10 Jahre Soteria: Psychosebegleitung und Milieutherapie
Transcription
10 Jahre Soteria: Psychosebegleitung und Milieutherapie
HAUS IM PARK 10 JAHRE SOTERIA PSYCHOSEBEGLEITUNG UND MILIEUTHERAPIE 03 10 Jahre Soteria 11/2013 04 10 Jahre Soteria 11/2013 Inhalt 10 Jahre Soteria ❮ INHALT. Zu diesem Bericht 08 Grußworte der KHL 09 Statt eines Vorworts: 10 Jahre Soteria – Versuch einer Standortbestimmung 12 Miteinander – Rückblick einer Gebliebenen Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen 16 PatientInnen und Angehörige: Erfahrungsberichte Wunder passieren auch in der Psychose nicht Geholfen hat… – Gestört hat… Texte aus der Schreibwerkstatt 26 Aus dem Soteria-Alltag 1:1 Begleitung Soteria bei Tisch Die Psychotherapiegruppe in der Soteria Soziale Arbeit in der Soteria Soteria-Stammtisch 34 52 Soteria-Begleitforschung 52 Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze 53 Bewertung Mit den Augen der Kolleginnen und Kollegen Brief einer ehemaligen Kollegin Ersteindrücke – Ein Hospitationstag in der Soteria 10 Gründe in der Soteria zu arbeiten 25 Jahre in Haar – 10 Jahre Soteria – Ein kunsttherapeutischer Bericht 44 Begleitforschung Kontakt & Impressum Sichtweisen von außen Der Soteria-Beirat Aus der Sicht des Supervisors – Dr. Günter Lempa Team-Klausuren – Ulla Häusler Team-Fortbildungen – Dr. Michael Dümpelmann 10 Jahre Soteria 11/2013 05 06 Zu diesem Bericht 10 Jahre Soteria 11/2013 Zu diesem Bericht ZU DIESEM BERICHT. 10 Jahre Soteria 11/2013 07 08 Zu diesem Bericht ❯ Grußworte der KHL GRUSSWORTE DER KHL Sehr geehrte Damen und Herren, 10 Jahre sind nun verflossen, seit die Soteria - das Haus im Park am Klinikum München-Ost eröffnet worden ist. Der Soteria-Ansatz mit dem Schwerpunkt auf milieutherapeutischen Behandlungselementen, jedoch mit Berücksichtigung einer so niedrig wie nötigen - medikamentösen Therapie bei Patienten mit Psychosen, ist ein fester und unverzichtbarer Bestandteil des vielfältigen Behandlungsangebotes des Klinikums München-Ost geworden. Seit 2010 ist das Therapieangebot erweitert worden, es gibt inzwischen zwei Soteria-Einheiten mit integrierten tagklinischen Plätzen und eine Ambulanz ist in Planung. Von Anfang an war es uns wichtig, im Rahmen einer Begleitforschung den Soteria-Ansatz sowohl hinsichtlich seiner therapeutischen Effekte - und dies sowohl hinsichtlich objektiver Kriterien, als auch in Bezug auf die subjektive Beurteilung der Betroffenen zu erfassen. Hierzu können wir Ihnen nun nach 10 Jahren eine Fülle von Ergebnissen vorlegen, die insgesamt sowohl bei der subjektiven Einschätzung der Patienten, als auch hinsichtlich der Auswirkungen eines Aufenthaltes in der Soteria auf den weiteren Krankheits- und Behandlungsverlaufs den sich bereits zum 5-Jahres-Zeitpunkt abzeichnenden positiven Effekt bestätigen. Die Patienten bewerten vor allem das Zusammenleben mit Mitpatientinnen und Mitpatienten, die Gespräche über die Erkrankung und die häufigen und intensiven Einzelgespräche mit ihren Bezugspersonen als hilfreich. Des Weiteren zeigt sich in den Katamnese-Daten eine im Vergleich zu naturalistischen Studien deutlich höhere Compliance hinsichtlich der Inanspruchnahme ambulanter Therapieangebote und der Einnahme von Psychopharmaka. In den letzten Jahren war unsere Soteria Ziel für eine Reihe von Behandlungsteams aus psychiatrischen Kliniken bundesweit, die sich über diesen therapeutischen Ansatz vor Ort informiert haben. Die positiven Eindrücke, die vermittelt werden konnten, trugen dazu bei, dass zwischenzeitlich drei weitere Soteria-Projekte in der BRD etabliert worden sind. 10 Jahre Soteria sind Anlass für einen Rückblick und eine Bestandsaufnahme, beides fällt rundum positiv aus. 10 Jahre Soteria sind aber auch Anlass, um in die Zukunft zu blicken und hier hoffen wir, dass der Soteria-Ansatz, der aufgrund der Betonung der milieutherapeutischen Behandlungselemente mehr Zeit beansprucht als eine „Standardtherapie“ auf einer psychiatrischen Akutstation eines Versorgungskrankenhauses, auch im Hinblick auf das geplante PEPP-System Bestand haben wird. Wir verdanken die Gründung und Weiterentwicklung der Soteria-Einheit an unserem Hause zu einem relevanten Ausmaß der Unterstützung durch die Krankenkassen. All die Jahre hinweg zeigte sich, dass die Krankenkassen dieses Therapieangebot unterstützt haben. Die Ergebnisse der Begleitforschung belegen, dass dieser therapeutische Ansatz letztlich aufgrund der erzielten höheren Compliance der Patienten und insgesamt geringeren weiteren stationären Behandlungszeiten im Katamnese-Zeitraum auch unter ökonomischen Aspekten Bestand haben. Daher hoffen wir, dass wir von den Krankenkassen auch in Zukunft für dieses - von Betroffenen, Angehörigen und Professionellen als sehr positiv beurteilte - Therapieangebot unterstützt werden. Ein Erfolgsmodell wie dieses ist nur möglich, wenn ein hoch motiviertes und hoch engagiertes multiprofessionelles Team sich diesem Therapieansatz verschrieben hat. Dies ist auf unserer Soteria zweifelsohne der Fall. Daher wollen wir neben allen Förderern und Kooperationspartnern, neben den Patienten und Patientinnen mit ihren Angehörigen, vor allem auch den auf der Soteria-Einheit tätigen MitarbeiterInnen – und hier insbesonders Frau Hurtz und Frau Gerum, für ihr immer vorhandenes, teilweise bis an die eigene Belastungsgrenze gehendes Engagement für die ihnen anvertrauten Patienten danken. Professor Dr.Dr. Margot Albus, M.Sc. J. Hemmersbach J. Kolbeck Brigitta Wermuth Ärztliche Direktorin kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost Geschäftsführer kbo-Isar-Amper-Klinikum Pflegedirektor kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost Pflegedienstleitung Klinik für Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie 10 Jahre Soteria 11/2013 Zu diesem Bericht Statt eines Vorworts: 10 Jahre Soteria – Versuch einer Standortbestimmung ❮ 09 Statt eines Vorworts: 10 JAHRE SOTERIA - VERSUCH EINER STANDORTBESTIMMUNG 10 Jahre Soteria - der erste runde Geburtstag lädt ein innezuhalten um zurück zu blicken, Bilanz zu ziehen und sich zu bedanken. Er fordert aber auch auf, in die Zukunft zu schauen, darüber nachzudenken, wie es weiter geht und Perspektiven zu entwickeln. Auf die Soteria zu schauen ist aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Sichtweisen möglich. Man kann von innen und von außen schauen, man kann aus verschiedenen Rollen heraus schauen und je nach Standort eröffnen sich ganz unterschiedliche Aspekte. Eine solch vielfältige Sicht möchte Ihnen der vorliegende Bericht bieten. Erst die Zusammenschau der einzelnen Mosaiksteine ergibt das ganze Bild. Unterschiedliches und Verschiedenheit zuzulassen ist auch ein Leitmotiv in unserem Soteria-Alltag. Aus der Sicht der Patientinnen und Patienten: Wenn in der psychotischen Krise das eigene Selbstverständnis verlorengeht und existentielle Erschütterungen alles in Frage stellen, bietet die Soteria einen Schutzraum an, der im Idealfall Geborgenheit und Sicherheit vermittelt. Psychotisches Erleben wird angehört, nicht interpretiert und muss nicht als erstes verschwinden. Das gemeinsame Tun im milieutherapeutischen Alltag ermöglicht, oft auch ohne Worte, Ablenkung und Bezogenheit. Patientinnen und Patienten übernehmen so Verantwortung, sind für die Gemeinschaft wichtig und haben Bedeutung. So gelingt es, an gesunde Anteile anzuknüpfen und unterstützende Ressourcen zu erschließen. Damit entsteht im günstigen Fall der Spielraum, über sich und die erlebte Krise nachzudenken, zum psychotischen Erleben Abstand zu gewinnen sowie möglicherweise Zusammenhänge und Bedeutungen zu entdecken. Aus der Sicht des Teams: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer!“ Mit diesem Zitat von Saint-Exupéry haben wir 2003 unsere Team- und Konzeptentwicklung begonnen. Natürlich hat auch ein Qualitätsmanagement, das die einzelnen Arbeitsschritte normiert, seine Berechtigung. Soteria aber lebt vor allem von der Eigen-Motivation und Individualität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der gemeinsam geteilte Alltag und eine um Verstehen bemühte Kommunikation ermöglichen existentielle Begegnungen mit den PatientInnen in einer Haltung des Annehmens. Die Kontaktgestaltung psychotischer Menschen mag manchmal unkonventionell sein, sie ist aber auch fast immer direkt und authentisch. Psychotische Krisen handeln auf unterschiedliche Arten und oft sehr radikal von dem Ringen um die eigene Identität. Damit hat jeder von uns zu tun, es ist ein Thema, das unser Leben begleitet. Sich damit tagtäglich auseinanderzusetzen erfordert von den Kolleginnen und Kollegen Ausdauer und Durchhaltevermögen, ist aber zugleich lebendig und bereichernd. Alle Team-Mitglieder sind in unserem weitgehend berufsgruppenübergreifenden multiprofessionellen Konzept immer wieder aufgefordert, sich über die berufliche Identität hinaus mit dem persönlichen Selbstverständnis auseinanderzusetzen sowie damit einhergehende Ängste und Unsicherheiten auszubalancieren. Beide Perspektiven, die PatientInnen- wie auch die MitarbeiterInnen-Sicht prägen das Soteria-Konzept, in dem es um ein so-sein-dürfen ebenso wie um ein aufmerksames und verständnisvolles Dabeisein und gemeinsames Verstehen geht. Aus der Sicht der Angehörigen: Nicht selten lernen Angehörige die Soteria noch vor den Patienten kennen. Angehörige informieren sich über Behandlungsmöglichkeiten, erfahren von der Soteria und so kommt der erste telefonische oder auch direkte Kontakt zustande. Wenn der Patient oder die Patientin es wünscht, werden Angehörige auch in die 1:1 Begleitung mit einbezogen. In Familiengesprächen unter Einbeziehung der Angehörigen wird vieles verstehbarer und deutlicher, was dann für den weiteren Behandlungsverlauf bedeutsam ist. Die Soteria-Angehörigengruppe, die von Herrn Dr. Berger geleitet im SPDI Giesing stattfindet, ermöglicht, erlebtes Leid, Last und Sorgen mit anderen in ähnlichen Situationen zu teilen und dadurch Erleichterung zu finden. 10 Jahre Soteria 11/2013 10 Zu diesem Bericht ❯ Statt eines Vorworts: 10 Jahre Soteria – Versuch einer Standortbestimmung Aus der Perspektive des Krankenhauses: Es war eine Herausforderung für alle Seiten, das ursprünglich aus der Antipsychiatrie der Siebziger Jahre stammende Soteria-Konzept in ein großes Versorgungskrankenhaus zu integrieren. Es war und bleibt bemerkenswert, dass es gerade in einer so großen Klinik wie dem Klinikum München-Ost möglich geworden ist, Soteria umzusetzen. Auch wenn es in Zeiten der Standardisierung und Normierung nicht immer ganz einfach war, einen solchen, auf viel Individualität sowohl der PatientInnen als auch der Mitarbeitenden beruhenden Ansatz durchzuhalten. Immer wieder sind Kompromisse und Ausnahmen auszuhandeln, damit auch unter den gegebenen Rahmenbedingungen das Soteria-Konzept umsetzbar und das Team arbeitsfähig bleibt. Unsere Bilanz: Eine Soteria im Krankenhaus kann existieren und funktionieren, wenn die für einen Klinikbetrieb dieser Größenordnung notwendigen Strukturen dennoch immer wieder auch ausreichend Spielräume lassen und wenn genügend Engagement und Wille vorhanden ist, diese Spielräume zu erhalten. Aus der Perspektive des weiteren Umfelds: Soteria kann nicht allein und nicht als eine „Insel der Seligen“ existieren. Soteria muss eingebunden sein, braucht Unterstützung und ein umgebendes Netzwerk. Die Krankenkassen waren bereit, über ein Sonderbudget zusätzliche Stellen, die für die Umsetzung des Konzepts erforderlich sind, für die Soteria zu finanzieren. Um die geleistete Arbeit, deren Qualität und Behandlungsergebnisse transparent zu machen, wurde zudem eine Begleitforschung finanziert. Regelmäßig haben wir den Krankenkassen über die Ergebnisse berichtet und darüber einen intensiven fachlichen Austausch gehabt, der zur Sicherung und letztlich auch Erweiterung auf zwei Soteria-Einheiten ab 2010 beigetragen hat. Der Soteria-Beirat, in dem VertreterInnen der Betroffenen und Angehörigen, der Krankenkassen, der Krankenhausleitung und dem ambulanten Bereich sitzen, hat die Entwicklung der Soteria hilfreich unterstützt und in Grundsatzfragen des Konzepts, in Finanzierungsfragen, bei der Öffentlichkeitsarbeit und der Begleitforschung immer konstruktiv beraten. Viele KollegInnen aus dem ambulanten sozialpsychiatrischen Feld waren und sind zu einer engen und konstruktiven Zusammenarbeit bereit, auch dokumentiert durch die seit 2004 halbjährlich stattfindenden Soteria-Kooperationstreffen. Unterstützung und hilfreiche Blickwinkel von außen hatten auch unsere Supervisoren, Coachs und Referenten von Team- 10 Jahre Soteria 11/2013 fortbildungen und Teamentwicklungsmaßnahmen. Sie sind unverzichtbar, um das Team in der oft aufreibenden Alltagsarbeit und in immer wieder auch schwierigen Zeiten in einem lebendigen Miteinander zusammen zu halten. Die Internationale Arbeitsgemeinschaft Soteria (IAS) als Zusammenschluss aller am Soteria-Konzept Interessierten hat uns in die Reihe der Soteria-Projekte aufgenommen. Insbesondere von der Soteria Bern und der Soteria Zwiefalten sind wir gerade in der Anfangszeit großzügig unterstützt und beraten worden. In der IAS pflegen wir einen kollegialen Austausch, der verbindet und trägt. Inzwischen sind in Deutschland weitere Soteria–Projekte auf der Reichenau (März 2012) und in Gangelt (März 2013) entstanden, am 1.10 2013 wird eine Soteria an der Charité in Berlin eröffnen. Aus allen drei Einrichtungen waren Leitungen und KollegInnen bei uns und haben sich über unsere Art der Umsetzung des Soteria-Konzepts und unsere bisherigen Erfahrungen informiert. Zu diesem Bericht Statt eines Vorworts: 10 Jahre Soteria – Versuch einer Standortbestimmung ❮ 11 Was sonst noch zu sagen ist: Nach 10 erfüllten Soteria-Jahren gilt unser Dank ALLEN, die uns aus den unterschiedlichen Positionen und Blickwinkeln mit viel Wohlwollen, Sachverstand und konstruktiver Kritik begleitet, unterstützt, ermutigt und geholfen haben. Wir danken an dieser Stelle zuallererst allen aktuellen und ehemaligen Soteria-Kolleginnen und Kollegen. Die Soteria lebt und besteht aus den Menschen, die dort arbeiten. Jeder Einzelne mit seinen besonderen individuellen Qualitäten und Eigenschaften prägt die therapeutische Atmosphäre. Waches Dabeisein, aufmerksame Präsenz und oft sehr viel Herzblut machen die therapeutische Haltung aus, die eine Soteria erst zur Soteria macht. Unser Dank gilt natürlich allen unseren Patientinnen und Patienten, die sich uns in existentiellen Krisen anvertraut und mit ihrer ganz individuellen Art und Weise den Soteria-Alltag bereichert und immer wieder aufs Neue lebendig gehalten haben. Nur durch ihre Bereitschaft, sich auf das Soteria-Konzept einzulassen und sich aktiv zu beteiligen, kann die Soteria funktionieren. Unser Dank gilt auch der Leitung des Fachbereichs Spezial und der Krankenhausleitung, die ein so eigenständiges, nicht in den Mainstream passendes und bisweilen wohl auch unbequemes Projekt wie die Soteria akzeptiert, unterstützt und fördert. draußen hinweisen, die hier jetzt nicht explizit genannt wurden, die aber wichtig und wirksam sind. Nach 10 Jahren sind in den Soteria-Alltag durchaus auch Ruhe und Gelassenheit eingekehrt. Zugleich ist und bleibt es eine lebendige Herausforderung, sich immer wieder neu auf die individuelle Psychosebegleitung jedes einzelnen Patienten einzustellen, ein differenziert arbeitendes multiprofessionelles Team zusammenzuhalten, den Spagat zwischen den externen Anforderungen und den für die Soteria unverzichtbar benötigten Rahmenbedingungen zu leisten. Wir haben Wünsche und Ideen für die Zukunft. Es wird eine erste EX-IN-Stelle für eine/n Genesungsbegleiter/in geben, die das Spektrum der Sichtweisen erweitern wird. Angegliedert an die stationären und tagklinischen Behandlungsmöglichkeiten könnten ambulante Angebote den Übergang und die Entlassung erleichtern. Viele unserer sehr jungen und vereinzelt auch minderjährigen PatientInnen haben gezeigt, dass sich das Soteria-Konzept durchaus auch für Jugendliche mit Psychosen anbietet. Über ein spezifisches Angebot für diesen Personenkreis könnte man nachdenken. Und spannend und nicht ohne Einfluss auf unser Projekt wird die weitere psychiatriepolitische Entwicklung sein. Wir werden das aufmerksam beobachten und wir werden versuchen, wo immer das möglich erscheint, unsere Erfahrungen mit einzuspeisen. Auf jeden Fall wird es für uns weiterhin viel Sinn machen, in der Soteria zu arbeiten! Selbstverständlich sind auch die Krankenkassen hier zu erwähnen, die sich von Beginn an für die spezifische Behandlungsqualität und die Ergebnisse der Begleitforschung offen und interessiert gezeigt haben und als Kostenträger die Realisierung des Soteria-Konzepts am Klinikum München-Ost überhaupt erst ermöglicht haben. Und schließlich möchten wir dankbar auf alle anderen Unterstützer, Begleiter, Freunde, Interessierte von drinnen und Roswitha Hurtz Andrea Gerum Oberärztin Stationsleitung 10 Jahre Soteria 11/2013 12 Zu diesem Bericht ❯ Miteinander – Rückblick einer Gebliebenen MITEINANDER – RÜCKBLICK EINER GEBLIEBENEN Andrea Gerum (Stationsleitung) ist von Beginn an dabei. Sie hat mehrere Jahre als Bezugstherapeutin gearbeitet, bevor sie 2009 die Nachfolge von Irmi Breinbauer als Stationsleitung übernahm. Sie schreibt ihren ganz persönlichen Rückblick auf 10 Jahre Soteria. Über 50 Mitarbeiter quer durch alle Berufsgruppen haben in den letzten 10 Jahren in der Soteria gearbeitet. Manche davon nur wenige Monate, einige wenige seit nunmehr 10 Jahren. Dazu kommen ein ehrenamtlicher Mitarbeiter, fünf PsychologInnen im Praktikum, 9 junge Menschen die bei uns ihren Zivildienst, ihr Soziales Jahr oder ihren Bundesfreiwilligendienst geleistet haben und unzählige PraktikantInnen, HospitantInnen, SchülerInnen wiederum aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen. Jeder einzelne von ihnen hat seinen ureigenen Beitrag zu Aufbau, Gestaltung, Konsolidierung und Weiterentwicklung der Soteria geleistet – hat sie mit Lebendigkeit in all ihren Facetten erfüllt und geprägt. Ohne diese Menschen gäbe es keine Soteria und ohne ihre besonderen Fähigkeiten und Macken wäre die Soteria nicht, was sie in ihren unterschiedlichen Stadien war und heute ist. Im Zusammenwirken mit den nunmehr über 500 PatientInnen, die die Soteria als Schutz- und Rückzugsraum erfahren konnten, ist die Soteria in diesen Jahren für alle Beteiligten ein durchaus bedeutsamer Ort der Begegnung sowie des Erlebens und Teilens existenzieller Erfahrungen geworden. Auftragslage – damals wie heute Ursprünglich aus der Antipsychiatrie stammend und bis zum heutigen Tag konzeptuell festgeschrieben lautet der Auftrag an die Soteria-MitarbeiterInnen, mittels persönlicher Präsenz vertrauensvolle, heilsam wirkende Beziehungen sowie eine ebensolche Atmosphäre zu ermöglichen und zu gestalten. Es gilt, den Patienten als Mitmenschen in seinem subjektiven Erleben wahr- und ernst zu nehmen. Ihn in seiner krisenhaften Verwirrung und Überforderung zu schützen vor der anspruchsvollen Schnelllebigkeit unser aller Umwelt. Ihm einen Schonraum und ein Innehalten zu ermöglichen, um sich vorübergehend behütet und begleitet zu besinnen und sich allmählich wieder anzunähern an all die Belange, die das Leben vom jeweiligen Einzelnen fordert. Übersetzt auf die konkrete Situation gilt es, in all unserer Verschiedenheit ein Stück banal anmutenden Alltages miteinander zu teilen. Miteinander zu essen, zu kochen, zu putzen, mittels dieser einfachen und sinnlich erfahrbaren Tätigkeiten eine Brücke zu schlagen hin zu einem kleinen Stück gemeinsamer realer Gegenwart. Eine 10 Jahre Soteria 11/2013 Realität die man bekanntlich unterschiedlich wahrnehmen und erleben kann, die obendrein mit den mitunter sehr unterschiedlichen Prägungen und Bedürfnissen aller Beteiligten in Berührung bringt oder auch konfrontiert, womit wir bereits unmittelbar im therapeutischen Geschehen sind. Wie sich von allem Anfang an bestätigt hat, bieten sich genau hier ein fruchtbarer Boden und enorme Herausforderungen zugleich! Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne der uns beschützt und der uns hilft, zu leben In der Soteria zu arbeiten hat von der ersten Stunde an verlangt, den Kittel - sprich die berufliche Rolle - zurück zu stellen, und sich stattdessen als Mensch einzulassen auf andere Menschen. Das versprach uns „Pionieren“ die Befreiung von unliebsamen und festgefahrenen Zuschreibungen. Es hat uns ein immenses kreatives Potenzial freisetzend mit beachtlichem Schwung durch die Konzeptphase und über die ersten Hürden und auch ersten Jahre getragen. Es hat uns zudem auf geradezu verblüffend einfache Weise ermöglicht, die üblichen Berufsgrenzen und vielerorts gepflegten Animositäten gar nicht erst aufkommen zu lassen, sondern uns tatsächlich als gleichberechtigtes Team mit einem gemeinsamen Auftrag, geteilten Schwierigkeiten und Entwicklungsnotwendigkeiten zu erleben. Es schafft Verbundenheit wenn „jeder alles macht“, wenn man als Pflegekraft über einem Verlaufseintrag oder einem Arztbrief brütet, als Ärztin morgens die Medikamente stellt, die Kasse abrechnet oder für den Großeinkauf mit den Patienten zum Supermarkt fährt, als Sozialpädagoge den Frühstückstisch deckt. Es verunsichert aber auch, sich in damals ohnehin noch gänzlich unbekanntem Terrain nicht auf vertraute Tätigkeiten und Routineabläufe zurückziehen zu können. Zum Teil aus diesem Grund, doch vor allem aus ökonomischen Erwägungen heraus, mussten wir uns über die ersten Jahre Arbeits- und Teamstrukturen erarbeiten, die den unterschiedlichen Blickwinkeln und Arbeitsfeldern der jeweiligen Berufsgruppen wieder einen stärker personalisierten Stellenwert einräumen, ohne zugleich zum Status quo überzugehen. Dennoch scheint mir diese verhältnismäßig kurze Zeit des „real existierenden Sozialismus“ in Kombination mit Zu diesem Bericht Miteinander – Rückblick einer Gebliebenen ❮ dem unverändert bestehenden gemeinsamen Alltag bis zum heutigen Tag konstruktiv (nach)zuwirken: bis in die nunmehr „fünfte Generation“ hinein multiprofessionelles Miteinander auf Augenhöhe zu befördern und darüber hinaus den Raum zu öffnen für persönliche Profilierung und (Selbst-) Verwirklichung in Bereichen, die nicht ausschließlich an die jeweilige Berufsgruppe gebunden sind. Zudem – auch heute noch leisten alle Berufsgruppen Schichtdienst, schreiben Pflegekräfte Arztbriefe und sind ÄrztInnen, wenn schon nicht in der Küche, dann immerhin bisweilen am Kickertisch anzutreffen. Mitarbeiterführung und multiprofessionelle Teamentwicklung Unverändert verlangt das Arbeiten in der Soteria, sich „auszusetzen“, sich in unmittelbaren Kontakt zu begeben, mit den eigenen Unzulänglichkeiten ebenso wie mit all jenen Affekten, die Menschen mitunter in den Wahnsinn treiben und die sich durchaus als ansteckend erweisen können. Um dies (aus-) halten und tragen zu können, benötigt das Team analog zu den Bedürfnissen der PatientInnen eine Atmosphäre und eine Kultur des Miteinanders, die es möglich werden lässt, sich mit all seinen Fähigkeiten und Unsicherheiten angenommen und geschätzt zu fühlen. Ein haltgebendes Gegenüber, das Orientierung bietet, das Widersprüchlichkeiten aushält und damit erträglich werden lässt, ohne zu bevormunden und alles besser zu wissen. Die Patienten finden diese Qualitäten im günstigen Fall bei den Mitarbeitern des Teams, bei ihrem Bezugstandem, und in der Kultur des gemeinsamen Alltags. Die Mitarbeiter ihrerseits brauchen, um sich in diesem Sinne als Container und Resonanzraum zur Verfügung stellen zu können, Rückhalt und Bestätigung aus den eigenen Reihen sowie in aller Klarheit seitens der Leitungen. „… die Herstellung von Verbindungen („Connecting“) und die Ermöglichung von Austausch (bzw. das Fördern von Kommunikation)“ (Heltzel 2001) gehören zu den zentralen Aufgaben der Leitungsarbeit, um die Funktionsfähigkeit einer Organisation aufrecht zu erhalten und ihr Überleben zu sichern. In der Soteria gehören daher angefangen mit einer vierwöchigen Konzeptphase, regelmäßige Klausur- und teaminterne Fortbildungstage zum professionellen und unverzichtbaren Instrumentarium ebenso wie die monatliche Supervision und eine wöchentlich stattfindende Intervision. Dieses regelmäßige Innehalten ist uns selbstverständlich geworden, hat uns neben vielen anderen Aspekten zusammenwachsen lassen und uns ermöglicht, unvermeidliche teils schmerzhafte Veränderungen oder Belastungen gemeinsam zu tragen. Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen PatientInnen kommen und gehen, MitarbeiterInnen kommen und gehen, wenn auch - in der Natur der Sache liegend - in unterschiedlichen zeitlichen Rhythmen. Die Pionierzeiten sind 13 längst Vergangenheit, sieben Menschen der ersten Stunde unseres gegenwärtig 27-köpfigen Teams sind noch dabei, manches Mal wehmütig alter Zeiten gedenkend, dann wieder augenzwinkernd den ein oder anderen Schwank erzählend, bisweilen ein bisschen stolz. Rückblickend haben sich über die Jahre „Generationen“ herausgebildet, Zusammensetzungen von MitarbeiterInnen, die die gemeinsame Aufgabe auf ganz spezifische Art und Weise angepackt und umgesetzt haben. Erwähnt sei hier die von Ende 2005 bis Anfang 2007 entstandene auf vielfältige Art sehr lebendige „zweite Generation“, die bedauerlicherweise mit dem diesjährigen Weggang ihres letzten Vertreters gänzlich ausgestorben ist. Voller Einsatzbereitschaft, höchst eigenwillig und mit viel Humor brachten diese fünf KollegInnen frischen Wind ins Haus zu einer Zeit, als sich der Staub gerade zu legen begann und wirkten so einer gewissen erschöpfungsbedingten Erschlaffung der „Pioniere“ entgegen. Sich selbst die Treue haltend erwiesen sie sich allesamt als viel zu abenteuerlustig und zu weltoffen, um sich lange halten zu lassen. Seither ist aus Sicht einer (Dabei-) Gebliebenen ein stetes Kommen und Gehen, was den Stellenwert des jeweiligen Beitrags jedes Einzelnen nicht mindern soll. 2010 haben wir uns vergrößert, eine zweite Soteria-Einheit eröffnet und zwei Teams gebildet, die sich in stets aufs Neue erarbeiteter gemeinsamer Haltung und dank enger Vernetzung dennoch als zueinander gehörend erleben. Je nach Blickwinkel entspringen die aktuellen Mitarbeiter „vier Generationen“, ein Mehrgenerationenhaushalt sozusagen. Es gilt, den Staffellauf aufrecht zu erhalten, und dabei nicht nur den Stab, sondern auch das Feuer weiterzureichen. …des Lebens Ruf an uns wird niemals enden Wir sind ExpertInnen in Sachen Abschied nehmen geworden, zelebrieren diese geradezu genießerisch und feiern damit auf verquere Weise die Gegenwart. „Weil nichts bleibt, weil nichts bleibt wie es war!“ Und wir haben uns zu Integrationskünstlern entwickelt. Wechselnde PatientInnen in den Soteria-Alltag, neue MitarbeiterInnen sowie wechselnde PraktikantInnen in den Kollegenkreis. Die Soteria ist so lebendig und so facettenreich wie die Menschen die sie gestalten. Heute! Literatur Heltzel, Rudolf (2001) Was heißt Leitung heute? Zeitschrift gruppenanalyse, Heft 2/01, erschienen im Mattes Verlag Heidelberg Hesse, Hermann (1941) „Stufen“ 10 Jahre Soteria 11/2013 14 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen 10 Jahre Soteria 11/2013 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen 15 SOTERIA AUS VERSCHIEDENEN PERSPEKTIVEN – SICHTWEISEN VON INNEN UND VON AUSSEN. 10 Jahre Soteria 11/2013 16 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ PatientInnen und Angehörige: Erfahrungsberichte PatientInnen und Angehörige: ERFAHRUNGSBERICHTE Wunder passieren auch in der Psychose nicht – Ein ehemaliger Patient und seine Frau berichten über ihr Erleben Herr Peter F. ist ärztlicher Kollege und war 2004 Patient in der Soteria. Er und seine Frau Elke F. (Ärztin und Psychotherapeutin) haben auf unserer 5-Jahres-Feier in einem Vortrag von ihren Erfahrungen berichtet, die sie nun verschriftet haben. Ihre fünf Kinder waren damals im Alter zwischen einem und neun Jahren. Herr F.: Für mich war es ein ausgesprochener Glücksfall, dass vier Monate vor Ausbrechen meiner Psychose die Soteria eröffnet worden war. Die Soteria hat mir ermöglicht, meinen Weg aus der Psychose zu finden, mit einem guten und mein Leben bereicherndem Ende. Da ich sowohl die Soteria als davor auch eine allgemeinpsychiatrische Akutstation erlebt habe, möchte ich von beiden Erfahrungen berichten, wobei es mir dabei um eine sinnvolle Zusammenarbeit und Ergänzung, vielleicht auch gegenseitige Befruchtung geht. In die psychiatrische Klinik bin ich in einem hochakuten Zustand eingeliefert worden, in dessen Verlauf ich über sechs Tage gar nicht ansprechbar war. Diese Zeit habe ich zum größten Teil in akustischen und optischen Halluzinationen verbracht, ich könnte auch sagen, in zutiefst sinnvollen, eigenen Seelenbildern. Die Augenblicke, in denen ich in dieser Zeit mit meiner Umgebung eine gemeinsame Wirklichkeit geteilt habe, waren nur kurze Momente in Gegenwart mir vertrauter Personen. Tief in mir war ich in verschiedenen Sphären unterwegs, zum Teil in Tiergestalt. Alles war sehr ungewohnt und verwirrend, wenngleich für mich auch zutiefst logisch und auf eigentümliche Weise vertraut. Was ich in dieser Zeit im Außen gesagt und getan habe, weiß ich nur aus den Aufzeichnungen, die meine Frau darüber verfasst hat. Ich habe Dinge getan, die ich sonst sicherlich nicht tun würde: ich war distanzlos, persönlich verletzend, schwer begrenzbar und auf eine sehr selbstbezogene Weise vollkommen ohne Skrupel. Ich habe nur „mein Ding“ gemacht, was die anderen wollten oder brauchten, war mir vollkommen gleichgültig. Die Kontaktaufnahme der Professionellen mit mir habe ich oft als alarmiert, ängstlich, genervt und ungehaltenen erlebt, was ich mir aber nicht erklären konnte und was mich wiederum geärgert hat und das hat zu neuen Verwicklungen geführt. In mir hatte alles einen nachvollziehbaren Sinn und innere Logik, im Kontext der Behandlung wurde es jedoch meist als verrückt und krank gedeutet. Die Situation hat sich noch weiter 10 Jahre Soteria 11/2013 zugespitzt, weil ich die Einnahme eines Neuroleptikums konstant und in allen Verfassungen (klar/ unklar anwesend oder in Traumwelten), aber immer höflich und bestimmt verweigert habe. Da ich selber Arzt bin, gab es eine größere Scheu, mich zur Medikation zu zwingen. So war aber die in der Psychiatrie übliche Vereinbarung - wir ertragen deinen Wahnsinn, du schluckst unsere Medikamente, damit das bald aufhört - mit mir nicht zu treffen, was viele Mitarbeiter überfordert hat: Die meisten von ihnen hatten selbst ein Vollbild einer Psychose noch nicht erlebt und waren außerdem der Auffassung, dass mein Zustand ohne Einnahme eines Neuroleptikums chronisch werden würde. Die Soteria hat mir ermöglicht, eine sich auf unfruchtbare Weise zuspitzende und eskalierende Zusammenarbeit zu beenden und meine Behandlung auf eine mir mehr angemessene Weise fortzuführen. In der konventionellen Psychiatrie hätte es nur die Möglichkeit gegeben, mich den angebotenen Deutungen meiner Wirklichkeit zu beugen oder aber durch sie unterworfen zu werden - aus Kooperation wäre so ein Machtkampf geworden. Ich hatte großes Glück, dass es dazu nie gekommen ist, dafür bin ich allen, die dazu beigetragen haben sehr dankbar. Ich möchte im Folgenden Punkte benennen, die zu meiner inneren Spannung und Not beigetragen haben. In der konventionellen Psychiatrie war der Blick auf meinen Zustand als Problem und Krankheit, sowie die Benennung meiner vorhanden Defizite vorherrschend. Es gab gleichzeitig aber auch meine ständigen Bemühungen, daran etwas zu verändern: den Zustand zu verstehen, mich in der Fülle meiner Wahrnehmungen zu orientieren, eigene Seelenbilder von gemeinsam geteilter Realität zu unterscheiden. Mir war in den wildesten Seelenwanderungen klar, dass ich zurückkehren muss und auch unbedingt will. Stärkstes Motiv hierfür war meine Familie, meine Frau, unsere fünf Kinder und der klare Entschluss, auch Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen PatientInnen und Angehörige: Erfahrungsberichte ❮ weiterhin die Verantwortung für sie zu tragen. Nach sechs Tagen fehlender Ansprechbarkeit, nach vielen Verrücktheiten und krassesten Beziehungsverletzungen, die ich begangen habe, ohne bewusst daran beteiligt gewesen zu sein, wurde verständlicherweise alles, was von mir kam, als krank und verrückt erlebt und mehr oder weniger offen so bezeichnet. Aber es gab Handlungen die aus meiner Perspektive einfach nur sinnvoll waren: Es war sinnvoll, mir einen Textmarker auszuleihen und auf dem Stationskalender den 26.01.2004 als den Tag anzustreichen, ab dem ich mich wieder dauerhaft an der gemeinsamen Realität der Station beteiligt habe, was vorher immer nur für kurze Augenblicke möglich war. Es war aus meiner Sicht ausgesprochen sinnreich, in das Stationszimmer zu gehen um zu fragen, ob gerade wirklich eine Patientin ohnmächtig auf der Schwelle zu meinem Zimmer zusammengebrochen war oder ob das eine optische Halluzination war: Das Lachen auf meine Frage war für mich tief verstörend. Warum wird eine sinnvolle Handlung als lächerlich und verrückt abgetan? Meine Handlungsweise hatte ab dem Moment der bewussten Teilhabe eine innere Notwendigkeit und Logik. Gleichzeitig hätte ich jederzeit verstanden, wenn sie von Anderen als verspannt, seltsam oder verrückt angesehen worden wäre. So war es für mich verstörend, dass meine, für die anderen unverständliche Handlungen oder Aussagen, nicht als solche konfrontiert oder hinterfragt wurden. Was mich damit dauerhaft umgeben hat, war eine anhaltende Form der Kontaktvermeidung durch die Professionellen: ich war umgeben von ängstlichem Zurückweichen vor mir, überfordertem Aushalten dessen, was ich sagte oder tat, ohne dass mir die Überforderung mitgeteilt wurde. Es gibt in meinem Leben keine Zeit, in der ich mich in ähnlicher Weise aus der menschlichen Gemeinschaft ausgestoßen erlebt habe, in der ich in so hohem Maße tiefe Angst und Verunsicherung, dauernde Verzweiflung, Einsamkeit und Kälte empfunden habe. Damit verbunden war mein eigenes, tiefes Misstrauen gegen alle Helfer und die ständige Bereitschaft, um das eigene Überleben zu kämpfen. Da konnte es in einem Moment existentiell wichtig sein, wo ein bestimmter Gegenstand lag. Das wiederum führte zu Unverständnis von Seiten der Professionellen und verstärkte den Eindruck, dass der Patient eben nur krank und verrückt ist und einsehen soll, wie behandlungsbedürftig er ist. Schließlich war es soweit, dass niemand mehr einen Sinn darin sehen konnte, meine Eskapaden ohne Einnahme eines Neuroleptikums zu ertragen - entweder Zyprexa oder Entlassung. Der Soteria, die wir schon ausfindig gemacht und die Aufnahme vereinbart hatten, verdanke ich, dass diese Dynamik nicht eskalierte. Ab dem Zeitpunkt war der Aufenthalt in der Psychiatrie ein Ausharren mit Aussicht auf eine bessere Situation und so wieder ertragbarer. Was hat der Aufenthalt dennoch gebracht? Durch die starke Verbindung mit einer intensiven symbolhaften Ebene habe ich unmögliche Dinge für möglich gehalten, wenn mir doch endlich einer mal zuhören würde und tun, was ich sage. Dieser psychotische Machbarkeitswahn hat dort deutlich an Kraft verloren, weil ihm keinerlei Raum gegeben wurde. Meine Familie und meine Umgebung wurden vor mir geschützt und ich möchte allen, die diesen sicherlich sehr aufreibenden Umgang mit mir in diesen Tagen auf sich genommen haben, ohne Ausnahme danken. Und 17 auch das unmittelbar Hilfreiche will ich nennen: es waren die Momente, in denen mir gegenüber die Distanz aufgegeben wurde und die waren heilsam: der Musiktherapeut, der mich zum Musizieren eingeladen hat und mir trotz aller Verwirrung ein Instrument zur Verfügung stellte. Der Oberarzt, der mir mit echter menschlicher Wut begegnete, als ich Wände und Gegenstände mit Creme eingeschmiert hatte, etwas, das ich gar nicht bewusst miterlebt hatte, mir in dem Augenblick aber bewusst wurde. Oder die Nachtschwester, die sich mit einer achtsamen Haltung aus meinem Zimmer entfernt und mir ihre positive Berührtheit gezeigt hat, als ich ihr erklärte, dass ich bei dem ganzen Theater, das ich verursachte, meiner Frau doch wenigstens ein Ikebana-Gesteck machen müsste. Und immerhin hat sich das gesamte Team -sicherlich zum Teil widerwillig- über einen Zeitraum von 17 Tagen auf eine Behandlung einer Psychose ohne Neuroleptika und mit homöopathischen Mitteln eingelassen. Man hat mir mitten auf der Akutstation ein eigenes Zimmer eingeräumt. Meine Landung in der gemeinsam erlebten Realität habe ich in dieser Zeit vollzogen. Ich habe Gegenstände benutzt, um meine Gedanken zu ordnen, habe mir allmählich den Unterschied zwischen Realität und eigenen, niemandem sonst zugänglichen Wahrnehmungen erarbeitet, habe versucht, Konfrontationen mit dem Pflegepersonal zu vermeiden und mein Leiden unter der Situation eingegrenzt als meine Verantwortung. Die damit verbundene dramatische Verbesserung meines inneren Zustandes war für die professionellen Helfer nicht erlebbar, dadurch auch nicht begleitbar. Somit habe ich diesen Prozess im Wesentlichen allein und natürlich mit Unterstützung durch Freunde, meine Frau und meine Eltern vollzogen. Ich hatte trotz aller gegenteiligen Aussagen großes Vertrauen in meine eigene Fähigkeit zur Heilung gewonnen, gleichzeitig war klar, dass ich noch nicht in der Verfassung war, in einen Haushalt mit fünf sehr lebendigen und raumgreifenden Kindern zurückzukehren. In dieser Situation kam ich in die Soteria und hatte die Möglichkeit, den Prozess der Heilung fortzuführen. Der erste Eindruck war überwältigend und der eines großen Gegensatzes: viel Stille, Mitpatienten in bequemen Sesseln, die in einer ähnlichen Form der Offenheit und Verletzlichkeit mir freundlich lächelnd ein rücksichtsvolles Interesse an mir signalisiert haben. Dann die vielfältigen Möglichkeiten, Schönheit zu erleben: eine Jugendstilvilla mit großem Garten, schöne Gebrauchsgegenstände, viel Aussicht auf Bewegung an der frischen Luft, selbst kochen und putzen, endlich in all dem inneren Chaos einfache, sinnvolle, gegenständliche Tätigkeiten auszuführen. Die Qualität des Essens mit bestimmen zu dürfen. Ein eigenes Zimmer, diesmal aber überwiegend leer, mit Teppich, einfache Matratze, kein Metall, keine Gummibeschichtung, keine elektrostatischen Entladungen bei jeder Bewegung. Die Tür meines Zimmers blieb in der Nacht verschlossen, unverhoffte Kontrollgänge oder Besuche von Mitpatienten blieben aus. Ein Heizungsthermostat, dessen Pfeifen nach kurzem Umstellen eine ganze Nacht lang schwieg - in dieser Stille, war es natürlich viel leichter, akustische Halluzinationen zu erkennen und zu ignorieren. Ein Psychologe, der sich mit offensichtlicher eigener Berührtheit meine Geschichte angehört hat, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. Professionelle, zum Teil ausgesprochen schön, geschmackvoll 10 Jahre Soteria 11/2013 18 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ PatientInnen und Angehörige: Erfahrungsberichte gekleidet, offensichtlich gern und sinnerfüllt bei der Arbeit. Ich war in einem völlig anderen Film, was jetzt noch an Unruhe und Chaos in mir war, war nicht mehr die Reaktion auf eine fremd, schmerzhaft, hässlich oder feindlich erlebte Umgebung, sondern das war im Wesentlichen nur noch meine Geschichte: die Kündigung meiner Arbeitsstelle aufgrund der Krankheit, die Sorge um meine Familie, mein Kindheitsdrama, mein Schmerz, meine Unruhe, mein Größenwahn, meine Beziehungsstörung, meine fehlende Fähigkeit, in der Einfachheit meines Herzens zu sein. Meine Bezugsperson begleitete mich auf langen Spaziergängen durch den tief verschneiten Park und hörte sich geduldig alles an, was aus mir heraus sprudelte. Sie erlebte, dass mich die Spaziergänge entlasteten und führte sie konsequent fort. Sie zeigte mir eine Schafherde, Kirchen, verwunschene Wege durch Zaunlücken. Es entstand ein sehr persönlicher Kontakt. Es gab viel Raum, all das zu tun, was mir notwendig erschien, man ließ mich mit höflicher Distanz vor mich hin spinnen und allmählich kam dieses galoppierende Tier in mir zur Ruhe. Auch in der Soteria gab es Auseinandersetzungen und Konflikte, aber an keinem Punkt kam es wieder zum Kontaktabbruch zu mir. Im Gegenteil, es wurden die schönen und wahren Aspekte meines Zustandes von den Professionellen gesehen und gewürdigt und Irritationen beherzt angesprochen. Ich werde nie den Morgen vergessen, an dem ich in der Nacht über ein Zen-Koan (eine Art der Meditation) gebrütet habe und die vermeintliche Lösung mit mehreren Stiften auf einer Zeitung festgehalten habe. Eine Schwester polterte los:„Was ist das denn für ein Chaos?“ und wollte den Kram wegräumen. Ich reagierte prompt und erläuterte die Bedeutung, die es für mich hatte: „Das gehört mir und mir ist das wichtig, ich will nicht, dass es weggeschmissen wird!“ „ Wie auch immer, da bleibt es jedenfalls nicht liegen!“ Beides war möglich und berechtigt und wurde beherzt ausgefochten: ihr Bedürfnis nach Ordnung und der Wert meiner kleinen Installation. Wir waren in einem klaren Kontakt und das war heilsam für mich. Für mich ist die Vorstellung der Psychose als chronisch degenerative Erkrankung meiner Seele ein Begriff, den ich für meinen eigenen Zustand nicht gewählt hätte. Dafür war dieser Zustand zu lebendig, zu kreativ, zu dynamisch und hat sich zu nachhaltig positiv auf mein Leben ausgewirkt. Wunder passieren auch in der Psychose nicht, sicherlich aber Schritte. Es gibt es etliche Handlungen, die ich so nie wieder tun würde und für die ich mich jetzt schäme, und andere, deren tiefe Wahrheit und Mut mich auch heute noch beeindrucken. Dinge, an die ich mich gern mit Freude, manchmal auch mit Stolz erinnere. Vieles, von dem, was ich damals sofort umsetzen wollte, habe ich nun über Jahre als ausgesprochen gute und tragfähige Ideen entwickelt. Wenn ich an meine eigenen Patienten denke und an meine Mitpatienten, mit denen ich gemeinsam diesen Grenzgang vollzogen habe, dann bin ich stolz auf diese Gemeinschaft und habe kein Problem mit dem Begriff, bin sozusagen bekennender Psychotiker. Was ich an meine eigenen Patienten weitergeben kann, ist etwas, das ich 10 Jahre Soteria 11/2013 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen PatientInnen und Angehörige: Erfahrungsberichte ❮ 19 in der Soteria und der Psychiatrie ebenfalls heilsam erfahren habe: die Selbstverständlichkeit, mit der ich in diesem außergewöhnlichen Zustand sein durfte als etwas zutiefst zu mir gehöriges und als mögliche Form menschlichen Erlebens. Etwas, zu dem man nicht in Distanz gehen muss, sondern etwas, das man begleiten kann, nicht immer unbedingt verstehen, sicherlich aber in Kontakt treten, in Berührung, Verständnis, Bewunderung oder aber auch Ärger und Irritation. So habe ich mich später bei der Aufnahme einer Patientin mit einer akuten Psychose als Antwort auf das Viele, das sie mir erzählt hatte, mit dem Satz überrascht: „Ja, so fühlt sich das an“. Frau F.: Am 19. Januar 2004 ist mein Mann und Vater unserer fünf Kinder plötzlich psychotisch geworden und nach zwei Wochen auf einer allgemeinpsychiatrischen Station in der Soteria aufgenommen worden. Was ist passiert? Zunächst einmal etwas ganz Positives: mein Mann bricht in schallendes Gelächter aus und lacht und lacht und lacht, dass es ansteckend ist, er sieht unglaublich leicht und heiter aus. Man könnte sagen, er steht in der Freiheit, dies allerdings nach Mitternacht. Er kann sein Erleben überhaupt nicht in Worte fassen, will es aber unbedingt, kommt immer wieder auf mich zu, er ist völlig davon eingenommen, mir etwas zu übersetzen. Tag, Nacht, Essen, Trinken, Schlafen sind ihm egal. Er lässt sich aber daran erinnern. Zunehmend kommt er ins Rotieren. Es ist als würde ein Feuer in ihm brennen, sein Mund ist trocken, seine Augen leuchten auf eine entrückte Weise. Die Beziehung wird ein Balanceakt: einerseits spüre ich in ihm eine enorme Kraft, die alles platt walzt, andererseits ist er extrem empfindlich. Tagebucheintrag: “Ich höre zunächst nur zu und bin offen. So können wir in Kontakt sein. Jeder kleinste Widerspruch erregt seinen Zorn. Ich spüre deutlich, dass er die Führung will, dass ich ihm glauben und folgen soll.“ Am nächsten Tag kommt er auf mich zu: „Die Kinder brauchen heute nicht in die Schule gehen, sie lernen dort nur dummes Zeug! Ich will nicht, dass sie dort ausgesaugt werden.“ Ich schaue ihn ruhig an und sage: „Peter, die Kinder gehen gern in die Schule, lass sie gehen.“ Peter atmet aus und sagt: „Hast recht.“ Noch gelingt uns immer wieder der Kompromiss. Unser Kontakt läuft jetzt nur noch über den kleinsten gemeinsamen Nenner. “Als die Großen aus dem Haus sind, merke ich, dass etwas geschehen muss. Peter hat keinen Boden mehr unter den Füssen, und ich möchte irgendwie vermitteln zwischen ihm und der Welt. Ich möchte ihn schützen, und ich möchte die anderen vor ihm schützen, bis es vorüber ist. Die Situation ist pikant und braucht meinen vollen Einsatz.“ - „Er ist so aufgedreht, das ich Hilfe holen möchte. Ich fühle mich überfordert und kann nicht einschätzen, ob das Ganze destruktiv wird, und wann ich eine Grenze ziehen muss. Zu diesem Zeitpunkt ist unser Kontaktfaden sehr, sehr dünn. Es gibt kaum Begegnung, ich 10 Jahre Soteria 11/2013 20 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ PatientInnen und Angehörige: Erfahrungsberichte kann mich nur einklinken in sein Wahrnehmungs- und Wahnsystem. Ich spüre deutlich, dass hier etwas Krankes im Gange ist und hoffe und bete, dass es von selbst wieder aufhört.“ - „Ich bin jetzt echt hilflos. Wann immer ich versuche einzuschreiten, blockt Peter mich, als wollte er nie wieder auf mich hören. Ich bin zum Gegner geworden.“ Ich möchte damit anschaulich machen, in welchem Dilemma ich damals gesteckt habe. Da waren so viele Gedanken, Gefühle und Impulse gleichzeitig in mir: Einmal die Bereitschaft, seinem Erleben eine Berechtigung, ja sogar eine Wahrheit zuzugestehen. Die Faszination: Er spricht und zeugt von einem wunderbaren Ort. Die Sehnsucht, ihm dahin zu folgen, mit ihm grenzenlos zu werden. Das langsame Erkennen des Unheilvollen. Der Impuls, mich an seine Füße zu hängen und ihn auf die Erde zu ziehen. Ein Bild, das mir jetzt dazu einfällt ist: Er wird zum Drachen und ich halte die Schnur fest. Dann aber auch die Bagatellisierung (Möge es bald vorüber sein!) oder die Verführung, ihm da allein herauszuhelfen. (Wir zwei schaffen das!). Darunter liegt mein Wunsch zu vermitteln zwischen ihm und der normalen Welt, eine Brücke zu schlagen oder gar selbst diese Brücke zu sein. Dann die Hilflosigkeit dort, wo er jede Brücke sprengt und mir zuspielt, mich auf eine Seite zu schlagen, auf die seiner Verbündeten, die seine absolute Wahrheit teilt oder auf die der Feindin. Entweder. Oder. Ein Gewalt-Spiel. Und dennoch die Zurückhaltung, ihm mit einer Klinikeinweisung Gewalt anzutun. Schließlich war da nur noch Angst angesichts eines entfesselten Menschen, der wie ein wildes Tier tigert – verwirrt, unheimlich, fremd, unberechenbar, zu allem fähig. Mir bleibt nur die Zwangseinweisung. Als Peter abends mit dem Polizeiwagen abgeholt wird und ich den Schlusslichtern nachschaue, glaube ich nicht, dass das mir passiert. Es ist eine Bestürzung als wenn mitten in unser zivilisiertes Leben eine Bombe einschlägt. Alles ist anders, von einem Moment auf den anderen. Ich lasse meine Großen bei mir schlafen, denn sie sind voller Fragen. Tagebuch: “Ich erzähle von dem Gefäß, das wir sind, und dass der liebe Gott manchmal wie der Blitz zu uns spricht, und dann geht das Gefäß kaputt. Dann muss ein neues wachsen, und das braucht Zeit. Sie sind besänftigt und beruhigt in meinem Bett. „Aber was ist, wenn der Papa nun nie wieder normal wird? Dann ist es ja, als ob der Papa gestorben wäre...“, sagt meine Tochter. Ich nicke, öffne die Arme und sie kommt weinend auf meinen Schoß. Da sitze ich nun mit meinen großen Kindern, trauere um meinen Mann und weiß wirklich nicht, was kommen wird.“ Was kam, waren 17 Tage Psychiatrie, über die mein Mann in dem vorherigen Artikel ausführlich geschrieben hat. Für mich ein Leben in Ungewissheit. Wie um mich zu trösten, denke ich an Hölderlin, Dostojewski, Nietzsche – wessen Leben endete nicht alles im Irrenhaus? Einen Moment lang kann ich mich an der Größe so eines Schicksals festhalten, dann bricht diese Krücke. Fühle ich mein Scheitern: Der Mann an meiner Seite ist verrückt geworden. Ich habe ihn verrückt gemacht. Ich bin schuld. Ein 10 Jahre Soteria 11/2013 Thema, das sich auswächst zu der Frage: Bin ich es wert, dass er zurückkehrt in die Normalität, in unser Leben? Ohne die Hilfe meiner Freunde und Therapeuten hätte ich hier vielleicht selbst den Boden verloren. Sie haben geholfen, den Abgrund zu überbrücken und an dem Sinn des Geschehens keinen Zweifel zugelassen. Den eigentlichen Schritt muss ich jedoch selbst tun. Tagebuch: “Endlich habe ich eine Stunde für mich. Ich falle flehend auf die Knie, ringe und bete und kann beim besten Willen keinen Sinn mehr erkennen. Mit Wahrheit hat das alles nichts mehr zu tun. Mein Mann ist völlig durch- geknallt und ich weigere mich mit Leibeskräften, dies anzunehmen. Ich bin voll von Widerstand und denke an all meine philosophischen Theorien, mein Wissen um Annehmen und Loslassen. Jetzt, Elke, kommt es auf dich an. Hast du was gelernt oder nicht? Ich kapituliere. Gott allein weiß, was er tut. Ich ergebe mich. Hier in dieser tiefen Ruhe und Demut spüre ich eine unglaubliche Kraft in mich einströmen. Ja, es ist in Ordnung. Unberührt von jeder Not stehe ich auf und nehme meine Kinder entgegen.“ Zu dem Psychiatrie-Aufenthalt meines Mannes möchte ich nur kurz meine Not ergänzen. Was ich an Kontakt täglich mit ihm aufbauen kann, geht nicht nur während meiner Abwesenheit verloren, sondern der Graben vertieft sich. Heute weiß ich: Spaltungsdynamik. Verständlich, aber keinesfalls heilsam. Die Fortsetzung des Gewalt-Spiels bedeutet für mich: Entweder meinen Mann bezüglich des Medikaments entmündigen oder mich mit ihm verbünden mit der Konsequenz, mit ihm allein dazustehen. Wen wundert es, dass das Aufspüren der Soteria auch für mich eine Erlösung ist. Das beginnt schon im Vorgespräch, in dem Frau Hurtz bei aller Großzügigkeit gegenüber dem Chaos meines Mannes ganz klar einfordert, dass er seine totale Verweigerung gegenüber Medikamenten aufweicht: Ein Arbeitsbündnis entsteht. Es spiegelt sich in der Haltung der Menschen: respektvoll, fragend, behutsam begrenzend, scharf begrenzend, aber niemals abwertend, offen, Raum gebend. Und in der im Konzept verankerten Möglichkeit, Normalisierung zu schaffen. Und so einleuchtend, über Spaziergänge, Kochen und die Mahlzeiten gemeinsamen Boden zu schaffen, auf dem Begrenzung und sogar Konfrontation gelingen und sogar Beziehung stiften können! Es ist unglaublich zu sehen, wie mein Mann sich entspannt nur über das Gefühl angenommen und auf eine Weise in Ordnung zu sein. Und er ist existentiell darauf angewiesen um weiter zu kommen. Vorher war er das, was unsere Sprache so drastisch verrät: ein Behämmerter, Bekloppter, Hirnverbrannter, er war nicht bei Trost, von allen guten Geistern verlassen, hatte einen Sprung in der Schüssel, einen Dachschaden. In der SOTERIA ist er zuallererst einmal ein Mensch. Eigen, manchmal unverständlich, skurril, krass in seinen Handlungen, fremd. Er ist ein Lernender. Ein Landender. Und ich eine Lernende. Ein Lassende. Vertrauende. Nicht mehr Opfer. Nicht mehr Täterin. Nicht mehr Retterin. Von nun an beginnt Heilung. Rückblickend und natürlich subjektiv kann ich sagen, dass die Soteria die Therapieform war, die meinem Mann entsprach, Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen PatientInnen und Angehörige: Erfahrungsberichte ❮ die ihm gerecht wurde. Von daher ist es ein Segen, dass diese Einrichtung vor 10 Jahren gegründet wurde. Abschließend ein paar Worte zu meinem weiteren Umgang mit der Psychose. So einfühlsam ich mich vielleicht selbst geschildert habe, war ich nicht immer. Auch ich musste meinen Mann in seinem Irre-Sein abspalten. Bei all meiner Neurose blieb subtil gerade in Konflikten immer die stille Überzeugung, doch die Gesündere, die Klarere, die Ich-Stärkere zu sein. Blieb meine Ungeduld, statt zu sagen: da gibt’s was zu verstehen. Blieb die Tendenz, 21 meine Wahrnehmung zu überhöhen. Was für ein Wahn! Was haben wir in den letzten Tagen geredet. Heute habe ich Abstand genug und vielleicht erstmals die Demut, mich auf seine Welt von damals einzulassen, sie mit ihm zu teilen, soweit mir das möglich ist. Und heute – 2013: In diesem Sommer haben wir auf einmal viel über die Zeit in der Soteria mit den Kindern geredet, haben dem Kleinen, der heute 11 ist, davon erzählt. Da waren all die Bilder wieder da: unser Vorgespräch mit Frau Hurtz, wie sie meinen Mann einfach wirklich „aufgenommen“ hat, das Weiche Zimmer, in dem ich auch übernachten durfte, die so geduldige Frau Schuster, die beherzte Frau Breinbauer, das waren die Zutaten, die mein Mann damals gebraucht und auch genutzt hat. 10 Jahre Soteria 11/2013 22 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ PatientInnen und Angehörige: Erfahrungsberichte Geholfen hat… – Gestört hat… PatientInnen – Aussagen aus der Verlaufsuntersuchung Im Rahmen der Befragung in unserer 5 Jahres-Langzeituntersuchung gab es für die PatientInnen die Möglichkeit, neben den vorgegebenen Fragen selbst formulierte Angaben zu machen. Hier eine kleine Auswahl positiver und negativer Aussagen. GEHOLFEN HAT... GESTÖRT HAT... … wenigMedikamenteunddiefreiheitlicheAtmosphäre wieineinerWG … dasMiteinandervonPatientenundPersonal … wahrgenommenwerden,GefühleundGedankenfrei äußernzukönnen … dieindividuelleUnterstützungdurchdasPersonal … dasgemeinschaftlicheZusammenwohnenmit Menschen,dieähnlicheErfahrungenmiteiner Psychosehatten … dassmansichdurchdietäglichenStationsdienste wieinMenschmitAufgabenfühltundnichtnurals Patient … dieoftmangelndeBereitschaftderMitpatienten zumehrOrdnungundSauberkeitund haushaltstechnischerSolidarität … weresmitdenDienstennichtaufdieReihekriegt,ist manchmalechtfertigundsolltenichtgeschimpft sondernmehrbeiderHandgenommenwerden … ineinigenFällen(beianderenPat.)erschienmirdas Personaloftzu‚antiautoritär‘bzw.zutolerant … undichhättemirdabeierwartet,dassvehementer Tablettenangebotenwürden,dafürmichpsychotische MitpatientenImmeranstrengend,fast‚ ansteckend‘wirken … essollteEinzelzimmergeben … hellhörigeRäumlichkeiten … derLärmpegeldesFernsehzimmers … TürenschlagenderMitpatienten … DieMusikwaramAnfanglaut(Klavier,Radio) … AmbivalenzdesPersonals,wasPflichtundwas freiwilligist … derKonfliktdesPersonalsuntereinander,dersich meinerMeinungnachetwasaufdiePatientenausge wirkthat … dasStörendeistTeilderTherapie! … ichfindeesschade,dassesnurdieKunsttherapiegibt … ichhättemirgewünscht,dassdieLeuteinder Psychotherapie-Gruppemehraussichherausgekommen wären,manhätteübervielesmehrredenkönnen. … mehrMöglichkeitenzurKontaktaufnahmemit Freunden,Familieundmehr! … ZuvieleundhäufigeBesuchevonaußenvon anderenPatienten. 10 Jahre Soteria 11/2013 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen PatientInnen und Angehörige: Erfahrungsberichte ❮ GEHOLFEN HAT... … dassdieEigenständigkeitundSelbständigkeitgefördert wird,waseinemSelbstvertrauengibt … dasAufgehobenseininderGemeinschaft,vorallemin denerstenWochen … dassvomPersonalimmerjemandbereitwarfürein Gespräch,wennesmirnichtgutgingoderichetwas loswerdenmusste … dassichauchalsMenschmitGefühlenstatt Krankheitssymptomenwillkommenund aufgefangenwar … dieoffeneBereitschaftdesgesamtenPersonals fürallemeineLebensäußerungen … daskleineKlavierkonzerteinerMitpatientin 10 Jahre Soteria 11/2013 23 24 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ PatientInnen und Angehörige: Erfahrungsberichte Texte aus der Schreibwerkstatt Tanja Rommel-Sattler (Diplom-Psychologin) hat am 04.09.2013 in Vorbereitung auf den 10-Jahresbericht eine Schreibwerkstatt für PatientInnen angeboten. Hier einige der dort entstandenen Texte: Was mir an der Soteria gefällt. Soteria Mir gefällt, dass die Therapeuten und Schwestern mir so viel weitergeholfen haben. Mir gefällt die Geborgenheit wie in einer großen Familie. Mir gefällt, dass das Team einfach menschlich ist, was auf anderen Stationen, die ich erlebt habe, nicht der Fall war. Die Soteria hat mir geholfen, wieder Hoffnung zu haben, obwohl die Hausarbeit sehr anstrengend ist. Ich habe in der Soteria meine Krankheit verstehen gelernt und kann jetzt besser damit umgehen. Ich weiß jetzt meine Krankheit und habe nicht mehr so viel Angst. Ich hoffe, dass ich es in drei Wochen in meiner Wohnung wieder schaffe. Danke! Am ehesten fällt mir die Stärke und Kraft der Soteria ein. Engster Zusammenhalt und schnelles Auffangen im Akutfall. Es wird einem sehr schnell bewusst, was Karma und soziales Verhalten bedeutet. (NJ) (MH) 10 Jahre Soteria 11/2013 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen PatientInnen und Angehörige: Erfahrungsberichte ❮ 25 Wie empfinde ich die Soteria? • • • • • • • • kein Medikamentenzwang sehr entspannt, relaxed schöne Aktionen (Baden gehen, Deutsches Museum) gute gemeinsame Aktionen – gemeinsames kochen, aufräumen, putzen, einkaufen gehen/fahren, den Frühstückstisch ein- und abdecken auf den Gong schlagen gemeinsam waschen, Wäsche aufhängen, abnehmen gemeinsam spazieren gehen, joggen, walken von „innen“ heraus gesund werden durch: - gesundes Essen, viel Obst und Gemüse - viel Bewegung / Sport, Badminton, Tischtennis, Fußball Die Soteria ist für mich, wie Urlaub für die Seele. Der schöne Garten, das gute Essen, die wertvollen Begegnungen - einfach eine Wohlfühl-Oase inmitten einer Großstadt. Ein Ort, wo man ernst genommen wird, wo versucht wird, verstanden und angenommen zu sein und zu werden. Ein Ort der Begegnung. Ein schöner Name. Soteria. Aber auch das Leid. Die traurigen Blicke. Die starren Körper. Die ins Leere blickenden Menschen, versunken in ihre Gedankenwelt...Freude und Trauer. Mein Platz in der Soteria. Es ist ein Platz wo man Urlaub machen kann für die Seele. Sicherlich ist es eine Psychiatrie, eine Form der Klinik und kein Urlaub wie im Reisekatalog. Sicherlich, eine einsame Insel mit langen Sandstrand, Palmen, guten Cocktails wäre mir lieber - aber mein Platz ist halt (leider) momentan gerade hier. Ich mache Urlaub für die Seele in der Soteria. (JS) (BL) 10 Jahre Soteria 11/2013 26 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Aus dem Soteria-Alltag Aus dem SOTERIA-ALLTAG 1:1 Begleitung Maria Freudenreich (Psychologin im Praktikum) beschreibt eine konkrete Erfahrung in ihrer ersten 1:1 Begleitung. Roswitha Hurtz (Oberärztin) erläutert theoretische Hintergründe und fasst die bisherigen Erfahrungen mit der 1:1 Begleitung zusammen. Der Versuch, ein Container zu sein Meine erste 1:1-Begleitung “Ich halte es nicht mehr aus.“ Wie ein wildes, zorniges Tier fegt er durch den Wintergarten, läuft auf und ab, das Gesicht zu einer wütenden, gequälten Grimasse verzerrt. Der Ausdruck wechselt sekündlich zwischen Schmerz, Verzweiflung und unbändiger Wut. Ein Dampfkessel, kurz vor der Explosion - ein Eindruck, der vom Rauch der immerfort brennenden Zigarette, der aus Nase und Mund aufsteigt, unterstrichen wird. Er weiß weder vor noch zurück, weder ein noch aus. So geht das seit Stunden. Ich weiß noch nicht, wie ich ihm helfen kann. Aber der Druck muss raus; ansonsten wird der Kessel explodieren. Wir machen uns auf zu einem Spaziergang. Wie ein gezähmtes Raubtier läuft er schnaubend und wütend, neben mir her. Ich erzähle ihm etwas, da scheint der Druck plötzlich weg zu sein: Die Gequältheit ist spurlos verschwunden, ein einnehmendes Lächeln erhellt das Gesicht. Und doch hält er es nicht aus, wir kehren um. Es folgen: Kartenspielen, Tee kochen, reden, Gemüse schnipseln, wieder Karten spielen, Kaffee trinken, wieder reden, wieder Kaffee trinken.... Nichts hilft dauerhaft, immer nur kurze Momente der Erleichterung. Was kann ich tun, wie kann ich ihm helfen, was ist eigentlich meine Aufgabe? Vielleicht einfach dabei sein, einen Teil dessen, was ihn so quält, des sinnlich wahrnehmbaren inneren Drucks in mich aufnehmen und für ihn entgiften und entkräften. Am Ende des Tages fühle ich mich verwirrt, unruhig, getrieben. Ich weiß weder vor noch zurück, weder aus noch ein. Habe ich mich angesteckt? Theoretische Hintergründe und bisherige Erfahrungen bei der 1:1 Begleitung Die personelle Besetzung ermöglicht, in jeder Einheit für jeweils einen der Patienten eine 1:1 Begleitung anzubieten, bei der ein Mitarbeiter nur für diesen Patienten zur Verfügung steht. Die Indikation zur 1:1 Begleitung ist dann gegeben, wenn ein Patient von psychotischem Denken und Erleben überschwemmt und geängstigt wird, der Realitätsbezug be- 10 Jahre Soteria 11/2013 einträchtigt ist, die Affekte labil und nicht kontrollierbar sind, die Möglichkeit, für sich Verantwortung zu übernehmen, eingeschränkt ist, die Basisversorgung mit Essen, Trinken und Körperpflege nicht sicher gewährleitstet ist, Selbst- oder Fremdgefährdung bestehen. In einem solchen Zustand ist die Fähigkeit, Beziehungen aufzunehmen und zu regulieren, schwer gestört. Um den psychotischen Menschen an dieser Stelle nicht sich selbst und seinen Ängsten zu überlassen, bieten wir die engmaschige Begleitung an. Vorrangiges Ziel ist die von Ciompi beschriebene nachhaltige emotionale Spannungsreduktion. Die Bezugsperson versucht, auf die aktuellen Bedürfnisse des Patienten einzugehen, Ängste zu mildern, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen und die körperliche Basisversorgung sicherzustellen. Die Bezugsperson fungiert dabei auch als Hilfs-Ich, das die fehlende psychische Struktur des Patienten kompensiert, die Affektregulierung unterstützt und Annäherung an die äußere Realität ermöglicht. Dabei ist das Herstellen des jeweils passenden Abstands vorrangiges Ziel. Es darf nicht zu nah werden, dann droht Identitätsverlust, und es darf nicht zu weit weg sein, dann drohen Verlassenheits- und Vernichtungsängste. Die 1:1 Begleitung kann im Weichen Zimmer oder auch auf der Station und im Alltag stattfinden. Die Begleitung kann im miteinander schweigen, sprechen, spielen, kreativen Aktivitäten oder häufig auch Spaziergängen bestehen. Es geht um eine ruhige Anwesenheit, mehr Mit-Sein als Mit-Tun. Falls der Patient über sein psychotisches Erleben sprechen will, hören wir es an, akzeptieren, was der Patient mitteilt. Das psychotische Erleben wird nicht interpretiert und muss nicht als erstes verschwinden. Der Patient kann dabei erleben, dass psychotische Inhalte, Ängste und innere Spannungen aufgenommen und ausgehalten werden, ohne dass die Bezugsperson daran zugrunde geht. Bei längeren 1:1 Begleitungen entwickelt sich relativ häufig eine Teamdynamik, bei der es im Team eine „progressive“ Gruppe gibt, die den Betroffenen weniger schonen und mehr fordern möchte, und eine „regressive“ Gruppe, die versucht, Anforderungen zu vermeiden und das Schützen und Gewäh- Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Aus dem Soteria-Alltag ❮ ren lassen des Patienten im Vordergrund sieht. Das bildet umfangreich Anteile des Patienten ab, aber durchaus auch Persönliches der jeweiligen Mitarbeiter, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Patienten „verwickeln“ lassen. Solange es möglich bleibt, dies im konstruktiven Dialog im Team zu verstehen und zu reflektieren, lassen sich Lösungen finden. Allerdings gelingt es nicht immer, die, wie Lempa es nennt, „verbindende und gleichzeitig ungefährliche Zwischenzone für einen Patienten zu schaffen, der eine Beziehung als existentielle Bedrohung und eine Trennung als Selbstverlust erlebt“. (Lempa 2000). Wenn der Patient sich nicht beruhigt, eher aversiv reagiert, sehr angespannt oder nicht mehr bündnisfähig suizidal wird, wenn also aus der Begleitung eine Bewachung wird, dann sind die Grenzen des Soteria-Settings erreicht und ein Patient muss, zumindest vorübergehend, auf eine geschlossene Aufnahmestation verlegt werden. Beim Blick auf unseren bisherigen Umgang mit der 1:1-Begleitung ist es wichtig, den gegenseitigen Austausch über die subjektiven Erfahrungen der Mitarbeiter im Arbeitsalltag noch zu intensivieren. Neben unserer speziellen Teamdynamik bildet sich dort auch ab, dass dies ein `wirklich schwieriger Bereich´ ist, in dem jeder zeitweilig auf sich allein gestellt ist, sich über die oft große Nähe sehr mit dem Patienten identifiziert und damit auch selber verletzlich wird. Es gibt keine definierten Kriterien oder Methoden, an denen man sich orientieren kann, denn auch die Reaktionen der Patienten auf die 1:1 27 Begleitung sind sehr unterschiedlich und komplex. Wenn man von einer intensiven Begegnung, die in der 1:1 Begleitung möglich werden kann, ausgeht, berührt dies auch die Frage, inwieweit ich als Person den passenden Resonanzraum zur Verfügung stellen kann, ab wann das eigene persönliche Erleben im Weg steht oder den Blick verstellt. Das Geschehen, das sich häufig im vorsprachlichen, kaum symbolisierten Raum zwischenmenschlicher Begegnung abspielt, lässt sich oft nur mühsam und bedingt benennen. Das macht das Thema zwar intensiv greifbar, aber oft auch schwer in Worten fassbar. Wir haben im Team die Absprache getroffen, dass sich jeder Mitarbeiter jederzeit ohne besondere Begründung aus der 1:1 Begleitung ablösen lassen kann und keiner eine ganze Schicht lang durchhalten muss. Dies hat für viele Kollegen die besondere Anstrengung, die eine 1:1 Begleitung bedeuten kann, tragbarer gemacht. Literatur Ciompi L, Hoffmann H, Broccard M (Hrsg) (2001). Wie wirkt Soteria? Eine atypische Psychosenbehandlung kritisch durchleuchtet. 1. Auflage Hans Huber, Bern. 43-68. Lempa G (2000). Deutung, Neuerfahrung, Ich-Bildung. Überlegungen zur Bedeutung behandlungstechnischer Modifikationen bei der psychoanalytischen Therapie schizophrener Psychosen. In: Die Bedeutung des psychosozialen Feldes und der Beziehung für Genese, Psychodynamik, Therapie und Prophylaxe der Psychosen. Mentzos S, Münch A (Hrsg.). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. 100-10. 10 Jahre Soteria 11/2013 28 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Aus dem Soteria-Alltag Soteria bei Tisch Regina Hübschke (Sozialpädagogin) beschreibt Eindrücke und Abläufe der Mahlzeiten im milieutherapeutischen Soteria- Alltag Betritt man die Soteria, fällt der Blick auf einen großen runden Gong. Der Klang fällt unterschiedlich aus: mal leise-zurückhaltend, mal zu laut -dröhnend und blechern. Das „richtige Maß“, bei dem die Schwingungen angenehm spürbar sind, will getroffen sein und kann mehrmals täglich geübt werden. Zu allen Mahlzeiten, aber auch bei allen beginnenden Therapien oder gemeinsamen Aktivitäten ruft der Gong zum Start. Die gemeinsamen Mahlzeiten sind ein wichtiger Bestandteil des milieutherapeutischen Alltags. Jeweils zwei PatientInnen sind für den gedeckten Tisch verantwortlich inklusive des Abräumens nach dem Essen. Das Frühstück ab acht Uhr wird unterschiedlich genutzt; oft gehen noch müde Patienten mit einer Tasse Kaffee in der Hand erst mal weiter in den Wintergarten, in dem geraucht werden kann. Zur Morgenrunde um neun Uhr erschallt der Gong zum ersten Mal. Am Frühstück- 10 Jahre Soteria 11/2013 stisch sitzend übernimmt ein Patient die Leitung der Morgenrunde, in der nach einer Befindlichkeitsrunde die organisatorischen Belange des Tages abgesprochen werden. Jeden Tag kochen zwei PatientInnen gemeinsam; es braucht Absprachen, was gekocht wird und wer was macht. Fehlen noch Zutaten wird eine Liste an den zuständigen täglichen Einkaufsdienst übergeben, der postwendend im nahe gelegenen Supermarkt die Besorgungen erledigt. Dauert die Zubereitung des Essens einmal länger als bis zwölf Uhr, schauen hungrige PatientInnen und MitarbeiterInnen in der Küche vorbei und bieten ihre Hilfe an. Besteckkratzende Geräusche und oft ein anerkennendes Murmeln zeugen vom anschließenden gemeinsamen Tun. Der ab und zu skeptische Blick oder die Nachfrage, welche Zutaten zusammen verarbeitet wurden, kann meist humorvoll geklärt werden. Auf der Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Aus dem Soteria-Alltag ❮ Handlungsebene, gerade beim Zubereiten von Mahlzeiten, lassen sich einerseits Ressourcen als auch Unterstützungsbedarf deutlich erkennen. Mitunter ist es nötig, strukturierend einzugreifen oder die Absprachefähigkeit zwischen den PatientInnen zu fördern. Beim gemeinsamen Schnippeln oder Abwaschen lassen sich gut Gespräche führen. In dieser ungezwungenen Atmosphäre entsteht ein kreativer und lebendiger Beziehungskontakt; anders erlebbar als in der klassischen Gesprächssituation. Als Mitarbeiter ist man gleichermaßen Handelnder und Lernender, wie der Patient auch. 29 nen. Sowohl nonverbal als auch in einfachen Unterhaltungen über Gott und die Welt ergeben sich Möglichkeiten, sich gegenseitig wahrzunehmen und aufeinander zu reagieren. Beim und nach dem Essen können sich lockere Gesprächsrunden ergeben. Die Tatsache, dass auch die Teammitglieder mit am Tisch sitzen, ermöglicht auch im therapeutischen Setting einen offeneren Kontakt miteinander. Nicht zu vergessen: ein meist spontan am Tisch geplantes Kickerspiel- ohne Gong-, dennoch mit viel Engagement und Herzblut auf allen Seiten. Beim Abendessen werden gerne die Reste des Mittagessens als Salate oder Suppen verarbeitet. Frisches ist beliebt und die besonderen Vorlieben von PatientInnen und MitarbeiterInnen kommen zur Geltung. Wieder ist das gemeinsame Tun in der Küche ein wichtiges Bindeglied im Kontakt zu den PatientIn- 10 Jahre Soteria 11/2013 30 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Aus dem Soteria-Alltag Die Psychotherapiegruppe in der Soteria Die Psychotherapiegruppe ist seit 2004 fester Bestandteil und eine tragende Säule des therapeutischen Angebotes in der Soteria. Tanja Rommel-Sattler (Diplompsychologin) gibt einen Einblick in unsere Erfahrungen. Für die Arbeit mit der Gruppe orientieren wir uns an I. Yaloms gruppentherapeutischem Prinzip des Hier und Jetzt, aber auch an psycho- dynamischen mentalisierungsfördernden, nicht übertragungsfokussierten Gruppenkonzepten. In der Soteria leben für einen begrenzten Zeitraum Menschen zusammen, die eine seelische Krise erleben oder erlebt haben, psychotisch sind oder es gerade waren. Die Gemeinschaft strukturiert zusammen mit dem Team den Alltag: es wird gemeinsam eingekauft, gekocht und gegessen, aber auch geputzt, die Wäsche gewaschen und gemeinsam die Freizeit gestaltet. Gemeinsames Tun ist für Menschen in und nach akuten psychotischen Krisen oft eine enorme Herausforderung. Gleichzeitig ist es aber auch eine große Chance, mitgestalten zu können und beteiligt zu sein. Man fühlt sich angenommen, gebraucht und geachtet. So kann man sich wieder spüren und lebendig fühlen. Das Leben in einer Gemeinschaft birgt aber auch gruppendynamisches Konfliktpotential. Zweimal in der Woche kommt die aktuelle Patientengemeinschaft für eine Stunde mit zwei Therapeuten zur Psychotherapiegruppe zusammen. Es ist ein gemeinsamer Reflexionsraum, in dem Erfahrungen ausgetauscht und Konflikte benannt und geklärt werden können. Wer nimmt an der Psychotherapiegruppe teil? Wir wünschen uns von allen PatientInnen eine verbindliche Teilnahme an der Psychotherapiegruppe. Manchmal ist das am Anfang, wenn jemand hoch akut psychotisch ist, noch zu viel. Wir vereinbaren dann individuell, ob eine Teilnahme an der Psychotherapiegruppe förderlich ist. Wenn ein Patient stark dissoziiert, sehr von paranoiden Ängsten gequält ist, nicht mehr als ein oder zwei Menschen gleichzeitig ertragen kann, wäre es kontraindiziert, an der Psychotherapiegruppe teilzunehmen zu müssen. Deshalb wird die Teilnahme flexibel gehandhabt. Wir vereinbaren mit den TeilnehmerInnen einfache und übliche Gruppenregeln (Besprochenes wird nicht nach außen getragen; jeder kann, wenn es ihm zuviel wird, den Raum verlassen; man sollte aber nach einer Auszeit, wenn möglich wiederkehren; Handys werden ausgeschaltet). Der Ablauf ist immer gleich strukturiert. „Eine der wirksamsten Arten Struktur zu liefern,“ schreibt Yalom bezüglich der Gruppen, die im stationären Rahmen stattfinden, „besteht darin, in jede Sitzung eine konsequente, ausdrückliche Abfolge einzubauen.“ (Yalom, S. 452) In unserer Psychotherapiegruppe finden anfangs Vorstellungen und Verabschiedungen statt. Anschließend bringen die TeilnehmerInnen ein Thema ein, das in der verbleibenden Zeit besprochen wird. Ankommen und wieder weggehen Da sich die PatientInnen-Zusammensetzung in der Soteria immer wieder ändert, ist die Psychotherapiegruppe halboffen. Sie wird von den Prozessen des Ankommens und des Ab- 10 Jahre Soteria 11/2013 schiedes begleitet. Ankommen und Gehen, sich einlassen und sich lösen sind wichtige, sich immer wieder aufs Neue ereignende Prozesse. Häufig sind diese beiden dialektischen Prozesse bei unseren PatientInnen biographisch schwierig und schmerzhaft belegt. Trennungen und Brüche kennzeichnen das Leben vieler Menschen, die psychotisch werden. Kontaktund Beziehungsaufnahme können aber auch eine besondere Schwierigkeit im menschlichen Miteinander sein. Wie nah darf mir ein Mitmensch auf den Pelz rücken, wie halte ich mir den Anderen vom Leib? Eine gute Nähe beziehungsweise eine gute Distanz zu finden, hat sich als Problem im Leben vieler entpuppt und kann hier in einer Gruppe neu erprobt und erfahren werden. Daher sind diese beiden wiederkehrenden Themen alles andere als einfach. Jeder Patient, der neu hinzukommt, stellt sich in der Psychotherapiegruppe den MitpatientInnen vor. Diejenigen, die stabil sind und entlassen werden, verabschieden sich und können ihre Behandlungserfahrungen und ihre Zeit in der Soteria ins Gespräch bringen. Was war hilfreich, was war schwierig? Die Psychotherapiegruppe hat für diese natürlichen Prozesse des Ankommens und des sich-Trennens eine haltgebende, containende Funktion. Themen und Gesprächsdynamiken Nach Vorstellung und Verabschiedung kann jeder, der dies möchte, ein Thema einbringen, mit dem wir uns dann befassen. Uns ist wichtig, den Kontakt unter den TeilnehmerInnen zu fördern. Es geht nicht darum, psychose-spezifische Psychoedukation zu leisten und „objektives“ Wissen zu vermitteln. Nicht selten entsteht dies in der Diskussion, wenn konkrete Fragen kommen, auf die eindeutig geantwortet werden kann. Im Vordergrund steht, einen Erfahrungsaustausch unter den PatientInnen zu ermöglichen sowie authentische Rückmeldung aus der Gruppe zu unterstützen. Die Themenbreite erstreckt sich über alle Bereiche des menschlichen Seins. Wiederkehrende Themen sind Angst vor Stigmatisierung, Umgang mit Medikamenten, Austausch über psychotisches Erleben, Stressreduktion, Entspannung u.v.m.. Häufig ist die Psychotherapiegruppe aber auch der Ort, an dem Konflikte aus dem Zusammenleben in der Soteria zur Sprache kommen. Hier können konkrete Alltagserlebnisse und –erfahrungen thematisiert und mithilfe der Mitpatienten und/oder der Therapeuten benannt, häufig gelöst werden. Damit sind zum einen Konflikte unter MitpatientInnen als auch mit dem Team gemeint. Das klingt banal und ist es manchmal auch. Häufig sind Konfliktklärungen aber auch von heftigen Gefühlen begleitet und es ist schwer zu fassen, worum es eigentlich geht. Letztlich ist es jedes Mal eine Herausforderung, damit es der Gruppe gelingt, eine Klärung und Beruhigung zu schaffen. Es ist für das Zusammenleben hilfreich, baut Ängste ab, schafft Vertrauen und hilft dem Einzelnen, Orientierung zu Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Aus dem Soteria-Alltag ❮ finden. Dann entsteht eine konstruktive Gruppenkohäsion. Mitunter können devitalisierende -wütende, abweisende, negative- Kräfte deutlich werden. Beziehungen werden verbal attackiert, feindselige Verhaltensweisen tauchen auf. Hartnäckiges misstrauisches Schweigen entsteht oder jemand monopolisiert die Sprache, lässt niemand anderen mehr zu Wort kommen in seinem nicht zu unterbrechenden Redestrom. Manchmal macht sich in der Gruppe ein unangenehmes Klima breit. Dann wird das Denken schwer und verarmt, stirbt ab, schläft ein und es ist mühsam, den Faden zu finden und zu halten. Die Folge kann sein, dass TeilnehmerInnen den Raum verlassen, der Gruppenzusammenhalt sich teilweise auflöst, unverbunden und karg wird. Die Psychotherapiegruppe kann helfen, das Schwierige zu containen, aber auch zu verdauen oder verdaulicher zu machen. Dies geschieht zum Beispiel, indem das zerstörerische Potential des Umgangs miteinander benannt werden kann, dadurch entschärft wird und sich allmählich wieder eine positivere Gruppendynamik entwickelt. Psychotherapiegruppe – ein neuer Erfahrungsspielraum Für viele unserer PatientInnen bietet die Psychotherapiegruppe einen neuen Erfahrungsspielraum. Viele entdecken erstmalig die Möglichkeit, Unsagbares und Unfassbares aus der häufig einsamen psychotischen Erlebniswelt mitzuteilen und dabei auf Verständnis zu stoßen. „Ja, das kenne ich auch“, „Ich habe auch Stimmen gehört.“ „Auch ich hatte Verfolgungsängste, bezog alles auf mich.“ Hier können PatientInnen gemeinsam überlegen was es heißt, psychotisch zu sein. Hier kann man erfahren, dass es ein VOR der Psychose und auch ein DANACH gibt, dass Krisen bewältigt werden können. Hier kann man Hoffnung schöpfen. Die Psychotherapiegruppe kann helfen, gemeinsam eine Sprache für schwer zu beschreibende Zustände zu entwickeln. Hier kann man erleben, dass man mit schwierigen Gefühlen wie Angst, Einsamkeit, Wut 31 und Verzweiflung nicht alleine bleiben muss. Es kann im geschützten Rahmen diskutiert werden, ob und auf welche Weise man mit Familie und Freunden über die psychische Erkrankung sprechen kann. Die Psychotherapiegruppe bietet einen Rahmen, sich mit der Sinnhaftigkeit der Medikation, dem Für und Wider psychiatrischer Behandlung auseinanderzusetzen. Die TeilnehmerInnen sprechen auch über ihre Erfahrungen in therapeutischen Wohngemeinschaften, tauschen sich über betreutes Einzelwohnen und andere Aspekte des sozialen Netzes aus. Sie teilen ihre Empörung über Missstände, sprechen über erfahrene Stigmatisierung oder über gute hilfreiche Erfahrungen mit Eltern, Freunden, Kollegen. Die mitgeteilten Erkenntnisse und Erfahrungen sind häufig von lebendiger Kreativität, zeugen von Sensibilität und Auseinandersetzungsbereitschaft unserer PatientInnen. Die Psychotherapiegruppe kann somit Sinnschmiede sein und helfen, Gräben der Angst und des Misstrauens zu überwinden. Sie kann eine Gemeinschaftsproduktion werden, in der ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, ein Kohärenzgefühl entsteht. Das kommt dem Zusammenleben der therapeutischen Gemeinschaft in der Soteria zugute und jedem einzelnen Patienten. Literatur Mentzos S. (2009) Lehrbuch der Psychodynamik, Die Funktion der Dysfunkionalität psychischer Störungen, Vandenhoeck & Rupprecht GmbH & Co., Göttingen Reddemann, L. , Ressourcenorientierte psychodynamische Gruppenpsychotherapie in Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gruppenanalyse, 46. Jahrgang, 1/2010 Wöller W. , Gruppenpsychotherapie bei traumatisierten Patientinnen in Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gruppenanalyse, 46. Jahrgang, 1/2010 Yalom Irvin D. (1989) Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie, Verlag J. Pfeiffer, 10 Jahre Soteria 11/2013 32 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Aus dem Soteria-Alltag Soziale Arbeit in der Soteria Regina Hübschke (Sozialpädagogin) hat sich Gedanken zu der Integration von Theorien der Sozialen Arbeit in der multiprofessionellen Teamarbeit der Soteria gemacht. Kernelement der Soteria ist die Psychosebegleitung in Form aktiven Dabei-Seins. Das setzt keine sozialarbeiterischen Fähigkeiten voraus, ergänzt sie jedoch konstruktiv. Aufgrund der intensiven Beziehungsgestaltung entsteht die Möglichkeit, den einzelnen Menschen in seiner tiefen Vielfalt kennenzulernen. Die Soteria bietet im klinischen Rahmen einen Schutzraum und die menschlichen Beziehungen stehen im Vordergrund. Die jederzeit mögliche 1:1 Begleitung ist einer der grundlegenden Unterschiede zu anderen Behandlungsmöglichkeiten. Die kontinuierliche Auseinandersetzung und eigene Reflektion mit dem Nähe-Distanz-Verhältnis betrifft alle Berufsgruppen. In der wöchentlich stattfindenden Intervision, bzw. einmal im Monat stattfindenden Supervision, ist ein Rahmen dafür gegeben. Die multiprofessionelle Zusammenarbeit im Soteria-Team ermöglicht eine umfassende Sicht auf die individuellen Probleme und Bedürfnisse der Menschen in psychotischen Krisen. Die optimale Nutzung der Sozialgesetze, soziale Räume zu erschließen und erreichbar zu machen und die Beziehungsarbeit gehören zu dem Aufgabenfeld der Sozialen Arbeit. Psychische Störungen werden in Beziehungen von Mensch zu Mensch erfahrbar. Jede Patientin und jeder Patient kommt aus einem individuellen sozialen Umfeld; das betrifft die Wohnungssituation ebenso wie Arbeitsumstände, den Familien –und Freundeskreis. Diese Lebensbereiche werden in der Tandem-Arbeit (ein Bezugstherapeut/eine Bezugsperson) eruiert und bei Bedarf die Beantragung eingeleitet. Der milieutherapeutische Schwerpunkt kann als Bindeglied zu den Grundsätzen und Methoden der Sozialen Arbeit verstanden werden. Hans Thiersch stellte die Theorie einer alltags- und lebensweltorientierten Sozialen Arbeit auf: „Soziale Arbeit ist eine praxis-bezogene kritische Handlungswissenschaft, die die unterschiedlichen Traditionen von Sozialpädagogik und Sozialarbeit integriert, da die Konzepte von Professionalisierung und Alltagsorientierung auf das Handeln in konkreten Situationen zielen. (…)“. „Theorie der Sozialen Arbeit kann nur eine Theorie einer sozialwissenschaftlich fundierten Handlungswissenschaft sein; dass darin historische und philosophische Bezüge notwendig integriert sind, ist für Thiersch selbstverständlich. Die Alltagswelten der Menschen sind nach Thierschs Auffassung konkrete Lebensfelder, in denen sich Alltäglichkeit darstellt: Ein gelingender Alltag ist eine Aufgabe; ein gelungener Alltag wäre die Vollendung. Die Momente des gelingenden Lebens und die der uneingelösten Sehnsucht sind zu entdecken, bewusst und wach zu halten, zu stützen und zu mehren.“ (Engelke 1998) Die Psychosebegleitung wird in der Soteria in drei Phasen eingeteilt. Während in der Phase I die Bewältigung der akuten psychotischen Krise im Mittelpunkt steht, geht es in der Phase II um Stabilisierung und Aktivierung. Mit der Phase III und der Vorbereitung auf die Entlassung mit sozialer und beruflicher Wiedereingliederung und ambulanter Weiterbehandlung kommen Aspekte und Inhalte der Sozialen Arbeit in den Vordergrund. Hier gilt es, die jeweiligen Möglichkeiten in den folgenden Bereichen zu überprüfen und gegebenenfalls zu vermitteln: • Wohnen: evtl. Therapeutische Wohngemeinschaft, Betreutes Einzelwohnen oder Nutzung des Persönlichen Budgets • Arbeit: Klärung der beruflichen Perspektive; evtl. medizinische oder berufliche Reha beantragen; Bewerbungen auf dem ersten oder zweiten Arbeitsmarkt; Ausbildungsmöglichkeiten; Zuverdienst; • Tagesstrukturierende Angebote, z.B. Vermittlung in Tagesstätten oder Kontaktstellen 10 Jahre Soteria 11/2013 Dieser Ansatz kommt im milieutherapeutischen Setting zur Geltung. Das (Wieder-) Erlangen der alltagspraktischen Fähigkeiten, ob nun einkaufen, kochen, Wäsche waschen; Tisch decken oder die Ordnung in gemeinsam genutzten Räumen im Auge zu behalten, ermöglichen es den PatientInnen an vorhanden Ressourcen anzuknüpfen. Die Arbeit im multiprofessionellen Team aus dem Blickwinkel der Sozialen Arbeit kann konstruktiv und bereichernd die ressourcenorientierte und individuelle Herangehensweise der Behandlung in der Soteria ergänzen. Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Aus dem Soteria-Alltag ❮ 33 Soteria- Stammtisch Claudia Reich (Krankenschwester und stellvertretende Stationsleitung) ist eine der drei Kolleginnen, die momentan den monatlich stattfindenden Stammtisch für ehemalige Soteria-PatientInnen begleiten. „…ein Ort, wo ich mich nicht verstecken muss...der einzige Ort, wo ich über Probleme reden kann…“. Das ist die Antwort eines Besuchers auf die Frage, warum er zum Stammtisch geht. Die ehemaligen PatientInnen möchten Kontakt halten mit den „Soterianern“; schätzen die Gemeinschaft und den Erfahrungsaustausch außerhalb der Soteria. Das war auch die Ursprungsidee des damaligen Kollegen und Stammtischgründers Florian Beutel (Sozialpädagoge). Die Idee entstand in einer Zeit, als es in der Soteria wieder einmal eine sehr intensive Patientengemeinschaft gab. Diese Patientengruppe wollte sich auch nach dem Klinikaufenthalt weiterhin treffen. Florian Beutel fand es schade, dass die in der Soteria so wichtige therapeutische Gemeinschaft mit der Entlassung plötzlich endet. Er wollte die beiden Welten – die Zeit in der Soteria und das „Leben draußen“- miteinander verbinden. Er wollte dafür einen geschützten Rahmen außerhalb der Soteria schaffen. Es sollte eine regelmäßig stattfindende offene Gruppe für ehemalige PatientInnen zum Erfahrungsaustausch werden. So entstand der Soteria-Stammtisch, der sich einmal im Monat in der Tagesstätte des Sozialpsychiatrischen Dienstes Neuhausens mit einem Kollegen aus der Soteria trifft. Zusätzlich können auch aktuelle PatientInnen am Stammtisch teilnehmen. Wie das Treffen gestaltet wird, entscheidet die Gruppe. Es gibt viele Möglichkeiten wie gemeinsam Kochen, Spielen, Teetrinken oder einfach gemütliches Beisammensein. Am wichtigsten sind Kontakt und Austausch. Die Besucher er- zählen, wie sie ihr Leben meistern, von ihren Hoffnungen und Wünschen und auch von ihren Krisen. Es wird über Medikamente und Nebenwirkungen geredet und ebenso, wohin die nächste Reise geht. Da gibt es den langjährigen Besucher, der von seinen Tics erzählt, die junge Studentin voller Tatendrang, den Hartz IV Empfänger, der nicht weiß, ob er die Reha-Maßnahme machen soll, den jungen Mann, der nach fertigem Studium auf Jobsuche ist. Der erst kürzlich Entlassene berichtet, was er gerade so macht, eine Frau, die vom Leben in der TWG erzählt, die beiden Patienten, die aktuell noch stationär sind, hören den anderen aufmerksam zu… eine bunt gemischte Gemeinschaft. Besonders für die Menschen, die noch in der Krise sind, erlebe ich den Stammtisch als sehr ermutigend. Es gibt Hoffnung, dass trotz Psychose und Medikamenten-Einnahme ein „normales“ Leben mit Studium, Arbeit, Beziehung und vielen weiteren Perspektiven möglich ist. Hier ist Raum, um über die momentane Befindlichkeit zu reden und man trifft auf Verständnis. Hier darf man Lachen und den Kopf schütteln über all die erlebten „Verrücktheiten“. Ich freue mich jedes Mal auf den Stammtisch und bin gespannt, wer kommt und was er/sie zu erzählen hat. Und wenn wir uns dann auf den Rückweg Richtung Soteria machen, zieht manchmal ein Grüppchen weiter zur nächsten Kneipe… 10 Jahre Soteria 11/2013 34 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Mit den Augen der Kolleginnen und Kollegen MIT DEN AUGEN DER KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN Brief einer ehemaligen Kollegin Sophie du Buisson (Krankenschwester) hat von 2003 bis 2011 in der Soteria als Bezugstherapeutin gearbeitet und anlässlich des 10jährigen Bestehens diesen Brief verfasst. 10 Jahre Soteria. Ein Anlass um innezuhalten, zurück zu schauen und nachzudenken. Ich selbst habe rund acht Jahre in der Soteria gearbeitet; als ich zum Team dazu stieß, war die Soteria gerade einmal drei Wochen alt. „Ärzte schälen Kartoffeln, Krankenschwestern verfassen Arztbriefe, jeder macht alles.“ Ja, ich war live dabei. Ich habe also am Zauber des Anfangs teilhaben dürfen, habe ein kleines Stückchen Stationsgeschichte mit gestaltet, habe Entwicklungs-, Konsolidierungs-, Rück- und Erweiterungsschritte erlebt. Aus einer Soteria wurden zwei Soteria-Einheiten, wir betreuten nun auch Tagkliniker, PatientInnen kamen und gingen. „Was bedeutet es in der Soteria zu arbeiten? Schreib einen Brief an die, die nach dir kommen!“ Das trug man mir auf, als ich mich vor rund zwei Jahren vom Soteria Team verabschiedete. Nun denn, nichts leichter als das: Liebe zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Seid wachsam! Ja, nehmt euch in Acht vor der 14/E und der 14/O, die sich Soteria nennt. Ihr werdet dort auf alle erdenkliche Art und Weise eingewickelt, verwickelt, ausgepresst, regelrecht ausgezuzelt wie eine Weißwurst. Ihr werdet nicht mehr ein noch aus wissen vor lauter Befo, Bado, OPS und Doku, werdet schlaflos in euren Betten liegen und an Patientenverläufe denken. Ihr werdet morgens zwanghaft unter der Dusche Epikrisen und Krankenkassen-Verlängerungsanträge formulieren, werdet keine ruhigen Heimwege haben, weil ihr mal wieder den Kassenschlüssel oder gar das Telefon in eurer Jackentasche findet. Ihr werdet permanent daran denken, was ihr in eurem Dienst nicht geschafft habt und am Folgetag wird es noch mehr werden, was ganz dringend zu erledigen ist. Der Aufgabenstapel wird zu einem mächtigen Berg anwachsen und permanent drohen, euch irgendwann unter sich zu begraben. Vor allem werdet ihr nie genug getan haben und nicht nur das, ihr werdet nie genug sein, versagen! Ihr werdet euch ohnmächtig, wütend und ratlos fühlen. Patienten werden euch über den Rand des Wahnsinns ziehen, euch als Container nutzen; ganz zu schweigen von den Affekten, die eure KollegInnen oder die Oberärztin in euch auslösen werden. Ihr werdet unterbezahlt sein, eure Freizeit wird schrumpfen, überhaupt, ihr werdet ausbrennen und rasch altern. Jetzt sind es schon zehn Jahre - und graue Haare, die sind auf dieser Station keine Seltenheit! (...) I wo, großer Schmarrn, das kann man so nicht schreiben. Schließlich sind die ehemaligen, zukünftigen und verbliebenen Mitarbeiter doch auf freiwilliger Rechtgrundlage da, sollten sich stets professionell verhalten und ihre Neurosen ausschließlich außer Dienst pflegen. 10 Jahre Soteria 11/2013 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Mit den Augen der Kolleginnen und Kollegen ❮ 35 Also, ein nächster Versuch: Liebe zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Seid wachsam! Ja, nehmt euch in Acht vor der 14/E und 14/O, die sich Soteria nennen dürfen. Es gibt nicht viele richtig echte davon in der Welt! Ja, sie ist etwas Besonderes. Sie wird euch schnell ans Herz wachsen. Ihr werdet dort nicht nur arbeiten, sondern leben: kochen, essen, musizieren, kickern, kegeln, schlafen, spazieren gehen, lachen und Gespräche führen. Ihr werdet die Patienten irre normal und menschlich erleben: einer kocht besser als ihr, der andere ist ein begnadeter Klavierspieler, einer nervt etwas und wieder einer hört gut zu. Ihr werdet erleben, wie Menschen sich aus schwersten existenziellen Krisen, bis hin zum Verlust des Vertrauens in die eigene Wahrnehmung, ins eigene Denken und Fühlen, mit viel Mühe herauszuarbeiten suchen. Ja, ihr dürft im wahrsten Sinne des Wortes „Dabei Sein“, begleiten, mittragen, bzw. ein tragfähiges Gegenüber sein, stellvertretend die Hoffnung hochhalten und einen Schutzraum zur Verfügung stellen. Darüber hinaus werdet ihr eine Menge toller KollegInnen haben, die einfühlsam, kreativ, engagiert, (manchmal ein wenig zu) selbstkritisch sind und für die die Achtung der Einzigartigkeit und Würde des jeweiligen Patienten keine Floskeln darstellen. Ihr werdet, wenn’s wirklich brenzlig wird, ein offenes Ohr und eine helfende Hand von KollegInnen und dem Leitungstandem finden, ebenso wie jemanden, der bereit sein wird, den Dienst zu tauschen oder nach Feierabend ein Bier mit euch zu trinken. Nehmt euch in acht, die Soteria wird euch anrühren, prägen, euer Wertesystem verändern. Ihr werdet möglicherweise weinen, wenn ihr sie einmal wieder verlassen müsst. (...) Nein, ich habe damals keinen solchen Brief geschrieben und werde es auch heute nicht. 10 Jahre Soteria sind lediglich ein Anlass innezuhalten, zurückzuschauen und nachzudenken. Ein Anlass mich dankbar zu erinnern an kostbare, wenn auch nicht immer leichte, Begegnungen und Begebenheiten – sei es mit KollegInnen, sei es mit PatientInnen. Mich zu erinnern an Momente des Anfangens, des Wachsens, des sich Wiederaufrappelns ebenso wie an die des Scheiterns und des Sterbens, an Momente der Klarheit und der Zuversicht, wie an Momente der Verzweiflung und der Trauer. That’s life. Ja, entgegen vieler Prognosen, Ökonomisierungs- und Rationalisierungsprozesse, sie lebt, die Soteria im Klinikum München-Ost! Und ist mit ihren 10 Jahren doch noch nicht wirklich alt. Danke, weiter so und happy birthday! 10 Jahre Soteria 11/2013 36 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Mit den Augen der Kolleginnen und Kollegen Ersteindrücke - Ein Hospitationstag in der Soteria Margit Wildermuth (Krankenschwester) ist seit 2010 in der Soteria und arbeitet inzwischen als Bezugstherapeutin. Sie beschreibt die Eindrücke ihres Hospitations-Tages vor ihrer Einstellung. Neue Erfahrungen Ich hatte noch nie zuvor von Soteria gehört, die Bedeutung des Wortes - Wohl, Bewahrung, Rettung, - hatte mich berührt und die Erklärung im Internet, dass es sich um eine alternative stationäre Behandlungsform für Menschen in psychotischen Krisen handelt, hatte mich angesprochen. So machte ich mich, wohl ganz im Sinne des Gründers Loren Mosher, ohne jegliche psychiatrische Erfahrung, dafür ideologiefrei auf den Weg zum Hospitieren in die Soteria am Klinikum München-Ost. Ich betrat eine Jugendstilvilla, dessen alte Mauern mich freundlich empfingen, der Gang war breit und hell, mit farbig ansprechenden Bildern dekoriert, eine einladende angenehme Atmosphäre war spürbar. Es war ein Wohlfühlen von der ersten Minute an und ich hatte mich schon in diesem Augenblick für ein Arbeiten in der Soteria entschieden, dabei lag der Tag noch vor mir. Menschen zu sprechen, meine Befindlichkeit darzulegen. Die Fragen: Was sage ich, wie sage ich es, wie viel sage ich…. rasten durch meinen Kopf, dabei wurde meine Stimme immer zittriger, meine Professionalität schmolz dahin. Ein paar freundliche Blicke aus der Runde taten auch mir gut und halfen mir, wieder eine halbwegs sichere Mitte zu finden. Selbsterkenntnisse Ein Gong ertönte, es war Zeit für die Morgenrunde. Meine zukünftigen KollegInnen nahmen sich meiner an und gemeinsam mit den PatientInnen versammelten wir uns an einem großen Tisch im Wohnraum, dieser war mit Sorgfalt für das Frühstück gedeckt, das die meisten bereits eingenommen hatten. Ein Blick in die Runde, sind alle Patienten da? Hr. B. fehlte noch, er hatte in der Nacht kaum geschlafen und war noch nicht in der Lage aufzustehen. Die Morgenrunde begann ohne ihn. „Wer möchte denn heute die Morgenrunde leiten?“ Stille… Die meisten wirkten abwesend, noch sehr müde, manche starrten auf ihren Teller, ein misstrauischer Blick traf mich, ich spürte, wie ich gemustert wurde, das fühlte sich unangenehm an, ich versuchte trotzdem, freundlich zurückzublicken und erntete ein zaghaftes Lächeln. Hr. W. erlöste uns aus der Stille und erklärte sich bereit, die Morgenrunde zu leiten. Er wählte sich einen Stein aus dem Korb, der bereits auf dem Tisch stand, hielt diesen vorsichtig in Händen und beschrieb stockend, wie er geschlafen hatte und wie es ihm ging, dabei wanderten seine Augen immer wieder hilfesuchend zur diensthabenden Kollegin, die ihm aufmunternd zulächelte. Sichtlich erleichtert reichte Hr. W. den Stein weiter. Der sehr lebendige, nicht enden wollender Redefluss von Fr. S. ergoss sich in die Morgenrunde, sie hatte so viel zu erzählen, sprang von einem Thema zum nächsten und hätte sicherlich noch Stunden weiter erzählt, wäre sie nicht freundlich dazu aufgefordert worden, den Stein an ihren Nachbarn weiterzugeben. Nach einigen sehr kurzen, teilweise genervt oder lieblos hingeknallten Worten: „Habe gut geschlafen, mir geht es gut“, landete der Stein schließlich bei mir. Ich versuchte mich in kurzen Worten vorzustellen, bemerkte dabei, dass es mir gar nicht so leicht fiel, vor einer Gruppe fremder 10 Jahre Soteria 11/2013 Menschlichkeit Der Stein kam wieder zum Ausgangspunkt zurück. Hr. W. schien wenig begeistert, nahm ihn dennoch und hielt sich krampfhaft an dem Stein fest. Es sollte die Tagesplanung besprochen werden, die entsprechenden Fragen dazu sollte Hr. W. stellen, dieser wirkte überfordert und brauchte Unterstützung vom Team: „ Was steht heute an? Um zehn Psychotherapiegruppe…gut… danach Kochen. Wer hat denn heute Kochdienst?“ Hr. P. und Fr. S. meldeten sich…Hr. W. seufzte tief, als er mit dem Klopfen auf den Tisch die Morgenrunde endlich beenden konnte. Ein paar aufmunternde und vorsichtig lobende Worte der diensthabenden Kollegin zauberten dann doch ein leichtes Strahlen in das Gesicht von Hrn. W.. Die meisten Patienten strömten in Richtung Wintergarten zum Rauchen, einige räumten ihre Teller und Tassen in den Geschirrspüler, um den Rest musste sich der Frühstücksdienst kümmern. Ich half mit. Bei dieser banalen Alltagstätigkeit verlor ich meine Scheu und kam ganz selbstverständlich und unverfänglich mit den PatientInnen in Kontakt. Es hat sich gut angefühlt, mitten drinnen ein Teil des Ganzen zu sein, einfach mit dabei zu sein. Die Frage, ob ich mir zutrauen würde, die beiden Patienten bei der Planung des Mittagessens zu unterstützen, hatte mich gefreut. Da ich von den Abläufen und den Räumlichkeiten noch keine Ahnung hatte, war ich auf die Hilfestellung der Patienten angewiesen und so starteten wir die Entdeckungsreise „Kochplanung“. Meine Sorgen, ob ich es schaffen würde, mit Patienten in psychotischen Krisen Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Mit den Augen der Kolleginnen und Kollegen ❮ 37 richtig und gut umzugehen, lösten sich hierbei ein Stück weit auf, denn ich erlebte das gemeinsame Erledigen von Alltagstätigkeiten als einen Schlüssel, der ganz selbstverständlich zu einem menschlichen Umgang auf Augenhöhe führt und dabei viele Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten für beide Seiten bietet. so schwitzte ich tapfer beim Herausbacken der Fische, suchte dazwischen verlorengegangene Köche, die zum Rauchen oder auch ins Bett verschwunden waren, mobilisierte Ersatz für Patienten, denen die Kraft ausgegangen war und war letztlich genauso stolz und auch ziemlich erleichtert, als das Essen endlich am Tisch stand. Hoffentlich schmeckt es allen! Abenteuer Anerkennung So manche Ausflüge, die ich später mit PatientInnen unternehmen sollte, wurden zum Abenteuer, oft war ich aufgrund einer geringen Orientierungsfähigkeit meinerseits auf die Unterstützung aller Mitfahrenden angewiesen, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Gerade dieses „nicht alles können“ hat dabei immer wieder viel Gemeinsamkeit geschaffen. Beim Hospitieren und in meinen Anfangszeiten erlebte ich das Kochen als größtes Abenteuer, denn Kochen für fünfzehn Personen empfand ich als eine Herausforderung besonderer Art, die nicht zu meinem Erfahrungsschatz zählte und bei der ich noch lange Bauchweh hatte. An meinem Respekt und der Hochachtung vor der Leistung der PatientInnen, die sich dem Kochen jeden Tag auf Neue stellen, hat sich bis heute nichts verändert. Bei meinem ersten Kochabenteuer gab es gebackenen Fisch mit Kartoffelpüree und Salat. Zeitlicher Rahmen waren eineinhalb Stunden, dann sollte das Essen am Tisch stehen. „Schaffen die beiden Patienten das? Schaffe ich das?“ Auch als Teammitglied muss man sich den verschiedensten Herausforderungen stellen, um an ihnen zu wachsen und Wie schön, die meisten waren mit dem Essen zufrieden, vereinzelt gab es sogar Lob, zunächst von den KollegInnen, später auch von den Patienten. Dabei konnte man spüren, wie die Anspannung der Köche nachließ und auf den Gesichtern, einschließlich meinem eigenen, ein leichtes Strahlen sichtbar wurde. Die Anerkennung war wohltuend und motivierend für weitere Kochabenteuer. Fazit nach inzwischen drei Jahren Soteria Die gelebte Haltung des gesamten Teams, dass jeder -Patient, Kollege, Schüler, Praktikant - der zu uns kommt auf seine ganz besondere Art und Weise eine Bereicherung für uns und unsere Arbeit darstellt, gehört mit zu den wichtigsten Gründen, warum ich meine Tätigkeit mit Freude ausübe und mit Stolz hinter dem stehe, was Soteria für mich bedeutet. 10 Jahre Soteria 11/2013 38 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Mit den Augen der Kolleginnen und Kollegen 10 Jahre Soteria 11/2013 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Mit den Augen der Kolleginnen und Kollegen ❮ 39 10 Gründe in der Soteria zu arbeiten Philippe Spielmann (diplomierter Gesundheits- -und Krankheitspfleger) lebt und arbeitet in Linz in Österreich. Er absolvierte 2011 im Rahmen seiner Ausbildung ein vierwöchiges Praktikum in der Soteria 14/O. „Voller Faszination lernte ich diese Art der psychiatrischen Pflege kennen, die so anders ist als jene, die ich bis dahin kennengelernt hatte“ schreibt er in seiner Diplomarbeit über die Soteria. Außerdem schrieb er über sein Praktikum bei uns diesen Text. Das habe ich davon in der Soteria zu arbeiten Ein Erlebnis Ich habe die Möglichkeit, psychotische Menschen in all ihrer Vielfalt, Lebendigkeit und Kreativität zu erleben. Schule Ich werde im Umgang mit psychotischen Menschen geschult und entwickle darin Sicherheit und Kompetenz. Wertschätzung Ich bin eng in ein multiprofessionelles Team eingebunden, in dem Respekt und Wertschätzung sowohl gegenüber Teammitgliedern wie auch gegenüber Patienten gelebt wird. Offenheit und Lernbereitschaft Ich bin Teil eines neugierigen Teams, das bereit ist, unkonventionelle, experimentelle Wege zu gehen und nie aufhört zu lernen. Anerkennung Ich arbeite auf einer Station, welche bei Patienten sehr beliebt ist. Ich erlebe sehr viel Dankbarkeit und Anerkennung von den Patienten. Querdenken Ich erlebe meinen Arbeitsalltag als kreative Herausforderung – ich darf umdenken und querdenken. Abenteuer Der Alltag an meinem Arbeitsplatz ist sehr abwechslungsreich, birgt allerlei Überraschungen und ist manchmal geradezu abenteuerlich, er ist eigentlich ganz und gar un-alltäglich und fernab eines monotonen Klinikalltages. Intensiv Durch eine gute personelle Besetzung habe ich die Möglichkeit, intensiv mit Patienten zu arbeiten. Selbsterkenntnis Ich habe während der Arbeit immer wieder Gelegenheit, mich selbst besser kennenzulernen. Menschlichkeit Ich habe den Freiraum, meine Vorstellung von Menschlichkeit zu leben. 10 Jahre Soteria 11/2013 40 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Mit den Augen der Kolleginnen und Kollegen 25 Jahre in Haar - 10 Jahre Soteria Ein kunsttherapeutischer Bericht über den langen Marsch durch die Institution Christofer Schopf (Kunsttherapeut) hatte am 01.09.2013 sein 25jähriges Dienstjubiläum im Bezirkskrankenhaus Haar (heute: IAK-KMO). Er arbeitet von Beginn an in der Soteria mit und hat sein eigens und das Jubiläum der Soteria zum Anlass genommen, seine Erfahrungen und Sichtweisen aufzuschreiben. Manchmal lohnt es sich eben dran zu bleiben. Für meine 25 Jahre habe ich einen freien Tag bekommen und eine Urkunde im Rahmen einer teaminternen Überreichung. Auch wenn es mir im Vorfeld als nicht sonderlich bedeutsam erschien, so habe ich mich doch über diese Anerkennung gefreut. Für kurze Zeit hob mich diese Wertschätzung heraus aus dieser immer noch zu großen Institution, plötzlich fühlte ich mich besonders, als Christofer Schopf, ein Kunsttherapeut mit seiner ganz eigenen Geschichte. Ich glaube, jeder Mensch hat den Wunsch in seiner Besonderheit wahrgenommen zu werden. Deshalb passt es, dass ich letztlich in der Soteria meinen Platz gefunden habe. Seit vier Jahren bin ich mit einer halben Stelle nur noch dort. Zuvor arbeitete ich in separaten Therapie-Räumen und kam nur zu Besprechungen auf die verschiedenen Stationen des Fachbereichs West, mit denen ich zusammenarbeitete. Eine davon war seit ihrem Bestehen die Soteria. Ich bin ein bisschen eigensinnig. Und ich habe keinerlei Vertrauen in den Versuch, menschliche Probleme in standardisierter Form erfassen und behandeln zu wollen. Man- 10 Jahre Soteria 11/2013 che werden vielleicht einwenden, dass es bei psychotischen Störungen nicht um diffuse menschliche Probleme, sondern um ernsthafte Krankheiten geht, die im ICD 10 bzw. im DSM trennscharf beschrieben seien. Und dass eine exakte Diagnose die wesentliche Grundlage für eine fachkundige, primär medikamentöse Behandlung sei und außerdem die moderne Qualitätssicherung doch zu vielen Verbesserungen in der Behandlung geführt habe, etc.. Ich könnte mit Faust antworten: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“. Und das nach 25 Jahren klinischer Erfahrung. Einiges hat sich getan in dieser langen Zeit. Anfangs arbeitete ich mit der Bildhauerin Rotraut Fischer zusammen, dann kam schon bald meine erste kunsttherapeutische Kollegin Claudia Burgard dazu. Wir haben zum Teil noch mit Menschen gearbeitet, die ihr halbes Leben in der Psychiatrie verbracht hatten, sogenannte Langzeitpatienten. Einzelne von ihnen hatten Lobotomie und die Kombination aus Insulin- und Elektroschocks noch am eigenen Leib erlebt, massive Spätdyskinesien aufgrund viel zu hoher Neuroleptika- Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Mit den Augen der Kolleginnen und Kollegen ❮ Dosierungen waren kein seltenes Bild. Manche Gesichter und die dazugehörigen Geschichten werde ich nicht vergessen. Sie waren gezeichnet für den Rest ihres Lebens. Längst war es vollkommen unmöglich, die Folgen der Hospitalisierung und die ursprünglichen individuellen Problemen zu unterscheiden. Diese Zeit und die Frage nach den Ursachen dieser Missstände haben mich geprägt. Aber nicht deshalb bin ich in Haar geblieben. Ich habe damals, quer durch die Berufsgruppen, eine ganze Reihe von glaubwürdigen Menschen kennengelernt und erlebt, die alle mit großem Engagement an der Humanisierung und Reformierung der Psychiatrie arbeiteten. Und ich spürte in mir eine Affinität zu den sogenannten „Verrückten“. Einige mochte ich einfach in ihrer teilweise sehr eigenwilligen Art und es erschien mir ziemlich leicht, Kontakt zu ihnen zu bekommen und mit ihnen zusammen zu arbeiten. In den 90er Jahren kam es in Folge der Psychiatrieenquete zur schrittweisen Auflösung der Verwahrpsychiatrie. Ich erinnere mich noch gut an einen älteren Herrn. Er wurde nach Jahrzehnten in Haar in eine Wohngemeinschaft nach Giesing 41 verpflanzt und kam noch einige Zeit ambulant in die Kunsttherapie. Er malte wochenlang nur noch Häuserzeilen, verarbeitete in den Bildern, was an neuen Eindrücken auf ihn einstürmte, erschuf sich seine Landkarte der neuen Welt. Salopp gesagt erfolgte damals der Wandel von der Anstalt zum Krankenhaus. Am ersten Tag der offenen Tür wurde Haar fast überrannt von Interessenten. Es war eine Art innergesellschaftlichen Maueröffnung, die damals stattfand. Durch die bundesweit gültige Psychiatriepersonalverordnung besserten sich die Personalschlüssel spürbar, viele neue therapeutische Ideen und Ansätze hielten Einzug. Sozialpsychiatrische Perspektiven und Persönlichkeiten prägten einige der Stationen, das gesamte Krankenhaus wurde neu strukturiert, die 4 allgemeinpsychiatrischen Fachbereiche entstanden, die internen Fortbildungen waren gut besucht, die Diskussionen rege und engagiert. Es war ein kurzes Aufatmen. Doch auch diese Phase ist schon wieder Geschichte. Seit Anfang des Jahrtausends ist die Entwicklung des Gesundheitssystems geprägt von der Einführung der Qualitäts- 10 Jahre Soteria 11/2013 42 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Mit den Augen der Kolleginnen und Kollegen sicherung, Fallpauschalen, Leitlinien, Standards, etc.. Ihre wichtigste Funktion ist die Überprüfbarkeit von einzelnen Leistungen und eines der wichtigsten Ziele ist die Kostensenkung vor allem im stationären Bereich. Verknüpft damit ist der Glaube - besser gesagt die Ideologie - dass sich eine austauschbare, personenunabhängige Behandlungsqualität durch die Implementierung z.B. ISO-zertifizierter, standardisierter Handlungsabläufe herstellen lasse. Alles wird immer besser (durch den kontinuierlichen Verbesserungsprozess), kostet immer weniger und funktioniert immer unabhängiger von wirklichen Menschen. Auf der Strecke bleibt in diesem Denken und Handeln die Bedeutung des Individuums. Die Freiheit bzw. die konkreten Handlungsspielräume des einzelnen Menschen, sowohl der PatientInnen als auch der BehandlerInnen werden wieder zunehmend enger, dafür wachsen die Umsätze der Krankheitsindustrie. Dabei machen die einzelnen Menschen und Atmosphären der Behandlung den Unterschied. Es „menschelt“ überall. Das gilt nicht nur für die Soteria, sondern für jede Station. Nur wenn man sich als Person gemeint fühlt und ein spürbares Wohlwollen und gegenseitiges Vertrauen den gemeinsamen Alltag prägen, ist man als Mitarbeiter/in bereit, sein Bestes zu geben, und als Patient/in bereit, sich zu öffnen und Selbstverantwortung zu übernehmen. Es braucht Spielräume, in denen sich motivierende Ideen und Haltungen entfalten können und eine Alltagspraxis, an deren Gestaltung alle konkret beteiligt sind. So entsteht Stationsidentität und echte Kooperation. Ich bin in der Soteria auch Kunsttherapeut, aber ich bin vor allem ein Mitglied des Teams und bringe mich in viele verschiedenen Situationen mit meinen alltäglichen und besonderen Fähigkeiten ein. Ich erlebe eine große Sinnhaftigkeit in meiner Arbeit und entsprechend ist meine Zufriedenheit. Eine Patientin hat, anlässlich eines Interviews zum Thema „10 Jahre Soteria“, an einer Stelle beschrieben, wie sie die Soteria-Mitarbeiterinnen erlebt: „Ich hab nämlich das Gefühl, die Leute hier strahlen nicht so das Gestresste aus. Die Anderen waren immer fast schon genervt von den Patienten. Ich finde, die Leute, die es gut machen, die haben kein Problem mit den Patienten. Die haben Spaß an ihrer Arbeit und sehen einen Sinn in ihrer Arbeit und das strahlen sie dann auch aus. Die wirken irgendwie..., die ruhen so in sich selbst und sind gut gelaunt. Die laufen nicht durch die Gegend und man sieht ihnen an, die freuen sich schon wieder auf den Feierabend. Und das macht den Patienten ein gutes Gefühl“. Dem, was sie da im Kern sagt, werden natürlich alle zustimmen: Zufriedene MitarbeiterInnen ermöglichen, dass sich PatientInnen gut fühlen. Wie aber kommt es zu zufriedenen oder unzufriedenen MitarbeiterInnen? Wenn zu viel vorgegeben ist, zu viel Energie in Anpassungsleistungen und bloßes Funktionieren fließt und gleichzeitig die Personalbesetzung immer dünner wird, dann geht die Freude an der Arbeit verloren, die MitarbeiterInnen brennen aus und distanzieren sich in Folge zunehmend von ihrem anstrengenden „Job“ und von den PatientInnen. In geschlossenen psychiatrischen Stationen herrscht in diesem 10 Jahre Soteria 11/2013 Sinne eine oft sehr spürbare Distanz zwischen Personal und Patienten und genau dann kommt es schneller zu eskalierenden Konflikten, zu Zwangsmaßnahmen und Traumatisierungen, sowohl von PatientInnen als auch von MitarbeiterInnen. Mit daraufhin steigenden Dosierungen von Medikamenten und einem inneren Rückzug auf beiden Seiten schließt sich der negative Regelkreis. Darüber wird nicht gerne geredet, man möchte lieber als unverwundbar und stark erscheinen, „sanftere“ Ansätze wie die Soteria werden gerne mal als „Kuschelpsychiatrie“ abgetan. Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Mit den Augen der Kolleginnen und Kollegen ❮ Ein wirklicher Unterschied ist, dass wir in der Soteria eine hohe Aufmerksamkeit auf die belastenden und (re-)traumatisierenden Situationen verwenden, die natürlich auch in unserem Alltag auftreten. Wir versuchen, keinen allein zu lassen mit seiner Not und gleichzeitig alle Beteiligten ausreichend zu schützen. Das Weiche Zimmer und die 1:1 Begleitung sind in diesem Sinne das intensivste Angebot, das wir machen. Für das Team haben diesbezüglich Supervision und gemeinsame Team-Fortbildungen einen sehr hohen Stellenwert. Psychotische Erregungszustände und Konflikte aller Art ohne Zwangsmaßnahmen und mit geringen Medikamenten-Dosierungen zu bewältigen, ist mitunter alles andere als kuschlig. Erforderlich ist die Bereitschaft, auch in schwierigen Situationen in Kontakt und Verhandlung zu bleiben, immer wieder Beziehungsangebote zu machen und gleichzeitig ausreichende Grenzen zu setzen. Das „Being with“ ist primär keine medizinische Methode, sondern eine menschliche Haltung, die sich aus der Überzeugung und Erfahrung speist, dass sich die psychischen Selbstheilungskräfte unter menschenwürdigen, schützenden und zugleich Selbstbestimmung fördernden Bedingungen am besten entfalten können. Lange Zeit herrschte in der Psychiatrie die Meinung, dass mit verstehenden und beziehungsorientierten Ansätzen bei PatientInnen mit psychotischen Störungen nicht viel zu erreichen sei. Die Bild der weitgehend genetisch bedingten Hirnstoffwechselstörung war und ist nach wie vor weit verbreitet, auch wenn sich die Hypothese der definierbaren genetischen Störung explizit nicht bestätigt hat. „Es gibt keine Genetik der Schizophrenie...“ ist die ernüchterte Zusammenfassung von Wolfgang Maier am Ende seiner jahrzehntelangen Forschung zu diesem Thema. Es gibt gute Gründe und viele konkrete Erfahrungen und Rückmeldungen von PatientInnen, die zeigen, dass es sich lohnt, das Bedürfnis nach Normalität und nach einer freundlichen und schützenden Atmosphäre nicht als banales Beiwerk, sondern als wesentliche Bedingung einer menschenwürdigen und wirksamen Behandlung zu verstehen. Die psychodynamischen, sozialen und systemischen Zusammenhänge rücken dabei verstärkt in den Fokus, die medikamentöse Behandlung wird als wichtige Ergänzung betrachtet. Ich finde, wir machen Einiges richtig in der Soteria. Ich sage das nicht ohne Stolz. Natürlich gibt es auch bei uns ungelöste Konflikte, schwierige Teamdynamiken, Misserfolge, Ärger, Tratsch und Rivalität. Aber wir haben über die Jahre als Team die Fähigkeit entwickelt, damit ausreichend bewusst umzugehen und mit einer gewissen Achtsamkeit die Dinge zu Sprache zu bringen. Das ist nicht immer ideal, aber es ist alltagstauglich. Es ermöglicht einen gangbaren Weg zu finden zwischen Leugnung der Konflikte, bloßer Anpassung oder zermürbenden Kämpfen. Wir gehen davon aus, dass unsere Fähigkeit mit eigenen Schwächen und Konflikten ausreichend konstruktiv umzugehen, in einer direkten Resonanz steht zu den Fähigkeiten der PatientInnen, ihre Schwierigkeiten aktiv wahrnehmen und anpacken zu können. Diese Sicht ist nicht 43 spezifisch für die Soteria, aber sie hat dort eine besondere Ausprägung gefunden. Ist die Soteria ein psychiatriekritischer Anachronismus oder ist sie ein wichtiger Beitrag zur Entstehung einer besseren Psychiatrie? Es besteht diesbezüglich immer noch Nachholbedarf und durch Gustl Mollath ist es wieder einmal medienwirksam ins Bewusstsein gerückt. Es geht in einer demokratischen Gesellschaft letztlich immer um Freiheit, Transparenz und um wirkliche Teilhabe. Es gibt für dieses Problem kaum einen sensibleren Bereich als die Psychiatrie. In manchen Punkten hat sich an meiner Sicht der Dinge in den 25 Jahren nichts verändert. Noch immer ist für mich das wichtigste, den ganzen Menschen -einschließlich seiner Störung- zu behandeln, anstatt „eine Krankheit“ zu behandeln und dabei primär zu versuchen, deren Symptome so schnell wie möglich zum Verschwinden zu bringen. Viel wichtiger ist die Fähigkeit eines Teams, bzw. aller Beteiligten, Situationen zu deeskalieren, zu beruhigen, Zeit zu gewinnen, reizarme Situationen zu schaffen und Selbstregulation zu ermöglichen. So lassen sich Traumatisierung und Stigmatisierung durch Behandlung weitgehend vermeiden: Ein engagiertes Team, ein überschaubares Haus mit Garten, dessen Bewohner, Abläufe und Spielregeln man kennt. Ein spürbares gemeinsames Interesse, nämlich Hilfe zu schaffen. Ein gemeinsamer Alltag, der von den einfachen Notwendigkeiten strukturiert ist (kochen, sauber machen, waschen, etc.) und BehandlerInnen, die von ihrem Handwerk etwas verstehen und die sich trotzdem nicht wie distanzierte Profis benehmen, sondern wie normale Menschen. Ich kann nur sagen: es lohnt sich und ich bin dankbar für die Möglichkeit, diese Idee gemeinsam verwirklichen zu können. 10 Jahre Soteria 11/2013 44 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Sichtweisen von außen SICHTWEISEN VON AUSSEN Der Soteria-Beirat Seit 2005 besteht der Soteria-Beirat. Er setzt sich aus VertreterInnen der Betroffenen und Angehörigen, der Krankenkassen, der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft München, der niedergelassenen PsychiaterInnen, der Krankenhausleitung sowie jeweils vier der aktuellen PatientInnen und der Oberärztin der Soteria zusammen. Der Beirat tagt zwei bis dreimal jährlich. Er dient dem kommunikativen Austausch mit Personen und Funktionsträgern, die einen engen Bezug zur Soteria und zur Soteria-Idee haben. Er fördert den Trialog und unterstützt die Soteria beratend in grundsätzlichen Angelegenheiten. Dazu gehören Grundsatzfragen des Konzepts, Finanzierungsfragen, Öffentlichkeitsarbeit und Begleitforschung. Im Folgenden beschreiben einige der Beiräte ihre Sichtweise der Soteria und der Beiratsarbeit: Frau Dr. Sybille Groß - Vertreterin der Angehörigen (Aktions-Gemeinschaft der Angehörigen psychisch Kranker (ApK) Für die APK München (Aktionsgemeinschaft der Angehörigen psychisch Kranker) bedeutete die Installation der Soteria im Klinikum München-Ost die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches. In Gesprächen und Beratungen bei uns zeigt sich bis heute, dass diejenigen, die sich schon viele Jahre bevor die Soteria Realität wurde, für sie eingesetzt haben, von heute aus gesehen das Richtige taten. Die Soteria ist in den letzten 10 Jahren gewachsen; ich erlebe im Beirat diese Entwicklung mit und versuche den Angehörigen zu vermitteln: wir haben hier ein besonderes Angebot, das sicher nicht für alle, aber für viele, Hilfe und Ermutigung bedeuten kann. Herr Stefan Poggemann - Vertreter der AOK Bayern und der Krankenkassen Mir imponiert als „Zahlenmensch“ die Begleitforschung der Soteria. Es wird unermüdlich darauf geachtet, dass Thesen durch harte Zahlen belegt oder widerlegt werden können. Dass die erfolgreiche Arbeit der Soteria aber mehr ist als dass, was sich in den Zahlen positiv widerspiegelt, wurde mir spätestens im Rahmen meiner Beiratstätigkeit klar. Durch die Personen, die ich im Beirat kennen gelernt habe, durch die Berichte der an den Sitzungen teilnehmenden Patienten und Patientinnen und durch die Schilderungen von Frau Hurtz über die Abläufe in der Soteria ist bei mir der nachhaltige Eindruck entstanden, dass das Konzept der Soteria nicht nur als Arbeitsplatz und Versorgungsangebot wahrgenommen wird, sondern als Herzensangelegenheit gelebt wird. 10 Jahre Soteria 11/2013 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Sichtweisen von außen ❮ Herr Johann Fahn, Direktor der AOK-Bayern a. D. - berufenes Beirats-Mitglied Aus der Idee ist Wirklichkeit geworden – 10 Jahre Soteria – Ging es bei der Idee SOTERIA nur um einen neuen Namen für etwas Bestehendes? Oder: Sehen wir SOTERIA als Herausforderung und Chance für das Ziel einer bedarfsorientierten Versorgungsstruktur, um ein möglichst vielfältiges Angebot an Behandlungseinrichtungen zu erreichen? Ja, aus der Idee ist Wirklichkeit geworden und diese Wirklichkeit erleben wir in einer sehr Patienten-orientierten Klinikeinheit. SOTERIA hat sich etabliert, ergänzt die bestehende Versorgungsstruktur mit einem weiteren Behandlungsspektrum. SOTERIA erfährt eine überaus positive Akzeptanz durch die Patientinnen und Patienten und zeichnet sich durch eine nachhaltige Effizienz aus, das bestätigen die Daten der Begleitforschung. So dürfen wir heute sagen: SOTERIA ist auf einem guten Weg in die Zukunft. Alfred Deisenhofer - Vertreter der Münchner Psychiatrie-Erfahrenen (MüPE) Soteria, die unsterbliche Hoffnung - Soteria, von Loren Mosher 1971 in Kalifornien gegründet, war von Anfang an die unsterbliche Hoffnung der Psychiatrie-Erfahrenen. Mosher versprach, Psychosen grundsätzlich ohne den Einsatz starker Medikamente in einem reizarmen, zuwendungsreichen nicht-stationären Umfeld zu heilen. Seine Einschränkung war, dass in seiner Soteria nur Erstpsychosen aufgenommen wurden. Loren Mosher, der kompromisslos sein Ziel verfolgte, starb 2004, seine Idee aber lebt weiter. Seit 10 Jahren auch in dem Münchener Soteria- Projekt Nicht alle Blütenträume von medikamentenfreier Wiederherstellung und Salutogenese konnten realisiert werden. Die Erfolge aber sind ermutigend. Soteria hat die volle Unterstützung der Münchner Psychiatrie-Erfahrenen (MüPE) als Wegbereiter eines eigenverantwortlichen Umgangs der Betroffenen mit Psychosen. Wir freuen uns, dass die Soteria München in der Zwischenzeit größer geworden ist, wünschen ihr zum 10. Geburtstag alles Gute und ein langes und erfolgreiches Leben und Wirken zum Wohl der Patienten und eine dauerhafte Vorreiterrolle und Vorbildrolle für alle Bereiche der stationären und gemeindenahen Psychiatrie. Dr. med. A. Niederschweiberer Vertreter der niedergelassen Psychiater und Nervenärzte Als Herr Dr. Eymer (damaliger Chefarzt der Allgemeinpsychiatrie West) mich Anfang 2005 fragte, ob ich bereit wäre, den bis dahin vakanten Platz als Vertreter der niedergelassenen Psychiater und Nervenärzte im Soteria-Beirat einzunehmen, sagte ich ohne lange nachzudenken Ja und habe dies bis heute nicht bereut. Die zwei- bis dreimal jährlich stattfindenden 45 Arbeitstreffen sind für mich sehr bereichernd und trotz des weiten Anfahrtswegs stets lohnend. Durch die vielfältigen und fundierten Informationen von Frau Hurtz habe ich das inhaltliche Konzept und den therapeutischen Alltag der Soteria im Lauf der Zeit immer besser kennengelernt. Seit die Sitzungen direkt in der Soteria stattfinden und teilweise auch Patienten als Gäste teilnehmen, ist mir auch die typische Soteria-Atmosphäre noch vertrauter geworden. Natürlich ist auch der Austausch mit den Soteria-Mitarbeitern, der Klinikleitung, den Vertretern von Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen und Krankenkassen und den anderen Beiratsmitgliedern immer wieder wertvoll und befruchtend. An der einen oder anderen Stelle versuche ich, den Blickwinkel und die Bedürfnisse der ambulanten Versorger einzubringen und Anregungen zur Optimierung der „Schnittstellenproblematik“ zu geben. Im Juli 2013 stellte Frau Hurtz das Konzept und den therapeutischen Alltag der Soteria bei einem Treffen der Arbeitsgemeinschaft Münchner Nervenärzte und Psychiater vor, was bei den Kollegen großen und positiven Anklang fand. Ich persönlich habe in den letzten Jahren das Soteria-Konzept und insbesondere dessen konkrete Umsetzung im „Haus im Park“ des Klinikums München-Ost so sehr schätzen gelernt, dass ich dankbar und stolz bin, im Beirat mitzuarbeiten. Ich gratuliere der Soteria von Herzen zum zehnten Geburtstag und wünsche Frau Hurtz und ihrem Team auch für die nächsten zehn Jahre weiterhin so viel Kraft, Freude und Geschick wie bisher, um das modellhafte Projekt einer modernen, partnerschaftlichen und humanen Psychiatrie so vorbildlich und erfolgreich weiterentwickeln und wertvolle Impulse für andere Versorgungsbereiche geben zu können. Frau Rosemarie Karmann und Frau Hilde Kormann-Linins für die Aktions-Gemeinschaft der Angehörigen psychisch Kranker (ApK) Angehörige werden einbezogen - Wir Mitglieder der ApK sind der Soteria sehr verbunden. Denn wir haben gemeinsam mit den Professionellen und Betroffenen seit 1995 bei monatlichen Treffen in der Arbeitsgemeinschaft Soteria München (ASM) – und bereits 1993 als Arbeitskreis Soteria - trialogisch für die Soteria gekämpft. Und deswegen waren wir hocherfreut, als bei der gemeinsamen Tagung der ASM, dem Bezirk Oberbayern und der Landeshauptstadt München am 19. Juli 2002 der Durchbruch gelang: Eine Soteria im Gelände des Bezirkskrankenhauses Haar wurde genehmigt! Sehr begrüßen wir die Einbeziehung der Angehörigen in die Behandlung der PatientInnen als wichtigen Bestandteil des Soteria-Konzepts. Dazu gehören Familiengespräche und Vorgespräche mit den Angehörigen und das Angebot einer regelmäßigen Angehörigengruppe. Deshalb unterstützt die ApK auch die Arbeit der Soteria durch Teilnahme an den Sitzungen des Beirates und der Kooperationstreffen. Dem Team gratulieren wir zum zehnjährigen Bestehen der Soteria und danken Ihnen allen für Ihren unermüdlichen Einsatz. Für die Zukunft wünschen wir uns, dass möglichst viele Betroffene an diesem Konzept teilhaben können. 10 Jahre Soteria 11/2013 46 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Sichtweisen von außen Die Sicht des Supervisors - Einige Anmerkungen zur Bedeutung der Soteria innerhalb der psychiatrischen Versorgung Dr. med. Günter Lempa (Psychiater und Psychoanalytiker) ist niedergelassener Psychotherapeut und Supervisor. Er hat seit 2003 die monatliche Fall- und Teamsupervision in der Soteria durchgeführt, seit 2010 für beide Soteria-Einheiten. Wenn man, wie der Verfasser dieses Textes, während mittlerweile 40 Jahren in Zivildienst, Studium und Arbeitsleben verschiedene psychiatrische Einrichtungen und Kliniken kennen lernte, kann man über eine Vielzahl von Erfahrungen berichten. Es gibt große Unterschiede darin wie Professionelle - also Ärzte, Psychologen, Krankenschwestern - und falls vorhanden -Sozialpädagogen, Ergo-, Gestalt-, Musik- und Bewegungstherapeuten - mit Menschen umgehen, die unter psychiatrischen Erkrankungen leiden. Man könnte sagen, es bestehen bestimmte Bilder vom Patienten und aus diesen Bildern ergibt sich eine bestimmte Praxis des Umgangs mit dem Patienten. Dazu im Folgenden einige Beispiele. Ein Blick in verschiedene psychiatrische Welten In einer psychiatrischen Universitätsklinik war der Patient vor allem ein Objekt der Forschung. Damals ging es um die Erforschung der Größe der Gehirnventrikel, die man mit Luft füllte, um sie besser messen zu können. Das war für die Patienten sehr schmerzhaft, sie litten unter starkem Kopfweh. Es gab keine Teambesprechungen. Die Pfleger und Schwestern wussten nichts von den Patienten. Sie sollten auch nicht zu viel mit ihnen sprechen, sondern allzeit für Ruhe, und - besonders wichtig - für Ordnung und jederzeit gemachte Betten sorgen. In einem psychiatrischen Krankenhaus bestand die Behandlung von psychotischen Patienten ausschließlich in der (selten freiwilligen) Gabe eines hochdosierten Neuroleptikums etwa Glianimon zusammen mit einem niedrig potenten Neuroleptikum wie Atosil als Mischinjektion. Die psychotische Erkrankung, das waren die Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Der Psychiater war vor allem ein Detektiv, der bei einem Patienten diese Symptome feststellte, die in der Folgezeit recht drastisch durch Medikamente bekämpft wurden. Waren die Symptome nicht mehr feststellbar, war die Behandlung beendet. In einem weiteren psychiatrischen Krankenhaus war man als unerfahrener Assistenzarzt für etwa 200 Patienten zuständig. Es gab eine Oberärztin, die außerhalb einer Visite, die etwa alle zwei Wochen stattfand, nicht ansprechbar war, da sie ihrer Hauptbeschäftigung, der Abfassung von gerichtlichen Gutachten nachging. Die Patienten erhielten verschiedene Medikamente, die immer mehr akkumulierten. Gab es Probleme mit einem Patienten, erfolgte eine Erhöhung der Dosis, die vom Pflegepersonal vorgeschlagen und dann vom Arzt abgesegnet wurde. In die andere Richtung einer Reduktion der Dosis ging es praktisch nie. Der Patient war in diesem System ein Insasse, der verwahrt und verwaltet wurde. Er war kein Mensch mit einem eigenen Gesicht und einer eigenen Geschichte, er interessierte nicht einmal als Forschungsobjekt. Im anderen Extrem konnte man in Einrichtungen, die sich gegen die etablierte Anstaltspsychiatrie verschworen hatten und die versuchten, ihre Patienten oder Klienten nicht durch 10 Jahre Soteria 11/2013 Zwangsmaßnahmen zu traumatisieren, beobachten, dass die zu Betreuenden sozusagen die Macht übernahmen und nicht mehr oder nur mit größter Mühe eingrenzbar waren. Die große unreflektierte Nähe zu den psychisch kranken Klienten, der Versuch, sich mit ihnen zu verbünden, führte dann nicht selten zur Überforderung, modern ausgedrückt, zum Burn-out des (über)engagierten Personals. Auf als modern angepriesenen psychiatrischen Versorgungsmodellen wiederum können sich das Leid und die Angst der Patienten gleichsam verflüchtigen. Es wird dabei sozusagen in eine sozialpsychiatrische Umlaufbahn geschossen, wobei nie jemand da ist, der Zeit hat, die oft schwer erträglichen Konflikte aushält, mit dem Patienten bearbeitet und versucht, mit dem Patienten Alternativen zu erarbeiten. Der Patient wird dabei als vor allem soziales Problem gemanagt, die subjektive Seite der Erkrankung bleibt außen vor. Dieser Rückblick zeigt verschiedene durchwegs einseitige Zugänge zur psychiatrischen Erkrankung. Der Patient ist ein Objekt der Forschung, er ist der Träger von Symptomen, die es auszuschalten gilt, er ist jemand, den man verwahren und ruhig stellen muss oder er ist jemand, den man gegen die „böse Psychiatrie“ in Schutz nehmen muss. Er ist schließlich ein gesellschaftliches Problem der psychiatrischen Versorgung, das kostengünstig behoben werden muss. Überblickt man die dargestellten psychiatrischen Einrichtungen und Verhaltensweisen, so zeigen sich also durchwegs Einseitigkeiten. Bezogen auf das in der Psychiatrie allgemein anerkannte bio-psycho-soziale Modell der Erkrankung fehlt ganz deutlich die psychologische Dimension. Psychiatrische Erkrankungen und darunter ganz besonders auch Psychosen haben eine sehr ausgeprägte psychologische Dimension. Es geht um existenzielle Konflikte, um Dilemmata im Umgang anderen. Um Probleme von Abhängigkeit und Autonomie, um Schwierigkeiten im Umgang mit Nähe und Distanz. Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Sichtweisen von außen ❮ 47 Ein Blick in die Soteria Bei einem Beitrag zu einem Jubiläumsband, wie diesem anlässlich des 10 jährigen Bestehens der Soteria, besteht immer die Gefahr, dass man sich allzu sehr in Lobpreisungen ergeht. In Anbetracht meiner 10-jährigen Erfahrung als Supervisor kann ich dennoch nicht anders, als einige in der derzeitigen psychiatrischen Landschaft selten anzutreffenden positive Qualitäten dieser Behandlungsform hervor zu heben, die weit über die übliche psychiatrische Versorgung, die in der Soteria natürlich auch geleistet wird, hinaus gehen. In der Soteria wird ein Mensch, der an einer Psychose erkrankt ist, als Mensch mit seinem Leid, seinen Schmerzen und Ängsten wahrgenommen. Die Behandlung besteht darin, sich ein Bild eines Menschen zu verschaffen, der in einer existenziellen Notlage mit einem Zusammenbruch reagierte. Die Behand- lung besteht deswegen nicht darin, jetzt ganz schnell die Symptome, die ja nur die oberflächlichen Auswirkungen einer tiefgreifende Krise sind, zum Verschwinden zu bringen, sondern mit dem Patienten neue Lösungsmöglichkeiten für Schwierigkeiten im Kontakt mit sich selbst und anderen zu erarbeiten. Man könnte diese Berücksichtigung des psychologischen Faktors der Erkrankung als eine primäre Aufgabe der Psychiatrie bezeichnen. Diese Aufgabe erfüllt die Soteria mit einem engagierten, kreativen und lebendigen Team, das sich trotz der nicht zu vermeidenden Schwierigkeiten und Rückschläge nicht die Hoffnung in die Entwicklungsmöglichkeiten der Patienten nehmen lässt. Man kann dieser Behandlungsform, von der viele Patienten profitieren, nur viele weitere erfolgreiche Jahre wünschen. 10 Jahre Soteria 11/2013 48 Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen ❯ Sichtweisen von außen Team-Klausuren Ulla Häusler ist Therapeutin und Supervisorin. Sie moderiert und leitet seit vielen Jahren die regelmäßigen Klausuren des Soteria-Teams. Seit 2005 begleite ich als Moderatorin die Team-Tage der Soteria im Klinikum München-Ost. Die Entwicklung des Teams verfolgen zu können, war von Beginn an für mich spannend und bereichernd. Angesichts der Pionierarbeit, die die Soteria in der psychiatrischen Landschaft allgemein und im Klinikum im Besonderen leistet, und der speziellen Haltung den Patienten und ihrer Erkrankung gegenüber, stand sowohl jeder einzelne Mitarbeiter als auch das Team vor der Aufgabe, sich eine neue berufliche Identität zu erarbeiten. Die Wertvorstellungen, die eine Soteria ausmachen, können nicht auf die Beziehung zum Patienten beschränkt werden, sondern müssen als ethische Haltung vom Mitarbeiter angenommen und im Team umgesetzt werden. Außerordentliche Aufgaben bergen die Gefahr, Schwierigkeiten und Misserfolge in besonderem Maße zu erleben. Das Team muss die Ängste des einzelnen, am Soteria-Gedanken zu scheitern, halten und einen sicheren Ort bieten, an dem diese Ängste verarbeitet werden können. Dazu kommt die hohe Anforderung an ein Soteria-Team, die gemeinsame Matrix des Umgangs miteinander, des Umgangs mit den Patienten und der Patienten untereinander stets im Blick zu haben, denn Ideale des menschlichen Miteinanders können nicht geteilt werden. 10 Jahre Soteria 11/2013 Widersprüche müssen ausgehalten werden können: eine flache Hierarchie bei der Notwendigkeit, dass sich jede Therapeutengruppe eine eigene Identität erarbeitet; eine Identifikation mit den Zielen der Soteria bei gleichzeitiger Fluktuation im Team; die Bereitschaft, Nähe zum Patienten herzustellen bei einer begrenzten Behandlungsdauer etc. Trotz des Spagats zwischen den Sachzwängen eines Krankenhauses und den Leitmotiven der Soteria bei der Behandlung psychotischer Patienten hat das Team eine Standfestigkeit entwickelt, die sogar eine Erweiterung der Soteria ermöglichte. Zweimal im Jahr habe ich mit dem Team eine Kommunikationsstruktur gestaltet, die diesen subtilen Prozess voran brachte: sich im Umgang mit Patienten und Kollegen in einem Kontext zu reflektieren, in dem psychiatrische Patienten nicht ausgrenzt werden, sondern ihre Heilung in einem sozialen Umfeld verortet wird. Dieses Umfeld für die Patienten zu schaffen und zugleich Teil dieses Umfeldes zu sein, macht es notwendig, die Grenzen und Gemeinsamkeiten zwischen Patient und Team, zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb des Teams und zwischen den einzelnen Mitarbeitern und der Soteria sorgfältig zu beobachten – damit die Patienten sowohl Halt als auch Durchlässigkeit erleben können. Soteria aus verschiedenen Perspektiven – Sichtweisen von innen und von außen Sichtweisen von außen ❮ 49 Team-Fortbildungen - der Soteria in Haar zum 10. Dr. Michael Dümpelmann (Nervenarzt und Psychoanalytiker) leitet die Abteilung Psycho- und Soziotherapie im Asklepios Fachklinikum Tiefenbrunn. Er leitet seit 2006 regelmäßige Fortbildungen für das Soteria-Team. Besonders bewährt haben sich Fallseminare zum Thema „Psychodynamische Haltung im milieutherapeutischen Alltag“, an denen auch die besprochenen PatientInnen beteiligt waren. Erst einmal gratuliere ich dem Soteria-Team ganz herzlich zu diesem ersten runden Geburtstag! Und sehr gerne greife ich die Einladung auf, zu diesem Ereignis ein paar Zeilen zu schreiben. In der überwiegenden `regelpsychiatrischen´ Behandlung von Psychosen gibt es einen eklatanten Widerspruch: Ist in den Leitlinien eindeutig zu lesen, dass psychotherapeutische Behandlungsformen indiziert sind, werden die nur in wenigen Ausnahmefällen durchgeführt. Gar nicht selten ist anzutreffen, dass mit psychotischen Menschen mit der Begründung keine therapeutischen Gespräche geführt werden, weil es um Psychosen geht. In der Soteria in Haar ist das umgekehrt: `Sprechende Medizin´ wird angewandt, weil es um Psychosen geht und psychotische Menschen davon profitieren. Viele gemeinsame Erlebnisse mit dem Soteria-Team in psychodynamischen Fallseminaren, Coaching und Supervision liefern dazu eine Fülle von lebendigen Erfahrungen, die längst zu einem Entwicklungsprozess geworden sind, der weiter geht und äußerst beachtliche Schritte ermöglicht hat. Das Thema der gemeinsamen Entwicklung, im Team die der Kooperation verschiedener Charaktere und Berufsgruppen, kann auch als Leitmetapher für die Arbeit mit den PatientInnen gesehen werden: Das erreichte Augenmaß auch für scheinbar kleine nonverbale Interaktionen lässt sich anekdotisch vermitteln: Im Fall eines psychotischen jungen Mannes mit einer massiven Entwicklungsstörung, der konstant zwischenmenschliche Nähe mit läppischem Verhalten oder mit fusionärem Erleben beantwortete, war zwar biografisch klar, dass es erhebliche Belastungen in der Beziehung zu seiner Mutter gegeben hat, aber es gab lange keinerlei Herankommen, um das zu bearbeiten. Eines Tages bat er eine Schwester um eine Massage, weil er völlig verspannt war. Als sie ihn mit Massageöl einrieb, wurde er merklich ruhiger und lächelte. Und dann war zu hören, dass ihn das an seine Mutter erinnern würde. Solche Episoden bestätigen nicht nur, dass biografische Erfahrungen, wie wir mittlerweile wissen, gerade bei schweren Störungen nicht nur in Worten repräsentiert und im Gespräch zu bearbeiten, sondern umfangreich in Verhalten und Handlungen organisiert sind. Sie belegen vor allem die außerordentliche Chance der Soteria-Arbeit dadurch, erst einmal `mit den PatientInnen zu sein´, wie Benedetti das nennt, und abgestimmten Kontakt herzustellen. Das hat in Haar auch dazu beigetragen, dass Fallseminare und Coaching zu großen Teilen mit den PatientInnen durchgeführt werden können, die entgegen allen Ängsten, sie würden dadurch überlastet, gerne kommen und - mitten in der Behandlergruppe - aktiv mitarbeiten. Respekt und Anerkennung für all das und weiter auf diesem Weg! Psychotische sowie andere schwere und sehr schwere psychische Störungsbilder finden in der Soteria neben der üblichen psychiatrischen Behandlung einen Raum für die (Nach-) Entwicklung seelischer Fähigkeiten, der eine individuelle Abstimmung von Einbeziehung und Kontakt auf der einen wie von Abgrenzung und Distanz auf der anderen Seite fördert oder auch erst einmal entwickeln hilft. Sich im Kontakt durch extrem labile Grenzen zwischen sich und der Außenwelt rasch überrannt und bedroht zu erleben, aber auch mit sich allein rasch hilflos und verloren zu sein, ist das Kernthema psychotischer Menschen, einer gar nicht so kleinen Gruppe in der Bevölkerung. Das rückt in den Fokus, wie therapeutische Kontakte zu gestalten sind, sanft und nicht invasiv, aber auch präsent und sicher, um erst einmal überhaupt zustande zu kommen und dann die Basis für eine Weiterentwicklung zu bilden, oft mit dem ersten Ziel, dass eine dringend notwendige psychosoziale Weiterbehandlung toleriert und akzeptiert wird. Diesen Aufgaben, vielfach ist eher angebracht, von Herausforderungen zu sprechen, stellt sich das Soteria-Team mit außerordentlicher Sensibilität, viel Geduld, einer mittlerweile erstaunlich großen Expertise durch die Berufsgruppen hindurch und der permanenten Bereitschaft, das Erlebte zu reflektieren und zu kommunizieren. 10 Jahre Soteria 11/2013 50 Begleitforschung 10 Jahre Soteria 11/2013 Begleitforschung BEGLEITFORSCHUNG. 10 Jahre Soteria 11/2013 51 52 Begleitforschung ❯ Soteria-Begleitforschung; Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze BEGLEITFORSCHUNG ! Soteria-Begleitforschung Im folgenden Beitrag finden Sie eine sehr komprimierte Zusammenfasssung der Soteria Begleitforschung. Die ausführlichen Daten und Ergebnisse mit zahlreichen Graphiken haben wir in einem zusätzlichen Bericht „10 Jahre Soteria - Konzept und Ergebnisse aus der Begleitforschung“ veröffentlicht. Bei Interesse wenden Sie sich gerne an die angegeben Ansprechpartnerinnen. Die Begleitforschung in der Soteria wurde vom 1.3.2003 bis zum 31.12.2012 von einem externen Institut (zweiplus BERATUNG ENTWICKLUNG EVALUATION) in Zusammenarbeit mit der BADO-Abteilung des Klinikums München-Ost durchgeführt. Die Datenerhebungen erforderten einen kontinuierlichen Einsatz aller MitarbeiterInnen des Teams. Sie wurde durch ein zusätzliches Budget der Krankenkassen finanziert. Mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen war die seriöse Etablierung und Untersuchung einer Vergleichsgruppe nicht realisierbar. Von 2003 bis 2011 wurden 451 PatientInnen in insgesamt 605 Aufenthalten bezüglich Art und Umfang der Behandlung sowie bezüglich der Behandlungsergebnisse untersucht. Erhoben wurden patientenbezogene Daten zur Lebenssituation, Vorbehandlungen und Krankheitsgrad. Soteria-spezifische Behandlungs-Elemente (beispielsweise die 1:1 Begleitung) wie auch klassische Behandlungselemente (beispielsweise die Gabe von Neuroleptika) wurden systematisch erfasst. In einer Katamnese über fünf Jahre wurden sowohl objektive Daten als auch das subjektive Erleben der PatientInnen dokumentiert. Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze Soziodemographische Daten und Daten zu Erkrankung und Behandlung Medikamenten-Auswertungen Obwohl die Soteria am Klinikum München-Ost anders als die beiden Soteria-Ursprungsprojekte in Kalifornien und der Schweiz neben Ersterkrankten auch mehrfach und länger erkrankte PatientInnen mit akuten Dekompensationen schizophrener und schizoaffektiver Psychosen behandelt, waren knapp 58% aller PatientInnen höchstens 30 Jahre alt. Für 30% der PatientInnen stellte der Soteria-Aufenthalt die erste stationäre Behandlung in einer psychiatrischen Klinik dar. Überdurchschnittlich viele PatientInnen (45%) hatten das Abitur oder Fachabitur, weitgehend altersentsprechend hatten 47,5% noch keinen Berufsabschluss. Der Schweregrad der Erkrankungen war bei der Aufnahme in die Soteria vergleichbar mit den Aufnahmen mit Psychose-Diagnosen in die allgemeinpsychiatrischen Stationen des Klinikums München-Ost. Die durchschnittliche vollstationäre Aufenthaltsdauer betrug in der Soteria 63,2 Tage. Im Vergleich lag die Aufenthaltsdauer aller Psychose-Diagnosen in der Allgemeinpsychiatrie am Klinikum München-Ost mit 58,4 Tagen etwas niedriger. Das Soteria-Konzept beinhaltet einen vorsichtigen und behutsamen Umgang mit Medikamenten. Um eine Einschätzung und Vergleichbarkeit der verabreichten Neuroleptika-Dosis herzustellen, wurden die Empfehlungen aus den Behandlungsleitlinien Schizophrenie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) von 2006 zugrunde gelegt. Dort werden unterschiedliche Dosierungen für ersterkrankte und mehrfach erkrankte PatientInnen empfohlen. In der Soteria wurden 10% aller PatientInnen ohne neuroleptische Medikation entlassen, in der Gruppe der ersterkrankten PatientInnen waren es 22%. Der Anteil einer niedrigdosierten neuroleptischen Behandlung lag bei den ersterkrankten PatientInnen bei 33%, bei den mehrfach erkrankten PatientInnen bei 45%, 12% der mehrfach erkrankten PatientInnen erhielten eine hohe neuroleptische Dosierung, 14% eine Kombinationsbehandlung mit zwei Neuroleptika. Erstaunlicherweise lag die Anzahl einer hohen neuroleptischen Dosierung in der Gruppe der Ersterkrankten mit 19% höher als bei den mehrfach erkrankten PatientInnen. Die am häufigsten verwendeten Substanzen waren Quetiapin, Olanzapin und Amisulprid. 10 Jahre Soteria 11/2013 Begleitforschung Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze; Bewertung ❮ 53 Behandlungsbeurteilungen Die PatientInnen waren zu 84% mit der Behandlung in der Soteria zufrieden. 89% waren mit der Wertschätzung zufrieden, die ihnen durch die Soteria-MitarbeiterInnen entgegen gebracht wurde. Mit der Möglichkeit, die Behandlung mitzugestalten waren 79% zufrieden und mit der Berücksichtigung der persönlichen Wünsche und Bedürfnisse 78%. Alle Elemente des Soteria-Konzeptes wurden von über 85% der befragten PatientInnen als hilfreich oder etwas hilfreich bewertet. Mit 95% wurden vor allem das Zusammenleben mit den MitpatientInnen, die Einzelgespräche mit den Bezugspersonen und die Ansprechbarkeit des Personals im Alltag als hilfreich oder etwas hilfreich bewertet. Über 88% der Patientinnen beurteilten die medikamentöse Behandlung als hilfreich oder etwas hilfreich. Katamnese-Auswertungen Zu vier Befragungs-Zeitpunkten (Behandlungsende/ halbes Jahr/ ein Jahr/ zwei Jahre nach Behandlungsende) sagten zwischen 77% und 82% aller befragten PatientInnen stabil und in der Tendenz zunehmend, dass die Behandlung in der Soteria sehr geholfen beziehungsweise geholfen hat. Zwischen 0,6 und 1,7% gaben an, die Behandlung in der Soteria habe ihnen geschadet. In der Fünf-Jahreskatamnese gaben 95% der befragten PatientInnen an, sie würden die Soteria an andere weiter empfehlen, 72% gaben an, dass die Behandlung in der Soteria ihnen geholfen hat, ihre Standpunkte bezüglich der eigenen Behandlung selbstbewusst zu vertreten. Immerhin 59% waren der Meinung, dass ihnen die Soteria geholfen hat, spätere Krisen auch ohne weitere Klinikaufenthalte zu meistern. 13% dachten nach fünf Jahren eher kritisch über die Soteria. Nach der Entlassung aus der Soteria waren nach einem halben Jahr 79% und nach einem Jahr 65% der Katamnese-PatientInnen in regelmäßiger ambulanter psychiatrischer Behandlung, jeweils 40% waren in psychotherapeutischer Behandlung. Zu allen vier Katamnese-Zeitpunkten (1/2 Jahr/ 1 Jahr/ 2 Jahre und 5 Jahre) nahmen zwischen 61% und 66% der PatientInnen die verordnete Medikation ein, weniger als 10% hatten die Medikation ohne Absprache mit dem Arzt abgesetzt. Ohne stationäre Wiederaufnahme innerhalb eines Jahres nach der Entlassung aus der Soteria blieben 69% der PatientInnen. Innerhalb von zwei Jahren blieben 51% der PatientInnen ohne stationäre Wiederaufnahme, nach fünf Jahren blieben 39% ohne stationäre Wiederaufnahme. Bewertung Soteria hat sich vor allem für jüngere PatientInnen mit schizophrenen und schizoaffektiven Störungen bewährt. Aus Sicht der PatientInnen wurde der Soteria-Ansatz mehrheitlich als hilfreich angesehen. Insbesondere das Zusammenleben mit den Mitpatienten, die Einzelgespräche mit den Bezugspersonen und die Ansprechbarkeit des Personals im Alltag sowie die Stationsatmosphäre wurden als hilfreich bewertet. Ein großer Teil der PatientInnen konnte leitliniengerecht mit einer niedrig- bis moderat-dosierten neuroleptischen Monotherapie entlassen werden. In der Katamnese-Gruppe blieben die stationären Wiederaufnahmeraten niedrig. Mehrheitlich befanden sich die PatientInnen in ambulanter psychiatrischer, teilweise auch psychotherapeutischer Behandlung und nahmen regelmäßig die verordnete Medikation ein. Soteria ermöglicht mit einem milieutherapeutischen und individuellen Behandlungsansatz eine von den PatientInnen gut akzeptierte, auch längerfristig hilfreich erlebte und wirksame Behandlungsmöglichkeit, die die konzeptionelle Bandbreite einer Klinik sinnvoll erweitert. 10 Jahre Soteria 11/2013 54 10 Jahre Soteria 11/2013 Kontakt & Impressum 10 Jahre Soteria ❮ 55 KONTAKT & IMPRESSUM. Herausgeber kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost Klinik für Psychosomatik, Psychotherapie und Psychiatrie Soteria - Haus im Park Ringstraße 14 85540 Haar Ärztliche Direktorin Prof. Dr. Dr. Margot Albus, M.Sc. Kontakt Andrea Gerum Stationsleitung Tel 089 4562-3814 [email protected] Roswitha Hurtz Oberärztin Tel 089 4562-3788 [email protected] Redaktion Roswitha Hurtz Andrea Gerum Fotos + Bilder MitarbeiterInnen und PatientInnen der Soteria Creative Direction + Layout Aiko Blank <[email protected]> Druck Bavaria-Druck GmbH <München> Die Broschüre und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberechtlich geschützt. Es ist insbesondere nicht gestattet, ohne ausdrückliche Zustimmung, Grafiken und Texte oder Teile daraus für gewerbliche Zwecke zu übernehmen, zu übersetzen, zu vervielfältigen, auf Mikrofilm, in elektronische Systeme oder andere Websites einzuspeichern oder in irgendeiner Weise zu verändern. 1. Auflage, November 2013 10 Jahre Soteria 11/2013 56 10 Jahre Soteria 11/2013 57 10 Jahre Soteria 11/2013 58 10 Jahre Soteria 11/2013 kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost Klinik für Psychosomatik, Psychotherapie und Psychiatrie Soteria - Haus im Park Ringstraße 14 85540 Haar