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S A S K AT C H E W A N
Die Prärie
übernimmt das
Kommando
Vor 100 Jahren waren Orte wie Bents blühende Gemeinwesen.
Mit dem Ende des Weizenbooms wurden sie zu Ghost Towns.
Ihr morbider Charme zieht heute Geschichtsfans und Fotografen
nach Saskatchewan. Von Oliver Gerhard (Text und Fotos)
Eine Kirche im Nirgendwo: Die Highways im Süden
Saskatchewans werden gesäumt von aufgegebenen
Häusern, Scheunen und Gotteshäusern.
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Sturm über Bents: Unaufhörlich nagen die Witterung und der Zahn der Zeit an den Holzbauten (links oben). Die historischen Grain E
­ levator
sind in Scotsguard verschwunden, dafür funkeln moderne Silos (links unten). Halbverfallene Häuser spiegeln sich in den F
­ enstern in
Robsart, wo immer noch Menschen leben (oben).
B
ents ist tot, ausgestorben
irgendwann im Laufe
der 1960er Jahre. Keine
Schilder weisen in die
einstige
Gemeinde,
auf den meisten Landkarten ist sie
nicht mehr eingezeichnet. Und doch
erlebt der verschwundene Ort gerade
ein kleines Revival. Unter „Ghost
Town Hunters“, Geschichtsfans und
Fotografen, die Saskatchewan nach
Relikten aus der Epoche des großen
Weizenbooms durchstreifen, ist Bents
keineswegs vergessen.
Getreide wogt rechts und links
des Highway 7, dazwischen blühen
leuchtende Rapsfelder. Hin und wieder
ragen Farmhäuser mit ihren silbern
glänzenden Getreidesilos aus dem
eintönigen Meer heraus. Ab und an
erinnert eine eingefallene Holzhütte an
alte Pionierzeiten. Wie ein gekenterter
Kahn treibt sie im Weizen.
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In regelmäßigen Abständen zweigen
Schotterpisten vom Highway ab,
schnurgerade führen sie Richtung
Horizont. Dann ein dunkler Schatten in
der Ferne: ein hölzerner Grain Elevator,
einer jener historischen Getreidesilos
mit eingebautem Aufzug, die einst
als „Kathedralen der Prärie“ überall
in Saskatchewan präsent waren. Das
Silo ist das Wahrzeichen von Bents –
und die einzige Möglichkeit, den Ort
aufzuspüren.
Lebensader Eisenbahn
Bei der Ankunft schallt ein Klirren
von den wackligen Holzhäusern, ein
Ton, wie wenn man Glasflaschen
aneinanderschlägt. Ist Bents vielleicht
doch nicht verlassen? Oder sind es
Frösche, die gerade ein Konzert geben?
Die Tür des alten General Store steht
offen. Beim Betreten stimmt ein
Schwarm Schwalben ein gewaltiges
Gezeter an, empört flattern die Vögel
dem Eindringling um den Kopf.
Der Boden ist übersät mit alten Pap­
pen und Tüten, in den Regalen liegen
Waren, die seit Jahrzehnten niemand
berührt hat: verstaubte Schlittschuhe,
Farbdosen, Insektenspray. Die Fächer
des alten Postamts sind leergeräumt, an
einem Nagel hängt eine zerschlissene
Jacke – als wäre der Postmeister nur
kurz zum Lunch gegangen. Die Dielen
im Obergeschoss sind eingesunken, in
einem Kinderwagen sitzt ein Teddybär,
offenbar dramatisch von einem Ghost
Town Hunter arrangiert.
Plötzlich quietscht es. Der Wind
hat eine rostige Kinderschaukel in
Gang gesetzt. Der nächste Schreck
beim Betreten des Grain Elevators:
Eine riesige Schleiereule flieht aus der
Dachluke, gefolgt von einer zweiten.
Hinter dem Silo zieht sich ein tiefer
Graben durchs Gras. Es ist der einzige
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Viele Farmen mussten auch deswegen
aufgeben, weil sie dem zunehmenden
Konzentrationsprozess in der Agrar­
industrie nichts ent­gegen­halten konn­
ten. Das langsame Ausbluten dauert
bis heute an. 1936 gab es 142.000 Far­
men in Saskatchewan, 70 Jahre spä­
ter waren es nur noch 44.000. Allein
zwischen 1985 und 2000 wurden mehr
als 30 Gemeinden aufgeben, viele der
hölzernen Grain Elevators abgerissen.
Zwar hat jedes der verlorenen Örtchen
seine eigene Geschichte, doch das
Resultat war stets dasselbe: eine Ghost
Town.
Einige Geisterstädte sind besonders
spannend, zum Beispiel Robsart im
Südwesten der Provinz. Die Häuser
dort wirken so, als wären sie fluchtartig
verlassen worden. In der Autowerkstatt
steht sogar noch ein Wagen, der seit
Jahrzehnten auf seine Reparatur wartet.
Oder Insinger nahe Yorkton mit zwei
faszinierenden ukrainischen Kirchen.
Oder Scotsguard, dessen Besitzer
Oldtimer sammelt und Haus für Haus
restaurieren möchte.
Manche Ghost Towns sind nur
schwer in den Archiven aufzuspüren.
Über Bents heißt es in der Enzyklopädie
„Canadian Geographic“ nur: „Bents ist
ein kleiner Weiler in Marriott No. 317,
Saskatchewan. Es hat keine Einwohner
mehr und ist verlassen.“ Lediglich in
Internetforen trifft man auf ehemalige
Bewohner, die ihre Erinnerungen
teilen.
„Meine Urgroßeltern waren unter
den ersten Siedlern“, schreibt George
Elder Duncan. „Sie nannten den
Ort nach Bents in Schottland, ihrer
Heimat.“ Und ein unbekannter User
schwelgt in Nostalgie: „Ich habe immer
noch die Musik aus der Dance Hall
im Ohr, das Poltern der Dielen unter
den Füßen der Tänzer, die ratternden
Züge in der Nacht – oh ja, diese kleine
Geisterstadt hat Geschichte!“
H
K A N A D A
Saskatchewan
TIPP
Weitere Fotos des Autors gibt
es ­unter „www.foto-reportage.­
photoshelter.com“. Auch ein Fotografenpaar widmet sich dem Thema:
www.biseenscene.com. Eine Liste
von Ghost Towns und deren his­
torische Hintergründe findet sich
unter „www.ghosttownpix.com“.
­Allgemeine Reiseinformationen zu
Saskatchewan erteilt ­
„www.tourismsaskatchewan.com“.
Oben: Einwanderer aus der Ukraine
errichteten in Insinger einst prächtige
Holzkirchen.
Neufarmer 160 Acres Land – knapp
650.000 Quadratmeter – für zehn Dollar
bekommen. Die Arbeit der Pioniere
war hart, doch sie fuhren reiche
Ernten ein. Entlang der Bahnlinien
schossen alle fünf bis zehn Kilometer
neue Siedlungen aus dem Boden, mit
Schulen und Rathäusern, Arztpraxen
und Wirtshäusern.
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Gegen Ende des 19. Jahrhunderts
strömten Tausende Siedler aus Europa
und den USA in den Westen Kanadas,
angelockt von Abenteuerlust und dem
Versprechen auf billiges Land. Nach
dem Dominion Lands Act konnten
MAGAZIN
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Hinweis auf die Bahnlinie, die hier
einst verlief. Die Trans Canadian
Railway erweckte viele Gemeinden im
Farmland zum Leben – und versetzte
ihnen Jahrzehnte später mit der
Stilllegung den Todesstoß.
Foto: Christian Heeb
Wie ein Gerippe liegt ein niedergesunkener Zaun vor der Hütte in Robsart.
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DIE WELT
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LESERWAHL
20 Jahre
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REISETRENDS 2016
10 TOPZIELE
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Dürren und Insektenplagen
1924 entstand der Wheat Pool, eine
Marketingkooperative in Farmerhand,
die Hunderte von Grain Elevators
errichtete. Doch in den 1930er Jahren
begann der Niedergang. Der sonst
zuverlässige Regen blieb aus, es folgten
Dürren, Tierseuchen, Insektenplagen,
gepaart mit den Auswirkungen der
Großen Depression. Ab den 1940ern
wurden die Highways ausgebaut, erste
Bahnlinien machten dicht – und mit
ihnen die kleinen Siedlungen an der
Strecke.
30129 ISSN 1430-4791 D A 5.50 A A 6.20 L A 6.50 CHF 10.00 ZAR 75.00
21. Jahrgang
Süd-Afrika 1/16
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