Unser Himmel ist anders…

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Unser Himmel ist anders…
Uta Luise Zimmermann-Krause, Heike Ponitka, Ekrem Tahiri
„Unser Himmel ist
anders…“
RomaFrauen in Magdeburg
Gesellschaft für Mitteldeutsche Kultur e.V.
Amt für Gleichstellungsfragen Landeshauptstadt Magdeburg
Ausländerbeirat der Landeshauptstadt Magdeburg
HerausgeberInnen:
Amt für Gleichstellungsfragen und Ausländerbeirat der Landehauptstadt
Magdeburg
Gesellschaft für Mitteldeutsche Kultur e.V.
Texte: Uta Luise Zimmermann-Krause, Heike Ponitka, Ekrem Tahiri
Fotos: Ariane Weber
Kontaktadressen:
Landeshauptstadt Magdeburg
Der Oberbürgermeister
Amt für Gleichstellungsfragen
Altes Rathaus, Alter Markt 6
39104 Magdeburg
Tel. 03 91/ 5 40 22 05, FAX: 03 91/ 5 40 27 28
e-mail: [email protected]
www.frauen-magdeburg.de
Gesellschaft für Mitteldeutsche Kultur e.V.
e-mail: [email protected]
www.gmk-magdeburg.de
Ausländerbeirat der Landeshauptstadt Magdeburg
Alter Markt 6
39104 Magdeburg
Tel. 03 91/ 5 40 23 82
Magdeburg, 2009
Landeshauptstadt
Magdeburg
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Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorwort…………………………………………………………………....…..3
Lied des Flüchtlings……………………………………....…………………...5
Historisches zum Weg der Sinti und Roma………………………....………....6
„Es tut mir unbeschreiblich weh, wenn ich an meine Heimat denke..“
Im Gespräch mit Frau Rosalia F., 60 Jahre.................................................... 19
„Weißt du, meine Freundinnen heirateten schon mit fünfzehn …“
Im Gespräch mit Frau Aurea B., 41 Jahre...................................................... 22
„Erich Kästner lesen, dazu ein Glas Coca Cola…“
Im Gespräch mit Frau Ingela D., 17 Jahre ..................................................... 25
„Viele Häuser in Magdeburg erinnern mich an den Kosovo…“
Im Gespräch mit Frau Manuela J., 28 Jahre................................................... 28
„Mich ärgert, wenn die Leute das Schimpfwort ´Zigeuner´ verwenden…“
Im Gespräch mit Frau Antigona L., 33 Jahre................................................. 30
„In Lesen und Mathematik bin ich Klassenerste.“
Im Gespräch mit dem Mädchen Belinda N., 12 Jahre ................................... 35
„Manchmal stelle ich mir vor, in einer Weide zu wohnen.“
Im Gespräch mit Frau Karina S., 42 Jahre……………………………….....40
Glossar.............................................................................................................. 47
Bibliografie....................................................................................................... 50
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Vorwort
Die vorliegenden Interview-Texte erzählen über Lebenswege von RomaFrauen,
die aus dem Kosovo kamen und mit ihren Familien seit der Jahrtausendwende in
Magdeburg leben. Sie schildern die Vergangenheit der Frauen und zeigen, wie
Alltag und Leben in der neuen Heimat gestaltet wird, beschäftigen sich mit
Fragen und Antworten zu dem was war, was ist und was sein könnte.
Viele Asylantinnen/ Asylanten beschließen schweren Herzens immer wieder, da
Krieg im eigenen Heimatland ist, die Flucht und suchen in Deutschland ein
neues Zuhause - so auch sechs Frauen aus dem Kosovo, die in diesem Buch
vorgestellt werden. Eine interviewte Frau ist Magdeburgerin, unterstützt die
Frauen aus dem Kosovo seit Jahren und geht ihren eigenen „RomaWurzeln“
nach.
Ziel der Befragung der Frauen und Mädchen war es, das Miteinander der
Familien zu zeigen - aber auch ihre eigenen Erfahrungen und Traditionen. In
Magdeburg wird Integration, die auch zukünftig zu lösen ist, mit vielfältigen
Mitteln gefördert. Zum Beispiel durch das hohe Engagement von Menschen in
multikulturellen Vereinen und Arbeitsgruppen, vielfältige Beratungsstellen für
Migrantinnen/ Migranten, die ehrenamtliche Arbeit des Ausländerbeirates
(zukünftig Integrationsbeirat) und ein neues Integrationskonzept.
Erfahrungen, die die Frauen in dieser Stadt persönlich machen, spiegeln noch
eine andere Seite wider. Die Lebensbedingungen der Frauen mit Migrationshintergrund unterscheiden sich von denen der Männer. So muss der Zugang zur
Arbeit und zu Sprachkursen anders gestaltet werden, und die Aufarbeitung von
Kriegserlebnissen oder der Verlust von Familienangehörigen benötigt einen
eigenen geschlechterspezifischen Umgang.
Die Interviews entstanden 2009 im Rahmen eines Kooperationsprojektes
zwischen dem Amt für Gleichstellungsfragen und dem Ausländerbeirat der
Landeshauptstadt Magdeburg sowie der Gesellschaft für Mitteldeutsche Kultur.
Frau Uta Luise Zimmermann-Krause (Freie Autorin und Journalistin) traf sich
mit den sieben Frauen in ihrem zu Hause und befragte sie zu ihrem Leben. Sie
erstellte auch die Übersicht zum langen Weg der Sinti und Roma in der
Geschichte Europas und die Situation im Kosovo heute.
Im Rahmen der Frauenaktionstage luden wir die RomaFamilien und die Gruppe
„Kinder des Windes“ in das Magdeburger Rathaus ein, um gemeinsam über die
entstandenen Porträts zu reden. Im Herbst 2009 diskutierten wir mit
Magdeburgerinnen und Magdeburgern bei einer Lesung im „Cafe Rossini“ im
Opernhaus die besondere Situation der Frauen und Mädchen aus dem Kosovo in
dieser Stadt.
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Unterstützung beim Zustandekommen der Gespräche und der Kommunikation
überhaupt gab Ekrem Tahiri, selbst Flüchtling aus dem Kosovo und von Beruf
Journalist und Dolmetscher, der seit 2004 stellvertretender Vorsitzender des
Ausländerbeirates in Magdeburg ist.
Das nun vorliegende Ergebnis macht Mut und ist ein wertvoller Ansatz zu
weiteren Arbeiten und Initiativen.
Heike Ponitka
Ekrem Tahiri
Amt für Gleichstellungs- Ausländerbeirat
fragen LandesMagdeburg
hauptstadt Magdeburg
Uta-Luise Zimmermann Krause
Gesellschaft für Mitteldeutsche
Kultur e.V.
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Lied des Flüchtlings
... wenn Krieg ist in meiner Heimat,
und wenn Gewalt meine Hoffnung zerstört,
wenn mir Herz und Seele bluten,
und wenn es ein Abschied für immer ist,
dann nehm´ ich mich und geh´.
Wenn ich wo anders
ein neues Zuhause finde,
bleibe ich für immer in der Fremde.
Ich treffe Menschen,
die meine Freunde werden und
wenn wir zusammen sind,
unsere Geschichten erzählen,
dann ... ja, dann wird mir das Herze weit und
ich fühle – ich bin zu Haus.
(Uta Luise Zimmermann-Krause)
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Historisches zum Weg der Sinti und Roma
UTA LUISE ZIMMERMANN-KRAUSE
Ansiedlungen von Sinti und Roma in früher Zeit
Vor mehr als eintausend Jahren siedelten die Vorfahren der Sinti und Roma im
Nordwesten Indiens, bis sie eines Tages über Persien und Armenien zogen zum
griechisch geprägten Südosteuropa. Die ethnische Gruppe der Sinti zählt zur
historisch älteren RomaGruppe, die in Deutschland lebt. Vor etwa 700 Jahren
entzogen sich die Sinti der Sklaverei und wanderten von Südosteuropa nach
Westeuropa. Hier arbeiteten Frauen und Männer als Musiker, Geigenbauer,
Händler, Schmiede sowie Hufschmiede, Goldschmiede oder Kesselflicker. Auch
das Bearbeiten von Leder beherrschten sie hervorragend. Die Bezeichnung
„Sinti“ leitet sich wohl von der indischen Provinz Sind und dem Fluss Sindhu
ab. Die Sprache der Sinti und Roma ist „Romanes“ und hat ihren Ursprung im
Sanskrit.
Vorfahren der deutschen Sinti lebten bereits um das Jahr 1400 in Mitteleuropa.
Deutschland, Österreich, Norditalien, Slowenien, Böhmen, Elsass oder
Lothringen waren bevorzugte Aufenthaltsorte für sie.
Die Vorfahren der deutschen Roma verweilten länger im osteuropäischen Raum
als die der Sinti; deshalb bildeten sich über die Jahrhunderte zwei Volksstämme
heraus, die über gemeinsame Wurzeln miteinander verbunden sind.
Die ersten historischen Spuren von Roma im Gebiet des heutigen Ungarn gehen
auf die Zeit der Kreuzzüge zurück. Unter Kaiser Sigmund von Luxemburg
(Herrschaft 1410-1437, seit 1433 Römisch-Deutscher Kaiser) dienten sie im
kaiserlichen Heer und nahmen am Kreuzzug teil. Sie kämpften tapfer und
wurden wegen ihrer besonderen Verdienste befördert.
Um 1850 kamen die ersten Roma nach Deutschland. Nach dem 2. Weltkrieg
zogen sie zusammen mit Vertriebenen und Spätaussiedlern aus den ehemaligen
deutschen Ostgebieten hauptsächlich nach Westdeutschland. Ab der politischen
Wende 1989 fanden Roma aus Polen, Russland, der ehemaligen DDR (nach
dem 2. WK sowjetisch besetzte Zone [SBZ]; ab dem 7. Oktober 1949 Deutsche
Demokratische Republik) sowie aus Südosteuropa im Westteil Deutschlands ein
neues Zuhause.
Verfolgung der Sinti und Roma
Die Verfolgung der Sinti und Roma begann bereits beim Eintreffen ihrer
Vorfahren in Westeuropa und erlebte den Höhepunkt während der NaziDiktatur.
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Bereits im Mittelalter lassen sich Ansätze zur Verfolgung nachweisen. Sie gehen
auf Albrecht III. Achilles – Kurfürst von Brandenburg – zurück. Der Kurfürst
verbot 1482 den Sinti, sich in seinem Land aufzuhalten. Mit den Reichstagen
von Lindau und Freiburg (1496/97 unter Kaiser Karl V. und 1498 unter Kaiser
Maximilian I.) folgte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation diesem
Beispiel, hob den Schutzbrief Kaiser Siegmunds auf und erklärte die Sinti für
vogelfrei. Der Reichstag zu Augsburg im Jahre 1500 erneuerte nochmals den
Beschluss von 1498 gegen die „Zigeuner“.
1534 legte man die Ausweisung der Sinti aus dem Heiligen Römischen Reich
Deutscher Nation fest. Im Reichserlass von 1544 wurde die Ausweisung
bestätigt und später in die Reichsordnungen von 1548 und 1577 übernommen.
In der deutschen Kleinstaaterei kam es nicht überall zur konsequenten
Anwendung dieser Gesetze. Doch bis zum Jahre 1774 wurden weitere Edikte
gegen Sinti und Roma erlassen.
Im Dreißigjährigen Krieg (Stände- und Religionskrieg von 1618 bis 24.10.1648,
Ende durch Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück im „Westfälischen
Frieden“ zwischen Römisch-Deutschem Kaiser Ferdinand III., Frankreich und
Schweden) ließ man Roma wiederum im Heer kämpfen. Sie waren tüchtig und
wurden abermals mit Beförderung belohnt. Nach dem Krieg duldete man sie
weiterhin im Land. RomaMänner und RomaFrauen verdienten abermals ihren
Lebensunterhalt als Musikanten, Artisten, Handwerker, Künstler und Händler.
Wegen herausragender handwerklicher Fähigkeiten – vor allem in der
Goldschmiedekunst – kam es zu Unstimmigkeiten mit deutschen Handwerkern.
Diese fühlten sich benachteiligt, besonders wenn es um die Erteilung von
Aufträgen ging. Unnachgiebig bestanden die deutschen Handwerker auf die
Änderung vorhandener Gesetze. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871
berief sich das Großherzogliche Innenministerium Hessens auf das Berliner
Reichskanzleramt und wies die Kreisämter an, eingewanderten Roma die
Ausstellung von Gewerbescheinen zu versagen.
So begann 1886 der Zwangstransport für "Zigeuner ohne deutsche
Staatsangehörigkeit" zur Staatsgrenze bis zur Abschiebung. Ab 1899 forcierte
Bayern die Überwachung dieser Volksgruppe, auch wurden im Jahre 1911
Fingerabdrücke von allen Sinti und Roma genommen.
Im 1. Weltkrieg (1914-1917) kämpften in Deutschland Sinti und Roma als
Soldaten für Deutschland und erhielten für ihre Tapferkeit erneut hohe
Auszeichnungen in der kaiserlichen Armee. Viele von ihnen ließen im Kampf
ihr Leben, doch nach dem Krieg waren sie wieder ohne Arbeit und Unterhalt. In
der Weimarer Republik erließ Bayern 1926 das erste Sondergesetz zur
Erfassung von Minderheiten wie Sinti und Roma. Im Polizeipräsidium München
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richtete man eine Erfassungszentrale für ethnische Volksgruppen – mit
Aufenthalt in Deutschland – ein. Die Nationalsozialisten bezogen sich auf diese
Kartei und bereitetem so den Völkermord vor. 1936 empfahl der
Reichsinnenminister der Polizei, Razzien auf Sinti und Roma durchzuführen.
Noch im selben Jahr trafen erste Häftlinge in Dachau ein.
500.000 Sinti und Roma starben unter den Rassegesetzen der NS-Diktatur in
Konzentrationslagern. Nach dem 2. Weltkrieg wurden Zentralen eingerichtet zur
Erfassung der Sinti und Roma. Diese Merkmalskarteien der Polizei trugen die
Folge derjenigen Ziffern, mit welchen die SS in den Konzentrationslagern Sinti
und Roma tätowiert und gekennzeichnet hatte.
Im Kosovo gestaltete sich in den neunziger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts die Situation für viele Roma aussichtslos. Sie fanden weder eine
Möglichkeit zum Weiterleben, noch einen Ausweg aus der menschenunwürdigen Situation. Es blieb ihnen nur die Flucht ins Ungewisse!
Wie es den RomaFrauen und ihren Familien im Kosovo erging und was sie in
Magdeburg – ihrer neuen Heimat – vollbringen, geht deutlich aus ihren
Gesprächen hervor. Von Frauen verschiedener Generationen ist hier die Rede.
Sie kamen nach Magdeburg – und wollen bleiben. Was wünschen sie sich?
„Unsere Heimat ist Kosovo – und wir wünschen uns sehnlich, dass dort bald
Frieden herrscht. Doch die Historie der Region erzählt, dass sich schon in der
Antike unterschiedlichste Rivalen heftige Kämpfe lieferten.
Kosovo in der Antike
Im 3. Jh. v. Chr. siedelten Illyrer im Gebiet des Kosovo. Prizren war damals eine
illyrische Siedlung. Sie lag an einem Seitenweg der Via Egnatia, und später,
unter römischer Herrschaft, hieß sie Theranda. Königin Teuta – eine
willensstarke und strategisch geschickte Frau – beherrschte das Illyrische Reich.
Sie war ihrem Gemahl Agron († 231) aus dem Volksstamm der Labeaten auf
den Thron gefolgt und regierte von 231 bis 228 v. Chr. für ihren minderjährigen
Sohn. Im ersten Illyrischen Krieg 229 v. Chr. jedoch zerschlugen die Römer ihr
Reich.
Die Labeaten siedelten an der östlichen Adriaküste vom heutigen Montenegro
bis in die Gegend von Lehza im Norden Albaniens. Königin Teuta startete an
der illyrischen Küste mit ihrer Flotte Angriffe auf griechische Städte wie
Epidamnos und Phoenice. Sie konnte die Gebiete nicht einnehmen, da sie zu
gleicher Zeit Angriffe der Dardarner abzuwehren hatte. Mit ihrer Flotte
unternahm sie Plünderungszüge zwischen Butrint und Korfu. Einmal geschah
es, dass ihre Piraten auf römische Kaufleute trafen und diese ausraubten.
Demetrius – der Flottenkommandeur Teutas – hielt Korfu besetzt. Der römische
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Senat schickte eine Gesandtschaft nach Skodra in Dalmatien. Der dazu
Beauftragte forderte im Namen Roms Entschädigungen und forderte von Teuta,
die Raubzüge einzustellen. Die Königin jedoch antwortete, dass sie kein Recht
besitze, den illyrischen Seefahrern das Plündern zu verbieten.
Dem Grunde nach aber wollte sie die Plünderungen gar nicht untersagen, da die
Piraten hohe Steuern an sie zahlten. Die Königin ließ die römischen Gesandten
sofort töten. Rom nahm diesen Mord zum Anlass, ihr 229 v. Chr. den Krieg zu
erklären (Erster Illyrischer Krieg).
Mit 200 Schiffen war die römische Flotte überaus kriegstauglich und landete in
Korfu. Widerstandslos übergab Demetrius den Römern die Insel und wechselte
hinüber ins römische Lager. Als Gegenleistung durfte er die Insel der neuen
Herren verwalten. Damit war das Königreich der Labeaten beseitigt, und das
Gebiet (heute Albanien) stand unter römischer Kontrolle. Nach weiteren
Eroberungen der Römer und der Errichtung der Provinz Moesia blieb das
spätere Metochien bei Illyricum, während das Amselfeld zur Provinz Moesia
superior zählte. Theranda und das bei Priština gelegene Ulpiana galten als
wichtigste römische Siedlungen im Gebiet des Kosovo.
Während der Völkerwanderung (4. Jh./ 7. Jh.) siedelten im Kosovo Awaren und
Slawen. Sie gehörten ursprünglich zum Großbulgarischen Reich und besetzten
wichtige byzantinische Städte in Moesien und Illyrien. Maurikios (582-602) –
Kaiser von Ostrom – wollte die oströmischen Provinzen sichern und zog gegen
die Awaren und Slawen. Auch sicherte er die Nordgrenze des Reiches gegen
Barbaren und schloss im Osten mit den Persern Frieden. Damit versuchte er zu
verhindern, dass die heidnischen Slawen auf dem Balkan sesshaft würden. Doch
bald enthoben ihn politische Thronwirren seiner Macht.
Basileios II. (976-1025) – Kaiser des Byzantinischen Reiches (Oströmisches
Reich) und König von Kroatien (1019-1025) – nahm Armenien ein, besiegte den
bulgarischen Zaren Samuil und zwang den Balkan – einschließlich Kosovo –
unter byzantinische Herrschaft. Sein blutiger Krieg brachte ihm den Beinamen
Bulgaroktonos, (griech.; dt. „Bulgarentöter”) ein.
Kosovo in der Zeit der Kreuzzüge
1054 trennte sich die orthodoxe Kirche in Byzanz von der katholischen Kirche
in Rom. Papst Urban II. (* 1035; † 29.7.1099) nahm dieses Schisma zum
Anlass, die Kirchen wieder zu vereinen. Am 27. November 1095 rief er zum
Ersten Kreuzzug gegen den Islam auf.
Im Juli 1167 zur Schlacht bei Sirmium nahmen die Byzantiner Ungarn ein, und
die Besiegten wurden gegenüber dem Kaiser von Konstantinopel tributpflichtig.
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Auf byzantinischer Seite kämpften neben lombardischen Söldnern auch
serbische und walachische Einheiten. Manuel I. sicherte die Nordgrenze seines
Reiches auf dem Balkan.
Die Missionierung dieser Gebiete erfolgte von Byzanz aus. Es bildete sich das
erste serbische Reich in Kosovo und Mazedonien – auf ehemals byzantinischem
Gebiet. Byzanz erkennt die Autonomie Serbiens an unter dem serbischen
Großžupan Stefan Nemanja (1113-1200) – Begründer der Dynastie der
Nemanjić (Nemanjiden). Als byzantinischer Vasall rief er 1183 zum Aufstand
auf und eroberte mit Unterstützung Ungarns die Gebiete Ostserbien, Zeta
(Montenegro) und die Stadt Skdar sowie Teile Bulgariens und Mazedoniens.
In der Stadt Niš traf Nemanja 1189 Kaiser Friedrich I. Barbarossa, der auf dem
Dritten Kreuzzug nach Kleinasien zog. Nemanja sicherte dem Kaiser seine
Unterstützung gegen Byzanz zu, vertiefte damit jedoch seinen Konflikt mit dem
byzantinischen Kaiser Isaak II.
Nachdem Isaak und Barbarossa am 14. Februar 1190 in Hadrianopolis Frieden
geschlossen hatten, griff Isaaks Armee die Serben und Bulgaren an, die sich mit
Kaiser Barbarossa verbündeten. Noch im gleichen Jahr besiegte er Nemanja in
der Schlacht an der Morava. Den Vierten Kreuzzug rief 1198 Papst Innozenz II.
aus. Philipp II. von Frankreich, Richard I. von England und Kaiser Friedrich I.
führten diesen Zug an.
In verheerenden Kämpfen errangen die Nemanjiden die Vormachtstellung auf
dem Balkan, und dehnten ihr Imperium (Raszien) bis nach Griechenland und
Albanien aus. Der Staufer Kaiser Friedrich I. kam am 10. Juni 1190 während des
Dritten Kreuzzuges ums Leben: Nach einem beschwerlichen Ritt wollte er im
Fluss Saleph (in der heutigen Türkei) schwimmen. Trotz aller Warnungen seiner
Begleiter stürzte er sich in das kalte Wasser und wurde von einer Strömung
erfasst. Seine Gebeine wurden in Antiochia in einem goldenen Sarg beigesetzt.
In den Wirren des Kreuzzugs ging der Sarg verloren, und so glaubt man noch
heute, er sei nicht tot, sondern käme zurück (Kyffhäuser-Sage).
1212 wurde ein Kinderkreuzzug aufgestellt, der sich bald in Genua und
Marseille wieder auflöste. Am Fünften Kreuzzug nahm Landgraf Ludwig IV.
von Thüringen teil und starb 1227. Ein Jahr später gelang es Kaiser Friedrich II.
einen Waffenstillstand für zehn Jahre herzustellen – mit Übergabe von
Jerusalem, Bethlehem und Nazareth.
Zuvor jedoch bannte Papst Gregor IX. den Kaiser, weil dieser den Kreuzzug
mehrmals verschoben hatte. 1229 krönte sich Friedrich II. selbst zum König von
Jerusalem. Fünfzehn Jahre später eroberten Moslems Jerusalem zurück.
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Ludwig IV. – König von Frankreich – unterstützte einen Eroberungszug, wurde
aber beim Angriff auf Kairo 1250 gefangen genommen. Nur gegen eine größere
Summe Lösegeld ließ man ihn wieder frei. Mamelucken rückten vor und
eroberten die Festungen der einstigen Kreuzritter.
Türkenherrschaft in Südosteuropa
Einhundert Jahre später dringen Türken endgültig und für lange Zeit in den
Balkanraum vor, nachdem sie den serbischen König in der Schlacht an der
Maritza 1371 (Regierungszeit Kaiser Karls IV.) besiegt hatten. Achtzehn Jahre
später ist der Kosovo Schauplatz der Schlacht auf dem Amselfeld. Dabei gelingt
es den Osmanen, die Allianz von Serben, Bosniern und Albanern zu zerstören.
Der Osmane Mehmet II. erobert 1461 das Gebiet des heutigen Serbien, Bosnien
und Herzegowina. Die Gebiete Serbien und Bosnien werden für die nächsten
vierhundert Jahre zu Provinzen des Osmanischen Reiches.
Unter türkischer Herrschaft wurden die Albaner islamisiert. Sie rückten 1690 in
das verlassene Kosovo-Gebiet nach und arbeiteten hier als Hirten, Handwerker,
Händler oder Geistliche.
Noch heute sind serbische Lieder dem Fürsten Lasar und anderen Großen des
serbischen Adels gewidmet, während das albanische Epos in den Mittelpunkt
der Erzählung den wahren Helden der Schlacht vom Amselfeld – den Landmann
Milosch Kopiliq – stellt. Er tötete nämlich den Sultan und wurde anschließend
selbst getötet. Die Geschichte erzählt von den Wanderungen der albanischen
Bevölkerung nach der Niederlage und verknüpft damit die Hoffnung, dass eines
Tages, wenn „der Türke besiegt ist", eine Rückkehr in die Heimat möglich sei.
Befreiung vom Türkenjoch
Es war in der Herrschaftszeit des Habsburgers Friedrich III. (RömischDeutscher Kaiser), als Johann Hunyadi das osmanische Joch abschütteln wollte.
Nach der Niederlage in der Schlacht bei Warna (1444) hob Hunyadi eine weitere
Armee gegen die Türken aus. Mit einer Revolte der Völker des Balkans wollte
er zu einem Überraschungsangriff gegen die Osmanen ausholen, und diese in
einer einzigen Schlacht besiegen. Hunyadi zog gegen die Osmanen, und in
seinem Heer kämpften auch Roma. Der Serbe Đurađ Brankovićs galt als Vasall
Ungarns, und so zwang ihn Hunyadi, sich dem Feldzug anzuschließen.
Branković weigerte sich. Er sah die Niederlage Hunyadis voraus und wollte ihn
vom Kampf abbringen. Auch überredete er den Albaner Skanderbeg, sich
Hunyadi nicht anzuschließen. Schlimmer noch, es bestand der Verdacht, er habe
die Osmanen vor diesem Angriff gewarnt. Hunyadi zwang letztendlich
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Branković zur Teilnahme am Kampf gegen die Osmanen. Er setzte mit seinem
Heer nach Serbien und zog plündernd durch das Land. Als die Osmanen
heranrückten, zog er schnell nach Süden, und es kam zur zweiten Schlacht auf
dem Amselfeld.
Mit dem Niedergang des byzantinischen Reiches im 12. Jh. und der Eroberung
von Konstantinopel 1204 durch die Kreuzfahrer bildeten sich auf dem Balkan
zwei Reiche: das Zweite Großbulgarische Reich (1186 –1330), und das
Serbische Königreich (1151-1389/ 1459). Das serbische Königreich regierten
zwei bedeutsame Herrscher aus der Familie der Nemanjiden. Stefan Nemanja
(König Stefan II. 1196 -1228) gelang die Einigung der serbischen Volksstämme.
1217 erlangte er die Königskrone. Sein Bruder – der Mönch und Heilige Sava
(1169-1236) – gilt als Begründer der serbisch-orthodoxen Nationalkirche.
Blütezeit des serbischen Königreiches
Nach der Schlacht von Küstendil 1330 (Ende des bulgarischen Reiches) steigt
das serbische Königreich zur Regionalmacht auf. König Stefan Dusan (13311355) lässt sich nach byzantinischer Landnahme in Epirus 1346 Uros IV. als
König der Serben und Rhomäer ausrufen. Mit der Königswürde ging aus dem
serbischen Hof – ohne Zustimmung von Byzanz – ein Partriachat der Serben
und Rhomäer mit Sitz in Pec hervor. In dieser Zeit kam es zu zahlreichen
Klostergründungen und somit zum Ausbau der Nationalkirche. Ebenso
entstanden neue Siedlungen als Wehrpfalzen für den umherziehenden serbischen
Hof.
Ab dem 14 Jh. beginnt die Zersplitterung der politischen Macht durch ständig
wechselnde Bündnisse. Militärische Eroberungen zwischen Serben, Bulgaren,
Bosniern, Ungarn, Italienern und Byzantinern (Byzantinischer Bürgerkrieg;
1321- 1351) folgten. 1355 starb König Uros IV., und das serbische Königreich
zerbrach unter dem schwachen Nachfolger Uros V. (1355-1371). Feldherren und
Mitglieder der serbischen Dynastie (Nemanjiden) errichteten zwischen Bosnien,
Makedonien und Epirus eigene regionale Herrschaften und lagen ständig
miteinander im Kampf. Selbst die Wahl eines serbischen Königs endete 1371 in
den Wirren der Schlacht an der Maritza. König Vukasin (1365-1371) starb und
Uros V. wurde ermordet. Diese Schlacht brachte für die Osmanen den Sieg und
für das serbische Königreich das Ende. Es geschah zur Zeit Kaiser Karls IV. –
König von Böhmen.
Lazars Sohn – Stephan Lazarevic (1389 – 1427) – wurde Vasall des
Osmanischen Reiches und kämpfte im osmanischen Heer. Es ging um den
letzten Zug gegen die Osmanen, den Kaiser Sigmund von Luxemburg (14101437, seit 1433 Römisch-Deutscher Kaiser, Sohn Kaiser Karls IV.) unternahm.
Serbische Panzerreiter, die bei den Osmanen kämpften, vernichteten die
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vereinigten deutschen, französischen, ungarischen und walachischen Heere in
der Schlacht von Nikopolis.
Ausweitung und Ende der Türkenherrschaft in Europa
Nachdem das Heilige Land verloren war und 1453 Konstantinopel – die Festung
zum Schutz Europas gegen die Türken – in die Hände des Osmanen Mohammed
II. (Sultan Mehmet 1451-1482) fiel, besetzten Türken dann auch die Insel
Rhodos. Der Papst unterstützte gemeinsam mit europäischen Herrschern den
Kampf gegen die Türken, doch 1522 offenbarte Kaiser Karl V. aus dem Hause
Habsburg: „Nichts ging in der Welt glanzvoller verloren wie Rhodos…“ Das
Ende des Rittertums war besiegelt.
Auf die Niederlage folgte später ein Bürgerkrieg (Interregnum1402 – 1413).
Der osmanische Staat wurde besiegt und Serbien gezwungen, während der
Kriege der „Heiligen Liga“ (1683 – 1699) und nach der erfolglosen Belagerung
von Wien (1683) durch die Osmanen, sich in weitere militärische
Auseinandersetzungen einzulassen. Serbische Freiwillige schlossen sich
österreichischen Truppen an, und als der Krieg zu Ende war, zogen sie zurück in
ihre Siedlungsgebiete. Inzwischen jedoch eroberten die Osmanen einzelne
Gebiete, setzten sich darauf fest und verfolgten die Rückkehrer. Patriarch
Arsenije III. Crnojevic rief 1690 die Serben im Kosovo auf, mit ihm gemeinsam
auf habsburgischem Gebiet zu siedeln. Das österreichische Kaiserhaus der
Habsburger sicherte ihnen sogar Glaubensfreiheit zu.
Und so geschah es, dass Serben auf Gebieten der Habsburgischen Monarchie
siedelten, und muslimische Albaner sich ihnen anschlossen. Der Friede von
Karlowitz (heute Sremski Karlovci in der Vojvodina) wurde 1699 geschlossen
und brachte das Ende des Großen Türkenkrieges zwischen Osmanischem Reich
und Österreich, Polen, der Republik Venedig und Russland.
Der blutige Weg in die Freiheit
1713 wurde Karlowitz offizieller Sitz des serbischen Patriarchen. Nach dem
Frieden von Belgrad (1739) verließen viele Serben die osmanischen Gebiete und
ließen sich in der Monarchie von Österreich-Ungarn nieder. 1817 kam es unter
dem Einfluss von Habsburg und Russland zur Selbstverwaltung mit
Einschränkungen, bis 1829 die Autonomie bestätigt und 1833 auf weitere
Gebiete übertragen wurde.
Milos Obrenovic – Führer der aufständischen Serben – ermordete seinen
Gegner, den serbischen Freiheitshelden Djordje Petrovic genannt Karajordje
(1762 – 1817). Dafür verliehen ihm die Osmanen den Fürstentitel. 1878 wurde
Serbien tributpflichtiges Fürstentum, dann selbständiges Fürstentum, 1882
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Königreich, und nach dem Ersten Weltkrieg 1918 führend im Königreich der
Serben, Kroaten und Slowenen. Der Weg in die Unabhängigkeit war
gekennzeichnet von Kriegen, Zerstörungen, Massakern und Vertreibungen.
Nach dem Ersten Balkankrieg (1912) fiel das Kosovo an Serbien; die Gebiete
um Peć erhielt Montenegro.
Südosteuropa im 20. Jh. und der Kampf um Freiheit
In der Zeit zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg zählte Kosovo zum ersten
jugoslawischen Staat. Im Zweiten Weltkrieg kam Serbien zu Albanien, wobei
Albanien bis dahin ein italienischer Vasallenstaat war. Nach dem Zweiten
Weltkrieg wurde kosovisches Gebiet als Teil Serbiens zum kommunistischen
Jugoslawien. Ab 1963 festigte sich die autonome Provinz innerhalb Serbiens.
Die jugoslawische Verfassung von 1974 erweiterte die bereits bestehenden
Autonomierechte. Seit 1989 tobte die Revolution, und Slobodan Miloševic hob
in einem Beschluss des serbischen Parlaments diese Autonomie auf.
Während der Jugoslawienkämpfe flohen viele Kosovaren – auch Roma – und
Kosovo-Albaner. Sie alle suchten Asyl in westeuropäischen Ländern. Seit 1989
gab es kein Schulwesen mehr in albanischer Sprache. Neben der Enteignung der
Albaner wurden auch ihre Vereine und politischen Parteien verboten. Aufgrund
der Volkszugehörigkeit wurden die Albaner nach 1989 aus dem Staatsdienst
entlassen.
Die „Rückerlangung der Autonomie des Kosovo“ verhandelte die internationale
Gemeinschaft 1995 auf der Friedenskonferenz von Dayton n i c h t. Der Konflikt
verschärfte sich zwischen den Volksgruppen, weil sie staatliche Souveränität
forderten, wie z.B. die Kosovarische Befreiungsliga LDK. Die Volksgruppen
errichteten mit der „Republik Kosova“ einen Schattenstaat, dessen
Parallelinstitutionen Schulbildung und Versorgung mit Medikamenten für die
Albaner sicherten. Dieser friedliche Widerstand lieferte sich jedoch ab 1996
unter Führung der UÇK kämpferische Auseinandersetzungen mit albanischen
Freischärlern und serbischen Streitkräften. Bis zum Jahr 1999 vervielfachte sich
deshalb die Anzahl albanischer Flüchtlinge aus dem jugoslawischen
Staatsgebiet.
Hinzu kam der Ausbruch des Kosovo Krieges: Nach dem Scheitern der
Verhandlungen von Ramboullit und Paris im März 1999 versuchte die NATO,
die humanitäre Katastrophe im Kosovo abzuwenden. Ab dem 24. März führte
sie im Rahmen der Oparation „Allied Force“ insgesamt 79 Tage lang
Luftoperationen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien durch, bis die Angriffe
schließlich am 10. Juni 1999 ausgesetzt wurden. Die UN-Resolution 1244
übertrug KFOR (Kosovo Force) die Friedensregelung im Kosovo.
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Nach dem Scheitern der Verhandlungen von Rambouillet bombardierte die
NATO strategisch wichtige Ziele in Jugoslawien. Während des Krieges stiegen
die Flüchtlingszahlen sprunghaft an. Am Ende des Kosovokrieges besetzten
internationale Truppen das Land und ein UN-Protektorat wurde errichtet.
Danach kehrten viele Kosovaren in ihre Heimat zurück.
Kosovo als politische Heimat der RomaFrauen und ihrer Familien im 21.
Jh.
Im März 2004 kam es erneut zu Gewalttätigkeiten im Kosovo – überwiegend
gegen Serben und ihre religiösen Stätten, aber auch gegen Roma und Aschkali
(ägyptische Roma). Menschen wurden getötet, verletzt und mehr als 4.000
vertrieben. Daraufhin verstärkte die NATO ihre Präsenz. Zu heftigen
Ausschreitungen kam es nach dem Ausrufen der Republik – diesmal im Norden
des Landes, das Serben bewohnten. Erst der Einsatz von KFOR- Truppen
beendete diese Gewalttätigkeiten.
Die UNMIK verhandelte den politischen Status des Kosovo im internationalen
Maßstab, um mit Serbien zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen, doch
die Verhandlungen scheiterten. Daraufhin gab das kosovarische Parlament eine
einseitige Unabhängigkeitserklärung. Ende 2008 wird die Souveränität des
Kosovo von 53 Regierungen weltweit anerkannt. Dies sind die USA sowie 20
EU-Nationen und alle Staaten des ehemaligen Jugoslawiens – außer Serbien.
Das Gebiet wurde von den Vereinten Nationen verwaltet und blieb formell
Bestandteil der Bundesrepublik Jugoslawien sowie seit 2006 der Nachfolgestaat
Serbien.
Seit der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 ist Kosovo aus Sicht
seiner Institutionen ein souveräner Staat. Bis jetzt haben 53 von 192 UNMitgliedstaaten die Unabhängigkeit des Landes anerkannt. Andere Staaten
halten die einseitig ausgerufene Unabhängigkeit für rechtswidrig und betrachten
Kosovo weiterhin als einen Teil Serbiens. Die serbische Regierung jedoch
kontrolliert dieses Gebiet nicht, denn die Unabhängigkeit soll nach dem
Ahtisaari-Plan international betreut werden. Serbien lehnte diesen Plan ab. Im
Februar 2008 entsandt die Europäische Union die Mission EULEX, welche die
rechtsstaatliche Entwicklung des Kosovos unterstützen sollte. Rund 1.800
Polizisten und Juristen übernahmen die Aufgaben der bisherigen UNVerwaltung des Kosovo (UNMIK).
Zum Thema „Neugestaltung gesellschaftlicher Präsenz im Kosovo“ folgten
weitere Verhandlungen. Am 15. Juni 2008 trat nach der Unabhängigkeitserklärung die erste Verfassung des Kosovo in Kraft. Vom Parlament in Priština
wurde eine neue Nationalhymne verabschiedet und das Aufstellen einer eigenen
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2.500 Mann starken Sicherheitstruppe beschlossen. Die neue Verfassung
definiert das Land als demokratisch regierten Staat, der die Rechte seiner
Minderheiten und die internationalen Menschenrechte respektiert. Gleichheit der
Volksgruppen und Bedeutung des Minderheitenschutzes sowie Autonomierechte
für die serbischen Regionen werden besonders hervorgehoben.
Die Sicherheit wird von der Friedenstruppe „Kosovo Force“ (KFOR) durch ein
UN-Mandat legitimiert und unter Führung der NATO garantiert. Die politische
Arbeit teilen sich UN-Verwaltung und Institutionen der provisorischen
Selbstverwaltung. In den serbischen Enklaven im Nordkosovo gibt es parallele
Verwaltungsstrukturen – von Serbien finanziert und kontrolliert. Die UNMIK
toleriert diese Strukturen, erkennt sie aber offiziell nicht an. Andererseits
erkennen die serbischen Verwaltungen die Entscheidungen der UNMIK nur
teilweise an.
Lamberto Zannier fungiert seit Juni 2008 als Leiter der UNMIK und ist
Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs. Die UNMIK bestand aus
internationalen Organisationen wie Polizei und Justiz (UN), Selbstverwaltung
(UN), Demokratisierung und Wiederaufbau der Institutionen (OSZE) sowie
Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung (EU) und war nur bis zum 30.
Juni 2008 aktiv. Ende 2008 sollte jedoch ein großer Teil der UNMIKMitarbeiter das Land verlassen.
Die auswärtigen Beziehungen sind belastet durch den Streit um die
diplomatische Anerkennung. Deutschland hat seit Februar 2008 eine Botschaft
in Priština eröffnet. Mit Ausnahme Serbiens unterhalten die Nachbarländer
Albanien, Montenegro und Mazedonien diplomatische Beziehungen zu Kosovo.
Wichtigster Verbündeter ist die USA, die im Rahmen der KFOR eine
umfangreiche Militärbasis – Camp Bondsteel – unterhält. Politischer
Extremismus und organisierte Kriminalität geben ein Bild von den engen
Beziehungen der Strukturen, die aus der UÇK hervorgingen.
Eine multiethnische Gesellschaft aufzubauen, ist schwierig, da die Rückkehr
serbischer Flüchtlinge nicht gelingt wegen noch immer anhaltender Übergriffe.
Außerdem müssten die Rückkehrer langwierige Gerichtsverfahren auf sich
nehmen, um ihren Besitz zurückzuerhalten, wenn überhaupt noch etwas davon
erhalten ist.
Der überwiegend von Serben bewohnte Nordkosovo entzieht sich der Kontrolle
der Institutionen in Priština. Die Einwohner erkennen die Unabhängigkeit des
Kosovo nicht an. Seit der Unabhängigkeitserklärung im Februar 2008 wird die
neue Flagge des Kosovo verwendet. Kosovo-Albaner jedoch verwenden die
Flagge Albaniens, während Serben die Flagge Serbiens bevorzugen. Um
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Provokationen zu vermeiden, wurde bei offiziellen Anlässen bisher
ausschließlich die Flagge der Vereinten Nationen verwendet.
Am 5. Juni 2008 gab der Vorsitzende der Verfassungskommission des
kosovarischen Parlamentes bekannt, dass die Arbeitsgruppe zur Findung der
künftigen Nationalhymne sich auf die Komposition Evropa („Europa“) von
Mendi Mengjiqi geeinigt habe. Die neue Nationalhymne trat mit der
Verabschiedung der Verfassung am 15. Juni 2008 in Kraft und hat keinen Text.
Romani Rose – Sprecher der Sinti und Roma in Deutschland – schlussfolgert:
„Wir 70.000 Sinti und Roma wollen mit unserer Identität als eine deutsche
Volksgruppe akzeptiert werden. Eine eigene Volksgruppenidentität haben in
Deutschland auch die deutschen Sorben im Osten der Republik, die deutschen
Dänen in Südschleswig und die deutschen Friesen im Nordwesten
Deutschlands.“
Die Roma können nicht zurück ins ex-jugoslawische Makedonien, um wieder
integriert zu werden, weil sie dort nie integriert waren!
Allgemeine Erfahrungen der RomaFrauen im Kosovo
Bevor die RomaFrauen aus ihrem eigenen Leben berichten, offenbart eine von
ihnen: „In Magdeburg leben etwa zwanzig RomaFamilien; sie alle stammen aus
dem Kosovo. Dort hatten sie eigene Häuser auf Grundstücken. Wir RomaFrauen
arbeiteten in verschiedensten Bereichen wie Schulen, Medien, beim Gericht, in
der Medizin oder in Betrieben mit technischer Fabrikation. Das war ein schönes
Leben – eigentlich ganz normal, bis uns die serbische Diktatur mit Zensur und
Repression geradezu verzweifeln ließ.
1999 brach der unbarmherzige Krieg aus, weil die NATO die Bombardierung
beschloss. Und dann tobte der Bürgerkrieg zwischen Serben und Albanern!
Die Roma waren eine anerkannte Minderheit von Ex-Jugoslawien. Und plötzlich
hieß es, die Roma seien schuld am Krieg, weil sie Kollaborateure der Serben
seien. Stell dir vor – bewaffnete Polizei betrat zu irgendeiner Stunde – und vor
allem unangekündigt! – unser Wohnhaus und befahl mit vorgehaltenen
Gewehren, in zehn Minuten Haus und Grundstück zu verlassen. In großer Angst
bangten wir um unser Leben. Das wollten wir wenigstens retten, sonst nichts.
Vor Schreck vergaßen wir unsere Diplome und andere wichtige Papiere. Wir
retteten nur die nackte Haut!“
Eine andere der RomaFrauen setzte fort: „Es war ja so, dass die serbische
Regierung nach 1945 die Albaner vertrieben hatte. Die kamen aber im Juli 1999
zurück und trieben nun die Roma aus den Häusern. Rasend vor Angst, starteten
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wir unser Auto – einen Opel Kadett – und fuhren mit der ganzen Familie bis zu
einer bestimmten Stadt in Serbien. Von dort transportierten uns Unbekannte
solange weiter, bis wir in Deutschland – in Solingen – ankamen. Ein Teil
unserer Familie war schon da. Nach drei Tagen beantragten wir Asyl. Zwei Tage
später erhielten wir mit einem Umverteilungsantrag die Weisung, uns nach
Halberstadt in das Asylheim zu begeben. Nach zwei Monaten – also im
September 1999 – erfolgte dann der Transfer nach Magdeburg. Hier befindet
sich das Asylheim im Stadtteil Buckau. Unsere Kinder sprechen natürlich
Albanisch und Serbokroatisch und nahmen bereits wenige Tage nach unserer
Ankunft in einer deutschsprachigen Schule am Unterricht teil. Heute sprechen
sie sehr gut deutsch und sind mit deutschen Schülern befreundet. Und wir… wir
Erwachsenen … lernen Deutsch von unseren Kindern!“
„Zuerst fanden wir uns in Magdeburg nicht zurecht“, gesteht eine andere aus der
Runde, „besonders beim Einkaufen brauchten wir eine Dolmetscherin, sie war
vom Wohnheim. Und einen Albaner kennen wir aus dem Asylheim, er hilft noch
jetzt bei der CARITAS in Buckau.
Inzwischen leben wir in bequemen Wohnungen in Plattenbauhäusern. Unsere
Wohnungen befinden sich mit Deutschen Tür an Tür. Nein, es gibt keine
Probleme, im Gegenteil, wir helfen uns gegenseitig, wenn Not am Mann ist.“
Zufriedenheit ist dem Folgenden zu entnehmen: „Ab 1999 bis zum Jahre 2006
hatten RomaFamilien eine Aufenthaltsgestattung bzw. Aufenthaltsduldung.
Nach der Innenministerkonferenz von 2006 bekamen die meisten RomaFamilien
eine Aufenthaltsgenehmigung. Wir Erwachsenen gehen einer Arbeit nach in
verschiedenen Bereichen wie Gastronomie, Journalistik und anderen
Dienstleistungsbereichen, und unsere Kinder besuchen deutsche Schulen.“
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„ Es tut mir unbeschreiblich weh, wenn ich an meine Heimat
denke..“ Im Gespräch mit Frau Rosalia F., 60 Jahre
Mir gegenüber sitzt Rosalia – ruhig und gelassen, milde lächelnd. Diskrete
Falten im Gesicht verraten, dass sie weiß, worauf es im Leben ankommt. Sie ist
in dem Alter, wo man auch schon einmal zurückschaut: „Es war alles anders, als
mein Mann noch lebte. Ich verlor ihn vor elf Jahren. Wir waren 27 Jahre sehr
glücklich miteinander verheiratet. Er war Lehrer für französische Sprache an
einer Schule in Novoselle Magjunit. Wir haben acht Kinder, und nein, das ist
nicht einmal viel. Damals lebten wir alle zusammen in einem Haus mit zwei
Etagen. Ein großer Garten gehörte auch dazu. Nein, ich ging nicht arbeiten, aber
ich hatte trotzdem den ganzen Tag etwas zu tun.
Nicht nur im Haus war Arbeit, auch das Vieh auf der Weide hinter dem Garten
wollte versorgt werden. Und wenn die Kinder mittags von der Schule nach
Hause kamen, stand das Essen auf dem Tisch. Obwohl sie hungrig waren,
murrten sie manchmal, wenn es gebratenen Fisch gab und Kartoffeln dazu.
Doch genau das esse ich sehr gern und außerdem ist Fisch sehr gesund, so sagt
man bei uns. Und dazu tranken wir Wasser, das trinke ich heute noch am
liebsten.“ Wortlos stimme zu.
„Ja, und dann ist da noch das verführerische Gebäck ´Baklava´.
Ich weiß nicht, wie viel ich davon schon in meinem Leben gebacken habe. Das
geht so:
Du kaufst Baklava- Teig (im Türkischen Laden), 6 Gebäckstücke bekommst Du aus einer
Packung. Den Teig entnehmen und auf ein Brett legen. Aus dem Teig zwei Platten
formen. Die untere Platte auf ein Blech legen, das zuvor mit Öl eingefettet wurde. In
einer Schüssel 6 Esslöffel Zucker, 6 Esslöffel Wasser, 6 Esslöffel gehackte Walnüsse
und 6 Esslöffel Öl gründlich miteinander vermischen und auf der unteren Teigplatte
verteilen. Dann die zweite Teigplatte auflegen. Anschließend in Rechtecke schneiden und
im Backofen bei 180 Grad etwa 20 Minuten backen, bis sie braun sind. Inzwischen eine
gesättigte Zuckerlösung herstellen (heißes Wasser in einer Tasse solange mit Zucker
verrühren, bis das Wasser keinen Zucker mehr löst) und die noch heißen Baklava damit
bestreichen. Dazu trinken wir gern Wasser oder auch Kaffee.
In Kosovska Mitrovica gab es einen großen Industriekomplex Trepça, in dem
Gold, Silber, Blei und Bismut abgebaut wurden. Dadurch hatte die Stadt
Einnahmen, die der Gemeinde zugute kamen. Im Nordteil der Stadt stehen die
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Gebäude der Technischen Hochschule Mitrovica, die einzige höhere Lehranstalt
im Kosovo mit überwiegend serbischsprachigen Kursangebot. Im Juli
beherbergt sie eine englischsprachige Summer School.
Als Jugendliche hatte ich den Erweiterten Hauptschulabschluss abgelegt, und
trotzdem konnte ich meinen eigenen Kindern nicht in allen Fächern beim Lernen
helfen. Es war so viel Neues in den Jahren hinzugekommen, von dem ich
mitunter nie zuvor etwas gehört hatte. Unsere Kinder hatten gute Noten und fast
alle haben studiert. Ihr Vater wäre stolz, wenn er das alles noch erlebt hätte.“
Sie wendet ihren Blick von mir und zeigt auf eine der farbig tapezierten
Zimmerwände. Dort verharrt ihr Blick einen kleinen Moment, bevor sie mich
wieder anschaut. Neben einer hohen Grünpflanze erblicke ich in einem dunklen
Rahmen die Aquarellzeichnung eines ausdrucksvollen Portraits. Der Mann trägt
feingliedrige Gesichtszüge und leicht gewelltes Haar. Ein schönes und
intelligentes Gesicht.
Schnell stelle ich meine nächste Frage: „Bevorzugen Sie einen Schriftsteller,
den Sie besonders verehren?“ Ohne zu zögern antwortet sie: „Ich lese gern die
Werke albanischer Schriftsteller. Sie stellen für mich eine Verbindung zur
Heimat dar. Ähnlich ergeht es mir, wenn ich albanische Volksmusik oder
türkische und serbokroatische Musik höre. Singen kann ich leider nicht
besonders gut und ein Instrument spiele ich auch nicht, aber dafür höre ich gern
zu, wenn andere musizieren. Das erhält meine innere Balance und ist ein
wirksames Mittel gegen Stress. Stress halte ich möglichst fern von mir, weil ich
schon seit acht Jahren Diabetikerin bin. Ich nehme Tabletten und muss auch
Insulin spritzen. Und wenn der Ärger einmal nicht weichen will, dann gehe ich
auf den Balkon. Dort habe ich frische Luft, andere Geräusche und Gerüche als
in der Wohnung, und außerdem lenken mich die Leute und das Geschehen auf
der Straße ab. Sollte das alles nicht helfen, schalte ich das Fernsehen ein.
Spätestens dann verfliegt mein Ärger. Leider kann ich jetzt aus gesundheitlichen
Gründen keinen Sport mehr treiben, aber früher war ich aktiv im Volleyball.“
Sie lacht voller Inbrunst und schiebt mir die goldfarbene Schale mit Süßigkeiten
zu.
“Besonders wegen meiner Krankheit gehe ich regelmäßig spazieren. Im Sommer
freue ich mich an den Rosen, die dann überall in den Gärten und auf
Rasenflächen vor den Häusern blühen. Gern atme ich tief den betörenden Duft
dieser Blüten ein. Doch am schönsten sind für mich die rosafarbenen Blüten.
Rosa ist überhaupt meine Lieblingsfarbe“, verrät mir die gebildete Dame.
“Mein fünfzigster Geburtstag lag zwei Jahre zurück, als es 1999 hieß, wir sollten
in zehn Minuten unser Haus verlassen. Der Schreck war so groß, dass ich am
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ganzen Leib zitterte. Jetzt bin ich froh, dass ich in Deutschland bin. Ich lebe
gern in Magdeburg und wünsche mir, weiterhin relativ gesund zu bleiben. Wenn
man sich an die Diabetiker-Regeln hält, kann man ganz gut die Krankheit
beherrschen. Ich wünsche mir auch für die Zukunft, dass es meinen Kindern gut
geht, sie gesund bleiben und mein Diabetes nicht schlimmer wird. Und wenn ich
in meinem Urlaub in die Schweiz fahre zu meinem Sohn, dann bin ich schon
glücklich, was aber nicht bedeutet, dass ich nicht ebenso gern die anderen
Familienmitglieder in den deutschen Städten besuche. Wenn ich sehe, dass es
meiner Familie gut geht, dann geht es mir auch gut. Ein albanisches Sprichwort
sagt: ´Geteiltes Glück ist doppeltes Glück, und geteiltes Leid ist halbes Leid! ´
Stimmt das?“ Fragend schaut sie mich an: „Ich glaube, so ähnlich sagt man es
auch in Deutschland, oder? „Ja, es ist eine alte Weisheit“, stimme ich zu.
Ihre Stimme klingt traurig: „Minderheitengemeinschaften sind nach wie vor
grausamen Übergriffen ausgesetzt. Autos werden mit Steinen beworfen, oder
einzelne Personen tätlich angegriffen. Belästigungen und Einschüchterung
waren an der Tagesordnung. Bei vielen befreundeten Familien wurde das
Eigentum von Angehörigen anderer ethnischer Minderheiten geplündert, zerstört
oder illegal in Beschlag genommen. Sogar Friedhöfe und Grabstellen wurden
geschändet und Hassparolen an die Wände öffentlicher Gebäude geschmiert.
Man lebte in Todesgefahr, und wenn ich erfahre, dass auf den Trümmern von
zerstörten Häusern am Westrand der Stadt – das war 2004 – mit internationalen
Hilfsgeldern eine Siedlung für Flüchtlinge angelegt wurde, bekomme ich
Gänsehaut. Im September 2007 waren ein Dutzend Ziegelhäuser fertig gebaut.
Ja, ich liebe meine Heimat, aber unter so schlimmen Bedingungen kann man
unmöglich dort leben.
Es tut mir auch unbeschreiblich weh, wenn ich an meine Heimat denke.
Trotzdem habe ich meinen Blick nach vorn gerichtet.
Volkslieder höre ich sehr gern, und besonders die von einer albanischen
Sängerin, sie hat eine herrliche Stimme. Sie singt Lieder, die ich früher mit
meinem Mann gesungen habe. Es war eine schöne Zeit, als wir noch alle
zusammen waren. In meinem Leben lief nahezu alles perfekt und ich würde
nichts anders machen wollen, wenn ich es noch einmal von vorn beginnen
könnte. Nein, nichts! Ich bin glücklich und habe keine weiteren Wünsche.“
Verloren richtet sie ihren Blick in die Ferne und es scheint, als hätte sie mich
vergessen …
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„Weißt Du, meine Freundinnen heirateten schon mit fünfzehn …“Im
Gespräch mit Frau Aurea B., 41 Jahre
„Mein Sternbild ist der Stier“, erzählt die attraktive Frau Aurea mit der
gefälligen Figur. Ihr freundliches Gesicht ist von schwarzen Locken gerahmt
und ihr dunkler Teint schimmert samtgleich im hellen Licht. Dabei glänzen ihre
Augen als ob sie Funken sprühen. Sie hebt ihren Kopf und schaut mir
geradewegs ins Gesicht, stolz und zielbewusst.
„Geboren bin ich in Priština im Kosovo. Dort lebte ich mit meinen Eltern und
Geschwistern in einem Haus am Stadtrand. Von da blickten wir direkt auf die
Stadt. In der warmen Jahreszeit waren wir meistens im Garten, nur nachts
schliefen wir im Haus. Gern erinnere ich mich, wenn Mutter zu meinem
Geburtstag am 5. Mai mein Lieblingsessen bereitete – „Gefüllte Paprika“: Nimm 6
spitze, gewaschene Paprika, schneid den Stiel heraus, so dass eine Öffnung entsteht,
durch welche sich die Kerne entfernen lassen. Gib in eine Schüssel 300 Gramm Reis, 300
Gramm Rindfleisch- Gehacktes, 3 geschälte und klein geschnittene Zwiebeln, 3
geschälte und klein gewürfelte Tomaten und 2 Esslöffel Sonnenblumenöl.
Misch alles gut durch und füll die leeren Paprikaschoten damit. Das gefüllte Gemüse in
eine Pfanne geben, mit wenig Wasser begießen und im Backofen 30 Minuten bei 220
Grad überbacken. Dazu tranken wir sehr gern Wasser.
Alle in der Familie halfen, Geschirr und Essen in den Garten zu bringen. Bis
zum fünf Meter langen Tisch war es schon ein ganzes Stück zu laufen. Am
liebsten saßen wir unter den großen Bäumen hinten am Zaun. Hier gab es genug
Schatten, denn die Sonne im Mai meint es schon sehr gut. Am Nachmittag
kamen dann viele Verwandte und Schulkameraden, um mit mir bei Kaffee und
selbstgebackenem Kuchen zu feiern. Später – zum Sonnenuntergang – brachte
Vater eine seiner Spezialitäten, die er mit großer Hingabe selbst herstellte – den
Amselfelder Wein. Dann wurde gesungen und musiziert. Und wir Kinder
spielten noch lange auf der Straße – meistens bis in die Nacht hinein. Bis heute
ist mein Lieblingsgetränk immer noch das Wasser.
Ja, in Priština ging ich zur Schule und schloss mit dem Hauptabschluss ab. Mit
Prüfungen hatte ich noch nie Probleme. Nach dem Hauptabschluss ging ich ein
Jahr zur Fachausbildung und lernte unter anderem auch das Maschineschreiben.
Das war mir wichtig, denn mit Schreibmaschinenkenntnissen findest du leichter
eine Arbeit.“
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Verträumt schaut sie an mir vorbei, die Arme leicht verschränkt und mit der
rechten Fußspitze wippend.
„Weißt Du, meine Freundinnen heirateten schon mit fünfzehn und bekamen
Kinder. Zu Hause bei meinen Eltern war das überhaupt kein Thema, woher die
Kinder kommen. Mit siebzehn lernte ich meinen Mann kennen. Wir liebten uns
sehr, doch ich war zu anständig und wusste später nicht, dass ich schwanger
war. Meine Eltern durften nicht mit mir darüber sprechen, so war es Sitte bei
allen RomaFamilien. Erst mit zwanzig heiratete ich meinen Mann, und dann
kam unser erster Sohn. Ich selbst wurde 1968 geboren und habe sechs
Schwestern und zwei Brüder. Meine Mutter starb mit siebzig – an einem
Herzinfarkt, und niemand konnte ihr helfen. Nein, niemand! Leider!
Seit unserer Flucht 1999 nach Deutschland – ich war damals einunddreißig –
habe ich keinen Kontakt mehr zu meinen Verwandten im Kosovo. Zwei
Schwestern von mir leben noch in Priština. Es ist sehr ungewiss, ob wir uns
jemals wieder sehen. Und wenn, dann vielleicht in Dubai? Dort würde ich
wirklich gern leben. Aber ja, in Magdeburg gefällt es mir schon sehr gut.
Deutschland ist nicht Dubai, und trotzdem bin ich froh, in Deutschland zu sein.
Ganz nebenbei erinnert mich die Stadt Magdeburg besonders an Priština. Vieles
war dort auch so wie hier, zum Beispiel dass wir zur Arbeit gingen, Häuser
hatten und so weiter.
Ich hasse Untätigkeit. Mit meiner Arbeit im Restaurant ´Medaillon´ und im
Haushalt halte ich mich fit. Im Restaurant gibt es keinen Stress, wir arbeiten alle
Hand in Hand. Und wenn ich etwas Zeit übrig habe, gehe ich zum Jogging. Ich
arbeite zwar zurzeit nicht in meinem Beruf, aber ich hatte viele, viele
Bewerbungen abgeschickt, und – wie man sieht – es hat sich gelohnt. Mit
meinem Verdienst kann ich wenigstens einen Teil zum Lebensunterhalt meiner
Familie beitragen. Es ist in jedem Fall besser, vom Sozialamt unabhängig zu
sein.“ Schweigend stimme ich zu. Als sich unsere Blicke trafen, schmunzelten
wir und verstanden uns auch ohne Worte.
„Wie gesagt, ich bin verheiratet und habe inzwischen fünf Jungen und ein
Mädchen. Der älteste Sohn ist achtzehn und die Tochter siebzehn. Sie sind zwar
bescheiden, möchten aber trotzdem in der Schule nicht hinter den anderen
zurückstehen.
Zum Glück haben die Kinder Sexualunterricht. Eines Tage fragte mich mein
jüngster Sohn, ob es stimme, dass er auch ´auf diese Weise´ entstanden sei. Als
ich nicht gleich antwortete, rief er mir zu: ´Sag ´´Ja´´, Mama!´ Und damit war
das Thema vom Tisch.
Angela Merkel ist eine kluge, starke Frau, die man sich zum Vorbild nehmen
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kann. Ich verehre sie sehr. Und ich trage auch gern schwarze Kleidung und
lange schwarze Hosen. Schwarz ist sowieso meine Lieblingsfarbe.
Wenn ich Gelegenheit hätte, würde ich Angela Merkel und die anderen Politiker
darum bitten, die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen. Durch die
´Residenzpflicht´ dürfen wir uns nur im Umkreis von 50 Kilometern von
unserem Wohnort wegbewegen. Will ich zum Beispiel den Urlaub bei meinen
Geschwistern in Stuttgart verbringen, brauche ich erst eine Genehmigung. Die
muss ich bei der Ausländerbehörde beantragen. Bisher gab es aber keine
Probleme, ich habe sie immer erhalten.
Im Grunde leben wir zufrieden in der Familie, aber sollte es doch mal zum Streit
kommen, dann muss ich allein sein. Ich denke darüber nach, wie es zu den
Unstimmigkeiten kommen konnte und was wir demnächst anders regeln sollten.
Gern gehe ich durch einen großen Einkaufsmarkt. Wenn ich genug Zeit habe,
betrachte ich in der Blumenabteilung ganz in Ruhe die herrlichen Orchideen.
Für mich sind es die schönsten Blumen, die es gibt. Und manchmal hat es den
Anschein, als ob manche Sorten sogar ein wenig duften. So baue ich Stress ab.
Meine Geschwister leben in Stuttgart, und einmal im Jahr besuche ich sie. Das
ist mein Urlaub. Ich würde auch gern öfter zum Shopping nach Stuttgart gehen,
aber das ist aus Gründen der Haushaltskasse leider nicht möglich. Wünschen
würde ich es mir schon...
Es gefällt mir schon sehr, dass ich regelmäßig Zeitschriften lese und deshalb
auch gut über Mode und Frauengeschichten – wer mit wem? – informiert bin.
Das Leben in Deutschland ist anders, aber schön. Gern sehe ich auch den
Schauspieler George Clooney, er ist etwas Besonderes für mich – so wie die
amerikanische Sängerin Mereien Keri auch.Abe r das sind genau genommen nur
Nebensächlichkeiten. Das Wichtigste für mich ist, dass alle meine Kinder in
Magdeburg Arbeit finden und wir ein Haus mit zwei Etagen bauen und darin
leben können. Ich schaue nur selten zurück, da ich mein Leben nicht noch
einmal von vorn beginnen möchte – wenn es überhaupt möglich wäre.
Die muslimische Religion lebe ich nicht aktiv. Nein, ich habe keine Zeit dafür,
ich muss den Haushalt führen.
Nur das Thema ´Abschiebung´ macht mir Kopfzerbrechen, denn mein Mann hat
noch keinen Arbeitsvertrag in Magdeburg. Vielleicht ergibt sich eine
Möglichkeit durch Kontakte mit aktiven Menschen, das können auch Deutsche
sein. Ansonsten habe ich unter den Deutschen niemanden, mit dem ich im
wahrsten Sinne des Wortes Freundschaft halte. Die Kontakte zu Nachbarn sind
gut, und wenn Not am Mann ist, helfen wir uns gegenseitig.“
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„Erich Kästner lesen, dazu ein Glas Coca Cola…“ Im Gespräch mit
Frau Ingela D., 17 Jahre
Vorweihnachtszeit in Magdeburg bedeutet oft nasskaltes Schmuddelwetter. Ich
bin verabredet mit einer Roma, der 17-jährigen Schülerin, die mir zu Hause in
der elterlichen Wohnung aus ihrem Leben erzählen wird. Ihr Vater erwartet
mich schon auf der nassen Straße und hinauf geht es – bis in die dritte Etage.
Stimmengewirr dringt mir entgegen, und wenig später stehe ich im
Wohnzimmer. Die Frauen von Ingelas Familie sitzen schon um den niedrigen
Clubtisch in bequemen Sesseln und auf Stühlen. Eine Glasschale mit kleinen
Gebäckstücken verleitet zum Zufassen. Ich lege noch eine Packung
Lebkuchenspitzen hinzu.
„Nein, nein, danke, auch Kaffee möchte ich jetzt nicht“, ich frage lieber nach
dem Namen des Mädchens. „Ich heiße Ingela“, antwortet sie mit heller Stimme.
Dem Eindruck, ihr Gesicht bestünde nur aus zwei großen dunklen Augen mit
ungebrochenem Charme, kann ich mich nur schwer entziehen.
„1992 wurde ich in Mitrovica/ Kosovo geboren“, erzählt sie freimütig, „und als
ich gerade eingeschult war, mussten wir wenige Wochen später fliehen. Das war
so: Eines Tages standen plötzlich Polizisten in unserem Haus. Ich hörte
irgendjemand etwas brüllen von ´zehn Minuten´. Meine Mutter befahl uns
Kindern – also meinen vier Geschwistern und mir – dass wir so schnell als
möglich Schuhe, Jacken und Mäntel überziehen sollten. Ja, und auf den Kopf
musste jeder eine Mütze setzen. Nur ein einziges Stück vom Spielzeug erlaubte
sie uns, mitzunehmen. Aus Platzgründen, wie sie sagte. Mein Vater sprach nicht
mit uns, nur mit meiner Mutter tauschte er schnell wenige knappe Worte.
Dann stiegen wir alle in unser Auto und mein Vater fuhr uns ein ganzes Stück
weit weg in eine andere Stadt. Von hier aus ging es dann mit Hilfe fremder
Leute bis nach Deutschland, und schließlich landeten wir nach einigen Wochen
in Magdeburg – fürs erste im Asylheim. Das war 1999. Dort umgaben uns
zunächst nur fremde Menschen, doch bald kannten wir alle. Zu unserer großen
Freude bekamen wir nach einiger Zeit eine Wohnung zugeteilt. Das war gut,
denn im Heim ist es ziemlich laut, auch wenn sich mal welche streiten – aber
das ist nicht wirklich ernsthaft gemeint. Außerdem ging ich dann bald zum
Unterricht in eine Realschule. Zurzeit bin ich Schülerin der neunten Klasse und
mache im nächsten Jahr meinen Realschulabschluss. Auf meinem Zeugnis
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findest du die Noten Eins bis Drei. Mal sehen, wie es mit der Berufsausbildung
oder gar einem Studium weitergeht. Ich möchte recht bald selbständig sein und
Geld verdienen, denn ich gehe gern zum Shopping in die Stadt, und dazu
brauche ich Geld.“
Sie schenkt mir ein freundliches Lächeln und knabbert genüsslich ein Stück vom
duftenden Gebäck.
Nachdem ich immer noch den süßen Verführungen mit Vanille und Kardamom
widerstehen kann, kontert sie: „Ich habe keine Gewichtsprobleme, denn ich
nehme regelmäßig am Schulsport teil. Mehr Sport nicht, fügt sie hinzu und
grinst verholen.
Wenn ich meine Hausaufgaben erledigt habe, lese ich gern in Zeitschriften und
Magazinen, um mich zu informieren. Und richtig toll finde ich die Geschichten
von Erich Kästner. Der schreibt ja wirklich gekonnt über die allerwitzigsten
Begebenheiten im Leben.
Erich Kästner lesen, dazu ein Glas Coca Cola und Musiktitel mit HipHop oder
Rap-Music hören, mehr braucht es nicht.
Wenn ich mal Stress hatte oder mich über Leute, die sich für meine Begriffe
nicht benehmen können, heftig geärgert habe, so muss ich einfach allein sein.
Ich schalte dann meine Lieblingsmusik ein – ganz laut. Damit kann ich am
besten alles herum vergessen. Das sind dann auch die Momente, in denen ich
von Amerika träume. Dort würde ich am liebsten leben. Amerika, das Land der
unbegrenzten Möglichkeiten ... Wie Barak Obamah schon sagte: ´Yes, we can!´
Ich bitte das nicht falsch zu interpretieren, denn meine ganz, ganz starken
Vorbilder sind meine lieben Eltern.“
„Na, ja“, bricht sie das Schweigen, „und auch Prinzessin Diana, weil sie die
Königin der Herzen ist.“
Ich senke meinen Blick und meine Achtung vor ihrer Meinung steigt.
Ingela rückt sich gerade auf dem Stuhl und streckt ihren Rücken. Für mich ist
sie eine Person, die Energie versprüht und noch viel im Leben erreichen will. Ihr
blaues T-Shirt gibt den Blick auf ihren schlank gewachsenen Körper frei, und
sie verrät, dass sie am liebsten die Farbe Blau trägt.
„Passt auch gut zu Deinen tiefschwarzen Haaren“, komplimentiere ich.
„Dieses Blau bildet in der Flagge der Roma symbolisch den Himmel ab“, weiß
sie zu berichten, „die Natur auf unserer Erde ist grün dargestellt und das rote
Speichenrad steht für unsere indischen Wurzeln. Überhaupt liebe ich die Natur
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insgesamt – ob Bäume, Blumen, Tiere – sie alle gehören zu uns Menschen. Was
wären wir ohne Natur! Wo wüchsen sonst die Kartoffeln, aus denen ich mein
Lieblingsgericht zubereite –
„Bauernkartoffeln zum Frühstück“. Zutaten: 500 g rohe, geschälte Kartoffeln in
Scheiben schneiden. Eine Bratpfanne auf der Kochstelle erhitzen, die geschnittenen
Kartoffeln hinein, mit 3 Esslöffel Sonnenblumenöl begießen und bei mäßiger Hitze
bräunen lassen. Ab und zu die Kartoffelscheiben wenden, damit sie möglichst von beiden
Seiten bräunen. Mit körniger Gemüsebrühe kräftig würzen und abschmecken. 3 Eier
aufschlagen, in einer Schüssel verrühren, über die gebräunten Kartoffeln geben und
stocken lassen.
Das schmeckt prima kräftig, deftig, und nur so wird was draus! Ja, kräftig,
deftig, nur so wird etwas daraus! Meinen Klassenkameraden habe ich damit
schon mehr als einmal den Mund wässrig gemacht. Oder wenn ich in den
Schulferien meine Verwandten besuche, die auch in Deutschland, aber in
anderen Städten leben, dann essen wir mindesten einmal zusammen
Bauernfrühstück. Du glaubst es nicht? Ja, auch schon zum Frühstück! Am Ende
der Ferien fahre ich genau so gern wieder zurück nach Magdeburg. Ich fühle
mich hier wohl. Mein Leben lief bis jetzt bestens, ich würde auch nichts anders
machen wollen, denn ich bin schon auf dem richtigen Weg.“
Mit geröteten Wangen fügt sie schnell noch hinzu: „Ich möchte nur lernen,
lernen, lernen. Und Singen macht mir Freude. Ich singe gern und oft.
Ich bin zwar Muslimin, aber ich trage kein Kopftuch und feiere die eigenen
Feiertage wie den 6. Mai, nur in meiner Familie, aber nicht mit Deutschen. Was
aber keineswegs bedeutet, dass ich nicht mit deutschen Mädchen und Jungen
befreundet wäre. Die sind gute soziale Kontakte, die mein zufriedenes Leben in
Magdeburg stärken.“
Nach der Bedeutung des Feiertages gefragt, erklärt mir Frau Ingela: „ Dabei
geht es um die Verehrung des Heiligen Georg. Schon im antiken Mesopotamien
frönte man dem Tammus-Kult, und im Griechenland der Antike spielte der
Tammus bei olympischen und delphischen Spielen auch eine wichtige Rolle.
Später – im christlichen Byzanz – wurde dieser Kult zur Verehrung des heiligen
Georg (griech. = Haghios Gheorghios) auf christliche Art gefeiert.
Als die Roma von den Osmanen in kriegerischer Auseinandersetzung besiegt
wurden, lernten die Sieger die sportlichen und handwerklichen Fähigkeiten der
Roma schätzen. So wurden die Roma sogar zu Verbündeten der Osmanen und
sie dienten im osmanischen Heer. Sie waren tätig als Hufschmiede, fertigten
Schuhe für die Soldaten, Kleidung und vieles andere mehr. Sowohl Roma als
auch Osmanen feierten im Mai dieses Fest, nur zu Ehren unterschiedlicher
Schutzpatrone. Die beiden Religionsgemeinschaften legten irgendwann ihre
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Feste zusammen und feierten gemeinsam. Es war einfach, weil die Roma
vordergründig den islamischen Glauben annahmen.
Die Roma hatten damals schon eine Haghios Gheorgios-Kapelle mit mindestens
fünfzig Trommeln und ebenso viel Schalmeien. Zu Hochzeiten und anderen
Festen – wie auch am 6. Mai – spielte diese Kapelle. Den Osmanen gefiel diese
RomaKapelle und sie nahmen sie auf als Militärmusikkapelle bei Feldzügen und
Belagerungen. Das St. Georgs-Fest feiern wir gern, weil genau zu dieser
Jahreszeit sich die Natur neu entfaltet und Grund zu Optimismus gibt.“
„Viele Häuser in Magdeburg erinnern mich an den Kosovo…“ Im
Gespräch mit Frau Manuela J., 28 Jahre
Verabredung zum Interview. Auf mein Klingeln an der Tür öffnet eine
freundliche Frau und begrüßt mich mit einem noch freundlicheren „Guten Tag“.
In gutem Deutsch fordert sie mich auf, die Wohnung zu betreten. Im Flur bittet
sie mich noch schnell, die Schuhe stehen zu lassen, dann verschwinden wir
endgültig im Wohnzimmer. Nebenan sind Kinderstimmen zu hören. Ich begrüße
ihren Mann, ehe ich auf einem der weich gepolsterten Stühle Platz nehme.
Große, dunkle Kinderaugen betrachten mich neugierig durch die halbgeöffnete
Tür, bis den Kleinen erklärt wird, wozu ich gekommen bin.
Ihre Frage, ob ich eine Tasse Kaffee wünsche, verneine ich dankend.
„Oder möchtest Du lieber ´Raffaelo´ kosten?“ „Was ist das?“ wollte ich wissen.
„Das Konfekt „Raffaelo“ ist etwas ganz Besonderes: Man braucht dazu 400 Gramm
Butterkeks, 200 Gramm flüssige dunkle Schokolade, 1 Tasse Coca Cola, 3 Esslöffel
dunklen Kakao, 200 Gramm Kokosraspeln. In einer Schüssel die Butterkekse zu Krümeln
zerstampfen, den dunklen Kakao hinzu sowie die Coca Cola und falls zu trocken, noch
etwas Milch. Alles gut miteinander vermengen und zu kleinen Kugeln formen. Die Kugeln
in der flüssigen Schokolade wälzen, anschließend in den Kokosraspeln rollen und auf
einem Blech ablegen, damit die Schokolade erkaltet und die Kokosraspeln festhält. Das
ergibt etwa 30 Kugeln „Raffaelo“.
Manuela nimmt Platz auf der kuscheligen Couch und erzählt, dass sie seit dem
Jahre 2000 in Magdeburg ist und gerade ihren achtundzwanzigsten Geburtstag
gefeiert hat. „Geboren wurde ich in Obilić im Kosovo. Obilić ist eine Gemeinde
im Zentrum des Kosovo und grenzt im Südosten an die Gemeinde Priština. 1989
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wurde Obilić von Priština getrennt. Die Hauptstraße zwischen Priština und
Kosovska Mitrovica durchzieht auch Obilić. Hier sind die beiden einzigen
Braunkohlekraftwerke des Kosovo. Obilić ist benannt nach Miloš Obilić –
einem mythischen Helden der serbischen Nationalgeschichte. Es hängt mit der
Schlacht auf dem Amselfeld zusammen, die bekanntermaßen am15. Juni 1389
stattfand. Fürst Lazar Hrebeljanović führte das Heer der Serben und Bosnier an.
Die Osmanen führte Murad I. an; er wurde vom serbischen Edelmann und Ritter
Miloš Obilić getötet. Fürst Lazar jedoch geriet in die Gefangenschaft der
Osmanen und wurde hingerichtet. Zur Erinnerung an diese Schlacht wird in
jedem Jahr am 15. Juni der Vidovdan gefeiert.
In meinem Geburtsort ging ich zur Schule und beendete sie mit dem
Hauptschulabschluss.
Als ich achtzehn war, beschloss meine Familie, den Kosovo zu verlassen. Der
Krieg war zu schlimm und wir fürchteten jeden Tag um unser Leben. Durch
Hilfe von guten Freunden und unbekannten Menschen kamen wir schließlich
nach Deutschland. Zunächst waren wir im Asylheim in Solingen untergebracht,
und glücklicherweise bekamen wir bald eine Zuweisung nach Magdeburg. Viele
Häuser in Magdeburg sind im Einheitsstil des ´Ostblocks´ gebaut und erinnern
mich an den Kosovo. In Magdeburg lernte ich meinen Mann kennen, wir
heirateten und freuten uns auf unser erstes Kind. Inzwischen haben wir zwei
Mädchen und einen kleinen süßen Jungen, der gerade das Laufen lernt. Deshalb
gehe ich noch nicht wieder zur Arbeit, sondern bin noch zu Hause und kümmere
mich um die Kinder.
Ein harmonisches Leben in der Familie ist mir sehr, sehr wichtig. Dazu trägt
auch unsere schöne Wohnung bei und die zentrale Lage hier in der Stadt. Und
wenn die Kinder etwas älter und selbständiger sind, suche ich mir eine
Arbeitsstelle, damit Geld in die Familienkasse kommt, denn auch ich möchte
natürlich einen Beitrag zum Lebensunterhalt geben. Wie gesagt, im Moment
geht nur mein Mann zur Arbeit.
Außerdem würden wir gern ein Haus bauen mit einen Garten darum, in dem rote
Rosen blühen. Rote Rosen sind für mich die schönsten Blumen, obwohl meine
Lieblingsfarbe Blau ist. Blau ist wirklich eine herrliche Farbe! Blau ist in der
Roma-Flagge das Symbol für den Himmel.
Wenn ich ausspannen möchte, lese ich die Tageszeitung ´Volksstimme´ oder
höre unsere Volksmusik, vor allem die serbische hat es mir angetan. Ich singe
gern und meinem Mann gefällt das. Also singen wir öfter gemeinsam. Und
manchmal stimmen die Mädchen auch schon ein. Zum Sport gehe ich nicht,
meine Kinder halten mich fit.
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Schön ist, dass meine Eltern auch in Magdeburg leben. Sie sind die Vorbilder
für mich. Wenn ich ganz ehrlich bin, würde ich am liebsten in Amerika leben,
doch bis dahin kann noch etwas Zeit vergehen.“
Manuela gießt langsam Coca Cola in das leere Glas nach, trinkt und gesteht
freimütig, dass sie jeden Tag etwa eine Flasche davon allein trinkt: „Und wenn
wir Urlaub machen und meine Verwandten in Deutschland besuchen, dann habe
ich für unterwegs immer Coca Cola dabei.
Ins Kino gehen wir nicht, aber wenn ich im Fernsehen die Schauspielerin und
Sängerin Yvonne Catterfeld erwischen kann – die finde ich toll. Und ganz
ehrlich – wünschte ich mir manchmal, ich könnte sie sein. Temperamentvolle
Leute mit vielen Ideen mag ich ganz besonders. Ja, das sind so meine Träume.
Auch gehe ich gern zum Shopping. Stundenlang könnte ich durch die
verschiedenen Geschäfte bummeln und gerade auch für unsere Kinder schöne
Sachen aussuchen. Das ist auch ein Grund, weshalb ich gern in Magdeburg lebe.
Streit kommt schon auch mal bei uns in der Familie vor; dann möchte ich am
liebsten allein sein. Ich ziehe mich einfach zurück, denn Stress baue ich am
besten ab bei einem Spaziergang – allein.
Zum Kosovo habe ich keine Kontakte mehr, weil meine ganze Familie in
Deutschland lebt.
Ungerechtigkeiten gegen mich und die Familie ärgern mich sehr, aber auch
dieser Stress geht vorbei. Ansonsten bin ich sehr zufrieden mit meinem Leben:
ich würde nichts daran ändern wollen und möchte es auch nicht von vorn
beginnen, selbst wenn ich es könnte.“
„Mich ärgert, wenn die Leute das Schimpfwort ´Zigeuner´
verwenden…“ ,Im Gespräch mit Frau Antigona L., 33 Jahre
Zu Fuß geht es in dem Platten-Wohnblock hinauf bis zum 4. Stockwerk. Ich bin
verabredet mit der RomaFrau Antigona. Mein Begleiter – Ekrem Tahiri –
kündigt uns schon durch lautes Rufen im Treppenhaus an. Von oben Worte auf
serbisch, die ich nicht verstehe. Noch wenige Stufen, und mich begrüßt das
Familienoberhaupt – ein freundlicher Mann in Hauskleidung. Höflich fordert er
30
mich auf, meine Schuhe in der Diele zu lassen. Ich sehe meinen Begleiter seine
Schuhe ebenfalls von den Füßen streifen. Das hilft, die Glaubwürdigkeit der
Handlung zu stärken. Aus einem der Räume tritt eine auffallend schlanke,
bleiche Frau mit tiefen dunklen Augen und hellem Teint. Ihr Mann stellt sie mir
vor: „Meine Frau.“
Auffallend ist, dass sie nur ihren Kopf senkt und nicht spricht. Ich schenke ihr
ein kurzes Lächeln, und schon werde ich in das Hauptzimmer der Wohnung
gebeten. Voller Ehrfurcht betrete ich den Raum und bemerke zahlreiche große
Bilder an den Wänden und Gebetsbänke am Rande des Teppichs. Spätestens
jetzt habe ich Gewissheit, dass es sich um eine private Moschee handelt. Es ist
das Männerzimmer.
Zu dritt sitzen wir um einen Clubtisch. Der Ehemann fragt, ob ich eine Tasse
Kaffee möchte. Ich danke und verneine – gerade so – wie oft zu Beratungen.
Wenig später serviert die liebenswerte, scheue Frau geschickt und nahezu
geräuschlos zwei Tassen Kaffee. In einer Glasschale reicht sie kleine
Gebäckstücke. Eine Weile kann ich sie betrachten und bemerke nochmals ihre
überaus schlanke Gestalt, umhüllt von einem langen Rock, unter dem sie
rosafarbene Beinkleider trägt. Geräuschlos wandelt sie mit weißen Pantoletten
an den Füßen. Der Pulli passt zum roten Muster des Rockes, denke ich, und
schon ist sie wieder wortlos verschwunden.
Während ich überlege, wie ich das Interview führen werde, erklärt mir ihr
Mann: „Meine Frau ist jetzt dreiunddreißig. Als wir 1999 aus dem Kosovo
flohen, verließen wir alles – unser selbst gebautes Haus, unseren Garten und ich
meine Arbeit. Seit 1992 sind wir verheiratet. Meine Frau ist jetzt dreiunddreißig.
Ja, das ist normal, dass bei uns die Frauen mit sechzehn heiraten. Wir haben
sechs Kinder – zwei Jungen und vier Mädchen.“
Vor dieser Familie müssen wir den Hut ziehen, denke ich schnell nebenbei.
Ich senke meinen Kopf und der Mann spricht weiter mit weicher Stimme:
„Antigonas Mutter verstarb schon in jungen Jahren, und deshalb ist Antigona bei
ihrer Großmutter aufgewachsen. Sie lebten in ländlichen Verhältnissen, das
bedeutet, Antigona besuchte keine Schule, sie kann also weder lesen noch
schreiben – kurzum, sie ist Analphabetin.“
Ich wollte wissen, warum die Großmutter sie nicht zur Schule schickte. Er gab
an, dass es durchaus in einem Dorf normal sei, die weit entfernte Schule nicht zu
besuchen. Es sei unter diesen Lebensumständen im Kosovo nicht weiter von
Bedeutung, ohne Schulbildung zu leben. „Die Großmutter besorgte das Haus
und die Ernährung für beide. Sie kochte regelmäßig und buk das nötige Brot.
Auch um den Garten kümmerte sie sich, weil Obst, Gemüse und Kartoffeln zur
31
Versorgung wichtig waren. Antigona hingegen wusch die Wäsche und hielt das
Haus sauber. Damit hatte sie genug zu tun.“
Wie gut er deutsch spricht, denke ich, während er mit seiner Schilderung fort
fährt: „Im Grunde genommen litten wir alle schon seit 1991 unter den
schrecklichen Umständen im Land. So lernte ich meine Frau kennen und sehr
lieben. Wir heirateten und wurden bald mit Kindern beschenkt. Drei unserer
Kinder wurden im Kosovo geboren. Die Tochter mit der Intelligenzminderung
wurde 1994 im Kosovo geboren. Der Krieg ist an allem Missgeschick schuld.
Trotzdem! Im Kosovo liegen die Wurzeln unserer Kultur. Wir lebten in
bescheidenem Wohlstand. Wir sind Roma und lieben unsere Heimat, doch für
uns gibt es niemals wieder ein Zurück. Das wäre schrecklich. Dort sind wir ohne
Besitz. Der Krieg hat unsere Häuser zerstört, und unsere Grundstücke sind in
den Grundbüchern der Orte nicht auf unsere Namen eingetragen. Also gehört
uns nichts, wenn wir zurückkämen. So sind wir gezwungenermaßen in
Magdeburg.“
Das wollte ich genauer wissen, und er schilderte: „Mein Wunsch wäre, in
Dortmund zu leben. Da gibt es freie Arbeitsplätze. Von Beruf bin ich Metzger.
Noch besser wäre, wir könnten in Paris leben, dort ist meine gesamte Familie.
Sie würden sich um unsere Kinder kümmern, während ich zur Arbeit gehe und
den Lebensunterhalt für meine Frau und die Kinder verdiene. Meine Frau ist
krank, sie kann die Kinder nicht versorgen. Der Krieg hat sie mit Depressivität
belegt.
Eine Tante von mir lebt in Lyon, doch seit sechs Jahren habe ich sie nicht mehr
gesehen. Nach Paris telefoniere ich regelmäßig. Ja, ich würde sofort nach Paris
gehen, doch man lässt mich nicht. Ich bin zugeteilt für Magdeburg. Was soll ich
hier mit meiner kranken Frau! Sie ist traumatisiert durch den Krieg und in
Magdeburg in psychologischer Behandlung. Eines meiner Kinder ist
intelligenzgemindert. Meine Tochter hat einen Intelligenzquotienten von
einhundertvier. Sie wurde 1994 im Kosovo geboren. Meine Frau war achtzehn
und der Krieg tobte. Das ist doch alles tragisch!
Meine Mutter lebt mit uns in dieser Wohnung. Sie ist selbst krank und kann sich
nicht um die Kinder und meine traumatisierte Frau kümmern. Das muss alles ich
tun.
Zwei unserer Kinder sind in Magdeburg geboren. Sie gehen zur Schule und sind
gut integriert und sprechen die deutsche Sprache.“
Seine porzellanblasse, zarte Frau mit dunklem, gewelltem Haar, tritt wortlos an
den Tisch und tauscht die leeren Kaffeetassen gegen volle. Eben so geräuschlos
stellt sie noch eine Flasche mit Wasser hinzu.
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„Mein Wunschtraum ist, eine Aufenthaltsverlängerung zu bekommen und
bleiben zu dürfen, denn wir leben doch nur für unsere Kinder. Denen soll es
einmal besser gehen. Dafür bete ich fünfmal am Tage.
Worüber regen Sie sich auf? Dass ein Kleid zweihundert oder dreihundert Euro
kostet? Wir haben nicht einmal das Geld, um nach Paris zu meiner Familie zu
fahren. Entschuldigen Sie bitte, ich will damit nur die Relationen der Probleme
deutlich machen.
Meine Frau ist krank und liegt den ganzen Tag im Bett. Sie ist nicht imstande,
den Haushalt und die Kinder zu besorgen. Das muss alles ich tun. Und deshalb
kann ich nicht regelmäßig einer Arbeit nachgehen. Sehen Sie meinen
verkrüppelten Fuß, damit bin ich nicht sonderlich belastbar. Das war der Krieg,
er hat meinen Fuß zerstört.
Momentan läuft ein Antrag für eine Kur. Wir alle brauchen dringend Therapie.
Einer meiner Söhne ist jetzt fünfzehn und ziemlich vernünftig. Er hilft uns schon
sehr und kümmert sich um seine jüngeren Geschwister.
Der bedeutsamste Feiertag im Jahr ist für uns der 6. Mai. Es wird schon in der
Nacht zuvor auf den 6. Mai gefeiert – den Tag des heiligen Georg.
Meine Vorbilder sind Vater und Mutter. Meine Mutter lebt bei uns – mein Vater
ist schon vor Jahren gestorben.
Mich ärgert, wenn die Leute das Schimpfwort ´Zigeuner´ verwenden. Schlimm!
Es gehört doch wirklich der Vergangenheit an. Wir wollen doch nur in Frieden
leben.
Sehen Sie, wenn jemand kriminell ist, würde er einen Asylantrag in Deutschland
stellen? Nein. Also, wir leben nach europäischen Kriterien, und für uns
Erwachsene ist Deutschland das zweite Heimatland. Für unsere Kinder ist es die
erste Heimat. Sie wachsen hier auf und gehen zur Schule. Sie sprechen gut
deutsch und haben keine Probleme.
Aber für uns sind rund dreißig Jahre unseres Lebens verloren. So sehen wir
wenigstens eine Perspektive in Deutschland. Vor fünf Jahren wollten wir nach
Paris umsiedeln zu meiner Familie. Das hat nicht geklappt, und nun bleiben wir
in Magdeburg.
Meine Frau liebt rote Rosen. Damit kann ich ihr immer eine Freude machen.
Das Rot hängt mit dem roten Rad zusammen in unserer Roma-Fahne. Es ist das
Indische Rad und erinnert an unsere Wurzeln. Ansonsten gefallen ihr alle
Farben.
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Wenn Sie uns das nächste Mal besuchen, essen wir zusammen
„Gulasch vom
Rind“. Das ist eine Spezialität der Roma: Nimm 500 Gramm gewürfeltes Rindfleisch, 6
geschälte, gewürfelte Zwiebeln, 3 entkernte, gewürfelte Paprika (rot oder gelb – ist
egal), 2 geschälte, gewürfelte Karotten, 1 Tasse Sonnenblumenöl und 1 Teelöffel
Paprikapulver (scharf oder mild, je nach eigenem Bedarf).
Fleisch in einen Topf geben und mit 1 Glas Wasser begießen. Etwa 30 Minuten kochen
bei geschlossenem Deckel. Inzwischen die zu Würfeln geschnittenen Zwiebeln, Paprika
und Karotten in einer Pfanne mit Öl anbraten und zum Gulasch geben. Etwa 90 Minuten
weiterkochen, dann mit Paprikapulver und schwarzem Pfeffer würzen. Kurz bevor das
Fleisch gar ist, gibst Du 2 Esslöffel gekörnte „Soße für Gulasch“ hinzu, umrühren und
fertig. Dazu trinken wir Wasser.
Wir Roma möchten in Deutschland eine Perspektive haben wie andere
Volksgruppen. Wir sind Intellektuelle und emanzipiert und nicht kriminell.
Eines möchte ich noch sagen: Wir sind stolz, Roma zu sein!
Während ich das Interview führe, bemerke ich an der halb geöffnete Tür ein
kleines Köpfchen mit pechschwarzen Locken und zwei dunklen Augen so groß
wie Mühlräder. Ich schenke dem Mädchen ein herzliches Lächeln, doch beim
ersten Mal zeigt die kleine Person keine Reaktion. Erst beim zweiten Versuch
lächelt sie scheu zurück. Ich winke ihr zu und bitte sie zu mir. Tatsächlich! Nach
kurzem Zögern steht sie neben mir, fast ebenso blass wie ihre Mutter. Ich lege
meinen Arm um die zarten Schultern und frage, ob sie schon zur Schule geht.
Sie nickt. „Welche Klasse?“, will ich wissen, doch das kleine Persönchen
schweigt. Ihr Vater sagt, dass sie die 1. Klasse besucht. Ob sie schon etwas
schreiben kann, möchte ich wissen. Und nachdem ich sie mehrmals zum
Sprechen animierte, sagt sie kaum hörbar: „Ja.“
Nachdem alles Wichtige notiert ist, will ich mich verabschieden. Doch plötzlich
holt das kleine, zarte Mädchen ihre signalfarbene Schultasche und zieht einen
Hefter mit rotem Einband heraus. Ihre Mutter hält die schwere Mappe und hilft,
dem Hefter ein besonderes Blatt zu entnehmen. Stolz zeigt sie mir weitere farbig
ausgemalte Blätter. Darauf ist ein Bischof zu sehen. Er trägt seine Insignien –
Casel, Mitra und den Bischofsstab mit Krümme. Seine rechte Hand ruht über
dem Kopf des Kindes, das er gerade segnet. Meine Augen werden feucht, mein
Herz ist zutiefst gerührt, zumal ich jetzt Gewissheit habe, dass diese Familie ihre
Kraft aus der Religion schöpft.
34
„In Lesen und Mathematik bin ich Klassenerste.“ Im Gespräch mit dem
Mädchen Belinda N., 12 Jahre
In Begleitung von Ekrem Tahiri besuche ich in der elterlichen Wohnung das
Mädchen mit dem schönen Namen Belinda. Dass in der Diele die Straßenschuhe
ebenso abgelegt werden wie Mantel und Schal, ist mir seit dem ersten Interview
der RomaFrauen geläufig. Im sonnendurchfluteten Wohnzimmer finden wir
schnell Platz auf bequemen Sitzen. Die Erwachsenen trinken schwarzen Tee –
stark und mit viel Zucker. Dieses Getränk schmeckt verführerisch, und so gönne
ich mir einen nächsten Schluck.
Inzwischen erzählt mir Belinda eifrig, dass sie vor knapp dreizehn Jahren in
Priština geboren wurde und seit vier Jahren in Magdeburg lebt. Ich erfahre, dass
Belinda gern die deutsche Schule besucht, und dass sie mit vielen
Klassenkameraden befreundet ist. Mit ihnen trifft sie sich auch außerhalb der
Schule zum Spielen oder zum Spazierengehen.
„Ich spreche deutsch in der Schule und zu Hause mit meinen Geschwistern, aber
auch deutsch und Romanes mit meinen Eltern und Geschwistern. Ich tanze gern
orientalische Tänze, und freue mich auf jede gemeinsame Stunde mit der
Leiterin und den Mädchen aus der Gruppe ´Kinder des Windes´. Ich singe gern
deutsche und albanische Lieder. Willst Du das „Magdeburger Lied“ hören? Wir
singen es in der Schule.“ Begeistert stimme ich zu. Mir entgeht nicht, dass sie
versucht, ein deutsches Lied so klar zu singen, damit ich es gut verstehe.
Während sie singt, kommen rasch ihre Geschwister hinzu und stimmen mit ein.
Die Rede ist hier von einer kleinen Chorbesetzung: fünf Stimmen - „gemischter
Chor“.
Ich kenne eine Stadt am großen Strom,
die viele Häuser hat und einen Dom.
Unsere Stadt mit M beginnt,
denn wir sind, wir sind ein Magdeburger Kind!
Ist denn die Elbe immer noch dieselbe?
Fragt sich der Dom und wundert sich.
So viel Verkehr, Häuser und noch mehr
hab ich früher wirklich nicht gesehn.
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Der Omnibus fährt durch die Stadt,
die so wie wir noch Zukunft hat.
Wir sind vergnügt bei Regen und bei Wind,
denn wir sind, wir sind ein Magdeburger Kind!
Ist denn die Elbe immer noch dieselbe?
Fragt sich der Dom und wundert sich.
So viel Verkehr, Häuser und noch mehr
hab ich früher wirklich nicht gesehn.
Im Stadtpark ist es wunderschön,
der Till muss auf dem Marktplatz steh´n.
Wir drehn ihm eine Nase eh er sich besinnt,
denn wir sind, wir sind ein Magdeburger Kind!
Ist denn die Elbe immer noch dieselbe?
Fragt sich der Dom und wundert sich.
So viel Verkehr, Häuser und noch mehr
hab ich früher wirklich nicht gesehn.
Ein Zoobesuch ist interessant,
Erholung gibt’s am Barleber Strand.
Wir sind vergnügt bei Regen und bei Wind,
denn wir sind, wir sind ein Magdeburger Kind!“
Während ich für den flotten Gesang applaudiere, betritt die jüngste Schwester –
sie ist vier Jahre alt – im hellen, seidig glänzenden Tanzkleidchen das
Wohnzimmer. Ihre schwarzen Lackschuhe ließ sie in der Diele zurück. Mit der
Pose einer Tänzerin verneigt sie sich – einen hellblauen Seidenschal um den
üppigen Lockenschopf gebunden – und führt einen orientalischen Tanz auf. Je
mehr die Anwesenden klatschen, desto schneller dreht sie sich und wirft ihre
kurzen Ärmchen in die Höhe. Hoppla, das war wohl ein bisschen zu schnell,
meine Dame! Ihre kleinen Beinchen versagen plötzlich den Dienst und sie
landet mitten auf dem Teppich … und bleibt eine Weile liegen. Trotzdem! Lang
anhaltender Applaus für das attraktive Persönchen.
Belinda verrät mir mit stolzer Stimme, dass sie zusammen mit ihren beiden
Schwestern in dreißig Minuten abgeholt wird: „Zum Drehtermin beim
Fernsehen. Die Tanzgruppe ´Kinder des Windes´ ist sehr gefragt und tritt auf zu
Veranstaltungen aller Art. Wir drei Mädchen tanzen mit und unsere Eltern sind
begeistert.“
Ich wollte wissen, ob sie ihrer Mutter im Haushalt behilflich ist. „Ja, alle meine
Geschwister übernehmen Arbeiten in der Familie. Nein, es gibt keinen Streit mit
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meinen Geschwistern. Jeder hilft jedem. Meine Brüder spielen Fußball beim
´SV Arminia´. Das ist dort nichts für mich, obwohl ich auch gern Ballspiele
mache, besonders mit meinen Schulkameraden. Am liebsten aber würde ich ein
Instrument spielen. Flöte oder Gitarre möchte ich gern lernen.“ Ihre dunklen
Augen glänzen wie schwarze Schokolade.
„Ich bin mit vielen Schulkameraden befreundet, und mit ihnen treffe ich mich
auch nachmittags zum Spielen. Ab und zu fahren wir auch mal mit den Rädern.
Ja, ich weiß, nicht so weit weg! Mein Vater mahnt mich fast jedes Mal.“
Stolz holt sie ihre Schulhefte hervor und weist mit charmantem Lachen darauf
hin, dass sie in Mathematik und Deutsch mehrere Noten „Sehr gut“ hat. „In
Lesen und Mathematik bin ich Klassenerste.“ Ich mache ihr Mut und rede gut
zu.
„Meine Freunde im Kosovo sind weit weg. Ich denke schon nicht mehr an sie.
Nur meine Mutti kann nachts nicht schlafen. Oft weint sie und klagt besonders
nachts über Herzschmerzen. Dann stehen wir alle auf, geben ihr frisches Wasser,
und dann geht es wieder.
Ich bin zwar Muslimin, halte mich aber nicht so streng an die Religion. Nur
manchmal beten wir Geschwister mit meinen Eltern gemeinsam.
Deutsche Gedichte lese ich gern, und vor allem Märchen. Hier, sieh mal, dieses
Buch ´Meine schönsten Märchen´, gab mir meine Lehrerin. Ich lese sehr gern
darin und lese auch meinen Eltern und Geschwistern daraus vor. Aschenputtel
ist mein liebstes Märchen. Gab es das wirklich? Ist dass alles wahr?“ Fragend
schaut sie mich an: „Nein, es sind nur Geschichten, die sich jemand für uns
ausgedacht hat.“ beruhige ich sie.
„Rote Tulpen mag ich besonders und Schneeglöckchen. Und wenn es windig ist,
sehen sie doch aus, als bewegen sie ihre Köpfe und wollten tanzen.“ Sie lacht.
„Stimmt“, sage ich, „gut beobachtet.“
Nun möchte ich gern wissen, was Belinda am liebsten isst. „Suppe esse ich am
liebsten. Aber ich kann auch gut kochen und überrasche oft meine Familie mit
etwas Selbstgekochtem.
Ja, „Kartoffelsuppe“ – essen wir alle gern. Die mache ich so:
500 g Hühnerfleisch oder 500 g Rindfleisch in Wasser mit wenig Salz weich kochen.
Anschließend Fleisch von den Knochen lösen und in kleine Stücke schneiden. Inzwischen
Kartoffeln, Möhren und Zwiebeln schälen und alles in kleine Würfel schneiden. Das
vorbereitete Gemüse in der Fleischbrühe 25 Minuten garen, das gewürfelte Fleisch
hinzu geben, mit Salz und Pfeffer abschmecken, umrühren, fertig. Auf tiefe Teller tun
und „Guten Appetit!“
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Meine Mutti bäckt auch feine Pizza. Aus Mehl, Wasser, Salz und einer Prise Zucker knetet
sie einen Teig, lässt ihn eine Stunde gehen und rollt ihn auf dem Blech aus zu einer
flachen Platte. Dann verteilt sie darauf Stücke von Thunfisch, Salami, Gulasch, Tomate,
Paprika und Zwiebel. Obenauf streut sie reichlich viel geriebenen Käse. Dann wird die
Pizza im Ofen gebacken - bei 210 °C für 40 Minuten. Pizza isst man am besten warm, so
schmeckt sie wunderbar. Dazu gibt es Saft, Wasser oder Coca Cola.“
Während ich Notizen mache, muss ich unweigerlich schlucken.
Belinda wechselt plötzlich das Thema und spricht eindringlich ernst und
flehentlich: „Ich wünsche mir, dass wir in Magdeburg bleiben können. Ich lebe
viel lieber in Magdeburg als in Priština, wo der Krieg ist. Mein Bruder hat einen
Hörschaden – von Bombeneinschlägen. Die Bomben explodierten in
unmittelbarer Nähe von ihm, so dass die entstandenen Druckwellen sein
Hörvermögen schädigten. Jetzt braucht er dringend ein Hörgerät. Und, sehen
Sie, mein anderer Bruder hat schon eine Herzoperation hinter sich.“
Vorsichtig hebt der schmächtige Junge seinen Pullover und ich sehe zwei lange
Narben am Brustkorb des Jungen. Ich habe Gänsehaut und über meinen Rücken
läuft ein Schauer. „Er besucht die Schule ganz normal wie jeder andere
Schüler“, fügt Belinda hinzu.
„Vorbilder für mich sind meine Eltern und meine Lehrerin. Mit ihr kann ich
auch über meine kleinen Nöte sprechen. Sie versucht mir zu helfen, so gut sie
kann, und dafür mache ich mit ihr gern Gartenarbeit.
Ich bin auch froh, dass ich ein Fahrrad besitze und schnell mal zu meiner
Freundin fahren kann. Meinem Vater musste ich allerdings versprechen, dass ich
nur auf Gehwegen fahre – niemals auf der Straße. Er meint, es sei zu gefährlich
wegen der vielen Autos. Und wenn mich Fußgänger ermahnen, dann
entschuldige ich mich höflich und möglichst mit aller Freundlichkeit, die ich
besitze. So komme ich gut mit anderen Menschen zurecht.
Auf dem Fahrrad trage ich am liebsten lange Hosen und einen Pullover – das ist
auch meine Bekleidung im Winter und möglichst viele Sachen in Rot. Rot ist
meine absolute Lieblingsfarbe. Meine Schwester ist ja nur ein Jahr jünger als
ich, aber wir tragen immer gleiche Kleidung. Heute haben wir extra die
Ringelpullover mit dem Aufdruck ´Sweety´ angezogen. Im Sommer tragen wir
dann aber auch Röcke und Kleider.
Ach, ja, wünschen würde ich mir eine größere Wohnung, denn wir sind drei
Mädchen und drei Jungen und dazu meine beiden Eltern. Also, für acht
Personen reichen drei Zimmer schon kaum noch aus.
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Mein Vater hat den Achtklassenabschluss und arbeitete kurze Zeit auf dem Bau.
Seitdem darf er nicht mehr arbeiten. Ich wünsche sehr, dass er bald wieder
arbeiten darf. Das würde uns unabhängiger machen von sozialen Leistungen hier
in Deutschland.“
„Warum seid Ihr nicht schon 1999 geflohen, wie die meisten Leute aus dem
Kosovo?“, wollte ich wissen. Belinda schaut ihren Vater fragend an und spricht
wenige Worte in Romanes. Er nickt. Nun sagt sie auf Deutsch, dass sie keine
Fluchthelfer hatten und auch keinen LKW: „Erst vor vier Jahren bekamen wir
einen LKW, mit dem wir schließlich fliehen konnten von Mazedonien nach
Westeuropa – bis wir in Deutschland ankamen. Der Bruder meines Vaters lebt
mit seiner Familie in Köln, dahin haben wir uns als erstes gewandt. Nach drei
Stunden Aufenthalt bei meinen Verwanden, fuhren wir weiter nach Leverkusen,
dann weiter nach Bielefeld. Hier blieben wir vier Tage in einem Hotel und
erfuhren, dass wir nach Halberstadt fahren sollten. In Halberstadt waren wir für
drei Monate im Asylbewerberheim untergebracht, bis wir die Aufforderung
bekamen, nach Magdeburg zu ziehen. Hier leben wir von Anbeginn in dieser
Wohnung, die – wie gesagt – allmählich zu klein wird, weil wir Kinder älter
werden.
Ich möchte die Schule mit guten Leistungen abschließen und dann Medizin
studieren.
Mein größter Wunsch ist, in Magdeburg zu bleiben, keine Probleme zu haben
und keine Toten zu sehen wie im Kosovo. Meine Mutti träumt oft vom Tod
ihres Bruders. Sie weiß auch nicht, wo ihre Eltern sind, vermutlich sind sie
verschüttet unter den Trümmern im Kosovo. Diese Probleme übertragen sich
natürlich auf uns Kinder.
Wenn mein großer Bruder schläft, wandelt er nachts plötzlich umher. Einmal
passierte es, dass wir am Abend vergessen hatten, von innen die Wohnungstür
abzuschließen. Plötzlich verließ er das Bett, lief durch den Flur, öffnete die
Wohnungstür und ging die Treppe hinab. Ich hörte irgendwelche Geräusche im
Treppenflur, lief in die Diele und fand die Wohnungstür offen. Dann entdeckte
ich meinen Bruder – zusammengekauert – auf halber Treppe. Schnell führte ich
ihn zurück ins Bett. Am nächsten Tag kann er sich prinzipiell an nichts erinnern.
Ja, und dann bin ich müde am nächsten Tag. Erst wenn ich im Klassenzimmer
sitze, ist die Müdigkeit vorbei. In Deutschland kann ich wenigstens meine
Freunde sehen, so oft ich will. Ach, Kosovo ist weit weg! Das ist gut so, ich
habe keine Sehnsucht dahin. Dort in der Schule schlugen die Lehrer mit dem
Stock auf die Hände. Wenn Dir ein Wort gerade nicht einfiel, bekamst Du
Schläge mit dem Stock, manchmal auch auf die Fingerkuppen. Und wenn mal
etwas zu Boden fiel, gab Dir der Lehrer einen kräftigen Schlag an den
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Hinterkopf und drückte Dich ungnädig mit dem Kopf zum Fußboden: ´Heb
auf!´, sagte er in harschem Ton.
Und wenn wir zum Unterricht zu spät kamen, trat der Lehrer nach uns, und
dieser Tritt war eigentlich schon kräftig genug, doch meistens schlug er noch
zusätzlich mit dem Stock auf uns ein. Nein, das war wirklich nicht schön. In
Deutschland ist alles viel besser.
Zwei meiner Brüder spielen Fußball in der ´SV Arminia´. Bisher mussten sie
ihre Sportsachen selbst kaufen, doch ich würde mir wünschen, dass sie
wenigstens die Schuhe vom Sportverein bekommen könnten. In den Urlaub
können wir nicht mit der ganzen Familie fahren. Das wäre zu teuer. Doch meine
Klasse fährt in diesem Jahr für eine Woche nach Ahrendsee. Das macht Spaß!
Einhundertfünfzehn Euro kostet die Klassenfahrt, und ich freue mich schon sehr
darauf.“
„Manchmal stelle ich mir vor, in einer Weide zu wohnen.“
Im Gespräch mit Frau Karina S., 42 Jahre
„Ich weiß nicht genau, von wo überall meine Wurzeln stammen. Vielleicht gibt
es ja neben den sorbischen und hugenottischen auch Wurzeln bei den Sinti oder
Roma. In jedem Fall aber bin ich Weltbürger mit allen Sinnen. Von Beruf bin
ich Diplom-Sozialpädagogin. 1966 wurde ich in Magdeburg als erstes Kind
meiner Eltern geboren. Damals ahnte wohl niemand der Betroffenen, dass meine
Leidenschaft einmal zu meinem Beruf würde. Aufgewachsen bin ich in
Haldensleben, einer kleinen Stadt in der Nähe von Magdeburg. Meine
Urgroßmutter erzählte mir manchmal über meinen Urgroßvater hinter
vorgehaltener Hand: „Er muss wohl ein Zigeuner gewesen sein.“ Für meine
Urgroßeltern spielte das aber keine Rolle, sie waren in großer Liebe miteinander
verbunden. Doch Urgroßvater ist leider schon tot und ich kann ihn nicht mehr
fragen.
Am Tag meiner Einschulung trug ich nicht nur stolz eine große Zuckertüte,
sondern hatte die blonden Haare zu zwei Zöpfen geflochten – jeweils rechts und
links am Kopf zwei große Schleifen im Haar. Manche der Mädchen meinten, ich
sähe aus wie eine Russin. Das hat mich noch stolzer sein lassen, denn ich fand
meine Zöpfe schön.
40
1984 legte ich das Teilabitur, heute würde man Fachabitur sagen, ab. Ich war
voll integriert in die Kinder- und Jugendarbeit und studierte dann am
Zentralinstitut der Pionierorganisation in Droyßig bei Zeitz. Schnell erlangte ich
die Lehrbefähigung in Musik und Deutsch für die Klassen 1 bis 4.
Mit Enthusiasmus arbeitete ich ab 1988 in der Pionierrepublik am Werbellinsee
bei Berlin. Hier erlebte ich auch die politische Wende und konnte zunächst nicht
begreifen, dass es nun die Pionierrepublik nicht mehr geben sollte, denn dadurch
verlor ich meine Arbeit. Im Sommer 1989 lernte ich meinen arabischen Mann
kennen, und im Sommer darauf schenkte ich meiner Tochter Anna das Leben.
Genau ein Jahr später begab ich mich zur Auswanderung in den Persischen Golf
nach Bahrain. Als Musiklehrerin arbeitete ich in einer deutschen Schule, die sich
in Saudi-Arabien befand. Das bedeutete, dass ich jeden Samstag mit zwei
Schülern über die Grenze ging zu weiteren zwanzig Schülern, die schon immer
ganz ungeduldig auf uns warteten.
Bald stellte sich heraus, dass Anna gesundheitliche Probleme bekam wegen des
heißen Klimas. So ging ich mit ihr allein zurück nach Deutschland, und das
Weihnachtsfest 1991 verlebten wir wieder in Magdeburg. Die Ehe mit Annas
Vater zerbrach, er wollte nicht zurück nach Deutschland, sondern blieb ohne uns
in Bahrain.
Von Februar bis November 1992 absolvierte ich eine Umschulung zur
Suchtberaterin, und ab Februar 1993 arbeitete ich für ein halbes Jahr im
Asylbewerberheim in Wetzlar. Über eine kurze Tätigkeit im Wetzlarer
Frauenhaus kam ich zu einem evangelischen Kinderheim in Rechtenbach. Dort
waren auch ausländische – hauptsächlich türkisch/ kurdische Kinder
untergebracht, mit denen ich ihren muslimischen Glauben gemeinsam lebte. Ich
brachte ihnen das muslimische Beten bei. Weiter kümmerte sich dann die
Jugendhilfe um diese Kinder, bis sie letztendlich im angemessenen Alter eine
Berufsausbildung durchlaufen konnten, und möglichst mit einem anerkannten
Abschluss.
Von 1994 bis 1995 war ich dann wieder in Wetzlar in der Suchtberatung tätig.
In Wetzlar lernte ich meinen zweiten Mann (einen Algerier) kennen. Wir
feierten Hochzeit und wenig später – im August 1995 – wurde unsere Tochter
Mina geboren. Ich war sehr traurig, als ich Klarheit darüber hatte, dass die
Diskrepanzen zwischen uns zunahmen – besonders nach der Geburt unserer
Tochter – und letztendlich zum Bruch der Ehe führen sollten. Sein Verhalten
eskalierte, weil es auch schwierig war für ihn, eine qualifizierte Arbeit in
Deutschland zu finden. Sein Hass und Frust entlud sich an mir. Ich ging so
schnell als möglich zurück nach Magdeburg zu meinen Eltern. Ich hatte beide
Töchter – Anna und Mina – dabei und reichte umgehend die Scheidung ein.
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Im Frühjahr 1997 begann ich das Studium der Sozialpädagogik mit dem Ziel, es
als Diplom- Sozialpädagogin abzuschließen. Während des Studiums lernte ich
bald meinen dritten Mann kennen. Es war eine schöne Zeit, denn mitunter
besuchten wir die gleichen Vorlesungen oder saßen in den gleichen Seminaren.
Er ist gebürtig aus Niedersachsen. Am 26. November 1999 war die Hochzeit
und am 28. Dezember wurde unser Sohn Rutger geboren. Ende 2002 schenkte
ich unserer Tochter Esther das Leben. Gerade wegen oder trotz der Kinder hielt
ich durch und schloss 2003 mein Studium ab, denn es war durchaus nicht
einfach, allen familiären Verpflichtungen gerecht zu werden.
Im Sommer 1997 war ich noch einmal am Werbellinsee. Aus dem ehemaligen
Pionierlager ist eine Europäische Jugenderholungs- und Bildungsstätte GmbH
geworden. Sie liegt direkt am Werbellinsee inmitten des Bioreservats
Schorfheide-Chorin (nördlich von Berlin) und hat eine Kapazität von etwa 1000
Betten; also ziemlich groß und mit internationaler Betreuung.
Seit 2005 arbeite ich im Flüchtlingsrat. Meine Mitarbeit im sozialen Bereich
erfüllt mich voll und ganz, denn hier kann ich die politische Arbeit mit der
künstlerischen Tätigkeit verbinden. Ich kümmere mich um die Belange der
Flüchtlinge und bin ihnen behilflich mit und bei Beratungen oder leite sie an die
entsprechenden Beratungsstellen weiter.
Ein Ergebnis meiner Flüchtlingsarbeit ist die Gründung der Kindertanzgruppe
„Kinder des Windes“. Meine sechsjährige Tochter Esther ist auch mit in dieser
Tanzgruppe, die ich ehrenamtlich leite. Es gibt schon hin und wieder
Gelegenheiten, wo wir auftreten können. Unser Programm heißt
„Verschwindet!“ Es erzählt die Geschichte der Sinti und Roma. Der Erlös
unserer Veranstaltungen geht auf ein Konto beim Flüchtlingsrat, denn wir
sparen für ein Probenlager in Günthersberge.
Anregungen zur Gestaltung der Tänze hole ich mir beim Ansehen von Filmen
oder auch beim Lesen. Märchen, die Geschichten um Harry Potter oder Romane
mit historischem Bezug – sogar Religionsgeschichten und Schilderungen über
die Kreuzzüge im Mittelalter – finde ich spannend. Alles das kann mich
inspirieren. Auch in der Natur finde ich Anregungen. Ich liebe rote Blüten –
Rosen, Nelken und vor allem roten Klatschmohn, aber auch Vergissmeinnicht
finde ich ganz schön. Und Sonnenblumen – die liebe ich besonders. Und Birken
und Weidenbäume – sie haben etwas Zauberhaftes an sich, sind fest verwurzelt,
bieten Schutz und sind doch so geheimnisvoll. Sie haben ein filigranes
Aussehen, und gerade das ist der geheimnisvolle Teil meiner slawischen Seele.
Birken verbinde ich gern mit russischen Märchen und Filmen. Birken haben
etwas Trauriges und zugleich Erhabenes – und sie strahlen Ruhe und Weisheit
aus. Gleiches sagt man ja bekanntermaßen auch von Eulen.
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Weidenbäume sind für mich ein magischer Ort, an dem ich Kummer abladen
kann. Manchmal stelle ich mir vor, in einer Weide zu wohnen.“
Gedankenverloren schaut sie in die Ferne.
Um unser Gespräch fortzusetzen, erzählte ich Karina von meinem Erlebnis im
Kloster Helfta: „Dort gibt es einen schneckenförmig angelegten Kräutergarten,
in dem sich außer vielen duftenden Blumensorten auch Bänke und Weiden
befinden. Diese Weiden sind zu kleinen Hütten geflochten, in denen nur ein
einziger Mensch Platz findet. Es war an einem glühend heißen Hochsommertag,
als ich das Kloster besuchte und die Mittagssonne brannte erbarmungslos auf die
Besucher nieder. Flugs verschwand ich in solch einem Weidenhäuschen und
betrachtete die Welt durchs grüne Blätterwerk. Die fächelnde Kühle im
Häuschen empfand ich als äußerst angenehm und genoss den Blick nach
draußen in die flirrende Hitze wie ein Vogel aus der Tarnung der Blätter.“
Karina lacht und meint, wenn sie sich etwas wünschen dürfte, wollte sie im
nächsten Leben ein Vogel sein. Und sie erzählt weiter: „Gern lese ich keltische
und irische Geschichten – die sind oftmals sehr mystisch und gruselig.
Ich wünsche mir eine Welt ohne Krieg. Ich sehne mich nach Zweisamkeit und
Geborgenheit, wohl wissend, dass nicht alle Träume in Erfüllung gehen.
Alles kann ich ertragen, nur keine Ungerechtigkeiten. Und aufregen bis zur
Weißglut kann ich mich über Handeln wider besseren Wissens, und auch über
Leute, die aus der Vergangenheit nichts lernen. Denn um das Morgen zu
verstehen, muss ich das Heute begreifen und aus der Vergangenheit lernen.
Aufregen kann ich mich auch darüber, wenn Menschenrechte nicht beachtet
werden. Das ist doch etwas Fundamentales, sollte man glauben, doch das
Gegenteil ist der Fall!
Im vergangenen Sommer war ich mit den Kindern und meinen Eltern in
Dänemark in Blavand. Die Nordsee hat so eine raue, schöne Herbheit, die ich
besonders mag. Manchmal träume ich einen Traum: Ich will mit Anna nach
Irland reisen und durch die Pups gehen mit meiner Gitarre und Anna hätte ihre
Geige dabei. Ein andermal träume ich mich nach Indien. Dort möchte ich nur
mit einem Rucksack durch die menschenvollen Straßen laufen. Ich liebe die
orientalischen Menschen und ihre Kleidung, sie vermitteln mir ein Stück
Heimat.
Bei diesen Gerüchen, diesen Tönen und Bildern ist etwas Vertrautes. Und
vielleicht gehöre ich ja auch dorthin, denn wie Urgroßmutter schon leise zu mir
sagte: ´Urgroßvater war doch Zigeuner´.
Gitarrespielen und Singen ist für mich d i e Entspannung von den täglichen
Pflichten und Sorgen. Und wenn es mit jemandem Kummer gibt, dann schreibe
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ich einen Brief an diejenige Person, einerlei, ob ich den Brief jemals abschicke.
Mitunter lese ich dann den Inhalt einer guten Freundin vor. Gefühle und
Liedersingen sind bei mir eng verbunden, damit ich schnell von der berühmten
´Palme´ wieder herunterkomme.
Ich denke, meine Vorfahren – insbesondere Großmutter und Urgroßmutter –
hatten spezielle Stärken, die mir auf meinem Lebensweg zugute kommen.
Abgesehen davon, dass mich der Gedanke an Che Guevara als die Reinkarnation
von Jesus absolut fasziniert, so verehre ich auch Rosa Luxemburg. Diese Frau
hatte einen großen Freiheitsgedanken. Sie ist mein Vorbild wenn sie sinngemäß
formuliert: „Wer nicht kämpft, hat schon aufgegeben.“
Zwischen den alltäglichen Kämpfen träume ich mich in Märchen hinein, erfinde
auch selbst welche, die ich nebenbei aufschreibe. Irgendwann will ich sie als
Buch veröffentlichen. Träumen und Tanzen, das tut gut. Ich tanze gern auf
Mittelaltermärkten und erzähle Märchen und Geschichten aus dieser Zeit, die
außer Kriegen auch viel Mystisches in sich birgt. Die Gewandung im
mittelalterlichen Stil nähe ich zum Teil selbst.“
Karina hebt ihre Rockkante und deutet auf die dünnen Lederschuhe an ihren
Füßen: „Diese Mittelalter-Bundschuhe habe ich auch selbst hergestellt – aus
Leder natürlich. Man braucht dazu ein Stück zugeschnittenes Leder, eine
Lochzange, Schere, Lederband oder lange Schnürsenkel. Diese Art RömerSchuhe oder Wikinger-Schuhe dienen mir als Tanzschuhe.
In Magdeburg – der einst bedeutsamen Stadt im Mittelalter – lebe ich wirklich
gern, sie ist ja schließlich auch meine Geburtsstadt. Magdeburg ist für meine
Begriffe eine schöne Stadt. Warum? Ja, hier ist der Dom und um ihn herum
stehen Häuser, die interessante Geschichten erzählen. Auch die FestungMark hat
für mich etwas Mystisches. Unser Stadtpark Rotehorn auf der Elbinsel ist die
größte Parkanlage in Magdeburg. Dort gehe ich gern spazieren – unter den alten
Bäumen, die schon eine Menge erlebt haben. Und besonders reizvoll ist dabei
immer wieder der Blick auf die Elbe. Es ist viel Grün in der Stadt. Einmal flog
ich mit meinen Eltern in einer kleinen Maschine über Magdeburg. Es war
herrlich anzusehen, wie viel Parkanlagen in Magdeburg sind. So viele grüne
Flächen hat kaum eine andere Stadt. Ich hab mich sofort noch mal in meine
Heimatstadt verliebt.
Leider verläuft das Leben aber nicht nur im romantischen Schwärmen. Ich habe
mir vorgenommen, das begonnene Masterstudium zu Ende zu bringen. Meine
Masterarbeit hat zum Thema ´Kinderrecht´ mit Schwerpunkt
´Flüchtlingskinder´. Diese Arbeit soll mir dienen, auch meine Kinder auf den
rechten Weg zu bringen.
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Nebenbei schreibe ich je nach Lust und Laune meine eigenen Geschichten auf.
Das geschieht in der Küche beim Rauchen, und so entsteht mein
„Küchenroman“. Interessant als Titel klingt aber auch „Das
Spielzeuggeheimnis“, ich werde es Anna widmen. Nun, mal sehen, was daraus
wird. Wichtig ist, zuerst die Masterarbeit zu schreiben.
In der Küche entstehen aber nicht nur Geschriebenes und
Zigarettenqualmwolken, sondern auch meine Lieblingsgerichte. Dazu gehören:
Empanadas
Zutaten:1 Paket Blätterteig aus der Kühltruhe, oder selbst hergestellter
Quarkblätterteig: Zutaten: 250 g Mehl, 1 Päckchen Backpulver , 1 Prise Salz, 250 g
Schichtkäse oder trockener Quark, 250 g Butter
Zubereitung (Teig): Mehl, Backpulver in eine Rührschüssel geben. Schichtkäse oder
Quark durch ein Sieb streichen, zum Mehl geben, die kalte Butter in Flöckchen darauf
verteilen. Zutaten schnell zu einem Knetteig verarbeiten, bis er gänzlich glatt ist.
Quarkblätterteig kann man bereits 1 bis 2 Tage vor dem Backen zubereiten und im
Kühlschrank aufbewahren. Vor dem Backen das Backblech nur mit Wasser benetzen
(nicht mit Fett einstreichen!). Die Backtemperatur beträgt 190° C im vorgeheizten
Ofen, die Backzeit etwa 20 Minuten. Achtung! Bei niedrigen Temperaturen tritt das
Fett aus, ohne dass der Teig blättrig aufgeht.
Zutaten (Füllung): 500 g Hackfleisch vom Rind , 2 große Zwiebeln , 6 Knoblauchzehen
1 EL Olivenöl , 1 Dose gehäutete Tomaten , 1 Dose Mais ,Salz , Pfeffer . Chili
Zubereitung (Füllung):
Zwiebeln und Knoblauch schälen, in kleine Würfel schneiden und in einer Pfanne im
heißen Olivenöl anbraten. Passierte Tomaten und abgetropften Mais hinzugeben und
weiter braten. Das Hackfleisch hinzugeben und mit Salz, Pfeffer und Chili abschmecken.
Etwa 6 Minuten weiter braten und gut umrühren. Von der Kochstelle nehmen und
abkühlen lassen. Zubereitung (Empanadas):
Den mehrfach zusammengelegten Teig und die schließlich ausgerollte Teigplatte (2 cm
dick) in Quadrate schneiden (Kantenlänge 15 cm). Auf jedes Teigstück einen Esslöffel
von der abgekühlten Füllung geben. Dann zum Rechteck klappen und die Kanten gut
zusammendrücken, damit sie beim Backen nicht auseinander gehen und die Füllung
herausläuft. Die Empanadas auf ein mit Wasser benetztes Blech legen und bei 200° C
für 25 Minuten backen. Als Füllung kann auch Spinat mit Frischkäse oder Spinat mit
Gorgonzola genommen werden, schmeckt ebenfalls ganz lecker.
Lateinamerikanische Spezialitäten, aber auch Kus-Kus, oder Kürbissuppe in
tausend und einer Variante sind meine Lieblingsgerichte.
Ja, und ich backe gern Kuchen, deshalb darf der „Tassenkuchen“ an dieser
Stelle nicht fehlen. Erstaunt und ungläubig schaue ich auf. Frau F.S. versteht
meine Zweifel und lacht. Das ist eine besondere Art Rührkuchen. Die
Herstellung ist ganz einfach und … dieser Kuchen gelingt immer.
Zutaten: 4 Eier, 3 Tassen Mehl 2 Tassen Zucker, 1 Tasse Öl, 1 Tasse Wasser (möglichst
Sprudelwasser) , 1 Päckchen Backpulver . Gewürze können sein Zimt, Kardamom,
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Kokosraspeln, Kakao, löslicher Kaffee (1 EL), geriebene Haselnüsse oder geriebene
Mandeln.
Zubereitung:
Alle Zutaten gut miteinander verrühren, bis ein glatter Teig entsteht, das Backpulver
immer zum Schluss dazugeben.
Variante 1: Teig in eine Gugelhupfform geben und für 50 Minuten backen bei 200° C
Variante 2: Teig in eine Springform geben, glatt streichen und darauf abgetropfte
Sauerkirschen (500 g) oder klein geschnittene Äpfel (500 g) verteilen.
Im Backofen bei 200° C für 45 Minuten backen.
Variante 3: Teig in eine Springform geben, glatt streichen und bei 200° C für 30
Minuten backen. Zum Kindergeburtstag mit Zuckerguss bestreichen und damit bunte
Gummibärchen aufkleben.“
Ich frage Karina, ob sie in ihrem Leben etwas anders machen würde, wenn sie
die Zeit zurückdrehen könnte. „Nein“, antwortete sie gelassen, „prinzipiell nicht,
bis auf den Vater meiner zweiten Tochter. Den hätte ich mir erspart, wenn ich
das alles zuvor gewusst hätte. Ich hätte mein ´Bauchgefühl´ ernster nehmen
sollen, eher reagieren sollen. Das lange Warten bis zum Handeln ist falsch; ich
sollte wirklich meine eigenen Befindlichkeiten ernster nehmen.
Damit meine ich nicht, ob ich entscheide, einen feinen Cappuccino, einen
Espresso, oder Arabischen Kaffee mit Kardamom zu trinken oder gar einen
trockenen Rotwein. Das sagt mir mein Gefühl im Bauch – jeden Tag. Nein, ich
meine damit die wichtigen Entscheidungen im Leben wie Bleiben oder Gehen.
Wir sind doch am Ende die Summe unserer Entscheidungen.
Meine Lieblingsfarbe ist Rot. Roter Klatschmohn, rote Nelken … einfach
herrlich! Schon als Kind trug ich gern Kleidung in roter Farbe. Beim
orientalischen Tanz sind es eher Farben wie Orange oder Weinrot. Tanz ist
meine sportliche Betätigung. Den orientalischen Tanz erlernte ich 1998 an der
FH in Magdeburg. Schon in meiner Schulzeit war ich in einer Volkstanzgruppe
im AMO dabei. Dann wechselte ich 1981 in eine Theatergruppe und wand mich
der Schauspielerei zu. Das Singen, Tanzen und Musizieren wurde nie wirklich
zu meinem Hauptberuf, aber es hilft mir bei der Bewältigung von Stress und
widerspiegelt meine Lebensfreude.
Eigentlich bin ich mit meinem Leben zufrieden und möchte es auch nicht von
vorn beginnen, selbst wenn ich die Chance dazu hätte. Ich bin meinen Eltern
dankbar, dass sie mich hinfallen ließen, um selbst wieder aufzustehen. Ich will
zwar selbst entscheiden, nehme aber gern eine helfende Hand an. Ich musste
selbst herausfinden, was ´gut´ und was ´böse´ ist. Das ist die ´Würze´ des
Lebens, ohne die wir nicht reifen.“
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Glossar
Ο AMO: Kulturhaus in Magdeburg, ehemals Sitz der sowjetischen
Militärkommandantur
Ο Camp Bondsteel: Militärbasis der United States Army mit dem
Hauptquartier des US-amerikanischen KFOR-Kontingents (MNTF-E) in
Uroševac im Kosovo. Die Basis trägt aus dem Vietnamkrieg den Namen des
Veteranen James Leroy Bondsteel, und ist die größte ihrer Art, welche die USA
seit dem Vietnamkrieg bauten. Dieser Stützpunkt wurde nach dem Einmarsch
von NATO-Truppen in das Kosovo im Juni 1999 errichtet.
Ο Casel: Mantel des Bischofs
Ο dt.: deutsch
Ο EU: Die Europäische Union ist ein aus 27 europäischen Staaten bestehender
Staatenverbund
Ο EULEX: European Union Rule of Law Mission in Kosovo. Ziel von
EULEX ist es, eine multi-ethnische Polizei aufzustellen.
Ο FH: Fachhochschule
Ο Julianischer Kalender wird von der Russischen und der Serbischen
Orthodoxen Kirche, vom Patriarchat von Jerusalem und von einigen Klöstern
auf dem heiligen Berg Athos sowie von der Äthiopischen Kirche verwendet.
Ο KFOR: Die Kosovo-Truppe (engl. Kosovo Force) wurde im Jahre 1999
nach Beendigung des Kosovo-Krieges aufgestellt und ist die multinationale
militärische Formation unter der Leitung der NATO. Ihr obliegt die Sorge –
gemäß der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 10. Juni 1999
beschlossenen Resolution 1244 – für ein sicheres Umfeld für die Rückkehr von
Flüchtlingen. Das Hauptquartier befindet sich in Priština, der Hauptstadt von
Kosovo.
Ο lat.: lateinisch
Ο LDK: Kosovische Befreiungsliga
Ο Mitra: Kopfbedeckung des Bischofs
Ο NATO: North Atlantic Treaty Organization, deutsch: NordatlantikvertragOrganisation
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Ο NS: Nationalsozialisten
Ο OSZE: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist
eine stetige Staatenkonferenz zur Friedenssicherung und ging aus der 1975 mit
der Schlussakte von Helsinki zu Ende gegangenen Konferenz hervor. Die OSZE
wurde zum Hauptinstrument zwecks Frühwarnung, Konfliktverhütung,
Krisenbewältigung sowie Normalisierung der eskalierten Situation
Ο SA: Sturmabteilung, zur Zeit des Nationalsozialismus
Ο Schisma: lat.; dt. Glaubensspaltung
Ο SS: Schutzstaffel, zur Zeit des Nationalsozialismus; SS-Totenkopfverbände
waren für Konzentrationslager verantwortlich
Ο Tammus-Kult: Tammuz (hebräisch) ist eine altorientalische Gottheit, ist
Hirte und Geliebter der Göttin Inanna von Uruk, die ihn den Dämonen der
Unterwelt preisgab. Deshalb gilt er als Gott der Unterwelt. Auch gilt er –
ähnlich dem westsemitischen Adonis – als Gott der Fruchtbarkeit. Lange vor
dem Christentum gab es Frühjahrsfeste, welche die Auferstehung verstorbener
Gottheiten feierten. Eine der wichtigsten Feiern war die zu Ehren von Tammus,
dem babylonischen „Gott der Weiden, der Herden und der Vegetation. Er war
der Gatte und Bruder von Ischtar (Aschera), der Göttin der Fruchtbarkeit.
Babylonische Epen erzählen die Geschichte des jährlichen Sterbens von
Tammus im Herbst, wenn die Vegetation zurückgeht und er in der Unterwelt
verschwindet. Dabei lässt er Ischtar zurück, die solange um ihn trauert, bis seine
Rückkehr im Frühling zur befruchteten Oberwelt gewiss ist. (Harper’s Bible
Dictionary, 1961, Abschnitt „Tammus“).
Die Babylonier lehrten, dass Tammus durch den Schmerz und das Weinen von
Ischtar im Frühling mystisch wiederbelebt wurde. Ischtar ist identisch mit der
heidnischen Göttin Astarte (Richter 2,13; 10,6; 1. Könige 11,5). Dieser alte
Brauch der Trauer für die Rückkehr eines toten Gottes wird in Hesekiel 8, Vers
14 erwähnt, und dass Frauen „den Tammus beweinten“. Seine Auferstehung
markierte das Ende des Winters und den Beginn des Frühlings mit neuem Leben
und Pflanzenwuchs.
Ischtar – die Gemahlin von Tammus – verehrte man als „Himmelskönigin“
(Harper’s Bible Dictionary, 1961, Abschnitt „Aschera“). Götzendienst und
Sonnenanbetung im Zusammenhang mit Ischtar und Tammus waren weit
verbreitet. Diese Bräuche wurden von Menschen praktiziert, die einst den
wahren Gott kannten, doch falsche Praktiken der Anbetung benutzten (Hesekiel
8,12-18; Jeremia 7,18; 44,17-23).
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In anderen Gegenden wurde Tammus unter dem Namen Adonis in einer
jährlichen Feier verehrt. Man beweinte seinen Tod und feierte seine
Auferstehung. Der Kult durchdrang die Bräuche christlicher Landarbeiter, die
über den verlorenen Adonis weinten und im Frühjahr an ausschweifenden
Festlichkeiten teilnahmen“ (Harper’s Bible Dictionary, 1961, Abschnitt
„Tammus“).
Ο UÇK: Ushtria Çlirimtare e Kosovës – „Befreiungsarmee des Kosovo“ – war
eine albanische paramilitärische Organisation, die für die Unabhängigkeit des
Kosovo kämpfte.
Ο UNDP: Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (engl. United
Nations Development Programme, UNDP, franz. Programme des Nations Unies
pour le développement, PNUD) ist ein Exekutivausschuss innerhalb der UNGeneralversammlung. Der Administrator ist das dritthöchste Amt innerhalb der
Hierarchie der Vereinten Nationen (UN) unmittelbar nach dem Generalsekretär
der Vereinten Nationen und seinem Stellvertreter. Der UNDP
Exekutivausschuss besteht aus Repräsentanten von 36 Ländern, die nach dem
Rotationsprinzip eingesetzt werden. Der Hauptsitz ist in New York City. Das
UNDP wird aus freiwilligen Beiträgen der UN-Mitgliedstaaten finanziert.
Ο UN: engl. United Nations, auch UNO für United Nations Organisation – dt.:
Organisation der Vereinten Nationen – sind der Zusammenschluss von 192
Staaten und als globale Internationale Organisation uneingeschränkt anerkanntes
Völkerrechtssubjekt. Die wichtigsten Aufgaben der Organisation sind Sicherung
des Weltfriedens, Einhaltung des Völkerrechts, Schutz der Menschenrechte und
Förderung der internationalen Zusammenarbeit.
Ο UN-Protektorat: Der Kosovo ist formal eine serbische Provinz, faktisch seit
über zweieinhalb Jahren ein UN- Protektorat der Vereinten Nationen mit dem
Ziel der Befreiung von Unterdrückung, Schutz der Menschenrechte, Demokratie
und wirtschaftlicher Selbständigkeit.
Ο UNMIK: wurde vom Sicherheitsrat am 10. Juni 1999 Resolution 1244 als
UNO-Friedensmission für die Wiederherstellung und den Wiederaufbau des
Kosovo eingerichtet. Sie soll die Provinz auf Wahlen und schließlich auf ihre
Autonomie vorbereiten.
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Bibliografie
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Wien/ Köln; 1993
- Gjerqeku, Enver (* 1928), Lyriker, der die klassischen Formen bevorzugt.
- Grunebaum v., Gustav Edmund: Die islamischen Reiche nach dem Fall von
Konstantinopel.
Fischer Weltgeschichte Bd. 15 Islam II. Augsburg 1998 (Weltbild
Lizenzausgabe) S. 32f.
- Majoros, Ferenc und Rill, Bernd: Das Osmanische Reich 1300–1922. Die
Geschichte einer Großmacht. Marix Verlag GmbH, Wiesbaden 2004
- Matuz, Josef: Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte. Primus
Verlag, Darmstadt 1996
- Mehmeti, Din (* 1932) gilt als Vertreter moderner albanischer Lyrik.
- Mekuli, Esad (* 1916; † 1993), Lyriker, gründete 1949 die erste
albanischsprachig Literaturzeitschrift Jugoslawiens Jeta e re (dt. Neues Leben),
die er bis 1971 als Chefredakteur leitete.
- Pashku, Anton (* 1938; † 1995), Kurzgeschichten, Romane und Dramen, er
gilt als Meister psychologischer Darstellung in Anlehnung an Franz Kafka und
Robert Musil.
- Podrimja, Ali (* 1942), moderner Lyriker, bekannt in Kosovo und Albanien
als Vertreter moderner Lyrik.
- Rrahmani, Nazmi (* 1941) schildert in seiner Prosa das kosovo-albanische
Dorfleben.
- Schneidmüller, Bernd/ Weinfurter, Stefan (Hrsg.): Die deutschen Herrscher
des Mittelalters, Historische Porträts von Heinrich I. bis Maximilian I. Verlag
C. H. Beck, München 2003
- Shkreli, Azem (* 1938; † 1997) Lyriker und Prosaist, thematisierte in seinen
frühen Versen das Leben der Bergbewohner.
- Sulejmani, Hivzi (* 1912; † 1975), seine Kurzgeschichten und Romane
fanden große Beachtung.
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