufgenommen – und die große Blonde mit aufwächst und schon als Kind den Flugzeugen nachschaut, die hier der markanten Zahnlücke ist eine der Kickerinnen, die sich vor dem ganz dicht über den Häusern starten und landen. Mal auf den Male- Selbst die Gründe für den Wechsel wechselten sich ab. Mal suchte Spiel schminkt. Dabei war Alexandra Popp ziemlich lange nur mit diven entspannen und direkt von der Terrasse ins Meer springen – Fuss höheres sportliches Niveau, mal wollte sie sich mehr auf ihr Jungs unterwegs. das wäre auch so ein Traum von Lisa Weiß. Studium konzentrieren. 2009 spielte die Nationalspielerin dazu Alexandra Popp, 20, Mittelfeld. Verein: FCR 2001 Duisburg. U20-Weltmeisterin 2010, „Goldener Schuh“ für die beste Torschützin und „Goldener Ball“ für die beste Spielerin des Turniers, Trägerin der Ehrennadel in Gold des Fußball- und Leichtathletikverbandes NRW. Machte als einzige Schülerin ihr Fachabitur an der Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen, einer DFB-Eliteschule des Fußballs 56 porträt petra quade 57 Die Zufriedene Petra Quade holte sechsmal Gold bei den Paralympics – ihre Laufschuhe liegen jetzt im Hafenbecken von Sydney F rische Luft, wenig Verkehr, viel Ruhe und Natur. Das ist Pulheim. Hier lebt die sechsfache Goldmedaillengewinnerin Petra Quade. Die Besucher haben noch den Finger auf der Klingel, als die 48-Jährige bereits die Tür öffnet und zur Begrüßung die linke Hand reicht. Die Dame des Hauses trägt Jeans zur Bluse, die Füße stecken in gemütlichen roten Kunststofftretern. Ob sie sich vielleicht umziehen möchte für das Foto? Womöglich gar richtig aufhübschen, mit einem langen Abendkleid zum Beispiel? „Nö, so elegant – das bin ich einfach nicht“, sagt Petra Quade und lacht ihr mädchenhaftes Lachen. „Aber ich werde für Sie meine höchsten Schuhe suchen.“ Minuten später beim Fotoshooting ist der Mann hinter der Kamera nur noch froh und dankbar. Es regnet, es ist kalt. Petra Quade setzt freundlich und konzentriert jede Anweisung um. Schade, dass die Beautys von Heidi Klum das nicht sehen: Hier könnten sie noch was lernen. Die Frau, die von sich behauptet, es gebe kein einziges schönes Foto von ihr, meistert die Aufnahmen souverän, geduldig und mit Talent. Talent? Wissenschaftler versuchen seit Jahren das Geheimnis der Begabung zu ergründen. Sie haben Gehirne zerlegt, Nervennetze und Blutbilder analysiert, Gene studiert – und nichts gefunden, was beweisen würde, dass besondere Fähigkeiten angeboren sind. Das, was wir gemeinhin Talent nennen, ist nichts anderes als der Lohn härtester Arbeit, sagen die Forscher. Vielleicht kennen sie Petra Quade nicht. Sie ist sieben Jahre alt, als eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse ein wochenlanges Krankenlager erzwingt. Den Eltern der sich nur langsam Erholenden raten die Ärzte: „Wenn ihre Tochter wieder gesund ist, sollte sie zum Sport gehen.“ Fußball, Tischtennis, Leichtathletik. Das Angebot des örtlichen Turnvereins ist übersichtlich. Die kleine Petra entscheidet sich fürs Laufen, Springen und Werfen. In der letzten Disziplin ist das Mädchen nicht besonders gut, es muss mit links werfen, da ihm seit der Geburt die rechte Hand fehlt. Von Anfang an aber läuft kein Kind schneller, springt keines höher, keines weiter. An ihre ersten Wettkämpfe erinnert sich Petra Quade gut: „Ich habe eigentlich immer gewonnen.“ Ob Talent oder nicht – Ergebnis von harter Arbeit, gar Schinderei, waren die frühen Erfolge jedenfalls nicht. Als Schülerin zweimal die Woche 90 Minuten Training – das klingt nicht nach außergewöhnlicher Anstrengung. Haben Menschen mit einem körperlichen Makel vielleicht die größere mentale Kraft, den stärkeren Willen zum Sieg? „Weiß nicht. Ich habe mich nie behindert gefühlt“, sagt Quade. „Ich habe eigentlich immer gewonnen“ Jahrelang übt die junge Athletin mit Nichtbehinderten und verweist diese im Wettkampf oft genug auf die Plätze. Mit 15 Jahren, Quade ist gerade niedersächsische Vizemeisterin im 100-Meter-Lauf geworden, kommt ein netter Anruf aus der Nachbargemeinde. Ob sie Interesse habe, zusätzlich auch für einen Versehrtensportverein zu starten? 58 s p o r t l a n d 06 Dreimal Gold bei den Paralympics in Seoul 1988: 59 Training mit der Weltmeisterin, das spornt besonders an: Petra Quade ist die Königin der Medaillen Steffi Nerius bei einer Trainingseinheit auf dem Gelände des TSV Bayer 04 Leverkusen Behindertensport Sechs Jahre später – inzwischen hat sich der Trainingsaufwand längst mehr als verdoppelt – holt Petra Quade bei den Paralympics in New York drei Goldmedaillen in Sprint und Sprung und lernt ihren zukünftigen Mann, den Beachvolleyballer Karl Quade kennen. Um ihm nahe zu sein, zieht sie aus dem niedersächsischen Dinklage nach Köln. In Seoul (1988) gewinnt das Paar insgesamt vier Goldmedaillen. Sie ist Beste im Laufen über 100 Meter, 200 Meter und 400 Meter. Zu den Spielen nach Barcelona (1992) reist Baby Ann-Christin mit. Das Töchterchen ist acht Monate, und seine Eltern wechseln zwischen den Wettkämpfen Windeln im paralympischen Dorf. Acht Jahre später, Petra Quade ist jetzt 37 Jahre alt und zwischenzeitlich auch Mutter von Sohn Christian, schafft sie in Sydney sowohl im Weitsprung als auch im 100-Meter-Lauf den erhofften Einzug ins Finale. Am Ende belegt sie jeweils den fünften Platz. Nach dem letzten Wettkampf sitzt die Sportlerin abends am Hafenbecken und schleudert ihre Laufschuhe ins Wasser. Was das wohl für ein Gefühl war? „Ein absolut gutes“, sagt Petra Quade. Die einstige Koryphäe des nationalen Behindertensports walkt heute zwei- bis dreimal die Woche mit einer Freundin, liest Krimis, werkelt im Garten und ist so zufrieden, wie man es nur sein kann. Vermisst sie nichts? „Ich genieße es, nicht mehr trainieren zu müssen.“ Ein ganz normales Leben zu führen, sei für sie überdies nichts Ungewohntes, erklärt Quade. Früher hätten bei Paralympics siegreiche Sportler nur wenige Menschen interessiert. „Man bekam die Anerkennung von Leuten, die was von der Sache verstehen und stand nicht so in der Öffentlichkeit, wie dies heute zum Teil geschieht.“ biografie Ist ein Glas halb leer oder ist es halb voll? Für Petra Quade ist es halb voll. Sie sieht das Positive und zeigt damit noch ein Talent – die Fähigkeit zum Glücklichsein ist vermutlich ihr größtes. 200 m, Siegerin 400 m Petra Quade, 48, Leichtathletin Erfolge: sechsfache Goldmedaillengewinnerin Paralympics 1984: Siegerin 100 m, Siegerin Hochsprung, Siegerin Weitsprung. Paralympics 1988: Siegerin 100 m, Siegerin Mehrfache Europameisterin und Deutsche Meisterin Steffi Nerius gefällt es. Die Weltmeisterin im Speerwerfen ist mal wieder Vorbild. Nach Karriereende folgte die Trainerlaufbahn bei ihrem Stammverein TSV Bayer 04 Leverkusen. Doch die prominente Leichtathletin schlug eine ganz besondere Richtung ein: Steffi Nerius trainiert Behindertensportler in Leverkusen, so motiviert wie sie sich einst selbst zu Höchstleistungen pushte. Der Erfolg ist beachtlich: Für die Weltmeisterschaft der Behinderten in Neuseland im Februar schafften elf Leverkusener Leichtathleten die Qualifikationsnorm und nahmen an den Wettkämpfen am anderen Ende der Welt teil. Aber Leistungssport mit Behinderten wird nicht nur in Leverkusen betrieben. 1400 Vereine sind Mitglied im Behindertensportverband Nordrhein-Westfalen (BSNW), eine Organisation, die sich die Rehabilitation durch Sport zum Ziel gesetzt hat. 1953, als der Sportverband gegründet wurde, zählte er gerade mal 300 Mitglieder. Kontinuierlich stiegen die Mitgliederzahlen, in den letzten Jahren ging es steil nach oben. 2006 waren es 130 239 Mitglieder, und Ende 2009 wurden schon 206 061 organisierte Behindertensportler gezählt. Der positive Trend zeigt, wie wichtig Breitensport für Behinderte ist. Aber auch für Menschen ohne Behinderung. Der Verband möchte durch seine Arbeit vor allem die Integration von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft fördern und Berührungsängste abbauen. Weltrekord im Hochsprung Verein: TSV Bayer 04 Leverkusen Solche Vorhaben werden leichter, wenn man positive Ergebnisse vorzeigen kann. Im Sport sind das Goldmedaillen. Da haben die nordrhein-westfälischen Sportler mit Behinderung allerdings großartige Erfolge aufzuweisen. Eine Athletin wie Petra Quade, die auf den vorherigen Seiten porträtiert wird, ist geschaffen, um Barrieren einzureißen. Sechsmal Gold bei den Paralympics – das ist schon weltweit eine besondere Leistung und schafft außer Anerkennung auch eine größere Beachtung für den eigenen Sport. Deshalb wird der Leistungssport im Behindertensportverband auch besonders gefördert. Die Spitzenleute können genauso intensiv wie Hochleistungsathleten ohne Behinderung trainieren: täglich, ausdauernd und nach neuesten wissenschaftlichen Methoden. Zusätzlich werden sie allerdings von besonders geschulten Fachkräften medizinisch betreut. Einen Unterschied zum Breitensport gibt es da nicht. Auch bei der nicht so extensiv betriebenen Bewegung wie auf dem Trainingsplatz der Hochleistungssportler ist die medizinische Betreuung wichtig und gegeben. Fachübungsleiter führen nur Übungen durch, die dem individuellen Bewegungsablauf der Teilnehmer angepasst sind. Für den BSNW ist es deshalb wichtig, Trainer und Sportlehrer im Behindertensport speziell auszubilden. 60 p o r t r ä t l i n d a s ta h l Die Planerin Linda Stahl gewann bei den Europameisterschaften Gold im Speerwerfen – nun geht sie neue Ziele an: Als Frau Doktor möchte sie 72 Meter weit werfen A hnt kaum jemand, ist aber wahr: Linda Stahl ist größenwahnsinnig. Am Beginn wichtiger Wettkämpfe lautet ihr Mantra: „Ich werde den Speer 72 Meter weit werfen.“ 72 Meter, bei allem Respekt, ist noch nicht ihre Klasse. Niemand weiß das besser als die Sportlerin selbst, aber sie findet: „Ziele sollte man nie zu niedrig stecken, sonst ist man zu schnell zufrieden.“ Ihre Ambitionen behält die für Bayer Leverkusen startende Athletin übrigens schön für sich, andernfalls „baut man sich ja einen ungeheuren Druck auf“. Aber folgt auf die Illusion „72 Meter“ zu Beginn des Wettkampfs am Ende nicht unweigerlich die Enttäuschung? „Im Gegenteil“, lautet die verblüffende Anwort. „Bei 64 Metern ist der Trainer zufrieden, und ich denke: nicht übel, 72 Meter waren sowieso völliger Quatsch.“ Die amtierende Europameisterin plaudert, während sie entspannt auf der Liege ruht. Ein Physiotherapeut massiert ihr den rechten Arm. Wegen eines Faserrisses im Oberschenkel muss das Training ein paar Tage ausfallen. Bleibt also Zeit für eine Extraportion Körperpflege. Ihre mentale 72-Meter-Wettkampf-Strategie nennt Linda Stahl übrigens das „unrealistische Geheimziel“. Nur bedingt logisch, aber erfolgreich: Bei den Europameisterschaften im vergangenen Jahr in Barcelona warf sie den Speer knapp 67 Meter weit. Goldmedaille! Sportreporter sprachen von einem „Traum“. Diesen Traum aber, sagt Linda, habe sie gar nicht geträumt. „Nicht mal im Geheimen.“ Linda Stahl ist 25 Jahre und im deutschen Speerwurf bereits eine der ganzen Großen. Aber damit nicht genug: Nach einem Medizinstudium in Regelzeit arbeitet sie im Moment am Biochemischen Institut der Sporthochschule Köln an ihrer Promotion. Wenn alles glattgeht, ist Linda Stahl schon nächstes Jahr eine Frau Doktor. Chapeau! Und: Wie schafft man das alles eigentlich? „Och“, sagt Linda, „eigentlich bin eher ein fauler Typ.“ Dann hat der Sport sie aber ganz schön in die Spur gebracht. Vielleicht ist es so: Wenn es nicht die Eltern sind, die ein Kind auf Erfolg trimmen, sondern die eigene Begeisterung an Höchstleistungen, dann riskiert man den Spaß nicht durch schlechte Noten. Linda lacht: „So ungefähr.“ Sportwissenschaftler behaupten schon lange, dass Schüler, die intensiv Sport treiben, ihren Mitschülern in puncto Organisation und Disziplin weit überlegen seien. Sportbegeisterte Kinder können sich besser konzentrieren und erledigen ihre Hausaufgaben schnell und effizient. „Das stimmt schon“, sagt Linda, aber ich hatte auch Glück.“ Genauer: schnelle Auffassungsgabe und Eltern, die gut erklären können. Vater Stahl arbeitet als Lehrer für Mathematik, Physik und Chemie, die Mutter unterrichtet Englisch. Das Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1,8 hat Linda nach eigenem Dafürhalten aber dann doch versemmelt. Ausgerechnet vor den zentralen Prüfungen sei ihr ein Trainingslager wichtiger gewesen als Büffeln. biografie Linda Stahl, 25, Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat Linda jedoch die richtigen Prioritäten gesetzt: Schule bzw. Studium kamen an Nummer eins, danach erst der Sport. Vielleicht hat das ihrem Trainer Helge Zöllkau nicht immer gefallen, aber er zeigte Verständnis und ließ seinen Zögling gewähren. Und sonst? Ist womöglich etwas anderes zu kurz gekommen bei all dem Lernen, dem ewigen Trainieren, den ständigen Wettkämpfen? „Ich habe einen Freund, alles ganz normal“, grinst Linda. Gewiss, sie habe manchmal Phasen, da sei ihr Leben ganz schön anstrengend, aber sie könne auch mal eine Woche nur in der Sonne liegen. Linda steht auf, bedankt sich artig beim Masseur und sagt noch, sie wolle ja nicht ewig so durchpowern. Ihr persönlicher „In-zehn-Jahren-Plan“ steht fest: Schluss machen mit dem Sport und Familie gründen; außerdem: Anästhesistin mit Halbtagsstelle. Größenwahnsinnig klingt das nicht … Speerwerferin Erfolge: Europameisterin in Barcelona 2010, Gewinn der U23-Europameisterschaft in Debrecen (Ungarn) 2007, 6. Platz bei der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin, 8. Platz bei der Leichtathletik-WM 2007 in Osaka Verein: TSV Bayer 04 Leverkusen Zurzeit promoviert sie in Medizin www.lindastahl.de 61 62 p o rt r ä t st e p h a n i e g r o s s Die Vielseitige Stephanie GroSS krabbelte schon als kleines Kind auf der Ringermatte – heraus kam eine Weltklasseringerin M alerisch liegt die Klosteranlage Knechtsteden ein wenig abseits der rheinischen Industrieregion Dormagen. Doch die wunderschöne romanische Basilika ist für die Schüler und Schülerinnen der 13. Klasse des benachbarten Norbert-Gymnasiums in diesen Frühjahrstagen reichlich uninteressant, sie stecken im Abiturstress. Erste Klausuren sind geschrieben, und Studienrätin Stephanie Groß versucht beim Gang über die Schulflure den Jugendlichen ihre Anspannung ein wenig zu nehmen. Die Aufmunterung kommt gut an, die 36-jährige Lehrerin ist beliebt. Stephanie Groß passt perfekt in eine Schule mit Schwerpunkt Sport. Vor drei Jahren beendete die Pädagogin eine Weltklassekarriere in einer für Frauen – immer noch – ungewöhnlichen Sportart: Ringen. Gerne spricht sie über die sportlichen Herausforderungen der zupackenden Sportart und findet das alles gar nicht so ungewöhnlich: „Ringen ist unglaublich vielseitig. Ausdauer, Kraft, Kampf und Technik sind gefordert.“ Das alles verfolgt die kleine Stephanie von Kindesbeinen an. Sie wird im badischen Freiburg in einen Ringerhaushalt hineingeboren. Vater Walter kämpft für den AV Freiburg-St. Georgen in der ersten Bundesliga. Wilfried Dietrich aus Schifferstadt und Adolf Seger aus dem Freiburger Club heißen Anfang der siebziger Jahre die Weltklasseathleten des deutschen Ringersports. Stephanie, ihre Schwester Annabelle und Bruder Dominik kommen mit zum Training, krabbeln über die Matte, zeigen früh ihr Talent. Ganz nach oben führt der sportliche Weg von Stephanie, die parallel noch Judo betreibt, zur deutschen Spitze zählt und unter Olympiasieger Frank Wieneke trainiert. Sie erringt zwischen 1989 und 2008 mehrere Vizeweltmeisterschaften, Europameisterschaften und 13 Titel als deutsche Meisterin sowie die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2004: „In Athen ging für mich ein Kindheitstraum in Erfüllung.“ biografie Stephanie Groß, 36, Ringerin Sportlich und privat fühlt sich Stephanie Groß im Rheinland wohl. 1993 zog es die Abiturientin aus dem sonnigen Badener Land an die Sporthochschule Köln, noch heute lebt sie im Stadtteil Ehrenfeld. „Ehrenfeld gefällt mir sehr gut, weil es dort so abwechslungsreich ist.“ Den Studiengang Sport ergänzt die Abiturientin um das Fach Französisch – was Wunder, wo doch die Mutter aus Frankreich stammt und Stephanie zweisprachig aufwächst. Das Referendariat führt die junge Pädagogin nach Jülich. Erfolge: dreifache Vizeweltmeisterin, zweifache Vizeeuropameisterin, 13-fache Deutsche Meisterin Verein: AC Ueckerath Persönliches: Die Studienrätin für Sport und Französisch gibt ihre Erfahrung gerne weiter Stephanie kämpft in der Judo-Bundesligamannschaft des TSV Bayer Leverkusen und ringt für den AC Ueckerath, dem sie nach wie vor eng verbunden ist. Die Pädagogin trainiert jetzt die Nachwuchsportlerinnen des seit Jahren erfolgreichsten deutschen Vereins im Frauenringen. Ebenso wie zwei junge Ringerinnen, die sich im Sportinternat des Norbert-Gymnasiums einquartiert haben. Sport spielt bei der jungen Frau auch nach der aktiven Karriere immer noch eine zentrale Rolle. In ihrer Freizeit geht sie gerne klettern, kitesurfen oder zum Wakeboardfahren an die Wasserskianlage ins nahe gelegene Langenfeld. Im Winter steht sie auf dem Snowboard in den Bergen. Und im letzten Urlaub verknüpfte die Pädagogin ihre sportlichen Erfahrungen mit sozialem Engagement. In Marokko half die Kampfsportlerin gestrauchelten Jugendlichen wieder auf die Beine. „Die Jungs brauchten etwas Autorität, das gelang mir wohl ganz gut.“ Aber nicht nur Muskelkraft wird zur Ablenkung eingesetzt, manchmal darf es auch ein Buch sein, am liebsten eines des amerikanischen Autors John Irving. Der war selbst Ringer. Man hätte es sich denken können. und trainiert in ihrer Freizeit Nachwuchsringerinnen 63 64 s p o r t l a n d Fußballland: geprägt von Dortmund und Schalke Tränen in den Augen und trotzdem Applaus. Bei Zuschauern und Spielern. Eine Mannschaft verabschiedet sich nach einer bitteren Niederlage von ihren Fans. 0 : 2 im Champions-League-Halbfinale gegen Manchester United, mehr war für Schalke nicht drin. Die Blauen hatten alles gegeben und waren trotzdem chancenlos. Fußball in Nordrhein-Westfalen, im Ruhrgebiet, ist eine emotionale Angelegenheit. Auch – oder gerade – in der Niederlage. Dennoch: Wer auf dem Rasen ehrliche Arbeit abliefert, darf Huldigungen entgegennehmen. „Glück auf, der Steiger kommt …“ Mit „Glück auf“ begrüßen sich die Fans auch in Dortmund im Stadion, in Bochum und Duisburg. Im deutschen Fußballrevier. Hier ist der Fußball zu Hause. Früher gehörten noch Westfalia Herne, Rot-Weiß Oberhausen und Rot-Weiß Essen zu den ersten Adressen des deutschen Fußballs. „Football is coming home“ würden britische Fußballfans ungeniert singen. Doch wir sind nicht in Liverpool und nicht in Manchester. „Ente“ Lippens, der erste namhafte Holländer, der in Deutschland kickte, war ein Liebling der Tribüne. Bevor Johan Neskens, Johan Cruyff und Rob Rensenbrink 1974 bei der Weltmeisterschaft im Revier ihre Ballkünste vortrugen. Er war in Bundesligazeiten an der Hafenstraße der Nachfolger von Legende Helmut Rahn. Rahn, dem Weltmeister, dem Torschützen von Bern. 1954. Wer es nicht mehr weiß: ins Kino gehen. Revier-Regisseur Sönke Wortmann hat die Wankdorf-Szenen emotional in Szene gesetzt. Geschichte. Wie Franz Krauthausen in Oberhausen, Lothar Emmerich in Dortmund, „Eia“ Krämer in Duisburg und „Stan“ Libuda auf Schalke. Aber Erfolge und Meisterschaften werden nicht nur im Ruhrgebiet gefeiert. Fünfmal holte Borussia Mönchengladbach in den 70er-Jahren den Titel und ließ Franz Beckenbauers Bayern hinter sich. Netzer, Heynckes, Vogts und Bonhof – die Fohlen spielten auf dem Bökelberg einen besonders eleganten Ball. Oder der rheinische Erzrivale 1. FC Köln, der den Gladbacher Meistertrainer Hennes Weisweiler abwarb und 1978 in seinem ersten Jahr gleich das Double schaffte – Meister und Pokalsieger. Oder Bayer Leverkusen. „Werkself“ ist zum Markenzeichen des Fußballsports unter dem Bayer-Kreuz geworden. Mit der Meisterschaft klappte es bisher nicht, aber meist sind die Leverkusener Stammgast in der Champions League und schafften es einmal sogar bis ins Finale. 1988 holte man nach Elfmeterkrimi im Finale sogar eine europäische Trophäe – den UEFA-Pokal. Bum Kun Cha dribbelte damals im Sturm, unvergessen auch Torwart-Legende Rüdiger Vollborn. Heute bestimmen andere Namen den Fußball in Nordrhein-Westfalen. Schon was von Götze gehört, Großkreutz, Bender oder Schmelzer? Das ist die Boygroup vom BVB 09, dem Deutschen Meister. Spieler, die gerade der Jugendmannschaft entschlüpft sind, nicht nur nationale Champions sondern zugleich zu Nationalspielern berufen. Die von dem jugendlichen Bart-Langhaar-Trainer Jürgen Klopp auf den Rasen geschickt werden, um 80 000 im Westfalenstadion und besonders 25 000 Fans der „Gelben Wand“ zu zeigen, dass sie für ihr Eintrittsgeld ein wunderbares Spiel und Erfolge zurückbekommen. Fantastischer Fußball, phänomenale Verbundenheit. Fußball & Volk – Dortmund hat die Gemeinschaft entlang der B 1 neu belebt. Ein Wunder. Dort, an dieser Straße, regierte über viele Jahre Demut, die Fußballdepression trug Schwarz-Gelb. Denn im Erfolgsrausch von Meisterschaften, Champions League und Weltpokal steuerte der BVB auf eine kapitale Pleite zu. Aber auch das ist Geschichte. Dortmund hat aus der damaligen Not eine Tugend gemacht und ganz konsequent auf die Jugend gesetzt. Mit gutem Auge suchten die Scouts im Umland nach Talenten. Und der BVB konsolidierte sich, bescheiden in den Ansprüchen, reduzierte er seine Schuldenlast um mehr als 120 Millionen Euro. Könnte alles so schön sein, wenn es Schalke nicht gäbe. Diese Hassfreundschaft im Revier. Diese beiden großen Clubs, die im WMJahr 2011 die deutsche Fußballszene beherrschen, aber nicht gemeinsam siegen und feiern können. Nun Meisterschaft und Pokal – auch wenn man es öffentlich abstreitet: Stolz ist man im ganzen Revier auf BEIDE Mannschaften. Und auf den MSV Duisburg, den Zweitligisten, der es ins Berliner Pokalfinale gegen Schalke schaffte. Das Ergebnis des Revierderbys ist bekannt – 5 : 0 für den FC S04 in Bestform, der einen versöhnlichen Abschluss unter eine wechselvolle Saison setzte. Doch wie geht’s weiter? Das Modell der Jugendschulen als Ergänzung zum Millioneneinkauf hat sich die Bundesliga abgeschaut. 07 65 Die Sieger kommen aus dem Westen: Meister Borussia Dortmund (links) und Pokalsieger Schalke 04 präsentieren nach den Erfolgen Schale und Pokal In London bei Arsenal und in Barcelona, wo seit Jahrzehnten von frühester Jugend an die Talente geschult werden, bis, ja bis sie, wie gerade beim Champions-League-Finale gesehen, den perfektesten und erfolgreichsten Fußball des Kontinents zelebrieren können. Daran orientiert sich der Fußball in NRW. Der Schlüssel hierfür: den Nachwuchskickern die besten Vorraussetzungen für die Entwicklung bieten. Talentförderprogramme, Nachwuchsleistungszentren, Eliteschulen, Stützpunkte – all das ist in den vergangenen Jahren Standard im deutschen Fußball geworden. Die Erfolge sind sichtbar, junge deutsche Spieler sind für die europäischen Spitzenclubs wieder interessant geworden. Turin, Mailand, Madrid und Chelsea grasen lieber den deutschen Transfermarkt ab, als selber auszubilden. So ist es nicht verwunderlich, dass Menschen, die in Gelsenkirchen geboren wurden, dort das erste Mal gegen das runde Leder kickten und ihre Fußballschule in Blau-Weiß absolvierten, nun in anderen Regionen und Ländern ihre Millionen verdienen. Ausnahmefußballer wie Mesut Özil und Manuel Neuer hätten zwar auch ihren Club aus dem Revier an Europas Spitze führen können. Doch irgendwann reizen königliche Vereins- namen. Wenn Real ruft, verlässt nicht nur Özil die Wiege des Revierfußballs, dann kann auch Sahin in Dortmund nicht widerstehen, oder der Herr Altintop – aus Wattenscheid. Dennoch stehen Namen wie Neuer, Höwedes, Matip, Draxler, Götze & Co für das neue Konzept. Und die meisten von ihnen glauben auch an die Erfolge und bleiben. Zuletzt vagabundierende Fußballartisten wie Baumgarten oder Holtby kehren sogar nach Schalke zurück, um vielleicht ähnlich erfolgreich zu sein wie Dortmund mit der eigenen Jugend. Doch im Westen gibt es mehr als nur Dortmund und Schalke! Auch wenn Meister und Pokalsieger die anderen in diesem Jahr ein wenig überstrahlen. So spielen mehr als 1,5 Millionen Fußballerinnen und Fußballer aktiv in 5000 Vereinen, die 37 000 Mannschaften in den Ligen gemeldet haben. Fünf Westclubs haben es bis ganz nach oben geschafft, in die Bundesliga: Dortmund, Schalke, Leverkusen, Köln und Mönchengladbach; auch in der zweiten Bundesliga kicken fünf Teams, von denen Aachen, Bochum, die Fortuna aus Düsseldorf und Duisburg jedes Jahr erneut für den Aufstieg gehandelt werden. In Paderborn lässt man sich mit diesen Ambitionen noch ein wenig Zeit. 66 p o r t r ä t k atj a s e i z i n g e r Die Botschafterin Katja Seizinger wurde Deutschlands erfolgreichste Skirennläuferin – gelernt hat sie ihren Sport auf den sanften Hügeln des Wiehengebirges D ort – wo die Ausläufer des Ruhrgebiets in das Grün des ländlichen Münsterlandes übergehen – so etwas wie einen Berg zu finden, ist eigentlich unmöglich. Aber wer in Datteln zum Beispiel die Recklinghauser Straße Richtung Westen hochwandert, schafft es am Stadtrand bis auf die Holtgarde. 109,5 Meter über Normalnull (NN) – immerhin. 90 Autominuten nordöstlich, in Lübbecke, ist der Heidbrink mit seinem herrlichen Blick höchste Herausforderung für Ausflügler und Spaziergänger. 319 Meter über der norddeutschen Tiefebene. So weit, was Webseiten und Fremdenverkehrsprospekte der Region versprechen. „Olympiasieger ist und bleibt man, ein unvergessliches Erlebnis” Aber kann so ein Land mit – unter alpinen Maßstäben – kleinen Hügeln in der Topografie Deutschlands erfolgreichste Skirennläuferin hervorbringen? „NRW kann das“, sagt Katja Seizinger. Wenngleich, das gibt die dreifache Olympiasiegerin und Doppelgewinnerin des Gesamtweltcups gern zu, „mit etwas externer Hilfe“. Im Alter von zwei Jahren zog sie mit den Eltern und Bruder Sven von Datteln nach Lübbecke. Am Stadtrand, „in Obermehnen auf der Kuhwiese, unternahmen wir Kinder die ersten Versuche auf den Brettern, umkurvten im Schneepflug hart gefrorene Maulwurfshügel, und dann das letzte Stück im Schuss den Hang hinunter“. Unten am Weidezaun hieß es dann „umdrehen und wieder hochstapfen“. Ski- schule am Nordhang des Wiehengebirges. „Hier“, so Katja Seizinger, heute 39, „hat die Sache ihren Anfang genommen.“ Mit Winterurlauben nach Val d’Isère und Zermatt beflügelten die Eltern schon früh die Lauflernschritte ihres Nachwuchses im Alpinsport. Eine Passion. Von Skirennfahrer-Genen keine Spur. Mutter Doris kommt ursprünglich aus Schlesien. Vater Hans aus Düsseldorf. Mit einem beruflichen Wechsel des Familienoberhauptes und Managers eines Lübbecker Baustahlproduzenten nach Baden-Württemberg kam dann doch „Schwung in die Sache“, so Tochter Katja. Mit „Sache“ umschreibt sie ihre skiläuferischen Ambitionen. In Eberbach im Odenwald, wo der Vater schon bald die Badischen Stahlwerke vor der Insolvenz rettete – und gemeinsam mit einem Partner übernahm –, gab es Ende der 70er-Jahre noch drei kleine Skiliftanlagen. Am Katzenbuckel, im Verein Skizunft, ging es buchstäblich bergauf. „626 Meter“, weiß Katja Seizinger heute noch. Ob Bambinirennen im Schwarzwald oder Jugendwettbewerbe im Allgäu – wo immer die SeizingerKids am Wochenende hinkamen, hieß es: „Ihr fahrts iba der Woch koa Schi, aber räumts di Pokale ab!“ Aufhorchen ließen die Erfolge besonders der kleinen Seizinger schon bald. Zunächst den badischen und wenig später auch den Deutschen Skiverband. Mit 15 wechselte Katja die Schule und lebte fortan im Internat Hohenschwangau in Füssen, wo sie Jahre später im Abitur einen Notendurchschnitt von 1,6 erreichte. Dabei hatte sie – mit Erlaubnis 67 68 p o r t r ä t k atj a s e i z i n g e r „Ich wollte auch was Vernünftiges lernen. Das muss man den jungen Sportlern immer wieder sagen” Die ersten Rennen fuhr die junge Katja Seizinger im Urlaub mit den Eltern in Val d‘Isère und Zermatt des Schulministeriums in München – an zwei Dritteln des Unterrichts gar nicht teilgenommen. Mit Wedeln und Schussfahren statt Büffeln und Pauken war das allerdings nicht zu schaffen. In der Rückschau war die Doppelbelastung aus Schule und Spitzensport „aber ein gutes Training“. Denn dass Skier für das westfälische Supertalent mal zu den „Brettern werden, die die Welt bedeuten“, wollte zu dieser Zeit niemand mehr ausschließen. Auch nicht „das Maderl“ selbst, wie dessen langjähriger Bundestrainer Wolfgang Maier sie nannte. „Aber doch immer nur befristet, auch wenn’s alles beisammen bleibt und heil. Ski fahren für immer? – Nö.“ Natürlich sei ihr schon klar gewesen, erzählt sie in einer Mischung aus Badisch, Westfälisch und Bayerisch, „dass ich da auf eine tolle Zeit zusteuere, aber auch, dass es ein Leben nach dem Sport geben würde. Ich wollte auch was Vernünftiges lernen. Das muss man den jungen Sportlern immer wieder sagen.“ Das könnte ihre Botschaft sein. Aber wie soll ein junger Sportler das anstellen? – Gerade hatte die junge Gymnasiastin die Deutsche Jugendmeisterschaft gewonnen. In allen drei Disziplinen – Abfahrt, Riesenslalom und Super-G. 1989 die Deutsche Meisterschaft bei den Frauen und zwei Medaillen bei der Junioren-WM in Anchorage, Alaska. Quasi zwischen letzten Klausuren und Abiturprüfungen wurde sie beim Super-G im französischen Méribel Zweite und gewann Gold plus dreimal Silber bei der Junioren-WM in der Schweiz. Im weltweiten Wanderzirkus der Ski-Weltspitze ist an Uni-Besuche nicht zu denken. Oder doch? – Vater Hans besann sich seiner nordrhein-westfälischen Heimat und hatte die Idee: „Wie wär’s mit der FernUniversität Hagen?“ – Um es kurz zu machen: Die Doppelbelastung ging weiter, mit Ehrgeiz, Disziplin, Durchhaltevermögen und Biss. Von allem zeigte sie mehr als die meisten anderen. Während ihre Kolleginnen und Konkurrenten beim Après-Ski „drunten im Tal“ schon mal eine „Mordsgaudi“ hatten, sauste sie durch die Duschen ihrer Hotelzimmer direkt in die Niederungen der Betriebswirtschaftslehre. „Vor allem Leidensgenossen, aber auch nette Kommilitonen“ traf sie dort allenfalls im gerade aufkommenden Internet. An einen erinnert sie sich. Den damaligen Superstar im Italienischen Fußball, Oliver Bierhoff, Torschützenkönig und italienischer Meister, der wie sie in Hagen BWL studierte. „Um das Kapitel Doppelbelastung abzuschließen: Ich hab neun Jahre gebraucht für mein BWL-Diplom.“ Die Arbeit über „Rechtsformwahl nach geplantem Recht – eine steuerliche Partialanalyse“ wurde mit Eins bewertet. So etwas erzählt sie selbst allerdings nicht. Damit reüssiert die FernUni selbst, deren Rektor Helmut Hoyer „die Katja Seizinger“ ja bis heute in guter Erinnerung hat: „Die war eine hervorragende Botschafterin unserer Universität.“ Neun Jahre. Die meisten davon, also die Zwischenzeit praktisch, jagte sie in Albertville, Lillehammer oder Nagano, in Crans Montana, der Sierra Nevada oder Cortina d’Ampezzo Medaillen hinterher. Stand bei Olympia fünfmal auf dem Treppchen, gewann 36 Weltcuprennen, wurde Weltmeisterin und holte zweimal den Gesamtweltcup. „Der ist mir sportlich gesehen schon wichtiger gewesen als Olympia. Nichtsdestotrotz: Olympiasieger ist und bleibt man, ein unvergessliches Erlebnis.“ Die Kristallkugel beim Weltcup hingegen würdigt die kontinuierliche Leistung über eine ganze Saison hinweg. 250 Tage Jahr für Jahr. In denen sie manchmal, wie Der Spiegel 1998 registrierte, „zwei Millionen Mark brutto an Prämien und von Sponsoren kassiert“. Nach einer schweren Verletzung mit Schienbeinfraktur, Kreuz- und Innenbandriss hätte sie 1999 noch einmal angreifen können. Die Gergs, Ertls und biografie Katja Seizinger, 39, Skifahrerin Erfolge: Olympia-Bronze 1992, Abfahrt-Olym- Häusles, aber sie wollte nicht mehr. Mitfiebern mit Maria Riesch tut sie heute noch. Und natürlich steht sie mit ihrem Namen für die Bewerbungskampagne „München 2018“ zur Verfügung. Als Botschafterin. Wieder mal. Aber auch hinfahren nach Garmisch oder München zu Empfängen und Veranstaltungen – „das ist aus zeitlichen Gründen für mich nicht machbar“. Anstelle der Edelmetalle Gold, Silber, Bronze rückte bei Katja Seizinger eine Eisen-Kohlenstoff-Legierung immer mehr in den eigenen Fokus: Stahl. Was man mit einem Fernstudium anfangen kann, testete sie zunächst drei Jahre bei einem Wirtschaftsprüfer. Dann ging’s zum Vater in die Firma. Der ist heute 72, lotste seine Tochter erst durch die Abteilungen der Badischen Stahlwerke, dann in die Dachgesellschaft Südweststahl. Dort macht die zweifache Mutter Katja Seizinger heute „alles, was kein Blech ist und im Beton verschwinden kann“. Sie sitzt im Aufsichtsrat der Holding, verantwortet gemeinsam mit ihrem Bruder Jahresumsätze in Milliardenhöhe und eine Unternehmensgruppe mit 3000 Mitarbeitern. Dazu zählt übrigens auch wieder die Besta, der Betrieb, für den die Seizingers 1974 nach Lübbecke kamen. „Jo, jo – die hamma auch wieder.“ Anknüpfungspunkte nach Nordrhein-Westfalen gibt es jede Menge, da ist noch ein kleiner Betrieb in Mülheim. „Und den Onkel in Olfen, das liegt bei Recklinghausen, den besuchen wir oft. Und von Obermehnen, da such ich gleich mal schnell ein paar Fotos raus …“ piasiegerin 1994, Doppel-Olympiasiegerin (Abfahrt und Kombination) 1998 Mit 36 gewonnenen Weltcuprennen und zwei Gesamtweltcupsiegen (1996, 1998) erfolgreichste deutsche Rennläuferin aller Zeiten Dreimal zu Deutschlands Sportlerin des Jahres gewählt Die Managerin eines Stahlunternehmens (3300 Mitarbeiter) lebt in Eberbach/Baden, ist verheiratet und hat zwei Kinder 69 70 p o r t r ä t b r i t ta h e i d e m a n n Die Außergewöhnliche Britta Heidemann lernte mit vierzehn Jahren Chinesisch, wurde mit 25 Olympiasiegerin im Degenfechten, jetzt schreibt sie ein Buch W as braucht man, um erfolgreich zu sein? Motivation, Disziplin, Durchhaltekraft. Laut Britta Heidemann braucht es vor allem aber auch Freude an der eigenen Leistung. „Ohne den Spaß am Dazulernen und ohne innere Überzeugung lassen sich Ziele schlecht verfolgen bzw. kann man nicht erfolgreich sein.“ Heidemann, 28, organisiert schnell mal Kaffee. Am Tresen der Kantine der Trainerakademie der Sporthochschule Köln steht Hermann Kugel und strahlt über das ganze Gesicht. Kugel ist Konditor und ein Original, er kennt Britta Heidemann, seit sie beim Babyschwimmen war. Er hat ihr Potenzial gleich erkannt. „Ich war der Kursleiter“, sagt Kugel, zwinkert mit den Augen und wettet, dass Britta „auch in untrainiertem Zustand noch ganz ordentliche Zeiten schwimmt“. Kugel hat vermutlich recht. Britta Heidemann ist die erfolgreichste deutsche Degenfechterin aller Zeiten, zudem gilt sie als Multitalent. Vor dem Fechten hat sie Fünfkampf gemacht und die Leichtathletik nie ganz aufgegeben. Es mache ihr Spaß und es habe Vorteile fürs Fechten, sagt Britta Heidemann: „So schnell jedenfalls bin ich nicht aus der Puste zu bringen.“ In ihrer Paradedisziplin hat es keine weiter gebracht: 2007 gewann sie die Weltmeisterschaften, 2008 die Olympischen Spiele, 2009 die Europameisterschaften, 2011 die Deutschen Meisterschaften. Aber damit nicht genug: Heidemann ist eine gefragte China-Expertin. Schon als Vierzehnjährige hat sie angefangen, die Sprache zu lernen. „Mich hat Außergewöhnliches schon immer gereizt“, sagt Heidemann. Fechten statt Ballett. Orgel statt Klavier. China statt USA. Als Klassenkameraden sich anschicken, ihr Auslandsjahr entweder in den Vereinigten Staaten oder in England zu machen, steht der Entschluss für Britta Heidemann fest: Ich will nach Peking. „Mich hat Außergewöhnliches schon immer gereizt“ Groß, blond, blauäugig, Ausnahmeathletin, studierte Regionalwissenschaftlerin Chinas – die Chinesen sind in die erfolgreiche Kölnerin richtiggehend verliebt. Im chinesischen Fernsehen war sie schon mehrfach zu sehen, einmal als Gast des chinesischen Pendants zu „Wetten, dass …?“. Britta Heidemann ist auch auf deutschen Delegationsreisen nach China ein gern gesehener Gast, wie zum Beispiel beim Expobesuch von Ministerin Schavan im letzten Jahr oder bei der Fußballnationalmannschaft auf deren Asienreise vor zwei Jahren. In der Heimat hat Heidemann als Athletin einer Randsportart nicht die Popularität, die sie aufgrund ihrer Leistungen verdient hätte. Schade eigentlich, denn das Fechten ist ein guter Lehrmeister auch fürs Leben. Zurzeit schreibt Britta Heidemann ein Buch darüber. „Erfolg ist eine Frage der Haltung“ wird es heißen und soll im September erscheinen. Was man sich vom Fechten abschauen kann? Beim Degenfechten geht es viel um Taktik, den Kampf mit den eigenen Nerven und die richtige Einstellung. „Man braucht eine Strategie und die mentale Stärke, das Selbstvertrauen, dass man der Aufgabe 71 72 s p o r t l a n d 08 73 Noch ist es Fiktion und Computeranimation, aber ab 2014 wird es Realität: Das DFB-Fußballmuseum entsteht in der Dortmunder Innenstadt DFB-Fußballmuseum Die Erlösung, ein Schrei: 2008 erfocht sich Britta Heidemann mit dem Degen in Peking die Goldmedaille „Ohne den Spaß am Dazulernen und ohne innere Überzeugung kann man nicht erfolgreich sein“ gewachsen ist“, sagt Heidemann. Das gilt abseits der Fechtbahn genauso. „Sich vor etwas zu drücken“, sagt Heidemann, „kostet im Nachgang häufig enorme Energie. Wenn man etwas gleich erledigt, hat man die Sache hinter sich, auch wenn es anfangs meist Kraft kostet, sich aufzuraffen.“ Trotz Hochleistungssport, Orgelspiel, Schule bzw. Studium findet Heidemann immer noch täglich Zeit, um zu telefonieren, fernzusehen oder zu lesen. „Meine Eltern haben mir schon früh beigebracht, dass ich mir z. B. in der Schule eine Menge Stress spare, wenn ich stets am Ball bleibe“, so Heidemann. Heidemann guckt auf die Uhr. Sie muss los, das nächste Training steht an. Die vielseitig Begabte hält Vorträge auch zum Thema Zeitmanagement und kennt die Gebote des Erfolgs nur zu genau. Nur das Tablett, das bringt Britta Heidemann noch brav weg. Hermann Kugel ist nicht überrascht. biografie Britta Heidemann, 28, Fechterin Erfolge: Olympiasiegerin 2008, Weltmeisterin 2007, Europameisterin 2009, Deutsche Meisterin 2011 Außerdem gewann sie mit der Mannschaft Silber bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 Verein: TSV Bayer 04 Leverkusen Botschafterin der Frauenfußball-WM in Deutschland EU-Botschafterin beim EU-China Year of the Youth Dass das Deutsche Fußballmuseum nach Nordrhein-Westfalen kommt, war sehr schnell klar, zuletzt konkurrierten Dortmund und Gelsenkirchen um den Standort. Dass die Stadt des ChampionsLeague- und Weltpokalsiegers BVB 09 den Zuschlag erhielt, hat nichts mit den sportlichen Erfolgen der Borussia zu tun. Entscheidend war die Lage. Denn in bester Citylage ist im Zentrum der Ruhrmetropole in den vergangenen Jahren eine Kunst- und Kulturmeile mit herausragenden Gebäuden entstanden, wo eigentlich nur noch das Haus des deutschen Fußballs fehlte. In direkter Nachbarschaft zur Stadt- und Landesbibliothek, zum Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, zum Kreativzentrum Dortmunder U mit seinem markanten Turm und zum Harenberg City Center (HCC) eröffnet 2014 das DFB-Fußballmuseum. „Wir wollen unser Haus zuallererst besucherorientiert gestalten. Wir wollen informieren, überraschen, unterhalten, berühren – mit einem Wort: begeistern“, sagt Geschäftsführer Manuel Neukircher. Das Museum für den deutschen Fußball wird sich modernster Ausstellungskonzepte und Medien bedienen. „Wir wollen etwas Außergewöhnliches schaffen“, so Neukircher. Die thematische Vielfalt des Fußballsports und seine komplexen gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Einflüsse sollen in einer klaren, leicht verständlichen Anordnung und Struktur vermittelt werden. Dabei wird in der Ausstellungskonzeption immer auf das Besuchserlebnis geachtet. In den fünf Ausstellungsbereichen „Vor dem Spiel“ (Emotionale Einstimmung), „1. Halbzeit“ (Die Welt der Nationalmannschaften und des deutschen Fußballs), „Halbzeitpause“ (Trainer und Taktik), „2. Halbzeit“ (Die Welt des Vereinsfußballs) und „Nach dem Spiel“ (Spielzone) erlebt der Besucher durch technisch innovative, aber auch durch klassische Vermittlungsformen den gesamten Facettenreichtum des faszinierendsten Mannschaftssports. An einer Rückschau auf Triumphe und Trophäen führt kein Weg vorbei. Die Schatz- kammer mit den wertvollsten Pokalen der Nationalmannschaft und des Clubfußballs sowie eine „Hall of Fame“ für die großen deutschen Spielerpersönlichkeiten bilden emotionale Höhepunkte der Ausstellung. Geschichten der Fußballstars werden anhand von Exponaten und alten Fotos aus ihrer Jugendzeit erzählt. Die „1. Halbzeit“ inszeniert die Welt des nationalen Fußballs, der Geschichte des DFB von seiner Gründung im Jahr 1900 bis heute. Thematisiert werden vor allem die WMund EM-Teilnahmen der Nationalelf und die Nationalmannschaft selbst mit ihren fantastischen Titelgewinnen bei den großen Turnieren. Die Geschichte des organisierten Fußballs in der DDR ist ebenso Bestandteil wie die Erfolgsstory des deutschen Frauenfußballs. Die „Hall of Fame“ ist das Zentrum des deutschen Fußballs und ein angemessenes Ende des Ausstellungsbesuchs. Sie würdigt Persönlichkeiten des deutschen Fußballs wie Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer oder Lothar Matthäus, die durch Leistung, Fair Play und Miteinander zum Vorbild wurden. Am Ende des Ausstellungsrundganges, in der „Spielzone“, werden die Besucher selbst aktiv. Beim Dribbeln, Torwandschiessen oder beim Testen von Schusskraft und Passgenauigkeit. 74 porträt ingrid klimke 75 Die Ausbilderin Ingrid Klimke wollte erst Lehrerin werden, dann wurde sie Berufsreiterin und Olympiasiegerin – nun lernen Pferde bei der Münsteranerin L esen, Schreiben, Rechnen? Oder Turniere zwischen Trippelbarre und Traverse? Anfang der 90er-Jahre musste Ingrid Klimke eine Entscheidung treffen. Zum ersten Mal war die Vielseitigkeitsreiterin gerade – für Barcelona – in einen Olympiakader berufen worden. Und eigentlich wollte die Münsteranerin ja beides: Turnierreiterin bleiben und Grundschullehrerin werden. Mit Hecheln und Hetzen zwischen Hörsaal und Hufschlag hatte sie „das Studium noch ganz gut auf die Reihe bekommen“. Aber schon im Referendariat ließen sich Berufspläne der Amazone und Trainingspläne ihrer Pferde kaum mehr vereinbaren. biografie Ingrid Klimke, 43, Vielseitigkeitsreiterin Erfolge: zweifache Weltmeisterin 1998 und 2006, vierfache Deutsche Meisterin, Mannschafts-Olympiasiegerin 2008 in Peking Verein: RV St. Georg Münster Von Haus aus Grundschullehrerin, arbeitet die Pferdewirtschaftsmeisterin heute in Münster. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder Ingrid Klimke machte, was Turnierreiter in so einer Situation tun: durchparieren, sammeln, einen klaren Kopf kriegen. „In der Weltspitze des Reitsports eine Rolle zu spielen, ist heute nur als Vollprofi möglich.“ Wie es ihr 1999 verstorbener Vater Reiner machte, der neben seinem Beruf als Anwalt sechs Weltmeisterschaften und acht olympische Medaillen in der Dressur gewann, „ist das heute nicht mehr drin“. Heute, nach zwei gewonnenen Weltmeisterschaften und fünf olympischen Turnieren hat sie London 2012 fest im Blick, ist zweifache Mutter, verlegt Ausbildungsmaterialien als Bücher und DVDs und unterrichtet Pferde statt Kinder. Bis zu acht Pferde reitet sie täglich. Manche gehören ihr, manche einem Mäzen, manche „teilen wir uns auch“. Für ihre Trainingsarbeit an den Pferden bis zur Championatsreife zahlen die Eigner eine Ausbildungsvergütung, und an den Preisgeldern, die gewonnen werden, partizipiert sie auch. „Doch den vollständigen Return-of-Invest (ROI) schaffen selbst Elite-Vielseitigkeitspferde nur in Ausnahmefällen“, so die Erfahrung der 43-Jährigen. Helme und Hosen, Sattel und Stiefel, Trensen und Longen – ohne Sponsoren, die sie und ihre Tiere ausstatten, ist Pferdewirtschaft kaum kostendeckend zu betreiben. Die drei Disziplinen der Vielseitigkeit – Dressur, Parcours und Gelände – erfordern unterschiedliche Ausrüstungen. Wenigstens die Flugreisen zu internationalen Wettbewerben bezahlt für Ross und Reiter der Verband. 100.000 Euro boten Ingrid Klimke und ihre Mäzenin Madeleine Winter-Schulze, um Rubinja im letzten Herbst von einer Auktion mit nach Hause zu nehmen. „Ein Schnäppchen“ für das hoffungsvolle Nachwuchspferd, das sich seither Boxengasse, Weiden und Trainingshalle u. a. mit Dresden Mann, Parmenides, Spinoza und Abraxxas teilt. Der Wallach ist ihr derzeit bestes Pferd im Stall. Mit Abraxxas hat sie Mannschaftsgold bei Olympia in Peking gewonnen, mit der besten Einzelplatzierung in der deutschen Equipe. Hannoveraner, Trakehner, Westfalen – auf Klimkes „Reitanlage Schulze-Brüning“ herrscht Multikulti im Münsterland. Mit einem hohen Vollblutanteil, wie er für Vielseitigkeitspferde wichtig ist. Arbeiten mit nur einer Rasse jedenfalls „kommt hier gar nicht in den Stall“. Von der herrlichen Anlage aus geht es regelmäßig zum lockeren Ausreiten an die Ufer der Ems oder zum Krafttraining an den Brochterbeck. „Nichts, was die Bezeichnung Berg verdient hätte“, lacht Klimke, „aber das Einzige, was das Münsterland zu bieten hat, wenn Pferde auch mal steile Topografien brauchen.“ Diese Ups and Downs spielten eine große Rolle. In vielerlei Hinsicht. Aufstehen und weitermachen ist eine eigene Mechanik im Leben von Vielseitigkeitsreitern. Nach Stürzen zum Beispiel. Normales Berufsrisiko, wie bei einem Abwurf Ende April in England, der für Ingrid Klimke die Konsequenz eines Bänderrisses und einer sechswöchigen Pause hat. Immerhin blieb der 14-jährige Abraxxas gesund. p o r t r ä t u l r i k e n a s s e - m e y fa r t h 76 Die Unterschätzte Ulrike Nasse-Meyfarth startet ihre Karriere mit Olympia-Gold und beendet sie zwölf Jahre später mit Gold – zwischendurch lag sie richtig am Boden D iese Frau besteht nur aus Beinen. Im Moment stecken sie in Jeans und gehen ihr bis zu den Achseln. Und wie sie geht. Ehrlich, so geht sonst kein Mensch. Ein bisschen wie ein Westernheld, extrem lässig. Außerdem sieht sie großartig aus. Kinder, vergesst Lady Gaga: Auf diesem Planeten ist Ulrike Nasse-Meyfarth die coolste Frau. raschenden Triumph erinnert sich Meyfarth zunächst mal daran, dass sie während des Wettkampfs verblüfft feststellt, dass ihr Name auf der Anzeigentafel „immer höher rutscht“. Ein Glück bereits, dass sie überhaupt im Stadion ist. Die Spiele finden im eigenen Land statt. Teure Tickets fallen nicht an, und die junge Rheinländerin darf ins Team, damit sie Erfahrung sammeln kann. Cool? Darüber werden sie sich wieder schlapp lachen: Alexandra und Antonia, der berühmten Mutter Töchter. Immer wieder gerne sehen sich die jungen Frauen auf Youtube das endlustige Interview an, das der ARD-Sportmoderator Eberhard Stanjek 1972 mit der Mama, der damals frisch gekürten 16 Jahre alten Goldmedaillengewinnerin führte. Zum Brüllen komisch, nicht nur für den eigenen Nachwuchs: Die blutjunge Meyfarth, in einem grellgrünen Trainingsanzug mit Bundesadler auf der aufgenähten Brusttasche, wirkt so unbeholfen, als wäre sie ihre eigene, genial in Szene gesetzte Parodie. Die Mimik – unbeschreiblich. Ihr Gesicht lässt sich lesen wie ein Buch: Was redet der Blödmann da? Bloß nicht zu viel lächeln. Gibt es irgendeinen Fluchtweg? Stanjek stellt dämliche Fragen und bekommt die verdienten Antworten. Zum Schluss wird dem Goldmädchen im kleinen Studio ein riesiger Rosenstrauß überreicht, ein Gratulationsgruß von Willy Brandt. Meyfarth sieht aus, als wolle sie jeden Moment einen Knicks machen, dann nickt sie artig in die falsche Kamera und sagt: „Vielen Dank, Herr Bundeskanzler!“ Ein Platz unter ferner liefen, mit mehr ist kaum zu rechnen. Eine der Favoritinnen heißt Ilona Gusenbauer, sie kommt aus Österreich und hält mit 1,92 Metern den Weltrekord. Gusenbauer ist eine erfahrene Straddle-Springerin, das heißt, sie überquert die Latte mit Bauch und Brust. Deutschlands Hochsprung-Küken aber flopt im neuen Stil des Amerikaners Dick Fosbury, springt also rückwärts über die Latte. Ulrike Nasse-Meyfarth, heute 55 Jahre alt, gehört zu den populärsten und beliebtesten Sportlerinnen, die Deutschland je gehabt hat. Ihren Mädchennamen kennt hierzulande jeder, der 1972 mindestens acht Jahre alt war. Fast 40 Jahre nach ihrem über- „Ich habe diesen Wettkampf in München wie einen Film erlebt“ Meyfarth flopt an diesem 4. September mit 1,90 Metern höher als jemals zuvor, höher auch als alle Konkurrentinnen. Zum Schluss ist sie ganz allein im Wettbewerb und darf noch mal springen. Sie lässt eins zweiundneunzig auflegen. Nur einen Zentimeter höher, und sie hätte einen neuen Weltrekord aufgestellt, „aber so abgebrüht“, sagt Meyfarth, „war ich damals einfach nicht“. Die Schülerin Ulrike schafft auch die eins zweiundneunzig. Das Stadion tobt. Reporter, Mikrofone, Blitzlichtgewitter – Sensation: Das Kind ist Olympiasiegerin. 77 p o r t r ä t u l r i k e n a s s e - m e y fa h r t 78 „So abgebrüht war ich damals noch nicht“ biografie Ulrike Nasse-Meyfarth, 55, Hochspringerin Erfolge: 1972 und 1984 Olympiasiegerin Dreifache Weltrekordlerin, fünffache Deutsche Meisterin, Europameisterin, Vizeweltmeisterin Von 1981 bis 1984 Der Goldsprung: München 1972, eine 16 Jahre junge deutsche Hochspringerin flopt über Sportlerin des Jahres die Latte in 1,92 Meter und wird Olympiasiegerin. Zwölf Jahre später wiederholt Ulrike Meyfahrt Verein: TSV Bayer 04 die Leistung und überrascht abermals die Leichtathletikwelt Leverkusen Botschafterin für die Bewerbung Münchens für die Winterspiele 2018 Kuratoriumsmitglied der NRW-Sportstiftung Mitglied in der IAAFAthletenkommission Engagiert sich bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe Biografie von Ulrike Nasse-Meyfarth mit Uwe Prieser: Ulrike Meyfarth grinst: „Ich habe diesen Wettkampf wie einen Film erlebt.“ In guten Filmen – also in solchen, die den Zuschauern alle Emotionen abverlangen, sie lachen, weinen, bangen und hoffen lassen – geht es nach einen frühen Happy End immer erst mal richtig bergab. Der eben noch bewunderte Held mutiert zum bedauernswerten Tropf, der saure Zeiten und einige Prüfungen bestehen muss, bevor er sich selber aus dem Sumpf zieht und Ruhm und Ehre erntet, die – weil hart erarbeitet – nun von Dauer sind. In München mag eine Teenagerin bereits ahnen, dass sie die Hauptrolle in einem Film hat. Was sie nicht weiß: Sie wird noch zwölf Jahre mitspielen müssen, bevor er zu Ende ist. „Nicht nur die Höhe verändert sich“, Verlag: Econ Angestellt bei TSV Bayer 04, zuständig u. a. für Talentsichtung Aufgenommen in die „Hall of Fame“ des deutschen Sports www.ulrike-meyfarth.de Eine frühe Zäsur: Der Terroranschlag der Palästinenser auf die Mannschaft aus Israel. Die letzte Siegerin vor dem Attentat heißt Ulrike Meyfarth. Kaum hält sie ihre Medaille in der Hand – schon achtet niemand mehr auf sie. Was für eine Erleichterung! Nach der Zwangspause gerät die junge Olympiasiegerin jedoch rasch wieder in den Fokus des öffentlichen Interesses. Das Telefon steht nicht mehr still, Journalisten fragen ihr Löcher in den Bauch, dauernd will jemand was. Am Gymnasium bitten die jüngeren Schüler um Autogramme. Die so Begehrte meidet den Pausenhof. Jahrzehnte vor der Erfindung der Castingshows wollten Jugendliche früher alles, nur nicht das: etwas Besonderes sein. Ulrike ist da keine Ausnahme. In München hatte sie unbeschwert und mühelos gewonnen, plötzlich scheint alles wie verhext: In der Schule lässt sie deutlich nach, eine Verletzung löst die andere ab, im Training und bei Wettkämpfen sind ihre Leistungen enttäuschend. Eins zweiundneunzig sind so entfernt wie der Mond. Niemand sagt es so, aber alle denken: Ulrike Meyfarth ist eine Eintagsfliege, ein blindes Huhn, das mit viel Glück ein Mal das goldene Korn gefunden hat. Das Können aber, das fehlt ja wohl. Nur zu gerne würde die unerfahrene Athletin den hohen Erwartungen genügen, nur zu gerne ihre Leistung in München durch weitere Siege bestätigen, nur wie sie mit dem Druck umgehen soll, das sagt ihr niemand. Vermutlich weiß es keiner. 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal scheidet Ulrike Meyfarth bereits im Vorkampf aus. Die Deutsche Sporthilfe streicht ihr die Förderung, zum Sportstudium an der Uni Köln wird sie zunächst nicht zugelassen. Numerus clausus! Die Goldmedaille zählt nicht. Hätte sie sich eben beim Abi mehr anstrengen müssen, das Fräulein Meyfarth. Als alle sie schon abgeschrieben haben, ist sie gerade mal 21 Jahre alt. Sobald ein Tiefpunkt erreicht ist, kann es nur aufwärts gehen. Die Wende beginnt mit einem Wechsel des Vereins. In Leverkusen lautet die Botschaft: Wir werden dich unterstützen, weil wir an dich glauben. Gleichzeitig beginnt Ulrike Meyfarth im Nachrückverfahren nun doch ihr Studium. Der neue Trainer drückt den Reset-Knopf. Die Athletin muss noch mal ganz von vorne anfangen. Neue Trainingsmethoden, neue Bewegungsabläufe, neuer Mut. Und: üben, üben, üben. 1978 wird sie EM-Fünfte, 1981 Europaund Weltcupsiegerin, 1983 Vizeweltmeisterin. Die Meyfarth, sie ist wieder da. Noch aber ist sie nicht erlöst. Nur ein erneuter Olympiasieg würde das ändern. Ulrike Meyfarth ist 28 Jahre alt und will ihre sportliche Laufbahn nach den Spielen in Los Angeles beenden. Scheitert sie, hat sie eine ordentliche Karriere hingelegt, mit Höhen und Tiefen wie viele andere auch. Holt sie je- doch nach zwölf Jahren abermals Gold, gehört sie zu den ganz Großen. Es wäre zudem der endgültige Beweis, dass ihr in München nichts geschenkt worden ist. In den Wochen vor Los Angeles hat die Athletin, die der ganzen Welt, vor allem aber sich selbst etwas beweisen will, höllische Schmerzen im Fuß. Ein befreundeter Sportjournalist fragt: „Sag mal, hinkst du?“ Die Konkurrentin diesmal heißt Sara Simeoni. Es sieht toll aus, wenn sie springt. Richtig elegant. Als die Italienerin beim ersten Versuch zwei Meter locker überspringt, wirft sie Kusshände ins Publikum. Ulrike Meyfarth schafft zwei Zentimeter mehr. Gold! Was für eine Geschichte, was für ein Ende. Man müsste einen Film draus machen. Ulrike Meyfarth ist fertig mit Erzählen und muss weg. Wie es ihr heute wohl geht? Sie dreht sich noch mal um, lacht. Verdammt glücklich sieht sie aus. 79 80 p o r t r ä t ta n j a s z e w c z e n k o Die Schauspielerin Tanja Szewczenko stürzte als 16-Jährige die Eislauf-Legende Kati Witt vom Thron und macht sich Sorgen um die Zukunft ihres Sports M it zwei Jahren setzte sie das erste Mal ihre Kufen auf das Eis an der legendären Düsseldorfer Brehmstraße. Als bezaubernder Teenager wurde sie, 16-jährig, Deutsche Meisterin und schaffte den Sprung in die Weltspitze, der 1994 mit Bronze bei den Weltmeisterschaften im japanischen Chibu gekrönt wurde. Tanja Szewczenko blickt auf eine Eiskunstlaufkarriere mit märchenhaften Augenblicken zurück. Trotzdem beantwortet die 33-Jährige die Frage nach ihren schönsten Momenten im Sport überraschend anders als erwartet: „Die gibt es nicht auf der großen Bühne, sondern alleine in der Trainingshalle. Zum Beispiel, wenn man einen Sprung zum ersten Mal gut hinbekommt.“ In den neunziger Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts verleiht die Rheinländerin dem deutschen Eiskunstlauf das schönste und erfolgreichste Gesicht. Die Geschichte zur Optik stimmt. Das junge Küken, das mit sechs Jahren seinen ersten großen Pokal gewinnt, kämpft sich mit viel Disziplin und familiärer Förderung durch Eislauf- und Ballettunterricht an die Spitze; 1994 stürzt sie bei den Deutschen Meisterschaften die große Katarina Witt vom Thron. Prächtige Erfolge wie die Bronzemedaille bei den Europameisterschaften in Mailand 1998 folgen. Tanja Szewczenko wurde von vielen Beobachtern in jener Zeit als Fortführung des deutschen Fräuleinwunders aus den frühen Sechzigern beschrieben. Sie selbst genoss die Zeit und blickt begeistert auf ihre Aktivenzeit zurück: „Die Erfolge waren wunderschön.“ Dabei verlief die Karriere alles andere als sorgenfrei, weil immer wieder Krankheiten und Verletzungen die fleißige Sportlerin hinderten. 1996 zwang das Pfeif- fersche Drüsenfieber zu einer zweijährigen Pause, im Januar 2001 blieb dann nur noch der Rücktritt vom Leistungssport. Doch die Eisprinzessin lässt sich durch die gesundheitlichen Rückschläge nicht entmutigen. Sie probiert viele neue Dinge aus, ihr prominenter Name öffnet dabei auch Türen. Sie modelt oder betritt als Schauspielerin, Fernsehmoderatorin und Kinderbuchautorin die Bühne. Kreativ muss es schon sein. Eine Rolle wie die der Polizeioberkommissarin Elly Wagner macht sie einem anderen Publikum als ihre Eislauf-Fangemeinde bekannt. Die Blondine mit Pferdeschwanz in der rustikalen Lederjacke ist vor Kurzem als Filmfigur in die WDR-Kultserie „Ein Fall für die Anrheiner“ eingezogen. Da spielt Tanja eine kesse Polizistin, die nach der Geburt ihres Kindes wieder in den Beruf zurückgekehrt. Die Schauspielerei ist ein bedeutender Teil ihres Lebens geworden. „Die Filmfigur bildet praktisch mein reales Leben wider“, schmunzelt sie. Denn privat hat Tanja Szewczenko ein neues Kapitel aufgeschlagen. Im Februar 2011 ist Tochter Jona Valentina auf die Welt gekommen. „Einiges hat sich jetzt ganz schön geändert“, bemerkt Lebenspartner Norman Jeschke, der einst selbst gefeierter Eislaufstar war und als Partner von Tanja in verschiedenen professionellen Engagements auftrat, die sie rund um den Globus führten. Die Düsseldorferin und der fröhliche Ostberliner, der seine Sportlerkarriere noch in der DDR begann und eine klassische Kinder- und Jugendausbildung durchlief, leben ohne Trauschein in der Nähe von Köln. „Hier am Rhein ist es einfach besonders schön“, sagt die junge Mutter. Mit dem Rheinland 81 82 s p o r t l a n d 09 „Es kommen zu wenig Kinder und Jugendliche zu unserem Sport“ 83 Spektakulär und immer ausverkauft sind die Abendveranstaltungen beim CHIO im Reitstadion in der Aachener Soers CHIO Aachen Elegant, sportlich, erfolgreich: Tanja Szewczenko auf dem Eis (hier bei den Europameisterschaften in Prag) biografie Tanja Szewczenko, 33, Eiskunstlauf Erfolge: Bronze bei der Weltmeisterschaft 1994, dreifache Deutsche Meisterin Verein: Düsseldorfer EG kann sich auch die Berliner Pflanze Norman arrangieren. Doppelhaus und Hund runden das Familienglück ab. Vor allem, da es nicht weit zum Filmset ist. Dorthin dürfen Töchterchen und Lebensgefährte die schauspielernde Mutter regelmäßig begleiten. Denn gedreht wird meistens in der Domstadt, manchmal in der Kulissenstadt, aber auch an Plätzen in der Stadt, getreu dem aktuellen Motto: „Die neuen Gesichter im Veedel“. Persönliches: startete nach der sportlichen eine schauspielerische Karriere, u. a. in der RTL-Soap „Unter uns“ und im Moment beim WDR in „Ein Fall für die Anrheiner“ Es ist immer was los im Hause der jungen Familie. Kinderarztbesuch, Anfragen zu Interviews und Fotoshootings sowie Vorbereitung auf die EiskunstlaufWeltmeisterschaften füllen in den späten Apriltagen ihren Terminkalender. Tanja mag vom Eiskunstlauf nicht lassen und ist glücklich, dass sie dabeibleiben durfte – jetzt mit einem Stammplatz auf der Kommentatorentribüne, wo sie als TV-Expertin Dreifachund Vierfachsprünge bewertet und erklärt. Sorgen bereitet ihr freilich der Eislauf-Nachwuchs: „Es kommen zu wenig Kinder und Jugendliche zu unserem Sport. Es fehlen die Vorbilder, aber es fehlt auch an finanzieller Unterstützung.“ Die ehemalige Eisprinzessin würde in Deutschland wieder gerne viele mehr Jungen und Mädchen übers Eis gleiten sehen, doch „es fehlt an so vielem“, stellt sie resig- niert fest. Selbst in der Spitze herrsche Tristesse. „Da gewinnen Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy in Moskau zum dritten Mal WM-Gold im Paarlauf, doch gerade mal 1,15 Millionen Deutsche sehen im Fernsehen zu“, beklagt die früher Umschwärmte. Will sie nicht selber helfen, mit ihrer professionellen Sicht? „Ach, Mutter Theresa bin ich auch nicht“, fällt ihr da ein ziemlich drastischer Vergleich ein. Noch ein Wunsch, Tanja? „Norman und ich träumen von einer eigenen Show.“ Und der Fußball? Etwas neidisch blickt die Eiskunstläuferin auf das große Kino mit dem runden Leder. „Andere Sportler und Sportlerinnen müssen so hart arbeiten, bekommen aber nie die Anerkennung.“ Das sei aber nur ein kleiner kritischer Blick auf die Ballkünstler. Natürlich freut sich die Vielfachkönnerin auf die Spiele in Deutschland, ganz besonders in Nordrhein-Westfalen. „Auch wenn ich selber nicht unbedingt der größte Fan bin.“ Freund Norman Jeschke begeistert sich da schon eher: „Ich bin doch Allroundsportler mit Leib und Seele.“ 2006 – das Jahr geht als „Sommermärchen“ in die Sportgeschichte ein. Weltmeisterschaften in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen. Zuerst krönten die Fußballer ihre Weltbesten, dann folgten Hockey-WM in Mönchengladbach und die Reiter. 576 000 Zuschauer sahen die Weltreiterspiele in der einmaligen Reitanlage der Aachener Soers – eine Begeisterung, die die gesamte Republik und weltweit 1,6 Milliarden Zuschauer erfasste. Die Fortsetzung folgt in diesem Jahr, wenn Mitte Juli die Finalspiele der Frauenfußball-WM mit dem traditionsreichen CHIO in Aachen zusammentreffen. „Er hat genug getan. Ich habe ihn nur noch einmal mitgebracht, damit er Aachen zum Abschied noch einmal sehen kann“, zeigte sich Fritz Thiedemann beim letzten Auftritt seines legendären Springpferds Meteor 1961 gerührt. Von einem enthusiastischen Publikum, das damals wie heute eine prickelnde Atmosphäre verbreitet. „Aachen, das bedeutet Spitzensport – aber auch und vor allem Volksfest“, sagt Präsident Carl Meulenbergh vom ausrichtenden Aachen-Laurensberger Rennverein (ALRV) über die bedeutendste Turnierwoche im weltweiten Pferdesportkalender. 1898 begann die Erfolgsgeschichte, als sich Gutsbesitzer, Fabrikanten, Landwirte, Viehhändler und Reitlehrer aus der Region zunächst zum „Laurensberger Rennverein“ zusammenschlossen. Das Vorhaben schien ganz simpel: Den pferdesportbegeisterten Aachenern sollten gemeinsam organisierte Pferderennen den Alltag versüßen. Nach den ersten Reitversuchen fand der mittlerweile in „Aachen-Laurensberger Rennverein“ umbenannte Club Anfang der 1920erJahre seine heutige Heimat: auf dem weitläufigen Turniergelände in der Aachener Soers. 1924 konnte hier neben dem gewohnten „Renntag“ das erste sogenannte „Reit- und Fahrturnier, verbunden mit Flach- und Hürdenrennen“ eröffnet werden. 20 000 Zuschauer waren begeistert, die Basis für den CHIO war geschaffen. 1927 folgte das erste internationale Turnier und zwei Jahre später der erste Nationenpreis, mit dem die eigentliche Ära des CHIO (Concours Hippique International Officiel) begann. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begründeten berühmte Pferdesportler den Weltruhm der Aachener Turnierwoche: Fritz Thiedemann, Hans Günter Winkler, die Schockemöhle-Brüder, Nelson Pesoa, die d‘Inzeos oder Nick Skelton; Dr. Reiner Klimke, Josef Neckermann, Liselott Linsenhoff, Elena Petushkova oder Nadine Capellmann und Isabell Werth; Richard Talbot, Ijsbrand Chardon oder Michael Freund. Sportler und ihre Pferde, die spektakuläre Triumphe feierten oder bittere Enttäuschungen erlebten bei Welt- (Springen 1955, 1956, 1978 und 1986; Dressur 1970) und Europameisterschaften (Springen 1958, 1961, 1965, 1971; Dressur 1967, 1973, 1983). „Aachen war meine reiterliche Heimat“, sagte der legendäre deutsche Springreiter Hans Günter Winkler im Rückblick. „Ich hatte das Glück, hier große Siege erringen zu können. Und der krönende Abschluss war für mich die Beendigung meiner Laufbahn vor 50 000 Zuschauern bei der WM 1986 in der Soers.“ 2004 bis 2006 wurde das Turniergelände runderneuert und damit auch fit gemacht für die fünften Weltmeisterschaften/Weltreiterspiele. In Aachen strebt man nun eine Fortsetzung dieses einmaligen Erlebnisses an. Erstmals will man 2015 auf europäischer Ebene Reiterspiele ausrichten. Die Vorbereitungen für die Bewerbung laufen bereits auf Hochtouren. 84 porträt isabell werth Die Künstlerin Isabell Werth ist die erfolgreichste Dressurreiterin der Welt – nach fünf Olympiasiegen ist freilich noch lange nicht Schluss Es gibt tatsächlich Kinder, die lernen eher Reiten als Laufen. Frederik Werth ist so einer. Kein Wunder. Lebten in der Landwirtschaft, am Niederrhein bei Issum, wo seine Mutter Isabell mit ihrer Schwester aufgewachsen ist, „noch Kühe, Schweine, Hund und Katz, die wir hüten, treiben oder an der Leine führen konnten“, sind Pferde als Spielgefährten ihres 20 Monate alten Sohnes nahezu konkurrenzlos. „Es sei denn“, lacht die junge Mutter, „Opa Heinrich kommt mit dem Quad auf den Hof geknattert.“ Dann müssen beide erst eine Runde drehen. Frederik ist definitiv ein guter Grund dafür, dass die erfolgreichste Dressurreiterin, die der deutsche Pferdesport je hervorgebracht, sich eine gern kolportierte Anschauung der Reitergemeinde nie zu eigen machen würde: „Ein Leben ohne Pferde ist möglich – aber weitgehend sinnlos.“ Klingt gut, stimmt aber nur zum Teil, sagt Isabell Werth und ergänzt: „Das traf auf mich nicht mal zu, als ich mal in einem Interview geantwortet habe ‚Meine Pferde sind wie meine Kinder‘.“ Aber das zumindest stimmt auch heute noch. „Was Ross und Reiter zeigen, ist so etwas wie Kunst“ Auf der Ponystute Illa hat sie – „da war ich aber schon fünf“ – zum ersten Mal im Sattel gesessen. Mit Funny ging es nur wenige Jahre später auf die ersten Turniere. Springen und Vielseitigkeit wurden zur Leidenschaft des Teenagers. Doch dann fragte ein Nachbar der Werths, der Dressurexperte Uwe Schulten-Baumer, ob die damals 17-jährige Schülerin nicht Lust hätte, einige seiner Pferde zu reiten. „Aber was daraus wurde, das soll ich jetzt nicht noch mal erzählen“, erkundigt sich dessen Nachbarin – im Ledersessel ihres Besucherzimmers aufrecht wie im Sattel sitzend – jetzt und heute, 35 Jahre später. „Oder doch?“ – Nein danke, ist wirklich nicht nötig. RTL ist ja gerade erst aus der Tür. Ein Interview für die Serie „Sportstars vom Rhein“. Auf die Minute pünktlich geben sich die Kollegen die Klinke in die Hand. Pressedame Kerstin Bahlert sorgt dafür, dass der eng getaktete Terminkalender Isabell Werths nicht umgeworfen wird. Beim Überschreiten des Zeitlimits drohen Dressurreitern keine Strafpunkte, aber gut. Kurzer Parforceritt: Luhmühlen – Aachen – Den Haag – Barcelona – Atlanta – Sydney: Mit Schulten-Baumers Spitzenpferd Gigolo gewann sie viermal Gold bei Olympia, davon drei Medaillen mit der Mannschaft und zwei weitere im Einzelwettbewerb in Silber. Mit dem Hannoveraner Fuchswallach wurde sie vierfache Weltmeisterin, gewann selbst vier Europameisterschaften und sieben weitere mit der deutschen Mannschaft. O.k., Fabienne war auch noch da. Mit ihr wurde sie 1992 Weltcupsiegerin. Aber Gigolo wurde unter Isabell Werth zum erfolgreichsten Dressurpferd aller Zeiten. Gigolo und Isabell Werth waren bis 2001 in der Welt des Dressursports „die Einheit, das TraumTeam, die Firma, die jeder kannte“, wie der Landwirtssohn und pferdevernarrte Chefredakteur eines Hamburger Wochenmagazins damals schrieb. Seither hat sich viel getan. Gigolo ging wenig später in Rente. Ihm folgten, mit Isabell Werths Wechsel des langjährigen Mentors und Mäzens zum neuen Stall Winter-Schulze, Pferde wie Antony, Apache, Richard Kimble und Satchmo. Alles Wallache. Warum das eigentlich? Einen Hengst „zu legen“ – wie die Reiter sagen – will wohl bedacht sein. Da gilt es zu taxieren: Wird er mit seinen Preisen auch wieder einspielen, was Reiter und 85 86 porträt isabell werth Mannschaftsreiterin: Mit einer perfekten Dressur im Viereck sichert Isabell Werth der deutschen Equipe auch 2008 in Peking/Hongkong die Goldmedaille „Ich bin neugierig, Pferde auszubilden und zur Weltspitze zu führen“ Mit Satchmo erfolgreich in der Einzelkonkurrenz: Isabell Werth gewinnt Silber in Peking/Hongkong biografie Isabell Werth, 41, Dressurreiterin Erfolge: 1996 Olympiasiegerin in Atlanta, Silbermedaillengewinnerin in Barcelona, Sydney und Peking. Gemeinsam mit der Mannschaft gewann sie acht olympische Medaillen. Dreifache Weltmeisterin, vierfache Europameisterin, achtfache Deutsche Meisterin Die Rechtsanwältin ist verheiratet, Mutter eines Sohnes und engagiert sich als Botschafterin der Christoffel-Blindenmission Besitzer an Training, Zeit und Geld investiert haben, oder eher als Deckhengst? – Bei einem gekörten, also vom Verband für die Zucht zugelassenen Pferd wie etwa Gigolo, da ist der Name ja praktisch Programm. 1.500 Euro Decktaxe sind da nichts Ungewöhnliches. Auf bis zu 8.000 Euro kann das Deckgeld bei Spitzenvererbern ansteigen. Mal 300 bis 400 Stuten pro Jahr – da muss eine Menge Preisgeld verdient werden. Doch nicht viele „Jungs“ unter den professionellen Renn-, Spring- oder Dressurpferden können sich auf Leistungssport konzentrieren und gleichzeitig jungen Damen ihrer Art Mutterfreuden bescheren. Außerdem muss das eine regelmäßig hoch dotiert sein, damit das andere dann auskömmlich bezahlt wird. Totilas, der holländische Wunderhengst, ist einer, der beides kann. Ein elfjähriger Rappe, für den Paul Schockemöhle Anfang des Jahres zehn Millionen Euro bezahlt hat und den er gern unter Isabell Werth reiten lassen wollte. – Das hätte natürlich seinen Reiz gehabt. Totilas hat Satchmo und der Rheinländerin in seinem Sattel mal einen Weltrekord abgenommen. 79,958 % in einem Grand Prix. 2005 bei den Stuttgart German Masters. Vier Jahre später schaffte Totilas unter dem Niederländer Edward Gal mit 84,085 einen neuen Prozentrekord. Aber Werth lehnte das Angebot Schockemöhles ab: „Ich bin neugierig, junge Pferde auszubilden, zur Weltspitze zu führen und dort wenn möglich dann lange zu bleiben.“ Werth, „die mit Preisgeldern kaum jemals eingespielt werden können.“ Totilas etwa, kassierte 2010 „nur“ gut 200.000 Euro. Allerdings – der ist ja auch erst elf. Wie mit Satchmo. Noch jung in ihre Hände gekommen, ritt Isabell Werth mit ihm beinah wieder, wie sie es mit Gigolo konnte. Traumhaft sicher, mit reiterlichen Hilfen aus Schenkel, Hand und Rücken, die kaum auszumachen waren. Piaffen, Passagen und Pirouetten. In der Dressurprüfung der Vielseitigkeitsreiter nicht gefordert, müssen diese „drei P“ bei Championatsturnieren der Spezialisten die Juroren verzücken. „Das schafft man nur, wenn es eine tiefe innere Übereinstimmung gibt. So eine Beziehung zu einem Pferd aufzubauen, braucht Jahre. Das muss zusammenwachsen und setzt eine intime, beinah mystische Beziehung voraus.“ Ob mit Trense oder Kandare, in der Volte oder dem Rückwärtsschritt, ob im verkürzten, Mittel- oder verstärkten Trab: Im Ergebnis sei das, „was Ross und Reiter, wenn alles passt, zeigen, so etwas wie Kunst. Wir sind Sportler und irgendwie auch Künstler zugleich.“ Pokale, Trophäen, Medaillen. Mit der Aussicht auf Erfolge bekommt Isabell Werth Pferde gern früh unter den Sattel. Bildet sie aus „vom Vorschulalter bis zur Hochschulreife“. Zugegeben: Siege danken ihr auch die Sponsoren. Ein Luxusuhrenfabrikant, ein Sattelschuster oder der Reithosenschneider. Aber das wichtigste Standbein des Werth’schen Pferdewirtschaftsbetriebs ist die Ausbildung. Neben den Tieren von Mäzenin und Trainerin Madeleine Winter-Schulze, die früher selbst erfolgreich Grand Prix geritten und Deutsche Meisterin geworden ist, stehen fast 80 Pferde in der Anlage in Rheinberg. 13 Mitarbeiter helfen Isabell Werth, vom Striegeln der Pferde und Fegen der Boxengassen bis zum Enterprise Ressource Planning (ERP) und dem Customer Relation Management (CRM) im IT-System auf der Büroetage des mittelständischen Unternehmens. Mit Satchmo gewann sie in Peking olympisches Gold in der Mannschaft und Silber in der Einzelwertung, wurde einmal mehr Weltmeisterin und beim Weltcup 2009 Zweite. Aber – noch einmal retour – Millionensummen für ein Pferd? – „Das sind Liebhaberpreise“, sagt Und alle hoffen, dass es mit Olympia in London klappt. Der 15-jährige Hannoveraner „Warum nicht“ ist einer, der dabei sein könnte. An ihm soll es nicht liegen. Und die eigentliche – oder war es neben der Babypause mit Frederic nur eine weitere – Ursache ihrer Zwangs- pause Ende 2009 ist auch überstanden. Nach einer positiven Dopingprobe bei ihrem Nachwuchspferd Whisper beim Wiesbadener Pfingstturnier desselben Jahres wurde Isabell Werth für sechs Monate gesperrt. Eine Sanktion, die Bundestrainer Holger Schmelzer und DOSB-Präsident Thomas Bach „absolut angemessen“ fanden und die von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung sofort akzeptiert wurde. „Mit blauem Auge davongekommen“ bilanzierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), und die „gelernte“ Juristin und langjährige Rechtsanwältin Isabell Werth selbst nahm sofort die Verantwortung auf ihre Kappe: „Was Recht ist, muss auch Recht bleiben.“ Zwar hatte Whispers Tierarzt – aber eben auch Isabell Werths Tierarzt – dem Wallach ein Psychopharmakon zur Behandlung des sogenannten Shivering-Syndroms verabreicht. Bei der Berechnung der Abbauzeit der darin enthaltenen und vom Internationalen Reiterverband FEA verbotenen Substanz Fluphenazin hatte sich der Veterinär aber offenbar verschätzt. Ein Gutes – für alle Reiter – hatte aber auch diese Erfahrung der Rheinländerin. Seither arbeitet die FEA daran, im Regelwerk die Verantwortung von Tierärzten für positive Dopingproben fester zu verankern und Reiter damit zu entlasten. 87 88 porträt lena schöneborn Die Exakte Lena Schöneborn trainiert, studiert, trainiert, studiert – und so wird es für die Olympiasiegerin im Modernen Fünfkampf bis London auch bleiben D er ganz große Erfolg lässt sich nicht planen. Es muss einfach alles passen. Beim Modernen Fünfkampf noch mehr als in anderen Sportarten. Fechten, Schwimmen, Schießen, Springreiten, Laufen – in keiner Disziplin dürfen sich die Sportler eine Schwäche erlauben. Besonders heikel ist das Reiten: Wenn das zugeloste Pferd und der Reiter nicht harmonieren, hilft alle Vorbereitung nichts. Lena Schöneborn und der Fuchswallach Xingxing hatten an jenem Freitag im Jahr 2008 ziemlich gut harmoniert. Trotzdem blieb Schöneborn ruhig, als sie nach dem Ritt auch die 3000 Meter auf der Kunststoffbahn im Pekinger OSC-Stadion gelaufen war. Und ernst. Zu ernst – für eine Olympiasiegerin. Schließlich wurde sie von einer Konkurrentin angeschubst: „You are the champion!“ Und Schöneborn begann zu begreifen. Zu lächeln. Zu strahlen. Zu jubeln. Es hatte einfach alles gepasst. Die Rheinländerin Lena Schöneborn hatte zum ersten Mal seit 72 Jahren eine Goldmedaille für Deutschland im Modernen Fünfkampf geholt. Die zurückhaltende Reaktion auf den größten Erfolg ihrer Karriere passt zum ersten Eindruck von Schöneborn. Die hochgewachsene Sportlerin mit den dunklen Locken und den großen blauen Augen wirkt ein wenig verträumt. Aber Schöneborn muss hellwach sein. Nicht nur im Wettkampf. Auch ihr Alltag ist eine Herausforderung. Zu bewältigen ist die eigentlich nur auf eine Weise: durch exakte Planung. Im Moment ist wieder so eine Phase. Eine, in der im Stundentakt ihr Handy piept und sie an den nächsten Termin erinnert; in der sich auf eng beschriebenen Zetteln in ihrer Berliner Wohnung die To-do-Listen für die nächsten Tage sammeln. „Ich muss mir Dinge veranschaulichen“, erklärt Lena Schöneborn die Zettelwirtschaft. Sie grinst, ihre rechte Augen- braue zuckt: „Ich wäre gerne etwas ordentlicher, dann wäre es leichter, den Überblick zu behalten.“ Schritt für Schritt hat sie sich vorgegeben, nichts darf sich mehr verschieben oder länger dauern. Die sechste Disziplin im Modernen Fünfkampf, sagen manche, sei die Organisation der Trainingszeiten. Die (Sport-)Tage von Lena Schöneborn beginnen oft morgens um halb acht und enden abends um 20 Uhr. Zwei bis vier Sportarten muss sie jeden Tag trainieren. 25 Wochenstunden reine Trainingszeit seien das etwa in der Woche. Vier verschiedene Trainer hat sie – einen fürs Reiten, einen fürs Fechten, einen fürs Schwimmen und Laufen, zudem stehen im Moment viele Übungseinheiten mit der Bundestrainerin für das neue Combined Event, die biathlonähnliche Kombination aus Laufen und Schießen, auf dem Programm. Termine, die koordiniert werden müssen. Dazu kommen 20 Semesterwochenstunden an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Lästige Doppelbelastung? Willkommene Abwechslung, findet Schöneborn. Alles eine Frage der Planung. Weltcupfinale, WM und EM finden in den Semesterferien statt – glückliche Fügung. Ab dem Wintersemester wird die 25-Jährige seltener an der Uni zu sehen sein. Die Olympischen Spiele rücken näher – und ihre Titelverteidigung. Ihre Masterarbeit wird sie erst danach schreiben. So ist es geplant. Wenn Lena Schöneborn am zweiten Augustwochenende 2012 in der Olympic Handball Arena in London auf die Fechtbahn tritt, wird alles vergessen sein. Denn das ist der Moment, an dem sie aufhört, zu planen: der Wettkampf. Sie zählt keine Punkte, sie errechnet nicht den Stand der Konkurrentinnen, sie taktiert nicht. Jetzt gibt es keine Pläne mehr. Nur noch Leistung. Und Leidenschaft. Der ganz große Erfolg lässt sich ohnehin nicht planen. Aber manchmal passt eben einfach alles. biografie Lena Schöneborn, 25, Moderne Fünfkämpferin Erfolge: Olympiasiegerin 2008, Silbernes Lorbeerblatt und Verdienstorden des Landes Berlin 2008, Bronze Weltmeisterschaft 2010 Verein: SSF Bonn 05 Persönliches: Lena Schöneborn studiert International Marketing Management an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin 89 90 u n t e rw eg s i n n rw „Ich liebe die heimlichen, schönen Ecken, die es in den Städten an Rhein und Ruhr und auf dem Lande gibt“ W Ex-Brustschwimmerin Anne Poleska kennt die schönen Ecken von Nordrhein-Westfalen, schließlich arbeitet sie jetzt für den nordrhein-westfälischen Tourismusverband asser. Wasser muss es schon sein. Anne Poleska zieht es immer wieder ans Ufer des Rheins, in den Hafen von Düsseldorf. Anne Poleska, die Brustschwimmerin, die sich in Athen Bronze um den Hals hängen ließ und die jetzt, nachdem sie das tägliche Trainingsbecken mit dem Schreibtisch in einem der größten Bürohäuser Düsseldorfs getauscht hat, nur noch von Ferne aufs Wasser blicken kann. Trotzdem, das Fotoshooting muss unbedingt im Düsseldorfer Medienhafen stattfinden. Dort, wohin es jedes Jahr Millionen von Menschen zieht, die den geballten Mut der weltkreativen Baumeister, der Gehrys, Chippendales und Jahns bewundern, die einfach waghalsige Architektur mit den Augen abtasten wollen. Der Rausch der Sinne, den das neueste Bauwerk, Hafenspitze genannt, auslöst, erfasst auch die ehemalige Weltklasseschwimmerin. Anne Poleska weist auf die zwei schwarz verglasten gigantischen Türme hin, in denen sich ein Fünf-Sterne-Plus-Hotel niedergelassen hat. Das ist ihre Welt, denn die 31-Jährige frühere Spitzensportlerin überprüft für den nordrhein-westfälischen Tourismusverband auch die Servicequalität von Hotels im Land zwischen Weser und Rhein. Für die Frauenfußball-WM präsentiert sie Fans und Gästen die prominenten Plätze und heimlichen, schönen Ecken Nordrhein-Westfalens. Wasser und Berge Bleiben wir beim Wasser. Schon von der Seenplatte Nordrhein-Westfalen gehört? Die gibt’s. Ein paar Zahlen zum Beleg: 60 000 Hektar Fläche stehen unter Wasser, pure Natur natürlich. Aufgeteilt auf Land und Leute Von Flüssen und Seen, Hügeln und Bergen, von Dörfern und großen Städten, in denen herzliche, sture, sparsame und schüchterne Menschen leben einzelne Gewässer bedeutet das 200 Seen, von denen 60 für Bootsfahrten, Segeln und Wasserski geeignet sind. Hinzu kommen Talsperren, 78 an der Zahl. Die größten heißen Rurtalsperre im Aachener Land, Biggesee bei Olpe und Möhnestausee in der Nähe von Soest. Und dann schlängelt sich noch der schon erwähnte Rhein von Bad Honnef auf 226 Kilometern an Bonn, Köln, Düsseldorf und Duisburg bis nach Emmerich, lässt das Siebengebirge rechts liegen und die wunderschönen Niederrheinauen rechts und links. Urlaubsland pur, Zeugen römischer Herrschaft wechseln mit wunderbaren Landschaften. Die geologische Fortsetzung des holländischen Schwemmlandes breitet sich ins Münsterland aus, wo die höchste Erhebung, die Baumberge mit 187 Metern zwischen Billerbeck und Nottuln, manchen Radtouristen vorkommt, als würden sie den Anstieg nach Alpe d’Huez bezwingen. Da die niederländischen Nachbarn in ihrem Leben nicht nur radeln, sondern auch gern mal hoch hinaus wollen, strömen sie als die meistgezählten Gäste in eine Region, die Nordrhein-Westfalen nach Süden hin begrenzt. Das Sauerland mit dem 841 Meter hohen Kahlen Asten lockt mit seinen 57 Skigebieten nicht nur im Winter die (holländischen) Freunde der Abfahrt und des Langlaufs. Das Sauerland ist zur Urlaubsregion für das ganze Jahr geworden. Wandern, Wellness, Wohlfühlen – auch und besonders im Sommer lädt die Mittelgebirgsregion zu entspannten Tagen und Wochen in hochklassige Hotels und wundervoll gepflegte Pensionen ein. Und dabei legt sich kaum einer auf die faule Haut – was freilich vorzüglich ginge. Aber danach steht den Freunden des Extremsports, Rennradfahrern, Felsenkletterern oder Paraglidern, auf ihren Fitnesstrips ins Siegerund Sauerland nur selten der Sinn. Dabei kann man nicht nur auf dem Lande – wie in den fabelhaften Münsterlandgemeinden – entspannte Tage und Wochen verbringen. Vor allem die Metropolen Düsseldorf und Köln, die Bundesstadt Bonn oder die Revierperlen Essen und Dortmund – aktuelle Hauptstadt des deutschen Fußballs – faszinieren mit großstädtischem Flair, intellektueller Bühnenkunst und aufregender Museumskultur. Authentisch, stur & herzlich www.nrw-tourismus.de www.nrw-tournews.de www.fifafrauenwm2011-nrw.de g e n u s s l a n d Feinste Rezepte: Was Alfons Schubeck für München, ist Peter Nöthel für Düsseldorf. Der eine bekocht diesen rot-weißen Fußballclub auch auf Reisen ins kasachische Ausland, der andere wird an die Herdplatte gebeten, wenn die Ministerpräsidentin die holländische Königin beköstigt. Qualität dort, aber auch hier. Ein Meister der auffallend kreativen Kulturszene ist Willy Decker. Ihn trifft man in diesem Jahr mal extrovertiert agierend in der Bochumer Jahrhunderthalle, mal sinnlich meditierend in der Kokerei Hansa. Der ZenBuddhist und Intendant der Triennale, des grandiosen Kulturfestivals in den ausgemusterten Industriezeugen des Ruhrgebiets, gibt seine Abschiedsvorstellung nach dreijähriger Schaffensphase. Schlemmen und Schlafen Ein Mensch, der Nordrhein-Westfalen entstammt, die Welt gesehen hat. Und immer wieder zurückkehrt. Warum? Weil das von den Briten erdachte künstliche Bindestrichland Nordrhein-Westfalen Heimat ist. Herzlichkeit versprüht. Weil die Menschen so besonders sind. Alle unterschiedlich. Mal stur und schüchtern wie die Westfalen, mal geizig – oder sparsam (hört sich besser an) – wie die Lipper. Mal herzlich wie die Kölner. Oder nett wie die Düsseldorfer. Oder – andersherum! Bierland Nr. 1: Die Bayern pflegen ihre • 42,1 Millionen Touristen übernachteten 2010 in Nordrhein-Westfalen. • 37 Restaurants hat der Michelin-Gastroführer mit seinen Sternen bewertet, u.a. zwei Drei-Sterne-Gourmet-Tempel in Bergisch-Gladbach. • 12 Fünf-Sterne-Hotels belegen die Qualität des Reiselandes zwischen Bonn, Köln, Düsseldorf, Dortmund und Münster. Landschaft, ihr Image – und ihr Bier. Das älteste Reinheitsgebot, die meisten Brauereien, und überhaupt … Das Bierland Nr. 1 ist aber Nordrhein-Westfalen. Nur wer weiß es? Der Fernsehzuschauer! Denn Krombacher, Warsteiner, Veltins & Co sind nationale Marken, die hier gebraut werden. Und das Besondere gibt’s auch: Alt, Kölsch, Pils, Export und Weißbier – gemacht und abgefüllt in urtypischen Handwerksbrauhäusern. 91 92 u n t e rw eg s i n n rw 93 Ein Markenzeichen der Landeshauptstadt – der Medienhafen in der Abenddämmerung Metropolen „Deutschland hat nur eine Metropolregion, das ist der Rhein-Ruhr-Raum“ Siemens-Chef Peter Löscher blickt aus München interessiert auf Deutschlands einzigen zusammenhängenden Ballungsraum – Köln, Düsseldorf und das Ruhrgebiet U we van Afferden kann mit der Kö nichts anfangen. Dabei ist er ein Kreativer, manche beschreiben ihn gar als Designpapst. Für Gunther Lambert hat er entworfen und skizziert. Hat den Reichen und Schönen, den Denkern und Nachdenkern ihre Wohnungen eingerichtet. Eigentlich ein Mann für die Kö. Vor 20 Jahren. Denn Uwe van Afferden will weiter schräg sein und Trends setzen. Deshalb hat er sich ein paar hundert Meter, vielleicht ist es sogar etwas mehr als ein Kilometer, abseits des Düsseldorfer Boulevards niedergelassen. In Unterbilk. Unterbilk? Das ist doch Schmuddel, Arbeiterviertel, Arme-LeuteRevier! Ist? War! www.duesseldorf.de www.koeln.de www.ruhrgebiet.de Düsseldorf, diese Vorzeigestadt der Trends und des Schicks. Die Metropole des Landes Nordrhein-Westfalen hat sie, diese heimlichen und schönen Ecken. Und Anne Poleska kennt sie. Wenn sie aus dem Empfangsportal ihres Beton-Glas-Stahl-Gebildes auf die Vorfahrt tritt, braucht sie nur wenige Schritte über Basalt zu stöckeln, und schon ist sie mittendrin. Lorettostraße, das Viertel der Kreativen. Rund um diese zentrale alte Meile des neuen Lebens, des schon Düsseldorfs Prenzlauer Berg genannten Viertels, entsteht vitales Leben. In ehemals schummrigen Hinterhöfen formen und bilden Designer, Werber, Texter und Schneiderinnen ihre Entwürfe, treffen sich bei Frl. Buntenbach oder Frida (Karlo) zum kühlen, die Sinne belebenden Weißwein und lassen sich in der alten Senffabrik bei Seifenhorst das Uerige schmecken, bevor man Frau und Kind zur Latte im „Café Martin“ trifft. Die Szene hat ein neues Quartier. Klein-Paris teilt das Schicksal mit der Champs-Elysée. Die Stuhlreihen der Filialrestaurationen von Starbucks und Maredo bevölkern nun Menschen mit viel Tagesfreizeit; an den Tischen von Edelkonditor Heinemann sitzen Bustouristen einer Kaffeefahrt. Schick ist noch da, Umsatz auch. Aber es ist anders geworden. Wie die Welt. Das schnelle Geld regiert, nicht der bestaunte Reichtum. Die Kö bleibt, was sie ist. Einkaufsmeile. Albert Eickhoff, der Lippstädter, der nun Mailand und Paris sowie eine Yacht vor Sardinien eher heimatlich betrachtet als jenen westfälischen Landstrich, dem er entstammt, kleidet schon seit Jahrzehnten die Schönen und Reichen der Republik ein. Sie flanieren aber nicht mehr über den Boulevard. Berben und Becker fliegen ebenso wie Araber und Russen, Holländer und Polen ein, um dem Modezar und den benachbarten Boutiquen von Prada bis Armani das Portemonnaie zu füllen und sich nach dem Einkauf einen exklusiven Fummel um die Schultern legen zu können. Doch gesehen werden wollen viele Kunden der High Society nicht mehr auf dem früheren Pflaster der Eitelkeiten. Das wahre Zentrum in NRW Wechseln wir ins wahre Zentrum Nordrhein-Westfalens. Ruhrgebiet. Hört sich an wie vorbeifahren und nicht aussteigen. Falsch gedacht. Doch auch die Menschen, die dort wohnen und gern am Wochenende die Boulevards der rheinischen Nachbarn aufmischen, ahnen nicht, auf welchem Schatzkästlein sie sitzen. Ein Österreicher, der bis vor wenigen Jahren in Amerika beruflich wirkte und Lebenserfahrung tankte, erzählte erst in diesem Frühjahr den Deutschen, wo es in ihrem Land pulsiert und bebt. „Deutschland hat nur eine Metropolregion, das ist der Rhein-Ruhr-Raum“, sagte Ex-Chicago-Man Peter Löscher, der seit wenigen Jahren in München dem SiemensKonzern neue Ideen verpasst und einen Standort für seine neue Industriesparte „Green City“ sucht. Weiß der bayerische Zuwanderer Löscher mehr über die Region zwischen Düsseldorf und Dortmund, als die fünf Millionen Menschen, die entlang der Bundesstraße B 1 seit Jahrzehnten hoffen, dass sie mit dem Untergang von Kohle und Stahl nicht auch unter die Räder kommen? Ist das Selbstbewusstsein der Region und ihrer Macher auf Sohle 7 vergraben worden? Nein, die Menschen in der einzigen Metropole der Republik sind selbstbewusst und arbeiten kreativ und beständig am Aufbruch. Das Fatale ist nur – keiner kriegt’s mit. Oder will es nicht wahrhaben. Die Politik – ansässig im Armenhaus Berlin – kümmert sich nur bei Wahlen um Löschers DeutschlandMetropole. Denn nirgends bekommt man so viele Menschen auf so engem Raum in Plakatschlachten so konzentriert zu fassen wie im – ja – Ruhrgebiet. Die Chancen schlummern unter aufgeschütteten Halden und in leer gefegten, rostigen und verstaubten Industriebrachen. Längst haben sich einige Ruhrbarone aufgemacht, ihre Konzerne zu verändern. Hunderttausende Menschen sind davon abhängig, dass sich Löschers Vision realisiert, dass in den Schwerkonzernen neues Denken einzieht. Die Metropole, in der in den vergangenen Jahren die Kultur mit Museen wie dem neuen Folkwang in Essen, den Opernhäusern in Essen und Dortmund, der Zeche Zollverein und der Jahrhunderthalle in Bochum gezeigt hat, wie Aufbruch geschrieben wird, hat alle Chancen, das veränderte Herz des Kontinents zu werden. Was nur eine logische Fortschreibung der Geschichte wäre. Bleibt Köln. Die Metropole an sich. Zählt man die Einwohner, die Touristen, die selbst ernannte Wichtigkeit und die dort lebenden Schauspieler und Selbstdarsteller, ist die Stadt unerreicht. Köln ist Metropole, hat den Dom, die Römer und ein Bier, das so ähnlich heißt wie die Stadt. Köln ist Lebensfreude pur. Die Menschen sind nett, freundlich, selbstbewusst. Nirgends ist es schöner, in NRW, in Deutschland und auf der Welt. Deshalb lassen sich die Kölner auch so gern besichtigen. Vom Papst und von Präsidenten – aus der ganzen Welt, versteht sich. Und sollte etwas schöner sein, dann wird nachgebaut. Wie den neuen Hafen am Rheinufer. Düsseldorf grüßt rheinaufwärts. 94 u n t e rw eg s i n n rw Landschaften Münsterland, Sauerland, Rheinland, Eifel & Weserbergland – Schönheiten mit hohem Erholungswert Vorsicht Gegenverkehr: Der Tourismus auf 7000 Kilometern ausgebauten Radwegen wird in NRW immer beliebter S tefan ist der Sohn von Franz. Franz Arning war eine Legende, vielmehr die Küche seines Gasthauses an einem der viel befahrenen – nein eben nicht Straßen – Radwege im Münsterland. Fahrradfahren, Radwandern, diese entspannte Form des Erholens und Urlaubens wurde in der grünen, flachen Ebene zwischen Bocholt und Warendorf erfunden, gepflegt und weiterentwickelt. „Das grüne Band“ wurde zum Markenzeichen für den rasanten Aufschwung des Fahrradtourismus im Münsterland und in Nordrhein-Westfalen überhaupt und setzt sich über die 100-Schlösser-Route fort. Davon profitierte auch Gastronom Franz Arning, der immer mehr Hotelbetten baute und immer mehr Touristen in seinem von grünen Weiden umgebenen Gasthof begrüßen durfte. Die Bauern in der Nachbarschaft schafften auf ihren gepflegten Höfen die Kühe ab und stellten Gästebetten in die umgebauten Ställe. Den Menschen gefiel’s. Pättkestouren im Münsterland waren vor vielen, vielen Jahren der Start in ein Marktsegment, das Land- und Erholungstourismus heißt. Bei Arnings, unweit von Burgsteinfurt, ist (fast) alles so geblieben. Die Speisekarte, die Preise – eine riesige Schinkenplatte für 6,80 Euro oder ein Schnitzel mit Beilage für unter 10 Euro – und die Gemütlichkeit. Die Herzlichkeit am Empfang – dafür ist jetzt Stefan zuständig. Arnings gibt’s viele im Münsterland, auch am Niederrhein. Denn inzwischen sind mehr als 7000 Kilometer Radwege in Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet und beschildert – mehr als in jeder anderen Region Deutschlands. Doch es geht ja nicht um größer, höher, schöner, weiter. Es geht vor allem um die wunderbare Möglichkeit der Erholung in Verbindung mit Reisen, Genießen, besichtigen. Elektromobilität nun die Passstraßen des Sauerlandes bewältigen. An 16 Verleihstationen sind die bequemen Räder auszuleihen – und es werden immer mehr. Mit dem E-Bike ins Sauerland Doch die meisten Menschen besuchen die Region der tausend Hügel immer noch zum Wandern (und im Winter zum Skilaufen). Rothaarsteig, Sauerland-Höhenflug und Sauerland-Waldroute führen die Wanderer durch nicht endende Fichtenwälder, wunderschöne Fachwerkdörfer und entlang großer Seen und Talsperren. Die Hotellerie im Sauer- wie im angrenzenden Siegerland hat sich dem Trend der körperbewussten Erholung angepasst, und nach kräftezehrenden Fußmärschen laden zunächst Massagen, Sauna und Badelandschaften zur Entspannung ein, bevor dann möglichweise noch organischbiologisch erzeugte Zutaten köstlich angerichtet auf dem Teller landen. Einige Erzeuger, Köche und Wirte haben sich zu der Gemeinschaft „Westfälisch genießen“ zusammengeschlossen und pflegen eine vorzügliche Küche, zu der natürlich eines der vor Ort gebrauten Premiumbiere gezapft wird. In einer anderen großen zusammenhängenden Naturregion ist zwar das Fahrrad auch gelegentlich anzutreffen, doch eher entweder in der sportlichen, geländegängigen Form des Mountainbikes oder in der modernen Variante als E-Bike. Ohne rasenden Puls und Schweißflecken auf den Hemden lassen sich mit umweltschonender Was niemand vermutet: Neben den landschaftlichen Reizen bietet das Sauerland, besonders die Region rund um Schmallenberg, interessante kulturelle Abwechslung, sei es nun initiiert durch den örtlichen Kunstverein oder in privaten Galerien und einem Skulpturenpark. Eine der wundervollsten Möglichkeiten, mit Abwechslungen zwischen rauchenden Stahlwerken auf der einen Seite (Duisburg) und altrömischen Amphitheatern auf der anderen (Xanten), bietet der RheinRadWeg entlang des Niederrheins. Wasserschlösser, Abteien, naturbelassene Rheinauen, restaurierte und gepflegte Städtchen, Museen mit zeitgenössischer Kunst – alles ist auf wenigen 100 Kilometern zu besichtigen, wenn der Radwanderer sich von langen Deichfahrten auf den Marktplätzen in Rheinberg, Moers oder auf Schloß Rheydt erholen möchte. Die Eifel sorgt dafür, dass die Rheinländer sich nicht nur entlang ihres schlängelnden Flusses vergnügen können, sondern in wenigen Autofahrminuten von Köln und Bonn aus hügelige, felsige, waldreiche Natur vor Augen haben. Die vulkanischen Ursprünge sind besonders im Süden des European Geopark Vulkaneifel an rund 350 Ausbruchsstellen zu besichtigen. Die steinernen Zeitzeugen begegnen Ausflüglern auf Schritt und Tritt. Der Nationalpark Eifel, der Einzige Nordrhein-Westfalens, mit seinen knorrigen Buchen- und Eichenwäldern, geheimnisvollen Schluchten und wilden Bächen, lädt zu einzigartigen Wanderungen ein. Der Eifelsteig von Aachen bis Trier führt auf 313 Kilometern quer durch naturbelassene Landschaftsräume, Moore rund ums Hohe Venn und – auf rheinland-pfälzischer Seite – zum schroffen Dolomitfelsen bei Gerolstein. Heilgarten Deutschlands Genau gegenüber, am anderen Ende des Landes, ist es auch schön. Und geschichtsträchtig. Und gesund. Dabei möchte man fast zunächst über das Vergessen schreiben, über eine Ecke, die von den wichtigen Menschen in den großen Städten leicht und gerne beseitegeschoben wird: die Region Ostwestfalen-Lippe, die sich zwischen den Höhenzügen Teutoburger Wald und Wiehengebirge ausbreitet. Was für ein Landstrich, zwei Millionen Menschen leben dort in kleinen, feinen Dörfern wie Schwa- lenberg und Borgholzhausen, in mittelgroßen Städten wie Minden, Paderborn, Herford oder Detmold oder in der Metropole Bielefeld. Fachwerk allüberall! Besonders gepflegt im Freilichtmuseum Detmold. Doch wichtiger sind die feinen Bäder: Bad Salzuflen, das Staatsbad Bad Oeynhausen oder Bad Driburg. Im Heilgarten Deutschlands kurierten früher die Menschen der Aufbaugeneration dieser Republik ihre körperlichen Malaisen. In der heutigen Zeit kommen nicht nur die Alten und Kranken zur Erholung, auch die Jungen und Bewusstlebenden lassen sich nach neuesten Ernährungs- und Bewegungsmethoden in den Bädern wellnessen. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich sogar medizinische Wunderheiler im NRW-Staatsbad niedergelassen. Herzspezialist Professor Reiner Körfer setzte eine Marke, verpflanzte Herzen, als das in Deutschland noch als waghalsiges Experiment galt. Heute ist Bad Oeynhausen auch ein medizinisches Mekka für Menschen, denen ihre Diabetes reichlich Beschwerden im Alltagsleben bereitet. Erholung, Gesundheit, Schönheit. Drei Attribute, die auf den nördlichsten Zipfel des Landes passen. „Schweinekreis“ wird er bisweilen despektierlich genannt. Was aber nichts anderes heißt als: Hier ist die Welt noch in Ordnung. Denn im bäuerlichen Kreis Minden-Lübbecke fressen sich nicht nur Hunderttausende Borstenviecher ihre Schlachtreife an, auf den Wiesen hinter gepflegten Fachwerk- und Backsteinhöfen finden auch gepflegte Hannoveraner ihren Auslauf. Ein äußerlicher Ausdruck von Wohlstand – und schön sieht es auch noch aus. Wie die Mühlen. Gepflegt, restauriert, betrieben. Oft am Ufer des Mittellandkanals. Auch dort kann man übrigens wunderbar entlangradeln. www.rheinradweg.net www.100schloesserroute.de www.eifelsteig.de www.sauerland.com www.vitalwanderwelt.de www.westfaelisch-geniessen.de www.nationalpark-eifel.de www.lwl-freilichtmuseum-detmold.de www.muehlenkreis.de 95 96 u n t e rw eg s i n n rw Quartiere Die besonderen Ecken in Nordrhein-Westfalen, Spurensuche in Hafenanlagen, auf einer türkischen Hochzeitsmeile und im Revier der Kultur Weltkulturerbe, bei Tag und bei Nacht ein wunderschönes Zeichen 50 Millionen Euro von Krupp-Legende Berthold Beitz, und der amerikanische Stararchitekt David Chipperfield einer vergangenen Zeit – Zeche Zollverein in Essen zauberte ein wundervolles neues Folkwang-Museum in Essen, das vorzügliche Kunst zeigt E igentlich gibt es nur ein Revier. Jenes an der Ruhr, mittendrin im Land, zwischen Rhein und Weser. Aber dieses Revier ist auch ein Quartier. Quartiere gibt es nicht nur entlang der Bundesstraße 1. Denn Quartiere sind besondere Viertel und Ecken. Und die haben ihre Mauern im ganzen Land errichtet. Aber auch im Revier. Hafenszene brachte ein neues Lebensgefühl nach Düsseldorf. Nun residieren die Toten Hosen in einer ehemaligen Mehlmühle und blicken über den Rhein, wenn sie ihre Geschäfte machen. Auch die Monkeys des verstorbenen Künstlers Jörg Immendorff genießen einen vorzüglichen Ausblick – quasi vom Affenfelsen eines Galeristen hinaus auf den Fluss. Stille, ruhige, laute und lebendige Quartiere sind zuletzt dort entstanden, wo es Wasser gibt. Schon wieder Wasser? NRW ist doch ein Binnenland. NRW ist ein Land ohne Küste, und doch spielt Wasser eine so große Rolle, dass es sich wellenförmig sogar durch das Landeswappen schlängelt. Flüsse, Kanäle, Hafenbecken. Das sind doch Ecken und keine Quartiere. Waren Ecken. Denn entstanden sind Wasserquartiere, wo in den Städten die Hafenschuppen nicht mehr gebraucht wurden, da sich die Transportlogistik in den letzten Jahren immer mehr „just in time“ auf das Wasser verlagerte. Vorbildlich, nachahmenswert. Warum nur Düsseldorf? Münster legte nach, baute den Stadthafen am Kanal zur Flaniermeile um, und ein besonderer Mann sorgt für den Anschluss an die Kulturszene. Wolfgang Hölker schlug sehr früh sein Quartier in einem alten Backsteinschuppen auf, integrierte seinen wundervollen Kinderbuchverlag Coppenrath am Kreativkai. Hinter dicken Mauern lagern nun keine Säcke mit Getreide mehr, dort wird gemalt und getextet. Und draußen, ein stampfendes Kraftwerk als industrieller Zeuge auf der anderen Seite vor Augen, lassen es sich Münsteraner und Studenten gut gehen an ihrer Ufermeile, gut gehen wie an einem mediterranen Boulevard. Die alten Lagerschuppen, verstaubt, mit zerborstenen Fensterscheiben und rostigen Hebekränen davor, verkamen zu Schandflecken in den Städten. Bis sich Düsseldorf traute, alte Mauern einzureißen und neue aufzubauen. Der Medienhafen, entstanden in den vergangenen knapp 20 Jahren, entwickelte sich zur bevorzugten Adresse der Kreativen und Kommunikativen. Und zog die Schönen und Flanierenden mit lebendiger Gastronomie an die Uferpromenaden. Die Düsseldorf, Münster. Weitere Hafenquartiere gefällig? Köln baut gerade seinen alten Industriehafen zum begehrtesten Wohn- und Büroquartier um. Der Rheinauhafen mit den Kranhäusern als Wahrzeichen ist ein architektonisches Meisterwerk. Die Millionenstadt am Rhein öffnet sich dem Fluss; eine städtebauliche Sanierung, die der Metropole Glanz verpasst. Oder Neuss. Düsseldorfs Nachbarstadt auf der anderen Rheinseite. Dorthin hatte die Hauptstadt ihren Verladehafen verlegt. Nun will Neuss zeigen, dass sich mitten in der Stadt Industrie mit schickem Ambiente am Hafenbecken verbinden lässt. Und das Ruhrgebiet, dort, wo die Industrie noch immer sehr viel Raum einnimmt? Gehen wir nach Duisburg. Duisburg hat den größten Binnenhafen Europas, noch immer werden dort Stahl, Erze und Kohle umgeschlagen. Der Duisport, entstanden auf dem Gelände des stillgelegten Stahlwerks in Rheinhausen, ist eine internationale Logistikdrehscheibe im ContainerFrachtverkehr. Duisburg kombiniert beides, Leben und Arbeiten. In Duisburg rauchen nicht nur Schlote und leuchten die Hochöfen beim Stahlabstich. In Duisburg lebt der Hafen auch in der neuen Welt. Der Innenhafen macht die Innenstadt dieser Industriemetropole schön. Moderne Architektur verknüft mit der Ansiedlung von internationalen Hightechunternehmen, umgeben von Kulturtempeln wie dem Museum Küppersmühle, in dem sogar Maler-Ikone Gerhard Richter ausstellte, oder der geplanten Ansiedlung des Landesarchivs von NordrheinWestfalen. Doch der Hafen ist nicht Duisburgs einziges Quartier. Eine 20-minütige Fahrt über Autobahnen, Brücken, Hafenbecken, Kanal und Rhein – und man findet sich in einem weiteren Quartier. Marxloh, Duisburg-Marxloh. Nicht Ankara, nicht Istanbul. Die Weseler Straße, von der der Oberbürgermeister sagen durfte, „früher war das hier die Bronx von Duisburg“. Die mächtigen düsterschwarzen Stahlkörper des Stahlwerks überragen die Giebel der Häuser der Weseler Straße, dunkler Rauch und schwarzer Ruß legen sich auch nach dem Einbau diverser Filteranlagen noch immer auf Fenstersimse. Und doch ist es hier einzigartig schön. Denn die Weseler Straße ist eines der bekanntesten und beliebtesten Reiseziele der deutschen türkischen Gemeinde. Selbst aus Holland und Belgien reisen die Menschen an, um nur eines zu tun: einzukaufen im größten Hochzeitsquartier Deutschlands. Brautschmuck, Brautschuhe, Brautkleider, schwarze Anzüge. Geschenkboutiquen, alles was an Standardbedarf, außergewöhnlichen Dekorationen und Dienstleistungen für diese Familienfeste benötigt wird, ist auf der gut einen Kilometer langen türkischen Hochzeitseinkaufsmeile zu haben. Ruhrgebiet. Revier. Hinterhofromantik. Hightechland. Der Konzern ThyssenKrupp hat seinen neuen Konzernsitz in Essen auf dem Boden einer Industriebrache gebaut, Quartier genannt. Ein Quartier ist sicherlich auch das riesige, verwinkelte Gelände der Zeche Zollverein. Weltkulturerbe, ebenfalls Essen. Zentrale Veranstaltungs- und Begegnungsstätte der europäischen Kulturhauptstadt im vergangenen Jahr. Die Veranstaltung zieht weiter, das Kulturquartier Revier ist geblieben. Allein in Essen. Mit der fantastischen Neugestaltung des Folkwang-Museums hat die Metropole ein weiteres Stück Qualitätskultur belebt. Essen lebt von der Spendierfreudigkeit der Barone, der Ruhrbarone, der Industrielenker. Daran ist Essen reich. Einer der größten ist Berthold Beitz, der Vermögensverwalter des Krupp-Erbes. Der Mann hat gespendet, und er zeigt selbst großartige Kunst im Sitz der Kunststiftung, auf der Villa Hügel. Sein Quartier. Bei der Kultur stehen sie zusammen im Revier, da machen die Menschen aus dieser Region ein einzigartiges Quartier. Wo kann man das besser besichtigen als bei der jährlichen Triennale. Jenes siebenwöchige Kulturspektakel in ausgedienten Werkshallen und Industrieanlagen. Fantastisches Sprechtheater, gigantische Opern, einzigartige Lesungen finden ihre Bühne im Landschaftspark Nord in Duisburg, auf Zeche Zollverein, der Jahrhunderthalle in Bochum, der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck oder in der Kokerei Hansa in Dortmund. Kultur im Quartier, im Viertel, das Revier heißt. www.medienhafen.de www.rheinauhafen.de www.innenhafen-portal.de www.ruhrmuseum.de www.museum-folkwang.de www.ruhrtriennale.de www.zollverein.de 97 98 IMPRESSUM Herausgeber Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen Haroldstraße 4, 40213 Düsseldorf Telefon: +49 211 837-02 [email protected] www.mfkjks.nrw.de Gesamtverantwortung Werner Stürmann (V.i.S.d.P.) Projektleitung Nils Klagge Harald Pfenner Chefredaktion Karl-Heinz Steinkühler Art-Direktion Beate Korenjak Chef vom Dienst Gabriela Schöne Autoren Ottmar Berbalk, Claudia Jacobs, Silke Offergeld, Karl-Heinz Steinkühler, Thomas van Zütphen Lektorat Dr. Maike Kleihauer Fotos Oliver Krato (29); Bochumfoto, Borussia Mönchengladbach, Arnd Bronkhorst © Reitstiefel Königs, Chemparc Leverkusen (2), CHIO Aachen, Ludwig Cremer/Michael C. Klein, Deutsche Sporthochschule, DFB (8), DFB-Fußballmuseum (2), dpa (9), Matthias Duschner/ Stiftung Zollverein, FCR Duisburg, FIVB, Folkwang Museum, Gerry Weber Stadion, Darren Jacklin, Jochen Jansen, Detlef Lampe/Tourismus NRW e. V., Landessportbund, Xavier Marest, MFKJKS, MGMG, Lothar Post, Privatarchiv Quade, Privatarchiv Seizinger (2), Uwe Riedel, Frank Rogner/Fotoagentur Netzhaut, Ralf Sondermann, Dr. W. Sternberger, Stockheim Media, TSV Bayer 04 Leverkusen (2), VFL Bochum, Heinz Zaunbrecher Druck Jung Produktion GmbH Konzeption und Produktion steinkuehler-com Redaktionsschluss 6. Juni 2011 hinweis Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlbewerberinnen bzw. Wahlbewerbern oder Wahlhelferinnen bzw. Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. 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