Frauen in Handwerk und Technik
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Frauen in Handwerk und Technik
Frauen in Handwerk und Technik 10 FRAUEN ERZÄHLEN VON IHREN ERFAHRUNGEN Das FiT Programm IMPRESSUM MedieninhaberIn und HerausgeberIn: Arbeitsmarktservice Österreich Treustraße 35 – 43 1200 Wien Interviews und Text: Dr.in Susanne Feigl Fotos: Dr.in Susanne Feigl Kompetenzzentrum Holz GmbH (S. 22 und 23) Grafische Gestaltung: Lisi Breuss Druck: Ferdinand Berger & Söhne, 3580 Horn Dezember 2011 Frauen in Handwerk und Technik 10 FRAUEN ERZÄHLEN VON IHREN ERFAHRUNGEN Das FiT Programm Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Liebe Leserinnen! Mit dieser Broschüre wollen wir 10 erfolgreiche Beispiele aus dem AMS Programm FiT – Frauen in Handwerk und Technik – vorstellen. Seit 6 Jahren wird das Programm in ganz Österreich durchgeführt und mehr als 3300 Frauen haben inzwischen eine handwerklich-technische Ausbildung erhalten: Die Frauen machten eine Lehre, besuchten eine berufsbildende Schule oder auch eine Fachhochschule. Das AMS unterstützt diese Ausbildungen, weil sich noch immer zu wenige Frauen eine handwerklichtechnische Ausbildung zutrauen und damit auch Chancen vergeben. Arbeitsstellen in diesem Bereich zeichnen sich nämlich durch höhere Löhne und bessere Aufstiegsmöglichkeiten aus und können somit dazu beitragen, dass sich die Situation der Frauen am Arbeitsmarkt verbessert. Die vorgestellten Frauen haben den Schritt in technisch-handwerkliche Tätigkeitsbereiche bereits gemacht und berichten über ihre Arbeit und ihren Erfahrungen. Ergänzt werden diese Ausführungen von kurzen Gesprächen mit Personen, welche die Frauen während ihrer Ausbildung beispielsweise als Ausbildungsleiter oder Firmenchef begleitet haben. Wir möchten mit dieser Broschüre noch mehr Frauen dazu ermuntern, den Schritt in ein neues Berufsfeld zu wagen. Das AMS wird sie bestmöglichst dabei unterstützen. Eva Egger & Margot Puck AMS Österreich, Abteilung Arbeitsmarktpolitik für Frauen Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 3 Inhalt 4 Das FiT-Programm des AMS Silvia Breiml, Lehrausbildung Karosseriebautechnik: „Muskelkater haben die männlichen Lehrlinge anfangs auch“ 6 Barbara Tresky, Uhrmachermeisterin: „Uhren sind inzwischen meine Leidenschaft“10 Georgina Bezuh, Zerspanungstechnikerin: „Wenn ich was schaffen will, schaffe ich es auch“14 Tanja Scheil, Bautechnische Zeichnerin: „Mein Leben hat sich von Grund auf geändert“18 Romana Welser, Chemielabortechnikerin: „Im Moment bin ich sehr zufrieden“22 Eveline Prochaska, Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation: „Für einen Neustart braucht es sehr viel Eigeninitiative“ 25 Sandra Schmid, Mechatronikerin: „Mir gefällt es, wenn ich körperlich arbeiten kann. Ich mag das“ 30 Anita Wechselberger, Kraftfahrzeugtechnikerin: Als erste Frau in der Werkstatt34 Nuray Isik, Speditionskauffrau: „Ich bin froh, dass mir diese Chance geboten wurde“38 Nina Klaus, Maschinenfertigungstechnikerin: „Es geht auch mit Kindern“42 Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 4 Das FiT-Programm des AMS 2006 startete das Arbeitsmarktservice (AMS) das Programm „Frauen in Handwerk und Technik“ (FiT). In den Jahren 2006 bis 2010 schlossen bereits mehr als 3.300 Frauen im Rahmen des FiT-Programms eine handwerkliche oder technische Ausbildung ab. Das Ziel des Programms Ziel dieses Programms ist es, Frauen zu ermutigen, handwerkliche oder technische Berufe zu ergreifen und sie dabei zu unterstützen. Denn handwerkliche und technische Berufe bieten gute Verdienstmöglichkeiten und auch in Zukunft die Chance auf einen sicheren Arbeitsplatz (Stichwort: Fachkräftemangel). - Die Benachteiligung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt hat zwei Gründe: Die Berufswahl. Allzu viele Frauen entscheiden sich, einen der traditionellen Frauenberufe zu ergreifen (z.B. Friseurin, Bürokauffrau, Tätigkeiten im Handel und im Gastgewerbe). Traditionelle Frauenberufe aber sind häufig schlecht bezahlt und bieten selten Aufstiegschancen. - Die Tatsache, dass zumeist die Mütter für die Betreuung von Kindern zuständig sind, und es mitunter schwierig ist, dies mit einer Vollzeitarbeit zu vereinbaren. Die Folge davon sind gravierende Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern. Wer kommt für eine Teilnahme in Frage? Zielgruppe des FiT-Programms sind alle beim AMS als arbeitsuchend vorgemerkten Frauen, die Interesse an einer handwerklichen oder technischen Ausbildung haben. Das FiT-Programm im Detail Berufsorientierung Der Besuch eines Berufsorientierungskurses vermittelt einen umfassenden Überblick über die Vielzahl an handwerklichen und technischen Berufen und erweitert damit die beruflichen Perspektiven der Teilnehmerinnen. Die Berufsorientierungskurse werden im Auftrag des AMS von verschiedenen Bildungseinrichtungen durchgeführt (z.B. abz*austria, bfi, WIFI) Technische Vorqualifizierung Bei Interesse für einen handwerklichen oder technischen Beruf erhalten die Teilnehmerinnen eine Basisqualifizierung in jenen Bereichen, die sie später in der Ausbildung und im Beruf benötigen (z.B. Mathematik, EDV, technisches Englisch). Schnuppertage oder aber ein zwei bis vier Wochen dauerndes Praktikum in einem einschlägigen handwerklichen oder technischen Betrieb sollen die endgültige Entscheidungsfindung erleichtern. Die technische Vorqualifizierung wird so wie die Berufsorientierung im Auftrag des AMS von verschiedenen Bildungseinrichtungen durchgeführt und durch die Möglichkeit eines Praktikums auf betrieblicher Ebene ergänzt. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 5 Berufsausbildung Das FiT-Programm ermöglicht eine Ausbildung im handwerklichen oder technischen Bereich, die mit einem Lehrabschluss oder einem vergleichbaren schulischen Abschluss endet. Gefördert wird die Ausbildung von Frauen in handwerklichen und technischen Berufen, in denen der Frauenanteil an den Lehrlingen oder an den Studierenden unter 40 Prozent liegt. Unter Umständen ist auch eine Ausbildung an einer naturwissenschaftlich-technischen Fachhochschule, an einer Höheren technischen Lehranstalt (HTL) oder einem technischen Kolleg möglich. Die Lehrausbildungen können direkt in einem Betrieb stattfinden oder in Ausbildungseinrichtungen. Facharbeiterinnen-Intensiv-Ausbildungen finden meist in Ausbildungszentren statt. Und die Kosten? Die gesamten Kosten für Berufsorientierung, Berufsvorbereitung und Berufsausbildung übernimmt das AMS. Für die Dauer der Teilnahme am FiT-Programm beziehen Frauen ihr Arbeitslosengeld weiter oder eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts. Was tun im Falle von Problemen? Beginnend von der Berufsorientierungsphase bis zum Abschluss der Berufsausbildung steht den Teilnehmerinnen am FiT-Programm eine kompetente Beraterin zur Seite. Mit ihr können mögliche familiäre Belastungen, Probleme in Zusammenhang mit der Organisation und Finanzierung der Kinderbetreuung, Lernschwierigkeiten und Konflikte mit KollegInnen besprochen werden. Nähere Informationen Persönliche Beratung erhalten Sie in der für Ihren Wohnort zuständigen Regionalen Geschäftsstelle des AMS Allgemeine Informationen erhalten Sie unter folgenden Internetadressen: www.ams.at/frauen www.ams.at/fit www.fit-gehaltsrechner.at www.berufskompass.at www.ams.at/qualibarometer Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Silvia Breiml (Jahrgang 1976) 6 Lehrausbildung zur Karosseriebautechnikerin „Muskelkater haben die männlichen Lehrlinge anfangs auch“ hören, sonst würde es immer schlimmer, und schrieb ihr auch ein entsprechendes Attest. Daraufhin konnte sie über das Berufliche Bildungs- und Rehabilitationszentrum (BBRZ) einen Kurs zur Umschulung machen. Sie konnte sich zwischen kaufmännischen und technischen Berufen entscheiden, entschied sich für die technischen und machte im Rahmen dieser Umschulung ein Praktikum in einer großen Firma, und zwar im Metallbereich. Dort lernte sie die Tätigkeit des Drehers bzw. der Dreherin ein wenig kennen. Gleichzeitig aber war klar, dass die Firma im Moment niemanden aufnimmt, weil sie genug Personal hat. „Dann war der Kurs aus und ich hatte noch immer keinen Job.“ In dieser Situation entdeckte sie die An Autos war Silvia Breiml immer schon interessiert. AMS-Broschüre „Frauen mit Zukunft“ und fragte ihre AMS-Beraterin, ob „Ich brauche den Kontakt mit Leuten. Allein in einem das FiT-Programm nicht auch für Büro zu sitzen, wäre nichts für mich.“ Silvia Breiml, sie was wäre. Das bedurfte erst der Klärung. „Aber eine vor Vitalität sprühende fröhliche junge Frau, nachdem ich eher hartnäckig bin, konnte ich dann wohnhaft in Klagenfurt, weiß, was sie will, und sie hat bei dem Auswahlverfahren mitmachen. Das fand in dieses Bedürfnis in ihrem Berufsleben auch immer Villach statt. Von den 50 Bewerberinnen wurden 15 berücksichtigt. Ursprünglich machte sie im elter- bis 20 ins Programm aufgenommen.“ Silvia Breiml lichen Betrieb die Lehrausbildung zur Kellnerin. „Mit war eine davon. FiT-Programm Lehrabschluss und allem Drum und Dran.“ Danach arbeitete sie jahrelang im Gastgewerbe, zwischen- Anschließend besuchte sie den Berufsorientierungs- durch auch im Handel. Von ihrer letzten Arbeitsstelle kurs in Villach, wobei für sie schon klar war, welche im Gastgewerbe wurde sie gekündigt. Der Grund? Ausbildung sie machen wollte – Karosseriebau- „Am Neuen Platz in Klagenfurt war eine Zeitlang eine technik. „Ich habe mich immer schon für Autos inter- Großbaustelle, und der Umsatz in dem Lokal, in dem essiert. Und wenn es möglich war, habe ich Kleinig- ich gearbeitet habe, ging rapide zurück.“ Etwa zur keiten bei meinen Autos selbst repariert.“ Um einen gleichen Zeit waren ihre Probleme mit der Schulter Praktikumsplatz müssen sich die Teilnehmerinnen des immer ärger geworden. „Ich habe mitunter nicht Berufsorientierungskurses selber kümmern. einmal einen Glasteller aufheben können, solche Silvia Breiml fand zwei Betriebe, absolvierte die Schmerzen hab ich gehabt.“ Silvia Breiml ging zum Praktika, wurde aber von jedem Betrieb „hinaus- Arzt und ließ sich untersuchen. Der Arzt sagte ihr, es getröstet“, wie sie sagt. Immer hieß es: „Im Moment sei an der Zeit, mit der Arbeit im Gastgewerbe aufzu- brauchen wir niemanden, aber vielleicht in einem Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 7 halben Jahr.“ Das heißt, Lehrstelle in dem von ihr Seit dieser „Schnupperwoche“ ist sie durchgehend angestrebten Beruf hatte sie keine. „Das war nicht in der Firma Waldemeier beschäftigt. Zum Zeitpunkt sehr aufbauend. Ich habe mich damals noch einmal des Interviews hat sie das zweite Lehrjahr nahezu mit meiner AMS-Beraterin, einer Vertreterin der beendet. Kärntner Arbeitsstiftungen und meiner Kursleiterin und in Klagenfurt Umgebung ausgedruckt und habe „Es ist ein Vorteil, wenn man nicht mehr blutjung ist “ die Betriebe einfach aufgesucht. Ich bin in sämtliche Silvia Breiml ist die einzige Frau in der Werkstatt. Mit Betriebe, auch jene, von denen ich schon telefonisch den Kollegen hat sie überhaupt keine Probleme. „Es Absagen gekriegt habe, persönlich hingefahren und gibt keine blöden Sprüche, gar nichts, im Gegenteil. habe nach einer Lehrstelle gefragt. Da habe ich Wahrscheinlich ist es ein Vorteil, wenn man selber gemerkt, wie wichtig der persönliche Kontakt ist.“ nicht mehr blutjung ist und ein gewisses Durchset- beraten. Und dann habe ich mir aus dem Internet eine Liste mit allen Karosseriebetrieben in Klagenfurt zungsvermögen hat.“ Die Zusammenarbeit mit den Auf diese Weise kam sie auch zur Firma Waldemeier, Kollegen funktioniert bestens. Wenn sie Unterstüt- von der sie zuvor bereits eine telefonische Absage zung braucht, kriegt sie diese. „Die Firma ist wie eine erhalten hatte. „Ich bin ins Büro gegangen, hab große Familie. Da geht alles Hand in Hand. So wie es gefragt, ob der Chef oder die Chefin da ist. Der Chef, eigentlich sein sollte.“ Silvia Breiml strahlt, wenn sie Wolfgang Waldemeier, war da. Ich hab ihn gefragt von ihrer Arbeit erzählt. wegen eines Praktikums in Hinblick auf eine Lehrstelle. Er war damit einverstanden. Ich habe mir Auch in der Berufsschule gibt es keine Probleme. gedacht, ich mache zuerst eine Woche Praktikum. „Die Mitschüler fragen mich eher, ob ich ihnen helfen Das ist auch für den Betrieb eine gewisse Sicher- kann.“ Manche KundInnen, so Silvia Breimls Erfah- heit. Damit sieht der Chef, wie ich mich anstelle, und rung, schauen zwar erst einmal, wenn sie eine Frau ich sehe, wie ich mit den Leuten zurechtkomme. Wir in der Werkstatt sehen, aber es gibt keine negativen haben also vereinbart, dass ich eine Woche Prakti- Reaktionen. Auch die Reaktionen der Familie und des kum mache und wir uns am letzten Tag der Woche Freundeskreises auf ihre Berufsentscheidung waren nochmals zusammensetzen. Am Mittwoch kommt der positiv. „Eigentlich haben mir alle dazu gratuliert. Sie Chef vorbei, ich frage ihn, ob er am Freitag da sein sagten: Wenn du das machen willst, mach es, bitte.“ wird. Er bejaht und fragt, wie es mir gefällt. Ich sage: Mir gefällt es super. Mit den Leuten komme ich auch Das Arbeitsgebiet der KarosseriebautechnikerInnen spitze aus. Sagt er: Passt. Ich sage: Reden wir am Das Arbeitsgebiet der KarosseriebautechnikerInnen ist vor Freitag weiter. Darauf antwortet er nicht, macht zwei allem die Wartung und Reparatur der Karosserien von Kraft- Schritte weg von mir, dreht sich dann um und teilt mir fahrzeugen (der Motor hingegen gehört zu den Arbeitsge- mit, dass er mich ab Montag als Lehrling beschäftigen bieten von Kfz-TechnikerInnen). Dazu gehört das Montieren wird. Ich hab gar nicht gewusst, was ich sagen soll. und Demontieren von Fahrzeugteilen, das Ausrichten defor- Ich hab nur ein ‚Okay’ herausgebracht.“ Silvia Breiml mierter Blechteile, der Oberflächenschutz durch Hohlraum- war total überrascht, positiv versteht sich. Denn versiegelung sowie das Kitten, Lackieren und Schleifen. In insgeheim hatte sie befürchtet, es würde ihr in der diesem Zusammenhang sind verschiedenste Materialien – Firma Waldemeier so ergehen wie in den anderen nicht nur Metall, sondern auch Kunststoff oder Glas – mit Firmen. den entsprechenden Verfahren zu bearbeiten. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Silvia Breiml (Jahrgang 1976) 8 Lehrausbildung zur Karosseriebautechnikerin „In den typischen Frauenberufen ist von körperlicher Belastung nie die Rede “ Der Betrieb, in dem Silvia Breiml arbeitet, ist spezialisiert auf die Instandsetzung von Autokarosserien nach Unfällen (Versicherungsschäden) bis hin zum Beheben von Kratzern, Dellen und Lackschäden, die nicht Folgen von Unfallschäden sind. „Im Moment“, so erzählt Silvia Breiml, „arbeite ich hauptsächlich in der Spenglerei. Wenn wir aber beispielsweise in der Spenglerei wenig zu tun haben, in der Lackiererei aber viel, dann geh ich in die Lackiererei.“ Die wesentlichen Voraussetzungen für den Beruf der Karosseriebautechnikerin sind in ihren Augen: - Technisches Interesse („Schon in der Schule - speziell ein Gespür für Autos: „Wenn man ein Auto zerlegt, muss man es auch wieder zusammenbauen können. Das heißt, man muss sich merken, wo hab ich welche Schrauben rausgedreht.“ war mir Werken lieber als Handarbeiten“) und Eine gewisse Körperkraft ist für den Beruf ohne Zweifel ebenfalls erforderlich. Im ersten Lehrjahr hatte Silvia Breiml des öfteren Muskelkater. „Aber den Ihr gefällt, dass man in dem Beruf nie auslernt. haben die männlichen Lehrlinge auch.“ Inzwischen hat sie keinen Muskelkater mehr und ist auch ihre Früher gab es, so erklärt Silvia Breiml, Autospengler Schulterbeschwerden los. „Die kamen vom Servieren, und Lackierer. Da war auch Autospengler allein von der dauernden einseitigen Belastung.“ Was ihr ein Lehrberuf. Heute umfasst die Lehrausbildung auffällt: „Bei den typischen Frauenberufen ist über- KarosseriebautechnikerIn die Spenglerei und das haupt nie die Rede davon, wie körperlich belastend Lackieren. Für Lackierer gibt es allerdings noch eine die sein können. Davon wird immer nur geredet, wenn Einfachlehre. Zum Berufsbild der Karosseriebautech- Frauen in sogenannte Männerberufe vordringen. nikerInnen gehört auch der Umbau von Karosserien (KarosseriebautechnikerIn ist ein Beruf, bei dem der (z.B. Einbau von Schiebedächern) oder die Produk- Männeranteil an den Lehrlingen österreichweit mehr tion von Karosserien für Spezialfahrzeuge (serienge- als 97 Prozent beträgt.) Sie selbst weiß, dass die fertigte Fahrzeuge werden hingegen vollautomatisch Arbeit im Gastgewerbe körperlich außerordentlich am Fließband produziert). anstrengend sein kann. Und nicht nur die im Gastge- Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 9 werbe. „Ich habe eine Zeitlang in einem Supermarkt zu finden: „Der überwiegende Teil der einschlä- gearbeitet. In der Fleischabteilung. Da gibt es Kisten, gigen Betriebe ist diesbezüglich sehr konservativ und wenn die voll mit Wurstzeug sind, sind sie nur mit scheut sich vor jeglicher Veränderung. Die meisten allergrößter Anstrengung hochzuheben.“ reden sich darauf aus, dass es dann getrennte sanitäre Einrichtungen geben müsse. Aber das stimmt Dass sich Frauen unter Umständen davon abhalten nicht. Wenn nicht mehr als fünf Frauen beschäftigt lassen, den Beruf der Karosseriebautechnikerin zu sind, reicht ein WC, das zum Absperren ist.“ ergreifen, weil sie sich dabei auch schmutzig machen, ist für Silvia Breiml nicht nachvollziehbar: „Es Für die Frage nach Zukunftsperspektiven ist es im gibt ja Wasser. Und zwar ausreichend. Und duschen zweiten Lehrjahr im Grunde genommen noch zu früh. muss man sich – egal welchen Beruf man hat.“ Nicht so für Silvia Breiml. Sie denkt sehr wohl an die Zukunft. Vor allem hofft sie, nach der Lehrabschluss- Was ihr an ihrem Beruf besonders gefällt: „Es ist ein prüfung in der Firma Waldemeier bleiben zu können. Beruf, in dem man nie auslernt. Weil sich ständig was Und sie kann sich vorstellen, nach einiger Zeit der ändert. In den neueren Autos ist beispielsweise viel Praxis die Meisterprüfung zu machen. Und danach mehr Elektronik, darauf muss man auch Rücksicht eventuell noch die Ausbildung zur Kfz-Sachverstän- nehmen.“ digen ... „Man wird ja schließlich nicht jünger. Und ich möchte in meinem erlernten Beruf bleiben.“ Silvia Breimls Erklärung dafür, warum es in ihrem Beruf für Frauen eher schwierig ist, eine Lehrstelle Die Sicht des Werkstättenleiters Entscheidend ist: Wie greift wer was an Die Firma Waldemeier, Autospenglerei und Autolackiererei in Klagenfurt, besteht seit nahezu 50 Jahren. Derzeit hat die zweite Generation die Geschäftsführung inne, und die dritte Generation arbeitet bereits mit. Im Betrieb gibt es 18 Beschäftigte. In der Werkstatt ist Silvia Breiml die einzige Frau. Vor etwa 15 Jahren hat schon einmal eine Frau in der Werkstatt gearbeitet, ihre Lehre aber abgebrochen. Christian Käfer ist seit Anfang 2010 Werkstättenleiter in der Firma. Seiner Meinung nach ist für die Ausübung des Berufs nicht das Geschlecht ausschlaggebend, es kommt vielmehr darauf an, wie eine Person sich anstellt. „Entscheidend ist: Wie greift wer was an. In unserem Beruf ist sehr viel handwerkliches Geschick erforderlich und speziell bei der Lackierung von Autos auch Feinfühligkeit. Da merkt man schon, dass Frauen sehr gut sind. Speziell wenn es um die Abschlussarbeiten beim Lackieren geht. Das ist eine genaue Arbeit.“ Bei körperlich anstrengenden Arbeiten helfen die Kollegen im Normalfall zusammen. In einem Pkw-Betrieb sieht Christian Käfer für Frauen diesbezüglich keine Probleme. In einem Lkw-Betrieb wäre seiner Meinung nach die Arbeit für eine Frau zu schwer. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Barbara Tresky (Jahrgang 1982) 10 Uhrmachermeisterin „Uhren sind inzwischen meine Leidenschaft“ zehn. Ich bin nicht multitasking-bereit. Fähig möglicherweise schon, aber ich will es nicht. Man redet den Frauen ja ständig ein, dass sie multitasking-fähig seien und alle möglichen Aufgaben gleichzeitig erledigen können. Das ist wie ein Zwang. Und manche Frauen sind dann auch noch stolz darauf.“ Barbara Tresky wandte sich ans AMS und konnte einen Berufsorientierungskurs speziell für Frauen besuchen. „Die Kursleiterin hat uns Frauen total unterstützt. Sie hat sich bemüht, dass die Teilnehmerinnen im Anschluss wirklich die Ausbildung machen können, die sie machen wollen.“ Aber so einfach ging es dann doch nicht. Barbara Tresky wusste zwar sehr schnell, welchen Beruf sie erlernen wollte – Uhrmacherin. In den Unterlagen des AMS war sie auf ein Inserat der Barbara Tresky arbeitet mit Klein- und mit Großuhren. Uhrmacherlehrwerkstätte der Stadt Wien gestoßen. Ursprünglich wollte Barbara Tresky nach der Matura Dort rief sie umgehend an, bekam einen Termin bei „etwas Künstlerisches“ machen. Das hat nicht funk- Harald Rinder, dem Leiter der Lehrwerkstätte, und tioniert. Also begann sie an der Universität Wien der sagte ihr nach dem Gespräch zu, dass er sie auf- Kunstgeschichte und Soziologie zu studieren, brach nimmt. Bis sie die Uhrmacherlehre im Rahmen des das Studium aber ab, weil es ihr zu theoretisch war. FiT-Programms tatsächlich beginnen konnte, verging Sie ging zum AMS, erhielt eine Büroausbildung, allerdings ein Dreivierteljahr. erwarb EDV-Kenntnisse und arbeitete in der Folge die meiste Zeit in Büros, bis ihr klar wurde, dass sie bei Da die Uhrmacherlehrwerkstätte keine Lehrlingsent- dieser Tätigkeit nicht bleiben, sondern was anderes schädigung zahlte, konnte Barbara Tresky mit der machen will. Ausbildung nicht beginnen. „Ich hätte keine Lehr- „Büroarbeit ist wie Hausarbeit. Kaum hat man die Arbeit beendet, fängt das “ Ganze von vorne an lingsentschädigung bekommen, kein Arbeitslosengeld, keine Sozialhilfe. Von nichts aber kann ich nicht leben.“ Barbara Tresky war klar, dass sie eine Ausbildung Was ihr an der Büroarbeit nicht gefiel? „Dass die machen und auch abschließen musste. Sie versuchte, Arbeit nie erledigt ist. Büroarbeit ist wie Hausarbeit. eine Lehrstelle in einer Bibliothek zu finden, in einer Kaum meint man, die Arbeit beendet zu haben, fängt Bücherei, auch in der Metallbranche, die sie damals das Ganze von vorn an. Ich konzentriere mich bei schon interessierte, aber überall hieß es, sie sei mit meiner Arbeit gern auf eine Tätigkeit und nicht auf ihren 23 Jahren zu alt. „Das war schon frustrierend. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 11 „In meiner Klasse hat sich gezeigt, Das Arbeitsgebiet der UhrmacherInnen dass die Älteren motivierter und Der wesentliche Bereich der Tätigkeit von UhrmacherInnen ist die Wartung und Reparatur von Uhren. Aufgrund der Verwen- “ ambitionierter sind dung kleinster Werkzeuge handelt es sich bei der Tätigkeit Später, als ich dann in der Berufsschule war, zeigte der UhrmacherInnen um Feinmechanikerarbeit. Bei der sich, dass die Älteren deutlich motivierter und ambiti- Reparatur einer (mechanischen) Uhr öffnen UhrmacherInnen onierter sind.“ das Gehäuse mit einem speziellen Werkzeug, stellen fest, was offensichtlich kaputt ist, nehmen das Uhrwerk heraus, Zwischendurch besuchte Barbara Tresky noch einen kontrollieren die Abnützung der Lager und der Wellen und die Kurs des Berufsförderungsinstituts (bfi). „Da ging es Verzahnung der Räder. Schauen, ob noch alles gut vernietet zwar um die Förderung von Frauen in technischen ist. Eventuell muss nachgenietet werden. Wenn ein Zahnrad Berufen. Aber eine Uhrmacherlehre stand nicht zur beschädigt ist, wird entweder ein einzelner Zahn neu einge- Wahl. „Ich aber wollte wenn irgend möglich die Uhr- setzt oder es wird ein ganzes Rad neu gefräst. Geprüft wird macherlehre in der Lehrwerkstätte machen.“ Bei auch die Ganggenauigkeit. einem Gesprächstermin im abz*austria fand die 1 Beraterin heraus, dass der Beruf UhrmacherIn einen Unmittelbar nach Ablegung der Lehrabschlussprü- Frauenanteil von weniger als 40 fung im März 2011 begann Barbara Tresky als Gesel- Prozent hat und eine Förderung der lin in der Firma Reich in der Schönbrunnerstraße zu Ausbildung daher im Rahmen des FiT-Programms möglich sein müsse. arbeiten, einer Firma, die ihr bereits vertraut war. Sie FiT-Programm hatte dort zwei Sommer lang als Ferialpraktikantin Sie motivierte Barbara Tresky erst einmal, eine Mappe gearbeitet und sie arbeitete dort während ihrer Ausbil- auszuarbeiten zum Berufsbild UhrmacherIn mit dung in der Lehrwerkstätte regelmäßig an ihren freien umfassenden Informationen einschließlich Interviews Samstagen. Friedrich Reich, der Firmenchef, ist nicht und Inseraten etc. „Das habe ich gemacht, und dann nur Uhrmacher, sondern auch Uhrenrestaurator. Uhren- hat sie sich total für mich eingesetzt.“ restaurator ist kein eigener Lehrberuf, und es ist eine Tätigkeit, die nur von sehr wenigen UhrmacherInnen Mit vereinten Kräften – sprich dank dem Einsatz der ausgeübt wird. Das dafür erforderliche Wissen muss abz-Mitarbeiterin, des Leiters der Uhrmacherlehrwerk- man sich in Eigenregie aneignen. Friedrich Reich, stätte und der Beraterin des AMS, mit der Barbara der den Betrieb von seinen Eltern übernommen hat, Tresky inzwischen Kontakt hatte – konnte sie letzt- hat sich in jüngeren Jahren ganz gezielt Kenntnisse lich die Uhrmacherlehre an der Lehrwerkstätte der der Holz- und der Metallrestaurierung angeeignet Stadt Wien im Rahmen des FiT-Programms absol- und noch zusätzlich eine Goldschmiedeausbildung vieren. Damit war das finanzielle Problem gelöst, denn gemacht, um die Voraussetzung für die Restaurie- während einer Lehrausbildung im Rahmen des FiT- rung alter und auch wertvoller Großuhren (z.B. Wand-, Programms wird Arbeitslosengeld oder ein Beitrag zur Pendel-, Stand- und Tischuhren) zu haben und auch Deckung des Lebensunterhalts bezahlt. selbst Ersatzteile herstellen zu können. Dreieinhalb Jahre dauerte die Ausbildung in der Lehr- „Mit Herrn Reich habe ich ein Riesenglück. Er hat werkstätte in der Mollardgasse, die quasi den Ausbil- seinerzeit sofort zugestimmt, als ich bei ihm ein Prak- dungsbetrieb ersetzt. Die Berufsschule besuchen tikum machen wollte. Und er hat mir während meiner Uhrmacherlehrlinge in Wien in der Hütteldorferstraße. Ausbildung immer geholfen, egal womit ich zu ihm 1 Non-Profit-Verein für die Förderung von Frauen in den Bereichen Bildung und Arbeit. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Barbara Tresky (Jahrgang 1982) 12 Uhrmachermeisterin der Geschichte zum Funktionieren gebracht worden sind, wie sich das weiterentwickelt hat. Das ist ja eine unglaubliche Entwicklung bis hin zu den heutigen Kleinuhren.“ Das macht ihre Tätigkeit auch so abwechslungsreich. „Keine Uhr gleicht der anderen.“ Welche Voraussetzungen braucht man für den Beruf der Uhrmacherin? Dazu Barbara Tresky: „Technisches Interesse braucht man schon. Aber vielleicht schreckt die Formulierung „technisches Interesse“ Frauen eher ab. Ich denke, Frauen sollten sich einfach mal anschauen, wie eine Uhr funktioniert, mit welchen Maschinen und Werkzeugen UhrmacherInnen arbeiten. Das ist alles nichts Übernatürliches. Man braucht auch keine Scheu zu haben vor Maschinen. Ich selber verbinde Maschinen zwar auch eher mit Männerarbeit, aber sobald man sich drauf einlässt und anfängt, mit Bohrmaschinen oder Drehbänken zu Ihre Erfahrung: Auch zu Maschinen baut man eine Beziehung auf. arbeiten, entwickelt man auch ein Gefühl dafür und das finde ich sehr positiv. In gewisser Weise baut man gekommen bin. Auch wenn er selbst oft seine Arbeit auch zu Maschinen eine Beziehung auf. Ich habe unterbrechen musste und unter ziemlichem Zeitdruck beispielsweise Lieblingsmaschinen und Maschinen, stand, weil so viel zu tun war im Betrieb.“ Barbara die ich gern und solche, die ich weniger gern putze.“ Tresky hat von ihrem Chef viel gelernt und wusste das immer zu schätzen. „Überdies kommen wir sehr Barbara Tresky hat einiges an Umwegen zurückge- gut miteinander aus.“ Lediglich was den Bereich legt und einiges Durchsetzungsvermögen gebraucht, Ordnung betrifft, haben die beiden, so erklären sie um Uhrmacherin zu werden. Sie schließt zwar nicht schmunzelnd, unterschiedliche Vorstellungen. „Aber aus, dass mancher Umweg auch einen Sinn haben inzwischen akzeptiert er meine Ordnung, und ich kann. Hilfreich für die Schul- und Berufswahl aber akzeptiere sein Chaos. Jeden Samstag wird die wäre es ihrer Meinung nach, wenn junge Leute mehr Werkstatt ohnehin komplett aufgeräumt und geputzt.“ Informationen hätten und sich selbst ein realistisches „Es ist ein Erfolgserlebnis, etwas wieder zum Laufen zu bringen “ Bild von verschiedenen Tätigkeiten machen könnten. „Bei uns an der Schule waren zwar zwei Vertreter der Österreichischen Hochschülerschaft und haben uns verschiedene Studienrichtungen vorgestellt. Aber Was Barbara Tresky besonders gefällt an ihrem Beruf: wirklich vorstellen kann man sich dadurch nicht, wie „Es geht nicht nur um die Bearbeitung von Materia- es an einer Universität zugeht. Andere Schulen gehen lien, sondern um das Funktionieren eines Gerätes. mit den SchülerInnen an die Universität und schauen Das Faszinierende ist die Technik hinter dem Ganzen, sich das live an. Das ist sicher sinnvoller. Ich selbst dass man etwas wieder zum Laufen bringt, dass es habe beispielsweise zuerst nicht gewusst, dass ich wieder so funktioniert, wie es funktionieren soll. Die nach der Matura noch eine Lehre beginnen kann. Beschäftigung mit alten Uhren macht auch sichtbar, Ich habe gedacht, das geht nicht. Und ganz wichtig auf welch unterschiedliche Art Uhrwerke im Laufe ist es auch, selbst etwas ausprobieren zu können.“ Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 13 Barbara Tresky hat sich immer vorgestellt, dass sie saniert alle er.“ Die Großuhren sind Barbara Tresky gern mit Holz arbeiten würde. Nach einem einzigen jedenfalls zunehmend ans Herz gewachsen. „Wenn Tag in einer Tischlerwerkstatt im Zuge des Berufsori- ich mich schnell genug entwickle, und ich hoffe, das entierungskurses wusste sie es besser. Sie hatte das werde ich, würde ich gern versuchen, selbständig zu Gefühl, an dem Holzstaub zu ersticken. „Man sollte sein, wobei ich ehrlich sagen muss, ich habe großen die Chance nützen, etwas an Ort und Stelle auszu- Respekt davor. Denn die Selbständigkeit birgt auch probieren.“ ein hohes Risiko, nicht zuletzt ein finanzielles. Und ich habe keinerlei Rücklagen. Deshalb muss ich mir Zukunftsperspektiven? das gut überlegen. Ich habe aber auch kein Problem Barbara Tresky möchte weiter reparieren; sie möchte damit, angestellt zu sein. In jedem Fall möchte ich die keinesfalls in den Verkauf. „Zuerst möchte ich das Meisterprüfung machen.“ Handwerk der Uhrmacherei richtig beherrschen und dann hoffe ich, dass Herr Reich noch Zeit findet, Im August 2011 – wenige Wochen nach dem Inter- mir das Sanieren der Gehäuse beizubringen. Einst- viewtermin – hat Barbara Tresky wie geplant die weilen repariere ich nur die Uhrwerke. Die Gehäuse Meisterprüfung abgelegt. Die Sicht des Ausbildungsleiters „Eine solche Schülerin würde ich mir wieder wünschen!“ Der Anteil der Frauen an den Uhrmacherlehrlingen beträgt nur knapp 30 Prozent. Das ist schade. Denn: „Frauen stellen sich in dem Beruf zum Teil viel geschickter an und sind viel einfühlsamer.“ Harald Rinder weiß dies aufgrund langjähriger Erfahrung. Seit 1991 ist er Lehrer und seit 2003 Leiter der Uhrmacherlehrwerkstätte der Stadt Wien. Diese überbetriebliche Ausbildungsstätte, ausgestattet mit den modernsten Maschinen und Geräten, wurde bereits 1903, also vor mehr als hundert Jahren gegründet, und ist untergebracht im Berufsschulgebäude in der Mollardgasse. Die Hälfte der AbsolventInnen bleibt in der Branche. Das ist – verglichen mit anderen Lehrausbildungen – ein hoher Prozentsatz. Pro Jahr werden – nach Ablegung einer Aufnahmsprüfung – zwölf Lehrlinge aufgenommen. Anders als noch vor wenigen Jahren, als Barbara Tresky mit der Ausbildung begann, werden seit 2010 nur noch InteressentInnen aus Wien aufgenommen, die nicht älter als achtzehn Jahre alt sind. Die Vermittlung erfolgt über das AMS für Jugendliche. Die Lehrlinge erhalten nun eine Ausbildungsbeihilfe, sind kranken- und unfallversichert und müssen pro Jahr zwölf Wochen Praktikum in einem Fachbetrieb absolvieren. Innerhalb der ersten eineinhalb Jahre der dreieinhalbjährigen Ausbildung fertigt jeder Lehrling selber eine sogenannte Lehruhr an, das heißt, die Lehrlinge lernen auch die für die Herstellung von Uhren erforderliche Bearbeitung von Rohmaterialien und nicht nur das Reparieren von Uhren. Das ist speziell für UhrenrestauratorInnen wichtig, die oft vor dem Problem stehen, dass es für eine Uhr keine Ersatzteile mehr gibt. Für Harald Rinder ist der Beruf der UhrmacherIn und ZeitmesstechnikerIn ein Beruf mit Zukunft. „Der Trend geht zurück zur mechanischen Uhr, die man reparieren und servicieren kann. Es ist fast eine Renaissance!“ Barbara Tresky hat er in sehr guter Erinnerung. „Ihr Wunsch, Uhrmacherin zu werden, war sehr ausgeprägt. Sie war sehr motiviert, sehr wissbegierig. Sie hat die Holschuld geholt und die Bringschuld eingefordert. Sie hat alles hinterfragt. Und ich habe es als meine Aufgabe gesehen, sie zu unterstützen. Eine solche Schülerin würde ich mir wieder wünschen! Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Georgina Bezuh (Jahrgang 1977) 14 Zerspanungstechnikerin „Wenn ich was schaffen will, schaffe ich es auch“ Von sich selbst sagt sie: „Wenn ich was schaffen will, schaffe ich es auch.“ Knappe zehn Jahre lang war sie im Gastgewerbe tätig, dann bekam sie Probleme mit der Lungenfunktion. Offenbar vom Rauch in den Lokalen. Aus gesundheitlichen Gründen sah sie sich gezwungen, den Beruf zu wechseln, sich umschulen zu lassen. Sie wandte sich ans AMS und wurde – inzwischen wohnte sie in Bad Blumau in der Steiermark – an die „Alternative“ in Gleisdorf verwiesen, ein Zentrum für Ausbildungsmanagement, das – im Auftrag des AMS und des Landes Steiermark – die Qualifizierung von (arbeitslosen) Frauen fördert, um deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Um sich beruflich neu orientieren zu können, erhalten die Frauen die Georgina Bezuh wechselte vom Gastgewerbe in die Metallbranche. Möglichkeit, in Bildungseinrichtungen oder Betrieben verschiedene Tätigkeiten auszuprobieren und ihre Im Alter von vierzehn Jahren kam Georgina Bezuh mit Eignung dafür in der Praxis zu testen. ihren Eltern von Kroatien nach Österreich, und zwar ins Südburgenland. Hier besuchte sie die Polytech- Das Angebot der „Alternative“ umfasst nicht zuletzt nische Schule. Im Anschluss daran absolvierte sie Ausbildungen im Metallbereich. Die Metallbranche eine Lehre als Restaurantfachfrau. Georgina Bezuh hätte Georgina Bezuh immer schon interessiert. Aber hatte bereits während ihrer Schulzeit in Kroatien in der Polytechnischen Schule, die sie besucht hat, einige Jahre Deutschunterricht gehabt; sie musste gab es damals für Mädchen nur die Möglichkeit, in mit dem Deutschlernen daher in Österreich nicht an Friseurbetrieben oder im Gastgewerbe „zu schnup- einem Nullpunkt beginnen. Das erleichterte ohne pern“. Sie selbst wollte daher zuerst Friseurin werden, Zweifel den schulischen Einstieg. Die allermeisten fand aber keine Lehrstelle, und entschied sich dann Fachbegriffe des Gastgewerbes waren ihr dennoch fürs Gastgewerbe, denn irgendeine Ausbildung wollte vollkommen fremd. „Die konnte ich nur auswendig sie in jedem Fall machen. Ihrer Erfahrung nach wäre lernen.“ Nichtsdestotrotz bestand sie die Lehrab- es ganz wichtig, dass Mädchen im Rahmen der schlussprüfung zur Restaurantfachfrau in Bad Berufsorientierung in der Hauptschule und in der Gleichenberg mit Auszeichnung. Ganz offensichtlich Polytechnischen Schule die Möglichkeit haben, in ist Georgina Bezuh sehr sprachbegabt. Heute spricht unterschiedliche Betriebe – auch in handwerklich- sie ohne Akzent, auch Dialekt. Vor allem aber: technische – zu kommen, damit sie sehen, dass es Georgina Bezuh lässt sich nicht unterkriegen. auch was anderes gibt als den Beruf der Friseurin, Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 15 der Verkäuferin und der Kellnerin. Nur so könnten sie prüfung mit Auszeichnung. „Ich wollte auch die feststellen, was ihnen tatsächlich liegt und was nicht. Zerspanungstechnik mit Auszeichnung machen. „Und dann sollte man den Mädchen sagen: Macht Und das habe ich gemacht.“ das, was Euch interessiert!“ Unmittelbar danach verschickte sie erst einmal 56 Ein halbes Jahr lang konnte Georgina Bezuh an der Bewerbungsschreiben. Seit Juli 2010 arbeitet sie – Höheren Technischen Lehranstalt in Weiz, die mit als Leiharbeitskraft – in der Austria Druckguss GmbH dem Ausbildungszentrum in Gleisdorf zusammenar- und Co KG in Gleisdorf. Austria Druckguss ist in beitet, die Grundlagen der CNC -Technik erlernen. erster Linie ein Zulieferbetrieb für die Autoindustrie. 1 Letztlich war ihr das aber zu wenig, sie begnügte sich nicht damit, sondern entschloss sich, die Lehrausbil- Die Zahl der Beschäftigten beträgt 236, dazu dung zur Zerspanungstechnikerin zu machen. Die kommen etwa 25 Leiharbeitskräfte. Insgesamt beträgt Ausbildung, die in Form von Modulen erfolgt, absol- der Frauenanteil in der Fertigung rund 14 Prozent. vierte sie – nach Ablegung einer Aufnahmsprüfung Wie in den meisten Betrieben der Metallbranche ist – im Schulungszentrum Fohnsdorf-Oststeiermark in der Anteil der angelernten Arbeiterinnen deutlich Fürstenfeld. Der Anteil der Frauen an den Lehrlingen höher als jener der Facharbeiterinnen: Von den 28 beträgt im Lehrberuf ZerspanungstechnikerIn öster- Frauen, die bei Austria Druckguss angestellt und in reichweit nicht einmal sechs Prozent. der Fertigung tätig sind, sind nur drei Facharbeite- 2 rinnen, 25 sind angelernt. Allerdings bildet Austria Das Arbeitsgebiet der ZerspanungstechnikerInnen Druckguss inzwischen auch weibliche Lehrlinge in ZerspanungstechnikerInnen sind zuständig für die Formung technischen Berufen aus – zur Zeit eine Werkzeug- und Bearbeitung von Metall- und Kunststoff-Bauteilen mittels bautechnikerin und eine Mechatronikerin. spanabhebender Werkstoffbearbeitung. Beispielsweise werden zu diesem Zweck mittels Drehen oder Fräsen Späne von der „Hier ist die Nachtarbeit geregelt Oberfläche der Werkstücke abgehoben. Die Bearbeitung und wird auch entsprechend bezahlt erfolgte in der Vergangenheit mit konventionellen, inzwischen “ fast ausschließlich mit rechnergestützten CNC-Maschinen. Georgina Bezuh bearbeitet bei Austria Druckguss Während der Bearbeitung steuern und über-wachen Zerspa- Werkteile, konkret: Leiterrahmen V6 für Automotoren nungstechnikerInnen die Maschinen und (Audi). Sie arbeitet Vollzeit. Die Fertigung erfolgt im kontrollieren die Ergebnisse (Qualitätssicherung). Schichtbetrieb, das heißt, es wird immer wieder auch in der Nacht und an Wochenenden gearbeitet. „In der Im Rahmen der Ausbildung lernte Georgina Bezuh Metallbranche ist es eben so. Das war mir von Anfang sowohl die Bearbeitung von Werkstücken mit konven- an klar. Im Gastgewerbe habe ich auch oft in der tionellen als auch mit CNC-Maschinen und Fertigungs- Nacht und an Sonn- und Feiertagen gearbeitet. Mit anlagen. Parallel dazu erfolgte der Unterricht in Fach- dem Unterschied, dass hier die Arbeitszeit geregelt kunde, Fachzeichnen, Fachrechnen etc. ist und auch entsprechend bezahlt wird. Im Mai 2010, ein Jahr und neun Monate nach Beginn Dazu kommt, dass Metallberufe grundsätzlich besser ihrer Ausbildung, bestand sie die Lehrabschluss- bezahlt sind als die traditionellen Frauenberufe.“ CNC ist die Abkürzung von Computerized Numerical Control, zu deutsch: computerisierte numerische Steuerung. Heute sind nahezu alle neu 1 entwickelten Werkzeugmaschinen mit einer CNC-Steuerung ausgestattet, da diese sowohl die Serienfertigung als auch die Einzelfertigung von Metall- und Kunststoffwerkstücken bei hoher Bearbeitungsgenauigkeit beschleunigt und daher rationalisiert. 2 Mit 1. Juni 2011 wurde der Lehrberuf „ZerspanungstechnikerIn“ in der gegenwärtigen Form aufgelassen und durch den neuen Lehrberuf „MetalltechnikerIn - Zerspanungstechnik“ ersetzt. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Georgina Bezuh (Jahrgang 1977) 16 Zerspanungstechnikerin „Alles was man kann und verstanden hat, fällt einem leicht“ Welche Voraussetzungen jemand für den Beruf braucht? Dazu Georgina Bezuh: - - - Technisches Interesse Interesse mit Metall zu arbeiten Räumliches Vorstellungsvermögen (z.B. um sich aufgrund von Zeichnungen das Werk- stück vorstellen zu können) - Keine Abneigung gegenüber Rechnen (Formeln und Gleichungen) Durchhaltevermögen ist, so ergänzt sie, während der Ausbildung ebenfalls erforderlich. „Denn ständig wird man mit Neuem konfrontiert und kennt sich erst einmal nicht aus. Man muss sich immer wieder bemühen, es zu verstehen. Wenn man es dann kann und verstanden hat, fällt es einem leicht.“ Sie selbst ist froh, die Ausbildung zur Zerspanungstechnikerin gemacht zu haben. Ihre Familie hat die neuerliche Berufswahl sehr positiv aufgenommen. Ebenso ihr Freund, obwohl sie während der Ausbildung sehr beschäftigt war und wenig Freizeit hatte. „Bis zwei Uhr war ich jeden Tag im Schulungszentrum und danach habe ich gelernt.“ Bei manchen Freundinnen ist die Berufsentscheidung Ihr Arbeitsgebiet: Die Bearbeitung von Leiterrahmen für Automotoren. hingegen erst einmal auf wenig Verständnis gestoßen. „D a s interessiert dich?“, wurde sie mitunter erstaunt Mit den Kollegen im Betrieb kommt sie – als eine gefragt. „Ja, das interessiert mich“, antwortete sie der wenigen Facharbeiterinnen – gut aus. „Wenn selbstbewusst. „Gärtnerin zu werden, würde mich die sehen, dass man was kann, respektieren sie das hingegen überhaupt nicht interessieren. Aber es ist auch.“ In der Fertigungshalle ist es auffallend laut. gut, dass nicht alle das Gleiche interessiert.“ Lieber Georgina Bezuh aber findet den Lärm nicht schlimm. allerdings wäre es ihr gewesen, hätte sie die Möglich- „Man gewöhnt sich dran. Außerdem tragen alle keit gehabt, die Ausbildung zur Zerspanungstechni- Beschäftigten Gehörschutz.“ kerin schon im Alter von 15 Jahren zu beginnen. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 17 „Ohne den Umweg übers Gastgewerbe hätte ich jetzt auch außerbetrieblich geschätzt. Inzwischen wurde schon viele Jahre praktische Erfahrung in meinem sie bereits mehrmals als Trainerin für Metalltechnik ins Beruf.“ Schulungszentrum in Fürstenfeld geholt. Trotz ihrer relativ kurzen Berufserfahrung in der Metallbranche werden ihre Fähigkeiten schon jetzt Die Sicht des Ausbildungsleiters „Eine Paradeteilnehmerin...“ Das Schulungszentrum Fohnsdorf mit dem Außenstandort Fürstenfeld, wo Georgina Bezuh ihre Ausbildung absolviert hat, ist eine Erwachsenenbildungseinrichtung, die vom AMS finanziert wird. Das Zentrum bietet die Möglichkeit, in verkürzter Form – andere Ausbildungen und berufliche Erfahrungen werden angerechnet – in einem Modulsystem eine Lehrausbildung nachzuholen oder sich aufbauend auf eine vorhandene Ausbildung höher qualifizieren zu lassen. In enger Zusammenarbeit mit den Betrieben der Region werden auch „maßgeschneiderte“ Trainings- und Ausbildungseinheiten angeboten. Im Jahr 2010 machten am Standort Fürstenfeld insgesamt 179 Personen eine Metall- und Elektroausbildung, der Frauenanteil betrug 22 Prozent. Zwölf Frauen und 18 Männer beendeten 2010 ihre Ausbildung mit einer Lehrabschlussprüfung. Vor dem Einstieg in die Ausbildung bedarf es allerdings zumeist, so Franz Hartinger, Leiter des Schulungszentrums in Fürstenfeld, einer intensiven organisatorischen Vorbereitung, vor allem was die Mobilität und die Vereinbarkeit mit familiären Aufgaben betrifft, denn die Ausbildung findet täglich zwischen 6 Uhr früh und 14 Uhr am Nachmittag statt. Ist die Entscheidung zur Teilnahme an der Ausbildung aber gefallen, steigt kaum eine Frau vorzeitig aus. Wesentliche Motive für die Ausbildung sind technisches Interesse, geregelte Arbeitszeiten in der Industrie und gute Verdienstmöglichkeiten. Hinsichtlich Vermittelbarkeit gibt es laut Franz Hartinger keine oder kaum Unterschiede zwischen Frauen und Männern, vorausgesetzt die Frauen sind ebenso flexibel. Die Beschäftigung erfolgt zumeist ausbildungsadäquat im Industriebereich, zu Beginn allerdings häufig über Leiharbeitsfirmen. Georgina Bezuh war, so Franz Hartinger, geradezu eine „Paradeteilnehmerin“. Beeindruckt hat sie sowohl in fachlicher als auch in menschlicher Hinsicht. Ihr Interesse, ihre Fähigkeiten, ihre Einsatzfreude und ihre kommunikative Art sind der Grund, dass sie inzwischen fallweise als Trainerin im Schulungszentrum herangezogen wird. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Tanja Scheil (Jahrgang 1974) 18 Bautechnische Zeichnerin „Mein Leben hat sich von Grund auf geändert“ einem Wiener, den sie in Salzburg kennengelernt hatte, in den Osten Österreichs. Die beiden ließen sich erst im Süden von Wien nieder und zogen später nach Bad Pirawarth ins Weinviertel. Tanja Scheil arbeitete in Wien vier weitere Jahre bei Metro in verschiedenen Abteilungen. Ihre nächste Arbeitsstelle war ein österreichisches Großhandelsunternehmen in Wien, das gerade im Aufbau war. „Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt, die Kollegen waren total nett, aber nach einiger Zeit hat einer angefangen mich zu mobben. Das ging so weit, dass ich einen nervlichen Zusammenbruch hatte. Ich konnte mit keinem Kunden mehr reden, ohne dass mir die Tränen gekommen sind.“ Sie ersuchte ihren Chef um eine einvernehmliche Auflösung ihres Dienstvertrages. „Ich wusste, ich muss raus aus dem Job und einmal Tanja Scheil absolvierte eine FacharbeiterInnen-Intensivausbildung. Tanja Scheil wuchs in Obertrum nördlich der Stadt Salzburg auf. Nach der Pflichtschule besuchte sie abschalten.“ „Schnuppertage sind ganz wichtig“ zwei Jahre lang eine Höhere Lehranstalt für wirtschaft- Durch eine Bekannte erfuhr sie, dass das AMS die liche Berufe, hörte dann mit dem Schulbesuch auf Ausbildung in technischen Berufen fördert. Nähere und absolvierte eine dreijährige Lehre zur Hotel- und Informationen über das Programm „Frauen in Hand- Gastgewerbeassistentin im Hotel Schloss Fuschl. werk und Technik“ holte sie sich aus dem Internet. 1993 legte sie die Lehrabschlussprüfung ab. Sie Mit diesem Wissen ging sie zum AMS Gänserndorf hätte zwar ursprünglich gern einen technischen und fragte, ob es möglich sei, an dem FiT-Programm Beruf erlernt, hatte als Mädchen damals aber keine teilzunehmen. „Schließlich habe ich seit meinem Chance, eine Lehrstelle zu finden. Einem beruflichen sechzehnten Lebensjahr gearbeitet und noch nie Eignungstest zufolge galt sie als geeignet für den eine Schulung, Aus- oder Weiterbildung finanziert Beruf der technischen Zeichnerin und für den Dienst- bekommen.“ Im FiT-Zentrum in der Brünner Straße in leistungsbereich. Wien konnte sie im September 2009 an einem Berufsorientierungskurs teilnehmen. Allerdings wusste sie Nach etlichen Jahren im Gastgewerbe wechselte sie zu dem Zeitpunkt bereits bzw. meinte 1996 in den Großhandel, zur Firma Metro in Salzburg. zu wissen, dass sie einen Metall- „Ich brauche immer wieder neue Herausforderungen.“ beruf ergreifen wollte. Anschließend 2003 übersiedelte sie mit ihrem späteren Ehemann, besuchte sie die im FiT-Programm Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS FiT-Programm 19 vorgesehene Basisqualifikation, in deren Rahmen Das will ich machen. Zurück im FiT-Zentrum habe Englisch-, Mathematik- und EDV-Kenntnisse vermittelt ich meine Bewerbung neu geschrieben. Es gab 25 bzw. aufgefrischt werden und die Teilnehmerinnen Bewerbungen für die Ausbildung und nur 12 Frauen auch sozialpädagogische Unterstützung erhalten. wurden aufgenommen. Eine Woche später wusste Letzteres wusste Tanja Scheil sehr zu schätzen. „Für ich, dass ich mit der Ausbildung beginnen kann. mich war das nach meiner Mobbingerfahrung wie Gleichzeitig habe ich auch panische Angst gehabt. eine psychologische Betreuung. Von da an ging es Als Bautechnische Zeichnerin braucht man viel bergauf. Ich fühlte mich psychisch gestärkt.“ Mathematik. Und ich war in Mathematik nie besonders gut. Aber die Sozialpädagogin sagte mir: Du Da sie in der Metallbranche arbeiten wollte, konnte schaffst das.“ Tanja Scheil während der Basisqualifikation einen Schnuppertag in der Firma Philips machen. „Das war An und für sich dauert die Lehre in dem Beruf drei entscheidend. Ich hab einen Tag dort verbracht und Jahre. „Was ich gemacht habe, ist eine Facharbeite- wusste: Nein, das will ich nicht.“ Schnuppertage hält rInnen-Intensivausbildung. Man lernt in einem Jahr, Tanja Scheil aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung für was andere in drei Jahren lernen. Aber es ist sehr viel ganz, ganz wichtig. Stoff. Man muss wirklich vom ersten Tag an mitlernen und man muss sich auch viel selbst erarbeiten. Unter- Im ersten Moment war der Schnuppertag für Tanja richt war jeden Tag von 8.30 Uhr bis 14 Uhr, an einem Scheil allerdings eine ziemliche Frustration. Sie Tag bis 17 Uhr. Ich bin jeden Tag von Guntramsdorf wusste plötzlich nicht mehr, was sie beruflich machen nach Hause gefahren, nach Bad Pirawarth, bin eine sollte. In dieser Situation war die sozialpädagogische Runde mit meinem Hund gegangen und habe danach Unterstützung für sie sehr hilfreich. Im Laufe der bis 21 Uhr gelernt. Und ich habe mir auch viele Infor- Gespräche mit der Sozialpädagogin erinnerte sich mationen aus dem Internet geholt.“ Für Tanja Scheil Tanja Scheil daran, dass es einer ihrer frühen Berufs- ist es, wie sie sagt, wichtig, Dinge anschauen und wünsche gewesen war, Bautechnische Zeichnerin zu angreifen zu können, um sie zu begreifen. werden. Das hatte sie völlig vergessen. Statt dessen war sie fixiert gewesen auf die Metallbranche, in der Bereits zu Anfang der Ausbildung wurden die Teil- ihr Vater, zu dem sie eine eher ambivalente Beziehung nehmerinnen dazu ermuntert, in die Werkstätten des hatte, tätig gewesen war. Bauhofs zu gehen und sich ein Bild von dem zu „Ich habe mich im FiT-Programm gut aufgehoben gefühlt “ machen, was sie im Unterricht hören. „Ich bin mindestens zweimal pro Woche in den Werkstätten gewesen und habe mir angeschaut, wie man Beton mischt oder wie man Künetten gräbt und Rohre verlegt. „Als mir das bewusst wurde, war es, als hätte ich einen neuen Anfang gemacht, einen Schritt in ein Ich habe dann auch einen Gipskurs gemacht. Und neues Leben. Ich bin dann zu einem Info-Tag in das alles, wo ich mir nicht sicher war, ob ich es richtig Ausbildungszentrum Bauakademie Wien Lehrbauhof verstanden habe, habe ich mir in den Werkstätten Ost in Guntramsdorf gefahren und war in meinem nochmals erklären lassen oder angeschaut. Ich bin ja Element. Ich habe mir gesagt: Genau das ist es! als total Branchenfremde dahin gekommen.“ Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Tanja Scheil (Jahrgang 1974) 20 Bautechnische Zeichnerin eine Stunde hingesetzt und es mir erklärt. Und wenn ich es noch immer nicht verstanden habe, haben sie es mir anders zu erklären versucht, und eine Variante habe ich immer verstanden. Sie haben sich die Zeit dafür genommen. Aber man musste selber sagen: Helft mir.“ Das Arbeitsgebiet der Bautechnischen ZeichnerInnen Bautechnische ZeichnerInnen entwerfen, zeichnen und ändern Baupläne und übernehmen unter Umständen auch organisatorische und kaufmännische Aufgaben bei der Bauausführung. Sie erstellen Reinzeichnungen wie Lagepläne von Gebäuden und Grundstücken, Entwurfszeichnungen, Einreichpläne zur Vorlage bei Bauämtern. Die Pläne fertigen sie meist aufgrund genauer Anweisungen der ProjektleiterInnen über Funktion, Form, Lage und Größe eines Bauobjektes an. Baupläne werden sowohl im Grundriss wie im Aufriss gezeichnet und sind mit Maßangaben versehen. Das händische Zeichnen von Bauplänen wurde inzwischen weitgehend durch das CAD-System abgelöst. 1 Nachdem Tanja Scheil im November 2010 die Lehrabschlussprüfung abgelegt hatte, begann sie Bewerbungsschreiben zu verschicken. Seit Februar 2011 arbeitet sie in der Abteilung „Bauplanung und Bautechnik“ im Raiffeisen- Lagerhaus Weinviertel Nordost Baupläne werden heute mit Hilfe von Computerprogrammen gezeichnet. in Poysdorf. Mit den Ängsten bezüglich Mathematik hat Tanja Sie ist begeistert vom Arbeitsklima. „Ich habe mich Scheil umgehen gelernt. „Seit ich in das FiT-Programm hier vom ersten Moment an wohlgefühlt, habe Zeit, gekommen bin, hat sich mein Leben von Grund auf mich einzuarbeiten und kriege viel Unterstützung.“ verändert. Mir kann man seither nicht so leicht was Tanja Scheils unmittelbarer Chef im Lagerhaus ist anhaben. Ich hatte zwar immer ein sicheres Auftreten, Baumeister. Ihre konkrete Tätigkeit besteht vor allem war aber in Wirklichkeit sehr schnell zu verunsichern, darin, nach den Handskizzen beispielsweise für einen und habe mir oft nichts sagen getraut, aus Angst, ich Zubau zu einem Einfamilienhaus, die der Baumeister könnte einen Blödsinn sagen. Unsere Trainer in der vor Ort anfertigt und mit Maßen versieht, mit Hilfe Schule haben von Anfang an gesagt: Wenn Ihr was eines Computerprogramms einen Entwurf zu machen, nicht versteht, sagt es uns, dann erklären wir es noch mit Grundriss und Aufriss, sodass sich der Kunde einmal. Ich war die einzige, die sich zu sagen getraut oder die Kundin darunter was vorstellen kann. hat, dass ich was nicht verstehe. Die Trainer haben Der Entwurf wird nochmals kontrolliert, allenfalls sich dann nach dem Unterricht, in ihrer Freizeit, noch abgeändert und umgezeichnet. 1 CAD ist die Abkürzung von Computer Aided Design, zu deutsch: Computergestütztes Design Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 21 Danach erstellt Tanja Scheil den Einreichplan, in vier- Wien gearbeitet, hätte ich nicht das Wissen, das ich facher Ausführung und gebunden, den reicht der jetzt habe.“ Kunde bzw. die Kundin bei der Gemeinde ein. Unter die Gemeinde. Ein solches Gesamtpaket bietet das „Wissen weiterzugeben, würde mir gefallen “ Lagerhaus seinen KundInnen jedenfalls an. Zukunftsperspektiven? „Ursprünglich wollte ich Umständen hat der Baumeister auch die Bauaufsicht. Danach ergeht die Fertigstellungsanzeige an gleich nach der Ausbildung die Werkmeisterschule Daneben zeichnet Tanja Scheil auch Deckenpläne machen, dann hätte ich in der Berufsschule unter- und rechnet entsprechend der Spannweite aus, richten können. Das hätte mich gereizt. Ich habe welche Träger und welches Material verwendet während meiner Ausbildung zwei Wochen lang ein werden muss. Inzwischen zeichnet sie auch Pläne Praktikum als Trainerin gemacht, da habe ich eine für den Neubau von Einfamilienhäusern sowie von Gruppe unterrichtet. Wissen weiterzugeben, würde Lagerhallen. mir gefallen. Aber damals hat es geheißen, das könne nicht gefördert werden, ich müsse zuerst einmal in Ob es ihr leid tut, erst auf Umwegen zu ihrem jetzigen meinem erlernten Beruf arbeiten. Das sehe ich ein. Beruf gekommen zu sein? „Nein. Alles im Leben hat Ich nütze jetzt einmal die Chance, hier möglichst seinen Sinn, und Erfahrungen bringen einen weiter. viel zu lernen. Und wer weiß, vielleicht mache ich in Hätte ich nicht im Gastgewerbe gearbeitet und im einigen Jahren die Werkmeisterprüfung.“ Handel, hätte ich nicht erst in Salzburg und dann in Die Sicht des Direktors Wiedereinsteigerinnen bevorzugt „Frauen mit Kindern wissen einen Arbeitsplatz vor der Tür zu schätzen“, so die Erfahrung von Ing. Josef Thalhammer. Er ist seit 1994 Direktor des Raiffeisen-Lagerhauses Weinviertel Nordost in Poysdorf. Das Lagerhaus mit 22 Einzelstandorten hat rund 200 Beschäftigte. 20 Prozent davon sind Frauen. Frauen finden sich kaum im Arbeiterbereich, sondern vor allem im Angestelltenbereich des Lagerhauses, und zwar nicht nur in untergeordneten Positionen. Seit vielen Jahren werden der Baumarkt und die Sparte Baustoffe von einer Frau geleitet. Lange Jahre war die Chefsekretärin auch Betriebsratsobfrau im Lagerhaus. Die momentane Stellvertreterin des Betriebsratsobmanns ist auch Kammerrätin der Landarbeiterkammer und leitet im Lagerhaus das Kreditmanagement. Inzwischen gibt es auch eine Frau im Controlling. Tanja Scheil ist die erste bautechnische Zeichnerin im Lagerhaus. „Und sie ist auch eine, die auf die Baustelle geht.“ Junge Mädchen nach der Schule nimmt Ing. Thalhammer üblicherweise nicht auf. „Junge Leute können auch pendeln. Für Wiedereinsteigerinnen, für Frauen mit Familie, mit Kindern ist ein Arbeitsplatz in der Nähe hingegen ein Gewinn an Lebensqualität. Und als Genossenschaft haben wir auch eine gewisse soziale Verantwortung.“ Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Romana Welser (Jahrgang 1980) 22 Chemielabortechnikerin „Im Moment bin ich sehr zufrieden“ denn je besser man Deutsch kann, desto leichter tut man sich. Insgesamt habe ich fünf Monate lang Deutschkurse besucht. Das war ziemlich intensiv.“ Das Spezialvokabular, vor allem technische Ausdrücke lernte sie später im Zuge ihrer Ausbildung und ihrer Berufstätigkeit. Abgesehen von einem Hauch von Akzent ist inzwischen nicht mehr merkbar, dass Deutsch nicht Romana Welsers Muttersprache ist. „Chemie hat mich schon in der Schule interessiert “ In Murmansk hatte Romana Welser zuerst begonnen, Technologie zur Verarbeitung von Fischprodukten zu studieren. „Das hat mir gar nicht gefallen. Die Technologie ist zwar sehr interessant, aber nicht mit Fisch.“ Romana Welser kam von Murmansk nach Linz. Danach sattelte sie um auf Chemie. „Chemie hat mich schon in der Schule interessiert.“ In Russland Romana Welser arbeitet im Kompetenzzentrum Holz waren, jedenfalls zu ihrer Schulzeit, so erinnert sich in Linz als Chemielabortechnikerin. Sie ist Russin. Romana Welser, technische Unterrichtsgegenstände Geboren wurde sie im Süden Russlands. Aufge- in der Schule stark vertreten. „Das heißt, am Ende der wachsen ist sie ganz im Norden. In Murmansk. Dort Schulzeit weiß man, was einem liegt. Das erleichtert ging sie zur Schule und studierte einige Jahre an der die Entscheidung für die Berufs- oder Studienwahl.“ Universität. Grundsätzlich arbeiten, so ihr Eindruck, in Russland mehr Frauen in technischen Bereichen, umgekehrt 2005 machte die Studentin Urlaub in Österreich. Bei gibt es viele Männer, die Sprachen studieren. „Die dieser Gelegenheit lernte sie ihren späteren Ehemann Arbeitswelt ist in Russland ziemlich durchmischt.“ kennen. 2006 kam sie wieder nach Österreich, heiratete und blieb hier. Durch die Übersiedlung nach Nach Abschluss der Deutschkurse am bfi, wandte Österreich hat Romana Welser ihr Studium nicht sich Romana Welser erst einmal ans AMS. „Ich habe abgeschlossen, sondern nur ungefähr bis zur Hälfte ursprünglich schon überlegt, in Österreich weiter- absolviert. zustudieren. Aber ich war nicht sicher, ob meine Sprachkenntnisse dafür ausreichen.“ Da sie Interesse Als Romana Welser nach Österreich kam, sprach sie an einer technischen Ausbildung bzw. einem techni- kein Deutsch. Sie belegte daher sofort nach ihrer schen Beruf hatte, verwies ihre AMS-Beraterin sie an Heirat einen Deutschkurs am Berufsförderungsinstitut die FEM Implacement-Stiftung. „Diese Stiftung unter- (bfi). „Nachdem ich den Grundkurs absolviert hatte, stützt Frauen, die eine technische Ausbildung absol- der für ein Visum nötig ist, habe ich weitergemacht, vieren wollen.“ Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 23 Während des Berufsorientierungskurses entschied Romana Welsers Arbeitsgebiet ist die Produktion und sich Romana Welser für die Ausbildung zur Chemiela- die Prüfung von Prüfkörpern: bortechnikerin. Um einen Platz für ein mehrwöchiges „Ich produziere Prüfkörper und prüfe sie auf unter- Praktikum in dem angestrebten Beruf mussten sich schiedliche Art und Weise. Prüfkörper werden aus die Teilnehmerinnen selbst bewerben. Romana Gemischen unterschiedlicher Stoffe in unterschied- Welser erhielt einen Praktikumsplatz im Kompetenz- licher Zusammensetzung gebildet. Die Prüfungen zentrum Holz. Dort konnte sie, was sie sehr freute, im machen sichtbar, wie belastbar die neuen Materialien Anschluss ans Praktikum auch ihre Lehrausbildung sind, welche Eigenschaften sie haben, wie sie sich machen. Und dort ist sie, nachdem sie im Februar beispielsweise bei unterschiedlichen Temperaturen 2011 ihre Lehrabschlussprüfung abgelegt hat, nun verhalten. Bei den von mir hergestellten Prüfkörpern als Chemielabortechnikerin angestellt. Sie arbeitet handelt es sich um Holz-Kunststoffverbindungen für 40 Stunden die Woche und verdient mehr als sie in Bauteile.“ einem der typischen Frauenberufe verdienen würde. „Und das Einkommen wird steigen.“ „In Wirklichkeit sind technische Ausbildungen nicht so schwierig wie man “ meint Die Ausbildung zur Chemielabortechnikerin ist ihr nicht schwer gefallen. „Was wir in der Berufsschule im theoretischen Teil gelernt haben – Organische Chemie und Elementkunde – das habe ich schon in den letzten beiden Schulklassen in Russland gelernt. Was den praktischen Teil der Ausbildung betrifft, war für mich aber alles neu.“ Die Scheu mancher Frauen vor der Technik hält sie für übertrieben: „In Wirklichkeit sind technische Ausbildungen nicht so schwierig wie man meint. Frauen sollten keine Angst haben und es wenigstens Das Tragen einer Schutzbrille ist im Labor Pflicht. probieren. Aufhören können sie immer noch.“ Das Arbeitsgebiet der Chemielabortechnikerinnen Im Beruf ständig mit anderen Leuten zusammen zu Chemielabortechnikerinnen führen chemische, physikalisch- sein und reden zu müssen, wäre nichts für Romana chemische, biochemische und biotechnologische Untersuch- Welser. „Ich stehe im Labor und mache was mit ungen und Versuche an verschiedenen Stoffen (Materialien, meinen Händen. Das passt für mich.“ An ihrer Tätig- Zwischen- und Fertigprodukten, Abfällen) durch. Sie beschäf- keit gefällt ihr vor allem, dass das Ergebnis ihrer tigen sich mit der Beschaffenheit, der Bildung und Zerlegung Arbeit weiterverwendet werden kann bzw. aufgrund sowie der Verwendbarkeit von Stoffen. Sie arbeiten in Gewerbe- der Ergebnisse neue Materialien mit neuen Eigen- und Industriebetrieben, in Forschungseinrichtungen oder schaften entwickelt werden. öffentlichen Prüfstellen. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Romana Welser (Jahrgang 1980), 24 Chemielabortechnikerin Zukunftsperspektiven? „Ich bin im Moment sehr ein bisschen zurück, denn die letzten beiden Jahre zufrieden mit der Situation wie sie ist. Ich habe drei waren sehr anstrengend. Ich habe an beiden Beinen Jahre Ausbildung hinter mir, ich habe einen Betrieb eine Operation gehabt. Aber längerfristig schließe ich gefunden, in dem es angenehm zu arbeiten ist. Mit nicht aus, dass ich noch an die Universität gehe und netten KollegInnen. Jetzt schalte ich erst einmal Chemie (fertig) studiere.“ Die Sicht des Geschäftsführers 2009: Staatspreis für Chancengleichheit Das Kompetenzzentrum Holz wurde im Jahr 2000 gegründet. Es ist innerhalb Österreichs die größte Forschungseinrichtung im Bereich Holz, Holzverbundstoffe und Holzchemie. Das Zentrum hat vier Standorte (Linz, Lenzing, St. Veit an der Glan und Wien) und ist in Form einer GmbH organisiert, die ausschließlich öffentliche Eigentümer hat. Der größte ist über seine Tochtergesellschaften das Land Oberösterreich mit 48 Prozent. Insgesamt sind im Kompetenzzentrum rund 80 Personen beschäftigt. Dazu kommt eine enge Zusammenarbeit mit einschlägigen Unternehmen und WissenschaftlerInnen aus dem universitären Bereich, speziell mit Professoren der Johannes Keppler Universität in Linz und der Universität für Bodenkultur in Wien. Unter den im Kompetenzzentrum beschäftigten Personen beträgt der AkademikerInnenanteil 75 Prozent. 40 Prozent davon sind Frauen. Ziel des Forschungsprogramms ist es, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenzubringen. Ausgehend von den Bedürfnissen von Unternehmen werden Forschungsziele definiert und längerfristige Projekte entwickelt. Die reichen von der chemischen Holzzerlegung bis zur Möbelproduktion. Oft werden Projekte auch in Form einer Dissertation ausgearbeitet, was, wie DI Boris Hultsch, Geschäftsführer des Zentrums, erklärt, Vorteile für alle Beteiligten hat. „Die Dissertanten sind bei uns angestellt, werden aber von der Universität betreut und arbeiten an einem Thema, das für ein oder mehrere Unternehmen von Interesse ist. Für die jungen Leute ist das insofern interessant, weil sie angefangen von den ersten Versuchen im Labor die Projektentwicklung bis hin zur Produktion im Industrieunternehmen mitverfolgen können. So stehen sie mit einem Bein im Wirtschaftsleben und durch die Projektpräsentationen entstehen enge Kontakte zu den Unternehmen, von denen sie zum Teil später übernommen werden.“ Die Universitäten wiederum werden auf diese Weise mit den für Unternehmen aktuellen Themen konfrontiert und bleiben somit technologisch am neuesten Stand. 2009 hat das Kompetenzzentrum den Staatspreis für Chancengleichheit bekommen. „Chancengleichheit ist uns ein Anliegen“, so Boris Hultsch. „Wir haben gezielt dafür gesorgt, dass der Frauenanteil an den Beschäftigten hoch ist. Und wir sind äußerst flexibel was Arbeitszeitmodelle betrifft. Wir haben uns gesagt: Wenn wir das nicht schaffen, wer sonst? Zwar ist bei uns die inhaltliche Arbeit nicht genau planbar. Aber wir sind kein Produktionsbetrieb, wo man Tag für Tag unter Termindruck steht, sondern wir haben langfristige Forschungsprojekte, das heißt man kann sich die Arbeit zeitlich gut einteilen. Es ist für uns auch kein Problem, wenn jemand halbtags arbeitet. Wir bemühen uns jedenfalls, Bedingungen herzustellen, dass die Arbeitszeit auch mit den Bedürfnissen von MitarbeiterInnen, die Kinder haben, kompatibel ist.“ Gibt es Männer in Karenz? „Das ist in den letzten zwei Jahren in Mode gekommen, aber sie bleiben meist nicht sehr lang.“ Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Eveline Prochaska (Jahrgang 1975) Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation „Für einen Neustart braucht es sehr viel Eigeninitiative“ überlegen, wie ich es anlege.“ Was ihr damals schon unangenehm auffiel: „Im Büro mussten wir um Punkt acht Uhr da sein, die Techniker konnten auch später kommen, die hatten ja auch außer Haus zu tun, konnten sich daher manches einteilen. Sie waren ein bisschen freier und hatten mehr Ansehen. Erstens als Frau und zweitens im Büro war man auf einer niedrigeren Stufe der Hierarchie verglichen mit Technikern oder Installateuren. Das hat mich gestört.“ 1996 legte sie ihre zweite Lehrabschlussprüfung ab, die zur technischen Zeichnerin. Daran, dass sie Frau war, änderte allerdings auch das technischen Büro nichts. „Ich habe zwar zumindest gleich viel gearbeitet wie meine Kollegen, aber weit weniger verdient und blieb immer die Kleine. Auf Dauer habe ich mich Der Besuch eines Gymnasiums war Eveline Prochaska nicht möglich. nicht wohlgefühlt in dieser Situation. Ich musste raus dem Betrieb.“ Eveline Prochaska lebt schon seit Jahren in Wien, kommt ursprünglich aber aus Niederösterreich, aus Eveline Prochaska suchte sich eine neue Aufgabe dem Pielachtal. Nach der Hauptschule wechselte und wurde Lehrlingsausbildnerin in Wien bei Jugend sie in die Handelsakademie, brach die Ausbildung am Werk. Die Mobile Berufsausbildung war eine aber ab. „Ich bin das dritte von sechs Kindern. Meine Ausbildungsoffensive, die unter Bundeskanzler Eltern haben sich einfach nicht leisten können, dass Vranitzky gestartet wurde. Ihr Ziel: Alle Jugendlichen wir höhere Schulen besuchen. Bis auf eine meiner sollte einen Lehrplatz haben. Eveline Prochaska war Schwestern hat in unserer Familie niemand die Matura im Rahmen dieses Projektes zuständig für Bürokauf- gemacht.“ leute, technische ZeichnerInnen, Einzelhandel etc. Bald schon war sie auch in einer leitenden Funk- Eveline Prochaska erlernte in einer Firma für Haus- tion. „Wir bildeten die Jugendlichen aus und mussten technik in St. Pölten den Beruf der Bürokauffrau, Lehrbetriebe finden, in denen die Jugendlichen schloss die Lehre mit der Lehrabschlussprüfung ab, ein Praktikum machen oder eine Lehre absolvieren begann dann aber, weil ihr im Büro langweilig war, konnten. Wir waren ziemlich erfolgreich und hatten im selben Betrieb im technischen Büro zu arbeiten. eine hohe Vermittlungsquote. Es war eine sehr inter- „Ich denke, ich habe was gesucht, wo ich selber essante Tätigkeit, eine Herausforderung, denn es war was machen kann, wo ich selber bestimmen kann. ja ein völlig neues Projekt, das wir zum Teil erst entwi- Als Bürokauffrau musste ich ja immer ausführen, was ckeln mussten. Es war aber auch anstrengend. Viele mir wer anderer anschafft. Als technische Zeichnerin der Jugendlichen kamen aus schwierigen Familien- hingegen konnte ich mir bei einem Projekt selber verhältnissen, waren Schulabbrecher, und ich selbst Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 25 Eveline Prochaska (Jahrgang 1975) 26 Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation die meisten Kollegen hatten große Probleme, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.“ „Ich war gern bei den Kindern zu Hause, aber irgendwann war es “ genug Ursprünglich hatte ich ja nach einem Jahr wieder arbeiten gehen wollen, aber letztlich blieb ich fünf Jahre zu Hause. Das hat einfach gepasst. Meine größere Tochter ist ein sehr anhängliches Kind, für sie wäre es problematisch gewesen, von jemandem Fremden betreut zu werden. 2007 kam meine zweite Tochter zur Welt. Die Kleinere ist ganz anders, sie ist lockerer und macht es mir leichter. Ich war gern bei den Kindern zu Hause. Aber irgendwann war es genug. Ich wollte unbedingt wieder was anderes machen.“ Im Herbst 2009 wurde Eveline Prochaska initiativ. „Ich habe im Internet recherchiert und bin auf den Termin einer Informationsveranstaltung für WiedereinsteigeFernziel: Die Verbindung von Informationstechnologie und Medizin. rinnen des waff gestoßen. Ich ging hin. Daneben 1 fand eine Informationsveranstaltung „Frauen in die war noch sehr jung, ich war auch sehr engagiert. Technik“ statt, die interessierte mich mehr. Ich hab Irgendwann war es mir aber zu viel. Trotz Supervision mich reingesetzt, und als auf einen Workshop an der und Coaching fiel es mir schwer, mich abzugrenzen.“ Fachhochschule (FH) Campus Wien hingewiesen wurde, habe ich mich dafür angemeldet und bin 2001 wechselte Eveline Prochaska in eine Druckerei, auch hingegangen. Das war ein Elektronik-Workshop. also ins grafische Gewerbe, in den Verkaufsinnen- Zu Beginn des Workshops stellte sich allerdings dienst. „Ich habe KundInnen beraten bezüglich heraus, dass ich die erforderlichen Kriterien dafür Druckaufträgen, das waren Banken, Museen, Künstler. nicht erfülle. Ich war beim AMS nicht vorgemerkt und Damals habe ich das erste Mal richtig gut verdient.“ an der Fachhochschule überdies fehl am Platz, weil n ich keine Matura hatte. Ich war ziemlich verzweifelt Die Druckerei wurde allerdings bald von einer darüber, so schnell an Grenzen zu stoßen. Glück- anderen Druckerei gekauft, in der Eveline Prochaska licherweise habe ich bei dem Workshop den Studien- anfangs weiterarbeitete. „Dann kam mein erstes gangsleiter, Professor Walzer, kennengelernt, und der Kind. Offenbar genau im richtigen Moment, denn hat mich dann unterstützt, sodass ich, obwohl ich bald darauf ging diese Druckerei in Konkurs und nicht ganz ins Schema gepasst habe, mich noch vor 1 Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 27 Studienbeginn auf die Studienberechtigungsprüfung Der Organisationsaufwand für eine Frau mit Kindern vorbereiten und diese auch ablegen konnte. ist jedenfalls groß. „Ich darf nicht weiter als vier Tage voraus denken. Sonst wird es zu stressig. Aber man Mehr oder weniger parallel dazu absolvierte Eveline wächst mit der Aufgabe. Vor zwei Jahren hätte ich mir Prohaska den Vorqualifikationskurs, der jedes nicht vorstellen können, dass sich das alles zeitlich Jahr speziell für die Frauen, die im ausgehen kann.“ Das Lernen für eine Prüfung kann Rahmen des FiT-Programms ein Fach- sich Eveline Prochaska beispielsweise nicht bis zum hochschulstudium aufnehmen wollen, abgehalten wird. Dieser Kurs dauert Schluss aufheben. „Denn wenn ein Kind drei Tage FiT-Programm drei Monate und ist eine Art Vorbereitung aufs vorher krank wird, komme ich nicht mehr dazu. Ich muss wesentlich früher anfangen zu lernen.“ Studium, er konfrontiert die Frauen mit inhaltlichen Bereichen, mit denen sie sich im Studium, vor allem Ihre kleinere Tochter geht heuer in einen Kinder- im ersten Semester auseinandersetzen müssen. garten, der schon um sieben Uhr aufmacht und bis „Vor zwei Jahren hätte ich mir nicht 17 Uhr offen hat. „Im Vorjahr war sie in einem Kindergarten, der nur bis 16 Uhr offen hat. Das war ein vorstellen können, dass sich das zeit- Horror. Das sind so Kleinigkeiten, aber die sind ganz lich ausgehen kann entscheidend. Wenn die Rahmenbedingungen nicht “ stimmen, ist es nicht zu schaffen, drei oder vier Tage Darauf folgte der – für alle InteressentInnen verbind- bzw. mindestens 25 Wochenstunden an der Fach- liche – Aufnahmetest sowie ein Aufnahmegespräch. hochschule zu sein. Wir haben ja Anwesenheits- Weder im Vorqualifikationskurs noch beim Aufnahme- pflicht! Wir müssen im ersten Jahr meist um acht Uhr test stieg im Jahrgang von Eveline Prochaska eine dort sein, und ich habe fast eine Stunde Fahrzeit zum der der FiT-Frauen aus. Im Verlaufe des ersten Campus.“ Studienjahres allerdings reduzierte sich ihre Zahl deutlich. Das mag damit zu tun haben, dass die Die Anwesenheitspflicht gilt nur für Frauen, die im TeilnehmerInnen des FiT-Programms älter und dem Rahmen des FiT-Programms studieren. „Man kann Lernen eher entwöhnt sind. Es kann aber auch sich ja fragen, warum ich mir drei Jahre lang diktieren daran liegen, dass – wie Eveline Prochaska – meint, lasse, wann ich wo zu sein habe. Andererseits: Ich sehr viel Eigeninitiative und enorm viel Disziplin und könnte mir das Studium nicht leisten, wenn das AMS Energie erforderlich sind, um durchzuhalten, vor mich nicht unterstützt.“ allem für Frauen mit Kindern. Eveline Prochaska ist verheiratet, aber ihr Mann ist nur begrenzt familiär Obwohl Eveline Prochaska quer durch Wien fahren einsetzbar. Er ist selbständig und viel außerhalb von muss und daher viel Zeit verfährt, ist sie froh, sich für Wien unterwegs. Sie aber kann eine Babysitterin, eine ein Studium an der Fachhochschule Campus Wien im Studentin, bezahlen, die bei der Kinderbetreuung 10. Bezirk entschieden zu haben. „Es gibt dort eine einspringt. „Das ist schon ein großer Vorteil gegen- eigene Abteilung Gender & Diversity Management, über vielen meiner Kolleginnen, die teilweise Allein- und wir erhalten sehr viel Unterstützung. In meinem erzieherinnen sind und weniger Arbeitslosengeld Jahrgang sind wir immerhin noch eine Gruppe von 12 haben.“ Frauen, die im Rahmen des FiT-Programms studieren. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Eveline Prochaska (Jahrgang 1975) 28 Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation Das heißt, wenn es Probleme gibt, werden wir auch Aufgrund ihrer eigenen Biographie weiß Eveline gehört. Außerdem ist die Fachhochschule neu und Prochaska, wie wichtig es ist, bereits Kindern und vor wunderbar ausgestattet. Wir arbeiten an lauter neuen allem Mädchen zu zeigen, was es alles an Möglich- Geräten.“ keiten gibt. „Ich versuche, meinen Kindern beispielsweise auch zu vermitteln, dass es selbstverständlich Ob es ihr leid tut, dass sie erst auf Umwegen zu ihrem ist, an die Pflichtschule eine weitere Ausbildung anzu- Studium gekommen ist? „Nein. Ich war zwar traurig, schließen. Für mich war das nicht selbstverständlich. dass ich kein Gymnasium besuchen konnte. Aber Ich möchte, dass das in ihrem Denken verankert ist. ohne den Weg, den ich zurückgelegt habe, wäre ich Und das ist es auch. Die Ältere weiß schon heute, jetzt nicht da, wo ich bin.“ In ihrem ersten Studien- was eine Universität ist und was man dort macht. jahr hat Eveline Prochaska mitgekriegt, dass viele Mir war das fremd. Und genauso möchte ich auch, ihrer Studienkolleginnen Mathematik für ihr Haupt- dass Mädchen wissen, wie ein Schalter funktioniert problem halten. Offenbar wird vielen Frauen von klein und dass sie sich später dran erinnern, so was schon auf die Botschaft vermittelt, dass das Scheitern an einmal ausprobiert zu haben.“ Ihre ältere Tochter ist der Mathematik weiblich sei. Die Frauen setzen sich von den technischen Fähigkeiten ihrer Mutter jeden- selber dadurch so sehr unter Druck und konzent- falls angetan. „Sie gibt immer damit an, dass ihre rieren sich oft nur noch auf Mathematik, was dazu Mama die Autobatterie selber gewechselt hat.“ führen kann, dass sie nicht in Mathematik, sondern in einem anderen Fach scheitern. Manche Frauen Zukunftsperspektiven? Eveline Prochaska kann haben, so die Beobachtung von Eveline Prochaska, sich nach Ende des ersten Studienjahres durchaus auch Schwierigkeiten aufgrund mangelnder Englisch- vorstellen, an das Bachelor-Studium (Dauer: 6 kenntnisse. „Es gibt ZuwandererInnen, die in der Semester), das sie im Rahmen des FiT-Programms Schule kaum Englisch gelernt haben. Das Englisch, absolviert, noch ein Master-Studium anzuschließen. das in diesem Studiengang vorausgesetzt wird, ist Inhaltlich tendiert sie zu einer Verbindung von Infor- aber nicht in ein, zwei Semestern zu erlernen. Der mationstechnologie und Medizin. Bereiche, die sie Großteil der Fachliteratur ist in Englisch.“ interessieren, sind: „Den Kindern zeigen, wie man Lichter zum Leuchten bringt! “ - Telemedizin, mit deren Hilfe beispielsweise ältere Leute länger zu Hause bleiben oder seltener zur Kontrolle ins Spital transportiert werden müssen, weil MedzinerIn und PatientIn Um auch Mädchen von klein auf spielerisch mit mittels Computer in Verbindung sind und Technik vertraut zu machen, geht Eveline Prochaska relevante Informationen übertragen können auf Patientendaten (E-Cards und elektronische am EMU-Tag in die Volksschule ihrer Tochter und 2 zeigt den Kindern beispielsweise, wie man Lichter zum Leuchten bringt, wie der elektrischer Strom funktioniert, in welche Richtung er fließt, wofür man Widerstände braucht. Ich bringe ihnen ein Schaltbrett mit - Security, sprich: die Netzsicherheit in Bezug Gesundheitsakte) - Mikroelektronik zur Steuerung von Prothesen und versuche, ihnen Elektronik nahezubringen. „Ich Darüber hinaus wäre es ihr wichtig, nach dem Studi- möchte, dass Mädchen sehen, dass es ihnen im um projektbezogen arbeiten zu können, was im Bereich Technik nicht anders geht als Buben.“ Bereich der Informationstechnologie üblich ist. 2 EMU = Eltern machen Unterricht Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 29 Projektbezogene Arbeit heißt, Zielvorgaben zu haben, dem Projekt gearbeitet wird. „Ich möchte schon auch die in einem gewissen Zeitraum erreicht werden Zeit haben für meine Kinder. Sonst sind die, noch ehe müssen, sich aber selber einteilen können, wann an ich mich beruflich verwirklicht habe, aus dem Haus.“ Die Sicht des Studiengangsleiters „Tüchtig, engagiert und gut organisiert“ FH-Professor DI Johann Walzer leitet seit 2003 den Studiengang Informationstechnologien und Telekommunikation (ITTK) an der Fachhochschule Campus Wien: „Der Frauenanteil an den Studierenden war in dieser Studienrichtung trotz aller Kampagnen ‚Mehr Frauen in die Technik’ in der Vergangenheit sehr gering. Es gab Jahrgänge ganz ohne Frauen oder nur mit ein oder zwei Frauen.“ Seit im Rahmen des FiT-Programms auch das Studium der Informationstechnologien und Telekommunikation vom AMS gefördert wird, hat sich die Situation deutlich verändert. Der Frauenanteil an den Studierenden stieg auf 30 Prozent. „Verändert hat sich dadurch die Altersstruktur, die Gruppe der Studierenden ist vielfältiger geworden und bringt unterschiedliche Perspektiven ein.“ Zumindestens einige der im Folgenden genannten Voraussetzungen für ein ITTK-Studium sollten laut Professor Walter vorhanden sein: - - - - - - Freude an der Beschäftigung mit Computern oder anderen technischen Geräten Interesse an technischen Zusammenhängen Grundverständnis für Mathematik Neugierig sein und ergründen wollen, wie etwas funktioniert Aufgeschlossenheit gegenüber technischen Neuerungen Eventuell auch praktische Erfahrungen im Programmieren, Basteln, Reparieren, Einrichten von Netzwerken.... Die Frauen, die im Rahmen des FiT-Programms ein ITTK-Studium beginnen, erhalten im Frühjahr vor Studienbeginn eine drei Monate dauernde Vorqualifizierung im Ausmaß von 630 Stunden, in der sie auf den Aufnahmetest und das Studium vorbereitet werden. „Grundsätzlich sollten alle, die zum Vorqualifizierungskurs kommen, eine Matura oder Studienberechtigungsprüfung haben. In der Realität ist dies, wie sich gezeigt hat, nicht immer der Fall. „Eveline Prochaska hatte keine Matura, sie hat am Vorqualifizierungskurs teilgenommen und an der Fachhochschule im September vor Studienbeginn die Studienberechtigungsprüfung abgelegt. Und es schaut nicht so aus, als ob dies zu einem Problem führen würde. Eveline Prochaska weiß, was sie will, sie ist sehr tüchtig, sehr engagiert und sehr gut organisiert. Immerhin schafft sie das mit zwei kleinen Kindern.“ Die gesamte Ausbildung (drei Monate Vorqualifizierung und drei Jahre Bachelor-Studium) der Frauen, die im Rahmen des FiT-Programms ein technisches Fachhochschul-Studium (Frauenanteil unter 40%) absolvieren, wird vom AMS gefördert. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Sandra Schmid (Jahrgang 1978) 30 Mechatronikerin „Mir gefällt es, wenn ich körperlich arbeiten kann. Ich mag das“ männliche Kollegen aber schon. Als ein junger Mann, der zwei Jahre später dieselbe Schule abgeschlossen hatte wie Sandra Schmid, in dem Unternehmen, in dem sie arbeitete, sogleich Modellbauchef wurde, reichte es ihr. „Ich habe da keine Zukunft für mich gesehen.“ Sie wollte Kenntnisse in Mechatronik erwerben. Mechatronik ist eine Kombination der ehemals getrennten Berufsbereiche Mechanik und Elektronik, ergänzt durch Steuerungstechnik und Informationstechnik. Zuerst versuchte sie auf eigene Faust eine Lehrstelle zu finden. „Das war aber in meinem Alter, wie sich zeigte, recht schwierig.“ Ihre AMS-Beraterin machte sie auf die Implacement-Stiftung aufmerksam, deren Ziel nicht nur die Integration arbeitsloser ArbeitnehmerInnen ist, sondern zugleich „die Schaffung eines Fachkräftepotentials durch eine Schon als Kind war Sandra Schmid technisch interessiert. nachfrageorientierte und arbeitsplatzgenaue Ausbildung“. Sandra Schmid meldete sich bei der Implace- 2003 kam Sandra Schmid aus Deutschland nach ment-Stiftung an und besuchte dann Österreich. Davor hatte sie eine vierjährige Fach- einen Kurs des AMS-Programms schule für Formenentwurf und Formenbau abge- „Frauen in Handwerk und Technik“. schlossen. „Das war eine künstlerische und zugleich Vierzehn Tage danach teilte ihr die handwerkliche Ausbildung. Wir haben von der Pieke Stiftung mit, die Firma EMCO-TEST in Kuchl – sie stellt auf gelernt, wie man Porzellansachen macht, wie man Härteprüfmaschinen her – würde sich für sie interes- Rohlinge herstellt. Wir haben auch mit dem Werkstoff sieren, sie solle sich mit dem Leiter der Fertigung in Clay gearbeitet, einem Aluminiumsilikat, das auch in Verbindung setzen. der Autoindustrie verwendet wird. 1:1-Modelle von Autos werden erst einmal in Clay erstellt.“ Danach begann sie in einem Designunternehmen im Bundes- FiT-Programm „Das Genialste war der Kabelmüll“ land Salzburg zu arbeiten. Letztlich aber stieß sie Das Motiv für die Lehrausbildung in Mechatronik in dem Betrieb an Grenzen. Sie wollte einen CNC- war Sandra Schmids Wunsch, die CNC-Technologie Kurs machen und lernen, mit computergesteuerten kennenzulernen. „Mir gefällt das einfach. Ich habe Maschinen Formen zu erstellen. Der Kursbesuch schon als Kind mit Lego Technic-Produkten gespielt. wurde von der Firma jedoch nicht bewilligt. „Das Und ich habe immer schon gern gebastelt. Der hat mich schon geärgert, und es war auch diskrimi- Meister hört das zwar nicht gern, wenn ich von nierend, dass sie mich als Frau da nicht ranlassen, Basteln rede, im Endeffekt aber ist die Arbeit für 1 1 CNC ist die Abkürzung von Computerized Numerical Control, zu deutsch: computerisierte numerische Steuerung. Siehe auch Anmerkung 1 auf Seite 15. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 31 mich nichts anderes als ein – wenn auch genaueres „Aber damals war es geradezu suspekt, wenn eine – Basteln. Ich habe zwar als Kind auch eine Barbie- Frau für einen sogenannten Männerberuf Interesse Puppe gehabt und mit den Freundinnen Puppen zeigte. Bei einem Bewerbungsgespräch wurde mir gespielt. Aber genauso gern mit meinem Vater mit dann auch klipp und klar gesagt, sie wollen keine Autos. Und dann ist das Pneumatik-Spielzeug raus- Frau als Lehrling, denn die wird dann schwanger und gekommen. Ein Wahnsinn!“ Auch ihr Vater, so erin- bleibt drei Jahre zu Hause...“ nert sie sich, sei extrem vielseitig gewesen. „Er hat geschnitzt und gemalt und war handwerklich und Derzeit sind österreichweit 8,2 Prozent der elektronisch sehr versiert.“ Mechatronik-Lehrlinge Frauen. Beruflich war ihr Vater bei der Post. „Auf dem Das Arbeitsgebiet der MechatronikerInnen Betriebsgelände gab es jedes Jahr ein Firmenfest. MechatronikerInnen sind für die Herstellung, Montage, Über- Da haben wir Kinder immer mit den Kabeltrommeln prüfung und Instandhaltung mechatronischer Systeme zustän- gespielt. Da gab es Kabeln mit ganz dünnen Quer- dig. Mechatronische Systeme spielen im Maschinen-, Anlagen- schnitten und dann wieder Rollen mit dicken Kabeln und Gerätebau eine große Rolle. MechatronikerInnen stellen drauf. Und das Genialste war der Kabelmüll. Das hört mechatronische Teile her, bearbeiten sie, bauen mechatroni- sich blöd an, aber es war uns das Liebste, aus den sche Baugruppen zusammen und gleichen sie ab. Mechatro- bunten Kabeln was Tolles zu basteln.“ nikerInnen bauen elektrische, pneumatische und hydraulische Steuerungen nach Schaltplänen auf. Ihre Tätigkeiten reichen 2007 begann Sandra Schmid ihre Lehrausbildung zur weit in den EDV-Bereich hinein. Sie stellen beispielsweise Mechatronikerin bei EMCO-TEST. Sie war und ist nicht System-Komponenten zusammen, passen Software an und nur die einzige Frau in der Werkstatt, sondern auch installieren sie. Sie programmieren mechatronische Systeme. die erste Frau. Sandra Schmid stört dies nicht. Im deraum. „In der Werkstatt wurde ich gleich einem „Abwechslung ist mir wichtig“ ganz lieben Kollegen zur Seite gestellt, der mir viel Die Arbeit macht Sandra Schmid Freude. „Mir gefällt beigebracht hat. Das war einsame Spitze.“ es, wenn ich körperlich arbeiten kann. Ich mag das, Gegenteil. Sie hat jetzt sogar einen eigenen Umklei- wenn ich einmal im Sitzen arbeite, dann wieder stehe Aber auch die anderen waren nett. „Sicher braucht oder rumlaufe. Ich könnte nicht die ganze Zeit nur man Selbstvertrauen unter lauter Männern. Und vorm Computer sitzen. Nur stehen wäre auch nichts. Durchsetzungsvermögen. Denn am Anfang testen Mir ist die Abwechslung wichtig. Auch dass manch- die Kollegen erst einmal aus, wie man reagiert. Aber mal feinere Arbeiten zu erledigen sind, dann wieder es ist sicher ein Vorteil des höheren Alters, dass man handfestere, grobe. Und ganz wichtig ist auch, dass ernsthafter an alles herangeht.“ die Arbeit ein Ergebnis hat – ein funktionierendes Der Nachteil: In der Berufsschule fühlte sie sich Gerät!“ manchmal wie im Kindergarten. Für Mechatronik hatte sich Sandra Schmid schon in Sandra Schmid arbeitet Vollzeit. Im Betrieb gibt es Deutschland interessiert, zu jener Zeit, als der Beruf eine Gleitzeitregelung mit einer Kernarbeitszeit von gerade aufkam, das war Ende der 1990-er Jahre. 9 bis 15 Uhr. Freitag ist um 12.30 Uhr Arbeitsschluss. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Sandra Schmid (Jahrgang 1978) 32 Mechatronikerin wieder! Was sich die Kassiererinnen alles anhören müssen! Und Friseuse? Wenn ich denke, wie ungern ich zum Friseur gehe. Diese zwanghaften Gespräche...“ Im April 2010 legte Sandra Schmid die Lehrabschlussprüfung ab und blieb in der Ausbildungsfirma. Sie ist in der Entwicklung, vor allem aber im Zusammenbau von Härteprüfmaschinen tätig. Dazu gehört die Vormontage von Baugruppen, der Aufbau der kompletten Maschine, das Installieren von Softwarekomponenten und die Inbetriebnahme einschließlich der Funktionsprüfung. „Früher habe ich die Matura für sinnlos gehalten... “ Genaugenommen hätte Sandra Schmid parallel zur Lehre gern auch die Berufsreifeprüfung gemacht. Diese Möglichkeit wird vom Bund gefördert und ist daher für Lehrlinge kostenfrei. Da jedoch bereits ihre Lehrausbildung im Rahmen des FiT-Programms gefördert wurde, war dies nicht möglich. „Doppelförderungen sind nicht vorgesehen.“ Früher hatte es Sandra Schmid für sinnlos gehalten, die Matura zu machen. „Ich wollte ja nicht studieren.“ Inzwischen interessiert sie sich allerdings dafür, da sie gemerkt hat, dass viele Firmen Wert auf eine Wichtig ist, dass die Arbeit ein Ergebnis hat – ein funktionierendes Gerät! Matura legen. Auch in Hinblick auf ein Lehramt wäre eine Reifeprüfung erforderlich. „Jetzt habe ich mich Die Bezahlung ist deutlich besser als in typischen einmal schlau gemacht, was das kostet.“ Die Kosten Frauenberufen. Das Geld allein wäre für Sandra sind nicht gering. Das gilt auch für die Meisterprü- Schmid aber nicht ausschlaggebend. Entscheidend fung. „Die würde das Einkommen erhöhen.“ Fest ist auch die Art der Arbeit. Und da wären die traditi- steht, Sandra Schmid würde ihr Wissen längerfristig onellen Frauenberufe für sie nie in Frage gekommen. noch gern erweitern. „Ich bin nicht so, dass ich etwas „Den ganzen Tag lächeln müssen? Nein, das möchte lerne und mich dann auf ewig damit zufrieden gebe. ich nicht. Ich habe einmal in einem Kaufhaus an der Dafür bin ich viel zu neugierig.“ Kasse gearbeitet, das war für mich ein Trauma. Nie Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 33 Die Sicht des Fertigungsleiters „Sie macht ihre Sache sehr gut“ Standort der Firma EMCO-TEST Prüfmaschinen GmbH ist seit 2001 Kuchl im Bundesland Salzburg. Das Unternehmen stellt Härteprüfmaschinen her, welche die Härte von metallischen Werkstoffen überprüfen. Verwendung finden die Prüfmaschinen vor allem in der Automobilindustrie und in der Stahlerzeugung. 95 Prozent der Produkte gehen in den Export, ein großer Teil nach Deutschland. EMCO-TEST entwickelt und fertigt die Prüfmaschinen, das heißt, die Maschinen werden in Kuchl zusammengebaut, die Herstellung der einzelnen Bauteile erfolgt im Wesentlichen in österreichischen Partnerfirmen. Derzeit hat EMCO-TEST 38 MitarbeiterInnen. In der Fertigung ist Sandra Schmid die einzige Frau. Im Angestelltenbereich (Assistenz der Geschäftsführung, Einkauf, Angebotswesen etc.) gibt es acht Frauen. Als sich Ing. Bernd Schrattenecker, Leiter der Fertigung, vor einigen Jahren an die Implacement-Stiftung in Salzburg wandte, weil er auf der Suche nach einem Mechatroniker-Lehrling war, wurde ihm Sandra Schmid empfohlen. Sie kenne sich im Formenbau aus, hieß es. Nach Rücksprache mit der Geschäftsführung entschlossen sie sich, es erstmals mit einer Frau zu versuchen. Der Versuch ist gelungen. Ing. Schrattenecker ist voll der Anerkennung. „Sandra Schmid hat die Ausbildung super gemacht. Sie war sehr motiviert, und sie ist auch sehr geschickt und sehr geduldig. Sie gibt nicht auf, bevor sie es geschafft hat. Sie macht ihre Sache wirklich sehr gut.“ Nach Abschluss der Lehrausbildung, die Sandra Schmid im Rahmen des FiT-Programms absolviert hat, wurde sie im Unternehmen angestellt. „Sie ist sehr gut integriert. Sie wurde aber auch von den Kollegen gut aufgenommen und ihre Fähigkeiten werden anerkannt. Auch von der Entwicklungsabteilung wird sie aufgrund ihrer Qualifikation und Feinmotorik immer wieder herangezogen, beispielsweise wenn es sich um die Herstellung von sehr filigranen Prototypenbauteilen handelt. Sie weiß, worauf es ankommt.“ Seinerzeit als der Firmensitz gebaut worden war, hatte niemand daran gedacht, in der Fertigung getrennte Toilettenanlagen und Umkleidekabinen vorzusehen. „Im Zuge der Büro- und Produktionserweiterung haben wir das nun berücksichtigt. Und gleich mehrere Spinde in die Garderoben eingebaut. Wir sind offen für mehr Frauen.“ Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Anita Wechselberger (Jahrgang 1968) 34 Kraftfahrzeugtechnikerin Als erste Frau in der Werkstatt Anita Wechselberger unterbrach ihre Berufstätigkeit bis der Sohn, das jüngere der Kinder, in den Kindergarten kam und begann dann zuerst halbtags und nach der Scheidung ganztags zu jobben – zu putzen, zu waschen, zu kochen, zu kellnern. „Im Zillertal sind die Arbeitsmöglichkeiten gering.“ Irgendwann hatte sie genug vom Gastgewerbe, arbeitete anderthalb Jahre im Lager einer Apothekerzulieferfirma und anschließend doch wieder im Gastgewerbe, in einem Café an einer Tankstelle. Unmittelbar gegenüber gab es ein Zweiradgeschäft plus Werkstatt, in dem sie bald schon in ihrer Freizeit ein wenig mitzuarbeiten bzw. auszuhelfen begann. Ihr Interesse an Kraftfahrzeugen hatte sie nicht verloren. Als sie mit ihrem Motorroller unverschuldet einen Nach 25 Jahren ging Anita Wechselbergers Berufswunsch in Erfüllung. Unfall hatte und sechs Wochen krankgeschrieben wurde, war dies ihrem Chef offenbar zu viel. Kaum Schon im Alter von 16 Jahren, nach Abschluss der war sie zurück im Café, erhielt sie die Kündigung. Polytechnischen Schule, wäre Anita Wechselberger Anita Wechselberger ging zum AMS. „Das war an gern Kraftfahrzeugtechnikerin geworden. Doch ihre einem Mittwoch. Ich erinnere mich noch gut. Ich habe Suche nach einer Lehrstelle verlief erfolglos. Von allen die Beraterin gefragt, ob es nicht möglich wäre, was drei Werkstätten im Raum Vöcklabruck, in denen anderes zu machen, und habe ihr gesagt, dass ich sie sich vorstellte, erhielt sie Absagen. Statt dessen bereit wäre zu einer Umschulung. Zuerst fragte sie machte sie schließlich in einem Hotel in Seewalchen mich, ob ich an einem Sozialberuf interessiert sei.“ am Attersee die Lehrausbildung zur Köchin. Das ent- Anita Wechselberger verneinte. „Das ist nichts für sprach eher dem Geschmack ihrer Mutter als ihren mich.“ Daraufhin wurde sie gefragt, ob sie tech- eigenen Wünschen. Nebenbei reparierte sie immer nisches Interesse hätte. „Sag ich. Ja, sicher.“ Da wieder Mopeds, das eigene und die von Freundinnen. sagte ihr die Beraterin, dass es an diesem Tag einen 1 Vortrag über „Frauen in Handwerk und Technik“ im Nach Abschluss der Lehre ging sie mit ihrer Cousine AMS Schwaz gebe. „Ich ging sofort hin. Der Vortrag auf Saison nach Kärnten und Salzburg, später auch hatte schon begonnen. Im Anschluss nach Tirol, ins Zillertal, wo sie ihren (inzwischen: Ex-) fand ein Eignungstest statt, den habe Mann kennenlernte, heiratete, zwei Kinder bekam, ich erfolgreich bestanden und damit eine Tochter und einen Sohn, und wo sie heute noch war ich in das FiT-Programm aufge- lebt. nommen. An diesem Tag hat sich wirklich eins ins andere gefügt.“ 1 Der Lehrberuf hieß damals noch Kraftfahrzeugmechaniker. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS FiT-Programm 35 Danach besuchte Anita Wechselberger in Wörgl der Reifen. Möglicherweise misstraute er aber auch den Berufsorientierungskurs im Rahmen des FiT- nur ihren Fähigkeiten. Einer meinte, dass er Frauen Programms, den die Bildungseinrichtung ibis acam normalerweise nicht mit seinem Auto fahren ließe, im Auftrag des AMS durchführte. Dieser Kurs sollte dass dies also ein besonderes Entgegenkommen Frauen die Möglichkeit geben, draufzukommen, sei.... „Beim nächsten Mal aber war’s für ihn schon welche Tätigkeit sie wirklich interessiert, welchen selbstverständlich.“ Größtenteils waren die Reakti- Beruf sie tatsächlich erlernen wollen. Für diesen onen der Kunden positiv, zumal wenn ihnen im Büro Beruf war auch eine Basisqualifizierung in Form eines gesagt worden war, dass die Mitarbeiterin den Beruf Praktikums vorgesehen. Anita Wechselberger war im zweiten Bildungsweg erlernt. Kundinnen, so die eine der wenigen Teilnehmerinnen, der vom ersten Erfahrung Anita Wechselbergers, wissen es in jedem Tag an klar war, was sie will. Sie wollte – wie schon Fall zu schätzen, wenn ihnen jemand in einer auch 25 Jahre davor – Kraftfahrzeugtechnikerin werden. für sie verständlichen Sprache erklärt, was warum zu Kraftfahrzeugtechnik ist nach wie vor eine „traditi- reparieren ist. In der Werkstätte unter den Kollegen onelle Männerdomäne“. Der Anteil der Frauen an wurde zwischendurch auch geblödelt, grenzwer- den Lehrlingen beträgt derzeit österreichweit noch tige Sprüche gab es, aber eher selten. Anita Wech- immer weniger als drei Prozent. Anita Wechselberger selbergers Kommentar: „Auch im Gastgewerbe schaffte es auch, eine dreiwöchige Praxisstelle zu braucht man eine dicke Haut.“ Dass sie nicht mehr finden, und zwar im Autohaus Schick in Schwaz, einer ganz jung ist, sieht sie in diesem Zusammenhang als Peugeot-Vertretung, wo sie schon zuvor manchmal Vorteil. „Dann ist es leichter, sich gegenüber männ- Teilstücke für das Zweiradgeschäft im Zillertal besorgt lichen Kollegen zu behaupten.“ Gleichzeitig wusste hatte. „Das war ganz unkompliziert.“ sie immer, dass sie mit der Hilfe und Unterstützung „Fürs Aufräumen sind die Lehrlinge zuständig. Egal wie alt sie sind “ all ihrer Kollegen rechnen konnte. Besonders hilfreich Nach dem Praktikum fragte sie den Chef, ob sie ihre habe.“ war der Werkstättenleiter. „Er hatte eine Engelsgeduld mit mir und immer versucht, mir zu erklären, warum etwas so ist wie es ist, auch wenn ich dreimal gefragt Lehrausbildung in seinem Betrieb machen könne. Der Chef, Günther Schick, willigte ein, nachdem er sich Eine andere ihrer Erfahrungen: „Grundsätzlich ist man in der ArbeitsmarktförderungsGmbH (AMG) – sie ist als Lehrling in der Rangordnung ganz unten. Das für die Teilnehmerinnen am FiT-Programm während muss einem klar sein. Fürs Aufräumen sind die Lehr- ihrer Berufsausbildung zuständig – nach den näheren linge zuständig. Egal wie alt sie sind.“ Konditionen erkundigt hatte. Für den Betrieb war dies ein absolutes Novum. Nie zuvor hatte in der Werkstatt Das Arbeitsgebiet der KraftfahrzeugtechnikerInnen des Autohauses eine Frau gearbeitet. Anfang 2009 KraftfahrzeugtechnikerInnen kontrollieren die Verkehrs- und begann Anita Wechselberger mit der Lehrausbildung; Betriebssicherheit von Kraftfahrzeugen (Lkws, Pkws sowie nahezu zeitgleich nahm ihr Sohn die Ausbildung zum Motorräder und Mopeds), überprüfen Kraftfahrzeuge in Tischler auf. Manche Kunden des Autohauses waren Hinblick auf allfällige Schäden und führen die Wartung und anfangs ein wenig irritiert. So mancher Kunde wollte Reparatur der Fahrzeuge durch. Die Elektronik hat in diesem ihr – ganz Kavalier alter Schule – erst einmal helfen Bereich in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung beim Öffnen der Motorhaube oder beim Wechseln gewonnen. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Anita Wechselberger (Jahrgang 1968) 36 Kraftfahrzeugtechnikerin Schon bald wurde Anita Wechselberger angeleitet, einfache Reparaturen zu machen, Servicearbeiten durchzuführen, Bremsscheiben und Zündkerzen auszutauschen, Bremsflüssigkeit, Bremsklötze und Reifen zu wechseln, kleine Lackschäden auszubessern etc. Auch für die Auslieferung von Neuwagen wurde sie herangezogen, bei denen mit Hilfe des Computers noch einmal überprüft wird, ob auch alles in Ordnung ist. „Wenn ich die Lehrabschlussprüfung schaffe, frisst er einen Besen “ Die Reaktionen ihrer Umgebung auf ihren Berufswunsch? „Ein Bekannter formulierte es drastisch. Er sagte mir, wenn ich die Lehrabschlussprüfung schaffe, frisst er einen Besen.“ Trotzdem verfolgte er ihre Ausbildung mit Interesse und gratulierte ihr schließlich herzlich zur bestandenen Lehrabschlussprüfung. „Den Besen habe ich ihm dann erlassen.“ Unterstützung erhielt Anita Wechselberger von ihren Kindern, vor allem von der Tochter, die damals bereits von zu Hause ausgezogen und berufstätig war. Die Reaktionen ihrer Freundinnen reichten von Skepsis bis Bewunderung. Allerdings stellt Anita Wechselberger inzwischen fest, dass die Kontakte mit Frauen immer geringer werden, seitdem sie mit immer mehr Männern zusammenarbeitet. „Die wenigsten Frauen interessieren sich für Autos. Und ich bin am Thema Heiraten und Kinderkriegen nicht mehr wirklich Jetzt möchte Sie in ihrem Beruf viel praktische Erfahrung sammeln. interessiert.“ Die Ausbildung von Anita Wechselberger umfasste Schwer ist ihr die Ausbildung nicht gefallen. „Der noch Nutzfahrzeuge, Personenkraftwägen und Motor- Stoff war schon sehr umfangreich, aber wenn einen räder, wobei der Schwerpunkt auf Pkws lag. „Inzwi- was interessiert, fällt einem das Lernen auch leichter. schen hat sich das geändert. Jetzt wird im zweiten Überdies hatte ich Lehrer, die mich sehr unterstützt Lehrjahr die Ausbildung gesplittet. Die Lehrlinge haben. Durchhaltevermögen habe ich während der können sich entscheiden zwischen Lkw, Pkw und Ausbildung nur in finanzieller Hinsicht gebraucht. Das Motorrad.“ Arbeitslosengeld war knapp. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 37 Da war die Ausbildungszeit für mich als Alleinerzie- Reifen wechseln etc., aber mit einspurigen Fahr- herin schon eine Durststrecke. Als außerordentliche zeugen zu arbeiten, ist doch was anderes. Außerdem Berufsschülerin durfte ich in Innsbruck auch nicht ist es ein kleiner Betrieb, wo du alles selber machen im Lehrlingsheim wohnen, sondern musste mir ein musst, von der Annahme bis zur Besorgung der Privatquartier suchen. Die letzten beiden Berufsschul- Ersatzteile.“ termine bin ich dann, um zu sparen, zwischen dem Zillertal und Innsbruck gependelt.“ Anita Wechselberger ist sehr froh, die Ausbildung gemacht zu haben und endlich in dem Beruf arbeiten Im Jänner 2011 legte Anita Wechselberger die Lehr- zu können, den sie sich immer gewünscht hat. Das abschlussprüfung ab und blieb anschließend noch Wichtigste ist ihr im Moment, möglichst viel prakti- ein halbes Jahr im Autohaus Schick. Inzwischen sche Erfahrung zu sammeln. „Ich denke mir schon wechselte sie in das Zweiradgeschäft, in dem sie oft, was ich heute in meinem Alter an Wissen haben schon früher ausgeholfen hat. Dieser Betrieb liegt könnte, was ich an Entwicklungen mitgekriegt hätte, ihrem Wohnort viel näher. Nach Schwaz musste sie wenn ich die Ausbildung in meiner Jugend hätte täglich 40 Minuten fahren. „Ich bin jetzt wieder beim machen können. Speziell in der Autobranche gibt es Lernen. Ich mache zwar im Grunde die gleichen ja ständig Veränderungen. Was im letzten Jahr neu Tätigkeiten wie im Autohaus, Pickerlüberprüfung, war, ist heuer schon wieder alt.“ Die Sicht des Firmenchefs „Sie hätte auch im Betrieb bleiben können“ Das Autohaus Schick in Schwaz, eine Peugeot-Vertretung, hat insgesamt – in Büro, Lager, Neuwagen- und Gebrauchtwagenverkauf sowie Werkstatt – zwölf Beschäftigte. Der Geschäftsleiter, Günther Schick, hat mit Frauen im Büro gute Erfahrungen. Inzwischen auch mit einer Frau in der Werkstatt, wo Frauen bekanntlich Seltenheitswert haben. Seine Erklärung, warum sich für den Beruf der Kraftfahrzeugtechnikerin so wenig Frauen finden: „Ich denke, es schreckt schon viele Frauen ab, dass es sich um eine Arbeit handelt, bei der man sich auch schmutzig macht. Und dass es sich zum Teil um körperlich schwere Arbeit handelt. Eher als Städterinnen eignen sich dafür wohl Frauen aus ländlichen Gegenden, die an körperliche Arbeit gewöhnt sind und denen der Umgang mit Landmaschinen nicht fremd ist.“ Seine Erfahrungen mit Anita Wechselberger bezeichnet er als sehr positiv. Sie hätte bei ihm auch weiterarbeiten können. Er schließt nicht aus, wieder eine Frau in der Werkstatt zu beschäftigen, allerdings eher eine Frau, welche die Ausbildung im Zweiten Bildungsweg macht so wie Anita Wechselberger als eine ganz junge. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Nuray Isik (Jahrgang 1981) 38 Speditionskauffrau „Ich bin froh, dass mir diese Chance geboten wurde“ aufgaben oft nicht machen können, weil ich die Aufgaben nicht verstanden habe. Ich habe stattdessen aber immer andere Übungen gemacht und habe meiner Lehrerin auch erklärt warum. Sie hat meine Bemühungen anerkannt und mich unterstützt.“ Nuray Isik kam von der Volksschule ins Gymnasium. Da allerdings zeigte sich, dass ihre Sprachkenntnisse nicht ausreichten, um dem Unterricht zu folgen. Nach der ersten Klasse wechselte sie in die 2. Klasse Hauptschule. Dort war die Situation zwar anders, aber ebenso schwierig wie in der Volksschule. Von den 20 Kindern der Klasse hatten 16 eine andere Muttersprache als Deutsch. „Es war die Zeit des Krieges in Ex-Jugoslawien, als viele Familien nach Österreich flüchteten.“ Nuray Isik hatte lange Zeit Probleme mit der deutschen Sprache. „Früher habe ich mir immer gesagt: Ich rede nicht, denn wenn ich rede, Nuray Isik wurde in Schwarzach im Pongau geboren. mache ich Fehler. Und dann werde ich Als drittes Kind ihrer Eltern. Diese waren in den ausgelacht 1970-er Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach “ Österreich gekommen. Im Alter von fünf Jahren kam „Meine Eltern konnten mit uns Kindern zwar nicht Nuray mit ihrer Schwester und ihrem Bruder zu den lernen, aber sie haben uns auf andere Weise zu Großeltern in die Türkei, und zwar nach Izmit, eine unterstützen versucht, denn sie wollten, dass wir eine Stadt in der Nähe von Istanbul, denn die Betreuung gute Ausbildung haben. Drei, vier Jahre lang haben der Kinder war mit der Berufstätigkeit der Eltern nicht sie mir und meiner Schwester Nachhilfeunterricht vereinbar. Drei Jahre lang besuchte Nuray in der bezahlt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“ Türkei die Grundschule. Im Alter von acht Jahren kam sie zurück nach Österreich, die Familie wohnte inzwi- Die Hauptschule schloss Nuray Isik mit gutem Erfolg schen in der Stadt Salzburg, und Nuray stieg – ohne ab. Anschließend besuchte sie eine Handelsakade- ein Wort Deutsch zu können – in die zweite Klasse mie. Die Sprachschwierigkeiten aber waren nicht Volksschule ein. „Diese Zeit war sehr schlimm“, wirklich überwunden. „Ich hatte damals auch kein erinnert sie sich. „Meine einzige Freundin in den Selbstvertrauen, ich war sehr schüchtern oder eher folgenden Jahren war meine Klassenlehrerin. Meine eingeschüchtert. Ich habe mir immer gesagt: Ich Mitschüler und Mitschülerinnen sprachen nicht rede nicht, denn wenn ich rede, mache ich Fehler. mit mir, weil ich Ausländerin war.“ Ich habe Haus- Und dann werde ich ausgelacht. Am schlimmsten Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 39 waren für mich Präsentationen oder Referate. Da Bereichen, unter anderem als Kellnerin, nebenbei habe ich gezittert, weil ich reden musste. Ich war so auch als Reinigungsfrau. „Ich habe mir immer gesagt, nervös. Sobald ich gemerkt habe, dass irgendwer man muss alles mal kennenlernen.“ Letztlich verein- lacht, habe ich aufgehört.“ Die dritte Klasse HAK barte sie telefonisch Liefertermine für eine Firma, die musste Nuray Isik wiederholen. Und dann wollte bzw. Matratzen erzeugt. Nach einem Monat fand sie das konnte sie irgendwann nicht mehr. Sie verließ die nur noch langweilig. Schule, besuchte auf Wunsch der Eltern, die wollten, dass sie ihre Ausbildung abschließt, noch eine Zeit- In dieser Situation machte ihre ehemalige Nachhilfe- lang die Abendschule, gab dann aber endgültig auf. lehrerin – sie ist inzwischen Abgeordnete zum Salz- „Ich habe mit Deutsch immer wieder Schwierigkeiten burger Landtag und im Integrationsbüro der Stadt gehabt und immer wieder einen Fünfer auf einen Salzburg tätig – Nuray aufmerksam auf das AMS- Aufsatz bekommen. Irgendwann ist mir dann die Lust Programm „Frauen in Handwerk und Technik“. „Sie am Lernen total vergangen.“ sagte mir, ‚Nuray, ich versteh nicht, warum du dir solche Jobs antust. Du bist doch gescheit! Aber viel- Heute ist Nuray Isik eine eloquente junge Frau, hell- leicht bist du faul...‘“ wach und temperamentvoll. Keine Spur von Sprachschwierigkeiten und Schüchternheit. Das ließ sich Nuray Isik nicht zweimal sagen. Ziemlich umgehend nahm sie „Erst seit drei, vier Jahren kann ich gut Deutsch. Jetzt teil an einem drei Monate dauernden habe ich auch mehr Kontakt zu ÖsterreicherInnen. Berufsorientierungskurs. Zuerst über- Und während meiner Ausbildung zur Speditionskauf- legte sie noch, ob sie im Rahmen von FiT eine Aus- frau habe ich auch zum ersten Mal begonnen, Dialekt bildung im Bereich Recycling machen soll, entschied zu sprechen. Jetzt sage ich mir: Deutsch ist nicht sich dann aber für eine Ausbildung zur Speditions- meine Muttersprache. Es ist normal, dass ich Fehler kauffrau, da in diesem Beruf – wie ihr gesagt wurde mache. Es gibt auch Menschen, deren Muttersprache – ihre Zweisprachigkeit von Vorteil sein könnte. Im Deutsch ist, und die trotzdem Fehler machen.“ Herbst 2008 begann sie mit der Ausbildung zur FiT-Programm Speditionskauffrau am Berufsförderungsinstitut (bfi) Erwerbstätig war Nuray Isik bereits parallel zu ihrem in Salzburg, absolvierte ein 45 Wochen dauerndes Schulbesuch. „Meine Mutter war voll dagegen, dass Berufspraktikum in der Spedition Gebrüder Weiss ich neben der Schule arbeite, aber ich wollte mein und legte Anfang Oktober 2010 ihre Lehrabschluss- eigenes Geld verdienen.“ Nuray Isik arbeitete bei prüfung ab. Tags darauf begann sie an ihrem jetzigen McDonald’s an der Kasse. Zuerst im Rahmen eines Arbeitsplatz in der Spedition Roland in Wals Siezen- Ferialjobs, dann parallel zur Schule als geringfügig heim, in unmittelbarer Nähe der Stadt Salzburg, zu Beschäftigte und später Teilzeit. Nachdem sie die arbeiten. Schule verlassen hatte, stieg sie auf Vollzeit um und wurde bei McDonald’s Assistentin (= Schichtführerin). Die Ausbildung hat sie in bester Erinnerung. „Ich „Da habe ich viel gelernt – betreffend Personal, habe mir überhaupt nicht schwer getan. Ich war 27 Sicherheit und Sauberkeit.“ Nach einem Jahr hörte Jahre alt, als ich begonnen habe, und habe gewusst, sie auf und arbeitete in der Folge in verschiedensten was ich will. Und vor allem: Es hat mich interessiert. Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Nuray Isik (Jahrgang 1981) 40 Speditionskauffrau war sehr aktiv im Unterricht. Ich habe mich immer in die erste Reihe gesetzt und wenn ich die Erklärung nicht verstanden habe, habe ich ein zweites Mal nachgefragt. Gelernt hat sie in der Ausbildung sehr viel. „Geographie, Buchhaltung, kaufmännisches Rechnen, Zollbestimmungen und vor allem die Kalkulation, Organisation und Abwicklung von Gütertransporten mittels Schiff, Bahn oder Lkw einschließlich der Erstellung von Frachtbriefen. Ich habe den EDV-Führerschein gemacht und den Staplerschein. Auch während des Praktikums in der Firma Gebrüder Weiss habe ich sehr viel gelernt, ich wurde nicht mit Kaffee kochen oder Akten schlichten etc. beschäftigt, sondern schon sehr früh angeleitet, Aufträge zu bearbeiten.“ „Ich liebe meine Arbeit. Man lernt in dem Beruf jeden Tag etwas dazu. Jeden Tag “ Nuray Isik hätte auch in der Spedition Gebrüder Weiss weiterarbeiten können, aber sie entschied sich für den Umstieg in eine kleinere Spedition. In der kriege sie, so meint sie, mehr mit. In der Spedition Roland ist sie für Import und Export zuständig. In größeren Speditionen seien das hingegen, so erklärt sie, getrennte Bereiche. An ihrem jetzigen Arbeitsplatz besteht ihre Arbeit im wesentlichen darin, Container zu disponieren, von einem Seehafen zum Kunden und vom Kunden zum Seehafen. Diese Containertransporte erfolgen üblicherweise per Bahn In der Spedition ist sie für Import und Export zuständig. von einem Seehafen in Deutschland nach Wien, Salzburg, Linz, Graz, Enns bzw. nach Slowenien und Ich habe diesen Beruf nicht mit Zwang und nicht mit Italien, jedenfalls an Orte, wo es Terminals gibt. Von Druck, sondern mit Freude erlernt. Die Referenten am dort geht die Fracht unter Umständen per Lkw weiter bfi haben uns sehr unterstützt. Sie haben uns alles an den endgültigen Bestimmungsort. erklärt, bis wir es verstanden haben. Früher hätte ich mich nicht zu fragen getraut, wenn ich was nicht Nuray Isik ist zufrieden mit ihrer Arbeitssituation, hat, verstanden habe. Bei dieser Ausbildung schon. Ich wie sie sagt, einen netten Chef und ebensolche Kolle- Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 41 gInnen, und freut sich darüber, immer wieder was Und kann nebenbei auch noch geringfügig arbeiten.“ Neues zu lernen. „Ich arbeite sehr gern. Ich liebe Die Erfahrung, imstande zu sein, eine Ausbildung ab- meine Arbeit. Man lernt in dem Beruf jeden Tag etwas zuschließen, hat ihr Selbstvertrauen enorm gestärkt. dazu. Jeden Tag.“ „Jetzt hab ich vor gar nichts Angst.“ Und es gibt auch Anerkennung: Als sie kürzlich erst- Befragt nach beruflichen Zukunftsperspektiven sagt mals auf Urlaub war, haben ihre Kunden sie vermisst. sie, sie könne sich jetzt auch vorstellen, die Matura Sie ist sehr froh, die Möglichkeit gehabt zu haben, im nachzumachen. „Ich denke, das würde ich schaffen.“ zweiten Bildungsweg einen Beruf zu erlernen, und Durchaus möglich wäre es auch, mit ihrer Ausbildung würde Frauen gern dazu ermuntern, die Chance, die eine Zeitlang in der Türkei zu arbeiten. „Aber lieber das FiT-Programm bietet, zu nützen, anstatt zu Hause wäre es mir, hier beschäftigt zu sein und mit der Türkei zu bleiben oder als Hilfsarbeiterin zu arbeiten. „So zu kooperieren.“ Und nicht zuletzt hat sie auch noch eine Möglichkeit hat man nicht überall. Man bekommt vor, Mutter zu werden. „Ein bisschen Stress habe ich während der Ausbildung das Arbeitslosengeld ganz gern.“ bezahlt und noch einen Zuschuss für die Ausbildung. Die Sicht des Ausbildners „Sie war Teil des Teams“ Gebrüder Weiss ist Österreichs größtes Transport- und Logistikunternehmen. Es agiert global und transportiert auch Seefracht und Luftfracht. Der Konzern beschäftigt insgesamt rund 4.500 Mitarbeiterinnen, allein in Österreich sind es 2.500. Am Salzburger Standort des Unternehmens hat Nuray Isik ein knappes Jahr lang ihr Praktikum absolviert. Manfred Gillhofer, Nuray Isiks Ausbildner bei Gebrüder Weiss, erinnert sich genau. „Der Leiter der Ausbildung für Speditionskaufleute innerhalb des bfi hat mich einmal daraufhin angesprochen, ob das Unternehmen nicht bereit wäre, Praktikantinnen aufzunehmen. So kam auch Nuray Isik zu uns. Inzwischen beschäftigt Gebrüder Weiss laufend Praktikantinnen. Ich sehe das absolut positiv. Ich bin ein Befürworter dieser Praktika. Diese Frauen sind nicht mehr 16, sie wissen was sie wollen. Sie haben ein Ziel vor Augen. Für mich war von Anfang an klar, dass die Praktikantinnen nicht nur untergeordnete Arbeiten verrichten sollen wie beispielsweise die Ablage betreuen oder kopieren. Ich habe das auch mit dem bfi abgeklärt, dass die Praktikantinnen in den Betrieb integriert werden und auch Leistungen erbringen müssen. Tatsächlich sind sie schon bald vollwertige Mitarbeiterinnen. Wir geben aber auch sehr viel an Know-how weiter. Auch Nuray Isik war Teil des Teams. Am Tag nach der Lehrabschlussprüfung hatte sie schon einen Job. Aber auch wir hätten sie weiterbeschäftigt.“ Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Nina Klaus (Jahrgang 1983) 42 Maschinenfertigungstechnikerin „Es geht auch mit Kindern“ Nicht immer aber war alles super. Nina Klaus hatte eine Reihe von Hürden zu überwinden und sie hat keine Mühen gescheut, um das Beste aus ihrer Situation zu machen. Aufgewachsen ist Nina Klaus in Wien, wo sie die Volksschule besuchte, dann zwei Jahre das Gymnasium und anschließend die Hauptschule. Danach wäre sie zwar gern weiter zur Schule gegangen. Aber es hieß: Du musst was lernen und Geld verdienen. Sie lernte Köchin. „Mein Vater, der damals zwar nicht mehr bei uns gewohnt hat, war im Gastgewerbe tätig. Und ich habe echt nicht gewusst, was ich sonst machen soll.“ Zwei Jahre lernte sie in einem Restaurant, das dritte Jahr in der Zentralküche des Allgemeinen Krankenhauses. Als die Lehrzeit zu Ende war, Einen Lehrabschluss nachzuholen, war Nina Klaus wichtig. legte sie die Lehrabschlussprüfung nicht ab. Der Grund? „Jugendlicher Leichtsinn.“ Sie hatte auch das Nina Klaus ist als Facharbeiterin in der Stanzerei der Interesse an der Tätigkeit verloren. Eine Zeitlang blieb Firma Domoferm in Gänserndorf (NÖ) beschäftigt. sie zu Hause, dann nahm sie an einer Umschulung Sie arbeitet Vollzeit, von sieben bis fünfzehn Uhr. In zu Büroberufen teil. „Obwohl es für mich genauge- die Arbeit fährt sie von ihrem Wohnort – der ist 15 km nommen unvorstellbar ist, ständig am Schreibtisch zu entfernt – mit dem Auto. Ihre beiden Söhne, geboren sitzen und mich nicht zu bewegen.“ 2005 und 2006, besuchen derzeit noch den Kindergarten in ihrem Wohnort, der ältere steht vor dem Im Zuge der Umschulung machte sie drei Prak- Schuleintritt. Der Kindergarten öffnet erst um sieben tika in verschiedenen Firmen, fand anschließend Uhr. Daher holt eine Tagesmutter die Kinder in der aber keine Arbeitsstelle und war wieder arbeitslos. Früh ab und bringt sie dann in den Kindergarten. „Ein paar Jahre lang habe ich dann als Kellnerin in Diese Regelung kostet zwar Geld, aber sie hat sich verschiedenen Lokalen gearbeitet.“ Dann bekam sie bewährt. Nina Klaus ist froh, dass sie ihren Arbeits- ihre beiden Kinder und übersiedelte nach Nieder- beginn in der Firma der Kinder wegen ganz ohne österreich, ins Weinviertel. Zuerst nach Dürnkrut. Probleme von sechs auf sieben Uhr hatte verlegen „In der Karenz habe ich mir dann Gedanken zu können. Und sie weiß auch zu schätzen, das es in machen begonnen: Wie soll das weitergehen? In der Stanzerei nur eine Schicht gibt, nämlich die Früh- meinem letzten Job hatte ich € 800,- verdient. Und 40 schicht, denn so bleibt am Nachmittag noch Zeit für Stunden die Woche gearbeitet. Mir war klar, so geht die Kinder. „Das ist super.“ das nicht mehr. Und als Köchin hätte ich nur wenig Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 43 mehr verdient und die Arbeitszeiten wären mit der den Kleinen kaum noch sehe. Andererseits habe Kinderbetreuung nicht vereinbar gewesen. Im letzten ich in dieser Zeit schon das erhöhte Arbeitslosen- Karenzjahr hat mich der Vater der Kinder verlassen, geld gekriegt und die Kosten für die Kinderbetreuung ich war also allein für mich und die beiden Kinder wurden zum Teil vom AMS übernommen. So gesehen verantwortlich. Mir war klar, so kann das nicht weiter- war ich zufrieden.“ gehen. Ich muss einen Beruf erlernen, wo ich ausreichend verdiene. Nur Herumtümpeln ist nicht meine Schon zu Beginn des Kurses war Nina Klaus klar, Art.“ Nina Klaus hatte zu diesem Zeitpunkt keinen dass sie in einem Metallberuf arbeiten will. „Metall Führerschein, geschweige denn ein Auto und der finde ich gut. Manche Frauen wollen nicht mit Metall kleinere Sohn war noch keine drei Jahre alt, hatte also arbeiten. Mir gefällt es. Überdies sind Tätigkeiten in noch nicht das für den Kindergarten in Dürnkrut erfor- der Holzbranche schlechter bezahlt. Das Einkommen derliche Alter. „Ich war wirklich verzweifelt.“ In dieser war für meine Entscheidung schon auch ausschlag- Situation begann sie alle Informationen zu sammeln, gebend.“ die sie bekommen konnte. Sie recherchierte in der Geschäftsstelle des AMS im Internet. Dort entdeckte Das Kurzpraktikum im angestrebten Beruf organi- sie eine AMS-Broschüre über technische Berufsaus- sierte sie sich bei der Firma Instantina in Dürnkrut. bildungen für Frauen, die vom AMS gefördert werden. Dort „schnupperte“ sie in der Schlosserei. „Dorthin „Das war für mich eine Art Wegweiser. Ich habe mir musste ich nur zwei Minuten zu Fuß gehen! Das war gedacht, dass hört sich nicht schlecht an. Ich bin ideal.“ nicht ungeschickt und ich habe Power.“ „Ohne Auto bist du am Land verloren“ Auf keinen Fall wollte sie irgendwas mit Kundenkontakt zu tun haben. „In der Karenz habe ich eine Die Ausbildung zur Maschinenfertigungstechnikerin Zeitlang in einem Supermarkt als Kassiererin gear- sollte und wollte sie im Ausbildungszentrum des AMS beitet. Das war ein Horror. Das möchte ich nie wieder NÖ in Zistersdorf machen, einem Nachbarort von machen. Mir tun diese Frauen so leid. Ich bin immer Dürnkrut, elf Kilometer entfernt. Vorher aber musste überfreundlich, wenn ich einkaufen gehe, denn die sie sich einem Aufnahmetest unterziehen. Ohne Auto, meisten Leute sind extrem unfreundlich zu den mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte sie von Dürnkrut Kassiererinnen.“ nach Zistersdorf zwei Stunden gebraucht. „Ich habe mit dem Ausbildner gesprochen und habe ihm ge- Es gelang Nina Klaus, ins FiT- sagt, ich will das unbedingt machen, aber ich weiß Programm aufgenommen zu werden. nicht, wie ich hinkomme. Und ich hab ihn gefragt, ob Der Berufsorientierungskurs allerdings fand in Wien statt, das bedeu- es im Zentrum nicht jemanden gibt, der in Dürnkrut FiT-Programm tete, dass sie in aller Früh von zu Hause weg musste vorbeifährt, der mich mitnehmen kann. Er hat das dann organisiert. Und das hat ursuper geklappt.“ und erst spät am Abend heimkam und das kleinere Kind von einem Tag zum anderen zehn Stunden Den Test bestand Nina Klaus, aber gleichzeitig täglich bei einer Tagesmutter untergebracht werden machte sie sich Sorgen, was mit der Ausbildung musste. „Einerseits hat es mir urleid getan, dass ich werden soll, denn vierzehn Tage bevor die Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Nina Klaus (Jahrgang 1983) 44 Maschinenfertigungstechnikerin Obwohl sie den Anfang versäumt hatte, gefiel Nina Klaus die Ausbildung, in der sowohl Praxis als auch Theorie vermittelt wird, sehr gut. „Wir haben auch sehr viel gelernt. Im März 2009 habe ich angefangen. Im Oktober des gleichen Jahres machte ich ein Praktikum. Den Praktikumsplatz habe ich mir in einer kleinen Schlosserei, mit drei, vier Mitarbeitern und einem jungen Chef in einem Nachbarort gesucht. In diesem Betrieb habe ich dann auch neben der Ausbildung jeden Freitag gearbeitet. Ich hab mir gedacht, es ist gut, einen Betrieb kennenzulernen. Ich hab in der Werkstatt gearbeitet, bin auf Montage gefahren, war in Fertighäusern, wo man nur noch Feinarbeiten erledigt, beispielsweise Geländer montiert. Da habe ich in kurzer Zeit sehr viel Erfahrungen gesammelt. Vorher habe ich noch den Führerschein gemacht, denn sonst wäre ich gar nicht in die Schlosserei gekommen. Die war zwar nur sieben Kilometer entfernt, aber öffentlich praktisch nicht zu erreichen. Weder das Ausbildungszentrum Zistersdorf noch das Praktikum wäre erreichbar gewesen.“ Das Arbeitsgebiet der MaschinenfertigungstechnikerInnen MaschinenfertigungstechnikerInnen stellen Maschinen, Geräte und Apparate her, halten sie instand und reparieren sie. Sie bearbeiten mechanische Bauteile und Automatisierungsvorrichtungen, bauen sie zusammen und montieren sie in Maschinen und Geräte. Anschließend prüfen und justieren sie Nina Klaus in der Stanzerei: Ihr gefällt es, mit Metall zu arbeiten. diese und sorgen für die Instandhaltung und Instandsetzung von Automatisierungsvorrichtungen, Maschinen und Geräten. Ausbildung begann, wurde eines ihrer Kinder krank, musste am Kopf operiert werden. Sie wollte zwei Während ihrer Ausbildung machte Nina Klaus vier Wochen im Krankenhaus beim Kind bleiben, dadurch Wochen lang eine Zusatzausbildung für ein Schweiß- aber würde sie die erste Woche der Ausbildung Zertifikat für WIG-Schweißen . „Das können relativ versäumen. wenige Leute, weil man dafür ruhige Hände haben 1 muss und beide Hände dafür braucht. Die meisten „Der Ausbildner hatte Verständnis. Er sagte: Auch Menschen sind nicht imstande, mit jeder Hand was wenn Sie drei Wochen beim Kind bleiben müssen, anderes zu machen. Bei mir hat das von Anfang an bleiben Sie. Er hat selber zwei kleine Kinder und war geklappt.“ total nett.“ Wolfram-Inertgasschweißen 1 Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 45 Im Mai 2010 bestand Nina Klaus die Lehrabschluss- Umstrukturierungen und Verbesserungen aller Art, prüfung mit gutem Erfolg. „Alle Frauen, die gleich- einerseits was den Betrieb, vor allem die Sauberkeit zeitig mit mir die Ausbildung gemacht haben, haben und die ergonomische Arbeitsgestaltung betrifft, aber sie mit gutem Erfolg abgeschlossen. Bis auf eine, auch in Hinblick auf die Beschäftigung von Frauen. die war älter, 52 oder 53 Jahre, die hat die Lehrab- Eine stärkere Durchmischung des Betriebes ist ihm schlussprüfung sogar mit ausgezeichnetem Erfolg ein Anliegen. bestanden! Von dieser Frau erzähle ich allen, die mir sagen, sie seien schon zu alt, um sich weiterzubilden. Von Nina Klaus erwartet er sich unter anderem, wie Ich denke, dass sich viel zu viele Menschen zu früh er bei der Anstellung sagte, dass sie frischen Wind damit abfinden, HilfsarbeiterInnen zu sein. Einen in den Betrieb bringt. Beim Einstellungsgespräch Lehrabschluss nachholen, bedeutet mehr Wissen und machte er ihr gegenüber auch kein Hehl daraus, auch mehr Geld.“ dass sie in eine Abteilung kommt, die sich eher gegen Veränderungen sträubt und in der eine Frau Nach der Lehrabschlussprüfung arbeitete Nina Klaus nicht unbedingt erwünscht ist. Erfreuliche Tatsache weiter in der kleinen Schlosserei, in der sie schon ist, dass Nina Klaus inzwischen zusammen mit einem neben ihrer Ausbildung tätig gewesen war. Allerdings Kollegen die Partieführung übernommen hat. ging dies nicht auf Dauer gut. Der Grund? Innerhalb kürzester Zeit wurde ihr kleinerer Sohn dreimal krank. Nina Klaus hatte zwar vereinbart, dass ihr Überstunden nicht ausbezahlt werden, sondern im Falle „Je mehr ich mich am Tag bewege, desto besser schlafe ich “ einer Krankheit eines ihrer Kinder dafür Zeitaus- In der Stanzerei ist Nina Klaus derzeit für drei gleich gewährt wird, aber als es dann soweit war, war verschiedene Aufgabenbereiche zuständig: davon keine Rede mehr. „Obwohl ich was die Arbeitsstunden betrifft nicht im Minus war.“ Fazit: Nina Klaus fuhr nach Wien und setzte sich mit ihrer ehemaligen Betreuerin im FiT-Programm zusammen. Die beiden studierten Inserate, suchten einschlägige Firmen heraus, die von Nina Klaus, die - Sie erledigt die Büroarbeit, weil sie sich mit dem Computer am besten auskennt, bucht Stunden und Materialien, schreibt Bestel- lungen und Infos per E-Mail. um und betreibt automatische Stanzen - - Sie produziert in der Stanzerei, rüstet Stanzen Sie ist zuständig für Logistik und Belieferung von zwei Hallen mit den für sie erforderlichen Nähe von Gänserndorf wohnt, nicht allzu weit entfernt Stanzteilen (insgesamt gibt es davon 450), sind, und verfassten und verschickten jede Menge sodass die einzelnen Mitarbeiter an ihrem Bewerbungsschreiben. Arbeitsplatz in kleinen Kisten griffbereit haben, was sie brauchen und effizienter und zugleich Eine der Firmen, die sie angeschrieben hatte, war bequemer arbeiten können. Domoferm. Nina Klaus arbeitet dort seit November Nina Klaus findet es erfreulich, drei Arbeitsbereiche 2010 in der Stanzerei. Sie ist eine der sechs Frauen zu haben. Sie empfindet das als eine ausgewogene unter den 220 MitarbeiterInnen der Fertigung. Der Situation. „Und durch die Belieferung lerne ich die technische Leiter der Domoferm-Zentrale, ist aller- ganze Halle kennen, ansonst würde ich mich immer dings sehr aufgeschlossen für Veränderungen, nur in der Stanzerei aufhalten.“ inzwischen mit Kindern und neuem Partner in der Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Nina Klaus (Jahrgang 1983) 46 Maschinenfertigungstechnikerin „Ich habe kein Problem damit, Verantwortung zu übernehmen “ Zukunftsperspektiven? „Ich möchte auf keinen Fall einfache Arbeiterin bleiben. Im März hat mich die Firma auch bereits auf Maschinenfertigungstechnik ist ein Lehrberuf, in dem eine Weiterbildung geschickt, in diesem Seminar ging nicht einmal sechs Prozent der Lehrlinge österreich- es um innerbetriebliche Verbesserungen. Das war weit Frauen sind. Und es ist ein zum Teil auch körper- sehr interessant. Ich habe auch kein Problem damit, lich anstrengender Beruf. Nina Klaus ist zwar sehr Verantwortung zu übernehmen. Daheim habe ich die sportlich und betont, dass sie sich gern körperlich auch. Organisieren habe ich auch gelernt. Und ich betätigt, dass sie dies für ihr körperliches und psychi- weiß, wie belastbar ich bin.“ sches Wohlbefinden geradezu braucht. Das Einzige was Nina Klaus abgeht, sind mehr „Je mehr ich mich am Tag bewege, desto besser Frauen im Betrieb. „Manchmal mache ich einen schlafe ich.“ Zu Beginn ihrer Berufstätigkeit hat sie Abstecher und besuche eine der anderen Frauen, ihrer Osteopathin gegenüber trotzdem gewisse die in der Nähe arbeitet. „Mit einer Frau zu reden, das Zweifel angemeldet: Ewig werde ich diese körper- fehlt mir schon.“ Männer, so ihre Erfahrung, sind eher liche Beanspruchung wohl nicht aushalten? „Sie hat einsilbig und wortkarg. mir entgegnet, ‚Wieso nicht? Wenn Sie jeden Tag diese Arbeit machen und sich nicht überanstrengen, sondern ein paar Tipps befolgen, bauen Sie Muskeln auf und werden kräftiger.‘ Das stimmt. Ich kann inzwischen Hebel bedienen, die ich anfangs nicht hätte runterdrücken können.“ Die Sicht des technischen Leiters „Diese gängigen Vorurteile habe ich nicht“ Die Firma Domoferm stellt Stahltüren, Stahltore und Stahlzargen her. Sie umfasst vier Produktionsbetriebe, zwei in Deutschland, einen in Tschechien und die Zentrale des Unternehmens in Gänserndorf (NÖ). Der Standort Gänserndorf hat 350 Beschäftigte. 220 davon arbeiten in der Produktion. 214 davon sind Männer, etwa die Hälfte davon sind angelernt, die anderen sind Facharbeiter. Den technischen Bereich am Standort Gänserndorf leitet seit 2010 Robert Weninghofer. Wichtig ist ihm vor allem, das Fördern und Fordern der MitarbeiterInnen, Sensibilität für wertschätzende Kommunikation sowie Abbau demotivierender Faktoren. „Unser erklärtes Ziel ist es, dass alle MitarbeiterInnen wissen, wie sie zum Unternehmenserfolg beitragen und ihre Stärken besser einsetzen können.“ Ein Anliegen von Robert Weninghofer ist auch die Erhöhung des Facharbeiterinnenanteils. „Wir achten darauf, dass Frauen, die sich bewerben, in jedem Fall mitbewertet werden. Bei den Lehrstellensuchenden in technischen Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 47 Bereichen überwiegen allerdings bei weitem die männlichen Interessenten. Wir bilden derzeit neun Lehrlinge im Fertigungstechnischen Bereich aus – darunter ist nur ein weiblicher Lehrling.“ Seiner Erfahrung nach sind die – wenigen – Frauen im Betrieb extrem offen für Veränderungen, bereit, Verbesserungen zu unterstützen und diesbezüglich auch erfreulicherweise sehr beharrlich. Die Ansicht, dass Frauen technische Berufe körperlich zu anstrengend seien, teilt er nicht. „Das stimmt heute nicht mehr. Wir leben in einer Zeit, in der es Hilfs- und Hebemittel gibt, die sollte man nützen.“ Und der Einwand, bei jungen Frauen wisse man nie, ob sie Kinder kriegen und wie lange sie dann zu Hause bleiben...? Diese gängigen Vorurteile, so Robert Weninghofer, habe er nicht. „Aufgrund der Väter- bzw. Elternkarenz ist das sicher kein Einstellungskriterium.“ Dass Nina Klaus im Betrieb angestellt wurde, führt er auf ihre Motivation für die Art der Tätigkeit zurück. „Es ist im Gespräch sehr klar herausgekommen, dass sie weiß, was sie will und was sie kann, und dass sie bereit ist, sich weiterzuentwickeln. In der Einarbeitungsphase hat sie sich bestens bewährt und schnell ins Team integriert.“ Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 48 IMPRESSUM MedieninhaberIn und HerausgeberIn: Arbeitsmarktservice Österreich Treustraße 35 – 43 1200 Wien Allgemeine Informationen erhalten Sie unter folgenden Internetadressen: Interviews und Text: Dr.in Susanne Feigl Fotos: Dr.in Susanne Feigl www.ams.at/frauen www.ams.at/fit www.fit-gehaltsrechner.at Kompetenzzentrum Holz GmbH (S. 22 und 23) Grafische Gestaltung: Lisi Breuss www.berufskompass.at www.ams.at/qualibarometer Druck: Ferdinand Berger & Söhne, 3580 Horn Dezember 2011 Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS 49 Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS Arbeitsmarktservice