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Psychosomatische Fachklinik
Therapiekonzept der Psychosomatischen Fachklinik Simbach am Inn Chefarzt: Dr. med. Jürgen Gosda 13. weiterentwickelte Fassung, Stand 01.06.2014 Seite 1 von 28 Dateiname: Therapiekonzept Erstellt: Dr. Jürgen Gosda / CHA Psychosomatik / SIM
Geprüft: Dr. Jürgen Gosda / CHA Psychosomatik / SIM
ID: 698 Freigabe: Kerstin Pankoff / QM Version: 005/06.2014
letzte Änderung am: 05.06.2014
Gültigkeitsprüfung: 05.06.2016
Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Inhalt 1 Einführung ............................................................................................................................................. 3 2 Psychosomatische Grundannahmen ...................................................................................................... 3 3 Krankheitsverständnis und therapeutischer Ansatz ................................................................................ 5 4 Therapeutische Haltung ......................................................................................................................... 7 5 Indikation und Aufnahmeprocedere ...................................................................................................... 9 6 Konkretes Behandlungsangebot und ‐verlauf ....................................................................................... 10 7 Teamstruktur ....................................................................................................................................... 12 8 Vor‐ und nachstationäres Procedere .................................................................................................... 13 9 Kalkulationskrankenhaus ..................................................................................................................... 13 10 Wir haben mehrere Behandlungsschwerpunkte entwickelt: ................................................................ 14 10.1 Essstörungen ....................................................................................................................................... 14 10.2 Schmerztherapie ................................................................................................................................. 14 10.3 Traumatherapie .................................................................................................................................. 15 11 Dokumentation und Evaluation – Katamnese ...................................................................................... 15 11.1 1995 bis 1999 ...................................................................................................................................... 15 11.2 Auswertung der Ergebnisse einschließlich der Katamnese 2000 bis 2007 ......................................... 19 11.3 Auswertung der Ergebnisse der Befragung von über 1000 Patienten aus den Jahrgängen ..................
2010/2011 ........................................................................................................................................... 21 12 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................. 28 Seite 2 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept 1 Einführung
Im November 2013 wurde im Deutschen Ärzteblatt eine aktuelle Studie publiziert, die die Inanspruchnahme des Versorgungssystems bei psychischen Erkrankungen untersucht (Gaebel et al. 2013). Bei einer sehr großen Stichprobe von 9,92 Mio. Versicherten wurde bei einem Drittel in einem Dreijahreszeitraum bei Kontakten mit dem medizinischen Versorgungssystem eine psychische Störung diagnostiziert. Obwohl sich die fachspezifische Behandlung seelischer Erkrankungen in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert hat, werden immer noch 77% der Patienten mit schweren Depressionen fast ausschließlich von Fachärzten für somatische Medizin behandelt: Es besteht ein hoher Bedarf an psychisch‐psychosomatischen Behandlungsmöglichkeiten. Seit 1995 werden im Krankenhaus Simbach a. Inn (seit 2011 Psychosomatische Fachklinik) Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen in einer bettenführenden Abteilung behandelt, bis 2003 auch in diversen interdisziplinären Behandlungssettings gemeinsam mit der damals vorhandenen Rheumatologischen und Naturheilkundlichen Abteilung. 1995 – 1999 wurde das Krankenhaus als „Erste Deutsche Modellklinik für Ganzheitliche Grundversorgung“ im Rahmen des „Münchner Modells“, eines Projekts des naturheilkundlichen Schwerpunktes der TU München (Leiter: Prof. Dr. med. D. Melchart), wissenschaftlich begleitet. Aufgrund der stetig steigenden Nachfrage nach psychosomatischer Behandlung durch ein sich ständig vergrößerndes Einzugsgebiet – entsprechend dem politischen Auftrag, sowohl eine regionale als auch überregionale Grundversorgung sicherzustellen – wurde die Psychosomatische Abteilung, die zunächst 12, dann 20 Betten umfasste, sukzessive erweitert. Anfang 2002 wurde die Naturheilkundliche Abteilung in die psychosomatische Konzeption integriert durch eine Akzentuierung der naturheilkundlichen Ausrichtung in der medizinischen Versorgung, Anfang 2004 auch die Rheumatologische Abteilung durch Etablierung des Behandlungsschwerpunktes „chronischer Schmerz“, sodass 60 Betten für psychosomatische Patienten zur Verfügung standen. Nach weiteren Kapazitätsausweitungen 2006 und 2008 wurde die Abteilung im Rahmen einer Umstrukturierung der drei Krankenhäuser des Landkreises Rottal‐Inn Anfang 2011 zur Fachklinik für Psychosomatische Medizin mit 120 Betten erweitert. Durch diese Größe wurden organisatorische Voraussetzungen geschaffen, sehr differenzierte Therapieangebote für Erkrankungen des gesamten Fachgebietes anzubieten, wobei auch weiterhin die interdisziplinäre Patientenbetreuung im Konsiliar‐ und Liasondienst eine Besonderheit der Psychosomatischen Fachklinik Simbach a. Inn und der assoziierten Krankenhäuser Eggenfelden und Pfarrkirchen ist. 2013 erfolgte eine weitere Bettenaufstockung auf 140 im Bedarfsplan des Feistaates Bayern ausgewiesene Betten. Der traditionell kardiologische Schwerpunkt in Simbach wurde im Zuge einer Neuplanung der stationären Versorgungsstrukturen im Landkreis Rottal‐Inn nach Eggenfelden verlegt. 2 Psychosomatische Grundannahmen
Epidemiologische Studien (Wittchen u. Jacobi 2001, Gaebel et al. 2011) belegen, dass mindestens 15 bis 25% ärztlicher Inanspruchnahme in der medizinischen Grundversorgung auf seelische Störungen (z. B. Depressionen und Angsterkrankungen), funktionelle Dysfunktionen (Somatisierungsstörungen) oder inadäquaten Umgang mit einer akuten oder chronischen Krankheit zurückgehen. Gerade diese Patienten werden häufig in Kliniken der somatischen Fachdisziplin eingewiesen und wiederholt diagnostischen Spezialuntersuchungen zugeführt, wobei meist den Hintergründen der Entstehung und Aufrechterhaltung der Symptomatik kaum Bedeutung gegeben werden kann. Hier setzt der psychosomatische Ansatz an, der die Wechselwirkungen zwischen körperlichen, seelischen und sozialen Faktoren in den Mittelpunkt stellt. Es zeichnet sich zwar ab, dass psychosoziale Faktoren im hausärztlichen Bereich zunehmend Bedeutung erlangen, psychosomatisch/psychotherapeutische Behandlungsplätze jedoch nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Viele Patienten sträuben sich auch gegen eine psychotherapeutische Behandlung in psychiatrischen Seite 3 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Einrichtungen. Hier besteht eine Lücke effizienter Behandlung, die für den Landkreis Rottal‐Inn sowie die angrenzenden Landkreise und zunehmend auch darüber hinaus von uns geschlossen wird. Psychosomatisches Denken erweitert medizinisches Vorgehen um eine Dimension, die gesündere Lebensführung nicht nur empfiehlt, sondern den Umgang mit Gesundheit und Krankheit explizit thematisiert. Zielsetzung ist dabei, den (er‐)leidenden Patienten von einer passiven Behandlungserwartung soweit wie möglich zu einer aktiven Mitarbeit hin zu motivieren. Dabei gilt es auch zu verstehen, dass Gesundheit nicht als selbstverständliche statistische Norm gesehen wird, die nur durch ein Unter‐ oder Überschreiten chemischer oder physikalischer Messgrößen im Körper verursacht wird, sondern ständig neu „erzeugt“ werden muss. Aus unserer Sicht ist der Mensch gesund, wenn krankmachende und gesundheitsfördernde Kräfte ausbalanciert sind. Der Kranke ist aus dem Lot geraten, hat die Balance verloren. An dieser Stelle muss der individuelle Lebensstil thematisiert und auf seine Hintergründe beleuchtet werden, wenn mittel‐ und langfristig Kosten im Gesundheitssektor eingegrenzt bzw. gesenkt werden sollen. Dass Nikotin‐ und übermäßiger Alkohol‐ und/oder Nahrungsgenuss schädlich ist, weiß jeder – was damit kompensiert wird, ist aber oft nicht bewusst. Psychotherapie gibt Hilfestellung bei der Lösung von inneren, oft zeitüberdauernden (Grund)konflikten (z. B. zwischen gleichzeitigen Wünschen nach Selbstständigkeit und Versorgung) sowie bei der Meisterung äußerer Probleme. Häufig geraten Patienten, ausgelöst durch körperliche und seelische Erkrankungen, in existentielle Krisen, die zu ihrer Bewältigung einen haltgebenden und vertrauensvollen Rahmen benötigen. Unser psychosomatisches Vorgehen will insbesondere verborgene Fähigkeiten – bisher nicht genutzte Ressourcen – entdecken und im stationären Rahmen ein Übungsfeld zur Verfügung stellen, in dem angstbesetzte Themen und Einstellungen auch tatsächlich angegangen werden können. Im Sinne eines salutogenetischen Ansatzes (Antonovski 1997) geht es auch darum, dass der Patient wieder Zugang findet zu seinem Engagement, der Wichtigkeit und dem Wert seiner Person sowie der Überzeugung, den Verlauf der Ereignisse durch eigenes Zutun beeinflussen zu können. Therapeutisch ist viel erreicht, wenn der Patient Probleme und Schicksalsschläge nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Herausforderung sehen, eine bessere „Selbstaufmerksamkeit“ entwickeln und seine soziale Eingebundenheit verbessern kann. Psychosomatik im Akutkrankenhaus zeichnet sich durch eine intensive Behandlung aus, die möglichst zeitnah an der Entstehung der Symptomatik ansetzt und therapeutische Maßnahmen einleitet, bevor – wie häufig bei psychosomatischen Erkrankungen zu beobachten ist – Chronifizierungsprozesse eingesetzt haben. Ist dies bereits erfolgt, kann aus unserer Erfahrung nur eine „Hochdosistherapie“ die chronifizierten Muster „aufweichen“ und für andere, gesündere Erlebensweisen öffnen. Eine Intensivierung üblicher psychosomatischer Behandlung gelingt nach unseren Erfahrungen neben einer höheren Therapiefrequenz auch durch die Einbeziehung der den Patienten umgebenden sozialen Strukturen – meist der Familie, in die er ja in der Regel wieder zurückkehrt. Durch Einbeziehung des Familiensystems (Stierlin 1978, 1994; Selvini‐Palazzoli 1985) wird unmittelbar Einfluss genommen auf krankmachende Verhaltensmuster, ohne dass zuerst die ganze Lebensgeschichte in einem zeitraubenden Therapieprozess aufgearbeitet werden muss. Wichtig ist dabei das Engagement des Behandlungsteams, Patienten und Angehörige zu einem solchen Vorgehen zu motivieren. Es bedarf einer entsprechenden Ausbildung und Behandlungsversiertheit, die die komplexen Interaktionsmuster sozialer Systeme erkennt und entsprechende Interventionsmöglichkeiten anwenden kann. In der Regel reicht aber die Einbeziehung des sozialen Umfeldes allein nicht aus. Wichtig ist, dass der Patient im Schutzraum der Therapeutischen Gemeinschaft (von Ärzten, Schwestern, Spezialtherapeuten ‐ und Mitpatienten ‐ als Co‐Therapeuten!) neue Erfahrungen machen und seine Wahrnehmungs‐ und Bewertungsmuster überprüfen kann. Die Erfahrung, dass therapeutische Prozesse wesentlich von den atmosphärischen Rahmenbedingungen abhängen, die von Mitarbeitern und Patienten geprägt sind, hat eine konzeptuelle Entwicklung angestoßen, die neben dem Einzelsetting – als „roter Faden“ durch den Therapieverlauf und als „Ort der Integration“ der multimodalen Interventionen – auch auf ein gruppentherapeutisches Vorgehen (Yalom 1996) setzt. Die Teilnahme an positiven Entwicklungen von Seite 4 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Mitpatienten, die gegenseitige Anteilnahme, die Erfahrung, für andere Menschen hilfreich sein zu können, sind ebenso wie soziale Lernprozesse therapeutische Wirkfaktoren. Auch eher in der Passivität verharrende Patienten profitieren vom Gruppenprozess, sogar wenn ihre Struktur, ihre Sozialisation und verinnerlichten Gebote der Zurückhaltung eine aktive Beteiligung (zunächst) nicht zulassen. Der Patient durchläuft aber nicht ein standardisiertes Diagnostik‐ und Therapieprogramm, sondern wird entsprechend seiner kognitiven und emotionalen Fähigkeiten „abgeholt“ und erhält neben der Teilnahme an verbindlichen Basisveranstaltungen („Kerngruppe“) eine individuell abgestimmte, mehrfach wöchentlich durchgeführte Einzeltherapie. 3 Krankheitsverständnis und therapeutischer Ansatz
Ein psychosomatisches Krankheits‐ (oder Gesundheits‐!) Verständnis, das körperliche, seelische und soziale Faktoren in einem wechselseitigen Bedingungsgefüge sieht, erfordert ein mehrdimensionales und – besonders wichtig! – synchrones Vorgehen (Uexküll 1994). Eine dem allgemeinmedizinischen bzw. internistischen Standard entsprechende Diagnostik und Therapie erfolgt dabei simultan mit tiefenpsychologischer Diagnostik und Therapie. Diese stützt sich einerseits auf die im stationären Rahmen erhobenen Daten und Beobachtungen, andererseits versuchen wir auch das außerstationäre soziale System mitzuerfassen. Die systemische Therapie (v. Schlippe, Schweitzer 1996, 2006; Welter‐Enderlin, Hildenbrand 1996, Retzer 2002), die aus der Familientherapie entwickelt wurde, versucht einseitige Perspektiven zu erweitern: Sie betrachtet den Menschen und seine Krankheit im Kontext seines sozialen Umfeldes. Symptome und Krankheiten werden nicht nur im Hinblick auf ihre Entstehung intrapsychisch gesehen, sondern auch in ihren Auswirkungen auf der zwischenmenschlichen Ebene. Aus systemischer Perspektive verliert die Frage nach der Ursache an Bedeutung, wodurch die oft lähmende Schuldfrage entschärft wird. Es geht darum, alte krankheitsfördernde Muster zu unterbrechen und die Ressourcen sowohl des Patienten als auch seines Umfeldes zu aktivieren. Der Therapiefokus wird von den Inhalten und Konflikten auf die Erkennung der Muster gelenkt, die zwischenmenschliches Zusammenleben gestalten. Systemisches Denken ist geprägt von Wertschätzung und Respekt gegenüber Menschen, aber „Respektlosigkeit gegenüber Ideen“ (Cecchin 1993). Systemische Therapie will grundsätzlich Menschen nicht verändern, sondern ihre Kommunikationsmuster hinterfragen und dabei alle Entwicklungspotenziale nutzen. Diese für das therapeutische Handeln wichtige Einstellung greift aber nur, wenn nicht vergessen wird, dass neurotische und psychosomatische Symptome tiefenpsychologisch als Ausdruck einer ungelösten Grundproblematik und/oder struktureller Defizite zu verstehen sind. Vor dem Hintergrund tiefenpsychologischer Annahmen wie Unbewusstheit, Verdrängung, Regression, De‐ und Resomatisierung Übertragung, Abwehr und Widerstand (Müller‐Pozzi 1991, Mentzos 2009, Wöller u. Kruse 2010, Boll‐Klatt u. Kohrs 2014), sowie neuerer Konzepte wie Bindung und Mentalisierung (Fonagy 2001) bildet die Einschätzung der Persönlichkeitsstruktur die Grundlage der psychotherapeutischen Arbeit (Rudolf 2007, 2010, 2013). Seit 2001 arbeiten wir zunehmend mit der operationalisierten psychodynamischen Diagnostik (OPD 2 2006). In mehrfach jährlich stattfindenden Fortbildungsveranstaltungen haben wir unsere Kompetenz hierin ständig erweitern können. Ein profundes Wissen über prägende lebensgeschichtliche Grundkonflikte, strukturelle Fähigkeiten der Lebensbewältigung und den zirkulären Charakter von Beziehungsabfolgen ermöglicht erst, den Patienten in seinem „Sosein“ zu verstehen. Da eine stationäre Psychotherapie immer eine Kurzzeittherapie ist – eine intensive „Reise nach Innen“ –, ist es notwendig, möglichst frühzeitig eine „Reiseroute“ auszuwählen, d. h. einen Fokus zu formulieren, der die aktuelle Symptomatik mit der biographischen Entwicklung und dem Verhalten auf der „stationären Bühne“ in Beziehung setzt (Lachauer 1992). Der Fokus weist auf die Psychodynamik hin und beinhaltet das Therapieziel, nach dem das weitere Procedere ausgerichtet wird. Neben der Einbeziehung der interaktionellen Erfahrungen auf der Station ist uns auch eine lebensnahe, in die Zukunft gerichtete Orientierung wichtig. Das stationäre Konzept, das in den ersten Jahren des Bestehens der Psychosomatik durch die Zugehörigkeit des Pflegeteams zur internistischen Abteilung eher als bipolar zu charakterisieren war mit sich teilweise nicht Seite 5 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept berührenden „Realitäts‐“ und „Therapieräumen“ und einem – wie häufig in der klassischen Medizin – eher „semipermeablen“ Austausch zwischen den Berufsgruppen, hat sich zu einem integrativen und fortwährend weiter differenzierten Behandlungsansatz entwickelt mit einer intensiven Kommunikation zwischen allen am Therapieprozess des Patienten Beteiligten. Der Arbeit im Team geben wir grundlegende Bedeutung (Bardé u. Mattke 1993), denn hier treten entscheidende emergente Phänomene auf: Durch die Perspektivenvielfalt der unterschiedlichen Berufsgruppen und den Austausch der Teammitglieder werden Sichtweisen und Einschätzungen möglich, die die innere Realität des Patienten viel besser abbilden können als es der traditionelle Arzt‐Patient‐Dialog vermag. Seit 2005 dokumentieren wir den Therapieprozess zudem in unserer elektronischen Krankenakte. Dadurch, dass die Verläufe der einzelnen Therapien von allen Berufsgruppen hier zusammengetragen werden, konnte der kommunikative Austausch weiter intensiviert und die Behandlungsplanung verbessert werden. Die vorliegende Konzeption ist in ihrer Ausgestaltung vor dem Hintergrund der Idee der Therapeutischen Gemeinschaft zu sehen. Die Station kann als haltender, aber auch begrenzender Rahmen verstanden werden, in dem sich Konflikte von infantiler unbewusster Dimension bis hin zu bewusster sozialer Aktualität entfalten können und somit einer psychotherapeutischen Bearbeitung im „Hier und Jetzt“ zugänglich werden. Der Patient ist dadurch gefordert, sich mit einer Vielzahl von Personen – Mitpatienten, Therapeuten, Schwestern u. a. – auseinandersetzen. Es ergeben sich dadurch unterschiedlichste Beziehungsangebote, die unbewältigte pathogene Grundkonflikte deutlich werden lassen, zumal durch die Versorgungsstruktur des Krankenhauses zunächst eine Regression eingeleitet wird, die latente, unbewusste Motive sichtbar werden lässt. Durch die Konfrontation mit der inneren und äußeren Realität werden jedoch wieder progressive Prozesse angestoßen, die auf eine realitätsadaptierte Lebensbewältigung zielen. Die Realisierung von Strukturen, die der Therapeutischen Gemeinschaft zugrunde liegen, ist keine neue Therapiemethode, sondern eine Modifikation der Krankenhausstruktur zu therapeutischen Zwecken. Korrigierende emotionale Erfahrungen können in einem sicheren und überschaubaren sozialen Raum ihre Wirkung entfalten, individuell verzerrte Wahrnehmungen (Übertragungen) können relativiert werden. Die psychische Präsenz entspricht dabei nicht der physischen: Gruppenmitglieder verbringen viel mehr Zeit innerlich und im zwischenzeitlichen persönlichen Austausch miteinander als die tatsächliche Zeit der gemeinsamen Gruppensitzungen umfasst. Viele Patienten haben bezüglich einer Gruppenzugehörigkeit eine verarmte Vorgeschichte und waren nie zuvor ein wichtiges teilnehmendes und prägendes Mitglied einer Gruppe. In der Gruppentherapie kommen viele Faktoren zusammen, die in der Einzeltherapie nicht in diesem Maße berücksichtigt werden können. Gruppentherapie bedeutet immer auch eine Bewältigung von Komplexität, eine Rückführung von unübersichtlichen und hochkomplexen inhaltlichen Problemen auf grundlegende, zentrale „menschliche“ Themen. Wir wollen mit dem gruppentherapeutischen Vorgehen auch partikularisierenden Strömungen in unserer Gesellschaft, die ein zweifelhaftes „narzisstisches“ Autonomieverständnis vertreten, entgegenwirken und die Knüpfung, Gestaltung und manchmal auch das Aushalten von zwischenmenschlichen Beziehungen mehr in den Vordergrund stellen. Dennoch steht die Einzeltherapie bei uns und noch mehr bei den Patienten weiterhin hoch im Kurs und findet mindestens zweimal wöchentlich statt. Aufgrund der begrenzten Zeit können wir nicht passiv zuwarten, bis unsere Patienten mehr oder weniger schnell in die Gruppen hineinwachsen. Es gibt auch Problembereiche, die nicht in einem Gruppensetting bearbeitet werden können, auf jeden Fall nicht in der Kürze der Zeit und nicht bei großer Unterschiedlichkeit der Anliegen der Patienten. Nicht zuletzt benötigen kurze Kriseninterventionen eine intensive Einzelbetreuung. Aus der Erfahrung, dass unsere Patienten häufig zunächst keinen Bezug zwischen ihren körperlichen Beschwerden und seelischen Vorgängen herstellen können, im emotionalen Ausdruck ihrer Befindlichkeit eingeschränkt, gehemmt oder weniger wortgewandt sind, haben wir unser Angebot an prä‐ bzw. extraverbalen Therapieangeboten wie Bewegungs‐, Rhythmus‐, Koordinations‐, Wahrnehmungs‐, Achtsamkeits‐, Ausdrucks‐, Seite 6 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Kunst‐ und Gestaltungstherapie in unserem Therapiesetting ständig erweitert. Dieses hochdifferenzierte Spektrum an nonverbalen Therapien – häufig auch im Einzelsetting – vertieft und beschleunigt den Therapieprozess in erstaunlichem Maße. Es hat sich gezeigt, dass für viele Patienten die Aufklärung über die physiologischen Abläufe ihrer Erkrankung sowie eine psychoedukative Schulung eine Entlastung darstellt, die die Bereitschaft zu psychotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen entscheidend erhöht. Daher muss zu Beginn der Therapie der Suche nach der „Erklärung“ der Symptomatik ausreichend Zeit eingeräumt werden: Erst wenn es gelingt, unter Einbeziehung der (bisher vergeblichen) Erklärungsversuche und Ursachenüberzeugungen des Patienten gemeinsam mit ihm plausible Hypothesen zu generieren ‐ bei funktionellen Erkrankungen geht es oft um physiologische Anspannungsphänomene und deren sekundäre Auswirkungen ‐ ist es sinnvoll, psychotherapeutisches Vorgehen im engeren Sinn zu planen (also z. B. das „sprachlos“ gewordene Körpersymptom wieder auf die emotionale und sprachliche Ebene zu bringen). Dabei hat der Respekt vor der zunächst häufigen Zurückhaltung des Patienten Vorrang vor der nachhaltigen Aufforderung zur Selbstexploration. Funktionelle Syndrome bzw. Somatisierungsstörungen haben eine Funktion und lassen sich nicht „wegtherapieren“, ohne dass die zugrundeliegende Dynamik verstanden wird. Zu Beginn der Therapie geht es häufig um konkrete Motivationsarbeit, da ein Teil unserer Patienten entweder mit einem tieferen Verständnis der Symptomatik überfordert ist und die Befürchtung mitbringt, durch eine psychotherapeutische Behandlung von seinem sozialen Umfeld psychiatrisch stigmatisiert zu werden. Die Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit unserer Patienten hat zur Etablierung eines Vorgehens geführt, das unseres Wissens nach in vergleichbaren psychosomatischen Abteilungen bisher nicht realisiert wurde: In – den eigentlichen Gruppentherapien vorgeschalteten – Verteilergruppen, sog. „Einführungsgruppen“ (s. u.) werden die Weichen dahingehend gestellt, dass der Patient entsprechend seiner Persönlichkeit und Motivation (und nicht nur hinsichtlich seiner Symptomatik bzw. Diagnose) auch Spezialgruppen zugeteilt wird (z. B. Stabilisierungs‐, Selbstsicherheits‐, Edukations‐, Essstörungs‐ oder Schmerzgruppe). Durch diese „Harmonisierung“ kann dann eine individuellere Therapie in der Gruppe erfolgen, wodurch zugleich das gesamte Behandlungskonzept besser greift und die Aufenthaltsdauer verkürzt wird. Meist gelingt es auch, sog. „gruppenunfähige“ Patienten zu integrieren. Je nach Konflikt‐ und Strukturniveau des Patienten haben therapeutische Interventionen eher stützend‐
strukturierenden Charakter oder sind mehr konfrontativ und konfliktzentriert. Entsprechend der Introspektionsfähigkeit und Veränderungskapazität des Patienten versuchen wir die adaptiven und integrativen Fähigkeiten und Ressourcen bewusst zu machen. Unter Beachtung der kommunikativen Strukturen des Alltags unserer Patienten thematisieren wir frühzeitig tradierte Problemmuster in den Lebenssystemen und beziehen – wie bereits erwähnt – die Familie oder den Partner mit ein. Dadurch können die Interaktionsmuster des sozialen Feldes, aus dem der Patient kommt und in das er meist auch wieder entlassen wird, sichtbar gemacht, das Unterstützungspotential genutzt und Konflikte vor dem Hintergrund eines zirkulären Kausalitätsverständnisses ohne Schuld‐ und Defizitzuschreibungen einer Lösung näher gebracht werden. 4 Therapeutische Haltung
Ganz entscheidend für das klinische Setting und die Ausdifferenzierung eines multimodalen Konzeptes ist die therapeutische Haltung der Mitarbeiter. Grundsätzlich fühlen wir uns in der Tiefenpsychologie beheimatet, haben aber diese Theorie auf ein breiteres Fundament (Fürstenau 2001) gestellt, so dass auch die humanistische Psychologie, die Verhaltenstherapie mit ihren Fortentwicklungen, sowie auch die systemische Therapie zu wichtigen Elementen unseres Therapie‐Settings geworden sind. Bereits die Wahrnehmung eines Ereignisses wird durch die Ausdifferenzierung unseres seelischen Binnenraumes – unsere Erfahrungen, Erinnerungen, Erwartungen, Befürchtungen, Hoffnungen beeinflusst. Seite 7 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Auch Motive, Normen, die Selbsteinschätzung hinsichtlich unserer Kompetenz bestimmen den Verarbeitungsprozess von (äußeren) Wahrnehmungen entscheidend mit. Eine therapeutische Haltung entsteht einerseits durch Erfahrungen, andererseits durch Theorien in einem sich gegenseitig beeinflussenden Prozess und bestimmt maßgeblich unsere Wahrnehmung, unsere Bewertungen und unsere Schlussfolgerungen im Denken wie auch im Handeln. Ausdruck +, -
Das Simbacher Auge Die Struktur übersteuert die Konflikte: Die operationalisierte psychodynamische Diagnostik (OPD) mit ihren 5 Achsen stellt die Basis unserer Therapieplanung dar. In zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen, mit Vertretern aus der Arbeitsgruppe, insbesondere mit Herrn Prof. Rudolf haben wir eine sehr brauchbare Verständigungsebene gefunden. Gefühle sind oft nicht bewusst, nicht ausdifferenziert und nicht versprachlicht: Wir legen großen Wert auf nonverbale Therapieformen, wie Kunsttherapie/Gestaltungstherapie, konzentrative Bewegungstherapie/Tanztherapie in verschiedenen Modifikationen zum Erleben von Wahrnehmungsprozessen und Erweiterung von Ausdrucksmöglichkeiten (Schmeer 1995, Downing 1996). Daher haben Modelle der humanistischen Therapie (Greenberg 2006, Hartmann‐Kottek 2004) eine hohe Bedeutung. Der Patient kommt nie allein zu uns: Die Berücksichtigung des Kontextes, in dem der Patient lebt, vor allem seine Beziehungen, können nur mit einem systemischen Gesamtverständnis ausreichend gewürdigt werden. Einerseits versuchen wir regelhaft, die Familie oder den Beziehungspartner des Patienten in die Therapie mit einzubeziehen. Wenn es Konflikte gibt, ist es ohnehin besser, mit den Beteiligten zu sprechen, als über sie, wenn es keine gibt, was auch häufig der Fall ist, geht es darum im Sinne salutogenetischen Denken Unterstützungsmöglichkeiten zu aktivieren. Andererseits versuchen wir frühe Prägungen bewusst zu machen (um auf sie einwirken zu können und zu verändern), wobei wir uns ausführlich der Genogrammarbeit (Hildenbrand 2007) widmen und Familienaufstellungen in unsere Konzeption integriert haben (Weber, Schmidt, Simon 2005). Ausdrücklich sei erwähnt, dass wir diese Arbeit ausschließlich tiefenpsychologisch verstehen – als „Verräumlichung“ und Verdeutlichung nachvollziehbarer psychodynamischer Kräfte und nicht als Bühne für Seite 8 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept kathartische Impulse und Darstellungen individueller Überzeugungen („Das wissende Feld“), wie es leider oft von einer „Wald‐ und Wiesenszene“ unzureichend ausgebildeter und nicht qualifizierter Therapeuten gehandhabt wird. 5 Indikation und Aufnahmeprocedere
Wir behandeln Patienten in akuten seelischen Krisensituationen, z. B. nach Verlusterlebnissen oder traumatischen Erfahrungen, mit psychosomatischen Erkrankungen, funktionellen Störungen, vegetativen Erschöpfungssyndromen, Psychoneurosen – insbesondere Angst‐ und depressiven Erkrankungen –, Essstörungen, Schmerzsyndromen, Persönlichkeitsstörungen und chronischen, vor allem internistischen Erkrankungen, die zu reaktiven psychischen Beeinträchtigungen geführt haben. Patienten, bei denen eine intensive und vom Konfliktgeschehen auch räumlich entfernte Behandlung erforderlich ist, können wir einen psychotherapeutischen Raum anbieten, der zeitnah über eine Krankenhauseinweisung erreichbar ist Kontraindikationen: Wegen der offenen Räumlichkeiten können wir bündnisunfähigen suizidalen oder psychotisch dekompensierten Patienten ebensowenig den notwendigen Rahmen bieten wie kontrollbedürftigen Suchtpatienten. Sofern eine über eine psychopharmakologische Behandlung hinausgehende psychotherapeutische Fragestellung besteht, behandeln wir auch Patienten mit psychiatrischer Vorgeschichte. Oft verweisen wir jedoch auf die zuständigen psychiatrischen Bezirkskrankenhäuser, mit denen eine gute Kooperation besteht. Mit Verlegungen und ggf. Rückverlegungen haben wir durchweg gute Erfahrungen gesammelt. Ein besonderes Anliegen ist uns, die psychosomatische regionale und überregionale Akutversorgung durch ein kurzfristiges Aufnahmeprocedere zu gewährleisten und Wartelisten zu vermeiden (was uns auf Grund der stetig steigenden Nachfrage seit 2006 leider zunehmend nicht mehr gelingt ...). Zusätzlich zu unserer bewährten Behandlungsstruktur mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 4 – 6 Wochen führen wir etwa 2‐ bis 3‐
wöchige Kriseninterventionen durch. Besonders bewährt haben sich auch Intervalltherapien, z. B. im Rahmen einer ambulanten Psychotherapie. Bei unklarer Indikation und Motivationslage, z. B. wenn es um die Abklärung einer Suchtproblematik oder einer schweren Essstörung geht, die nur durch frühzeitige klare Behandlungsabsprachen sinnvoll zu behandeln sind, wenn ein Verdacht auf ein psychotisches Geschehen besteht oder überhaupt zur – von den Krankenkassen geforderten – Überprüfung der Notwendigkeit stationärer Behandlung, führen wir kurzfristig prästationäre Gespräche durch. Eine wichtige Funktion des Vorgespräches besteht auch darin, den Patienten über unser therapeutisches Vorgehen aufzuklären, evtl. bestehende Ängste abzubauen und vorbereitende Maßnahmen zu empfehlen, z. B. die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe. Falls noch nicht erfolgt, werden auch ambulante Therapiemöglichkeiten erörtert bzw. bereits zu diesem Zeitpunkt die Suche nach einer nachstationären, weiterführenden Behandlung initiiert. Bereits nach diesem Vorgespräch geht es vielen Patienten durch die konkrete Aussicht auf eine stationäre Behandlung besser. Während der stationären Behandlung ist einerseits eine Distanzierung zu einem pathogenen Milieu möglich, andererseits kann oft durch die relative Wohnortnähe das soziale Feld im Blick behalten und die Familie oder andere wichtige Bezugspersonen miteinbezogen werden. Auch sind Voraussetzungen gegeben, eine ambulante psychotherapeutische Weiterbehandlung anzubahnen, vor der Entlassung mit niedergelassenen Kollegen in Kontakt zu treten und ggf. verbindliche Termine zur Weiterbehandlung bei motivationsambivalenten Patienten zu vereinbaren. Zunehmend bemühen sich auch Patienten, die weiter entfernt wohnen, um eine Behandlung bei uns. Wir legen dann jedoch schon im Vorfeld großen Wert auf die Anbahnung der Bereitschaft der Familie, längere Anfahrtswege in Kauf zu nehmen, um an gemeinsamen Gesprächen zu partizipieren, sowie auf die Klärung der Nachbehandlung vor Ort. Da das Einzugsgebiet der Mehrzahl unserer Patienten ländliche und kleinstädtische Strukturen mit einem eher geringen psychotherapeutischen Behandlungsangebot aufweist, sind im Gegensatz zu städtischen Gebieten die Seite 9 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Hausärzte in besonderem Maße auch Ansprechpartner in seelischen Nöten. So erstaunt es nicht, dass unsere Patienten weniger von psychiatrisch oder psychotherapeutisch tätigen Kollegen eingewiesen werden, sondern von ihren meist langjährigen Hausärzten. Die Patienten sind zunächst oft nicht speziell psychotherapiemotiviert und suchen im weitesten Sinne ärztlichen Rat. Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung verfügen unsere Einweiser oft über ein sehr feines Gespür für psychosomatische Zusammenhänge und leisten bereits im Vorfeld entsprechende (und entscheidende) Motivationsarbeit. 6 Konkretes Behandlungsangebot und -verlauf
Die durchschnittliche Behandlungsdauer auf unseren Stationen liegt etwa bei 5 bis 6 Wochen, für psychotherapeutisches Verständnis recht kurz (die durchschnittliche Behandlungsdauer psychosomatischer Krankenhäuser und Abteilungen in Bayern lag 2002 bei 56, 2011 bei 49 Tagen). Diese Zeitspanne hat sich bewährt (s. u., Katamnese‐Erhebungen). Es ist durchaus möglich in diesem Zeitraum, bei entsprechender konzeptioneller Gestaltung – d. h. der Verbindung spezifischer struktureller und personeller Voraussetzungen mit stringenter Diagnostik, Therapieplanung und ‐durchführung – in recht kurzer Zeit einen psychotherapeutischen Fokus zumindest soweit zu bearbeiten, dass eine Krisensituation entschärft und eine weiterführende ambulante Psychotherapie durchgeführt oder eine rehabilitative Maßnahme zur Verhinderung drohender Erwerbsunfähigkeit angeschlossen werden kann. Nach einer akuten seelischen Dekompensation, z. B. infolge des Todes eines Familienangehörigen oder Mitteilung einer belastenden medizinischen Diagnose, können sich Patienten auch innerhalb einer kurzen Krisenintervention stabilisieren und in ihr privates und berufliches Umfeld zurückkehren. Unser Behandlungsangebot besteht aus einer Vielzahl ärztlich‐psychologischer Gruppen‐ und Einzeltherapien, die auf der Behandlerebene durch tägliche Besprechungen und durch die Dokumentation aller Berufsgruppen in eine gemeinsame elektronische Krankenakte so synergistisch wirken, dass ein intensiver Therapieprozess angestoßen wird. Dabei wird dem Balint´schen Gedanken Rechnung getragen, dass sich Prozesse in der Patientengemeinschaft auch häufig in der Teamdynamik wiederspiegeln, insbesondere bei sehr schwierigen Patienten („Borderline“), die sehr schnell ein Team aufzuspalten wissen. Im Unterschied zu ambulanter psychotherapeutischer Behandlung ist ein geschützter Rahmen gegeben, in dem unterschiedliche verbale und „nonverbale“ Therapiemethoden aufeinander abgestimmt werden. In der ersten Woche nimmt der Patient an mehreren speziellen Einführungsgruppen teil. Diese Gruppen ermöglichen ihm nicht nur erste Erfahrungen mit zunächst oft fremd anmutenden Gesprächen über körperliche und seelische Befindlichkeiten oder mit „nonverbalen“ Therapiemethoden, sondern lassen ihn auch teilnehmen an ähnlichen Problemen oder Beschwerden seiner Mitpatienten. Ein Anliegen ist uns, den Patienten „dort abzuholen, wo er steht“ und ihm Information über psychophysische und lebensgeschichtliche Zusammenhänge sowie unser therapeutisches Denken und Vorgehen zu vermitteln. Da unsere Patienten häufig mit ganz verschiedenen Voraussetzungen und unterschiedlicher Motivation erstmals mit psychotherapeutischem Denken in Berührung kommen, ist besondere fachliche Kompetenz gefordert, um mit dem therapeutischen Vorgehen möglichst „passend“ an die Bedingungen der Patienten anzuknüpfen (und nicht andersherum!). Die Einführungsgruppen werden von den Oberärzten sowie den Kreativtherapeuten geleitet. Die Patienten werden mit unserem Konzept vertraut gemacht, der Informationsstand abgeglichen, unterschiedliche Behandlungsvoraussetzungen geklärt, Erwartungen auf ihren Realitätsgehalt überprüft und entsprechende Motivationsarbeit geleistet. Durch dieses Vorgehen wird die Entfaltung des Therapieprozesses deutlich beschleunigt, da Befürchtungen entkräftet und sog. „Widerstände“ abgebaut werden. Spätestens zur Mitte der Behandlungszeit, also meist in der zweiten oder dritten Woche, findet die Chefarzt‐
/Oberarztvisite als „Gemeinsame Besprechung“ statt, in der auch der Bezugstherapeut und nach Möglichkeit ein Mitglied des Pflegeteams zugegen sind. Die gemeinsame Reflektion der Vorgeschichte und des bisherigen Seite 10 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Verlaufs, divergente Beobachtungen und Wahrnehmungen werden zu einem Mosaik zusammengetragen, das die Grundlage bildet für die Strukturdiagnose, die Psychodynamik und die abschließende Formulierung der Therapieziele. Koordiniert wird das therapeutische Vorgehen in der Einzeltherapie von dem – für den Therapieverlauf verantwortlichen – Arzt oder Psychologen als Bezugstherapeuten, der die biographische Anamnese erhebt, den individuellen Therapieplan entwirft und in mehrfach wöchentlich stattfindenden Einzelgesprächen den Patienten bis zur Entlassung begleitet. Wie schon mehrfach erwähnt, wird das soziale System, in das der Patient wieder zurückkehrt, nach Möglichkeit im Rahmen von Paar‐ oder Familiengesprächen miteinbezogen. Eine effektive Gruppentherapie ist dadurch gewährleistet, dass wir nach jahrelangen Erfahrungen mit sogenannten „Slow‐Open‐Gruppen“, d. h. jede Woche reisen Patienten ab und kommen neue dazu, sogenannte „Halbgeschlossene Gruppen“ etabliert haben, in denen nach Möglichkeit nur alle 3 Wochen ein Wechsel erfolgt. Durch die hohe Dichte der Gruppenstunden unter Einbeziehung von Gestaltungs‐, Kunst‐ und Körperpsychotherapie in gleicher Gruppenzusammensetzung ist ein intensiver, kontinuierlicher Gruppenprozess gewährleistet. Dieses Setting ist die Konsequenz aus Vorerfahrungen, die einen ständigen Neubeginn notwendig machten, was insbesondere zunächst bei nicht sehr motivierten Patienten zu einem Rückzugsverhalten führte. Ein Modellversuch mit geschlossenen Gruppen über 5 Wochen hinweg war inhaltlich sehr vielversprechend, wurde jedoch wegen des großen Planungsaufwandes und hoher Belastung der Mitarbeiter durch organisatorische Erfordernisse in ein halbgeschlossenes Gruppen‐Setting überführt. Dass krisenhafte Zuspitzungen unmittelbar ihren Besprechungs‐ und Handlungsrahmen finden, versteht sich von selbst. Eine wichtige Funktion kommt auch der fest etablierten abendlichen Pflegevisite zu. Hier können die Ereignisse des Tages wie auch organisatorische Belange besprochen werden. Bei jedem Patienten wird eine internistische und psychiatrische Basisdiagnostik durchgeführt und ggf. eine entsprechende Therapie eingeleitet. Darüberhinaus stehen für eine weiterführende Diagnostik die internistischen Abteilungen der Krankenhäuser im Landkreis zur Verfügung. Interdisziplinäre Fragestellungen können in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht diskutiert und auch direkt von Kollegen mit Subspezialisierungen (z. B. Kardiologie) mitbehandelt werden. Eine je nach Beschwerdebild notwendige (psycho‐pharmakologische) Behandlung erfolgt nach den gängigen Leitlinien. Schwere psychosomatische Krankheiten sowie primär somatische Erkrankungen, die zu einer reaktiven seelischen Beeinträchtigung geführt haben, können so umfassend behandelt werden. Im Rahmen des ganzheitlichen Gesamtkonzeptes werden nach Möglichkeit naturheilkundliche Verfahren wie Hydrotherapie, Phytotherapie, Ernährungstherapie, Akupunktur, Homöopathie etc. eingesetzt. Von besonderer Bedeutung für den therapeutischen Prozess ist die Integration der nonverbalen, kreativen Verfahren. Die Gestaltungs‐ und Maltherapie sowie die Körper‐, Tanz‐, Wahrnehmungs‐ und Ausdruckstherapie in verschiedenen Modifikationen stellen mit ihrem erlebnis‐orientierten Fokus Medien zur Verfügung, die zunächst nicht verbalisierbare Affekte symbolisch im Bild, im körperlichen Spüren oder in der Bewegung zum Ausdruck bringen können. Auch als gefährlich erlebte Impulse und bedrohliche körpernahe Erfahrungen können so in die psychotherapeutische Begegnung eingebracht werden. Der „erlebte Körper“ wird so wieder mehr in das psychische und soziale System integriert. Beziehungskonflikte, die mit frühem Körpererleben verbunden sind, können so mobilisiert und zugänglich gemacht werden – sind doch die frühesten in unserem Leben gespeicherten Eindrücke körperliche Wahrnehmungen! Jeweils freitags findet eine Stationsversammlung statt. Hier werden die Patienten in Organisationsprozesse miteingebunden und erhalten ausreichend Raum, dieses Forum mitzugestalten, z. B. indem sie die Moderation übernehmen: Die neuen Patienten werden in einem Ritual begrüßt, die vor der Entlassung stehenden Patienten verabschiedet, Hierbei bietet sich die Gelegenheit, den Therapieverlauf Revue passieren zu lassen. Fast immer zeigt sich ein erheblicher Zugewinn an Selbstsicherheit und Prägnanz im kognitiven Diskurs und emotionalen Seite 11 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Ausdruck. Vor allem neue Patienten erhalten hier richtungsweisende Anstöße. Ebenfalls wird ein von den Patienten vorbereitetes Thema diskutiert, wodurch neue Möglichkeiten der Interaktion erprobt werden. Während der Stationsversammlung werden – mit Unterstützung des Pflegedienstes – auch gemeinsame Aktivitäten für das Wochenende geplant. Durch regelmäßige Übung entspannungsfördernder Methoden – Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Atemtherapie, Qigong u. a. – wird eine vegetative Umstimmung mit Muskeltonussenkung und Normalisierung biologischer Rhythmen induziert. Zu unserem Behandlungsangebot gehören weiterhin – bei entsprechender Indikation – krankengymnastisch geführte „sensomotorische“ Gruppen, Sport‐ und Walkinggruppen, die Gruppe „Bewegungserfahrung im Wasser“ sowie baneologische und roborierende Anwendungen bzw. spezifische krankengymnastische Behandlungen. Das Wochenende dient der sozialen Aktivierung, meist der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Familie oder anderen wichtigen Bezugspersonen, die auf Besuch kommen oder zu der/ denen der Patient beurlaubt wird. Der Transfer neuer Einsichten und Erfahrungen im sozialen Umfeld und vor allem dessen Reaktion führt zu einem unmittelbaren Alltagsbezug und zeitnahen Auseinandersetzungen mit den im Vorfeld des stationären Aufenthalts wirksamen pathogenen Interaktionsmustern – aber auch zur (Neu‐)Entdeckung positiver, zuletzt nicht mehr spürbarer Fähigkeiten und kreativen Ressourcen – wurde doch bereits durch die Herauslösung des Pat. aus dem privaten und beruflichen Feld auch dort ein Reflektionsprozess eingeleitet. 7 Teamstruktur
Das Behandlungsteam hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich erweitert. Der Abteilungsleiter ist für die volle Weiterbildungszeit des Fachgebietes ermächtigt. Es besteht weiterhin eine Ermächtigung für 6 Monate Innere Medizin sowie 3 Monate Naturheilverfahren durch Oberärzte. Das Gesamtteam besteht aus 6 Oberärzten und weiteren 20 Ärzten – Fachärzte für psychosomatische Medizin, sowie viele KollegInnen, die bereits eine Facharztweiterbildung in der Allgemeinmedizin, Inneren Medizin, Gynäkologie, Chirurgie oder Anästhesie absolviert haben. Weiterhin arbeiten in unserer Klinik zwei leitende Psychologen, 15 Psychologen, 4 Gestaltungs‐ und Kunsttherapeuten, 15 Körper‐ und Physiotherapeuten sowie über 40 Pflegekräfte (in Voll‐ und Teilzeit). Die Klinik ist strukturiert in 6 Stationen mit jeweils 25 bis 30 Patienten, so dass eine übersichtliche, gut vernetzte Arbeitsweise gegeben ist. In täglichen Teambesprechungen werden die therapeutischen Prozesse auf den verschiedenen Ebenen – in der Einzeltherapie, in der Gruppentherapie sowie im gelebten Alltag in der therapeutischen Gemeinschaft – zusammengetragen. Dadurch werden auch Nebenschauplätze, an denen abgespaltene Interaktionsmuster ausgelebt werden, z. B. im Nachtdienst oder in der Krankengymnastik, in einen Verständniszusammenhang gebracht. Voraussetzung dazu ist, dass alle Teammitglieder mit psychologischen Phänomenen wie z. B. Übertragungs‐ oder Abwehrmechanismen vertraut sind und das sensible Gleichgewicht zwischen strukturierender Grenzsetzung und gewährender Unterstützung handhaben können. Erlebnissen in der Interaktion mit Patienten können die MitarbeiterInnen so den entsprechenden Mitteilungswert geben, sodass sowohl die gemeinsame Suche nach einer (bisher verborgenen) Psychodynamik als auch ein stringentes, gemeinsam getragenes therapeutisches Vorgehen erfolgen kann. Von besonderer Bedeutung ist die zeitnahe Möglichkeit, die Behandlungsstrategie zu modifizieren. Die systemische Grundannahme, dass therapeutische Prozesse weder linear noch kausal verlaufen, sondern aufgrund ihrer Zirkularität auch die Behandler mit einschließen, muss bei der Reflektion der therapeutischen Prozesse der Patienten auch zu einer adäquaten Berücksichtigung der Teamdynamik führen. Probleme von Patienten spiegeln sich hier oft wieder, sie werden sogar nicht selten durch Inkongruenzen im Team erst identifiziert. Der Arbeitsatmosphäre kommt daher gerade im Hinblick auf schwierige Patienten besondere Bedeutung zu. Seite 12 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept In Fall‐ und Teamsupervision kann der Therapieverlauf bzw. die Dynamik unter den Mitarbeitern angesprochen und geklärt werden. In der regelmäßig stattfindenden Intervision – im Rahmen sog. Teamtage – werden konzeptionelle Fragen diskutiert und oft anhand konkret erlebter (meist schwieriger) Situationen ein berufsgruppenübergreifender Konsens erarbeitet. Zwei Stunden wöchentlich sind für eine intensive psychotherapeutische Weiterbildung vorgesehen. Dabei bildet die Vermittlung der in der Weiterbildungsordnung geforderten Inhalte die zentrale Akzentsetzung. Praxisnah werden Videoaufnahmen von Paar‐ oder Familiengesprächen sowie von Einzel‐ und Gruppenstunden reflektiert. Familienaufstellungen bieten in der Nachbesprechung besonders anschauliche Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit psychodynamischen Überlegungen. Mehrmals jährlich finden 2‐tägige Fortbildungsveranstaltungen mit renommierten Referenten statt. Seit ca. 2006 ist eine wöchentlich stattfindende einstündige internistische Weiterbildung fest etabliert. 8 Vor- und nachstationäres Procedere
Wie schon erwähnt, führen wir prä‐ und poststationäre Therapiegespräche in unser Konzept. Während prästationäre Gespräche eher diagnostischen Charakter haben und der Indikationsprüfung zur stationären Therapie dienen, kann in poststationären Gesprächen der Therapieprozess noch einmal reflektiert und Hilfestellung gegeben werden beim Transfer der stationär gemachten Erfahrungen in den Alltag sowie die Zeit bis zur Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie überbrückt werden. Dieses Vorgehen trägt auch zur Verkürzung des Gesamtaufenthaltes bei. Als besonders wertvoll hat sich erwiesen, bereits vor der Entlassung mit dem einweisenden Arzt telefonisch in Kontakt zu treten und das weitere Vorgehen abzusprechen. 9 Kalkulationskrankenhaus
Die Psychosomatische Fachklinik Simbach am Inn ist als eine der ersten Kliniken in Deutschland als Kalkulationskrankenhaus für ein neues Entgeltsystem in Psychosomatik und Psychiatrie ausgewiesen und rechnet mit den Krankenkassen bereits nach dem neuen PEPP‐System (Pauschaliertes Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik) ab. Für die statistische Auswertung der kalkulierten Fälle aus psychosomatischen Kliniken in Deutschland durch das InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus) mit insgesamt 5700 Fällen im Jahr 2012, wurden 1300 von uns geliefert. Wir leisten also einen wichtigen Beitrag bei der Gestaltung des künftigen Entgeltsystems der stationären Psychosomatik. Dieses Jahr werden wir versuchen, über das DIMDI (Deutsches Institut für Dokumentation und Information) Einfluss zu nehmen auf die OPS (Operations‐ und Prozedurenschlüssel für die Psychosomatik). Seite 13 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept 10 Wir haben mehrere Behandlungsschwerpunkte entwickelt:
10.1
Essstörungen
Leitung: G. Häberle, Fachärztin für Psychosomatik und Gynäkologie Essstörungen sind häufig in der ambulanten psychotherapeutischen Praxis nicht ausreichend oder nachhaltig zu bessern. Unser multimodales Setting – mit der Sicherheit umfassender organmedizinischer Kompetenz der abteilungsinternen internen Fachärzte – bietet ideale Voraussetzungen, um mit der erforderlichen Therapiedichte in die Tiefe gehen zu können. Nur über eine Veränderung tieferer, unbewusster Kräfte ist eine nachhaltige Veränderung zu erreichen. Anders als in vielen Kliniken steht bei uns weniger das sichtbare Symptom der Essstörung im Vordergrund. Wir verstärken nicht das vorhandene ausgeprägte Kontrollbedürfnis, indem wir Kalorien zählen oder häufig das Gewicht kontrollieren, sondern wir respektieren die tiefer liegende unbewusste Entscheidung, dass dieses Symptom in der bisherigen Lebensgeschichte in Kauf genommen wurde, um ein anderes, darunter verborgenes Leid tragen zu können. Wir bekämpfen also nicht das Symptom Essstörung, sondern helfen bei der Suche nach der tieferliegenden Ursache, fragen nach der Psychodynamik dieser Menschen. Essgestörte schämen sich oft ihres Körpers, sind oft sehr einsam. Daher sind unsere PatientInnen in das normale multimodale Setting der Abteilung und damit in die therapeutische Patientengemeinschaft integriert und nehmen zusätzlich an einer spezifischen Wahrnehmungs‐ und Reflektionsgruppe teil. Wir lenken den Blick weg von Diätkonzepten hin zu einer neuen Wahrnehmung und Unterscheidung von Appetit, Hunger und Sättigung. Die PatientInnen lernen, den Signalen des Körpers und seiner Regulationsfähigkeit zu vertrauen und unterdrückten Lebensimpulsen wieder Raum zu geben. Auf der pragmatischen Ebene steht für die spätere Umsetzung daheim in Einzel‐ und Gruppengesprächen eine Ernährungswissenschaftlerin zur Verfügung. 10.2
Schmerztherapie
Leitung: H. Nieratschker, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Innere Medizin Bei einem Großteil chronischer Schmerzpatienten lässt sich keine eindeutige organische Ursache diagnostizieren – und selbst bei Vorliegen einer manifesten körperlichen Erkrankung spielt bei der Krankheitsbewältigung und deren Prognose der psychische Aspekt eine entscheidende Rolle. Wir haben ein Spezialprogramm für Schmerzpatienten etabliert, das sowohl den somatischen als auch den psychischen Beschwerden Rechnung trägt. Dieses Programm besteht aus einem 4‐wöchigen stufenweise aufgebauten Gruppenprogramm zur Behandlung chronischer Schmerzen, z. B. unklaren Bauchschmerzen, Rückenschmerzen unklarer Genese, Kopfschmerzen etc. Die Durchführung des integrierten psycho‐edukativen und tiefenpsychologischen Konzepts in einer „Somagruppe“ mit Schwerpunktthemen zum Schmerz – Schmerzverarbeitung, lebensgeschichtliche Faktoren, integrative Schmerzmodelle etc. – findet in Ergänzung zur bestehenden Therapie statt. Einzel‐ und Gruppentherapie, Feldenkrais‐Therapie, Imaginationsübungen und Entspannungstechniken ergänzen das Grundangebot. Seite 14 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept 10.3
Traumatherapie
Leitung: Fr. U. Müller‐Görtz, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Anästhesie Eine posttraumatische Belastungsstörung kann sich nach dem Erleben oder Miterleben von belastenden Ereignissen oder Situationen mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß entwickeln, die bei fast jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen würde. Hierzu gehören u. a. Naturereignisse, von Menschen verursachte Katastrophen, Kampfhandlungen, schwere Unfälle oder auch die Tatsache, Zeuge des gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer von (sexualisierter) Gewalt oder miterlebter Gewalt zu sein. Die posttraumatische Belastungsstörung ist gekennzeichnet durch das Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von wiederkehrenden Gedanken, Tagträumen oder Träumen sowie intensiven negativen Gefühlen, der Vermeidung von Gedanken, Vorstellungen, Situationen, Aktivitäten, die an das Trauma erinnern, sowie durch einen Zustand der emotionalen Betäubtheit und Teilnahmslosigkeit. Zusätzlich treten Zeichen eines erhöhten Erregungsniveaus auf wie Ein‐ und Durchschlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen und übermäßige Schreckhaftigkeit. In einem geschützten und beruhigenden Rahmen innerhalb eines traumaspezifischen multimodalen Settings können wir den PatientInnen Unterstützung bei der Verbesserung der Gefühlsregulation, der Selbstberuhigung, der Kontrolle von Flashbacks oder Dissoziationen geben, Informationen z. B. über die Andersartigkeit traumatischer Verarbeitungsprozesse vermitteln sowie, falls noch nicht vorhanden, für die Aufnahme einer längerfristigen ambulanten Psychotherapie motivieren und auch Hilfe beim Finden eines Therapieplatzes leisten. Unser multimodales Setting umfasst eine traumaspezifische Imaginationsgruppe mit Einbeziehung psychoedukativer Elemente, Einzelgespräche, Körperpsychotherapie, Gestaltungstherapie sowie weitere „besänftigende“ Verfahren. 11 Dokumentation und Evaluation – Katamnese
Als erstes deutsches Krankenhaus für ganzheitliche Grundversorgung haben wir eine lange Tradition in der Planung und Durchführung qualitätssichernder Maßnahmen. Vor dem Hintergrund einer soliden, nachvollziehbaren Datenlage der Behandlungsergebnisse der psychosomatischen Patienten konnte die psychosomatische Abteilung wegen des ständig steigenden Bedarfs an psychosomatischer Behandlung mit zum Teil vielmonatigen Wartezeiten sukzessive erweitert werden. Hand in Hand ging damit ein Umstrukturierungsprozess des stationären Angebotes der somatischen Fächer im Landkreis Rottal‐Inn. Auf Grund dieser historischen Entwicklung sind Ergebnisse aus dem gesamten Zeitraum dargestellt. 11.1
1995 bis 1999
1995 bis 1999 wurde ein 5‐jähriges Forschungsprojekt „Münchner Modell“ – Leiter: Dr. med. D. Melchart –, ein Modellversuch zur Integration ganzheitlicher medizinischer Behandlungsmethoden durchgeführt. Hierbei stand weniger die Durchführung klinischer Studien im Vordergrund als vielmehr die Erfassung des Therapieprozesses und der Ergebnisqualität. In den Zeiträumen Juli 1995 bis August 1996 sowie August 1996 bis Dezember 1997 und Februar bis Mai 1998 wurden im Rahmen dieser wissenschaftlichen Begleitung Arzt‐ und Patientenbefragungen durchgeführt. Neben einer Basisdokumentation, die demographische Daten wie Alter, Aufenthaltsdauer, ärztlich erhobene Daten wie Haupt‐ und Nebendiagnosen, Therapieerfolg, Medikation, Compliance sowie Angaben der Patienten zu Vorbehandlungen und Beschwerdedauer umfasste, wurden auch Daten erfasst, die Lebensstil und Lebensqualität beschreiben. In den drei Patientennachbefragungen konnte 12 Monate nach Entlassung ein Seite 15 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept deutlicher Rückgang der Hauptbeschwerden, Zunahme sozialer Aktivität und Verbesserung von Parametern wie körperliche Schmerzen, Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit, psychisches Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit verzeichnet werden. Einige Ergebnisse sollen näher beschrieben werden: Seite 16 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Symptomverbesserung Im ersten Untersuchungszeitraum wurde die durchschnittliche Beschwerdeintensität bei der Aufnahme auf einer visuellen Analogskala (0‐100 Punkten) durchschnittlich mit 68 Punkten angegeben, bei Entlassung mit 24 Punkten. 12 Monate danach wurden 37 Punkte ermittelt, d. h. ein Wert, der 46% unter dem Ausgangsniveau bei der Klinikaufnahme liegt. Im zweiten Untersuchungszeitraum lassen sich noch bessere Ergebnisse nachweisen. Entsprechend der weiterentwickelten Konzeption wurden auch schwerer erkrankte Patienten behandelt, die dementsprechend eine Beschwerdestärke von 78 Punkten bei der Aufnahme angaben. Bei der Entlassung lag die Beschwerdestärke bei 27 Punkten, 12 Monate danach wurden ebenfalls 27 Punkte ermittelt, d. h. eine Beschwerdeminderung um 65 %. Im dritten Erhebungszeitraum konnte mit 59 % Beschwerdeminderung nach einem Jahr ein ähnlich gutes Ergebnis erzielt werden. Psychische Gesundheit Ein aus verschiedenen Parametern abgeleiteter Wert, der die psychische Gesundheit umschreibt, ergab im ersten Erhebungszeitraum zum Zeitpunkt der Aufnahme einen Durchschnittswert von 21 Punkten (Bevölkerungsdurchschnitt: 50 Punkte), 12 Monate nach Entlassung einen Wert von 35 Punkten. Im zweiten Erhebungszeitraum steigt die psychische Gesundheit von 27 Punkten bei der Aufnahme auf 39 Punkte 12 Monate nach der Entlassung, im dritten Erhebungszeitraum von 23 auf 38 Punkte. Seite 17 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Therapieerfolg Der Therapieerfolg wurde im ersten Erhebungszeitraum von 80 % der Patienten zum Zeitpunkt der Entlassung mit „gut“ oder „sehr gut“ eingeschätzt, 12 Monate nach Aufnahme beurteilen immer noch 65 % den Therapieerfolg mit „gut“ oder „sehr gut“. Im zweiten Erhebungszeitraum beurteilen 82 % der Patienten zum Zeitpunkt der Entlassung den Therapieerfolg mit „gut“ oder „sehr gut“, 12 Monate nach Entlassung sind es immer noch 76 %, im dritten Erhebungszeitraum sind es 74 bzw. 67 %. In der Zusammenschau der Daten kann festgestellt werden, dass durch die stationäre Behandlung eine deutliche Verminderung der Beschwerdestärke und Verbesserung der psychischen Gesundheit erzielt werden konnte, die auch 12 Monate nach der Entlassung weitgehend anhielt. Seit September 1999 führen wir im Verbund mit anderen Psychosomatischen Kliniken der Arbeitsgemeinschaft für Psychotherapeutische Medizin eine Basisdokumentation durch (Psy‐Bado ‐ PTM). Hierbei werden neben soziodemographischen Daten Diagnosen, Erkrankungsdauer und –schwere wie Vorbehandlungen erfasst, die verschiedenen Behandlungsmaßnahmen dokumentiert und die Ergebnisse der Behandlung aus Sicht der Patienten und Therapeuten beurteilt. Eine katamnestische Untersuchung dient der Erfassung des weiteren Verlaufs. Unter Leitung von Dr. von Heymann, München haben wir gemeinsam mit den anderen Kliniken ein Institut für Qualitätsentwicklung in der Psychotherapie und Psychosomatik (IQP) gegründet, das jährlich unsere Dokumentation anonym auswertet. Mit über 160.000 dokumentierten Behandlungsfällen verfügt das IQP inzwischen über den weltweit größten Datensatz von stationär psychosomatisch behandelten Patienten. Aus diesem Pool wurden zu verschiedenen Fragestellungen Untersuchungen durchgeführt (z. B. Tritt 2003; Tritt 2007; Heymann 2003) Die jährlichen Auswertungen erlauben eine Darstellung des Ist‐Zustandes unserer Klinik, deren Entwicklung über den zeitlichen Verlauf und einen Vergleich der Ergebnisse der Klinik mit den anderen am Datenpool beteiligten Kliniken (Benchmarken). Die Ergebnisse geben uns hilfreiche Hinweise bei der internen Qualitätsentwicklung, Verbesserung und Weiterentwicklung unseres Behandlungskonzepts. Im Rahmen der Versorgungsforschung kann der umfangreiche Datensatz außerdem auf verschiedene wissenschaftliche Fragestellungen hin untersucht werden, z. B. um Einflussfaktoren auf die Wirksamkeit der Behandlung zu erforschen. Seite 18 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept 11.2
Auswertung der Ergebnisse einschließlich der Katamnese 2000 bis 2007
Die Patienten wurden bei der Aufnahme, Entlassung und bei der Nachbefragung (Katamnese) 1 Jahr nach der Entlassung nach der Stärke ihrer Hauptbeschwerde gefragt, diese wurde auf einer Visuellen Analog Skala zwischen 0 – 100 gemessen. Die Nachbefragung nach 1 Jahr erbrachte eine deutliche Reduktion der Hauptbeschwerdestärke. Auch die Therapeuten sollten die Veränderungen einschätzen, dabei ergab sich eine weitgehende Übereinstimmung zwischen der Selbstbewertung der Patienten und der Einschätzung durch die Therapeuten, letztere schätzten den Erfolg sogar etwas höher ein. Hauptbeschwerdestärke Untersuchungsjahr Fälle Aufnahme Entlassung Katamnese Reduktion 2000/2001 319/372 69,0 30,6 32,6 36,4 2002/2003 421/626 65,7 41,3 28,3 37,4 2004/2005 726/775 69,6 35,2 39,2 30,4 2006/2007 650/824 66,5 35,6 39,1 33,7 5034 Durchschnittliche Verbesserung 32,2 Die Patienten wurden bei Entlassung und 1 Jahr nach Behandlung bzgl. der Verbesserung ihrer körperlichen und psychischen Beschwerden befragt. Bei Entlassung berichteten 72,2 % Patienten, dass sich ihre körperlichen Beschwerden gebessert hätten, bei der 1 Jahres Katamnese waren es immer noch 53,8 %. Bei Entlassung berichteten 86,5 % Patienten, dass sich ihre psychischen Beschwerden gebessert hätten, nach 1 Jahr waren es immer noch 65,7 %. Viele der Patienten hatten sich allerdings keiner ambulanten Nachbehandlung unterzogen, die ihnen empfohlen wurde. Besserung der Beschwerden seit Aufnahme Untersuchungsjahr Fälle Körperliche Beschwerden Psychische Beschwerden Entlassung Katamnese Entlassung Katamnese 2000/2001 319/372 71,4 % 69,2 % 87,7 % 55,9 % 2002/2003 421/626 74,2 % 45,7 % 88,3 % 63,2 % 2004/2005 726/775 69,8 % 55,8 % 81,2 % 68,8 % 2006/2007 650/824 73,8 % 47,4 % 88,1 % 70,8 % Durchschnitt 5034 72,2 % 53,8 % 86,5 % 65,7 % Bei der Entlassung schätzten durchschnittlich 75,1 % der Patienten den Gesamterfolg der Behandlung als gut oder sehr gut ein. Ein Jahr nach der Behandlung waren es durchschnittlich 68,8 %. Seite 19 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Gesamterfolg der Behandlung Untersuchungsjahr Fälle Entlassung 1 Jahres Katamnese 2000/2001 319/372 75,8 % 67,9 % 2002/2003 421/626 71,2 % 61,7 % 2004/2005 726/775 76,9 % 68,8 % 2006/2007 650/824 75,7 % 74,4 % Durchschnittlich: 5034 75,1 % 68,8 % Wir erfassten die Belastung des Patienten durch psychisch ausgelöste Beschwerden, die sich im körperlichen oder seelischen Symptomen äußern, durch einen standardisierten Fragebogen (SCL‐90‐R) mit 90 Fragen, der auch einen Vergleich mit der Normalbevölkerung ermöglicht. Bei Aufnahme waren die Patienten in dem Wert, der die Gesamt‐Symptom‐Belastung GSI misst, im Vergleich zur „Normalbevölkerung“ (0,33) sehr hoch belastet, bei Behandlungsende kam es zu einer deutlichen Verminderung der Beschwerden, die auch nach einem Jahr noch weitgehend anhielt. Veränderung der Gesamt‐Symptom‐Belastung GSI Untersuchungsjahr Fälle Aufnahme Entlassung Katamnese 2000/2001 319/372 1,30 0,73 0,82 2002/2003 421/626 1,26 0,71 0,79 2004/2005 726/775 1,27 0,71 0,92 2006/2007 650/824 1,31 0,72 0,91 Insgesamt lässt sich nachweisen, dass die Beschwerdestärke durch den stationären Aufenthalt deutlich abgenommen hat. Körperliche und seelische Beschwerden haben sich deutlich gebessert. Auch ein Jahr nach der Behandlung sind anhaltende Besserungen nachweisbar. Seite 20 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept 11.3
Auswertung der Ergebnisse der Befragung von über 1000 Patienten aus den
Jahrgängen 2010/2011
Hierbei sind Daten bei Aufnahme/Entlassung und im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Behandlung eine Katamnese ein halbes Jahr nach der Entlassung dargestellt. Verbesserung der Symptomatik im ISR Ein zentrales Ziel der psychosomatischen Behandlung ist die Verbesserung der Krankheitssymptome und Beschwerden des Patienten. Zur Erhebung der Symptombelastung im Rahmen einer Patienten‐Selbstbeurteilung verwenden wir das ICD‐10‐
Symptom‐Rating (ISR; Tritt et al. 2008). Dabei werden verschiedene Fragen zu Symptomgruppen (Skalen; z. B. Depressivität, Angst) zusammengefasst. Ein Gesamtwert misst das generelle Ausmaß an Symptombelastung. Hierbei konnte eine deutliche Reduktion der Beschwerden zwischen Aufnahme und Entlassung nachgewiesen werden. Dies entspricht einer hohen Effektstärke (98). Auch bei der Nachbefragung (Katamnese) ½ Jahr nach Entlassung war noch eine bedeutsame Verbesserung gegenüber dem Aufnahmewert festzustellen. Verbesserung der Gesamt‐Symptomatik 1,50
1,00
0,50
Werte: Ausmaß der 0,00
Symptombelastung ISR Gesamtskala - Aufnahme
ISR Gesamtskala - Katamnese
ISR Gesamtskala - Entlassung
< 0,5 bis 0,6 Unauffällig 0,6 – 0,9 Gering 0,9 ‐ 1,7 mittel >1,7 schwer Seite 21 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Wieder aktiv im Leben stehen Die Depression ist eine ernst zu nehmende Erkrankung, bei der die betroffenen Menschen niedergeschlagen und freudlos sind. Sie fühlen sich hoffnungslos, leiden unter Sorgen und Ängsten, neigen zum Grübeln, fühlen sich kraftlos und ihnen fehlt der Antrieb. Häufig sie erleben sie sich deshalb als minderwertig und ihr Leben als nicht mehr lebenswert. Solch eine Depressive Episode kann einmalig auftreten, aber auch mehrfach wiederkehren und einen chronischen Verlauf nehmen. In unserer Behandlung geht es zuerst einmal darum in den Therapiegesprächen die Auslöser und individuellen Hintergründe der Depression zu verstehen um dann eigene Bewältigungsstrategien zu erlernen. Unterstützt durch den Therapeuten und die therapeutische Gemeinschaft übt der Betroffene, die Negativspirale des Rückzugs zu überwinden, schrittweise wieder aktiv zu werden, soziale Kontakte und positive Aktivitäten aufzubauen. Eine wichtige Ergänzung sind dabei die Erfahrungen in der Körpertherapie, auch Sport und Bewegung helfen erwiesenermaßen, die Stimmung aufzuhellen. Besonders bei schweren Depressionen ist auch der Einsatz von antidepressiven Medikamenten hilfreich, die den Hirnstoffwechsel wieder ins Gleichgewicht bringen. Der Einsatz dieser Medikamente wird im ärztlichen Gespräch individuell abgewogen. Gerade die Möglichkeit der engmaschigen ärztlichen Begleitung ermöglicht auch in den Fällen eine hilfreiche Medikamenteneinstellung, wo sie ambulant bisher nicht gelungen ist. Verbesserung der Depressions‐Symptome (im ISR) Die Darstellung zeigt, dass im Durchschnitt all unserer Patienten zu Beginn der 2,50
Behandlung eine sehr hohe Belastung mit depressiven Symptomen vorlag. 2,00
Durch die Behandlung gelang eine bedeutsame 1,50
Verbesserung, die in dem zeitlich befristeten Rahmen einer stationären 1,00
Akutbehandlung, als sehr gut bewertet werden kann. 0,50
Dies zeigt auch der Vergleich mit anderen psychosomatischen Kliniken. ISR Depression - Aufnahme
ISR Depression - Katamnese
ISR Depression - Entlassung
Dieser Erfolg blieb auch Depression
½ Jahr nach der Entlassung erhalten. Seite 22 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Wert
Ängste bewältigen Angststörungen, sind neben den Depressionen die am weitesten verbreiteten psychischen Erkrankungen. Obwohl Angst ein normales menschliches Gefühl ist, das sogar eine wichtige Schutzfunktion hat, leiden viele Menschen unter übersteigerten krankhaften Ängsten, die ihr Leben massiv einschränken, sodass sie dringend eine Behandlung benötigen. Angststörungen können sich auf verschiedene Art zeigen z. B. als Panikattacken, Ängste vor Menschenmengen, Höhen‐ oder Platzängste, soziale Ängste, bis hin zu generalisierten Ängsten. In der Behandlung geht es darum ein persönliches Erklärungsmodell für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Ängste zu entwickeln, dabei wird auch der prägende Einfluss der Lebensgeschichte durchleuchtet. Häufig ist es auch wichtig Partner oder Familienangehörige mit einzubeziehen. Mit Hilfe des Therapeuten und der Mitpatienten übt der Patient, sein ängstliches Vermeidungsverhalten abzubauen, Selbstsicherheit und Bewältigungsmöglichkeiten zu entwickeln, um dann Schritt für Schritt sich den angstauslösenden Situationen zu stellen. Sehr hilfreich ist dabei auch das erlernen von Atem‐ und Entspannungstechniken zur Selbstberuhigung. Verbesserung der Angst‐Symptome (im ISR) Die Darstellung zeigt, dass anfangs eine hohe Belastung mit Ängsten vorlag. 2,00
Durch die Behandlung gelang eine bedeutsame Verbesserung. Auch bei der Nachbefragung ergab sich noch 1,50
eine Besserung gegenüber dem Therapiebeginn. 1,00
0,50
0,00
ISR Angst - Aufnahme
ISR Angst - Katamnese
ISR Angst - Entlassung
Angst
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Das Zusammenspiel von Körper und Psyche Viele Menschen leiden unter verschiedenen körperlichen Beschwerden oder chronischen Schmerzen. Oft lassen sich trotz vielfältiger Untersuchungen keine eindeutigen klaren Ursachen finden, man spricht dann von Somatoformen Störungen. Manchmal äußern die Ärzte, dass die Beschwerden „nervlich bedingt seien“. Dadurch fühlen sich die Betroffenen meist nicht beruhigt, sondern eher unverstanden und mit ihren Nöten allein gelassen. Zunehmend entwickeln sie Krankheitsängste oder sogar depressive Verstimmungen und suchen durch immer neue Untersuchungen Hilfe und Beruhigung. Bei der Entwicklung dieser Störungen spielen immer körperliche und seelische Einflüsse eine Rolle. Sie resultieren aus chronischem Stress und Konflikten und führen dadurch zu zunehmender innerer Anspannung, die schließlich zu einer Fehlsteuerung der inneren Funktionen führt. In unserem vielschichtigen Therapieprogramm mit ärztlicher Betreuung, Psycho‐therapie, körperorientierter Therapie, Entspannung, Physio‐ und Bewegungstherapie arbeiten wir mit den Menschen gemeinsam daran, den eigenen Körper und dessen Reaktionen wieder besser wahrzunehmen, die psychosomatischen Ursachen der Störung und die versteckte Bedeutung dieser Symptome zu verstehen und schließlich neue Bewältigungsmöglichkeiten für Stress und Belastungen zu erwerben. Verbesserung der Somatisierungs‐Symptome (im ISR) Ein Teil der behandelten Menschen litt zu Beginn der Therapie unter stark 1,00
ausgeprägten körperlichen Beschwerden, die aber eine psychosomatische Ursache haben ‐ Somatisierungs‐Symptome 0,80
Durch die Behandlung gelang eine bedeutsame Verbesserung dieser 0,60
Beschwerden. 0,40
0,20
ISR Somatisierung - Aufnahme
ISR Somatisierung - Katamnese
ISR Somatisierung - Entlassung
Somatisierung
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Version: 005/06.2014
Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Bewertung: Prozent Einschätzung der Verbesserung Neben der Besserung der Beschwerden sind auch Verbesserungen in anderen Lebensbereichen ein wichtiger Aspekt des Behandlungserfolgs. Um diese Verbesserungen zu erfassen, bitten wir unsere Patienten um ihre Einschätzung des Ausmaßes an Veränderungen hinsichtlich: ‐ dem psychischen Befinden ‐ dem Selbstwerterleben und der Selbstannahme ‐ der Möglichkeit zu Eigenaktivität und Verantwortungsübernahme ‐ dem Verständnis bzgl. ihrer Erkrankung ‐ der Einstellung gegenüber der Zukunft ‐ den Möglichkeiten zur Alltagsbewältigung. Dazu sollen die Patienten die Veränderungen auf einer sechsstufigen Skala von „sehr viel gebessert“ bis „deutlich verschlechtert“ einschätzen. Dargestellt sind die prozentualen Anteile der Patienten, die eine Verbesserung angaben. Seite 25 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Patientenzufriedenheit Bewertung: Prozent 70
60
50
40
30
20
10
0
ziemlich unzufrieden
weitgehend zufrieden
leicht unzufrieden
sehr zufrieden
Zufriedenheit im Großen und Ganzen
100
80
60
40
20
0
eindeutig nicht
ich glaube ja
ich glaube nicht
eindeutig ja
Würden sie einem Freund unsere Klinik empfehlen
Ein wichtiger Aspekt ist die Zufriedenheit der Patienten mit unseren Behandlungs‐angeboten, mit der Atmosphäre in der Klinik sowie der Versorgung und Betreuung. Dazu verwenden wir u.a. den Fragebogen zur Patientenzufriedenheit (ZUF8; Schmidt & Nübling 2002). Exemplarisch berichten wir folgende Bewertungen: „Wie zufrieden sind Sie mit der Behandlung im Großen und Ganzen?“ „Würden Sie einem Freund unsere Klinik empfehlen?“ In den Ergebnissen drückt sich die große Zufriedenheit der Patienten mit der hier erlebten Behandlung aus. Diese führt dazu, dass die Allermeisten unsere Klinik an Freunde weiterempfehlen. Seite 26 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept Die Therapieangebote in unserer Klinik Unser breitgefächertes Behandlungsangebot wird von den Patienten sehr positiv bewertet. Einen besonders geschätzten Stellenwert hat dabei unser umfangreiches Angebot an Einzeltherapien und erlebnisaktivierenden Kreativtherapien, wie der Körper‐ und Gestaltungstherapie. Geschätzt wird auch die intensive Betreuung durch das Pflegeteam als direkte Ansprechpartner auf unseren Stationen. Sie bieten z. B. durch die tägliche abendliche Pflegevisite Begleitung und Unterstützung. Seite 27 von 28 Dateiname: Therapiekonzept ID: 698
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Psychosomatische Fachklinik Rottal Inn Kliniken Therapiekonzept 12 Literaturverzeichnis
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