PDF anzeigen
Transcription
PDF anzeigen
S A S K AT C H E W A N Die Prärie übernimmt das Kommando Vor 100 Jahren waren Orte wie Bents blühende Gemeinwesen. Mit dem Ende des Weizenbooms wurden sie zu Ghost Towns. Ihr morbider Charme zieht heute Geschichtsfans und Fotografen nach Saskatchewan. Von Oliver Gerhard (Text und Fotos) Eine Kirche im Nirgendwo: Die Highways im Süden Saskatchewans werden gesäumt von aufgegebenen Häusern, Scheunen und Gotteshäusern. 54 | AMERICA 4/16 4/16 AMERICA | 55 S A S K AT C H E W A N Sturm über Bents: Unaufhörlich nagen die Witterung und der Zahn der Zeit an den Holzbauten (links oben). Die historischen Grain E levator sind in Scotsguard verschwunden, dafür funkeln moderne Silos (links unten). Halbverfallene Häuser spiegeln sich in den F enstern in Robsart, wo immer noch Menschen leben (oben). B ents ist tot, ausgestorben irgendwann im Laufe der 1960er Jahre. Keine Schilder weisen in die einstige Gemeinde, auf den meisten Landkarten ist sie nicht mehr eingezeichnet. Und doch erlebt der verschwundene Ort gerade ein kleines Revival. Unter „Ghost Town Hunters“, Geschichtsfans und Fotografen, die Saskatchewan nach Relikten aus der Epoche des großen Weizenbooms durchstreifen, ist Bents keineswegs vergessen. Getreide wogt rechts und links des Highway 7, dazwischen blühen leuchtende Rapsfelder. Hin und wieder ragen Farmhäuser mit ihren silbern glänzenden Getreidesilos aus dem eintönigen Meer heraus. Ab und an erinnert eine eingefallene Holzhütte an alte Pionierzeiten. Wie ein gekenterter Kahn treibt sie im Weizen. 56 | AMERICA 4/16 In regelmäßigen Abständen zweigen Schotterpisten vom Highway ab, schnurgerade führen sie Richtung Horizont. Dann ein dunkler Schatten in der Ferne: ein hölzerner Grain Elevator, einer jener historischen Getreidesilos mit eingebautem Aufzug, die einst als „Kathedralen der Prärie“ überall in Saskatchewan präsent waren. Das Silo ist das Wahrzeichen von Bents – und die einzige Möglichkeit, den Ort aufzuspüren. Lebensader Eisenbahn Bei der Ankunft schallt ein Klirren von den wackligen Holzhäusern, ein Ton, wie wenn man Glasflaschen aneinanderschlägt. Ist Bents vielleicht doch nicht verlassen? Oder sind es Frösche, die gerade ein Konzert geben? Die Tür des alten General Store steht offen. Beim Betreten stimmt ein Schwarm Schwalben ein gewaltiges Gezeter an, empört flattern die Vögel dem Eindringling um den Kopf. Der Boden ist übersät mit alten Pap pen und Tüten, in den Regalen liegen Waren, die seit Jahrzehnten niemand berührt hat: verstaubte Schlittschuhe, Farbdosen, Insektenspray. Die Fächer des alten Postamts sind leergeräumt, an einem Nagel hängt eine zerschlissene Jacke – als wäre der Postmeister nur kurz zum Lunch gegangen. Die Dielen im Obergeschoss sind eingesunken, in einem Kinderwagen sitzt ein Teddybär, offenbar dramatisch von einem Ghost Town Hunter arrangiert. Plötzlich quietscht es. Der Wind hat eine rostige Kinderschaukel in Gang gesetzt. Der nächste Schreck beim Betreten des Grain Elevators: Eine riesige Schleiereule flieht aus der Dachluke, gefolgt von einer zweiten. Hinter dem Silo zieht sich ein tiefer Graben durchs Gras. Es ist der einzige 4/16 AMERICA | 57 S A S K AT C H E W A N Viele Farmen mussten auch deswegen aufgeben, weil sie dem zunehmenden Konzentrationsprozess in der Agrar industrie nichts entgegenhalten konn ten. Das langsame Ausbluten dauert bis heute an. 1936 gab es 142.000 Far men in Saskatchewan, 70 Jahre spä ter waren es nur noch 44.000. Allein zwischen 1985 und 2000 wurden mehr als 30 Gemeinden aufgeben, viele der hölzernen Grain Elevators abgerissen. Zwar hat jedes der verlorenen Örtchen seine eigene Geschichte, doch das Resultat war stets dasselbe: eine Ghost Town. Einige Geisterstädte sind besonders spannend, zum Beispiel Robsart im Südwesten der Provinz. Die Häuser dort wirken so, als wären sie fluchtartig verlassen worden. In der Autowerkstatt steht sogar noch ein Wagen, der seit Jahrzehnten auf seine Reparatur wartet. Oder Insinger nahe Yorkton mit zwei faszinierenden ukrainischen Kirchen. Oder Scotsguard, dessen Besitzer Oldtimer sammelt und Haus für Haus restaurieren möchte. Manche Ghost Towns sind nur schwer in den Archiven aufzuspüren. Über Bents heißt es in der Enzyklopädie „Canadian Geographic“ nur: „Bents ist ein kleiner Weiler in Marriott No. 317, Saskatchewan. Es hat keine Einwohner mehr und ist verlassen.“ Lediglich in Internetforen trifft man auf ehemalige Bewohner, die ihre Erinnerungen teilen. „Meine Urgroßeltern waren unter den ersten Siedlern“, schreibt George Elder Duncan. „Sie nannten den Ort nach Bents in Schottland, ihrer Heimat.“ Und ein unbekannter User schwelgt in Nostalgie: „Ich habe immer noch die Musik aus der Dance Hall im Ohr, das Poltern der Dielen unter den Füßen der Tänzer, die ratternden Züge in der Nacht – oh ja, diese kleine Geisterstadt hat Geschichte!“ H K A N A D A Saskatchewan TIPP Weitere Fotos des Autors gibt es unter „www.foto-reportage. photoshelter.com“. Auch ein Fotografenpaar widmet sich dem Thema: www.biseenscene.com. Eine Liste von Ghost Towns und deren his torische Hintergründe findet sich unter „www.ghosttownpix.com“. Allgemeine Reiseinformationen zu Saskatchewan erteilt „www.tourismsaskatchewan.com“. Oben: Einwanderer aus der Ukraine errichteten in Insinger einst prächtige Holzkirchen. Neufarmer 160 Acres Land – knapp 650.000 Quadratmeter – für zehn Dollar bekommen. Die Arbeit der Pioniere war hart, doch sie fuhren reiche Ernten ein. Entlang der Bahnlinien schossen alle fünf bis zehn Kilometer neue Siedlungen aus dem Boden, mit Schulen und Rathäusern, Arztpraxen und Wirtshäusern. 1/2016 März/ April/ Mai 16 I 27. Jah rgan g 12163 ISSN 093 KAPSTADT ON THEL ROAD TAINB IKING ■ MALAWI A H MO UN D.C. H FLORID KAROO 1. Teil ChicL A 6.5 0 A A 6.2 0 00 CHF 10. JOUR ago bis EXT Oklaho ma NAT RA: KALIFIONALPAR O R MAINE NIEN KS TREN DY D.C . 0 D A 5.5 IFORN MAGA ZIN RKS KAL NALPA ■ SEN H NATIO PER Mit dem DUR ZUG ie AMERCHAMPER in d S IKA C ROCKIE TEIL 1 H ZUG REI H RO UTE 66 FLORI Smith AN TCHEW REISEN · SASKA DA HIG sonian Institu tion H HLIGH Mount ainbik ing H isons C · ZUG QUÉBE : EXTRAtipps von ERTA · Geheim VUT · ALB · NUNA NITOBA BIA · MA LEAVFIünf tolle Tour die Huds pp · Hotelti on Bay Jahr s · 150 e Kanada TS Country ten B Die letz an Im Zug A A 6.20 L A 6.50 KAPSTADT Große Karoo | Reisetrends 2016 | Soziales Jahr am Kap Trend er Wale Bucht d · 150 JAH IEN H WASH INGTON ■ OKAVANGO DELTA ■ NAMIBIAS SÜDEN MALAWI SAFARI AM SEE D A 5.50 PERFEKTE TAGE IN perten Mit drei Magazinen in spannende Weltregionen reisen: Reiseex R COUVE Erhältlich im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder direkt vom J.Latka NVerlag. G VAN en Infos unter www.latka.de 9-3 382 3 1 / 201 6 EC QUÉy B al Montré ISLAND 1 / 16 KANADA Mai/JUN SPECIA TOPZIELE DER LESER L Die Hig RE KAN ADA C IA COLUM 4/16 SP E BRITISH 58 | AMERICA Gegen Ende des 19. Jahrhunderts strömten Tausende Siedler aus Europa und den USA in den Westen Kanadas, angelockt von Abenteuerlust und dem Versprechen auf billiges Land. Nach dem Dominion Lands Act konnten MAGAZIN 3/20 16 ANADA Delta FC Okavango BEST hO ts h g li UNTERWEGS MIT EINER BUSCHPILOTIN EDWARD PRINCE Hinweis auf die Bahnlinie, die hier einst verlief. Die Trans Canadian Railway erweckte viele Gemeinden im Farmland zum Leben – und versetzte ihnen Jahrzehnte später mit der Stilllegung den Todesstoß. Foto: Christian Heeb Wie ein Gerippe liegt ein niedergesunkener Zaun vor der Hütte in Robsart. AMERIC A A D A N A K KANADA DIE WELT ERFAHREN A M Route ERICA 66 AMERIC A 3/16 LESERWAHL 20 Jahre ■ REISETRENDS 2016 10 TOPZIELE ■ Dürren und Insektenplagen 1924 entstand der Wheat Pool, eine Marketingkooperative in Farmerhand, die Hunderte von Grain Elevators errichtete. Doch in den 1930er Jahren begann der Niedergang. Der sonst zuverlässige Regen blieb aus, es folgten Dürren, Tierseuchen, Insektenplagen, gepaart mit den Auswirkungen der Großen Depression. Ab den 1940ern wurden die Highways ausgebaut, erste Bahnlinien machten dicht – und mit ihnen die kleinen Siedlungen an der Strecke. 30129 ISSN 1430-4791 D A 5.50 A A 6.20 L A 6.50 CHF 10.00 ZAR 75.00 21. Jahrgang Süd-Afrika 1/16 Süd-Afrika Music NAL CHF 10.0 0