familienorientierung

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familienorientierung
JuKiP
Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege
Angebunden
Kinderdialyse
Haf tungsrisiko
Wenn Kinder stürzen
B e r at u n g
Epilepsie
C NE Sch w e r p u n k t
Familienorientierung
1|12
Juni 2012 1. Jahrgang
Seite 1-48
ISSN 1439-2569
www.thieme-connect.de/
ejournals
Ihr Team der JuKiP
Katrin S. Rohde
ist Pflege- und Gesundheitswissenschaftlerin, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin sowie Literaturwissenschaftlerin. Sie lehrt als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Evangelischen
Hochschule in Berlin u. a. Wochen- und
Kinderkrankenpflege und arbeitet eng
mit Praxisanleitern und Praxistrainern
aus der Kranken- und Kinderkrankenpflege zusammen. Wissenschaftliche
Interessen und Veröffentlichungen liegen im Feld der Kinderkrankenpflege, der kritischen Bewertung
wissenschaftlicher Veröffentlichungen, der evidenzbasierten Praxis, der Didaktik und der Entwicklung der akademischen Ausbildung in der Pflege.
„Besonders am Herzen liegt mir im Feld der Kinderkrankenpflege die
­Beratung und Begleitung der kleinen und größeren Patienten und ihrer
Angehörigen sowie die Versorgung von Neu- und Frühgeborenen.“
Martina Gießen-Scheidel
ist Pflegewissenschaftlerin M. Sc., Dipl.
Pflegepädagogin (FH), Gesundheitsund Fachkinderkrankenpflegerin für pädiatrische Intensivpflege. Seit 1996 ist
sie in der Weiterbildung in den Gesundheitsfachberufen „Pädiatrische Intensivpflege“ der Universitätsmedizin Mainz
der Johannes Gutenberg-Universität tätig. Ihr berufliches Arbeitsfeld liegt seit
1989 in der neonatologischen und pädiatrischen Intensivpflege.
„Akutpflege und familienorientierte Pflege sind kein Widerspruch, sondern vereinen die Grundprinzipien der Pflegepraxis, der Pflegepädagogik und der Pflegewissenschaft.“
Karin Jäckle
ist Kinderkrankenschwester seit 1977
mit Fachweiterbildung Intensiv und Anästhesie. Über 20 Jahre war sie mit in
der Stationsleitung der großen neonatologischen Intensivstation des Olgahospitals in Stuttgart. Seit 2000 ist
sie Trainerin für MH-Kinaesthetics Infant
Handling, in der Klinik wie auch freiberuflich. Ein großer Teil ihrer beruflichen Erfahrung stammt aus der Arbeit
mit schwerstkranken Kindern und deren Eltern, daraus resultierte ihre berufsbegleitende Ausbildung zur
Trauerbegleitung und zur Palliative Care Fachkraft.
„Ich freue mich sehr auf die interessante Tätigkeit als Fachbereit einer
neuen Zeitschrift, die nicht nur die Krankheit des Kindes, sondern die
ganze betroffene Familie ins Zentrum rückt.“
Eva-Maria Wagner
ist Fachkinderkrankenschwester für
pädiatrische Intensivpflege und Praxisanleiterin, Mitautorin eines Lehrbuchs
für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie Autorin zahlreicher Fachartikel. Nach langjähriger Tätigkeit in
der neonatologischen und pädiatrischen Intensivpflege ist sie seit 2005
als freigestellte Praxisanleiterin im
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin tätig.
„Durch meine Arbeit auf den verschiedenen Stationen erlebe ich täglich, wie vielfältig und spannend die Kinderkrankenpflege ist. Zu dieser
Vielfalt möchte ich auch in meiner Tätigkeit als Fachbeirätin der JuKip
bei­tragen.“
Michaela Müller
ist seit 1983 Kinderkrankenschwester und hat langjährige Erfahrung in der Kinderintensivpflege in Klinik und
ambulantem Bereich. 2006 wechselte sie in die Kinder- und Jugendhospizarbeit und nahm an Weiterbildungen
zur Fachkraft für Hospizarbeit, Pädiatrischen Palliativfachkraft und zur Kinder- und Jugendtrauerbegleiterin teil.
Sie ist Vorstandsmitglied beim Bunten Kreis Schwäbisch Gmünd und seit 2011 beim Hospiz Stuttgart zuständig
für den Kinder- und Jugendhospizbereich. Außerdem arbeitet sie als Referentin an der Elisabeth-Kübler-RossAkademie. Berufsbegleitend absolviert sie eine Weiterbildung zur PDL.
„Meinen Schwerpunkt in der JuKiP möchte ich auf Themen legen, die mit Sterben, Tod und Trauer bei Kindern und
Jugendlichen zu tun haben.“
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E ditorial
Editorial
Kinder pflegen heißt,
ihre Lebenswelt einzubeziehen.
Sind Sie Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin?
Herzlichen Glückwunsch, dann haben Sie einen
Traumberuf. Und damit das so bleibt, tun wir alles, um Sie bei
Ihrer täglichen Arbeit, Ihren zukünftigen Aufgaben und Ihrer
Weiterentwicklung zu unterstützen. Wir – das ist ein Team
engagierter Pflegender mit Kompetenz und Erfahrung aus
den verschiedensten Handlungsfeldern sowie Fachautoren,
Journalisten und Redakteure, die die Inhalte fachkompetent,
sprachlich und optisch attraktiv aufbereiten – um der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege eine kräftige Stimme zu
geben und einen anregenden Austausch zwischen Theorie
und Praxis zu fördern.
Die Wünsche unserer Leser stehen dabei im Vordergrund,
daher haben wir vor der Konzeption der Zeitschrift und der
Auswahl der Themen Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen nach ihren besonderen Interessen gefragt. Das Ergebnis der Befragung spiegelt sich in der Bandbreite an Themen und Fragestellungen wider, die Sie in der JuKiP finden.
Dabei betrachten wir alle Tätigkeitsfelder von Gesundheitsund Kinderkrankenpflegenden, von der Prävention bis zur Rehabilitation, von der kurativen bis zur palliativen Versorgung
und von der Ausbildung sowie Fort- und Weiterbildung bis
zur Pflegewissenschaft. Im Fokus steht immer die gesamte
Patientengruppe vom Frühchen bis zum Jugendlichen.
Die Orientierung an der Lebenswelt des Kindes bzw. Jugendlichen und damit an der Familie liegt uns besonders am
Herzen. Daher haben wir den CNE-Schwerpunkt dieser ersten
Ausgabe der JuKiP genau diesem Thema gewidmet.
Neben diesem Schwerpunkt, der in jeder Ausgabe ein anderes Thema intensiv beleuchtet, unterstützen wir Sie im
wachsenden Aufgabenbereich der Beratung von Kindern und
deren Eltern. Dabei haben wir auch Pflegende und ihre berufliche (Weiter-)Entwicklung im Blick. Neben der Praxisrelevanz legen wir großen Wert darauf, dass unsere Leser über
aktuelle Entwicklungen in der Welt der Gesundheits- und
Kinderkrankenpflege gut informiert sind. Das bedeutet auch,
dass Entwicklungen aus Wissenschaft und Forschung praxisorientiert aufgenommen werden.
Lebendig und vielseitig, stets am Puls des Geschehens – so
wird die JuKiP Sie in Ihrem Traumberuf unterstützen.
Wir alle wünschen Ihnen viel Freude beim Schmökern in
Ihrer ersten JuKiP und freuen uns, wenn wir die eine oder andere Diskussion anregen.
PS: Wir sind gespannt auf Ihre Meinung, Ihre Wünsche und Kritik.
Ihr direkter Draht zu uns ist [email protected].
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JuKiP
Juni 2012
Fachbeirat
Martina Gießen-Scheidel
Karin Jäckle
Michaela Müller
Katrin S. Rohde
Eva-Maria Wagner
Praxis
Redaktion
6Angebunden
Peritonealdialyse
Christine Grützner
Kristin Schmidt-Sumera
11Plädoyer für NIDCAP
Pflegekonzept für Frühgeborene
14 Hinter die Schleuse geschaut
Alltag in einer Kinderchirurgie
Autoren
16 Çok yaşa – Gesundheit!
Gesundheit türkischer Kinder
Yasar Bilgin
Christian Bleher
Christoph Bork
Jesper Dieckmann
Susanne Fey
Doris Karge
Christina Köhlen
Stephanie Rist
Iris Steugck
18Ansichten
Beratung
21 Häufige Epilepsieformen
im Kindes- und Jugendalter
… und wie Sie damit umgehen können
24So geht das ...
EEG-Untersuchung
26Wissen, was Eltern wissen wollen
Hilfsangebote für betroffene Familien
28Nachgefragt
… bei Andrea Korf,
Epilepsie-Zentrum
Darf ich mich
vorstellen?
Ich heiße Lukas und mache
mich stark für Kinder. Immer
dann, wenn Kinder lernen,
mit ihrer Krankheit umzugehen, komme ich ins Spiel.
Mir ging es selber mal
nicht gut und ich habe
das Krankenhaus ganz
genau von innen erkundet.
Hinten auf dem Umschlag
finden die Kinder ein Krankenhaus-Labyrinth, durch das sie mich führen können, ich werde gesund, habe Superkräfte und
kann von jetzt an kranken Kindern helfen. Als
Abonnent können Sie meine Geschichten unter
www.thieme-connect.de herunterladen und für
Ihre Patienten ausdrucken. Ich freue mich schon
auf die vielen Kinder, die ich kennenlernen werde.
CNE Schwerpunkt
29Die gute neue Zeit
Die Lebensgeschichte von Joachim
und seiner Familie
32 „Prävention ist für mich
das Wichtigste überhaupt“
Interview mit Claudia Vögele, FGKiKP
34Brückenpfeiler
Familienorientierte Rehabilitation
36 Dabei sein ist alles!
Lernziel: Integration der Eltern
40Familien- und umweltbezogene Pflege
Theorie des systemischen Gleichgewichts
43CNE Fragebogen Familienorientierung
Rubriken
Euer
4
Tipps · Trends
45
Brennpunkt Recht
48
Vorschau · Impressum
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inhalt
6 Peritonealdialyse Mirjam ist viereinhalb Jahre alt und hat in ihrem kurzen
Leben schon neun Operationen hinter sich. Grund ist ein Tumor, der in ihrer
Niere entdeckt wurde. Nun lebt sie mit einem Tenkhoff-Katheter und einer
Nabelschnur aus Plastik, von der alles abhängt. Wie sie und ihre Familie den
Alltag bewältigen, lesen Sie in unserer Reportage.
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Fotos: Erol Gurian, Werner Krüper (2), Paavo Blåfield
14 Kinderchirurgie Wenn Kinder operiert werden müssen, ist das gesamte
Team gefordert. Nicht nur die Kinder brauchen viel Zuwendung, auch der Umgang mit den Eltern setzt ein hohes Maß an Empathie voraus. Vertrauen zu
schaffen steht dabei an oberster Stelle.
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Familienorientierung Dass Eltern sich große Sorgen machen, wenn ihr
Kind im Krankenhaus ist, ist nur allzu verständlich. Aufgabe des Pflegepersonals ist es darum auch, Eltern angemessen über Zustand und Behandlung des
Kindes zu informieren. Durch Lernaufgaben kann den Auszubildenden der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege geholfen werden, theoretisches Wissen in
die Praxis umzusetzen.
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Epilepsie Ohnmacht und Hilflosigkeit erleben Eltern oft, wenn ihr Kind
­ inen epileptischen Anfall hat. Durch gezielte Aufklärung kann den Eltern viel
e
Druck genommen werden. Wir geben Ihnen einen Überblick über die häufigsten Epilepsieformen und erklären Ihnen, wie Sie den Umgang damit meistern.
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pra x is
Angebunden
Fast die Hälfte ihres Lebens hängt die viereinhalb Jahre alte Mirjam an der Peritonealdialyse. Damit
wird sie ganz gut fertig. Besser als die gesamte Familie. Eine Reportage über das Zusammenleben im
Rhythmus der Maschine.
Von Chris Bleher (Text) und Erol Gurian (Fotos)
Nie wieder darf der Doktor Fehrenbach das tun! Als das Auto auf dem
Krankenhaus-Parkplatz hält, schärft Mirjam
das ihrer Mutter nochmal ein. „Keine Angst,
heute gibt’s nur Ultraschall und Spritze“,
versichert die Mama. Mirjam fasst sich ein
Herz, klettert aus dem Kindersitz und hüpft
hopsasa voraus. Den Weg in den zweiten
Stock kennt sie gut, und eigentlich kommt
sie ja gern. Sie öffnet die Tür zur PädiatrischNephrologischen Ambulanz, und als die Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin sie
begrüßt, muss Mirjam gleich mal zwei Dinge regeln: „Ich hab dir was mitgebracht!“,
ruft sie und reicht der Frau im weißen Kittel
ein paar ovale, hübsch glatte Kiesel. Mirjams
Mutter hat von diesem Geschenk gar nichts
gewusst und scherzt: „Nierensteine!“ In das
herzhafte Lachen hinein wendet sich das
zierliche Mädchen dem Doktor zu und erledigt Vorhaben Nummer zwei. In feierlichem
Ton verspricht sie: „Ich mache auf immer
und ewig Aa!“ Ihre größte Sorge seit dem
Aufstehen heute Morgen war, dass Doktor
Fehrenbach ihr wieder einen Einlauf geben
könnte.
Was, wenn sich wieder
Krebszellen gebildet haben?
Guten Morgen! Wenn Petra Wittmann Mirjam aus dem Bett holt, legt sie Mundschutz an. Dann
entfernt sie den Dialyse-Schlauch aus dem Bauch-Katheter.
Die größte Sorge von Petra Wittmann
heute Morgen war nicht die Verdauung ihrer Tochter und die eher harmlose Konsequenz. Ihre Sorge war, dass der Ultraschall
wieder etwas Schlimmes zeigen könnte.
Wie im November 2010, als Mirjam bei einer kinderärztlichen Routine-Untersuchung über Schmerzen im Bauch klagte,
und wenig später ein fast sieben Zentimeter großer Tumor entdeckt wurde. Was,
wenn wieder Krebszellen auf dem Monitor erschienen? Neun Mal ist ihre Tochter
seit ihrem zweiten Geburtstag nun schon
operiert worden. Zuerst wurde die befalwww.thieme.de
P ra x is
Mirjams Vater Christian Wittmann, 45, muss jeden Morgen das
klebrige Dialysat entsorgen. Da fallen eine Menge verbrauchter
­Plastik-Sets an.
lene Niere entfernt, später auch die andere, ein Spenderorgan musste bereits nach
24-Stunden entfernt werden. Nun lebt sie
mit einem Tenkhoff-Katheter und jener
Nabelschnur aus Plastik, von der alles abhängt und um die sich alles dreht.
Alle sechs Wochen muss Petra Wittmann mit ihrer Tochter in die Ambulanz
zu Oberarzt Dr. Henry Fehrenbach. Heute
ist es wieder so weit. Gleich nach dem
Frühstück ging es 105 Kilometer im Auto
von Gablingen am Nordrand von Augsburg
über Landsberg nach Memmingen. Als
blinder Passagier dabei: die Angst. Eine nagende Angst wegen der Sache mit dem
Einlauf bei Mirjam, eine alles durchdringende bei der 43 Jahre alten Mutter. Zum
Scherzen ist ihr meist nicht zumute.
Immerhin: Mirjam ist ein fröhliches,
aufgewecktes Mädchen, etwas zu klein für
ihr Alter und auch zu leicht, aber tagsüber
nahezu uneingeschränkt beweglich. Sie
kann dank Peritonealdialyse (PD) komplett
zu Hause versorgt werden. Das Bauchfell
dient als Membran für eine Glucose-Lösung, diese nimmt die Giftstoffe aus dem
Blut auf. Ein Dialyse-Computer regelt den
Wechsel von verbrauchter und neuer Flüssigkeit. Das klingt einfach. Aber der Computer muss korrekt bedient werden – und
er braucht seine Zeit. Das heißt: Gegen 19
Uhr muss sich Mirjam auf ihre rosa Matratze am Fußende des Ehebetts legen, immer auf den Rücken, und sich anschließen
lassen für die nächsten dreizehneinhalb
Stunden. Der Beutel muss die richtige
Menge Dialysat enthalten, sonst bekommt
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Der Vorratsraum dient den Wittmanns als Lager für enorme Mengen
an Dialyse-Sets. Mirjam kümmert das wenig, sie interessiert sich eher
für die Äpfel.
Mirjam Bauchweh und wird schlapp. Oder
der Blutdruck steigt.
Allein das Anschließen dauert fast eine
Stunde. Selbstverständlich muss alles steril
sein, was mit den Öffnungen an Bauch oder
Gerät und Zubehör in Berührung kommt.
Das heißt auch: Mundschutz! Ein Lächeln
bekommt Mirjam während der Prozedur
deshalb nie zu sehen. Meistens läuft aber sowieso eine DVD, damit es ihr nicht so langweilig ist. Dann mischen sich das Fiepen der
Maschine und Filmmusik zu einer Kakophonie, die im gemeinsamen Schlafzimmer von
Vater, Mutter und Tochter niemand mehr
wahrnimmt. Während ihrer vielen Krankenhausaufenthalte wäre es ohne DVDs nicht
gegangen. Auch zuhause ist es so: Wenn die
Flüssigkeit einläuft, verbessern sich rasant
die Blutwerte. Das heißt aber auch: Mirjam
wird putzmunter und könnte Purzelbäume
schlagen. Doch sie muss liegen bis kurz nach
8 Uhr morgens. Erst dann wird sie abgehängt. Zweimal schon hatte sie danach einen kugelrunden Bauch und große Schmerzen: Unbemerkt war keine Flüssigkeit abgelaufen, es floss nur neue hinein.
Manchmal zweifelt die gläubige
Mutter an Gott.
Zuhause versorgen zu können, das hört
sich gut an. Nach Privatheit, nach menschlicher Wärme. Doch vor allem die Nächte
stellen dieses Prinzip auf eine harte Probe.
Wenn die Maschine mal wieder durchdringend wie ein Teekessel pfeift, ist es vorbei
mit Schlafen. Möglicherweise liegt Mirjam
dann auf dem Bauch und der Schlauch ist
abgeklemmt. Meist war es blinder Alarm.
Monatelang hatte es bis zu 20 Mal pro
Nacht gefiept. Das zermürbende WachSein nutzte Christian Wittmann dazu, dem
Gerät auf die Schliche zu kommen. Ergebnis: Es war defekt. Nun haben sie ein neues,
das nur selten falsche Signale sendet.
Die Nerven der Eheleute Wittmann liegen trotzdem blank nach bald zwei Jahren
im Rhythmus der Maschine. Es sind ruhige,
liebevolle Menschen, die sich in einem
selbstgebauten Holzhaus geschmackvoll
eingerichtet haben. Doch genießen können
sie es kaum, weil alle Sinne auf die Tochter
und das Gerät gerichtet sind. Vor allem in
den Stunden nach 19 Uhr. Jeder Alarm, ob
falsch oder echt, bedeutet: Licht an, Kind
beruhigen, nachschauen, ob das Dialysat
trüb geworden ist oder gar Spuren von Blut
enthält. Dann ein steriles Dialyse-Set aus
dem Keller holen, Mundschutz anlegen,
hoffen, dass der Computer den Barcode
korrekt einliest, ab- und anstöpseln, warten, bis alles wieder läuft. Eine halbe Stunde dauert allein dieser Vorgang. Und immer
ist da auch die Angst vor einem Stromausfall. Am Morgen muss die klebrige DialyseFlüssigkeit entsorgt werden. Oft genug war
der Ausguss verstopft, jetzt erledigen sie
das in einem Becken vor dem Haus.
Die Wittmanns sind gläubige Menschen:
An vielen Wänden hängen Bilder mit christlichen Motiven, von Kinderhand gemalt, und
Kunstdrucke. Im Wohnzimmer der Herrgottswinkel, auf der Toilette die Bibel, Altes
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Zum Frühstück Phosphatbinder und Co. Tabletten mag Mirjam lieber als die meisten Speisen. Zu denen muss sie jedes Mal erst überredet werden.
Testament. Auf dem Bord über dem Ehebett
Bücher mit Titeln wie: „Licht der Welt, Salz
der Erde“, „Der unlogische Gott“, „Wandlungen einer Ehe“ oder „Ich bin dann mal weg“.
Sie finden Trost im Gebet, doch irgendwann
nach einer erneuten Nacht mit wenig Schlaf
und vielen Tränen gestand sich die ehrenamtliche Kirchen-Organistin Wittmann ein:
„Manchmal zweifle ich an Gott.“ Sie und ihr
Mann haben eine Paartherapie begonnen.
Die Nachtschichten fallen unweigerlich
an, unabhängig davon, ob Christian Wittmann, Gas-Wasser-Installateur und Solarenergieberater, morgens einen Termin hat.
Unabhängig davon, ob Petra Wittmann,
Klavierlehrerin, Schüler empfängt oder
nicht, unabhängig davon, ob frühmorgens
die acht Jahre alte Enya und die zehn Jahre
alte Hannah, Petra Wittmanns Töchter aus
erster Ehe, in die Schule müssen. Sohn und
Tochter von Christian Wittmann aus dessen vorangegangener Ehe sind 16 und 18
Jahre alt und nur selten im Haus.
Auch heute, beim Frühstück vor der Fahrt
nach Memmingen, waren nicht Solarenergie und Klaviersonaten das Thema sondern
Dialyse und Blutwerte. Und dieser hässliche
Brief von der AOK. Da gerät Christian Wittmann, ansonsten ein besonnener Mann, in
Rage: Die wollen keine Pflegende im Nachtdienst zahlen. Mit sechs Minuten Mehraufwand rechnen die. Die Grundpflege, steht
da, ist bei einem Kleinkind ohnehin hoch
anzusetzen. Weiß denn bei denen jemand,
wie es ist, wenn das Kind schreit und man
Eiter unter dem großflächigen Spezialpflaster am Bauch entdeckt? Einmal mussten sie
nachts den Notarzt rufen. Und eigentlich
müssten sie das viel öfter tun, grummelt der
45-Jährige. Natürlich will auch ein gesundes
Kleinkind nachts mal ins große Bett der Eltern, aber dann steht es da nicht mit einem
Schlauch-Ende in der Hand. Als das passierte, blieb den Wittmanns fast das Herz stehen. Wenn das eine Infektion gibt, heißt das
unweigerlich Bauchfellentzündung und
Operation. Ein anderes Mal lief Mirjam früh
morgens voller Tatendrang auf die Tür zu.
„Halt!“, schrie Petra Wittmann, und konnte
sie gerade noch packen, bevor der Schlauch
mitsamt dem Katheter aus dem Bauch gerissen worden wäre.
Dass sie derart angebunden ist, bemerkt
Mirjam manchmal gar nicht. Heute Morgen
trällerte sie gleich nach dem Aufwachen ein
Lied und erklärte erst einmal ihrem Wollschaf, dass „der Wind schief steht“. Dann
verband sie sich den gesamten linken Arm
mit einer herumliegenden frischen Mullbinde. Sie weiß: Jeden Tag wird wieder
Blutdruck gemessen. Vielleicht ließ sich’s ja
auf diese Weise umgehen. Aber Mama
Wittmann erklärte, dass der Wind nicht
wirklich „schief stehen“ kann, fragte, ob sie
gestern Abend bei „Pu der Bär“ vielleicht
was falsch verstanden hatte, und schon
plusterte sich die Manschette am rechten
Oberarm auf. Irgendwo war auf der DVD
vom Wind die Rede gewesen.
Wenn Mirjam DVDs guckt, fällt es ihr
leichter, ruhig dazuliegen, vor allem aber
können die Eltern sich dem Haushalt widmen, den großen Mädchen Essen bereiten,
den Hund und die Katze versorgen. Dann
strömt das Dialysat und der Sioux-Junge
„Yakari“ galoppiert auf „kleiner Donner“
durch Wälder und Täler, immer bereit, die
Geheimnisse des Lebens zu lüften. Oft hat sie
schon bis tief in die Nacht geguckt. Als Petra
Wittmann sich wegen des enormen VideoKonsums besorgt an eine Pflegende wandte,
winkte die nur ab: Besser bis nachts um zwei
„Yakari“ oder „Mondbär“ als Bluthockdruck.
Besser bis nachts DVD gucken
als Bluthochdruck.
Nur keine Aufregung! Dass Erziehung anders
läuft, ist den Wittmanns selbst klar.
Mirjams Halbschwestern finden es natürlich nicht lustig, dass sie immer ins Bett
müssen, während die kleine Schwester
munter weiter guckt. Aber Enya und Hannah müssen nun einmal deutlich früher
aufstehen, um in Grundschule und Gymnasium zu kommen, Hannah oft mitsamt Cello. Mirjam darf erst aufstehen, wenn das
Dialyse-Gerät piept. In der Regel kommt sie
als Letzte im Kindergarten an, aber für die
Hintergrund
Das Organspende-Problem
12.000 Menschen warten hierzulande auf ein lebensrettendes Organ, auf eine Million Einwohner kommen aber nicht
mehr als 15 spendenwillige Menschen. Derzeit wären 65 Prozent der Deutschen grundsätzlich bereit, ein Organ zu spenden, aber nur 3 Prozent haben einen Spenderausweis. Bis ein
erwachsener Patient eine Niere bekommt, vergehen im
Schnitt fünf bis sechs Jahre.
Kinder mit Nierenerkrankung
250 Kinder und Jugendliche müssen sich derzeit in Deutschland regelmäßigen Dialysebehandlungen unterziehen. Jedes
Jahr erhalten rund 110 von ihnen eine Spenderniere. Kinder
an der Dialyse wachsen langsamer, sie treten etwa zwei Jahre
später in die Pubertät ein. Weil eine Niereninsuffizienz während des Wachstums gravierende gesundheitliche Folgen
haben kann, wird Kindern ein Bonus zugestanden, sie erhalten nach durchschnittlich zwei Jahren ein Organ.
Mirjam ist eines von
deutschlandweit rund 250
Kindern an der Dialyse.
Mit dem Nierenexperten
Dr. Henry Fehrenbach versteht sie sich bestens.
Hilfe durch das KfH
Das Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e. V.
wurde 1969 gegründet und betreibt in Deutschland derzeit ein Netzwerk von rund 200
Nierenzentren. 14 davon sichern speziell für Kinder die ärztliche, pflegerische und psychosoziale Betreuung.
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P ra x is
Petra Wittmann, 43, schenkt ihrer Tochter
stets Geborgenheit. Die fühlt sich in der
Pädiatrisch-­Nephrologischen Ambulanz Memmingen ganz wie zuhause.
anderen Kinder interessiert sie sich ohnehin kaum. Sie liebt es zu basteln und ist gewohnt, vor allem mit Erwachsenen zusammen zu sein. Am Anfang, nach ein paar Wochen Kindergarten, erkundigte sich ihre
Mutter einmal bei ihrer Tochter, wie sie
mit den anderen Kindern zurechtkomme.
Da fragte Mirjam erstaunt zurück: „Kinder? Sind da andere Kinder?“
Immer dreht sich alles um sie. Heute
erst recht: Es sind Ferien, die Schwestern
sind vorübergehend bei ihrem Papa, und
Petra Wittmann kann sich in aller Ruhe auf
die Kleinste konzentrieren. Doch auch
dann ist das Morgenritual eine tägliche
Herausforderung. Nach dem Blutdruckmessen kommt das Wiegen. Nicht immer
stellt sich Mirjam gleich auf das elektronische Gerät, wie alle Kinder in diesem Alter
läuft sie lieber woanders hin. Heute Morgen musste sie dringend ihrem Schaf etwas erzählen. 13,1 Kilo zeigte die Waage
dann an, kein gutes Ergebnis für ein Kind
in ihrem Alter. Mirjam müsste mehr essen,
aber ihr Appetit hält sich in Grenzen.
Der Frühstückstisch war hübsch gedeckt
mit Käse, Wurst, frischen Semmeln, Brezen,
Croissants, Yoghurt, Müsli, Vitaminsaft und
für die Großen Kaffee und Tee. Croissants
kommen für Mirjam nicht in Frage, zu viel
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Phosphat, aber ein wenig Müsli mit gepuffertem Hartweizen und Sommerblütenhonig sollte sie noch essen, bevor es auf die
Autobahn zu Doktor Fehrenbach ging. Doch
Mirjam fütterte lieber ihr Schaf und saugte
am rosa Schnuller. Das tut sie derart ausdauernd, dass ihre Schneidezähne nach
vorne stehen. Vor jedem Essen muss sie
Medizin nehmen, das geht ohne weiteres.
Zwei Tabletten, jede so lang wie eine Büroklammer und so dick wie ihr Zeigefinger,
schluckt sie ohne Wasser. Phosphatbinder.
Beim Essen selbst beginnt dann ein permanenter Kampf Löffel gegen Schnuller. Heute
Morgen gewann der Löffel: Mirjam ließ sich
herumkriegen, weil die Mama ihr ein paar
harmlose Schüsslersalz-Tabletten viertelte
und Löffel für Löffel damit garnierte. Mirjam liebt Schüsslersalz über alles.
Immerhin musste ihre Mutter heute
Morgen nicht die wöchentliche Epo-Spritze verabreichen, die wird ihr gleich Doktor
Fehrenbach setzen. Ohne Epo keine roten
Blutkörperchen, das weiß auch Mirjam.
Ständig hört sie Begriffe wie Tumor, Immunsuppression, Blutwerte, wenn sich die
großen Leute unterhalten. Das antiseptische Spray für die Spritze heißt aber auch
heute in der Ambulanz „Zauberspray“, und
Mirjam lacht und gickelt, als Fehrenbach
die mächtige Spritze aufzieht und sich mit
ihr über Tiere des Mobiles an der Decke
unterhält. Als die Nadel in den Oberschenkel eindringt, weint Mirjam doch. Fertig,
Doktor Fehrenbach reicht ihr eine Dose
mit kleinen Schätzen. „Da bin ich aber ge-
spannt“, ruft Mirjam. Sie pickt einen rosa
Luftballon heraus. Ihre Lieblingsfarbe.
Dass sich immer alles um sie dreht, dass
sie meistens ihren Willen bekommt, dass
die Schwestern mit ins Auto springen,
wenn es heißt: schnell nach Freiburg zur
OP, dass alle permanent erreichbar sein
müssen, dass die Nächte nicht erholsam
sind – das alles belastet die Familie so sehr,
dass die Eltern dankbar sind, auf vielfältige
Hilfe zurückgreifen zu können. Da ist der
„Bunte Kreis Augsburg e. V.“, wo sich seit
Kurzem die älteren Geschwister mit Therapeuten und anderen Kindern austauschen,
die in ähnlicher Lage sind. Da ist die Elternvereinigung „Förderkreis für chronisch nierenkranke Kinder und Jugendliche Memmingen e. V.“, die Kontakte, Erfahrungen
und Wissen weitergibt. Da ist die Psychologin der Pädiatrischen Nephrologie in Memmingen, mit der die Wittmanns ohne bürokratischen Aufwand sprechen können. Und
da ist die Sozialpädagogin der Klinik, die
sie darüber aufgeklärt hat, welche Hilfen
ihnen zustehen. Pflegestufe 1 zum Beispiel
stand ihnen zu. Aber die mussten sie erst
mit der Unterstützung durch eine Anwältin
erstreiten. Zweimal die Woche abends
kommen seither Pflegende der Caritas ins
Haus, sie wurden eigens für das Anschließen an die Maschine geschult. Nun hoffen
die Wittmanns auf einen weiteren Sieg vor
Gericht: eine Pflegende im Nachtdienst gezahlt zu bekommen.
Doktor Fehrenbach hat sich selbstverständlich sehr gefreut, dass Mirjam jetzt
Die Peritonealdialyse (PD)
Anders als bei der Hämodialyse wird das Blut nicht durch
eine künstliche Membran gefiltert, sondern durch das
Bauchfell (Peritoneum). Es gibt zwei Varianten: Bei der kontinuierlichen ambulanten Peritonealdialyse (CAPD) werden
täglich vier bis fünf Wechsel der Dialysierlösung, sogenannte
Beutelwechsel, durchgeführt. Ein Gerät ist dazu nicht erforderlich. Jeder Wechsel dauert rund 40 Minuten.
Bei Kindern wird eher die sogenannte apparative Peritonealdialyse (APD) angewandt. Das Füllen des Bauches mit der
sterilen PD-Lösung und das Entleeren übernimmt ein Cycler
mehrfach während der Nacht. Über den Tag verbleibt nur
eine geringe Menge im Bauchraum. Bei Kindern ist ein intensives Training zweier Betreuungspersonen, in der Regel
der Eltern, notwendig. Das PD-Training des Kindes und seiner Betreuungspersonen dauert normalerweise eine Woche
und wird während eines stationären Aufenthalts durchgeführt.
Bei der Computer­
gesteuerten Peritoneal-Dialyse regelt ein Cycler den
Zu- und Abfluss der Flüssigkeit. Für die Heim-PD werden die Eltern geschult.
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pra x is
der Hoffnung verbunden ist auch die Angst,
dass alles von vorn losgehen könnte: Immunsuppression, Abstoßung, erneute Operation. Und selbst, wenn es klappt, wird das
Leben erst einmal nicht leichter.
Beim Abendessen erzählt Petra Wittmann Hannah, dass Mirjam dem Doktor
doch glatt versprochen hat, „auf immer und
ewig Aa zu machen“. Hannah kaut auf ihrem Wurstbrot und kichert. Sie erinnert
sich an eine andere komische Situation:
„Weißt du noch, bei der Hochzeit?“ Alle drei
hatten sie bei der kirchlichen Trauung Mamas Schleppe getragen, und Mirjam kam
ihr vor wie ein Äffchen, überall waren ihr
Haare gewachsen, bis in die Stirn hinein.
Nebenwirkung eines Blutdrucksenkers.
Haaalt, dageblieben! Als die Gesundheits- und Kinderkrankenpflegende (hinten) das Dialyse-Set
anschließen will, büxt Mirjam erstmal aus. Fluchthelfer: Schaf und Schnuller.
immer Aa macht, und so muss er sie heute
nur etwas genauer anschauen. Ultraschall.
Vorsichtig lässt Fehrenbach den Scanner
auf Mirjams Bauch kreisen, mit gekräuselter Stirn verfolgt Petra Wittmann die Bewegungen auf dem Monitor und lauscht
Fehrenbachs Erklärungen. Wo die Nieren
waren, ist Darm zu sehen, deutlich erkennbar die Peristaltik. Hier die Milz, sieht gut
aus. Jetzt die Aorta. Entlang der Gefäße
hatten sich im Sommer 2010 die Lymphknoten gebildet und auch die zweite Niere
musste entfernt werden. Petra Wittmanns
Lippen werden schmaler, Mirjam schaut an
Zwischen Bangen und Hoffen:
Wenn Dr. Fehrenbach die Bilder des Ultraschalls erklärt, hat Mirjams Mutter stets das
Bild vom Tumor vor Augen.
die Decke und summt. Lymphknotenstatus: in Ordnung. Die Kleider der Mutter
sind feucht geschwitzt nach den drei, vier
Minuten vor dem Monitor.
Auf der Rückfahrt schaut Mirjam zufrieden auf die vorbeifliegenden Felder. Ist ja
wirklich noch mal gut gegangen. „Ich war
tapfer, jetzt krieg ich eine Gelohnung, gell“.
Der Schnuller macht aus dem B ein G. Die
Mama reicht ihr eines der Schoko-Eier, denen sie am Klinik-Kiosk nicht widerstehen
konnte, Mirjam legt den rosa Schnuller zu
dem rosa Luftballon in den Schoß und
schiebt sich das Ei in den Mund. Was für sie
einfach süß schmeckt, hat für Mama Wittmann einen bitteren Kern. Kalium. Schokolade hat viel zu viel davon, das könnte
Herz-Rhythmus-Störungen verursachen.
Gegen zu viel Phosphat gibt es ein Mittel,
aber nicht gegen Kalium. Man kann nur
den Blutwert prüfen und entscheiden, ob
man es riskiert. „Da hätten wir den Herrn
Fehrenbach nochmal pieksen lassen sollen,
was?“, fragt die Mutter. Und halb zu sich
selbst: „Naja, ändern kann man eh nix.“
Lang kann es so nicht weitergehen, das
wissen alle. „Säuglingsnieren, das wäre der
Sechser im Lotto“ – wenn Petra Wittmann
einen solchen Satz sagt, ist sie sich der Tatsache bewusst, dass das den Tod eines anderen kleinen Menschen bedingt. Und
auch deshalb haben sie und ihr Mann angeboten, die eigenen Organe zu spenden.
Doch die Fachleute haben abgeraten. Mit
Säuglingsnieren wären wie
ein Sechser im Lotto.
Dann begleiten Enya und Hannah ihre
Schwester ins Schlafzimmer. Mirjam hüpft
auf dem Bett herum, bis die Pflegende der
Caritas das Dialyse-Set fertig hat. Dioden
leuchten auf, es piept, und wieder galoppiert
„Yakari“. Alle drei lümmeln auf der Matratze.
Hinter ihnen, über dem Bett der Eltern,
hängt ein Gemälde in warmen, rötlichen Tönen: Canale Grande, Venedig. Sie sehnen
sich danach, mal wieder für sich zu sein.
Zu Weihnachten hat Petra Wittmann
ihrem Mann einen Kurzurlaub geschenkt.
Eine Nacht in einem Hotel, Erlebnisgastronomie, alles vom Feinsten. Seine Eltern haben im Ehebett bei Mirjam geschlafen,
eine Pflegende aus dem Caritas-Team hat
im Haus übernachtet. Wegen der Maschine. Petra und Christian Wittmann hätten
jederzeit zurückkommen können. Das Hotel lag zehn Kilometer von zuhause ent▄
fernt, im Zentrum von Augsburg.
Autor
Christian Bleher, Jahrgang ’63, ist
freier Journalist und ­Dozent unter
anderem an der Deutschen Journalistenschule. Er hat drei Kinder.
bibliogr afie
DOI 10.1055/s-0032-1315706
JuKiP 2012;1: 6–10
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York · ISSN 1439-2569
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