Unser Himmel ist anders…
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Unser Himmel ist anders…
Uta Luise Zimmermann-Krause, Heike Ponitka, Ekrem Tahiri „Unser Himmel ist anders…“ RomaFrauen in Magdeburg Gesellschaft für Mitteldeutsche Kultur e.V. Amt für Gleichstellungsfragen Landeshauptstadt Magdeburg Ausländerbeirat der Landeshauptstadt Magdeburg HerausgeberInnen: Amt für Gleichstellungsfragen und Ausländerbeirat der Landehauptstadt Magdeburg Gesellschaft für Mitteldeutsche Kultur e.V. Texte: Uta Luise Zimmermann-Krause, Heike Ponitka, Ekrem Tahiri Fotos: Ariane Weber Kontaktadressen: Landeshauptstadt Magdeburg Der Oberbürgermeister Amt für Gleichstellungsfragen Altes Rathaus, Alter Markt 6 39104 Magdeburg Tel. 03 91/ 5 40 22 05, FAX: 03 91/ 5 40 27 28 e-mail: [email protected] www.frauen-magdeburg.de Gesellschaft für Mitteldeutsche Kultur e.V. e-mail: [email protected] www.gmk-magdeburg.de Ausländerbeirat der Landeshauptstadt Magdeburg Alter Markt 6 39104 Magdeburg Tel. 03 91/ 5 40 23 82 Magdeburg, 2009 Landeshauptstadt Magdeburg 1 Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort…………………………………………………………………....…..3 Lied des Flüchtlings……………………………………....…………………...5 Historisches zum Weg der Sinti und Roma………………………....………....6 „Es tut mir unbeschreiblich weh, wenn ich an meine Heimat denke..“ Im Gespräch mit Frau Rosalia F., 60 Jahre.................................................... 19 „Weißt du, meine Freundinnen heirateten schon mit fünfzehn …“ Im Gespräch mit Frau Aurea B., 41 Jahre...................................................... 22 „Erich Kästner lesen, dazu ein Glas Coca Cola…“ Im Gespräch mit Frau Ingela D., 17 Jahre ..................................................... 25 „Viele Häuser in Magdeburg erinnern mich an den Kosovo…“ Im Gespräch mit Frau Manuela J., 28 Jahre................................................... 28 „Mich ärgert, wenn die Leute das Schimpfwort ´Zigeuner´ verwenden…“ Im Gespräch mit Frau Antigona L., 33 Jahre................................................. 30 „In Lesen und Mathematik bin ich Klassenerste.“ Im Gespräch mit dem Mädchen Belinda N., 12 Jahre ................................... 35 „Manchmal stelle ich mir vor, in einer Weide zu wohnen.“ Im Gespräch mit Frau Karina S., 42 Jahre……………………………….....40 Glossar.............................................................................................................. 47 Bibliografie....................................................................................................... 50 2 Vorwort Die vorliegenden Interview-Texte erzählen über Lebenswege von RomaFrauen, die aus dem Kosovo kamen und mit ihren Familien seit der Jahrtausendwende in Magdeburg leben. Sie schildern die Vergangenheit der Frauen und zeigen, wie Alltag und Leben in der neuen Heimat gestaltet wird, beschäftigen sich mit Fragen und Antworten zu dem was war, was ist und was sein könnte. Viele Asylantinnen/ Asylanten beschließen schweren Herzens immer wieder, da Krieg im eigenen Heimatland ist, die Flucht und suchen in Deutschland ein neues Zuhause - so auch sechs Frauen aus dem Kosovo, die in diesem Buch vorgestellt werden. Eine interviewte Frau ist Magdeburgerin, unterstützt die Frauen aus dem Kosovo seit Jahren und geht ihren eigenen „RomaWurzeln“ nach. Ziel der Befragung der Frauen und Mädchen war es, das Miteinander der Familien zu zeigen - aber auch ihre eigenen Erfahrungen und Traditionen. In Magdeburg wird Integration, die auch zukünftig zu lösen ist, mit vielfältigen Mitteln gefördert. Zum Beispiel durch das hohe Engagement von Menschen in multikulturellen Vereinen und Arbeitsgruppen, vielfältige Beratungsstellen für Migrantinnen/ Migranten, die ehrenamtliche Arbeit des Ausländerbeirates (zukünftig Integrationsbeirat) und ein neues Integrationskonzept. Erfahrungen, die die Frauen in dieser Stadt persönlich machen, spiegeln noch eine andere Seite wider. Die Lebensbedingungen der Frauen mit Migrationshintergrund unterscheiden sich von denen der Männer. So muss der Zugang zur Arbeit und zu Sprachkursen anders gestaltet werden, und die Aufarbeitung von Kriegserlebnissen oder der Verlust von Familienangehörigen benötigt einen eigenen geschlechterspezifischen Umgang. Die Interviews entstanden 2009 im Rahmen eines Kooperationsprojektes zwischen dem Amt für Gleichstellungsfragen und dem Ausländerbeirat der Landeshauptstadt Magdeburg sowie der Gesellschaft für Mitteldeutsche Kultur. Frau Uta Luise Zimmermann-Krause (Freie Autorin und Journalistin) traf sich mit den sieben Frauen in ihrem zu Hause und befragte sie zu ihrem Leben. Sie erstellte auch die Übersicht zum langen Weg der Sinti und Roma in der Geschichte Europas und die Situation im Kosovo heute. Im Rahmen der Frauenaktionstage luden wir die RomaFamilien und die Gruppe „Kinder des Windes“ in das Magdeburger Rathaus ein, um gemeinsam über die entstandenen Porträts zu reden. Im Herbst 2009 diskutierten wir mit Magdeburgerinnen und Magdeburgern bei einer Lesung im „Cafe Rossini“ im Opernhaus die besondere Situation der Frauen und Mädchen aus dem Kosovo in dieser Stadt. 3 Unterstützung beim Zustandekommen der Gespräche und der Kommunikation überhaupt gab Ekrem Tahiri, selbst Flüchtling aus dem Kosovo und von Beruf Journalist und Dolmetscher, der seit 2004 stellvertretender Vorsitzender des Ausländerbeirates in Magdeburg ist. Das nun vorliegende Ergebnis macht Mut und ist ein wertvoller Ansatz zu weiteren Arbeiten und Initiativen. Heike Ponitka Ekrem Tahiri Amt für Gleichstellungs- Ausländerbeirat fragen LandesMagdeburg hauptstadt Magdeburg Uta-Luise Zimmermann Krause Gesellschaft für Mitteldeutsche Kultur e.V. 4 Lied des Flüchtlings ... wenn Krieg ist in meiner Heimat, und wenn Gewalt meine Hoffnung zerstört, wenn mir Herz und Seele bluten, und wenn es ein Abschied für immer ist, dann nehm´ ich mich und geh´. Wenn ich wo anders ein neues Zuhause finde, bleibe ich für immer in der Fremde. Ich treffe Menschen, die meine Freunde werden und wenn wir zusammen sind, unsere Geschichten erzählen, dann ... ja, dann wird mir das Herze weit und ich fühle – ich bin zu Haus. (Uta Luise Zimmermann-Krause) 5 Historisches zum Weg der Sinti und Roma UTA LUISE ZIMMERMANN-KRAUSE Ansiedlungen von Sinti und Roma in früher Zeit Vor mehr als eintausend Jahren siedelten die Vorfahren der Sinti und Roma im Nordwesten Indiens, bis sie eines Tages über Persien und Armenien zogen zum griechisch geprägten Südosteuropa. Die ethnische Gruppe der Sinti zählt zur historisch älteren RomaGruppe, die in Deutschland lebt. Vor etwa 700 Jahren entzogen sich die Sinti der Sklaverei und wanderten von Südosteuropa nach Westeuropa. Hier arbeiteten Frauen und Männer als Musiker, Geigenbauer, Händler, Schmiede sowie Hufschmiede, Goldschmiede oder Kesselflicker. Auch das Bearbeiten von Leder beherrschten sie hervorragend. Die Bezeichnung „Sinti“ leitet sich wohl von der indischen Provinz Sind und dem Fluss Sindhu ab. Die Sprache der Sinti und Roma ist „Romanes“ und hat ihren Ursprung im Sanskrit. Vorfahren der deutschen Sinti lebten bereits um das Jahr 1400 in Mitteleuropa. Deutschland, Österreich, Norditalien, Slowenien, Böhmen, Elsass oder Lothringen waren bevorzugte Aufenthaltsorte für sie. Die Vorfahren der deutschen Roma verweilten länger im osteuropäischen Raum als die der Sinti; deshalb bildeten sich über die Jahrhunderte zwei Volksstämme heraus, die über gemeinsame Wurzeln miteinander verbunden sind. Die ersten historischen Spuren von Roma im Gebiet des heutigen Ungarn gehen auf die Zeit der Kreuzzüge zurück. Unter Kaiser Sigmund von Luxemburg (Herrschaft 1410-1437, seit 1433 Römisch-Deutscher Kaiser) dienten sie im kaiserlichen Heer und nahmen am Kreuzzug teil. Sie kämpften tapfer und wurden wegen ihrer besonderen Verdienste befördert. Um 1850 kamen die ersten Roma nach Deutschland. Nach dem 2. Weltkrieg zogen sie zusammen mit Vertriebenen und Spätaussiedlern aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten hauptsächlich nach Westdeutschland. Ab der politischen Wende 1989 fanden Roma aus Polen, Russland, der ehemaligen DDR (nach dem 2. WK sowjetisch besetzte Zone [SBZ]; ab dem 7. Oktober 1949 Deutsche Demokratische Republik) sowie aus Südosteuropa im Westteil Deutschlands ein neues Zuhause. Verfolgung der Sinti und Roma Die Verfolgung der Sinti und Roma begann bereits beim Eintreffen ihrer Vorfahren in Westeuropa und erlebte den Höhepunkt während der NaziDiktatur. 6 Bereits im Mittelalter lassen sich Ansätze zur Verfolgung nachweisen. Sie gehen auf Albrecht III. Achilles – Kurfürst von Brandenburg – zurück. Der Kurfürst verbot 1482 den Sinti, sich in seinem Land aufzuhalten. Mit den Reichstagen von Lindau und Freiburg (1496/97 unter Kaiser Karl V. und 1498 unter Kaiser Maximilian I.) folgte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation diesem Beispiel, hob den Schutzbrief Kaiser Siegmunds auf und erklärte die Sinti für vogelfrei. Der Reichstag zu Augsburg im Jahre 1500 erneuerte nochmals den Beschluss von 1498 gegen die „Zigeuner“. 1534 legte man die Ausweisung der Sinti aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation fest. Im Reichserlass von 1544 wurde die Ausweisung bestätigt und später in die Reichsordnungen von 1548 und 1577 übernommen. In der deutschen Kleinstaaterei kam es nicht überall zur konsequenten Anwendung dieser Gesetze. Doch bis zum Jahre 1774 wurden weitere Edikte gegen Sinti und Roma erlassen. Im Dreißigjährigen Krieg (Stände- und Religionskrieg von 1618 bis 24.10.1648, Ende durch Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück im „Westfälischen Frieden“ zwischen Römisch-Deutschem Kaiser Ferdinand III., Frankreich und Schweden) ließ man Roma wiederum im Heer kämpfen. Sie waren tüchtig und wurden abermals mit Beförderung belohnt. Nach dem Krieg duldete man sie weiterhin im Land. RomaMänner und RomaFrauen verdienten abermals ihren Lebensunterhalt als Musikanten, Artisten, Handwerker, Künstler und Händler. Wegen herausragender handwerklicher Fähigkeiten – vor allem in der Goldschmiedekunst – kam es zu Unstimmigkeiten mit deutschen Handwerkern. Diese fühlten sich benachteiligt, besonders wenn es um die Erteilung von Aufträgen ging. Unnachgiebig bestanden die deutschen Handwerker auf die Änderung vorhandener Gesetze. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 berief sich das Großherzogliche Innenministerium Hessens auf das Berliner Reichskanzleramt und wies die Kreisämter an, eingewanderten Roma die Ausstellung von Gewerbescheinen zu versagen. So begann 1886 der Zwangstransport für "Zigeuner ohne deutsche Staatsangehörigkeit" zur Staatsgrenze bis zur Abschiebung. Ab 1899 forcierte Bayern die Überwachung dieser Volksgruppe, auch wurden im Jahre 1911 Fingerabdrücke von allen Sinti und Roma genommen. Im 1. Weltkrieg (1914-1917) kämpften in Deutschland Sinti und Roma als Soldaten für Deutschland und erhielten für ihre Tapferkeit erneut hohe Auszeichnungen in der kaiserlichen Armee. Viele von ihnen ließen im Kampf ihr Leben, doch nach dem Krieg waren sie wieder ohne Arbeit und Unterhalt. In der Weimarer Republik erließ Bayern 1926 das erste Sondergesetz zur Erfassung von Minderheiten wie Sinti und Roma. Im Polizeipräsidium München 7 richtete man eine Erfassungszentrale für ethnische Volksgruppen – mit Aufenthalt in Deutschland – ein. Die Nationalsozialisten bezogen sich auf diese Kartei und bereitetem so den Völkermord vor. 1936 empfahl der Reichsinnenminister der Polizei, Razzien auf Sinti und Roma durchzuführen. Noch im selben Jahr trafen erste Häftlinge in Dachau ein. 500.000 Sinti und Roma starben unter den Rassegesetzen der NS-Diktatur in Konzentrationslagern. Nach dem 2. Weltkrieg wurden Zentralen eingerichtet zur Erfassung der Sinti und Roma. Diese Merkmalskarteien der Polizei trugen die Folge derjenigen Ziffern, mit welchen die SS in den Konzentrationslagern Sinti und Roma tätowiert und gekennzeichnet hatte. Im Kosovo gestaltete sich in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Situation für viele Roma aussichtslos. Sie fanden weder eine Möglichkeit zum Weiterleben, noch einen Ausweg aus der menschenunwürdigen Situation. Es blieb ihnen nur die Flucht ins Ungewisse! Wie es den RomaFrauen und ihren Familien im Kosovo erging und was sie in Magdeburg – ihrer neuen Heimat – vollbringen, geht deutlich aus ihren Gesprächen hervor. Von Frauen verschiedener Generationen ist hier die Rede. Sie kamen nach Magdeburg – und wollen bleiben. Was wünschen sie sich? „Unsere Heimat ist Kosovo – und wir wünschen uns sehnlich, dass dort bald Frieden herrscht. Doch die Historie der Region erzählt, dass sich schon in der Antike unterschiedlichste Rivalen heftige Kämpfe lieferten. Kosovo in der Antike Im 3. Jh. v. Chr. siedelten Illyrer im Gebiet des Kosovo. Prizren war damals eine illyrische Siedlung. Sie lag an einem Seitenweg der Via Egnatia, und später, unter römischer Herrschaft, hieß sie Theranda. Königin Teuta – eine willensstarke und strategisch geschickte Frau – beherrschte das Illyrische Reich. Sie war ihrem Gemahl Agron († 231) aus dem Volksstamm der Labeaten auf den Thron gefolgt und regierte von 231 bis 228 v. Chr. für ihren minderjährigen Sohn. Im ersten Illyrischen Krieg 229 v. Chr. jedoch zerschlugen die Römer ihr Reich. Die Labeaten siedelten an der östlichen Adriaküste vom heutigen Montenegro bis in die Gegend von Lehza im Norden Albaniens. Königin Teuta startete an der illyrischen Küste mit ihrer Flotte Angriffe auf griechische Städte wie Epidamnos und Phoenice. Sie konnte die Gebiete nicht einnehmen, da sie zu gleicher Zeit Angriffe der Dardarner abzuwehren hatte. Mit ihrer Flotte unternahm sie Plünderungszüge zwischen Butrint und Korfu. Einmal geschah es, dass ihre Piraten auf römische Kaufleute trafen und diese ausraubten. Demetrius – der Flottenkommandeur Teutas – hielt Korfu besetzt. Der römische 8 Senat schickte eine Gesandtschaft nach Skodra in Dalmatien. Der dazu Beauftragte forderte im Namen Roms Entschädigungen und forderte von Teuta, die Raubzüge einzustellen. Die Königin jedoch antwortete, dass sie kein Recht besitze, den illyrischen Seefahrern das Plündern zu verbieten. Dem Grunde nach aber wollte sie die Plünderungen gar nicht untersagen, da die Piraten hohe Steuern an sie zahlten. Die Königin ließ die römischen Gesandten sofort töten. Rom nahm diesen Mord zum Anlass, ihr 229 v. Chr. den Krieg zu erklären (Erster Illyrischer Krieg). Mit 200 Schiffen war die römische Flotte überaus kriegstauglich und landete in Korfu. Widerstandslos übergab Demetrius den Römern die Insel und wechselte hinüber ins römische Lager. Als Gegenleistung durfte er die Insel der neuen Herren verwalten. Damit war das Königreich der Labeaten beseitigt, und das Gebiet (heute Albanien) stand unter römischer Kontrolle. Nach weiteren Eroberungen der Römer und der Errichtung der Provinz Moesia blieb das spätere Metochien bei Illyricum, während das Amselfeld zur Provinz Moesia superior zählte. Theranda und das bei Priština gelegene Ulpiana galten als wichtigste römische Siedlungen im Gebiet des Kosovo. Während der Völkerwanderung (4. Jh./ 7. Jh.) siedelten im Kosovo Awaren und Slawen. Sie gehörten ursprünglich zum Großbulgarischen Reich und besetzten wichtige byzantinische Städte in Moesien und Illyrien. Maurikios (582-602) – Kaiser von Ostrom – wollte die oströmischen Provinzen sichern und zog gegen die Awaren und Slawen. Auch sicherte er die Nordgrenze des Reiches gegen Barbaren und schloss im Osten mit den Persern Frieden. Damit versuchte er zu verhindern, dass die heidnischen Slawen auf dem Balkan sesshaft würden. Doch bald enthoben ihn politische Thronwirren seiner Macht. Basileios II. (976-1025) – Kaiser des Byzantinischen Reiches (Oströmisches Reich) und König von Kroatien (1019-1025) – nahm Armenien ein, besiegte den bulgarischen Zaren Samuil und zwang den Balkan – einschließlich Kosovo – unter byzantinische Herrschaft. Sein blutiger Krieg brachte ihm den Beinamen Bulgaroktonos, (griech.; dt. „Bulgarentöter”) ein. Kosovo in der Zeit der Kreuzzüge 1054 trennte sich die orthodoxe Kirche in Byzanz von der katholischen Kirche in Rom. Papst Urban II. (* 1035; † 29.7.1099) nahm dieses Schisma zum Anlass, die Kirchen wieder zu vereinen. Am 27. November 1095 rief er zum Ersten Kreuzzug gegen den Islam auf. Im Juli 1167 zur Schlacht bei Sirmium nahmen die Byzantiner Ungarn ein, und die Besiegten wurden gegenüber dem Kaiser von Konstantinopel tributpflichtig. 9 Auf byzantinischer Seite kämpften neben lombardischen Söldnern auch serbische und walachische Einheiten. Manuel I. sicherte die Nordgrenze seines Reiches auf dem Balkan. Die Missionierung dieser Gebiete erfolgte von Byzanz aus. Es bildete sich das erste serbische Reich in Kosovo und Mazedonien – auf ehemals byzantinischem Gebiet. Byzanz erkennt die Autonomie Serbiens an unter dem serbischen Großžupan Stefan Nemanja (1113-1200) – Begründer der Dynastie der Nemanjić (Nemanjiden). Als byzantinischer Vasall rief er 1183 zum Aufstand auf und eroberte mit Unterstützung Ungarns die Gebiete Ostserbien, Zeta (Montenegro) und die Stadt Skdar sowie Teile Bulgariens und Mazedoniens. In der Stadt Niš traf Nemanja 1189 Kaiser Friedrich I. Barbarossa, der auf dem Dritten Kreuzzug nach Kleinasien zog. Nemanja sicherte dem Kaiser seine Unterstützung gegen Byzanz zu, vertiefte damit jedoch seinen Konflikt mit dem byzantinischen Kaiser Isaak II. Nachdem Isaak und Barbarossa am 14. Februar 1190 in Hadrianopolis Frieden geschlossen hatten, griff Isaaks Armee die Serben und Bulgaren an, die sich mit Kaiser Barbarossa verbündeten. Noch im gleichen Jahr besiegte er Nemanja in der Schlacht an der Morava. Den Vierten Kreuzzug rief 1198 Papst Innozenz II. aus. Philipp II. von Frankreich, Richard I. von England und Kaiser Friedrich I. führten diesen Zug an. In verheerenden Kämpfen errangen die Nemanjiden die Vormachtstellung auf dem Balkan, und dehnten ihr Imperium (Raszien) bis nach Griechenland und Albanien aus. Der Staufer Kaiser Friedrich I. kam am 10. Juni 1190 während des Dritten Kreuzzuges ums Leben: Nach einem beschwerlichen Ritt wollte er im Fluss Saleph (in der heutigen Türkei) schwimmen. Trotz aller Warnungen seiner Begleiter stürzte er sich in das kalte Wasser und wurde von einer Strömung erfasst. Seine Gebeine wurden in Antiochia in einem goldenen Sarg beigesetzt. In den Wirren des Kreuzzugs ging der Sarg verloren, und so glaubt man noch heute, er sei nicht tot, sondern käme zurück (Kyffhäuser-Sage). 1212 wurde ein Kinderkreuzzug aufgestellt, der sich bald in Genua und Marseille wieder auflöste. Am Fünften Kreuzzug nahm Landgraf Ludwig IV. von Thüringen teil und starb 1227. Ein Jahr später gelang es Kaiser Friedrich II. einen Waffenstillstand für zehn Jahre herzustellen – mit Übergabe von Jerusalem, Bethlehem und Nazareth. Zuvor jedoch bannte Papst Gregor IX. den Kaiser, weil dieser den Kreuzzug mehrmals verschoben hatte. 1229 krönte sich Friedrich II. selbst zum König von Jerusalem. Fünfzehn Jahre später eroberten Moslems Jerusalem zurück. 10 Ludwig IV. – König von Frankreich – unterstützte einen Eroberungszug, wurde aber beim Angriff auf Kairo 1250 gefangen genommen. Nur gegen eine größere Summe Lösegeld ließ man ihn wieder frei. Mamelucken rückten vor und eroberten die Festungen der einstigen Kreuzritter. Türkenherrschaft in Südosteuropa Einhundert Jahre später dringen Türken endgültig und für lange Zeit in den Balkanraum vor, nachdem sie den serbischen König in der Schlacht an der Maritza 1371 (Regierungszeit Kaiser Karls IV.) besiegt hatten. Achtzehn Jahre später ist der Kosovo Schauplatz der Schlacht auf dem Amselfeld. Dabei gelingt es den Osmanen, die Allianz von Serben, Bosniern und Albanern zu zerstören. Der Osmane Mehmet II. erobert 1461 das Gebiet des heutigen Serbien, Bosnien und Herzegowina. Die Gebiete Serbien und Bosnien werden für die nächsten vierhundert Jahre zu Provinzen des Osmanischen Reiches. Unter türkischer Herrschaft wurden die Albaner islamisiert. Sie rückten 1690 in das verlassene Kosovo-Gebiet nach und arbeiteten hier als Hirten, Handwerker, Händler oder Geistliche. Noch heute sind serbische Lieder dem Fürsten Lasar und anderen Großen des serbischen Adels gewidmet, während das albanische Epos in den Mittelpunkt der Erzählung den wahren Helden der Schlacht vom Amselfeld – den Landmann Milosch Kopiliq – stellt. Er tötete nämlich den Sultan und wurde anschließend selbst getötet. Die Geschichte erzählt von den Wanderungen der albanischen Bevölkerung nach der Niederlage und verknüpft damit die Hoffnung, dass eines Tages, wenn „der Türke besiegt ist", eine Rückkehr in die Heimat möglich sei. Befreiung vom Türkenjoch Es war in der Herrschaftszeit des Habsburgers Friedrich III. (RömischDeutscher Kaiser), als Johann Hunyadi das osmanische Joch abschütteln wollte. Nach der Niederlage in der Schlacht bei Warna (1444) hob Hunyadi eine weitere Armee gegen die Türken aus. Mit einer Revolte der Völker des Balkans wollte er zu einem Überraschungsangriff gegen die Osmanen ausholen, und diese in einer einzigen Schlacht besiegen. Hunyadi zog gegen die Osmanen, und in seinem Heer kämpften auch Roma. Der Serbe Đurađ Brankovićs galt als Vasall Ungarns, und so zwang ihn Hunyadi, sich dem Feldzug anzuschließen. Branković weigerte sich. Er sah die Niederlage Hunyadis voraus und wollte ihn vom Kampf abbringen. Auch überredete er den Albaner Skanderbeg, sich Hunyadi nicht anzuschließen. Schlimmer noch, es bestand der Verdacht, er habe die Osmanen vor diesem Angriff gewarnt. Hunyadi zwang letztendlich 11 Branković zur Teilnahme am Kampf gegen die Osmanen. Er setzte mit seinem Heer nach Serbien und zog plündernd durch das Land. Als die Osmanen heranrückten, zog er schnell nach Süden, und es kam zur zweiten Schlacht auf dem Amselfeld. Mit dem Niedergang des byzantinischen Reiches im 12. Jh. und der Eroberung von Konstantinopel 1204 durch die Kreuzfahrer bildeten sich auf dem Balkan zwei Reiche: das Zweite Großbulgarische Reich (1186 –1330), und das Serbische Königreich (1151-1389/ 1459). Das serbische Königreich regierten zwei bedeutsame Herrscher aus der Familie der Nemanjiden. Stefan Nemanja (König Stefan II. 1196 -1228) gelang die Einigung der serbischen Volksstämme. 1217 erlangte er die Königskrone. Sein Bruder – der Mönch und Heilige Sava (1169-1236) – gilt als Begründer der serbisch-orthodoxen Nationalkirche. Blütezeit des serbischen Königreiches Nach der Schlacht von Küstendil 1330 (Ende des bulgarischen Reiches) steigt das serbische Königreich zur Regionalmacht auf. König Stefan Dusan (13311355) lässt sich nach byzantinischer Landnahme in Epirus 1346 Uros IV. als König der Serben und Rhomäer ausrufen. Mit der Königswürde ging aus dem serbischen Hof – ohne Zustimmung von Byzanz – ein Partriachat der Serben und Rhomäer mit Sitz in Pec hervor. In dieser Zeit kam es zu zahlreichen Klostergründungen und somit zum Ausbau der Nationalkirche. Ebenso entstanden neue Siedlungen als Wehrpfalzen für den umherziehenden serbischen Hof. Ab dem 14 Jh. beginnt die Zersplitterung der politischen Macht durch ständig wechselnde Bündnisse. Militärische Eroberungen zwischen Serben, Bulgaren, Bosniern, Ungarn, Italienern und Byzantinern (Byzantinischer Bürgerkrieg; 1321- 1351) folgten. 1355 starb König Uros IV., und das serbische Königreich zerbrach unter dem schwachen Nachfolger Uros V. (1355-1371). Feldherren und Mitglieder der serbischen Dynastie (Nemanjiden) errichteten zwischen Bosnien, Makedonien und Epirus eigene regionale Herrschaften und lagen ständig miteinander im Kampf. Selbst die Wahl eines serbischen Königs endete 1371 in den Wirren der Schlacht an der Maritza. König Vukasin (1365-1371) starb und Uros V. wurde ermordet. Diese Schlacht brachte für die Osmanen den Sieg und für das serbische Königreich das Ende. Es geschah zur Zeit Kaiser Karls IV. – König von Böhmen. Lazars Sohn – Stephan Lazarevic (1389 – 1427) – wurde Vasall des Osmanischen Reiches und kämpfte im osmanischen Heer. Es ging um den letzten Zug gegen die Osmanen, den Kaiser Sigmund von Luxemburg (14101437, seit 1433 Römisch-Deutscher Kaiser, Sohn Kaiser Karls IV.) unternahm. Serbische Panzerreiter, die bei den Osmanen kämpften, vernichteten die 12 vereinigten deutschen, französischen, ungarischen und walachischen Heere in der Schlacht von Nikopolis. Ausweitung und Ende der Türkenherrschaft in Europa Nachdem das Heilige Land verloren war und 1453 Konstantinopel – die Festung zum Schutz Europas gegen die Türken – in die Hände des Osmanen Mohammed II. (Sultan Mehmet 1451-1482) fiel, besetzten Türken dann auch die Insel Rhodos. Der Papst unterstützte gemeinsam mit europäischen Herrschern den Kampf gegen die Türken, doch 1522 offenbarte Kaiser Karl V. aus dem Hause Habsburg: „Nichts ging in der Welt glanzvoller verloren wie Rhodos…“ Das Ende des Rittertums war besiegelt. Auf die Niederlage folgte später ein Bürgerkrieg (Interregnum1402 – 1413). Der osmanische Staat wurde besiegt und Serbien gezwungen, während der Kriege der „Heiligen Liga“ (1683 – 1699) und nach der erfolglosen Belagerung von Wien (1683) durch die Osmanen, sich in weitere militärische Auseinandersetzungen einzulassen. Serbische Freiwillige schlossen sich österreichischen Truppen an, und als der Krieg zu Ende war, zogen sie zurück in ihre Siedlungsgebiete. Inzwischen jedoch eroberten die Osmanen einzelne Gebiete, setzten sich darauf fest und verfolgten die Rückkehrer. Patriarch Arsenije III. Crnojevic rief 1690 die Serben im Kosovo auf, mit ihm gemeinsam auf habsburgischem Gebiet zu siedeln. Das österreichische Kaiserhaus der Habsburger sicherte ihnen sogar Glaubensfreiheit zu. Und so geschah es, dass Serben auf Gebieten der Habsburgischen Monarchie siedelten, und muslimische Albaner sich ihnen anschlossen. Der Friede von Karlowitz (heute Sremski Karlovci in der Vojvodina) wurde 1699 geschlossen und brachte das Ende des Großen Türkenkrieges zwischen Osmanischem Reich und Österreich, Polen, der Republik Venedig und Russland. Der blutige Weg in die Freiheit 1713 wurde Karlowitz offizieller Sitz des serbischen Patriarchen. Nach dem Frieden von Belgrad (1739) verließen viele Serben die osmanischen Gebiete und ließen sich in der Monarchie von Österreich-Ungarn nieder. 1817 kam es unter dem Einfluss von Habsburg und Russland zur Selbstverwaltung mit Einschränkungen, bis 1829 die Autonomie bestätigt und 1833 auf weitere Gebiete übertragen wurde. Milos Obrenovic – Führer der aufständischen Serben – ermordete seinen Gegner, den serbischen Freiheitshelden Djordje Petrovic genannt Karajordje (1762 – 1817). Dafür verliehen ihm die Osmanen den Fürstentitel. 1878 wurde Serbien tributpflichtiges Fürstentum, dann selbständiges Fürstentum, 1882 13 Königreich, und nach dem Ersten Weltkrieg 1918 führend im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Der Weg in die Unabhängigkeit war gekennzeichnet von Kriegen, Zerstörungen, Massakern und Vertreibungen. Nach dem Ersten Balkankrieg (1912) fiel das Kosovo an Serbien; die Gebiete um Peć erhielt Montenegro. Südosteuropa im 20. Jh. und der Kampf um Freiheit In der Zeit zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg zählte Kosovo zum ersten jugoslawischen Staat. Im Zweiten Weltkrieg kam Serbien zu Albanien, wobei Albanien bis dahin ein italienischer Vasallenstaat war. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde kosovisches Gebiet als Teil Serbiens zum kommunistischen Jugoslawien. Ab 1963 festigte sich die autonome Provinz innerhalb Serbiens. Die jugoslawische Verfassung von 1974 erweiterte die bereits bestehenden Autonomierechte. Seit 1989 tobte die Revolution, und Slobodan Miloševic hob in einem Beschluss des serbischen Parlaments diese Autonomie auf. Während der Jugoslawienkämpfe flohen viele Kosovaren – auch Roma – und Kosovo-Albaner. Sie alle suchten Asyl in westeuropäischen Ländern. Seit 1989 gab es kein Schulwesen mehr in albanischer Sprache. Neben der Enteignung der Albaner wurden auch ihre Vereine und politischen Parteien verboten. Aufgrund der Volkszugehörigkeit wurden die Albaner nach 1989 aus dem Staatsdienst entlassen. Die „Rückerlangung der Autonomie des Kosovo“ verhandelte die internationale Gemeinschaft 1995 auf der Friedenskonferenz von Dayton n i c h t. Der Konflikt verschärfte sich zwischen den Volksgruppen, weil sie staatliche Souveränität forderten, wie z.B. die Kosovarische Befreiungsliga LDK. Die Volksgruppen errichteten mit der „Republik Kosova“ einen Schattenstaat, dessen Parallelinstitutionen Schulbildung und Versorgung mit Medikamenten für die Albaner sicherten. Dieser friedliche Widerstand lieferte sich jedoch ab 1996 unter Führung der UÇK kämpferische Auseinandersetzungen mit albanischen Freischärlern und serbischen Streitkräften. Bis zum Jahr 1999 vervielfachte sich deshalb die Anzahl albanischer Flüchtlinge aus dem jugoslawischen Staatsgebiet. Hinzu kam der Ausbruch des Kosovo Krieges: Nach dem Scheitern der Verhandlungen von Ramboullit und Paris im März 1999 versuchte die NATO, die humanitäre Katastrophe im Kosovo abzuwenden. Ab dem 24. März führte sie im Rahmen der Oparation „Allied Force“ insgesamt 79 Tage lang Luftoperationen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien durch, bis die Angriffe schließlich am 10. Juni 1999 ausgesetzt wurden. Die UN-Resolution 1244 übertrug KFOR (Kosovo Force) die Friedensregelung im Kosovo. 14 Nach dem Scheitern der Verhandlungen von Rambouillet bombardierte die NATO strategisch wichtige Ziele in Jugoslawien. Während des Krieges stiegen die Flüchtlingszahlen sprunghaft an. Am Ende des Kosovokrieges besetzten internationale Truppen das Land und ein UN-Protektorat wurde errichtet. Danach kehrten viele Kosovaren in ihre Heimat zurück. Kosovo als politische Heimat der RomaFrauen und ihrer Familien im 21. Jh. Im März 2004 kam es erneut zu Gewalttätigkeiten im Kosovo – überwiegend gegen Serben und ihre religiösen Stätten, aber auch gegen Roma und Aschkali (ägyptische Roma). Menschen wurden getötet, verletzt und mehr als 4.000 vertrieben. Daraufhin verstärkte die NATO ihre Präsenz. Zu heftigen Ausschreitungen kam es nach dem Ausrufen der Republik – diesmal im Norden des Landes, das Serben bewohnten. Erst der Einsatz von KFOR- Truppen beendete diese Gewalttätigkeiten. Die UNMIK verhandelte den politischen Status des Kosovo im internationalen Maßstab, um mit Serbien zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen, doch die Verhandlungen scheiterten. Daraufhin gab das kosovarische Parlament eine einseitige Unabhängigkeitserklärung. Ende 2008 wird die Souveränität des Kosovo von 53 Regierungen weltweit anerkannt. Dies sind die USA sowie 20 EU-Nationen und alle Staaten des ehemaligen Jugoslawiens – außer Serbien. Das Gebiet wurde von den Vereinten Nationen verwaltet und blieb formell Bestandteil der Bundesrepublik Jugoslawien sowie seit 2006 der Nachfolgestaat Serbien. Seit der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 ist Kosovo aus Sicht seiner Institutionen ein souveräner Staat. Bis jetzt haben 53 von 192 UNMitgliedstaaten die Unabhängigkeit des Landes anerkannt. Andere Staaten halten die einseitig ausgerufene Unabhängigkeit für rechtswidrig und betrachten Kosovo weiterhin als einen Teil Serbiens. Die serbische Regierung jedoch kontrolliert dieses Gebiet nicht, denn die Unabhängigkeit soll nach dem Ahtisaari-Plan international betreut werden. Serbien lehnte diesen Plan ab. Im Februar 2008 entsandt die Europäische Union die Mission EULEX, welche die rechtsstaatliche Entwicklung des Kosovos unterstützen sollte. Rund 1.800 Polizisten und Juristen übernahmen die Aufgaben der bisherigen UNVerwaltung des Kosovo (UNMIK). Zum Thema „Neugestaltung gesellschaftlicher Präsenz im Kosovo“ folgten weitere Verhandlungen. Am 15. Juni 2008 trat nach der Unabhängigkeitserklärung die erste Verfassung des Kosovo in Kraft. Vom Parlament in Priština wurde eine neue Nationalhymne verabschiedet und das Aufstellen einer eigenen 15 2.500 Mann starken Sicherheitstruppe beschlossen. Die neue Verfassung definiert das Land als demokratisch regierten Staat, der die Rechte seiner Minderheiten und die internationalen Menschenrechte respektiert. Gleichheit der Volksgruppen und Bedeutung des Minderheitenschutzes sowie Autonomierechte für die serbischen Regionen werden besonders hervorgehoben. Die Sicherheit wird von der Friedenstruppe „Kosovo Force“ (KFOR) durch ein UN-Mandat legitimiert und unter Führung der NATO garantiert. Die politische Arbeit teilen sich UN-Verwaltung und Institutionen der provisorischen Selbstverwaltung. In den serbischen Enklaven im Nordkosovo gibt es parallele Verwaltungsstrukturen – von Serbien finanziert und kontrolliert. Die UNMIK toleriert diese Strukturen, erkennt sie aber offiziell nicht an. Andererseits erkennen die serbischen Verwaltungen die Entscheidungen der UNMIK nur teilweise an. Lamberto Zannier fungiert seit Juni 2008 als Leiter der UNMIK und ist Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs. Die UNMIK bestand aus internationalen Organisationen wie Polizei und Justiz (UN), Selbstverwaltung (UN), Demokratisierung und Wiederaufbau der Institutionen (OSZE) sowie Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung (EU) und war nur bis zum 30. Juni 2008 aktiv. Ende 2008 sollte jedoch ein großer Teil der UNMIKMitarbeiter das Land verlassen. Die auswärtigen Beziehungen sind belastet durch den Streit um die diplomatische Anerkennung. Deutschland hat seit Februar 2008 eine Botschaft in Priština eröffnet. Mit Ausnahme Serbiens unterhalten die Nachbarländer Albanien, Montenegro und Mazedonien diplomatische Beziehungen zu Kosovo. Wichtigster Verbündeter ist die USA, die im Rahmen der KFOR eine umfangreiche Militärbasis – Camp Bondsteel – unterhält. Politischer Extremismus und organisierte Kriminalität geben ein Bild von den engen Beziehungen der Strukturen, die aus der UÇK hervorgingen. Eine multiethnische Gesellschaft aufzubauen, ist schwierig, da die Rückkehr serbischer Flüchtlinge nicht gelingt wegen noch immer anhaltender Übergriffe. Außerdem müssten die Rückkehrer langwierige Gerichtsverfahren auf sich nehmen, um ihren Besitz zurückzuerhalten, wenn überhaupt noch etwas davon erhalten ist. Der überwiegend von Serben bewohnte Nordkosovo entzieht sich der Kontrolle der Institutionen in Priština. Die Einwohner erkennen die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Seit der Unabhängigkeitserklärung im Februar 2008 wird die neue Flagge des Kosovo verwendet. Kosovo-Albaner jedoch verwenden die Flagge Albaniens, während Serben die Flagge Serbiens bevorzugen. Um 16 Provokationen zu vermeiden, wurde bei offiziellen Anlässen bisher ausschließlich die Flagge der Vereinten Nationen verwendet. Am 5. Juni 2008 gab der Vorsitzende der Verfassungskommission des kosovarischen Parlamentes bekannt, dass die Arbeitsgruppe zur Findung der künftigen Nationalhymne sich auf die Komposition Evropa („Europa“) von Mendi Mengjiqi geeinigt habe. Die neue Nationalhymne trat mit der Verabschiedung der Verfassung am 15. Juni 2008 in Kraft und hat keinen Text. Romani Rose – Sprecher der Sinti und Roma in Deutschland – schlussfolgert: „Wir 70.000 Sinti und Roma wollen mit unserer Identität als eine deutsche Volksgruppe akzeptiert werden. Eine eigene Volksgruppenidentität haben in Deutschland auch die deutschen Sorben im Osten der Republik, die deutschen Dänen in Südschleswig und die deutschen Friesen im Nordwesten Deutschlands.“ Die Roma können nicht zurück ins ex-jugoslawische Makedonien, um wieder integriert zu werden, weil sie dort nie integriert waren! Allgemeine Erfahrungen der RomaFrauen im Kosovo Bevor die RomaFrauen aus ihrem eigenen Leben berichten, offenbart eine von ihnen: „In Magdeburg leben etwa zwanzig RomaFamilien; sie alle stammen aus dem Kosovo. Dort hatten sie eigene Häuser auf Grundstücken. Wir RomaFrauen arbeiteten in verschiedensten Bereichen wie Schulen, Medien, beim Gericht, in der Medizin oder in Betrieben mit technischer Fabrikation. Das war ein schönes Leben – eigentlich ganz normal, bis uns die serbische Diktatur mit Zensur und Repression geradezu verzweifeln ließ. 1999 brach der unbarmherzige Krieg aus, weil die NATO die Bombardierung beschloss. Und dann tobte der Bürgerkrieg zwischen Serben und Albanern! Die Roma waren eine anerkannte Minderheit von Ex-Jugoslawien. Und plötzlich hieß es, die Roma seien schuld am Krieg, weil sie Kollaborateure der Serben seien. Stell dir vor – bewaffnete Polizei betrat zu irgendeiner Stunde – und vor allem unangekündigt! – unser Wohnhaus und befahl mit vorgehaltenen Gewehren, in zehn Minuten Haus und Grundstück zu verlassen. In großer Angst bangten wir um unser Leben. Das wollten wir wenigstens retten, sonst nichts. Vor Schreck vergaßen wir unsere Diplome und andere wichtige Papiere. Wir retteten nur die nackte Haut!“ Eine andere der RomaFrauen setzte fort: „Es war ja so, dass die serbische Regierung nach 1945 die Albaner vertrieben hatte. Die kamen aber im Juli 1999 zurück und trieben nun die Roma aus den Häusern. Rasend vor Angst, starteten 17 wir unser Auto – einen Opel Kadett – und fuhren mit der ganzen Familie bis zu einer bestimmten Stadt in Serbien. Von dort transportierten uns Unbekannte solange weiter, bis wir in Deutschland – in Solingen – ankamen. Ein Teil unserer Familie war schon da. Nach drei Tagen beantragten wir Asyl. Zwei Tage später erhielten wir mit einem Umverteilungsantrag die Weisung, uns nach Halberstadt in das Asylheim zu begeben. Nach zwei Monaten – also im September 1999 – erfolgte dann der Transfer nach Magdeburg. Hier befindet sich das Asylheim im Stadtteil Buckau. Unsere Kinder sprechen natürlich Albanisch und Serbokroatisch und nahmen bereits wenige Tage nach unserer Ankunft in einer deutschsprachigen Schule am Unterricht teil. Heute sprechen sie sehr gut deutsch und sind mit deutschen Schülern befreundet. Und wir… wir Erwachsenen … lernen Deutsch von unseren Kindern!“ „Zuerst fanden wir uns in Magdeburg nicht zurecht“, gesteht eine andere aus der Runde, „besonders beim Einkaufen brauchten wir eine Dolmetscherin, sie war vom Wohnheim. Und einen Albaner kennen wir aus dem Asylheim, er hilft noch jetzt bei der CARITAS in Buckau. Inzwischen leben wir in bequemen Wohnungen in Plattenbauhäusern. Unsere Wohnungen befinden sich mit Deutschen Tür an Tür. Nein, es gibt keine Probleme, im Gegenteil, wir helfen uns gegenseitig, wenn Not am Mann ist.“ Zufriedenheit ist dem Folgenden zu entnehmen: „Ab 1999 bis zum Jahre 2006 hatten RomaFamilien eine Aufenthaltsgestattung bzw. Aufenthaltsduldung. Nach der Innenministerkonferenz von 2006 bekamen die meisten RomaFamilien eine Aufenthaltsgenehmigung. Wir Erwachsenen gehen einer Arbeit nach in verschiedenen Bereichen wie Gastronomie, Journalistik und anderen Dienstleistungsbereichen, und unsere Kinder besuchen deutsche Schulen.“ 18 „ Es tut mir unbeschreiblich weh, wenn ich an meine Heimat denke..“ Im Gespräch mit Frau Rosalia F., 60 Jahre Mir gegenüber sitzt Rosalia – ruhig und gelassen, milde lächelnd. Diskrete Falten im Gesicht verraten, dass sie weiß, worauf es im Leben ankommt. Sie ist in dem Alter, wo man auch schon einmal zurückschaut: „Es war alles anders, als mein Mann noch lebte. Ich verlor ihn vor elf Jahren. Wir waren 27 Jahre sehr glücklich miteinander verheiratet. Er war Lehrer für französische Sprache an einer Schule in Novoselle Magjunit. Wir haben acht Kinder, und nein, das ist nicht einmal viel. Damals lebten wir alle zusammen in einem Haus mit zwei Etagen. Ein großer Garten gehörte auch dazu. Nein, ich ging nicht arbeiten, aber ich hatte trotzdem den ganzen Tag etwas zu tun. Nicht nur im Haus war Arbeit, auch das Vieh auf der Weide hinter dem Garten wollte versorgt werden. Und wenn die Kinder mittags von der Schule nach Hause kamen, stand das Essen auf dem Tisch. Obwohl sie hungrig waren, murrten sie manchmal, wenn es gebratenen Fisch gab und Kartoffeln dazu. Doch genau das esse ich sehr gern und außerdem ist Fisch sehr gesund, so sagt man bei uns. Und dazu tranken wir Wasser, das trinke ich heute noch am liebsten.“ Wortlos stimme zu. „Ja, und dann ist da noch das verführerische Gebäck ´Baklava´. Ich weiß nicht, wie viel ich davon schon in meinem Leben gebacken habe. Das geht so: Du kaufst Baklava- Teig (im Türkischen Laden), 6 Gebäckstücke bekommst Du aus einer Packung. Den Teig entnehmen und auf ein Brett legen. Aus dem Teig zwei Platten formen. Die untere Platte auf ein Blech legen, das zuvor mit Öl eingefettet wurde. In einer Schüssel 6 Esslöffel Zucker, 6 Esslöffel Wasser, 6 Esslöffel gehackte Walnüsse und 6 Esslöffel Öl gründlich miteinander vermischen und auf der unteren Teigplatte verteilen. Dann die zweite Teigplatte auflegen. Anschließend in Rechtecke schneiden und im Backofen bei 180 Grad etwa 20 Minuten backen, bis sie braun sind. Inzwischen eine gesättigte Zuckerlösung herstellen (heißes Wasser in einer Tasse solange mit Zucker verrühren, bis das Wasser keinen Zucker mehr löst) und die noch heißen Baklava damit bestreichen. Dazu trinken wir gern Wasser oder auch Kaffee. In Kosovska Mitrovica gab es einen großen Industriekomplex Trepça, in dem Gold, Silber, Blei und Bismut abgebaut wurden. Dadurch hatte die Stadt Einnahmen, die der Gemeinde zugute kamen. Im Nordteil der Stadt stehen die 19 Gebäude der Technischen Hochschule Mitrovica, die einzige höhere Lehranstalt im Kosovo mit überwiegend serbischsprachigen Kursangebot. Im Juli beherbergt sie eine englischsprachige Summer School. Als Jugendliche hatte ich den Erweiterten Hauptschulabschluss abgelegt, und trotzdem konnte ich meinen eigenen Kindern nicht in allen Fächern beim Lernen helfen. Es war so viel Neues in den Jahren hinzugekommen, von dem ich mitunter nie zuvor etwas gehört hatte. Unsere Kinder hatten gute Noten und fast alle haben studiert. Ihr Vater wäre stolz, wenn er das alles noch erlebt hätte.“ Sie wendet ihren Blick von mir und zeigt auf eine der farbig tapezierten Zimmerwände. Dort verharrt ihr Blick einen kleinen Moment, bevor sie mich wieder anschaut. Neben einer hohen Grünpflanze erblicke ich in einem dunklen Rahmen die Aquarellzeichnung eines ausdrucksvollen Portraits. Der Mann trägt feingliedrige Gesichtszüge und leicht gewelltes Haar. Ein schönes und intelligentes Gesicht. Schnell stelle ich meine nächste Frage: „Bevorzugen Sie einen Schriftsteller, den Sie besonders verehren?“ Ohne zu zögern antwortet sie: „Ich lese gern die Werke albanischer Schriftsteller. Sie stellen für mich eine Verbindung zur Heimat dar. Ähnlich ergeht es mir, wenn ich albanische Volksmusik oder türkische und serbokroatische Musik höre. Singen kann ich leider nicht besonders gut und ein Instrument spiele ich auch nicht, aber dafür höre ich gern zu, wenn andere musizieren. Das erhält meine innere Balance und ist ein wirksames Mittel gegen Stress. Stress halte ich möglichst fern von mir, weil ich schon seit acht Jahren Diabetikerin bin. Ich nehme Tabletten und muss auch Insulin spritzen. Und wenn der Ärger einmal nicht weichen will, dann gehe ich auf den Balkon. Dort habe ich frische Luft, andere Geräusche und Gerüche als in der Wohnung, und außerdem lenken mich die Leute und das Geschehen auf der Straße ab. Sollte das alles nicht helfen, schalte ich das Fernsehen ein. Spätestens dann verfliegt mein Ärger. Leider kann ich jetzt aus gesundheitlichen Gründen keinen Sport mehr treiben, aber früher war ich aktiv im Volleyball.“ Sie lacht voller Inbrunst und schiebt mir die goldfarbene Schale mit Süßigkeiten zu. “Besonders wegen meiner Krankheit gehe ich regelmäßig spazieren. Im Sommer freue ich mich an den Rosen, die dann überall in den Gärten und auf Rasenflächen vor den Häusern blühen. Gern atme ich tief den betörenden Duft dieser Blüten ein. Doch am schönsten sind für mich die rosafarbenen Blüten. Rosa ist überhaupt meine Lieblingsfarbe“, verrät mir die gebildete Dame. “Mein fünfzigster Geburtstag lag zwei Jahre zurück, als es 1999 hieß, wir sollten in zehn Minuten unser Haus verlassen. Der Schreck war so groß, dass ich am 20 ganzen Leib zitterte. Jetzt bin ich froh, dass ich in Deutschland bin. Ich lebe gern in Magdeburg und wünsche mir, weiterhin relativ gesund zu bleiben. Wenn man sich an die Diabetiker-Regeln hält, kann man ganz gut die Krankheit beherrschen. Ich wünsche mir auch für die Zukunft, dass es meinen Kindern gut geht, sie gesund bleiben und mein Diabetes nicht schlimmer wird. Und wenn ich in meinem Urlaub in die Schweiz fahre zu meinem Sohn, dann bin ich schon glücklich, was aber nicht bedeutet, dass ich nicht ebenso gern die anderen Familienmitglieder in den deutschen Städten besuche. Wenn ich sehe, dass es meiner Familie gut geht, dann geht es mir auch gut. Ein albanisches Sprichwort sagt: ´Geteiltes Glück ist doppeltes Glück, und geteiltes Leid ist halbes Leid! ´ Stimmt das?“ Fragend schaut sie mich an: „Ich glaube, so ähnlich sagt man es auch in Deutschland, oder? „Ja, es ist eine alte Weisheit“, stimme ich zu. Ihre Stimme klingt traurig: „Minderheitengemeinschaften sind nach wie vor grausamen Übergriffen ausgesetzt. Autos werden mit Steinen beworfen, oder einzelne Personen tätlich angegriffen. Belästigungen und Einschüchterung waren an der Tagesordnung. Bei vielen befreundeten Familien wurde das Eigentum von Angehörigen anderer ethnischer Minderheiten geplündert, zerstört oder illegal in Beschlag genommen. Sogar Friedhöfe und Grabstellen wurden geschändet und Hassparolen an die Wände öffentlicher Gebäude geschmiert. Man lebte in Todesgefahr, und wenn ich erfahre, dass auf den Trümmern von zerstörten Häusern am Westrand der Stadt – das war 2004 – mit internationalen Hilfsgeldern eine Siedlung für Flüchtlinge angelegt wurde, bekomme ich Gänsehaut. Im September 2007 waren ein Dutzend Ziegelhäuser fertig gebaut. Ja, ich liebe meine Heimat, aber unter so schlimmen Bedingungen kann man unmöglich dort leben. Es tut mir auch unbeschreiblich weh, wenn ich an meine Heimat denke. Trotzdem habe ich meinen Blick nach vorn gerichtet. Volkslieder höre ich sehr gern, und besonders die von einer albanischen Sängerin, sie hat eine herrliche Stimme. Sie singt Lieder, die ich früher mit meinem Mann gesungen habe. Es war eine schöne Zeit, als wir noch alle zusammen waren. In meinem Leben lief nahezu alles perfekt und ich würde nichts anders machen wollen, wenn ich es noch einmal von vorn beginnen könnte. Nein, nichts! Ich bin glücklich und habe keine weiteren Wünsche.“ Verloren richtet sie ihren Blick in die Ferne und es scheint, als hätte sie mich vergessen … 21 „Weißt Du, meine Freundinnen heirateten schon mit fünfzehn …“Im Gespräch mit Frau Aurea B., 41 Jahre „Mein Sternbild ist der Stier“, erzählt die attraktive Frau Aurea mit der gefälligen Figur. Ihr freundliches Gesicht ist von schwarzen Locken gerahmt und ihr dunkler Teint schimmert samtgleich im hellen Licht. Dabei glänzen ihre Augen als ob sie Funken sprühen. Sie hebt ihren Kopf und schaut mir geradewegs ins Gesicht, stolz und zielbewusst. „Geboren bin ich in Priština im Kosovo. Dort lebte ich mit meinen Eltern und Geschwistern in einem Haus am Stadtrand. Von da blickten wir direkt auf die Stadt. In der warmen Jahreszeit waren wir meistens im Garten, nur nachts schliefen wir im Haus. Gern erinnere ich mich, wenn Mutter zu meinem Geburtstag am 5. Mai mein Lieblingsessen bereitete – „Gefüllte Paprika“: Nimm 6 spitze, gewaschene Paprika, schneid den Stiel heraus, so dass eine Öffnung entsteht, durch welche sich die Kerne entfernen lassen. Gib in eine Schüssel 300 Gramm Reis, 300 Gramm Rindfleisch- Gehacktes, 3 geschälte und klein geschnittene Zwiebeln, 3 geschälte und klein gewürfelte Tomaten und 2 Esslöffel Sonnenblumenöl. Misch alles gut durch und füll die leeren Paprikaschoten damit. Das gefüllte Gemüse in eine Pfanne geben, mit wenig Wasser begießen und im Backofen 30 Minuten bei 220 Grad überbacken. Dazu tranken wir sehr gern Wasser. Alle in der Familie halfen, Geschirr und Essen in den Garten zu bringen. Bis zum fünf Meter langen Tisch war es schon ein ganzes Stück zu laufen. Am liebsten saßen wir unter den großen Bäumen hinten am Zaun. Hier gab es genug Schatten, denn die Sonne im Mai meint es schon sehr gut. Am Nachmittag kamen dann viele Verwandte und Schulkameraden, um mit mir bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen zu feiern. Später – zum Sonnenuntergang – brachte Vater eine seiner Spezialitäten, die er mit großer Hingabe selbst herstellte – den Amselfelder Wein. Dann wurde gesungen und musiziert. Und wir Kinder spielten noch lange auf der Straße – meistens bis in die Nacht hinein. Bis heute ist mein Lieblingsgetränk immer noch das Wasser. Ja, in Priština ging ich zur Schule und schloss mit dem Hauptabschluss ab. Mit Prüfungen hatte ich noch nie Probleme. Nach dem Hauptabschluss ging ich ein Jahr zur Fachausbildung und lernte unter anderem auch das Maschineschreiben. Das war mir wichtig, denn mit Schreibmaschinenkenntnissen findest du leichter eine Arbeit.“ 22 Verträumt schaut sie an mir vorbei, die Arme leicht verschränkt und mit der rechten Fußspitze wippend. „Weißt Du, meine Freundinnen heirateten schon mit fünfzehn und bekamen Kinder. Zu Hause bei meinen Eltern war das überhaupt kein Thema, woher die Kinder kommen. Mit siebzehn lernte ich meinen Mann kennen. Wir liebten uns sehr, doch ich war zu anständig und wusste später nicht, dass ich schwanger war. Meine Eltern durften nicht mit mir darüber sprechen, so war es Sitte bei allen RomaFamilien. Erst mit zwanzig heiratete ich meinen Mann, und dann kam unser erster Sohn. Ich selbst wurde 1968 geboren und habe sechs Schwestern und zwei Brüder. Meine Mutter starb mit siebzig – an einem Herzinfarkt, und niemand konnte ihr helfen. Nein, niemand! Leider! Seit unserer Flucht 1999 nach Deutschland – ich war damals einunddreißig – habe ich keinen Kontakt mehr zu meinen Verwandten im Kosovo. Zwei Schwestern von mir leben noch in Priština. Es ist sehr ungewiss, ob wir uns jemals wieder sehen. Und wenn, dann vielleicht in Dubai? Dort würde ich wirklich gern leben. Aber ja, in Magdeburg gefällt es mir schon sehr gut. Deutschland ist nicht Dubai, und trotzdem bin ich froh, in Deutschland zu sein. Ganz nebenbei erinnert mich die Stadt Magdeburg besonders an Priština. Vieles war dort auch so wie hier, zum Beispiel dass wir zur Arbeit gingen, Häuser hatten und so weiter. Ich hasse Untätigkeit. Mit meiner Arbeit im Restaurant ´Medaillon´ und im Haushalt halte ich mich fit. Im Restaurant gibt es keinen Stress, wir arbeiten alle Hand in Hand. Und wenn ich etwas Zeit übrig habe, gehe ich zum Jogging. Ich arbeite zwar zurzeit nicht in meinem Beruf, aber ich hatte viele, viele Bewerbungen abgeschickt, und – wie man sieht – es hat sich gelohnt. Mit meinem Verdienst kann ich wenigstens einen Teil zum Lebensunterhalt meiner Familie beitragen. Es ist in jedem Fall besser, vom Sozialamt unabhängig zu sein.“ Schweigend stimme ich zu. Als sich unsere Blicke trafen, schmunzelten wir und verstanden uns auch ohne Worte. „Wie gesagt, ich bin verheiratet und habe inzwischen fünf Jungen und ein Mädchen. Der älteste Sohn ist achtzehn und die Tochter siebzehn. Sie sind zwar bescheiden, möchten aber trotzdem in der Schule nicht hinter den anderen zurückstehen. Zum Glück haben die Kinder Sexualunterricht. Eines Tage fragte mich mein jüngster Sohn, ob es stimme, dass er auch ´auf diese Weise´ entstanden sei. Als ich nicht gleich antwortete, rief er mir zu: ´Sag ´´Ja´´, Mama!´ Und damit war das Thema vom Tisch. Angela Merkel ist eine kluge, starke Frau, die man sich zum Vorbild nehmen 23 kann. Ich verehre sie sehr. Und ich trage auch gern schwarze Kleidung und lange schwarze Hosen. Schwarz ist sowieso meine Lieblingsfarbe. Wenn ich Gelegenheit hätte, würde ich Angela Merkel und die anderen Politiker darum bitten, die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen. Durch die ´Residenzpflicht´ dürfen wir uns nur im Umkreis von 50 Kilometern von unserem Wohnort wegbewegen. Will ich zum Beispiel den Urlaub bei meinen Geschwistern in Stuttgart verbringen, brauche ich erst eine Genehmigung. Die muss ich bei der Ausländerbehörde beantragen. Bisher gab es aber keine Probleme, ich habe sie immer erhalten. Im Grunde leben wir zufrieden in der Familie, aber sollte es doch mal zum Streit kommen, dann muss ich allein sein. Ich denke darüber nach, wie es zu den Unstimmigkeiten kommen konnte und was wir demnächst anders regeln sollten. Gern gehe ich durch einen großen Einkaufsmarkt. Wenn ich genug Zeit habe, betrachte ich in der Blumenabteilung ganz in Ruhe die herrlichen Orchideen. Für mich sind es die schönsten Blumen, die es gibt. Und manchmal hat es den Anschein, als ob manche Sorten sogar ein wenig duften. So baue ich Stress ab. Meine Geschwister leben in Stuttgart, und einmal im Jahr besuche ich sie. Das ist mein Urlaub. Ich würde auch gern öfter zum Shopping nach Stuttgart gehen, aber das ist aus Gründen der Haushaltskasse leider nicht möglich. Wünschen würde ich es mir schon... Es gefällt mir schon sehr, dass ich regelmäßig Zeitschriften lese und deshalb auch gut über Mode und Frauengeschichten – wer mit wem? – informiert bin. Das Leben in Deutschland ist anders, aber schön. Gern sehe ich auch den Schauspieler George Clooney, er ist etwas Besonderes für mich – so wie die amerikanische Sängerin Mereien Keri auch.Abe r das sind genau genommen nur Nebensächlichkeiten. Das Wichtigste für mich ist, dass alle meine Kinder in Magdeburg Arbeit finden und wir ein Haus mit zwei Etagen bauen und darin leben können. Ich schaue nur selten zurück, da ich mein Leben nicht noch einmal von vorn beginnen möchte – wenn es überhaupt möglich wäre. Die muslimische Religion lebe ich nicht aktiv. Nein, ich habe keine Zeit dafür, ich muss den Haushalt führen. Nur das Thema ´Abschiebung´ macht mir Kopfzerbrechen, denn mein Mann hat noch keinen Arbeitsvertrag in Magdeburg. Vielleicht ergibt sich eine Möglichkeit durch Kontakte mit aktiven Menschen, das können auch Deutsche sein. Ansonsten habe ich unter den Deutschen niemanden, mit dem ich im wahrsten Sinne des Wortes Freundschaft halte. Die Kontakte zu Nachbarn sind gut, und wenn Not am Mann ist, helfen wir uns gegenseitig.“ 24 „Erich Kästner lesen, dazu ein Glas Coca Cola…“ Im Gespräch mit Frau Ingela D., 17 Jahre Vorweihnachtszeit in Magdeburg bedeutet oft nasskaltes Schmuddelwetter. Ich bin verabredet mit einer Roma, der 17-jährigen Schülerin, die mir zu Hause in der elterlichen Wohnung aus ihrem Leben erzählen wird. Ihr Vater erwartet mich schon auf der nassen Straße und hinauf geht es – bis in die dritte Etage. Stimmengewirr dringt mir entgegen, und wenig später stehe ich im Wohnzimmer. Die Frauen von Ingelas Familie sitzen schon um den niedrigen Clubtisch in bequemen Sesseln und auf Stühlen. Eine Glasschale mit kleinen Gebäckstücken verleitet zum Zufassen. Ich lege noch eine Packung Lebkuchenspitzen hinzu. „Nein, nein, danke, auch Kaffee möchte ich jetzt nicht“, ich frage lieber nach dem Namen des Mädchens. „Ich heiße Ingela“, antwortet sie mit heller Stimme. Dem Eindruck, ihr Gesicht bestünde nur aus zwei großen dunklen Augen mit ungebrochenem Charme, kann ich mich nur schwer entziehen. „1992 wurde ich in Mitrovica/ Kosovo geboren“, erzählt sie freimütig, „und als ich gerade eingeschult war, mussten wir wenige Wochen später fliehen. Das war so: Eines Tages standen plötzlich Polizisten in unserem Haus. Ich hörte irgendjemand etwas brüllen von ´zehn Minuten´. Meine Mutter befahl uns Kindern – also meinen vier Geschwistern und mir – dass wir so schnell als möglich Schuhe, Jacken und Mäntel überziehen sollten. Ja, und auf den Kopf musste jeder eine Mütze setzen. Nur ein einziges Stück vom Spielzeug erlaubte sie uns, mitzunehmen. Aus Platzgründen, wie sie sagte. Mein Vater sprach nicht mit uns, nur mit meiner Mutter tauschte er schnell wenige knappe Worte. Dann stiegen wir alle in unser Auto und mein Vater fuhr uns ein ganzes Stück weit weg in eine andere Stadt. Von hier aus ging es dann mit Hilfe fremder Leute bis nach Deutschland, und schließlich landeten wir nach einigen Wochen in Magdeburg – fürs erste im Asylheim. Das war 1999. Dort umgaben uns zunächst nur fremde Menschen, doch bald kannten wir alle. Zu unserer großen Freude bekamen wir nach einiger Zeit eine Wohnung zugeteilt. Das war gut, denn im Heim ist es ziemlich laut, auch wenn sich mal welche streiten – aber das ist nicht wirklich ernsthaft gemeint. Außerdem ging ich dann bald zum Unterricht in eine Realschule. Zurzeit bin ich Schülerin der neunten Klasse und mache im nächsten Jahr meinen Realschulabschluss. Auf meinem Zeugnis 25 findest du die Noten Eins bis Drei. Mal sehen, wie es mit der Berufsausbildung oder gar einem Studium weitergeht. Ich möchte recht bald selbständig sein und Geld verdienen, denn ich gehe gern zum Shopping in die Stadt, und dazu brauche ich Geld.“ Sie schenkt mir ein freundliches Lächeln und knabbert genüsslich ein Stück vom duftenden Gebäck. Nachdem ich immer noch den süßen Verführungen mit Vanille und Kardamom widerstehen kann, kontert sie: „Ich habe keine Gewichtsprobleme, denn ich nehme regelmäßig am Schulsport teil. Mehr Sport nicht, fügt sie hinzu und grinst verholen. Wenn ich meine Hausaufgaben erledigt habe, lese ich gern in Zeitschriften und Magazinen, um mich zu informieren. Und richtig toll finde ich die Geschichten von Erich Kästner. Der schreibt ja wirklich gekonnt über die allerwitzigsten Begebenheiten im Leben. Erich Kästner lesen, dazu ein Glas Coca Cola und Musiktitel mit HipHop oder Rap-Music hören, mehr braucht es nicht. Wenn ich mal Stress hatte oder mich über Leute, die sich für meine Begriffe nicht benehmen können, heftig geärgert habe, so muss ich einfach allein sein. Ich schalte dann meine Lieblingsmusik ein – ganz laut. Damit kann ich am besten alles herum vergessen. Das sind dann auch die Momente, in denen ich von Amerika träume. Dort würde ich am liebsten leben. Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ... Wie Barak Obamah schon sagte: ´Yes, we can!´ Ich bitte das nicht falsch zu interpretieren, denn meine ganz, ganz starken Vorbilder sind meine lieben Eltern.“ „Na, ja“, bricht sie das Schweigen, „und auch Prinzessin Diana, weil sie die Königin der Herzen ist.“ Ich senke meinen Blick und meine Achtung vor ihrer Meinung steigt. Ingela rückt sich gerade auf dem Stuhl und streckt ihren Rücken. Für mich ist sie eine Person, die Energie versprüht und noch viel im Leben erreichen will. Ihr blaues T-Shirt gibt den Blick auf ihren schlank gewachsenen Körper frei, und sie verrät, dass sie am liebsten die Farbe Blau trägt. „Passt auch gut zu Deinen tiefschwarzen Haaren“, komplimentiere ich. „Dieses Blau bildet in der Flagge der Roma symbolisch den Himmel ab“, weiß sie zu berichten, „die Natur auf unserer Erde ist grün dargestellt und das rote Speichenrad steht für unsere indischen Wurzeln. Überhaupt liebe ich die Natur 26 insgesamt – ob Bäume, Blumen, Tiere – sie alle gehören zu uns Menschen. Was wären wir ohne Natur! Wo wüchsen sonst die Kartoffeln, aus denen ich mein Lieblingsgericht zubereite – „Bauernkartoffeln zum Frühstück“. Zutaten: 500 g rohe, geschälte Kartoffeln in Scheiben schneiden. Eine Bratpfanne auf der Kochstelle erhitzen, die geschnittenen Kartoffeln hinein, mit 3 Esslöffel Sonnenblumenöl begießen und bei mäßiger Hitze bräunen lassen. Ab und zu die Kartoffelscheiben wenden, damit sie möglichst von beiden Seiten bräunen. Mit körniger Gemüsebrühe kräftig würzen und abschmecken. 3 Eier aufschlagen, in einer Schüssel verrühren, über die gebräunten Kartoffeln geben und stocken lassen. Das schmeckt prima kräftig, deftig, und nur so wird was draus! Ja, kräftig, deftig, nur so wird etwas daraus! Meinen Klassenkameraden habe ich damit schon mehr als einmal den Mund wässrig gemacht. Oder wenn ich in den Schulferien meine Verwandten besuche, die auch in Deutschland, aber in anderen Städten leben, dann essen wir mindesten einmal zusammen Bauernfrühstück. Du glaubst es nicht? Ja, auch schon zum Frühstück! Am Ende der Ferien fahre ich genau so gern wieder zurück nach Magdeburg. Ich fühle mich hier wohl. Mein Leben lief bis jetzt bestens, ich würde auch nichts anders machen wollen, denn ich bin schon auf dem richtigen Weg.“ Mit geröteten Wangen fügt sie schnell noch hinzu: „Ich möchte nur lernen, lernen, lernen. Und Singen macht mir Freude. Ich singe gern und oft. Ich bin zwar Muslimin, aber ich trage kein Kopftuch und feiere die eigenen Feiertage wie den 6. Mai, nur in meiner Familie, aber nicht mit Deutschen. Was aber keineswegs bedeutet, dass ich nicht mit deutschen Mädchen und Jungen befreundet wäre. Die sind gute soziale Kontakte, die mein zufriedenes Leben in Magdeburg stärken.“ Nach der Bedeutung des Feiertages gefragt, erklärt mir Frau Ingela: „ Dabei geht es um die Verehrung des Heiligen Georg. Schon im antiken Mesopotamien frönte man dem Tammus-Kult, und im Griechenland der Antike spielte der Tammus bei olympischen und delphischen Spielen auch eine wichtige Rolle. Später – im christlichen Byzanz – wurde dieser Kult zur Verehrung des heiligen Georg (griech. = Haghios Gheorghios) auf christliche Art gefeiert. Als die Roma von den Osmanen in kriegerischer Auseinandersetzung besiegt wurden, lernten die Sieger die sportlichen und handwerklichen Fähigkeiten der Roma schätzen. So wurden die Roma sogar zu Verbündeten der Osmanen und sie dienten im osmanischen Heer. Sie waren tätig als Hufschmiede, fertigten Schuhe für die Soldaten, Kleidung und vieles andere mehr. Sowohl Roma als auch Osmanen feierten im Mai dieses Fest, nur zu Ehren unterschiedlicher Schutzpatrone. Die beiden Religionsgemeinschaften legten irgendwann ihre 27 Feste zusammen und feierten gemeinsam. Es war einfach, weil die Roma vordergründig den islamischen Glauben annahmen. Die Roma hatten damals schon eine Haghios Gheorgios-Kapelle mit mindestens fünfzig Trommeln und ebenso viel Schalmeien. Zu Hochzeiten und anderen Festen – wie auch am 6. Mai – spielte diese Kapelle. Den Osmanen gefiel diese RomaKapelle und sie nahmen sie auf als Militärmusikkapelle bei Feldzügen und Belagerungen. Das St. Georgs-Fest feiern wir gern, weil genau zu dieser Jahreszeit sich die Natur neu entfaltet und Grund zu Optimismus gibt.“ „Viele Häuser in Magdeburg erinnern mich an den Kosovo…“ Im Gespräch mit Frau Manuela J., 28 Jahre Verabredung zum Interview. Auf mein Klingeln an der Tür öffnet eine freundliche Frau und begrüßt mich mit einem noch freundlicheren „Guten Tag“. In gutem Deutsch fordert sie mich auf, die Wohnung zu betreten. Im Flur bittet sie mich noch schnell, die Schuhe stehen zu lassen, dann verschwinden wir endgültig im Wohnzimmer. Nebenan sind Kinderstimmen zu hören. Ich begrüße ihren Mann, ehe ich auf einem der weich gepolsterten Stühle Platz nehme. Große, dunkle Kinderaugen betrachten mich neugierig durch die halbgeöffnete Tür, bis den Kleinen erklärt wird, wozu ich gekommen bin. Ihre Frage, ob ich eine Tasse Kaffee wünsche, verneine ich dankend. „Oder möchtest Du lieber ´Raffaelo´ kosten?“ „Was ist das?“ wollte ich wissen. „Das Konfekt „Raffaelo“ ist etwas ganz Besonderes: Man braucht dazu 400 Gramm Butterkeks, 200 Gramm flüssige dunkle Schokolade, 1 Tasse Coca Cola, 3 Esslöffel dunklen Kakao, 200 Gramm Kokosraspeln. In einer Schüssel die Butterkekse zu Krümeln zerstampfen, den dunklen Kakao hinzu sowie die Coca Cola und falls zu trocken, noch etwas Milch. Alles gut miteinander vermengen und zu kleinen Kugeln formen. Die Kugeln in der flüssigen Schokolade wälzen, anschließend in den Kokosraspeln rollen und auf einem Blech ablegen, damit die Schokolade erkaltet und die Kokosraspeln festhält. Das ergibt etwa 30 Kugeln „Raffaelo“. Manuela nimmt Platz auf der kuscheligen Couch und erzählt, dass sie seit dem Jahre 2000 in Magdeburg ist und gerade ihren achtundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hat. „Geboren wurde ich in Obilić im Kosovo. Obilić ist eine Gemeinde im Zentrum des Kosovo und grenzt im Südosten an die Gemeinde Priština. 1989 28 wurde Obilić von Priština getrennt. Die Hauptstraße zwischen Priština und Kosovska Mitrovica durchzieht auch Obilić. Hier sind die beiden einzigen Braunkohlekraftwerke des Kosovo. Obilić ist benannt nach Miloš Obilić – einem mythischen Helden der serbischen Nationalgeschichte. Es hängt mit der Schlacht auf dem Amselfeld zusammen, die bekanntermaßen am15. Juni 1389 stattfand. Fürst Lazar Hrebeljanović führte das Heer der Serben und Bosnier an. Die Osmanen führte Murad I. an; er wurde vom serbischen Edelmann und Ritter Miloš Obilić getötet. Fürst Lazar jedoch geriet in die Gefangenschaft der Osmanen und wurde hingerichtet. Zur Erinnerung an diese Schlacht wird in jedem Jahr am 15. Juni der Vidovdan gefeiert. In meinem Geburtsort ging ich zur Schule und beendete sie mit dem Hauptschulabschluss. Als ich achtzehn war, beschloss meine Familie, den Kosovo zu verlassen. Der Krieg war zu schlimm und wir fürchteten jeden Tag um unser Leben. Durch Hilfe von guten Freunden und unbekannten Menschen kamen wir schließlich nach Deutschland. Zunächst waren wir im Asylheim in Solingen untergebracht, und glücklicherweise bekamen wir bald eine Zuweisung nach Magdeburg. Viele Häuser in Magdeburg sind im Einheitsstil des ´Ostblocks´ gebaut und erinnern mich an den Kosovo. In Magdeburg lernte ich meinen Mann kennen, wir heirateten und freuten uns auf unser erstes Kind. Inzwischen haben wir zwei Mädchen und einen kleinen süßen Jungen, der gerade das Laufen lernt. Deshalb gehe ich noch nicht wieder zur Arbeit, sondern bin noch zu Hause und kümmere mich um die Kinder. Ein harmonisches Leben in der Familie ist mir sehr, sehr wichtig. Dazu trägt auch unsere schöne Wohnung bei und die zentrale Lage hier in der Stadt. Und wenn die Kinder etwas älter und selbständiger sind, suche ich mir eine Arbeitsstelle, damit Geld in die Familienkasse kommt, denn auch ich möchte natürlich einen Beitrag zum Lebensunterhalt geben. Wie gesagt, im Moment geht nur mein Mann zur Arbeit. Außerdem würden wir gern ein Haus bauen mit einen Garten darum, in dem rote Rosen blühen. Rote Rosen sind für mich die schönsten Blumen, obwohl meine Lieblingsfarbe Blau ist. Blau ist wirklich eine herrliche Farbe! Blau ist in der Roma-Flagge das Symbol für den Himmel. Wenn ich ausspannen möchte, lese ich die Tageszeitung ´Volksstimme´ oder höre unsere Volksmusik, vor allem die serbische hat es mir angetan. Ich singe gern und meinem Mann gefällt das. Also singen wir öfter gemeinsam. Und manchmal stimmen die Mädchen auch schon ein. Zum Sport gehe ich nicht, meine Kinder halten mich fit. 29 Schön ist, dass meine Eltern auch in Magdeburg leben. Sie sind die Vorbilder für mich. Wenn ich ganz ehrlich bin, würde ich am liebsten in Amerika leben, doch bis dahin kann noch etwas Zeit vergehen.“ Manuela gießt langsam Coca Cola in das leere Glas nach, trinkt und gesteht freimütig, dass sie jeden Tag etwa eine Flasche davon allein trinkt: „Und wenn wir Urlaub machen und meine Verwandten in Deutschland besuchen, dann habe ich für unterwegs immer Coca Cola dabei. Ins Kino gehen wir nicht, aber wenn ich im Fernsehen die Schauspielerin und Sängerin Yvonne Catterfeld erwischen kann – die finde ich toll. Und ganz ehrlich – wünschte ich mir manchmal, ich könnte sie sein. Temperamentvolle Leute mit vielen Ideen mag ich ganz besonders. Ja, das sind so meine Träume. Auch gehe ich gern zum Shopping. Stundenlang könnte ich durch die verschiedenen Geschäfte bummeln und gerade auch für unsere Kinder schöne Sachen aussuchen. Das ist auch ein Grund, weshalb ich gern in Magdeburg lebe. Streit kommt schon auch mal bei uns in der Familie vor; dann möchte ich am liebsten allein sein. Ich ziehe mich einfach zurück, denn Stress baue ich am besten ab bei einem Spaziergang – allein. Zum Kosovo habe ich keine Kontakte mehr, weil meine ganze Familie in Deutschland lebt. Ungerechtigkeiten gegen mich und die Familie ärgern mich sehr, aber auch dieser Stress geht vorbei. Ansonsten bin ich sehr zufrieden mit meinem Leben: ich würde nichts daran ändern wollen und möchte es auch nicht von vorn beginnen, selbst wenn ich es könnte.“ „Mich ärgert, wenn die Leute das Schimpfwort ´Zigeuner´ verwenden…“ ,Im Gespräch mit Frau Antigona L., 33 Jahre Zu Fuß geht es in dem Platten-Wohnblock hinauf bis zum 4. Stockwerk. Ich bin verabredet mit der RomaFrau Antigona. Mein Begleiter – Ekrem Tahiri – kündigt uns schon durch lautes Rufen im Treppenhaus an. Von oben Worte auf serbisch, die ich nicht verstehe. Noch wenige Stufen, und mich begrüßt das Familienoberhaupt – ein freundlicher Mann in Hauskleidung. Höflich fordert er 30 mich auf, meine Schuhe in der Diele zu lassen. Ich sehe meinen Begleiter seine Schuhe ebenfalls von den Füßen streifen. Das hilft, die Glaubwürdigkeit der Handlung zu stärken. Aus einem der Räume tritt eine auffallend schlanke, bleiche Frau mit tiefen dunklen Augen und hellem Teint. Ihr Mann stellt sie mir vor: „Meine Frau.“ Auffallend ist, dass sie nur ihren Kopf senkt und nicht spricht. Ich schenke ihr ein kurzes Lächeln, und schon werde ich in das Hauptzimmer der Wohnung gebeten. Voller Ehrfurcht betrete ich den Raum und bemerke zahlreiche große Bilder an den Wänden und Gebetsbänke am Rande des Teppichs. Spätestens jetzt habe ich Gewissheit, dass es sich um eine private Moschee handelt. Es ist das Männerzimmer. Zu dritt sitzen wir um einen Clubtisch. Der Ehemann fragt, ob ich eine Tasse Kaffee möchte. Ich danke und verneine – gerade so – wie oft zu Beratungen. Wenig später serviert die liebenswerte, scheue Frau geschickt und nahezu geräuschlos zwei Tassen Kaffee. In einer Glasschale reicht sie kleine Gebäckstücke. Eine Weile kann ich sie betrachten und bemerke nochmals ihre überaus schlanke Gestalt, umhüllt von einem langen Rock, unter dem sie rosafarbene Beinkleider trägt. Geräuschlos wandelt sie mit weißen Pantoletten an den Füßen. Der Pulli passt zum roten Muster des Rockes, denke ich, und schon ist sie wieder wortlos verschwunden. Während ich überlege, wie ich das Interview führen werde, erklärt mir ihr Mann: „Meine Frau ist jetzt dreiunddreißig. Als wir 1999 aus dem Kosovo flohen, verließen wir alles – unser selbst gebautes Haus, unseren Garten und ich meine Arbeit. Seit 1992 sind wir verheiratet. Meine Frau ist jetzt dreiunddreißig. Ja, das ist normal, dass bei uns die Frauen mit sechzehn heiraten. Wir haben sechs Kinder – zwei Jungen und vier Mädchen.“ Vor dieser Familie müssen wir den Hut ziehen, denke ich schnell nebenbei. Ich senke meinen Kopf und der Mann spricht weiter mit weicher Stimme: „Antigonas Mutter verstarb schon in jungen Jahren, und deshalb ist Antigona bei ihrer Großmutter aufgewachsen. Sie lebten in ländlichen Verhältnissen, das bedeutet, Antigona besuchte keine Schule, sie kann also weder lesen noch schreiben – kurzum, sie ist Analphabetin.“ Ich wollte wissen, warum die Großmutter sie nicht zur Schule schickte. Er gab an, dass es durchaus in einem Dorf normal sei, die weit entfernte Schule nicht zu besuchen. Es sei unter diesen Lebensumständen im Kosovo nicht weiter von Bedeutung, ohne Schulbildung zu leben. „Die Großmutter besorgte das Haus und die Ernährung für beide. Sie kochte regelmäßig und buk das nötige Brot. Auch um den Garten kümmerte sie sich, weil Obst, Gemüse und Kartoffeln zur 31 Versorgung wichtig waren. Antigona hingegen wusch die Wäsche und hielt das Haus sauber. Damit hatte sie genug zu tun.“ Wie gut er deutsch spricht, denke ich, während er mit seiner Schilderung fort fährt: „Im Grunde genommen litten wir alle schon seit 1991 unter den schrecklichen Umständen im Land. So lernte ich meine Frau kennen und sehr lieben. Wir heirateten und wurden bald mit Kindern beschenkt. Drei unserer Kinder wurden im Kosovo geboren. Die Tochter mit der Intelligenzminderung wurde 1994 im Kosovo geboren. Der Krieg ist an allem Missgeschick schuld. Trotzdem! Im Kosovo liegen die Wurzeln unserer Kultur. Wir lebten in bescheidenem Wohlstand. Wir sind Roma und lieben unsere Heimat, doch für uns gibt es niemals wieder ein Zurück. Das wäre schrecklich. Dort sind wir ohne Besitz. Der Krieg hat unsere Häuser zerstört, und unsere Grundstücke sind in den Grundbüchern der Orte nicht auf unsere Namen eingetragen. Also gehört uns nichts, wenn wir zurückkämen. So sind wir gezwungenermaßen in Magdeburg.“ Das wollte ich genauer wissen, und er schilderte: „Mein Wunsch wäre, in Dortmund zu leben. Da gibt es freie Arbeitsplätze. Von Beruf bin ich Metzger. Noch besser wäre, wir könnten in Paris leben, dort ist meine gesamte Familie. Sie würden sich um unsere Kinder kümmern, während ich zur Arbeit gehe und den Lebensunterhalt für meine Frau und die Kinder verdiene. Meine Frau ist krank, sie kann die Kinder nicht versorgen. Der Krieg hat sie mit Depressivität belegt. Eine Tante von mir lebt in Lyon, doch seit sechs Jahren habe ich sie nicht mehr gesehen. Nach Paris telefoniere ich regelmäßig. Ja, ich würde sofort nach Paris gehen, doch man lässt mich nicht. Ich bin zugeteilt für Magdeburg. Was soll ich hier mit meiner kranken Frau! Sie ist traumatisiert durch den Krieg und in Magdeburg in psychologischer Behandlung. Eines meiner Kinder ist intelligenzgemindert. Meine Tochter hat einen Intelligenzquotienten von einhundertvier. Sie wurde 1994 im Kosovo geboren. Meine Frau war achtzehn und der Krieg tobte. Das ist doch alles tragisch! Meine Mutter lebt mit uns in dieser Wohnung. Sie ist selbst krank und kann sich nicht um die Kinder und meine traumatisierte Frau kümmern. Das muss alles ich tun. Zwei unserer Kinder sind in Magdeburg geboren. Sie gehen zur Schule und sind gut integriert und sprechen die deutsche Sprache.“ Seine porzellanblasse, zarte Frau mit dunklem, gewelltem Haar, tritt wortlos an den Tisch und tauscht die leeren Kaffeetassen gegen volle. Eben so geräuschlos stellt sie noch eine Flasche mit Wasser hinzu. 32 „Mein Wunschtraum ist, eine Aufenthaltsverlängerung zu bekommen und bleiben zu dürfen, denn wir leben doch nur für unsere Kinder. Denen soll es einmal besser gehen. Dafür bete ich fünfmal am Tage. Worüber regen Sie sich auf? Dass ein Kleid zweihundert oder dreihundert Euro kostet? Wir haben nicht einmal das Geld, um nach Paris zu meiner Familie zu fahren. Entschuldigen Sie bitte, ich will damit nur die Relationen der Probleme deutlich machen. Meine Frau ist krank und liegt den ganzen Tag im Bett. Sie ist nicht imstande, den Haushalt und die Kinder zu besorgen. Das muss alles ich tun. Und deshalb kann ich nicht regelmäßig einer Arbeit nachgehen. Sehen Sie meinen verkrüppelten Fuß, damit bin ich nicht sonderlich belastbar. Das war der Krieg, er hat meinen Fuß zerstört. Momentan läuft ein Antrag für eine Kur. Wir alle brauchen dringend Therapie. Einer meiner Söhne ist jetzt fünfzehn und ziemlich vernünftig. Er hilft uns schon sehr und kümmert sich um seine jüngeren Geschwister. Der bedeutsamste Feiertag im Jahr ist für uns der 6. Mai. Es wird schon in der Nacht zuvor auf den 6. Mai gefeiert – den Tag des heiligen Georg. Meine Vorbilder sind Vater und Mutter. Meine Mutter lebt bei uns – mein Vater ist schon vor Jahren gestorben. Mich ärgert, wenn die Leute das Schimpfwort ´Zigeuner´ verwenden. Schlimm! Es gehört doch wirklich der Vergangenheit an. Wir wollen doch nur in Frieden leben. Sehen Sie, wenn jemand kriminell ist, würde er einen Asylantrag in Deutschland stellen? Nein. Also, wir leben nach europäischen Kriterien, und für uns Erwachsene ist Deutschland das zweite Heimatland. Für unsere Kinder ist es die erste Heimat. Sie wachsen hier auf und gehen zur Schule. Sie sprechen gut deutsch und haben keine Probleme. Aber für uns sind rund dreißig Jahre unseres Lebens verloren. So sehen wir wenigstens eine Perspektive in Deutschland. Vor fünf Jahren wollten wir nach Paris umsiedeln zu meiner Familie. Das hat nicht geklappt, und nun bleiben wir in Magdeburg. Meine Frau liebt rote Rosen. Damit kann ich ihr immer eine Freude machen. Das Rot hängt mit dem roten Rad zusammen in unserer Roma-Fahne. Es ist das Indische Rad und erinnert an unsere Wurzeln. Ansonsten gefallen ihr alle Farben. 33 Wenn Sie uns das nächste Mal besuchen, essen wir zusammen „Gulasch vom Rind“. Das ist eine Spezialität der Roma: Nimm 500 Gramm gewürfeltes Rindfleisch, 6 geschälte, gewürfelte Zwiebeln, 3 entkernte, gewürfelte Paprika (rot oder gelb – ist egal), 2 geschälte, gewürfelte Karotten, 1 Tasse Sonnenblumenöl und 1 Teelöffel Paprikapulver (scharf oder mild, je nach eigenem Bedarf). Fleisch in einen Topf geben und mit 1 Glas Wasser begießen. Etwa 30 Minuten kochen bei geschlossenem Deckel. Inzwischen die zu Würfeln geschnittenen Zwiebeln, Paprika und Karotten in einer Pfanne mit Öl anbraten und zum Gulasch geben. Etwa 90 Minuten weiterkochen, dann mit Paprikapulver und schwarzem Pfeffer würzen. Kurz bevor das Fleisch gar ist, gibst Du 2 Esslöffel gekörnte „Soße für Gulasch“ hinzu, umrühren und fertig. Dazu trinken wir Wasser. Wir Roma möchten in Deutschland eine Perspektive haben wie andere Volksgruppen. Wir sind Intellektuelle und emanzipiert und nicht kriminell. Eines möchte ich noch sagen: Wir sind stolz, Roma zu sein! Während ich das Interview führe, bemerke ich an der halb geöffnete Tür ein kleines Köpfchen mit pechschwarzen Locken und zwei dunklen Augen so groß wie Mühlräder. Ich schenke dem Mädchen ein herzliches Lächeln, doch beim ersten Mal zeigt die kleine Person keine Reaktion. Erst beim zweiten Versuch lächelt sie scheu zurück. Ich winke ihr zu und bitte sie zu mir. Tatsächlich! Nach kurzem Zögern steht sie neben mir, fast ebenso blass wie ihre Mutter. Ich lege meinen Arm um die zarten Schultern und frage, ob sie schon zur Schule geht. Sie nickt. „Welche Klasse?“, will ich wissen, doch das kleine Persönchen schweigt. Ihr Vater sagt, dass sie die 1. Klasse besucht. Ob sie schon etwas schreiben kann, möchte ich wissen. Und nachdem ich sie mehrmals zum Sprechen animierte, sagt sie kaum hörbar: „Ja.“ Nachdem alles Wichtige notiert ist, will ich mich verabschieden. Doch plötzlich holt das kleine, zarte Mädchen ihre signalfarbene Schultasche und zieht einen Hefter mit rotem Einband heraus. Ihre Mutter hält die schwere Mappe und hilft, dem Hefter ein besonderes Blatt zu entnehmen. Stolz zeigt sie mir weitere farbig ausgemalte Blätter. Darauf ist ein Bischof zu sehen. Er trägt seine Insignien – Casel, Mitra und den Bischofsstab mit Krümme. Seine rechte Hand ruht über dem Kopf des Kindes, das er gerade segnet. Meine Augen werden feucht, mein Herz ist zutiefst gerührt, zumal ich jetzt Gewissheit habe, dass diese Familie ihre Kraft aus der Religion schöpft. 34 „In Lesen und Mathematik bin ich Klassenerste.“ Im Gespräch mit dem Mädchen Belinda N., 12 Jahre In Begleitung von Ekrem Tahiri besuche ich in der elterlichen Wohnung das Mädchen mit dem schönen Namen Belinda. Dass in der Diele die Straßenschuhe ebenso abgelegt werden wie Mantel und Schal, ist mir seit dem ersten Interview der RomaFrauen geläufig. Im sonnendurchfluteten Wohnzimmer finden wir schnell Platz auf bequemen Sitzen. Die Erwachsenen trinken schwarzen Tee – stark und mit viel Zucker. Dieses Getränk schmeckt verführerisch, und so gönne ich mir einen nächsten Schluck. Inzwischen erzählt mir Belinda eifrig, dass sie vor knapp dreizehn Jahren in Priština geboren wurde und seit vier Jahren in Magdeburg lebt. Ich erfahre, dass Belinda gern die deutsche Schule besucht, und dass sie mit vielen Klassenkameraden befreundet ist. Mit ihnen trifft sie sich auch außerhalb der Schule zum Spielen oder zum Spazierengehen. „Ich spreche deutsch in der Schule und zu Hause mit meinen Geschwistern, aber auch deutsch und Romanes mit meinen Eltern und Geschwistern. Ich tanze gern orientalische Tänze, und freue mich auf jede gemeinsame Stunde mit der Leiterin und den Mädchen aus der Gruppe ´Kinder des Windes´. Ich singe gern deutsche und albanische Lieder. Willst Du das „Magdeburger Lied“ hören? Wir singen es in der Schule.“ Begeistert stimme ich zu. Mir entgeht nicht, dass sie versucht, ein deutsches Lied so klar zu singen, damit ich es gut verstehe. Während sie singt, kommen rasch ihre Geschwister hinzu und stimmen mit ein. Die Rede ist hier von einer kleinen Chorbesetzung: fünf Stimmen - „gemischter Chor“. Ich kenne eine Stadt am großen Strom, die viele Häuser hat und einen Dom. Unsere Stadt mit M beginnt, denn wir sind, wir sind ein Magdeburger Kind! Ist denn die Elbe immer noch dieselbe? Fragt sich der Dom und wundert sich. So viel Verkehr, Häuser und noch mehr hab ich früher wirklich nicht gesehn. 35 Der Omnibus fährt durch die Stadt, die so wie wir noch Zukunft hat. Wir sind vergnügt bei Regen und bei Wind, denn wir sind, wir sind ein Magdeburger Kind! Ist denn die Elbe immer noch dieselbe? Fragt sich der Dom und wundert sich. So viel Verkehr, Häuser und noch mehr hab ich früher wirklich nicht gesehn. Im Stadtpark ist es wunderschön, der Till muss auf dem Marktplatz steh´n. Wir drehn ihm eine Nase eh er sich besinnt, denn wir sind, wir sind ein Magdeburger Kind! Ist denn die Elbe immer noch dieselbe? Fragt sich der Dom und wundert sich. So viel Verkehr, Häuser und noch mehr hab ich früher wirklich nicht gesehn. Ein Zoobesuch ist interessant, Erholung gibt’s am Barleber Strand. Wir sind vergnügt bei Regen und bei Wind, denn wir sind, wir sind ein Magdeburger Kind!“ Während ich für den flotten Gesang applaudiere, betritt die jüngste Schwester – sie ist vier Jahre alt – im hellen, seidig glänzenden Tanzkleidchen das Wohnzimmer. Ihre schwarzen Lackschuhe ließ sie in der Diele zurück. Mit der Pose einer Tänzerin verneigt sie sich – einen hellblauen Seidenschal um den üppigen Lockenschopf gebunden – und führt einen orientalischen Tanz auf. Je mehr die Anwesenden klatschen, desto schneller dreht sie sich und wirft ihre kurzen Ärmchen in die Höhe. Hoppla, das war wohl ein bisschen zu schnell, meine Dame! Ihre kleinen Beinchen versagen plötzlich den Dienst und sie landet mitten auf dem Teppich … und bleibt eine Weile liegen. Trotzdem! Lang anhaltender Applaus für das attraktive Persönchen. Belinda verrät mir mit stolzer Stimme, dass sie zusammen mit ihren beiden Schwestern in dreißig Minuten abgeholt wird: „Zum Drehtermin beim Fernsehen. Die Tanzgruppe ´Kinder des Windes´ ist sehr gefragt und tritt auf zu Veranstaltungen aller Art. Wir drei Mädchen tanzen mit und unsere Eltern sind begeistert.“ Ich wollte wissen, ob sie ihrer Mutter im Haushalt behilflich ist. „Ja, alle meine Geschwister übernehmen Arbeiten in der Familie. Nein, es gibt keinen Streit mit 36 meinen Geschwistern. Jeder hilft jedem. Meine Brüder spielen Fußball beim ´SV Arminia´. Das ist dort nichts für mich, obwohl ich auch gern Ballspiele mache, besonders mit meinen Schulkameraden. Am liebsten aber würde ich ein Instrument spielen. Flöte oder Gitarre möchte ich gern lernen.“ Ihre dunklen Augen glänzen wie schwarze Schokolade. „Ich bin mit vielen Schulkameraden befreundet, und mit ihnen treffe ich mich auch nachmittags zum Spielen. Ab und zu fahren wir auch mal mit den Rädern. Ja, ich weiß, nicht so weit weg! Mein Vater mahnt mich fast jedes Mal.“ Stolz holt sie ihre Schulhefte hervor und weist mit charmantem Lachen darauf hin, dass sie in Mathematik und Deutsch mehrere Noten „Sehr gut“ hat. „In Lesen und Mathematik bin ich Klassenerste.“ Ich mache ihr Mut und rede gut zu. „Meine Freunde im Kosovo sind weit weg. Ich denke schon nicht mehr an sie. Nur meine Mutti kann nachts nicht schlafen. Oft weint sie und klagt besonders nachts über Herzschmerzen. Dann stehen wir alle auf, geben ihr frisches Wasser, und dann geht es wieder. Ich bin zwar Muslimin, halte mich aber nicht so streng an die Religion. Nur manchmal beten wir Geschwister mit meinen Eltern gemeinsam. Deutsche Gedichte lese ich gern, und vor allem Märchen. Hier, sieh mal, dieses Buch ´Meine schönsten Märchen´, gab mir meine Lehrerin. Ich lese sehr gern darin und lese auch meinen Eltern und Geschwistern daraus vor. Aschenputtel ist mein liebstes Märchen. Gab es das wirklich? Ist dass alles wahr?“ Fragend schaut sie mich an: „Nein, es sind nur Geschichten, die sich jemand für uns ausgedacht hat.“ beruhige ich sie. „Rote Tulpen mag ich besonders und Schneeglöckchen. Und wenn es windig ist, sehen sie doch aus, als bewegen sie ihre Köpfe und wollten tanzen.“ Sie lacht. „Stimmt“, sage ich, „gut beobachtet.“ Nun möchte ich gern wissen, was Belinda am liebsten isst. „Suppe esse ich am liebsten. Aber ich kann auch gut kochen und überrasche oft meine Familie mit etwas Selbstgekochtem. Ja, „Kartoffelsuppe“ – essen wir alle gern. Die mache ich so: 500 g Hühnerfleisch oder 500 g Rindfleisch in Wasser mit wenig Salz weich kochen. Anschließend Fleisch von den Knochen lösen und in kleine Stücke schneiden. Inzwischen Kartoffeln, Möhren und Zwiebeln schälen und alles in kleine Würfel schneiden. Das vorbereitete Gemüse in der Fleischbrühe 25 Minuten garen, das gewürfelte Fleisch hinzu geben, mit Salz und Pfeffer abschmecken, umrühren, fertig. Auf tiefe Teller tun und „Guten Appetit!“ 37 Meine Mutti bäckt auch feine Pizza. Aus Mehl, Wasser, Salz und einer Prise Zucker knetet sie einen Teig, lässt ihn eine Stunde gehen und rollt ihn auf dem Blech aus zu einer flachen Platte. Dann verteilt sie darauf Stücke von Thunfisch, Salami, Gulasch, Tomate, Paprika und Zwiebel. Obenauf streut sie reichlich viel geriebenen Käse. Dann wird die Pizza im Ofen gebacken - bei 210 °C für 40 Minuten. Pizza isst man am besten warm, so schmeckt sie wunderbar. Dazu gibt es Saft, Wasser oder Coca Cola.“ Während ich Notizen mache, muss ich unweigerlich schlucken. Belinda wechselt plötzlich das Thema und spricht eindringlich ernst und flehentlich: „Ich wünsche mir, dass wir in Magdeburg bleiben können. Ich lebe viel lieber in Magdeburg als in Priština, wo der Krieg ist. Mein Bruder hat einen Hörschaden – von Bombeneinschlägen. Die Bomben explodierten in unmittelbarer Nähe von ihm, so dass die entstandenen Druckwellen sein Hörvermögen schädigten. Jetzt braucht er dringend ein Hörgerät. Und, sehen Sie, mein anderer Bruder hat schon eine Herzoperation hinter sich.“ Vorsichtig hebt der schmächtige Junge seinen Pullover und ich sehe zwei lange Narben am Brustkorb des Jungen. Ich habe Gänsehaut und über meinen Rücken läuft ein Schauer. „Er besucht die Schule ganz normal wie jeder andere Schüler“, fügt Belinda hinzu. „Vorbilder für mich sind meine Eltern und meine Lehrerin. Mit ihr kann ich auch über meine kleinen Nöte sprechen. Sie versucht mir zu helfen, so gut sie kann, und dafür mache ich mit ihr gern Gartenarbeit. Ich bin auch froh, dass ich ein Fahrrad besitze und schnell mal zu meiner Freundin fahren kann. Meinem Vater musste ich allerdings versprechen, dass ich nur auf Gehwegen fahre – niemals auf der Straße. Er meint, es sei zu gefährlich wegen der vielen Autos. Und wenn mich Fußgänger ermahnen, dann entschuldige ich mich höflich und möglichst mit aller Freundlichkeit, die ich besitze. So komme ich gut mit anderen Menschen zurecht. Auf dem Fahrrad trage ich am liebsten lange Hosen und einen Pullover – das ist auch meine Bekleidung im Winter und möglichst viele Sachen in Rot. Rot ist meine absolute Lieblingsfarbe. Meine Schwester ist ja nur ein Jahr jünger als ich, aber wir tragen immer gleiche Kleidung. Heute haben wir extra die Ringelpullover mit dem Aufdruck ´Sweety´ angezogen. Im Sommer tragen wir dann aber auch Röcke und Kleider. Ach, ja, wünschen würde ich mir eine größere Wohnung, denn wir sind drei Mädchen und drei Jungen und dazu meine beiden Eltern. Also, für acht Personen reichen drei Zimmer schon kaum noch aus. 38 Mein Vater hat den Achtklassenabschluss und arbeitete kurze Zeit auf dem Bau. Seitdem darf er nicht mehr arbeiten. Ich wünsche sehr, dass er bald wieder arbeiten darf. Das würde uns unabhängiger machen von sozialen Leistungen hier in Deutschland.“ „Warum seid Ihr nicht schon 1999 geflohen, wie die meisten Leute aus dem Kosovo?“, wollte ich wissen. Belinda schaut ihren Vater fragend an und spricht wenige Worte in Romanes. Er nickt. Nun sagt sie auf Deutsch, dass sie keine Fluchthelfer hatten und auch keinen LKW: „Erst vor vier Jahren bekamen wir einen LKW, mit dem wir schließlich fliehen konnten von Mazedonien nach Westeuropa – bis wir in Deutschland ankamen. Der Bruder meines Vaters lebt mit seiner Familie in Köln, dahin haben wir uns als erstes gewandt. Nach drei Stunden Aufenthalt bei meinen Verwanden, fuhren wir weiter nach Leverkusen, dann weiter nach Bielefeld. Hier blieben wir vier Tage in einem Hotel und erfuhren, dass wir nach Halberstadt fahren sollten. In Halberstadt waren wir für drei Monate im Asylbewerberheim untergebracht, bis wir die Aufforderung bekamen, nach Magdeburg zu ziehen. Hier leben wir von Anbeginn in dieser Wohnung, die – wie gesagt – allmählich zu klein wird, weil wir Kinder älter werden. Ich möchte die Schule mit guten Leistungen abschließen und dann Medizin studieren. Mein größter Wunsch ist, in Magdeburg zu bleiben, keine Probleme zu haben und keine Toten zu sehen wie im Kosovo. Meine Mutti träumt oft vom Tod ihres Bruders. Sie weiß auch nicht, wo ihre Eltern sind, vermutlich sind sie verschüttet unter den Trümmern im Kosovo. Diese Probleme übertragen sich natürlich auf uns Kinder. Wenn mein großer Bruder schläft, wandelt er nachts plötzlich umher. Einmal passierte es, dass wir am Abend vergessen hatten, von innen die Wohnungstür abzuschließen. Plötzlich verließ er das Bett, lief durch den Flur, öffnete die Wohnungstür und ging die Treppe hinab. Ich hörte irgendwelche Geräusche im Treppenflur, lief in die Diele und fand die Wohnungstür offen. Dann entdeckte ich meinen Bruder – zusammengekauert – auf halber Treppe. Schnell führte ich ihn zurück ins Bett. Am nächsten Tag kann er sich prinzipiell an nichts erinnern. Ja, und dann bin ich müde am nächsten Tag. Erst wenn ich im Klassenzimmer sitze, ist die Müdigkeit vorbei. In Deutschland kann ich wenigstens meine Freunde sehen, so oft ich will. Ach, Kosovo ist weit weg! Das ist gut so, ich habe keine Sehnsucht dahin. Dort in der Schule schlugen die Lehrer mit dem Stock auf die Hände. Wenn Dir ein Wort gerade nicht einfiel, bekamst Du Schläge mit dem Stock, manchmal auch auf die Fingerkuppen. Und wenn mal etwas zu Boden fiel, gab Dir der Lehrer einen kräftigen Schlag an den 39 Hinterkopf und drückte Dich ungnädig mit dem Kopf zum Fußboden: ´Heb auf!´, sagte er in harschem Ton. Und wenn wir zum Unterricht zu spät kamen, trat der Lehrer nach uns, und dieser Tritt war eigentlich schon kräftig genug, doch meistens schlug er noch zusätzlich mit dem Stock auf uns ein. Nein, das war wirklich nicht schön. In Deutschland ist alles viel besser. Zwei meiner Brüder spielen Fußball in der ´SV Arminia´. Bisher mussten sie ihre Sportsachen selbst kaufen, doch ich würde mir wünschen, dass sie wenigstens die Schuhe vom Sportverein bekommen könnten. In den Urlaub können wir nicht mit der ganzen Familie fahren. Das wäre zu teuer. Doch meine Klasse fährt in diesem Jahr für eine Woche nach Ahrendsee. Das macht Spaß! Einhundertfünfzehn Euro kostet die Klassenfahrt, und ich freue mich schon sehr darauf.“ „Manchmal stelle ich mir vor, in einer Weide zu wohnen.“ Im Gespräch mit Frau Karina S., 42 Jahre „Ich weiß nicht genau, von wo überall meine Wurzeln stammen. Vielleicht gibt es ja neben den sorbischen und hugenottischen auch Wurzeln bei den Sinti oder Roma. In jedem Fall aber bin ich Weltbürger mit allen Sinnen. Von Beruf bin ich Diplom-Sozialpädagogin. 1966 wurde ich in Magdeburg als erstes Kind meiner Eltern geboren. Damals ahnte wohl niemand der Betroffenen, dass meine Leidenschaft einmal zu meinem Beruf würde. Aufgewachsen bin ich in Haldensleben, einer kleinen Stadt in der Nähe von Magdeburg. Meine Urgroßmutter erzählte mir manchmal über meinen Urgroßvater hinter vorgehaltener Hand: „Er muss wohl ein Zigeuner gewesen sein.“ Für meine Urgroßeltern spielte das aber keine Rolle, sie waren in großer Liebe miteinander verbunden. Doch Urgroßvater ist leider schon tot und ich kann ihn nicht mehr fragen. Am Tag meiner Einschulung trug ich nicht nur stolz eine große Zuckertüte, sondern hatte die blonden Haare zu zwei Zöpfen geflochten – jeweils rechts und links am Kopf zwei große Schleifen im Haar. Manche der Mädchen meinten, ich sähe aus wie eine Russin. Das hat mich noch stolzer sein lassen, denn ich fand meine Zöpfe schön. 40 1984 legte ich das Teilabitur, heute würde man Fachabitur sagen, ab. Ich war voll integriert in die Kinder- und Jugendarbeit und studierte dann am Zentralinstitut der Pionierorganisation in Droyßig bei Zeitz. Schnell erlangte ich die Lehrbefähigung in Musik und Deutsch für die Klassen 1 bis 4. Mit Enthusiasmus arbeitete ich ab 1988 in der Pionierrepublik am Werbellinsee bei Berlin. Hier erlebte ich auch die politische Wende und konnte zunächst nicht begreifen, dass es nun die Pionierrepublik nicht mehr geben sollte, denn dadurch verlor ich meine Arbeit. Im Sommer 1989 lernte ich meinen arabischen Mann kennen, und im Sommer darauf schenkte ich meiner Tochter Anna das Leben. Genau ein Jahr später begab ich mich zur Auswanderung in den Persischen Golf nach Bahrain. Als Musiklehrerin arbeitete ich in einer deutschen Schule, die sich in Saudi-Arabien befand. Das bedeutete, dass ich jeden Samstag mit zwei Schülern über die Grenze ging zu weiteren zwanzig Schülern, die schon immer ganz ungeduldig auf uns warteten. Bald stellte sich heraus, dass Anna gesundheitliche Probleme bekam wegen des heißen Klimas. So ging ich mit ihr allein zurück nach Deutschland, und das Weihnachtsfest 1991 verlebten wir wieder in Magdeburg. Die Ehe mit Annas Vater zerbrach, er wollte nicht zurück nach Deutschland, sondern blieb ohne uns in Bahrain. Von Februar bis November 1992 absolvierte ich eine Umschulung zur Suchtberaterin, und ab Februar 1993 arbeitete ich für ein halbes Jahr im Asylbewerberheim in Wetzlar. Über eine kurze Tätigkeit im Wetzlarer Frauenhaus kam ich zu einem evangelischen Kinderheim in Rechtenbach. Dort waren auch ausländische – hauptsächlich türkisch/ kurdische Kinder untergebracht, mit denen ich ihren muslimischen Glauben gemeinsam lebte. Ich brachte ihnen das muslimische Beten bei. Weiter kümmerte sich dann die Jugendhilfe um diese Kinder, bis sie letztendlich im angemessenen Alter eine Berufsausbildung durchlaufen konnten, und möglichst mit einem anerkannten Abschluss. Von 1994 bis 1995 war ich dann wieder in Wetzlar in der Suchtberatung tätig. In Wetzlar lernte ich meinen zweiten Mann (einen Algerier) kennen. Wir feierten Hochzeit und wenig später – im August 1995 – wurde unsere Tochter Mina geboren. Ich war sehr traurig, als ich Klarheit darüber hatte, dass die Diskrepanzen zwischen uns zunahmen – besonders nach der Geburt unserer Tochter – und letztendlich zum Bruch der Ehe führen sollten. Sein Verhalten eskalierte, weil es auch schwierig war für ihn, eine qualifizierte Arbeit in Deutschland zu finden. Sein Hass und Frust entlud sich an mir. Ich ging so schnell als möglich zurück nach Magdeburg zu meinen Eltern. Ich hatte beide Töchter – Anna und Mina – dabei und reichte umgehend die Scheidung ein. 41 Im Frühjahr 1997 begann ich das Studium der Sozialpädagogik mit dem Ziel, es als Diplom- Sozialpädagogin abzuschließen. Während des Studiums lernte ich bald meinen dritten Mann kennen. Es war eine schöne Zeit, denn mitunter besuchten wir die gleichen Vorlesungen oder saßen in den gleichen Seminaren. Er ist gebürtig aus Niedersachsen. Am 26. November 1999 war die Hochzeit und am 28. Dezember wurde unser Sohn Rutger geboren. Ende 2002 schenkte ich unserer Tochter Esther das Leben. Gerade wegen oder trotz der Kinder hielt ich durch und schloss 2003 mein Studium ab, denn es war durchaus nicht einfach, allen familiären Verpflichtungen gerecht zu werden. Im Sommer 1997 war ich noch einmal am Werbellinsee. Aus dem ehemaligen Pionierlager ist eine Europäische Jugenderholungs- und Bildungsstätte GmbH geworden. Sie liegt direkt am Werbellinsee inmitten des Bioreservats Schorfheide-Chorin (nördlich von Berlin) und hat eine Kapazität von etwa 1000 Betten; also ziemlich groß und mit internationaler Betreuung. Seit 2005 arbeite ich im Flüchtlingsrat. Meine Mitarbeit im sozialen Bereich erfüllt mich voll und ganz, denn hier kann ich die politische Arbeit mit der künstlerischen Tätigkeit verbinden. Ich kümmere mich um die Belange der Flüchtlinge und bin ihnen behilflich mit und bei Beratungen oder leite sie an die entsprechenden Beratungsstellen weiter. Ein Ergebnis meiner Flüchtlingsarbeit ist die Gründung der Kindertanzgruppe „Kinder des Windes“. Meine sechsjährige Tochter Esther ist auch mit in dieser Tanzgruppe, die ich ehrenamtlich leite. Es gibt schon hin und wieder Gelegenheiten, wo wir auftreten können. Unser Programm heißt „Verschwindet!“ Es erzählt die Geschichte der Sinti und Roma. Der Erlös unserer Veranstaltungen geht auf ein Konto beim Flüchtlingsrat, denn wir sparen für ein Probenlager in Günthersberge. Anregungen zur Gestaltung der Tänze hole ich mir beim Ansehen von Filmen oder auch beim Lesen. Märchen, die Geschichten um Harry Potter oder Romane mit historischem Bezug – sogar Religionsgeschichten und Schilderungen über die Kreuzzüge im Mittelalter – finde ich spannend. Alles das kann mich inspirieren. Auch in der Natur finde ich Anregungen. Ich liebe rote Blüten – Rosen, Nelken und vor allem roten Klatschmohn, aber auch Vergissmeinnicht finde ich ganz schön. Und Sonnenblumen – die liebe ich besonders. Und Birken und Weidenbäume – sie haben etwas Zauberhaftes an sich, sind fest verwurzelt, bieten Schutz und sind doch so geheimnisvoll. Sie haben ein filigranes Aussehen, und gerade das ist der geheimnisvolle Teil meiner slawischen Seele. Birken verbinde ich gern mit russischen Märchen und Filmen. Birken haben etwas Trauriges und zugleich Erhabenes – und sie strahlen Ruhe und Weisheit aus. Gleiches sagt man ja bekanntermaßen auch von Eulen. 42 Weidenbäume sind für mich ein magischer Ort, an dem ich Kummer abladen kann. Manchmal stelle ich mir vor, in einer Weide zu wohnen.“ Gedankenverloren schaut sie in die Ferne. Um unser Gespräch fortzusetzen, erzählte ich Karina von meinem Erlebnis im Kloster Helfta: „Dort gibt es einen schneckenförmig angelegten Kräutergarten, in dem sich außer vielen duftenden Blumensorten auch Bänke und Weiden befinden. Diese Weiden sind zu kleinen Hütten geflochten, in denen nur ein einziger Mensch Platz findet. Es war an einem glühend heißen Hochsommertag, als ich das Kloster besuchte und die Mittagssonne brannte erbarmungslos auf die Besucher nieder. Flugs verschwand ich in solch einem Weidenhäuschen und betrachtete die Welt durchs grüne Blätterwerk. Die fächelnde Kühle im Häuschen empfand ich als äußerst angenehm und genoss den Blick nach draußen in die flirrende Hitze wie ein Vogel aus der Tarnung der Blätter.“ Karina lacht und meint, wenn sie sich etwas wünschen dürfte, wollte sie im nächsten Leben ein Vogel sein. Und sie erzählt weiter: „Gern lese ich keltische und irische Geschichten – die sind oftmals sehr mystisch und gruselig. Ich wünsche mir eine Welt ohne Krieg. Ich sehne mich nach Zweisamkeit und Geborgenheit, wohl wissend, dass nicht alle Träume in Erfüllung gehen. Alles kann ich ertragen, nur keine Ungerechtigkeiten. Und aufregen bis zur Weißglut kann ich mich über Handeln wider besseren Wissens, und auch über Leute, die aus der Vergangenheit nichts lernen. Denn um das Morgen zu verstehen, muss ich das Heute begreifen und aus der Vergangenheit lernen. Aufregen kann ich mich auch darüber, wenn Menschenrechte nicht beachtet werden. Das ist doch etwas Fundamentales, sollte man glauben, doch das Gegenteil ist der Fall! Im vergangenen Sommer war ich mit den Kindern und meinen Eltern in Dänemark in Blavand. Die Nordsee hat so eine raue, schöne Herbheit, die ich besonders mag. Manchmal träume ich einen Traum: Ich will mit Anna nach Irland reisen und durch die Pups gehen mit meiner Gitarre und Anna hätte ihre Geige dabei. Ein andermal träume ich mich nach Indien. Dort möchte ich nur mit einem Rucksack durch die menschenvollen Straßen laufen. Ich liebe die orientalischen Menschen und ihre Kleidung, sie vermitteln mir ein Stück Heimat. Bei diesen Gerüchen, diesen Tönen und Bildern ist etwas Vertrautes. Und vielleicht gehöre ich ja auch dorthin, denn wie Urgroßmutter schon leise zu mir sagte: ´Urgroßvater war doch Zigeuner´. Gitarrespielen und Singen ist für mich d i e Entspannung von den täglichen Pflichten und Sorgen. Und wenn es mit jemandem Kummer gibt, dann schreibe 43 ich einen Brief an diejenige Person, einerlei, ob ich den Brief jemals abschicke. Mitunter lese ich dann den Inhalt einer guten Freundin vor. Gefühle und Liedersingen sind bei mir eng verbunden, damit ich schnell von der berühmten ´Palme´ wieder herunterkomme. Ich denke, meine Vorfahren – insbesondere Großmutter und Urgroßmutter – hatten spezielle Stärken, die mir auf meinem Lebensweg zugute kommen. Abgesehen davon, dass mich der Gedanke an Che Guevara als die Reinkarnation von Jesus absolut fasziniert, so verehre ich auch Rosa Luxemburg. Diese Frau hatte einen großen Freiheitsgedanken. Sie ist mein Vorbild wenn sie sinngemäß formuliert: „Wer nicht kämpft, hat schon aufgegeben.“ Zwischen den alltäglichen Kämpfen träume ich mich in Märchen hinein, erfinde auch selbst welche, die ich nebenbei aufschreibe. Irgendwann will ich sie als Buch veröffentlichen. Träumen und Tanzen, das tut gut. Ich tanze gern auf Mittelaltermärkten und erzähle Märchen und Geschichten aus dieser Zeit, die außer Kriegen auch viel Mystisches in sich birgt. Die Gewandung im mittelalterlichen Stil nähe ich zum Teil selbst.“ Karina hebt ihre Rockkante und deutet auf die dünnen Lederschuhe an ihren Füßen: „Diese Mittelalter-Bundschuhe habe ich auch selbst hergestellt – aus Leder natürlich. Man braucht dazu ein Stück zugeschnittenes Leder, eine Lochzange, Schere, Lederband oder lange Schnürsenkel. Diese Art RömerSchuhe oder Wikinger-Schuhe dienen mir als Tanzschuhe. In Magdeburg – der einst bedeutsamen Stadt im Mittelalter – lebe ich wirklich gern, sie ist ja schließlich auch meine Geburtsstadt. Magdeburg ist für meine Begriffe eine schöne Stadt. Warum? Ja, hier ist der Dom und um ihn herum stehen Häuser, die interessante Geschichten erzählen. Auch die FestungMark hat für mich etwas Mystisches. Unser Stadtpark Rotehorn auf der Elbinsel ist die größte Parkanlage in Magdeburg. Dort gehe ich gern spazieren – unter den alten Bäumen, die schon eine Menge erlebt haben. Und besonders reizvoll ist dabei immer wieder der Blick auf die Elbe. Es ist viel Grün in der Stadt. Einmal flog ich mit meinen Eltern in einer kleinen Maschine über Magdeburg. Es war herrlich anzusehen, wie viel Parkanlagen in Magdeburg sind. So viele grüne Flächen hat kaum eine andere Stadt. Ich hab mich sofort noch mal in meine Heimatstadt verliebt. Leider verläuft das Leben aber nicht nur im romantischen Schwärmen. Ich habe mir vorgenommen, das begonnene Masterstudium zu Ende zu bringen. Meine Masterarbeit hat zum Thema ´Kinderrecht´ mit Schwerpunkt ´Flüchtlingskinder´. Diese Arbeit soll mir dienen, auch meine Kinder auf den rechten Weg zu bringen. 44 Nebenbei schreibe ich je nach Lust und Laune meine eigenen Geschichten auf. Das geschieht in der Küche beim Rauchen, und so entsteht mein „Küchenroman“. Interessant als Titel klingt aber auch „Das Spielzeuggeheimnis“, ich werde es Anna widmen. Nun, mal sehen, was daraus wird. Wichtig ist, zuerst die Masterarbeit zu schreiben. In der Küche entstehen aber nicht nur Geschriebenes und Zigarettenqualmwolken, sondern auch meine Lieblingsgerichte. Dazu gehören: Empanadas Zutaten:1 Paket Blätterteig aus der Kühltruhe, oder selbst hergestellter Quarkblätterteig: Zutaten: 250 g Mehl, 1 Päckchen Backpulver , 1 Prise Salz, 250 g Schichtkäse oder trockener Quark, 250 g Butter Zubereitung (Teig): Mehl, Backpulver in eine Rührschüssel geben. Schichtkäse oder Quark durch ein Sieb streichen, zum Mehl geben, die kalte Butter in Flöckchen darauf verteilen. Zutaten schnell zu einem Knetteig verarbeiten, bis er gänzlich glatt ist. Quarkblätterteig kann man bereits 1 bis 2 Tage vor dem Backen zubereiten und im Kühlschrank aufbewahren. Vor dem Backen das Backblech nur mit Wasser benetzen (nicht mit Fett einstreichen!). Die Backtemperatur beträgt 190° C im vorgeheizten Ofen, die Backzeit etwa 20 Minuten. Achtung! Bei niedrigen Temperaturen tritt das Fett aus, ohne dass der Teig blättrig aufgeht. Zutaten (Füllung): 500 g Hackfleisch vom Rind , 2 große Zwiebeln , 6 Knoblauchzehen 1 EL Olivenöl , 1 Dose gehäutete Tomaten , 1 Dose Mais ,Salz , Pfeffer . Chili Zubereitung (Füllung): Zwiebeln und Knoblauch schälen, in kleine Würfel schneiden und in einer Pfanne im heißen Olivenöl anbraten. Passierte Tomaten und abgetropften Mais hinzugeben und weiter braten. Das Hackfleisch hinzugeben und mit Salz, Pfeffer und Chili abschmecken. Etwa 6 Minuten weiter braten und gut umrühren. Von der Kochstelle nehmen und abkühlen lassen. Zubereitung (Empanadas): Den mehrfach zusammengelegten Teig und die schließlich ausgerollte Teigplatte (2 cm dick) in Quadrate schneiden (Kantenlänge 15 cm). Auf jedes Teigstück einen Esslöffel von der abgekühlten Füllung geben. Dann zum Rechteck klappen und die Kanten gut zusammendrücken, damit sie beim Backen nicht auseinander gehen und die Füllung herausläuft. Die Empanadas auf ein mit Wasser benetztes Blech legen und bei 200° C für 25 Minuten backen. Als Füllung kann auch Spinat mit Frischkäse oder Spinat mit Gorgonzola genommen werden, schmeckt ebenfalls ganz lecker. Lateinamerikanische Spezialitäten, aber auch Kus-Kus, oder Kürbissuppe in tausend und einer Variante sind meine Lieblingsgerichte. Ja, und ich backe gern Kuchen, deshalb darf der „Tassenkuchen“ an dieser Stelle nicht fehlen. Erstaunt und ungläubig schaue ich auf. Frau F.S. versteht meine Zweifel und lacht. Das ist eine besondere Art Rührkuchen. Die Herstellung ist ganz einfach und … dieser Kuchen gelingt immer. Zutaten: 4 Eier, 3 Tassen Mehl 2 Tassen Zucker, 1 Tasse Öl, 1 Tasse Wasser (möglichst Sprudelwasser) , 1 Päckchen Backpulver . Gewürze können sein Zimt, Kardamom, 45 Kokosraspeln, Kakao, löslicher Kaffee (1 EL), geriebene Haselnüsse oder geriebene Mandeln. Zubereitung: Alle Zutaten gut miteinander verrühren, bis ein glatter Teig entsteht, das Backpulver immer zum Schluss dazugeben. Variante 1: Teig in eine Gugelhupfform geben und für 50 Minuten backen bei 200° C Variante 2: Teig in eine Springform geben, glatt streichen und darauf abgetropfte Sauerkirschen (500 g) oder klein geschnittene Äpfel (500 g) verteilen. Im Backofen bei 200° C für 45 Minuten backen. Variante 3: Teig in eine Springform geben, glatt streichen und bei 200° C für 30 Minuten backen. Zum Kindergeburtstag mit Zuckerguss bestreichen und damit bunte Gummibärchen aufkleben.“ Ich frage Karina, ob sie in ihrem Leben etwas anders machen würde, wenn sie die Zeit zurückdrehen könnte. „Nein“, antwortete sie gelassen, „prinzipiell nicht, bis auf den Vater meiner zweiten Tochter. Den hätte ich mir erspart, wenn ich das alles zuvor gewusst hätte. Ich hätte mein ´Bauchgefühl´ ernster nehmen sollen, eher reagieren sollen. Das lange Warten bis zum Handeln ist falsch; ich sollte wirklich meine eigenen Befindlichkeiten ernster nehmen. Damit meine ich nicht, ob ich entscheide, einen feinen Cappuccino, einen Espresso, oder Arabischen Kaffee mit Kardamom zu trinken oder gar einen trockenen Rotwein. Das sagt mir mein Gefühl im Bauch – jeden Tag. Nein, ich meine damit die wichtigen Entscheidungen im Leben wie Bleiben oder Gehen. Wir sind doch am Ende die Summe unserer Entscheidungen. Meine Lieblingsfarbe ist Rot. Roter Klatschmohn, rote Nelken … einfach herrlich! Schon als Kind trug ich gern Kleidung in roter Farbe. Beim orientalischen Tanz sind es eher Farben wie Orange oder Weinrot. Tanz ist meine sportliche Betätigung. Den orientalischen Tanz erlernte ich 1998 an der FH in Magdeburg. Schon in meiner Schulzeit war ich in einer Volkstanzgruppe im AMO dabei. Dann wechselte ich 1981 in eine Theatergruppe und wand mich der Schauspielerei zu. Das Singen, Tanzen und Musizieren wurde nie wirklich zu meinem Hauptberuf, aber es hilft mir bei der Bewältigung von Stress und widerspiegelt meine Lebensfreude. Eigentlich bin ich mit meinem Leben zufrieden und möchte es auch nicht von vorn beginnen, selbst wenn ich die Chance dazu hätte. Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie mich hinfallen ließen, um selbst wieder aufzustehen. Ich will zwar selbst entscheiden, nehme aber gern eine helfende Hand an. Ich musste selbst herausfinden, was ´gut´ und was ´böse´ ist. Das ist die ´Würze´ des Lebens, ohne die wir nicht reifen.“ 46 Glossar Ο AMO: Kulturhaus in Magdeburg, ehemals Sitz der sowjetischen Militärkommandantur Ο Camp Bondsteel: Militärbasis der United States Army mit dem Hauptquartier des US-amerikanischen KFOR-Kontingents (MNTF-E) in Uroševac im Kosovo. Die Basis trägt aus dem Vietnamkrieg den Namen des Veteranen James Leroy Bondsteel, und ist die größte ihrer Art, welche die USA seit dem Vietnamkrieg bauten. Dieser Stützpunkt wurde nach dem Einmarsch von NATO-Truppen in das Kosovo im Juni 1999 errichtet. Ο Casel: Mantel des Bischofs Ο dt.: deutsch Ο EU: Die Europäische Union ist ein aus 27 europäischen Staaten bestehender Staatenverbund Ο EULEX: European Union Rule of Law Mission in Kosovo. Ziel von EULEX ist es, eine multi-ethnische Polizei aufzustellen. Ο FH: Fachhochschule Ο Julianischer Kalender wird von der Russischen und der Serbischen Orthodoxen Kirche, vom Patriarchat von Jerusalem und von einigen Klöstern auf dem heiligen Berg Athos sowie von der Äthiopischen Kirche verwendet. Ο KFOR: Die Kosovo-Truppe (engl. Kosovo Force) wurde im Jahre 1999 nach Beendigung des Kosovo-Krieges aufgestellt und ist die multinationale militärische Formation unter der Leitung der NATO. Ihr obliegt die Sorge – gemäß der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 10. Juni 1999 beschlossenen Resolution 1244 – für ein sicheres Umfeld für die Rückkehr von Flüchtlingen. Das Hauptquartier befindet sich in Priština, der Hauptstadt von Kosovo. Ο lat.: lateinisch Ο LDK: Kosovische Befreiungsliga Ο Mitra: Kopfbedeckung des Bischofs Ο NATO: North Atlantic Treaty Organization, deutsch: NordatlantikvertragOrganisation 47 Ο NS: Nationalsozialisten Ο OSZE: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist eine stetige Staatenkonferenz zur Friedenssicherung und ging aus der 1975 mit der Schlussakte von Helsinki zu Ende gegangenen Konferenz hervor. Die OSZE wurde zum Hauptinstrument zwecks Frühwarnung, Konfliktverhütung, Krisenbewältigung sowie Normalisierung der eskalierten Situation Ο SA: Sturmabteilung, zur Zeit des Nationalsozialismus Ο Schisma: lat.; dt. Glaubensspaltung Ο SS: Schutzstaffel, zur Zeit des Nationalsozialismus; SS-Totenkopfverbände waren für Konzentrationslager verantwortlich Ο Tammus-Kult: Tammuz (hebräisch) ist eine altorientalische Gottheit, ist Hirte und Geliebter der Göttin Inanna von Uruk, die ihn den Dämonen der Unterwelt preisgab. Deshalb gilt er als Gott der Unterwelt. Auch gilt er – ähnlich dem westsemitischen Adonis – als Gott der Fruchtbarkeit. Lange vor dem Christentum gab es Frühjahrsfeste, welche die Auferstehung verstorbener Gottheiten feierten. Eine der wichtigsten Feiern war die zu Ehren von Tammus, dem babylonischen „Gott der Weiden, der Herden und der Vegetation. Er war der Gatte und Bruder von Ischtar (Aschera), der Göttin der Fruchtbarkeit. Babylonische Epen erzählen die Geschichte des jährlichen Sterbens von Tammus im Herbst, wenn die Vegetation zurückgeht und er in der Unterwelt verschwindet. Dabei lässt er Ischtar zurück, die solange um ihn trauert, bis seine Rückkehr im Frühling zur befruchteten Oberwelt gewiss ist. (Harper’s Bible Dictionary, 1961, Abschnitt „Tammus“). Die Babylonier lehrten, dass Tammus durch den Schmerz und das Weinen von Ischtar im Frühling mystisch wiederbelebt wurde. Ischtar ist identisch mit der heidnischen Göttin Astarte (Richter 2,13; 10,6; 1. Könige 11,5). Dieser alte Brauch der Trauer für die Rückkehr eines toten Gottes wird in Hesekiel 8, Vers 14 erwähnt, und dass Frauen „den Tammus beweinten“. Seine Auferstehung markierte das Ende des Winters und den Beginn des Frühlings mit neuem Leben und Pflanzenwuchs. Ischtar – die Gemahlin von Tammus – verehrte man als „Himmelskönigin“ (Harper’s Bible Dictionary, 1961, Abschnitt „Aschera“). Götzendienst und Sonnenanbetung im Zusammenhang mit Ischtar und Tammus waren weit verbreitet. Diese Bräuche wurden von Menschen praktiziert, die einst den wahren Gott kannten, doch falsche Praktiken der Anbetung benutzten (Hesekiel 8,12-18; Jeremia 7,18; 44,17-23). 48 In anderen Gegenden wurde Tammus unter dem Namen Adonis in einer jährlichen Feier verehrt. Man beweinte seinen Tod und feierte seine Auferstehung. Der Kult durchdrang die Bräuche christlicher Landarbeiter, die über den verlorenen Adonis weinten und im Frühjahr an ausschweifenden Festlichkeiten teilnahmen“ (Harper’s Bible Dictionary, 1961, Abschnitt „Tammus“). Ο UÇK: Ushtria Çlirimtare e Kosovës – „Befreiungsarmee des Kosovo“ – war eine albanische paramilitärische Organisation, die für die Unabhängigkeit des Kosovo kämpfte. Ο UNDP: Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (engl. United Nations Development Programme, UNDP, franz. Programme des Nations Unies pour le développement, PNUD) ist ein Exekutivausschuss innerhalb der UNGeneralversammlung. Der Administrator ist das dritthöchste Amt innerhalb der Hierarchie der Vereinten Nationen (UN) unmittelbar nach dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und seinem Stellvertreter. Der UNDP Exekutivausschuss besteht aus Repräsentanten von 36 Ländern, die nach dem Rotationsprinzip eingesetzt werden. Der Hauptsitz ist in New York City. Das UNDP wird aus freiwilligen Beiträgen der UN-Mitgliedstaaten finanziert. Ο UN: engl. United Nations, auch UNO für United Nations Organisation – dt.: Organisation der Vereinten Nationen – sind der Zusammenschluss von 192 Staaten und als globale Internationale Organisation uneingeschränkt anerkanntes Völkerrechtssubjekt. Die wichtigsten Aufgaben der Organisation sind Sicherung des Weltfriedens, Einhaltung des Völkerrechts, Schutz der Menschenrechte und Förderung der internationalen Zusammenarbeit. Ο UN-Protektorat: Der Kosovo ist formal eine serbische Provinz, faktisch seit über zweieinhalb Jahren ein UN- Protektorat der Vereinten Nationen mit dem Ziel der Befreiung von Unterdrückung, Schutz der Menschenrechte, Demokratie und wirtschaftlicher Selbständigkeit. Ο UNMIK: wurde vom Sicherheitsrat am 10. Juni 1999 Resolution 1244 als UNO-Friedensmission für die Wiederherstellung und den Wiederaufbau des Kosovo eingerichtet. Sie soll die Provinz auf Wahlen und schließlich auf ihre Autonomie vorbereiten. 49 Bibliografie - Baum, Wilhelm: Kaiser Sigismund. Konstanz, Hus und Türkenkriege. Graz/ Wien/ Köln; 1993 - Gjerqeku, Enver (* 1928), Lyriker, der die klassischen Formen bevorzugt. - Grunebaum v., Gustav Edmund: Die islamischen Reiche nach dem Fall von Konstantinopel. Fischer Weltgeschichte Bd. 15 Islam II. Augsburg 1998 (Weltbild Lizenzausgabe) S. 32f. - Majoros, Ferenc und Rill, Bernd: Das Osmanische Reich 1300–1922. Die Geschichte einer Großmacht. Marix Verlag GmbH, Wiesbaden 2004 - Matuz, Josef: Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte. Primus Verlag, Darmstadt 1996 - Mehmeti, Din (* 1932) gilt als Vertreter moderner albanischer Lyrik. - Mekuli, Esad (* 1916; † 1993), Lyriker, gründete 1949 die erste albanischsprachig Literaturzeitschrift Jugoslawiens Jeta e re (dt. Neues Leben), die er bis 1971 als Chefredakteur leitete. - Pashku, Anton (* 1938; † 1995), Kurzgeschichten, Romane und Dramen, er gilt als Meister psychologischer Darstellung in Anlehnung an Franz Kafka und Robert Musil. - Podrimja, Ali (* 1942), moderner Lyriker, bekannt in Kosovo und Albanien als Vertreter moderner Lyrik. - Rrahmani, Nazmi (* 1941) schildert in seiner Prosa das kosovo-albanische Dorfleben. - Schneidmüller, Bernd/ Weinfurter, Stefan (Hrsg.): Die deutschen Herrscher des Mittelalters, Historische Porträts von Heinrich I. bis Maximilian I. Verlag C. H. Beck, München 2003 - Shkreli, Azem (* 1938; † 1997) Lyriker und Prosaist, thematisierte in seinen frühen Versen das Leben der Bergbewohner. - Sulejmani, Hivzi (* 1912; † 1975), seine Kurzgeschichten und Romane fanden große Beachtung. 50