Isambard Kingdom Brunel

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Isambard Kingdom Brunel
Isambard Kingdom Brunel
1806 - 1859
Isambard Kingdom Brunel
Referat zur Vorlesung
Industriebau - Wegbereiter industriellen Bauens
an der
Technischen Universität Braunschweig
Institut für Industriebau und Baukonstruktion
Professor H. C. Schulitz
SS 1999
Christoph A. Dausel
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG ............................................................................... 3
1 Biographie
1.1
1.2
1.3
1.4
Herkunft, Ausbildung, Beruf und Praxis ......................... 4
Werkübersicht ....................................................................... 4
Einflüsse auf das Werk...................................................... 12
Wertung, historischer Kontext......................................... 12
2 Paddington Station, London
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
2.6
Idee / Konzept................................................................... 13
Städtebau ............................................................................. 14
Funktionen / Organisation / Wegeführung.................. 14
Konstruktion ...................................................................... 15
Geschichtliches................................................................... 18
Wertung, zeitliche Einordnung ........................................ 19
ANHANG
1 Bibliographie ............................................................................. 20
2 Karten......................................................................................... 21
3 Anglesächsische Maßeinheiten ............................................... 22
Einleitung
Im 19. Jahrhundert wurden die bis dahin üblichen handwerklichen Fertigungsmethoden durch maschinelle und damit
effizientere ersetzt. Neue Arbeitsverhältnisse entstanden. Die
Manufaktur wurde zur industriellen Fabrik, sofern sie weiterhin im freien Wettbewerb bestehen wollte. Aufstrebende
Geschäftsleute und Investitionsgemeinschaften globalisierten
schon damals die Wirtschaftswelt. Neue Produktionsfaktoren
schwächten die Gewichtung der menschlichen Arbeitskraft.
Weitreichende Folgen nahmen ihre Bahn für die gesellschaftlichen Verhältnisse.
Unter den Protagonisten dieser Zeit waren es die Ingenieure
die durch ihre Visionen den Motor der industriellen Revolution
am laufen hielten. Neue Patente drehten das Rad der Industrialisierung immer weiter. Zu einem der bedeutendsten Visionäre
zählt Isambard Kingdom Brunel.
Neben den erhaltenen und überlieferten Werken I. K. Brunels, zeugen unter anderem der nach ihm benannte Brunel
Award, die Brunel Academy und weitere Nahmensbeleihungen vom Ruhm eines Mannes, der mit seinem Werk dem 19.
Jahrhundert, England und der restlichen Welt, seinen Stempel
aufprägte.
Neben seinen großen Leistungen als Ingenieur hat Brunel
als Grenzgänger nicht unbeachtliche Erfolge auf architektonischen Gebiet erzielt. In der Transferierung der bei seinen
ingenieusen Werken erarbeiteten Prinzipien hat er auch die
Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts geprägt.
1 Isambard Kingdom Brunel
Die Möglichkeiten der industriellen Revolution und die
damit verbundenen erweiterten Baumethoden hat er als einer
der ersten konsequent ausgenutzt.
3
1
BIOGRAPHIE
1.1
Herkunft, Ausbildung, Beruf und Praxis
Mit Marc Isambard Brunel sollte die über mehrere Generationen anhaltende Ingenieurdynastie der Brunels ihren Startpunkt nehmen.
Marc Isambard Brunel wurde 1769 in Hacqueville, Normandie, Frankreich geboren. Seine Frau Sophia war geborene Kingdom und stammte ursprünglich aus Plymouth, England. Zu
Zeiten der Nachwehen der französischen Revolution, die zur
Emigration Marc Brunels führte, lernten sich beide kennen.
Sein Vater verließ Frankreich zunächst in Richtung Amerika,
wo seine Kariere als Ingenieur begann, die er sechs Jahre später
in England fortsetzen sollte. Früh nahm er mit Maudslay, Sons
& Fields Kontakt auf. Diese Beziehung sollte später auch für
seinen Sohn Isambard von Bedeutung werden.
2 Tunnelschild
1.2
Werkübersicht
1.2.1
Thames Tunnel
Zunächst unter der Federführung seines Vaters und gemeinsam mit diesem arbeitet Isambard an einem der renommiertesten Projekte der beiden Brunels. Am 2. März 1825,
anschließend an eine feierliche Zeremonie, beginnen die Grabungen für den Themse Tunnel am Themse Ufer. Dieses erste
Projekt sollte zum Ausgangspunkt für viele Rückschläge aber
auch späten Triumph werden.
Die Historie der Untertunnelung der Themse ist von
Wassereinbrüchen mit mehreren menschlichen Opfern gekennzeichnet. Manche andere fielen den unmenschlichen Arbeitsbedingungen zu Opfer, die unter Tage herrschten.
Als einziges Kind wurde Isambard am 9. April 1806 in Portsea geboren Mit vierzehn Jahren wurde er zur Ausbildung in die
Normandie geschickt. Dort besuchte er zunächst das College of
Caen, später übernahm das Lycée Henri-Quatre in Paris seine
weitere Ausbildung. Als Lehrling von Louis Breguet begann
seine praktische Beschäftigung mit den technischen Errungenschaften seiner Zeit (insbesondere mit den Uhren, Chronometern und übrigen Meßinstrumenten, welche von Breguet
fabriziert wurden).
Somit kommen die Arbeiten 1828 nach erneuten Wassereinbruch für sieben Jahre zum Stillstand um 1835 fortgesetzt zu
werden. Diese beginnen mit der Auswechslung des auf Brunel
patentierten shield. Weitere Schwierigkeiten müssen gemeistert
werden bis 1843 der Tunnel fertiggestellt wird. Bereits 1841
erfolgte der Kurzschluß beider Uferseiten. Marc Brunel wird
zum Ritter geschlagen, die Auszahlung der ausgelobten Summe
von 5000 Pfund wird ihm aber verweigert.
Nach diesem zweijährigen Aufenthalt in Paris, beginnt Isambard 1822 in der Werkstatt seines Vaters zu arbeiten. Der Kontakt zu Maudslay, Sons & Fields sollte Isambard nachhaltig
beeinflussen. Wie er selber bezeugt erhielt er bei Maudsley all
sein Wissen über das Ingenieurwesen seiner Zeit.
1.2.2
Dieses sollte er bei den ersten Projekten anwenden und
erweitern, welche er gemeinsam mit seinen Vater in Angriff
nahm.
Der Tunnel wird 1865 für die Eisenbahn angepaßt. Heute ist
er ein unmerklicher Teil des Londoner Untergrundnetzes.
Verschiedene kleinere Aufgaben
Ab 1831 wurde Brunel mit der Erneuerung der Docks von
Monkwearmouth (Sunderland) beauftragt. Sein Vorschlag für
ein neues Trockendock wurde zunächst nicht realisiert.
4
Etwa zur selben Zeit vollendete Brunel das von ihm entworfene und konstruierte Observatorium für Sir James South.
Maudslay & Sons & Field waren an der Ausführung nicht
unwesentlich beteiligt.
Die Bewerbung Isambards im Januar 1830 um den Ingenieursposten der ersten coast-to-coast railway der Newcastle & Carlisle wurde abgelehnt.
Weitere kleinere Projekte beschäftigten Brunel, die jedoch
alle nicht zum erwünschten Erfolg führten.
1.2.3
Clifton Suspension Bridge
1753 wurde eine Stiftung für eine Brücke über den Avon
bei Bristol ins Leben gerufen, für die 1765 William Bridge ein
gigantisches unrealisierbares Projekt entwarf. Es sah die Unterbringung einer halben Stadt innerhalb eines Riesengebäudes
vor, das sozusagen als Nebenfunktion auf seinem Dach die
Überquerung des Avon erlaubte.
1829 wurde durch die Stifung Leigh Woods Land gekauft .
Entwürfe verschiedener Ingenieure wurden eingeholt.
Brunels Entwurf wurde maßgeblich durch seine Studien der
Hängebrücke von Telfords Menai Brücke und auch der Scotswood Brücke und Stockton Brücke beeinflußt.
Brunel reichte vier Varianten ein. Diese varierten in ihren
Spannweiten zwischen 870 und 916 ft. Telford wurde zur
Beurteilung der Wettbewerbsergebnisse geladen, und er veranschlagte als maximale sichere Spannweite eine Länge von 600 ft.
Telford gab allen eingereichten Vorschlägen ein vernichtendes
Urteil, und wurde somit selbst um einem Vorschlag gebeten.
Nichtsdestotrotz wurde 1830 ein zweiter Wettbewerb ausgelobt; Brunel reichte eine abgewandelte Version seiner Giant
hole Variante ein, deren Spannweite er nun auf 630 ft verkürzte.
Dies gelang ihm allerdings nur indem er auf der Leigh Woods
Seite einen massiven Sockel für einen der Pylone errichtete,
dessen Kosten allein bei etwa 14.000 Pfund lagen.
3 Clifton Suspension Bridge
Von den zwölf Bewerbern wurden zunächst acht ausgeschlossen. Unter ihnen waren in der Reihenfolge ihrer Favorisierung Hawks, W., Brunel, Brown, S. und Rendel; J. M. Telford
schied aus. Brunel hatte als einziger die Vorgabe einer nicht
zu überschreitenden Maximalbelastung der Kettenglieder eingehalten und wurde letztlich mit der Ausführung beauftragt.
Am 21 Juni 1831 fiel die Entscheidung für den Baubeginn
aber bereits im Oktober 1831 legten die Bristol riots Aufstände
das Projekt lahm. Am 27.08.1836 wurden die Grundsteine für
diese Brücke gelegt aber erst nach Brunels Tod vollendeten Mitglieder der Institution of Civil Engineers Brunels Frühwerk.
5
1.2.4
Bristol docks
1832 inspizierte Brunel die Anlage und schlug zahlreiche Verbesserungen vor, die bedingt durch die Aufstände in den Schubladen blieben. 1833 schließlich wurde er mit der Überwachung
der Sanierung betreut. Die Arbeiten wurden binnen eines Jahres
abgeschlossen.
1.2.5
Bristol London Railway /
Great Western Railway
Brunel verwarf die Einladung zu einem Wettbewerb und
schlug seinerseits die beste aber nicht günstigste Streckenführung
vor. Kurz darauf wurde er zum Ingenieur der Bristol Railway
ernannt mit Townsend als seinem Assistenten. Aufgrund
erster Untersuchungen entwickelte er zwei Varianten der
Linienführung: eine über das Kennet Valley, die andere über
White Horse Vale by Swindon and Wooton Bassett.
Die railway company wurde durch 12 Londoner und 12 Bristolianer geleitet. Die Ergebnisse detailierterer Untersuchungen
legte Brunel im November 1833 vor. Insbesondere betrafen
diese die Streckenführung hinsichtlich des zu passierenden
Geländes und die dafür notwendigen Maßnahmen, Brücken,
Viadukte, Geländeeinschnitte sowie eine aufs Minimum reduzierte Steigung.
Am 10. März 1834 wurde durch die Commons das entsprechende Gesetz (Bill) erlassen, daß aber im Oberhaus nicht auf
Zustimmung stieß. Am 10. Juni 1835 gelang dies im zweiten
Anlauf.
Hiermit wurde Brunels Reputation gefestigt und ein wichtiger Meilenstein für seine Kariere gelegt.
Die Bevölkerung mußte jedoch erst noch vom Nutzen
überzeugt werden, heute grotesk erscheinende Gerüchte (die
Nähe der Eisenbahn schade der Moral und Disziplin der Schule
u. a. mehr) waren im Umlauf. Auch der Tunnel unter Box
Hill mußte für wilde Spekulationen herhalten. „Berechnungen“ lieferten den Beweis, daß durch das Gefälle von 1% die
4 Gleiskörperkonstruktion
Geschwindigkeit des Zuges 120 mph erreichen würde, bei der
kein Passagier mehr atmen könnte.
So stellt Rolt, L.T.C. die magnetic power der Person Brunels
heraus, die es bedurfte um solche Hindernisse aus dem Weg zu
räumen. Neben harter Arbeit selbstverständlich.
Und so kann man aus Brunels diary des Jahres 1835 eine
zufriedene Bilanzierung seiner laufenden Projekte entnehmen.
Insgesamt so ist belegt, verbaute er eine Summe von 5,6 Mio
Pfund. In einem Alter von 29 Jahren.
5 Temple Meads Station (Bristol), Fassade
1.2.6
Heirat mit Mary Horsley
Beruflich erfolgreich fühlte sich Brunel gefestigt genug am
05. Juli 1836 Mary Horsley zu heiraten. Gleichwohl man in
seinem Diary die Worte „My profession is after all my only fit
wife“ lesen kann.
Drei Kinder gingen aus dieser Ehe hervor: Isambard, Henry
Marc und Florence Mary.
6
1.2.7
GWR
Dieses Projekt sollte Brunels zunächst größte Herausforderung werden. Sein Verantwortungsbereich umfaßte neben
der Gesamtleitung auch die darin enthaltenen Einzelprojekte
wie Bauwerke und deren Errichtung, die Konstruktion des
Gleiskörpers und der einzusetzenden Fuhrmaschinen. Eine
Aufteilung des Aufgabenbereichs jedoch hätte er niemals zugestimmt.
Die zunächst unter rein technischen und ökonomischen
Gesichtspunkten getroffene Wahl der Spurweite von 7 Fuß
sollte im weiteren Verlauf sich immer wieder zum Reibstein
einer die Eisenbahngesellschaft nahezu entzweienden Debatte
werden. Letztlich weitete sich diese Debatte auf ganz England
aus, dazu mehr weiter unten.
Auch in der Ausformung der Schiene sucht Brunel neue
Wege. Mit Hilfe eines auf den Kopf gestellten U´s sucht er
das Optimum an Stabilität und leichten Querschnitt mit den
Fertigungsmöglichkeiten seiner Zeit zu bewerkstelligen. Das
Gewicht und damit die Masse des verwendeten Materials versuchte er ständig zu reduzieren. So erreichte er durch die Massenreduktion von 75 lb auf 62 lb eine Kostenersparniss von
24000 Pfund.
Der erste Streckenabschnitt von Paddington nach Taplow
(Maidenhead) wurde am 4. Juni 1838 eröffnet. Die Wahl einer
nicht standardisierten Spurweite war zunächst nicht erfolgreich,
die gewünschte Geschwindigkeit und Komfort wurden nicht
erreicht. Die Lokomotiven waren gemessen an der breiten
Spurweite in ihrer Leistung zu leichtfüßig konstruiert.
6 Temple Meads Station (Bristol), Halle
In der Gesellschaft bildeten sich zwei Blocks; aus deren Auseinandersetzung resultierte die Einholung von Gutachten die
Brunels Leistungen bewerten sollten. Vor allem fokusierte sich
der Streit auf „die richtige Spurweite“ und den daraus resultierenden Abhängigkeiten. Durch die Gutachten angespornt entwickelte Brunel in Zusammenarbeit mit Daniel Gooch und
7
Brunel einige beachtliche Verbesserung an der Lokomotive
North Star, Brunels Schicksaal wendete sich zum Guten.
der Tunnel fertiggestellt. Die Gesamtkosten betrugen 6,5 Mio.
Pfund, mehr als das Doppelte von Brunels Schätzung.
1839 / 40 errichtete Brunel die Endstation der GWR in Bristol, die Temple Meads Station. Den Kopfbau des Bahnhofes
erbaute er in damals weitverbreiteter historisierender Neugotik. Zinnen und Erker prägen den repräsentablen Massivbau.
Auch in der Bahnhofshalle suchte Brunel Anleihen an die auch
als Nationalstil Englands gefeierte Gotik. Dennoch erreichte
Brunel bei der komplett in Holz konstruierten Bahnhofshalle
einen eigenständigen Charakter.
Ende Juni konnte damit der erste Zug die Gesamtstrecke
von London Paddington nach Bristol Temple Meads in ca. 4
Stunden zurecklegen.
Für die Überquerung der Themse bei Maidenhead entwarf
Brunel eine Brücke, die all ihre Vorgängerbauten in der Relation von Spannweite und Bogenhöhe übertraf; Zeitgenossen
sagten den Einsturz vorraus, dies geschah jedoch trotz grober
Ausführungsmängel nicht.
Im Mai 1841 fehlte nur noch ein Glied in der Kette: die
Unterquerung des Box Hills, welcher eine Gesamtlänge von
zwei Kilometern bekommen sollte. Mit der Arbeit wurde im
September 1836 begonnen, als die sechs vertikalen Schäfte von
28 ft Durchmesser von der Bergoberfläche auf Schienenniveau versenkt wurden. In drei Jahren wurden hierfür 30 Mio.
Backsteine bei Chippenham gebrannt. Im Juni 1841 wurde
The Gauge War
Die GWR breitete ihre Tentakel der breiten Spurweite rasch
im Westen des Landes aus.
Am 1.Mai 1844 fand die Eröffnung der Strecke nach Exeter
statt. Die Zeit von 4 Stunden und 40 Minuten, welche der Zug
für die Strecke Paddington Exeter brauchte, stand für high speed
running.
Gloucester wurde ein Jahr später an das bestehende Netz
angeschlossen. Hier war auch der Ort wo die unterschiedlichen
Spurweiten die Diskussion um die richtige Spurweite erneut
anfachten. Die narrow gauge Birmingham & Bristol und die
broad gauge Bristol & Gloucester Railway trafen hier aufeinander. Die Frage der richtigen gauge wurde zum national issue. Eine
königliche Kommission wurde zur Untersuchung eingesetzt.
Wettfahrten sollten die Leistungsfähigkeit in Puncto transportiertes Masse und benötigter Zeitdauer der jeweiligen Spur-
weite unter Beweis stellen. Objektiv hatte hier die broad gauge
die Nase vorn. Die Tatsache aber, daß das Schienennetz der
narrow gauge bereits 1901 Meilen maß, und das der broad gauge
lediglich 274 Meilen, drängte letztere immer weiter zurück. Die
gesuchte Vereinheitlichung der Spurweiten war viel einfacher
durch eine Spurverengung als durch eine Spurvergrößerung zu
bewerkstelligen. Man denke hierbei an die Schwellen oder an
die unzähligen Geländeeinschnitte, Brücken oder Tunnels.
Die Folge war das 1846 ein Gesetz zur einheitlichen Spurweite der bislang als narrow gauge bezeichneten 4 ft 8 1⁄2 in erlassen wurde.
Brunel selber erlebte die Verlegung eines dritten Gleises in
Paddington nicht mehr, der damit für beide Spurweiten ausgelegt war. Dies nicht ganz ohne Komplikationen für die zum
Wenden der Lokomotiven eingesetzten Drehteller. Gleichwohl
war Brunel kein blinder Verfechter der broad gauge wie man
meinen könnte, daß er für die Taff Vale Railway die narrow
gauge empfahl spricht hierfür. In Betrachtung der notwendigen
größeren Steigungen und der engen Kurven und den Vorteilen
von standardisierten Bauteilen riet er von den ursprünglich
anvisierten 5 ft ab.
1889 verließ der letzte broad gauge Zug Paddington Station.
7 Atmospheric Railway
8
8 Atmospheric Railway
1.2.8
Athmospheric Railway
Die Schwierigkeiten, welche schwere Lokomotiven hatten
um ihre Last und die des Zuges auch über größere Steigungen
zu befördern, veranlassten Brunel über die Anwendung alternativer Techniken nachzudenken.
So wurden etwa zur gleichen Zeit der Ernennung Brunels
zum Ingenieur für die South Devon Railway beachtliche Erfolge
mit dem atmospheric system erzielt.
Dem Grundprinzip nach wurden hierbei die Waggons durch
einen Frontwagen gezogen. Und dieser wiederum war mit
einem Kolben verbunden, der in einem der ganzen Strecke
folgendem Rohr steckte. Der Luftdruck in diesem ca. 9 in
großen Rohr sorgte für den Vortrieb des darin befindlichen
Kolbens. Um die Verbindung zwischen Kolben und Frontwagen zu bewerkstelligen, war die Röhre über die gesamte Länge
9 Royal Albert Bridge (Saltash), Bauphase
mit einer Art Ventil ausgestattet. Längs der Strecke mußten nun
stationäre Dampfmaschinen für den nötigen Luftdruck in der
Röhre sorgen. Spitzengeschwindigkeiten von 84 mph wurden
erreicht.
Die zeitgenössischen Eisenbahner waren inklusive Brunel
von der Zukunftsfähigkeit dieses Systems überzeugt, mit einer
Ausnahme: Robert Stephenson. Im weiteren Verlauf sollte
sich zeigen, daß die mere mechanical difficulties nicht gänzlich zu
überwinden waren. Für die bereits mit dieser Technik ausgestatteten Streckenabschnitt von Exeter nach Newton Abbot
wurden zur Instandhaltung 25000 Pfund veranschlagt. Das
System war von einer ökonomisch rationalen Beziehung von
Kosten und Nutzen meilenweit entfernt. Brunel mußte damit
den kostspieligsten Fehler des damaligen Ingenieurwesen eingestehen.
1.2.9
Holzbrücken
Für eine ganze Reihe von Brücken verwendete Brunel
das Material Holz. Eine seiner ersten Holzbrücken war die
Überquerung des Avon bei Bath. In zahlreichen Experimenten
ermittelte er die Festigkeit von dem verwendeten Konstruktionsmaterial und suchte nach optimierten Methoden um Holz
dauerhafter zu schützen. Auch hier waren es unter anderem
ökonomische Gesichtspunkte, die Brunel zu dieser Wahl bewegten. Alleine zwischen Plymouth und Truro wurden 34 solcher
timber viaducts zu einem landschaftsprägenden Bestandteil. Die
Tatsache der wenig erhaltenen Exemplare ist auf den Preisanstieg qualitativ hochwertigen Holzes zurückzuführen; die aus
baltischer Kiefer konstruierten Brücken wurden durch Eiserne
im Laufe der Zeit ersetzt.
9
1.2.10 Royal Albert Bridge, Saltash
Auch für die Überquerung des Tamars bei Saltash (westlich
von Plymouth) hatte Brunel an eine Brücke aus Holz gedacht.
Die gewaltigen Abmessungen, (die Brücke wäre die größte
Holzbrücke der Welt geworden), veranlaßten die Admiralität
jedoch Einwände gegen dieses Material zu erheben und Brunel
entwarf die Brücke nun in Eisen.
Die zwei Hauptbinder spannen jeweils 465 ft von Auflager
zu Auflager und dies in einer Höhe von ca. 100 ft. Waren die
Pfeiler auf ihren aufwendigen Gründungen erbaut, wurden die
Binder von Wasserniveau aus an ihre Endposition gehoben. Im
Juli 1858 wurde der zweite Binder montiert und die Brücke
konnte 1859 eröffnet werden.
Erfahrungen die er bei der vergleichbaren Chepstow Bridge
gemacht hatte waren, halfen ihm die Saltash Brücke zu optimieren. So formte er den Obergurt bei der Royal Albert Bridge
bogenförmig und richtete die Bindeglieder zum abgehängten
Fahrbahnträger vertikal aus. Die Schubkraft des Bogens nimmt
eine in das Gesamtsystem integrierte Unterspannung auf.
1.2.11 Steam Ships
Zu Brunels Zeiten galt es als unmöglich ein Schiff zu konstruieren, daß lediglich mit Hilfe von Dampfkraft den Ozean
überwinden konnte.
Brunel nutzte die folgende Regel für die Konstruktion seine
geschichteschreibender Schiffe aus: Die aufnehmbare Last eines
Schiffbugs wächst mit der Größenveränderung x im Kubik,
während die notwendige Kraft um diesen Schiffbug zu bewegen dazu nur im Quadrat steigt. Somit war für Brunel die
Ozeanüberquerung nur eine Frage der richtigen Schiffsgröße.
Für diese Vision gewann Brunel Thomas Guppy. Dieser
gründete mit Peter Maze und Christopher Claxton die Great
Western Steamship Company.
10 Royal Albert Bridge (Saltash)
Im Juli 1837 konnte die 236 ft lange Great Western aus dem
Patterson dock in Bristol zur Vervollständigung nach London
gebracht werden, wo sie die von Maudslay, Sons & Field hergestellten Maschinen erhielt.
Zeitgleich wurde in Liverpool die Sirius gebaut, welche der
Great Western den Rang der ersten Ozeanüberquerung (eines
Dampfschiffes) streitig machen sollte. Dies gelang ihr auch,
da die Great Western erst am 8. April 1838 mit Kurs auf
New York auslief. Am 22. April erreichte die Sirius New York;
die Great Western erreichte die Ostküste Amerikas einen Tag
später. 67 weitere Atlantiküberquerungen sollten folgen.
War die Great Wester noch in Holz gebaut, sollte Brunels
nächstes Schiff, die Great Britain ganz aus Eisen gebaut werden.
Außerdem sollte anstatt der Schaufelräder der Einsatz einer
Schiffsschraube für den nötigen Vortrieb sorgen. Dies in Kombination mit wiederum gewachsenen Abmessungen stellte die
damaligen Fertigungsmethoden auf die Probe. Die in Zellen
parzellierte Bauweise des Schiffrumpfes sollte für die nachkommenden Schiffe zum Standard werden.
Die Schiffsschraube mit verstellbaren Flügeln wurde von
einer 1000 PS starken Maschine angetrieben. Das 322 ft lange
Schiff stach im August 1845 zur Jungfernfahrt nach New York
in See, wo es 14 Tage später vor Anker ging.
10
Für den Rumpf dieses Schiffes wurden lediglich zwei verschieden große Winkeleisen verwendet. Ebenso griff die Standardisierung von Elementen bei den verbauten Eisenplatten,
die einheitlich mit 10 ft auf 2 ft 9 bemessen waren. Die Stärke
war entweder 1 oder 3⁄4 in.
Die Fortentwicklung der Nietentechnik zur Verbindung
einzelner Eisen sollte auch für andere Projekte bedeutsam
werden.
Anzumerken ist daß dieses Projekt Brunels letzte Energie
kostete. Finanziell, zeitlich und letzten Endes auch körperlich
vereinnahmte die Leviathan seinen Ingenieur; Brunel starb am
15. September 1859.
1.2.12 Great Exhibition 1851
Brunel war auf mehrerlei Art mit dieser architekturgeschichtsschreibenden Veranstaltung verbunden. Als Mitglied
des Machinery Section Comittee und des Building Comittee,
sowie als Vorsitzender der Judges of Class 7 on Civil Engineering.
11 Great Western
Great Eastern
„Dieser zuerst “Leviathan“ genannte Koloß, von John Scott
Russell & Co. gebaut, wurde 1852 auf Kiel gelegt und lief
nach allerlei Schwierigkeiten am 31. Januar 1859 vom Stapel.
Seine Länge betrug 210,6 m, die Breite 25,1 m. Eine von
der Firma James Watt & Co. gelieferte Maschine von nominal
1600 PS bewegte eine vierflügelige Schraube und zwei riesige
Schaufelräder von rund 19 m Durchmesser. Außer seinen 5
Schornsteinen besaß das Schiff noch 6 Masten... Wirtschaftlich
erwies sich der Riesendampfer als ein Fehlschlag - die Great
Eastern war von Anfang an ein Unglücksschiff. Aber sie spielte
1865/66 bei der Verlegung des ersten transatlantischen Kabels
ihre Rolle“ (Zitat Klinckowstroem).
Nachdem der erste Wettbewerb die Jury nicht befriedigte,
wurde durch die Kommission ein eigener Entwurf erarbeitet;
Brunel war hieran beteiligt. Dieser kam jedoch ebenfalls nicht
zur Ausführung, statt dessen wurde Paxtons Vorschlag, der
Hand in Hand mit dem Bauunternehmern Henderson & Fox
entwickelt war, verwirklicht.
England befand sich gerade im Krimkrieg als Brunel von der
Regierung beauftragt wurde billige transportierbare Gebäude
für die medizinische Versorgung verwundeter Soldaten zu entwerfen. Diese sollten von England aus nach Renkioi verschifft
werden. Unhabhängig von der Geländetopographie sollten
diese bis zu 1500 Betten aufnehmen können.
Brunels Vorschlag hierfür sah eine serielle Struktur von
Holzhäusern vor, welche an eine Erschließungsachse angelagert waren. Diese maßen 100 auf 40 ft und waren mit ihrer Giebelseite an den gemeinsamen überdachten Weg angelagert.
Das Gebäudedach war mit polierten Blech verkleidet, das
neben Schutz vor Regen auch einen optimierten Sonnenschutz
bot (hoher Reflektionsgrad).
Neben einem geteerten Abwasserkanal, der die an der
Rückseite gelegenen Sanitärräume entwässerte, gehörten ein
unterirdischer Belüftungskanal in Kombination mit Ventilatoren und ein vom Schlafraum räumlich abgetrenntes Behandlungszimmer zur Gebäudeausstattung.
12 Great Eastern
Brunels Zutat zu dem von Joseph Paxton entwickelten
Gebäude sind die Wassertürme, die Paxtons Crystal Palace flankierten nach dem dieser nach Sydenham umgesetzt worden
war.
1.2.13 Renkioi Hospital
Als eins der ersten Bauwerke, die mit Hilfe von präfabrizierten
Elementen erstellt wurden, gilt neben dem Crystal Palace Brunels Renkioi Hospital.
11
1855 wurde innerhalb von ca. drei Wochen so die
Unterbringungsmöglichkeit von Anfangs 300 Kranken geschaffen.
1.3
Einflüsse auf das Werk
Brunnel führte in seinem Werk die erkannten Prinzipien
entsprechender Vorgängerbauten durch eine Optimierung der
Fertigungsverfahren buchstäblich zu neuen Ufern, was sich entsprechend auf die Konstruktion seiner einzelnen Projekte auswirkte.
So stand für die Clifton Brücke nicht nur äußerlich Telfords
Menai Bridge Pate. In seinen großen Schiffen integrierte
Brunnel in Schritten, die bereits bei kleineren Booten eingesetzten Techniken. Für seine Tunnel konnte er auf die Erfahrung seines Vaters und die der beschäftigten Bergbaufachleute
zurückgreifen. Für Paddington Station war ganz klar der Crystal Palace der entscheidenste Geburtshelfer.
Seine Leistungen beruhen weniger auf der Entdeckung wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Erfindung gänzlich neuer
Maschinen. Vielmehr war es die Kenntnis dieser technischen
Errungenschaften was die Grundlage bildete, diese in seinen
Maschinen einzusetzen und praktisch nutzbar zu machen.
Ein oft wiederholtes Prinzip Brunels, das schon als Brunelsche Tradition bezeichnet wird, war durch Addition vorhandener Elemente bis an die Grenzen des Materials vorzudringen.
Dadurch wurden die oftmals extremen Größen seiner Projekte
möglich.
Unter architektonischen Gesichtspunkten leiden manche
Bauwerke Brunels zuweilen unter der allzu freien Anwendung
verschiedenster Stile: Ägyptisch, Italienische Renaissance, Gotik,
Klassik, ...Die glückliche Konstellation von einer Aufgabenteilung auf Architekt und Ingenieur wie bei der Paddington Station hingegen führte zu einem Ergebnis, das nicht nur unter
Bauhistorikern Anerkennung findet.
Nicht immer führte dieser Weg zum Erfolg. Das zeigt sich
am Beispiel der atmospheric railway.
Stets waren es auch die Investoren, der teils waghalsigen
Unternehmungen, die einen nicht unerheblichen Einfluß auf
Brunels Entwürfe nahmen. Was jedoch nicht verhinderte, daß
manche Projekte zum finanziellen Disaster wurden.
1.4
14 Menai Bridge von Telford
Wertung, historischer Kontext
Brunel gilt nach wie vor als einer der größten Ingenieure.
Diesen Ruhm hat er in erster Linie seinen Hauptwerken, der
Clifton-Brücke, der Royal Albert Bridge, der Great Western
Railway und den Dampfschiffen zu verdanken.
Sein Werk fällt in die Zeit der Industriellen und Technischen
Revolution; eine Zeitspanne die gleichsam fruchtbaren Boden
für sein Schaffen war, die aber auch wesentlich durch Produkte
Brunelschen Erfindergeistes geprägt wurde.
13 Renkioi Hospital
12
2
Paddington Station, London
Die Great Exhibition im Hyde Park in London (1851) versprach für die Great Western Railway ein gutes Geschäft. Für
die zahlreich erwarteten Passagiere sollte in Verbindung mit
einem Hotel ein ansprechender Bahnhof gebaut werden.
So wurde Brunel 1850 in seiner Funktion als gesamt-planender Ingenieur der GWR auch mit dieser Aufgabe betraut.
Die konstruktive und ästhetische Verwandtschaft von Brunels Entwurf für Paddington Station zum Crystal Palace, den
Paxton für die Great Exhibition entworfen hatte, war kein
Zufall.
Ebenfalls sollte hier mit den konstruktiven Möglichkeiten
des Materials Eisen und einer modulierten Bauweise (einzelner
standardisierter Bauglieder) ein zeitgemäßes Bauwerk verwirklicht werden.
2.1
Idee / Konzept
Mit den folgenden Sätzen umwirbt Brunel Matthew Digby
Wyatt, um ihm bei der Planung der Paddington Station beizustehen:
„I am going to design, in a great hurry, and I believe to
build, a Station after my own fancy; that is, with engineering
roofs, etc. etc. It is at Paddington, in a cutting, and admitting of
no exterior, all interior and all roofed in...Now, such a thing will
be entirely metal as to all the general forms, arrangements and
design; it almost of necessity becomes an Engineering Work,
but, to be honest, even if it were not, it is a branch of architecture of which I am fond, and, of course, believe myself fully
competent for; but for detail of ornamentation I neither have
time nor knowledge, and with all my confidence in my own ability I have never any objection to advice and assistance even in
department which I keep to myself, namely the general design.
15 Bahnhofshalle mit Querschiff
Now, in this building which, entre nous, will be one for the
largest of its class, I want to carrry out, strictly and fully, all
those correct notions of the use of metal which I believe you
and I share (except that I should carry them still farther than
you) and I think it will be a nice opportunity.
Are you willing to enter upon the work professionally in the
subordinate capacity (I put it in the least attractive form at first)
of my Assistandt for the ornamental details?“
Neben Brunel und Wyatt ist noch der Unternehmer Fox
Henderson zu nennen, der für die unmittelbare Ausführung,
Erstellung der Konstruktion verdingt wurde.
Dieser hatte bereits bei der Errichtung des Crystal Palace
Erfahrung sammeln können, wo er für zahlreiche Berechnungen und Ausführungszeichnungen verantwortlich gewesen
war.
13
16 Great Western Hotel
2.2
Städtebau
Die Lage der Paddington Station wird durch den in die Stadt
eingefügten Gleiskörper der Great Western Railway fixiert, die
möglichst nahe an die city Londons reichen sollten. Jede Eisenbahngesellschaft lancierte jeweils ihren eigenen Endbahnhof in
London, das als Hauptstadt die verschiedenen Linien auf sich
zentrierte.
Die Schienen der Great Western reichen nicht ganz bis
an den Hyde Park (wo die Great Exhibition stattfand), nordwestlich vom Stadtzentrum im Stadtteil Paddington. Die Praed
Street, die London Street, die Eastbourne Terrace und die
Bishops Bridge umgrenzen das Terrain wo der neue Endbahnhof entstand. Neben den Gleisen befand sich bereits ein als
Paddington 1 bezeichneter Bahnhof, der aber vor Bishops Road
Bridge lag.
Das Niveau der Gleise liegt unter dem der genannten Straßen
und unterband somit wie Brunel selbst feststellte eine zeichenhafte Wirkung des Bahnhofs auf die Umgebung.
2.3
Funktionen /innere Organisation /
Wegeführung
Zur primären Zielsetzung eines Bahnhofes gehört das
Ankommen und Abfahren der Reisegäste reibungslos,
übersichtlich und klimatisch geschützt zu organisieren.
Eine möglichst große stützenfreie Fläche gilt als Voraussetzung zur zwanglosen Anordnung von Gleisanlage und der
Bahnsteige für einen ungefährdeten und bequemen Zutritt zum
Zug.
Paddington Station gliedert sich wie folgt: In zentraler Position befindet sich die langgestreckte Bahnhofshalle, seitlich entlang der Längsachse ist auf der Ostseite die arrival area und auf
der Westseite die departure area angeordnet. Im Süden bildet das
Great Western Hotel, das nicht an die Bahnhofshalle gekoppelt war, den Puffer zwischen den Gleisen und Praed Street.
Der Raum zwischen Bahnhofshalle und Hotel dem sogenannten lawn wurde als Rangierfeld benutzt.
17 Grundriss
In der Typologie verschiedener Bahnhofsbauten findet sich
Paddington ganz klar in der Kategorie Kopfbahnhof. Zu damaligen Zeiten nicht unüblich wurden den ankommenden und
den abfahrenden Passagieren unterschiedliche Bereiche zugeordnet. Paddington gehört zur sogenannten two sided Variante,
das bedeutet: der Passagierstrom wird in ankommende und
abfahrende Reisende getrennt. Jeder erhält für sich seine eigene
Seite, was sich in der Zuordnung von getrennten Bahnsteigen
und Zu- und Ausgängen fortsetzt.
Die Bahnhofshalle besteht aus einem 102 ft 6 in breiten
Hauptschiff und zwei Seitenschiffen. Diese messen in ihrer
Breite 68 und 70 ft. Die gemeinsame Gesamtlänge der drei
Schiffe von 700 ft wird durch zwei Kreuzschiffe von jeweils
50 ft Breite symmetrisch gegliedert. Das Hauptschiff überragt
die Seitenschiffe in der Höhe um 8 ft 6 in. Für die beiden
Querschiffe hatte Brunel hydraulische Brücken entworfen, die
der Verbindung der Bahnsteige dienten. Diese konnten für die
Zugdurchfahrt versenkt werden und waren bis 1920 in Betrieb.
14
18 Querschnitt
Die Halle bietet Platz für insgesamt vier Bahnsteige und
zehn Gleise. Diese ragen über die Halle hinaus auf den lawn wo
mit Hilfe von Drehtellern und zwei Quergleisen die Lokomotiven gewendet werden konnten. Dieser lawn war mit niedrigen
paxton roofs eingehaust.
Fünf Gleise werden von den Bahnsteigen erreicht, die restlichen fünf liegen in der Mitte und dienen zum Rangieren und
Abstellen von Waggons und Lokomotiven.
Für die Abfertigung der abfahrenden Passagiere befinden
sich auf der Westseite neben dem Kassenraum nach Klassen
separierte Warteräume. Für die Königin wird ein Eigener vorgehalten, da die Linie der GWR an Windsor vorbeiführte. Im
Obergeschoß dieses Traktes finden die Verwaltungsräume der
Eisenbahngesellschaft ihren Platz. Im Bereich des einen Querschiffes befindet sich die Loge des Bahnhofvorstehers.
Die Belichtung der Bahnhofshalle erfolgt über
Oberlichtbänder, die im Scheitel des Bogens über die gesamte
Länge der Schiffe angeordnet sind. Weiteres Licht fällt durch
die Oberlichter der Querschiffe, wodurch die drei Halbtonnen
nicht nur räumlich verbunden werden, sondern auch durch das
von oben fallende Licht. (Heute markiert eines dieser quergerichteten Lichtbänder wirkungsvoll den Zughalteendpunkt).
2.4
Konstruktion
Die Halbtonnen der drei Schiffe werden aus jeweils 63
schmiedeeisernen Bogenrippen gebildet. Diese sind im Abstand
von 10 ft angeordnet und untereinander an neun Punkten
durch zwei gegeneinander verkreuzte Eisenbänder verbunden.
Ursprünglich kam die Konstruktion ohne Unterspannung aus.
Jeder dritte Bogen wird durch eine gußeiserne Stütze getragen, die damit alle 30 ft die Lasten der Dachkonstruktion aufnehmen.
Die übrigen zwei Bögen werden von einem Fachwerkbinder getragen, welcher von Stütze zu Stütze jeweils über die
ganze Längsachse spannt. Fachwerkbinder und Bogen haben
einen gemeinsamen Fußpunkt, (was die Konstruktionshöhe
reduziert).
Auf der Seite von Bahnsteig 1, der Westseite, werden die
Bögen mittels eines gußeisernen Bandes an das Gebäude
gefügt.
Die runden Stützen welche im Laufe der Zeit durch stählerne
Versionen ersetzt wurden, übertragen die Last auf massive
Betonfundamente, auf denen sie mit ihren Basen stehen.
19 Bogendetail
15
20 Querschnitt Mittelschiff
21 Längsschnitt Mittelschiff (Ausschnitt)
16
22 Fügung Bogen und Träger
23 Fußpunkt Bogen
Die Querschiffe übernehmen neben ihrer Rolle als räumliches
und lichttechnisches Verbindungselement die statische Aussteifung im Gesamtsystem.
Die Entwässerung der Dachfläche erfolgt über zwischen die
Bögen gelegte Regenrinnen, die ihrerseits das Regenwasser an
die Hohlräume der Stützen übergeben.
Als Regenhaut wurde das Dach ursprünglich mit Wellblech
(aus Eisen) eingedeckt und in der Untersicht mit Holz verkleidet; im Zuge der Zeit wurde das Wellblech durch profiliertes
Stahlblech ersetzt.
Die Fügung von Fachwerkbinder, Stütze und Bogen erfolgt
über ein der Stütze aufgesetztes lanzenförmiges Blech an dessen
Seiten Konsolen für die Bögen montiert sind.
Im Scheitel wird die Dachhaut dem Licht geöffnet und das
Paxtonsche System einer ridge and furrow Verglasung kommt
zum Einsatz. Diese aus dem Gewächshausbau entlehnte Konstruktion bildet pro Bogenintervall je einen Grat (zwischen
den Bögen) und eine Furche (in Bogenachse) aus. Von
„Furchenträger“ zu „Firstträger“ spannen die Streben welche
die Glasscheiben aufnehmen. Die „Furchenträger“ selber sind
tangential an die Bögen angelehnt und mittels hölzernen
Trägern und gußeisernen Konsolen aufgelagert.
Toleranzen unter den vorfabrizierten Elementen werden
durch Holzbretter ausgeglichen.
Der Fachwerkträger ist an die Stütze lediglich über Bolzen
verbunden, ebenso wird die Stütze an ihrem Fußpunkt mittels
Bolzen an das Fundament befestigt.
Der Bogen reduziert zum Scheitelpunkt hin seine
Krümmung, beziehungsweise verkleinert den Radius zum Auflagerpunkt an der Stütze (ähnlich einem Korbbogen). Gleich-
24 Säulenbasis
25 Giebel
zeitig reduziert sich zum Scheitelpunkt die Querschnittshöhe
von 18 auf 16 in.
Der Querschnitt, ein statisch günstiges und materialsparendes Doppel T Profil ist aus verschiedenen Halbzeugen zusammengenietet. I - Träger als fertige Meterware waren damals
noch nicht verfügbar. Im Bereich des Oberlichts wird der Querschnitt durch Aussparungen im Flansch weiterhin minimiert,
was Hand in Hand mit der übrigen Verzierung geht.
Das Blätterwerk der Ornamentierung ist an die Rippen über
Bolzen befestigt. Für die formale Ausgestaltung dieser verzierenden Elemente war in erster Linie Wyatt zuständig
Von gleicher eigenständiger Qualität sind die Verzierungen
der Giebelseiten, die der Schmiedekunst des fien de siècle vorauseilen.
17
2.5
Geschichtliches
Das illusionistische Zeitziel, den Bahnhof noch rechtzeitig
für die Great Exhibition fertigzustellen wurde verfehlt. Das
erste Hallenschiff über Bahnsteig 1, das für die Abfahrt vorgesehen war, wurde 1852 fertiggestellt. Die anderen zwei wurden
bis 1854 erstellt. Im Sommer 1855 schließlich waren die letzten
Arbeiten vollendet.
Der immer weiter wachsende Eisenbahnverkehr, dem sich
auch die Paddington Station stellen mußte, führte 1913 -15
zu der Erweiterung der bestehenden drei Schiffe um ein viertes Schiff. Das mit 109 ft nun größte Schiff wurde an der Ostseite angefügt. Laut Robert Thorne wurde damit die Statik der
älteren drei Schiffe derart beeinträchtigt, daß diese unterspannt
werden mußten.
Auch für die Einfügung von weitereren Bahnsteigen und
Anpassung an die verringerte Spurweite bot Paddington
genügend Spielraum.
Leider ist heute von der origianalen Verglasung nichts mehr
erhalten. Auch wurde die ursprüngliche Farbgebung von einem
rötlichen Grau mehrmals verändert.
Und in Zukunft stehen dem Bahnhof weitere Veränderungen
bevor. Anlaß hierzu ist die Anpassungen des Bahnhofes an die
Bedürfnisse der Heathrow Express Passagiere. Dies hat bereits
eine weitere Neuorganisation der Gleisanlage nach sich gezogen. Eine verbesserte Anbindung an die Londoner U - Bahn
via Rolltreppen und Lift, die Beseitigung von unliebsamen Einbauten im lawn und die Installation von 27 Check-in Schaltern
sollen folgen (nach der Planung der Architekten Grimshaw &
Partners).
Und noch tiefgreifendere Änderungen stehen an, sollte das
Cross Rail Projekt verwirklicht werden. Dieses sieht die Verbindung von Paddington Station mit Liverpool Street Station
durch eine unterirdische Streckenführung der Gleise vor, die
bei Paddington unter die Eastbourne Terrace abtauchen sollen.
26 südliches Schiff
18
2.6
Zeitliche Einordnung - vergleichbare Bauten
Hatte Brunel für den Entwurf, des 1839 / 40 errichteten
Endbahnhofs in Bristol (Temple Meads), auf historisierende
Formalismen zurückgegriffen, schlug er bei der Paddington
Station fast gänzlich andere Wege ein. Merklich von dem wegweisenden Crystal Palace beeinflußt, hat Brunel mit der Materialkombination von Eisen und Glas eine souveräne Prägnanz
für seine Hallenkonstruktion erreicht, die bis heute bestand
hat.
Wenn man rückblickend über die Bahnhöfe seiner Zeit von
Kathedralen der Technik spricht, so kann man geradewegs vermuten, dieser Begriff sei maßgeblich angesichts Paddington
entwickelt worden. Dafür spricht die Verwendung von einer
sakralräumlichen Formensprache (tonnenüberwölbte Mittel-,
Seiten- und Querschiffe) aber auch die erzielte Wirkung des
vom Himmel einfallenden Lichts.
Durch die modulierte Ordnung des Gesamtsystems und
eine additive Anordnung gleicher Elemente konnte Brunel die
fertigungstechnischen Möglichkeiten seiner Zeit ausnutzen um
ein schnell zu errichtendes Gebäude zu entwerfen. Neben der
kurzen Bauzeit war die Präfabrikation der unzähligen standardisierten Einzelelemente ein weiteres entscheidendes Moment
im Entwurf.
Die durch zahlreiche Änderungen gekennzeichnete Nutzungsgeschichte von Paddington Station beweist die auch heute
so oft angestrebte Flexibilität dieser großzügigen Hallenkonstruktion.
27 Querschiff
19
ANHANG
1
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20
2
28 London
KARTEN
29 Südengland
21
3
ANGELSÄCHSISCHE MASSEINHEITEN
1 inch
= 2,54 cm
=
1 in
1 foot = 12 in
= 30,48 cm
=
1 ft
1 yard = 3 ft
= 91,44 cm
=
1 yd
1 mile = 1760 yd
= 1609,344 m
=
1 mi
22