- Karola eV

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- Karola eV
Herausgegeben von der RAA Berlin Redaktion: KAROLA – Internationaler Treffpunkt für Frauen und Mädchen e.V., Interviews & Fotos: Marily Stroux
Wege zu Bildung und Arbeit für Roma und für Sinti
Kupfer, Gold und
Silbentrennung
Inhalt
Interviews
8 Kursteilnehmerinnen bei KAROLA e.V., Hamburg
Natasa Kurtovic, Fatime Ismailova, Ljiljana Sacirovic
13 Mitarbeiterin bei KAROLA e.V., Hamburg
Christine Solano
17 Kursteilnehmerinnen bei KAROLA e.V., Hamburg
Suzana Jovanovic, Sandra Todorovic
19 Studentin, Hamburg
Jasmin Demirovic-Schulze
22 Kursteilnehmer bei Kiez mobil, RAA Berlin
Bane Mutic, Stan Slobodan, Munib Omerovic
25 Mediator bei Kiez mobil, RAA Berlin
Zvonko Salijevic
27 Schauspieler, Berlin
Hamze Bytyci
Impressum
Herausgeber und V.i.S.d.P. RAA Berlin, Britta Kollberg
Redaktion KAROLA – Internationaler Treffpunkt für Frauen
und Mädchen e.V., Regina Bakar zusammen mit Antje Hofert,
Christoph Leucht, Melanie Lorenz, Sandra Niederer und
Marily Stroux
Interviews & Fotos Marily Stroux
Sachtexte: Christoph Leucht
Transskribierung: Doreen Schröter und Salinia Stroux
Gestaltung grafik:sommer, Hamburg
Druck Mottendruck, Hamburg
Ein Projekt der Arbeitsgruppe »Sinti und Roma« koordiniert
durch das Projekt »Migration, Asyl und Arbeitsmarkt« im
Rahmen der europäischen Gemeinschaftsinitiative EQUAL.
Mitglieder der Gruppe sind die Träger von drei EQUAL-Teilprojekten: RAA Berlin, südost Europa Kultur e.V., KAROLA e.V.
– Internationaler Treffpunkt für Frauen und Mädchen sowie
Marily Stroux und Christoph Leucht
In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz – Generalsekretariat, Team Migration und Integration, Projekt »Migration, Asyl und Arbeitsmarkt«, Carstennstr. 58, 12205 Berlin
Weitere Informationen www.equal - asyl.de
Erscheinungsdatum Mai 2008
Gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales, den Europäischen Sozialfonds (ESF) und die
Freudenberg Stiftung
31 Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer bei RAA Berlin
Seherazada Music, Amir Mustafic
33 Mediator bei RAA Berlin
Zikica Ibraimovic
37 Mitglied im Auschwitz-Komitee, Hamburg
Frieda Larsen
42 Landesverein der Sinti e.V., Hamburg
Rita und Gottfried Weiß und Regina Mechau
45 Roma, Kultur und Überraschungen
Gespräch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von RAA Berlin, Kiez mobil,
südost Europa Kultur e.V., KAROLA e.V. und der Freudenberg Stiftung
Informationsteil
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Wege in die Erwerbsarbeit, KAROLA e.V.
Novi Vidici, südost Europa Kultur e.V.
Kumulus Plus, RAA Berlin
Kiez mobil, RAA Berlin
Kooperation, Integration, Beschäftigung und Arbeit
für Sinti in Hamburg
Roma und Sinte – durch Selbstorganisation zu Existenzsicherung und Beschäftigung
Überblick von Bildungs- und Beschäftigungsprojekten
von und für Roma und Sinti in Deutschland
Politische Dokumente zur Situation der Roma und Sinti
Materialien aus EQUAL -Projekten
Überblick zur rechtlichen Situation von Roma und Sinti
Literatur
Wege zu Bildung und Arbeit für Roma und für Sinti
Kupfer, Gold und
Silbentrennung
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Einleitung
Kupfer ist die wertvollste Ware von Altmetallhändlern, einer
Beschäftigung die auch ohne formale Qualifikationen einen einigermaßen einträglichen Verdienst verspricht. Gold ist das
Sparbuch der Wahl für die, die Ihrer Umgebung und deren Institutionen und Rechtssystem auf Grund schlechter Erfahrungen
mißtrauen. Silbentrennung, Schriftsprache und Alphabetisierung ist der neue Reichtum derer, die sich aufmachen, diese Umgebung neu für sich zu erobern. Oftmals selbständige Berufstätigkeit auch ohne formale Qualifikation, ja manchmal sogar
ohne lesen und schreiben zu können, tiefsitzende historische und
aktuelle Diskriminierungserfahrungen und das mühsame und
freudvolle Erlernen des Alphabets als Schlüsselqualifikation für
alle weiteren Aus- und Fortbildungen vereint die Mehrheit derjenigen Roma und Sinti, die an den in diesem Buch vorgestellten fünf Projekten teilnehmen. Zugleich unterscheiden sich sowohl die Projekte in ihrem Ansatz als auch die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer nach ihrem Alter, ihrer Herkunft, ihrer sozialen und rechtlichen Lage und nicht zuletzt kulturell und in Bezug auf ihre Bräuche und Traditionen sehr voneinander.
Mit diesem Buch wollen wir die persönlichen Erfolge der
Schüler, Kursteilnehmerinnen, Praktikanten und zur Qualifizierung beschäftigten Roma und Sinti sichtbar machen, die Projektansätze vorstellen und die Leser ermutigen, es den Teilnehmern und Projektgründerinnen gleich zu tun. Doch zuerst ein
kleiner Exkurs zur Arbeitsmarktsituation von Roma und Sinti
im Allgemeinen und dem Versuch des deutschen Programms
im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative EQUAL, diese zu verbessern.
Verschiedenste Studien und Berichte haben im Rahmen
der Vorbereitung des EU -Beitritts der ost- und mitteleuropäischen Staaten1 deutlich gemacht, dass Armut und soziale Ausgrenzung die dort lebenden Roma weit überdurchschnittlich
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betrifft. Zwei der deutlichsten Ursachen sind Diskriminierung
im Alltag und am Arbeitsmarkt und fehlende Qualifikationen
und formale Ausbildungsabschlüsse. Beides be- bzw. verhindert
den Zugang zum Arbeitsmarkt und führt zu einer geschätzten
Arbeitslosigkeit von 70 bis 90 Prozent. Die daraus resultierende
Armut führt zu weiteren schwerwiegenden sozialen Problemen,
die menschenrechtlich bedenklich und im Rahmen der EU -Integrationspolitik von vordringlicher Bedeutung sind.
Auch die in Deutschland als einheimische Minderheit, als
eingewanderte Arbeitsmigranten oder als Kriegs- und Armutsflüchtlinge aus Osteuopa lebenden Roma und Sinti sind wie keine andere ethnische Gruppe vor Ort von Ausgrenzung und Diskriminierung am Arbeitsmarkt betroffen. Durch die Ermordung
der Sinti und Roma im deutschen Nationalsozialismus und die
höchst unzulänglich erfolgte Wiedergutmachung und Reintegration der überlebenden Sinti und ihrer Familien in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg ergibt sich politisch zusätzlich eine besondere Verantwortung für die Verbesserung der sozialen Lage der Minderheit seitens des Staates und der Zivilgesellschaft in Deutschland.
Dieses Buch beschreibt Projekte zur Förderung von Roma
und Sinti am Arbeitsmarkt in Deutschland, die zum großen
Teil in der zweiten Förderrunde des EQUAL -Programms2 entstandenen sind. Ergänzend werden in Kurzform die Inhalte und
Ergebnisse der in der ersten EQUAL - Runde durchgeführten
Entwicklungspartnerschaft3 »Roma und Sinte – durch Selbstorganisation zu Existenzsicherung und Beschäftigung« beschrieben. Nachdem es in der ersten Förderrunde nur diese eine von
109 Entwicklungspartnerschaften zur Förderung von Roma und
Sinti gegeben hatte, sollte in der 2. Förderrunde »… in allen
Themenbereichen auf die Unterstützung von Sinte und Roma
und von Opfern des Menschenhandels besonderes Augenmerk
gelegt« werden.4 Von über 300 eingereichten Anträgen hatten
sich nur zwei Entwicklungspartnerschaften beworben, die etwas
für die spezielle Förderung von Roma und Sinti am Arbeitsmarkt tun wollten. Beide wurden im Auswahlverfahren abgelehnt, so dass keine der 129 bewilligten Entwicklungspartnerschaften in der zweiten Förderrunde das in der Ausschreibung
erwähnte Kriterium erfüllte. Im Rahmen der Programmevaluation wird zu klären sein, warum es auch bei vorhandenem politischem Willen im deutschen EQUAL -Programm so schwer fiel,
die oben genannte besondere Verantwortung für die Verbesserung der Lage der Sinti und Roma in Deutschland wahrzunehmen. In anderen Programmländern beschäftigt der Programmträger Roma als Berater, um den Romaorganisationen bei der
Entwicklung von ESF - förderfähigen Projekten zu helfen. In
Ungarn bspw. befassten sich weit über die Hälfte der EQUAL Entwicklungspartnerschaften mit der Förderung der Chancengleichheit für Roma am Arbeitsmarkt. Daß am Ende nur drei
von mindestens 500 Teilpojekten in Deutschland Roma und Sinti als besonders herausgehobene Zielgruppe für die zweite Förderrunde erreichten kann aus Programmsicht nicht als Erfolg
gewertet werden.
Durchaus erfolgreich waren zugleich die drei in diesem
Buch vorgestellten Teilprojekte zur Förderung von Roma am Arbeitsmarkt, die jeweils in Entwicklungspartnerschaften mit anderen Themen eingebettet waren. Sie befassten sich mit der Förderung von jugendlichen Roma, Roma-Frauen und erwachsenen größtenteils nicht alphabetisierten Roma. Alle drei machten
die Erfahrung, dass es eine Weile dauert bis die interessierten
Roma und das Projekt eine Vertrauensbeziehung aufgebaut haben und dass es danach für die meisten Teilnehmerinnen und
Teilnehmer zuerst um Alphabetisierung geht. Darauf aufbauende Kurse oder Beschäftigungsmaßnahmen sind dann im Rah-
men der auf 3 Jahre beschränkten Laufzeit oft nicht mehr möglich. Ergänzend wurden zwei weitere mit ESF -Mitteln geförderte Projekte für junge Roma ohne Schulabschluß und für arbeitslose Sinti in die Präsentation einbezogen. Alarmierend ist nun
wiederum, dass wir mit diesen fünf Projekten bereits alle auf die
Förderung von Roma und von Sinti spezialisierten aktuellen
Qualifizierungs- und Arbeitsmarktförderprojekte in Deutschland beisammen haben. Es gibt darüber hinaus noch eine ganze
Reihe von Projekten5 zur Bildungsförderung und seit kurzem das
Wohnungsbauprojekt des Landesverbandes der deutschen Sinti
und Roma Schleswig-Holstein, in welchem sich die zukünftigen
Bewohner der Sinti-Siedlung während der Bauphase auch qualifizieren können. Sehr erfreulich ist, dass das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung seinerseits ein großes Interesse an der Intensivierung der Fördermaßnahmen in diesem
Bereich hat. Nicht zuletzt deshalb hat es die Entstehung dieses
Buch gefördert. Es richtet sich an Roma- und Sintiorganisationen, Qualifizierungsträger und öffentliche Verwaltungen und soll
motivieren und inspirieren, Projekte zu entwickeln, zu vernetzen und von den bereits gemachten Erfahrungen zu profitieren.
Die fünf bzw. sechs im Buch mit Interviews und detaillierten Projektbeschreibungen vorgestellten Projekte weisen auf einen weiteren Umstand hin. Gleich oder sehr ähnlich ist für alle
Roma und Sinti lediglich die gemeinsame Diskriminierung als
Zigeuner von außen. Eine homogene Zielgruppe für Arbeitsmarktförderprojekte bilden weder Roma noch Sinti für sich,
noch beide Gruppen zusammen. Nicht nur kulturell unterscheiden sich die bereits seit 600 Jahren in Deutschland einheimischen Sinti und die erst in den letzten 150 Jahren zugewanderten Roma in einigen Punkten erheblich. Wichtiger noch für
die Konzeption von Arbeitsmarktförderprojekten sind die sozialen Unterschiede. Wie bei allen anderen Volksgruppen und
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ethnischen Minderheiten gibt es Reiche und Arme, Gebildete
und Analphabeten, erfolgreiche Selbständige ohne formale Qualifikation und erfolglose Akademiker mit jahrelangem Studium
und vice versa. Von der Bildungsmisere sprechen Aktivisten wie
Daniel Strauß vom Landesverband der deutschen Sinti und Roma aus Baden-Württemberg deshalb, weil es weit überdurchschnittlich viele Sinti und Roma in Deutschland gibt bei denen
Diskriminierung am Arbeitsmarkt und fehlende Qualifikationen zu Armut, Ausgrenzung und sozialer Verelendung führen.
Es besteht also erheblicher Förderbedarf und welche Projektstrategie letztendlich Erfolg verspricht hängt von den konkreten Vorausetzungen der Teilnehmer, der Beschaffenheit des Zielarbeitsmarktes und der Kompetenz des Projektträgers ab.
Die EQUAL - Teilprojekte »Wege in Erwerbsarbeit« aus
Hamburg, »Novi Vidici« und »Kumulus Plus« aus Berlin und
die ebenfalls mit ESF -Mitteln geförderten Projekte »Kiez mobil« und »KIBA AktivJob« werden in Interviews aus Sicht der
Teilnehmerinnen und Mitarbeiter und durch die gemeinsamen
Reflektionen von Projektvertretern in einem Gruppengespräch
vorgestellt. In einem anschließenden Sachteil werden die Teilnehmer, die Projekte und deren Lösungsansätze (Problem –
Strategie – Ergebnis) dargestellt. Ein das Buch abschließender
Infoteil enthält einen Überblick über aktive Bildungs- und Qualifizierungsträger von und für Sinti und für Roma in Deutschland, einige rechtliche Grundlagen, die wichtigsten politischen
Dokumente sowie eine Literaturliste, die besonders die im Rahmen von Equalprojekten aus ganz Europa produzierten Materialien berücksichtigt.
Die nun folgenden Interviews wurden zwischen April und
September 2007 von der Fotografin und Buchautorin Marily
Stroux mit Roma, Sinti und Nichtroma, Teilnehmern und Mitarbeiterinnen aus allen fünf Projekten geführt und transkribiert.
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Die hier und da gekürzte und orthografisch angepasste Schriftversion wurde den Interviewten vorgelegt und mit oder ohne
vereinzelte Änderungswünsche von ihnen autorisiert. Die Texte
sind dadurch weder sprachlich geglättet noch journalistisch bearbeitet worden und spiegeln die authentische Sicht der Befragten wieder, die natürlich nicht in jedem Fall mit den Ansichten
der Arbeitsgruppe übereinstimmt, die dieses Buch gemacht
hat. Nachdem das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im Rahmen des EQUAL -Programms die Recherche,
die Anfertigung der Texte und das Layout finanziert hatte,
konnte die Freudenberg Stiftung dazu gewonnen werden, die
Druckkosten der ersten Auflage zu übernehmen. Beiden sei dafür im Namen aller Mitwirkenden herzlich gedankt.
1 U. a. Roma in einer erweiterten Europäischen Union, Brüssel 2004
2 »Die aus dem Europäischen Sozialfonds geförderte Gemeinschaftsinitiative
EQUAL zielt darauf ab, neue Wege zur Bekämpfung von Diskriminierung und
Ungleichheiten von Arbeitenden und Arbeitsuchenden auf dem Arbeitsmarkt
zu erproben.« siehe www.equal.de
3 Die Gründung von Entwicklungspartnerschaft genannten Projektnetzwerken
war Förderbedingung für die Teilnahme am EQUAL- Programm und neben
dem Mainstreaming, der transnationalen Kooperation und der Entwicklung
und Umsetzung innovativer Ansätze eines der Strukturmerkmale aller geförderten Projekte.
4 in: BMWA (Hg.): INNOVATION DURCH VERNETZUNG. Informationen zur
2. Förderrunde der Gemeinschaftsinitiative EQUAL, Berlin 2004, S. 8 (Das
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit wurde in der Zwischenzeit in Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung – BMAS – umbenannt)
5 siehe hierzu: Bachmann / Büsing / Kammerer / Yazar – BIVS. Informationen und
Empfehlungen zur Bildungs- und Berufsförderung für Sinti und Roma in
Deutschland, Berlin 2006
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Natasa Kurtovic
Kursteilnehmerin bei KAROLA e.V., Hamburg
Ich bin 26 Jahre und in Hamburg geboren.
Wie lange ist deine Familie schon in Hamburg?
Ich weiß nicht genau, weil ich nicht rechnen kann, aber
meine Schwester ist fast 30. Sie ist in Jugoslawien geboren.
Mein Bruder ist 20 oder 21. Er ist in Hamburg geboren.
Wann bist du glücklich?
Wenn meine Kinder glücklich sind. Ich habe zwei Kinder.
Mein Sohn ist im September neun Jahre alt geworden, meine
Tochter im Oktober acht.
Als Kind hattest du einen Traumberuf?
Ja! Ich wollte Friseurin werden, aber das habe ich nicht geschafft, weil ich nicht zur Schule gegangen bin. Ich war aber nur
bis zur vierten Klasse. Dann bin ich nach Jugoslawien gefahren
zu meiner Oma und eine längere Zeit habe ich bei ihr gelebt.
Dann bin ich zurück nach Deutschland, ich war etwas älter, dann
bin ich ein bisschen wieder zur Schule gegangen. Sechste Klasse
bin ich auch ein bisschen gegangen, aber ein bisschen nur und
dann wurde ich erwachsen. Also nicht richtig, aber so, dass ich
ein Mädchen war und dann nicht mehr zur Schule gegangen
bin, weil ich immer mit Freundinnen unterwegs war und alles
versäumt habe.
Und als du bei deiner Oma in Jugoslawien warst, gingst du da
zur Schule?
Nein, weil meine Oma auch nicht schreiben und lesen kann.
Sie war schon alt und wusste auch nicht, wie sie mir das beibringen soll, weil sie das auch nicht gelernt hatte. Aber ich habe von
ihr gelernt zu nähen, zu kochen, andere Sachen, die man im
Haushalt macht. Ich habe auch von ihr das Gesetz gelernt!
Was ist das Gesetz?
Das Gesetz ist, dass man in die Ehe geht, also nicht berührt.
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Man sollte nicht einen Mann heiraten, der Frau und Kinder hat
und man sollte nicht auf den Strich gehen – das gehört sich
nicht. Wenn man in der Ehe Probleme hat, wenn es nicht mehr
klappt, dann kann man sich scheiden lassen. Dann kann man wieder heiraten, einen Mann, der auch schon verheiratet war.
Meine Oma war sehr lieb, sagte immer: »Pass auf dich auf,
sei eine gute Mutter!«
Was haben deine Eltern für Berufe?
Meine Mutter hat mit 15 geheiratet und 3 Kinder gekriegt.
Und du?
Jetzt mache ich den Kurs hier seit anderthalb Jahren. Ich
bin froh und ich bin stolz. Ich kenne Christine von klein an.
Emins Vater hat einen Reklamezettel gesehen, wo Christine
Frauen brauchte für einen Kurs und er hat gesagt, »wenn du
willst, kannst du auch hingehen und das versuchen«. Ich habe
vorher gearbeitet beim NDR in der Rothenbaumchaussee als
Raumpflegerin. Es war für mich schwer, weil ich nicht lesen
konnte. Als Raumpflegerin braucht man Mittel um sauberzumachen. Es war nicht schwer, aber für mich schon. Ich wusste
nicht, was die von mir wollen, was sie brauchen. Aber ich hatte
Glück, ich hatte eine nette Vorarbeiterin, die das bemerkt hat,
aber mir nichts sagen wollte und sie hat mir immer die Farben
gesagt, weil sie bemerkt hat, dass ich immer falsche Mittel benutzt habe. Sie sagte: »Gib mal die rote Flasche! Gib mal die
grüne Flasche!« Und dann habe ich es so gemacht, dass ich zur
Arbeit gegangen bin, ich bin um 4 Uhr morgens zur Arbeit gegangen, hab gearbeitet von 5 bis 7 Uhr, dann bin ich nach Hause gegangen. Meine Kinder waren allein zu Hause. Ich habe sie
fertig gemacht, habe sie zur Schule gebracht und dann bin ich
hierher gekommen.
Jetzt komme ich seit anderthalb Jahren in die Schule und bin
stolz, weil ich lesen und schreiben kann und Formulare ausfüllen – was ich vorher nicht konnte und immer Hilfe gebraucht
habe von meinem Vater oder von anderen Leuten. Aber jetzt ist
es viel, viel besser. Deswegen wünsche ich mir, dass andere Frauen das hören und lesen und obwohl sie Kinder haben, dass sie eine bessere Chance für eine bessere Zukunft kriegen.
Ich wünschte, ich hätte eine Arbeit als Kindergärtnerin, als
Kinderbetreuerin. Ich habe mich beworben vor drei Wochen
und die haben mich nicht genommen wegen des Schreibens und
Lesens. Deswegen muss ich mehr hierher kommen, um besser
zu lernen. Dann klappt es vielleicht in einem Jahr. Ich hoffe es,
ich wünsche es mir so und ich hoffe, dass viele Frauen sich trauen hier herzukommen. Sie brauchen sich nicht zu schämen. Man
lernt auch andere Frauen kennen. Danach können sie Anträge
schreiben für eine neue Wohnung, Formulare ausfüllen, andere
Sachen auch!
Wie ist es für dich jetzt, da du lesen kannst?
Besser! Ich lese meine Post allein. Es gibt paar schwierige
Sätze, die ich nicht verstehe, aber dann frage ich jemand anderen.
Es läuft aber viel besser als vorher. Ich bin zufrieden.
Man fühlt sich besser, weil man mehr wissen kann und
überall hingehen kann und sich nicht zu schämen braucht in
den Behörden, im Sozialamt oder Arbeitsamt, wo man sich immer geschämt hat, wo man immer jemanden mitgenommen hat
und diese Formulare, wenn sie sie dir auf den Tisch stellen und
du weißt nicht, was da steht und du magst nicht fragen, weil die
sowieso sagen: »Asoziale Leute und dann noch nicht mal schreiben und lesen können!« Das ist das Schlimmste. Ich habe aber
das Problem nicht, weil ich mich traue. Was ich verstehe, unter-
schreibe ich und was ich nicht verstehe, da frage ich noch einmal nach und das ist gut.
Warum bist du nicht zur Schule gegangen?
Weil ich rumgehangen habe.
Hast du dir gewünscht, dass du anders behandelt wirst in der
Schule?
Nein, das Problem hatte ich nicht. Ich habe gesehen, dass
keiner mich vermisst, dass keiner was unternimmt, also fand ich
es gut. Ich war jung. Ich bin jetzt auch noch jung, aber mir war
es lieber überall hinzugehen, mit Freundinnen zusammenzusein, so mit 16. Es war ein Fehler, dass keiner gesagt hat: »Du
musst zur Schule!« Dann wurde ich schwanger mit meinem
Sohn, dann hat die Schule sowieso nicht geklappt, dann habe
ich mein zweites Kind bekommen. So ist es dann gekommen,
dass ich zu Hause war und mich um meine Kinder gekümmert
habe. Aber jetzt mache ich das, ich wiederhole es, ich bemühe
mich, damit ich besser werde.
Wie machst du das mit deinen Kindern und der Schule?
Ich möchte das mit ihnen gut machen, was ich selbst nicht
gut gemacht habe. Dass sie zur Schule gehen, dass sie’ne Zukunft haben, dass sie einen Beruf lernen, das wünsche ich mir.
Du wirst ihnen auch besser helfen können, jetzt wo du selber
schreiben kannst.
Ja, noch helfen meine Kinder mir, ich hoffe, dass ich meinen Kindern irgendwann helfen kann. Sie sehen das, wenn ich
was nicht verstehe. Ich brachte Hausaufgaben mit nach Hause,
die mein Sohn in der ersten Klasse gemacht hat und schämte
mich, weil mein Sohn mich gefragt hat: »Wieso machst du das?
Das mache ich doch gerade!« Mir war das peinlich. Er versteht
das noch nicht, obwohl er acht Jahre alt wird. Ich habe ihm er9
klärt, dass ich nicht schreiben kann, seitdem hilft er mir und
meine Tochter auch. Das war früher so, dass ich nicht mal ein
Buch für meine Kinder lesen konnte zum Einschlafen. Jetzt
kann ich auch nicht das ganze Buch vorlesen aber ein bisschen
schaffe ich.
Romanes spreche ich, aber meine Kinder sprechen mehr
deutsch als die Muttersprache. Ich kann serbisch, jugoslawisch
und romanes und die können nur romanes. Die verstehen es, einen sauberen Dialekt zu sprechen, sie reden besser deutsch. Ist
nicht so schlimm.
Was willst du als Beruf machen?
Kindergärtnerin, aber es ist zu spät mit 26, habe ich gehört. Ich weiß es nicht, aber es gibt auch Stellen, wo sie dich
auch älter nehmen. Für die Kinder zu kochen, Frühstück zu machen, sauberzumachen – damit wäre ich auch zufrieden.
Wie viele Personen sind in deiner Familie?
Ich wohne allein mit meinen Kindern.
Wer ist die wichtigste Person in deiner Familie?
Meine Kinder! Sehr, sehr wichtig!
Und meine Mutter und mein Vater sind mir wichtig.
Was kannst du am besten?
Haushalt, gute Mutter sein.
Bis du stolz, Roma zu sein?
Ja, ich schäme mich nicht. Das ist von Gott. Wir sind
gleich, wir sehen nur anders aus.
Es gibt dunkle, es gibt helle. Ich schäme mich nicht! Ich bin
stolz Roma zu sein!
Was hast du gern an deiner Kultur?
Die Musik, das Essen, wie wir uns verhalten, die Gesetze.
Andere Leute haben andere Kultur als wir.
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Hast du Freundinnen, die nicht Roma sind?
Ja, ‘ne Nachbarin, die ist Polin, unsere Hausmeisterin
kommt aus der Türkei. Das sind junge Leute, mit denen komme ich auch klar. Wir trinken Kaffee, reden, haben unsere eigene Meinung, das ist nicht schlimm. Ich komme mit vielen Leuten klar.
Wann fühlst du dich beleidigt?
Wenn sie sagen: »Scheiß Zigeuner!« Aber sie kennen uns
nicht richtig. Vielleicht haben sie was gesehen, was sie schrecklich fanden, aber wir sind unterschiedlich! Es gibt türkische Roma, jugoslawische Roma, es gibt richtige Roma. Es gibt indische Roma, griechische. Ich weiß nicht, was sie gesehen haben,
um zu sagen »scheiß Zigeuner«, also nicht zu mir, aber ich fühle
mich schon beleidigt! Wir sagen auch manchmal »scheiß Deutsche«, wenn sie uns ärgern, aber nicht immer.
Gibt es etwas, was du mit deinen Kindern extra tust, damit es
ihnen besser geht als dir?
Ja, dass sie eine Ausbildung haben, eine Ehre und eine bessere Zukunft. Ich wünsche mir nicht, dass meine Tochter Raumpflegerin wird. Das finde ich nicht was Schönes! Okay, es ist eine Arbeit, aber ich wünsche mir, dass sie was anderes machen
kann. Dafür braucht sie die Schule und meine Unterstützung.
aber jetzt tanzt
ist Schauspieler
Mein zweiter Sohn
um zu tanzen.
er
r
wa
en
ani
Sp
er Flamenco! In
nco.
ren tanzt er Flame
Seit vier, fünf Jah
Fatime Ismailova
Kursteilnehmerin bei KAROLA e.V, Hamburg
Ich bin 53 Jahre alt und in Stip, Makedonien, geboren.
Wo bist du zur Schule gegangen?
Ich bin bis zur dritten Klasse in Makedonien zur Schule gegangen, danach habe ich mit meinen Eltern bei der Tabakernte
gearbeitet. Mit 20 Jahren habe ich dann geheiratet. Vor 17 Jahren sind wir mit meinem Mann und drei Kindern nach Hamburg gekommen. Mein ältestes Kind war damals 15 Jahre alt,
das zweite sieben Jahre, das kleinste sechs Jahre.
In Hamburg war ich immer zu Hause mit meinen Kindern. Ich habe sie zur Schule gebracht und wieder abgeholt, zu
Hause habe ich gekocht – das ist auch Arbeit. Alle meine Kinder können schreiben und lesen. Weil ich es nicht geschafft habe, zur Schule zu gehen, habe ich immer meine Kinder zur
Schule gebracht und alle drei haben die Schule fertig gemacht.
Ich habe immer kontrolliert, dass sie auch wirklich hingehen.
Mein Zweiter ist Maler von Beruf. Der Dritte ist Schlosser und
der Erste wollte Koch werden. Mein zweiter Sohn ist Schauspieler aber jetzt tanzt er Flamenco. In Spanien war er, um zu tanzen.
Seit vier, fünf Jahren tanzt er Flamenco.
Was machst du jetzt?
Die Schule ist meine Arbeit. Ich lerne Deutsch. Ich bin seit
17 Jahren in Hamburg, war aber immer zu Hause. Ich habe nie
gearbeitet, kein Deutsch gesprochen. Jetzt bin ich schon zweieinhalb Jahre beim Kurs und kann schon ein bisschen lesen und
sprechen. Nie war ich in einer anderen Schule außer bei KAROLA. Ich hoffe, dass es weiter geht, weil ich hier gut lernen kann.
Es ist viel besser geworden. Als ich angefangen habe, habe ich
gar nichts verstanden.
Was willst du machen, nachdem du gelernt hast, zu schreiben
und zu lesen?
Arbeiten! Bisschen packen oder aufräumen, weil ich schon
älter bin.
Wie viele Personen sind in deiner Familie?
Jetzt wohne ich allein. Ich bin getrennt. Es war sehr schwer.
Wir hatten immer Streit! Jetzt ist Schluss damit! »Fertig«, habe
ich gesagt! Er hat nicht gut reagiert. Er wollte, dass ich zurückkomme. Ich wollte aber nicht. Besser ist es für mich, wenn meine Kinder zu mir kommen.
Wer ist die wichtigste Person in deiner Familie?
Meine Kinder und Enkelkinder. Momentan treffe ich die
Entscheidungen allein.
Aber sonst mit KAROLA, das heißt mit Regina und Christine.
Wann fühlst du dich beleidigt?
Während meiner Ehe. Wenn mein Ex - Mann mich beschimpft hat! Ich möchte, dass er lernt, mich zu respektieren!
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Ljiljana Sacirovic
Kursteilnehmerin bei KAROLA e.V., Hamburg
Ich bin 17 Jahre alt, geboren in Serbien in Bor.
Ich bin seit drei Jahren hier. In Serbien hatte ich viele Probleme mit meiner Familie. Deswegen musste ich immer bei anderen Leuten schlafen. Meine Tante war hier und ein Mann hat
mich hierher geholt. Mein Papa ist gestorben, mein Bruder auch.
Wann bist du glücklich?
Ich komme hier in die Schule und habe Spaß mit meiner
Freundin Sandra.
Was war dein Traumberuf als Kind?
Friseurin. Das ist noch immer mein Wunsch. Erstmal werde ich hier lernen, später will ich in die Schule.
Wo bist du schon überall zur Schule gegangen?
In Serbien bin ich drei Jahre lang zur Schule gegangen,
dann kam der Krieg und eine Bombe zerstörte unsere Schule.
Die Schule ist ein bisschen schlecht in Serbien.
Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum?
Im Januar habe ich angefangen. Meine Tante hat mit Re12
gina gesprochen, weil ich gesagt habe, ich möchte gerne in die
Schule. Ich lerne gerne hier!
Wie viele Personen sind in deiner Familie?
Ich, meine Tante, Onkel und Bruder.
Was kannst du am besten? Was möchtest du noch besser können?
Putzen!
Bist du stolz, eine Roma zu sein?
Ja, das ist mein Blut! Ich kann romanes schreiben und reden.
Was hast du besonders gern an deiner Kultur?
Die Kultur passt mir nicht, nur das gute Essen! Ich bin nicht
verheiratet, ich habe Zeit.
Wann fühlst du dich beleidigt?
Wenn es meiner Familie nicht gut geht, wenn ich mich frage,
warum bin ich allein, warum bin ich nicht verheiratet?
Christine Solano und Enkelin Marianne
… dieser Erfolg, dass die Frauen dabei bleiben
und nicht aufgeben, das ist für mich ein
richtiger Erfolg.
Und ich würde mir wünschen, dass es weiter geht,
damit man sie weiter bestärken kann …
Christine Solano
Mitarbeiterin bei KAROLA e.V., Hamburg
Ich bin 54. Ich finde die Angabe zum Alter interessant, weil wir
eine ziemliche Bandbreite von Frauen haben. Und es ist interessant, dass die jüngeren, die eigentlich in die Schule gehen müssten, nicht gehen, sondern zu uns kommen. Und die älteren, die
jetzt über 50 sind und deren Kinder aus dem Haus sind, dass die
plötzlich für sich entdecken, es ist toll in die Schule zu gehen.
Ich wohne in Hamburg und glaube, ich bin eine echte
Hamburger Deern – nicht ganz, es fehlt eine Generation. Ich
habe eigentlich mein ganzes Leben in Hamburg gelebt, aber ich
bin viel gereist, das war sehr wichtig, einfach um mich selbst als
Ausländerin zu fühlen, und als Fremde in ein anderem Land.
Und Deutschland aus der Distanz zu sehen, das war mir auch
sehr wichtig.
In welchen Momenten in der Arbeit fühlst du dich glücklich?
Erstmal bin ich zufrieden, dass unsere Einrichtung für die
Frauen anscheinend ein Platz ist, wo sie sich gut aufgehoben
fühlen, in den sie Vertrauen haben, ja, wo sie das Gefühl haben,
wir können ihnen helfen. Und glücklich bin ich, wenn ich merke, dass die Arbeit, die wir tun, wirklich auch Resultate bringt,
die wir uns wünschen. Also wenn eine Frau Arbeit findet und
sagt: »Hier geht’s mir gut!«, oder wenn sie feststellen kann: »Oh,
ich kann auch andere Sachen mit meinen Kindern machen«,
und sie neue Sachen ausprobiert und den Kopf aufmacht für was
Neues – ich glaube, dann bin ich glücklich.
Was hast du gehofft und was befürchtet, als das Projekt anfing?
Gehofft habe ich, dass die Frauen das Angebot annehmen, und
dass sie für sich ganz viel mitnehmen sollen. Befürchtet habe ich
die viele Bürokratie, aber da haben wir uns jetzt einigermaßen
‘reingewurschtelt.
Wann ist das Projekt für dich erfolgreich?
Ich glaube, es wäre erfolgreich, wenn die Frauen mir nach
anderthalb Jahren sagen könnten: »Es hat ihnen Spaß gebracht!« Weil das eine neue Lernerfahrung wäre. Keine der Frauen hat eine positive Schul- oder Lernerfahrung. Alles war negativ. Und wenn sie sagen könnten: »Es war schön, hier zu lernen«
– das fänd’ ich gut. Weil dann etwas ankommt, dann entwickeln sich Sachen in den Köpfen. Ich denke, wir müssen die Erwartungen ganz niedrig halten, weil wir die Erfahrung gemacht
haben, dass, wenn du nie eine richtige Schullaufbahn gemacht
hast, und wenn du nie richtig Lesen und Schreiben gelernt hast,
dass dann so viel verkümmert ist, und dass es ganz lange dauert
und ganz mühsam ist, das aufzubauen. Ich denke, dieser Erfolg,
dass die Frauen dabei bleiben und nicht aufgeben, das ist für
mich ein richtiger Erfolg. Und ich würde mir wünschen, dass es
weiter geht, damit man sie weiter bestärken kann und nicht
mittendrin aufhören muss.
In der letzen Woche gab’s für mich ein richtiges Highlight: Ich dachte, ich versuche es mal mit dem Wörterbuch, ob
sie eine Idee davon haben, wie ein Wörterbuch funktioniert.
Und das hat ihnen so viel Spaß gebracht zu entdecken, dass sie
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ganz allein herausfinden können, was da steht. Und dann habe
ich das Telefonbuch geholt, und wir haben im Telefonbuch geguckt, wo man vielleicht ihre Namen findet. Und sie haben gestrahlt und waren – es war so was von schön! – sie waren so
stolz, als sie was gefunden haben! Sie waren plötzlich alle zehn
Zentimeter größer. Das war für mich auch ein kleiner Erfolg!
Wo sind die Teilnehmerinnen zur Schule gegangen?
Für mich fängt alles mit dem Kindergarten an. Dass viele
Roma-Kinder nicht in den Kindergarten kommen, weil es für
die Eltern zu teuer ist, weil es Konflikte gibt mit den Erziehern
oder so. Das heißt, sie kommen dann in die erste Klasse und haben eigentlich keine Vorbereitung dafür, weil sie nie gelernt haben, etwas in der Gruppe zu machen. Die Fertigkeiten, die man
eigentlich braucht, um in die Schule zu gehen, die sind für sie
völlig neu. Ob das ist, einen Stift zu halten oder eine halbe
Stunde still zu sitzen oder zuzuhören, sich auf eine Sache zu konzentrieren… Und darauf sind auch die Lehrer nicht vorbereitet.
Und innerhalb kürzester Zeit in der Schule fallen viele Kinder
schon raus und werden ganz oft in die Sonderschulen – ja: abgeschoben. Das mag für einige Kinder gut sein, aber ich glaube, es
ist damit insgesamt so, dass Roma - Kinder abgeschoben werden. Und der nächste Punkt ist der Übergang – in der Regel –
von der Förderschule auf irgendwelche Berufsschulen oder in
berufsvorbereitende Maßnahmen. Wo ich denke, da geht es so
weiter, dass sich keiner wirklich die Mühe macht, sich genau mit
der Problematik dieser Gruppe auseinander zu setzen. Das heißt,
die fallen wieder heraus: aus der Schule und damit auch aus einer Berufsausbildung. Von vielen Frauen wissen wir, dass es so
gelaufen ist. Das Resultat sind die Putzfrauen, die heute fast
nicht mehr eingestellt werden, weil sie nicht lesen und schreiben
können. Ich habe schon Anzeigen gesehen, wo sie Computerkenntnisse zum Putzen nachgefragt haben!
Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum?
Über den Abenteuerspielplatz, das ist 20 Jahre her. Auf
diesem Abenteuerspielplatz auf St. Pauli am Brunnenhof. Traditionell haben auf St. Pauli immer viele Roma- und Sinti-Familien gewohnt. Und die Kinder sind aus fast allen Einrichtungen raus gefallen. Der Abenteuerspielplatz war offen für alle,
und das haben hauptsächlich Roma-Kinder als richtiges Angebot für sich akzeptiert – und nach einer Weile auch die Familien. Ja, und da ich im Karolinenviertel wohne, was auf der anderen Seite von St. Pauli liegt, habe ich eben mitbekommen, was
in St. Pauli Nord passiert und habe durch meine Arbeit am
Brunnenhof viele Kontakte zu diesen Familien, die im Karolinenviertel wohnen, weil sie alle verwandt und verschwägert
waren.
Mein Traum war eigentlich, ein Angebot zu machen unterstützend zur Beratung. Vom Brunnenhof wusste ich, dass ganz
viele mit den Behördenpapieren und den Anforderungen immer
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große Probleme hatten. Da habe ich gedacht, das müsste eigentlich ein sinnvolles Angebot sein und gleichzeitig so etwas
nach dem Motto »Wie können wir lernen, das allein zu schaffen?« Und so ist diese Idee mit der Alphabetisierung und mit
dem Deutschlernen gekommen.
Vor sieben Jahren habe ich bei KAROLA e.V. angefangen.
Ursprünglich ist es eine Einrichtung der Kirche gewesen, als internationaler Treffpunkt, speziell für Frauen. Und es sind hauptsächlich türkische Frauen gekommen. Die damalige Leiterin der
Einrichtung war eine Türkin und hatte den Schwerpunkt auf
»türkische Frauen« gelegt. Vor 15 Jahren war es ziemlich problematisch mit den Flüchtlingen, die aus Bosnien und Kroatien
kamen – hauptsächlich Roma - Familien, die dann bei Roma Familien im Karolinenviertel unterkrochen, die keinen richtigen Aufenthalt hatten und dadurch kein Geld, keine Versicherung und alles, was man sonst so braucht.
Innerhalb kürzester Zeit haben sich zwischen den Menschen
im Karolinenviertel große Probleme entwickelt. Das heißt, zwischen den Roma und der übrigen Bevölkerung. Wir sind damals
dann, weil es eben wenige Leute gab, die Kontakte hatten zu Roma-Familien, ins Karolinenviertel gegangen, weil ich da auch
wohnte, und haben versucht zu vermitteln. Dann hatte es Kontakte zu anderen Frauen gegeben, die dann auch angefangen haben, Kontakte zu knüpfen zu den Roma-Familien. Die haben
sich dann mit angeschlossen bei KAROLA und haben Gelder
beantragt, um speziell für Roma-Mädchen Schulförderung zu
kriegen. Das ging bis 2000, 2001. Dann wurde leider das Geld
gestrichen. Die Kirche hatte sich 1999 schon zurückgezogen.
Damit konnte das Angebot leider nicht aufrechterhalten werden. Wir haben dann ehrenamtlich weitergemacht, und haben
dann den Schwerpunkt mehr auf »Frauen« gehabt, weil für viele Frauen die Suche nach Arbeit eine der wichtigsten Sachen
war, um sich weiterhin finanzieren zu können. Es wurde immer
komplizierter mit der Sozialhilfe.
Zum »Warum« würde ich gern nochmals sagen: Ich denke,
dass heute all das, was von staatlicher Seite oder von anderer Seite finanziert wird, immer hauptsächlich einen quantitativen Erfolg sehen will. Und diesen Erfolg aufzuzeigen, das ist sehr
schwer, wenn du mit Roma - Familien arbeitest. Und darum
glaube ich, dass viele Einrichtungen, die früher am Rande auch
mit Roma - Familien gearbeitet oder Roma - Familien unterstützt haben, das aufgegeben haben. Weil du da keine großen Erfolgsmeldungen geben kannst, sondern man schon ganz kleine
Sachen als Erfolge sehen muss. Ich möchte einfach dran bleiben,
weil ich glaube, dass Roma-Familien auf die Dauer in diesem
Land überleben können, wenn sie bestimmte Kulturtechniken
hier lernen. Ich weiß aber eben, dass es keine Sache von einer Generation ist, sondern von vielen Generationen. Und ich möchte
es, auch wenn es so schwer ist zu erklären, nicht aufgeben.
Ich denke, es ist ein ganz starker Halt in der Gruppe.
Wahrscheinlich hat kaum ein Volk so viel Rückhalt in der
eigenen Gruppe.
Was ganz positiv sein kann, was auch sehr negativ sein kann.
Wenn du versuchst auszubrechen, oder was anderes zu wollen.
Halt bedeutet auch Kontrolle.
Warum glaubst du, dass es hier so gut angenommen wird? Warum lieben sie euch?
Ich glaube, es hat was mit Erfahrung und mit Vertrauen zu
tun. Wegen der vielen Jahre, die die Familien speziell auch mich
kennen. Das ist ein Vertrauensvorschuss, den wir da haben. Und
ich kenne viele der Frauen und Männer, die auch manchmal zu
uns kommen, seit ihrer Kindheit. Daher ist es ganz klar, dass sie
sagen: »Wenn du dahin gehst, bist du gut aufgehoben.« Sie wissen auch, dass sie hier Sachen sagen können, die sie woanders
nicht sagen dürfen. Darüber können wir auch streiten – und wir
streiten manchmal gewaltig, aber das macht nicht das Vertrauen kaputt. Das ist ein Vertrauen, das über die Jahre gewachsen
ist. Wir haben gemerkt, als wir jetzt versucht haben, ein paar
von den Mädchen in andere Einrichtungen zu vermitteln, dass
es innerhalb kürzester Zeit Konflikte gegeben hat und die Mädchen weggeblieben sind. Die sind nicht mehr hingegangen,
weil das für sie irgendwie bedeutet hat: »Die wollen mich nicht
mehr.« Wenn sie hierher kommen und wir streiten, dann kommen sie trotzdem wieder, weil sie wissen, das gehört hier dazu.
Was willst du danach machen?
Wir versuchen natürlich, wieder Gelder zu kriegen, und
hoffen, dass es uns auch gelingt, um weiterzuarbeiten, wie wir
das bis jetzt gemacht haben. Wenn es nicht gelingt, werden wir
erstmal eine Weile ehrenamtlich weitermachen und hoffen, dass
wir dann eine Finanzierung kriegen.
Was wollen die Teilnehmerinnen danach machen?
Eigentlich sind sie jetzt dabei, richtig Lust zu kriegen –
bezogen aufs Lesen- und Schreibenlernen. Das war ein langer
Prozess, dabeizubleiben. Für viele ist jetzt der Punkt gekommen, wo sie gemerkt haben, es kommt was dabei raus, und jetzt
kann man eigentlich richtig lernen. Ich hoffe, dass es uns in irgendeiner Form gelingt, weiterhin Alphabetisierungskurse anbieten zu können.
Was würdest du beim nächsten Mal genau so machen beim Projekt und was anders?
Zum einen würde ich sagen, es ist absolut wichtig, so eine
offene Arbeit zu haben. Das würde ich immer wieder machen.
Dieses Am-Schreibtisch-Sitzen… Gut, hier sitzen wir auch am
Schreibtisch. Aber die meisten Probleme lösen wir, wenn wir
miteinander ‘ne Zigarette rauchen gehen oder auf der Straße ein
Gespräch führen. Diese Offenheit zu haben, ist ganz wichtig. Ich
fände es schön, für diese Arbeit mehr Luft zu haben, um auch
dann im Stadtteil präsent zu sein, einfach die Beratung auf der
Parkbank oder im Imbiss noch ein bisschen weiter zu vertiefen.
Diese ganzen Veränderungen in der Gesellschaft und in
den Sozialsystemen bedeuten für uns sehr viel mehr Arbeit, genau dadurch, dass viele nicht lesen und schreiben können. Das
alte System der Sozialhilfe, was sie ein bisschen kannten, funktioniert plötzlich nicht mehr. Und das jetzt zu verstehen und
fürs alltägliche Leben umzusetzen, das braucht viel Zeit.
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Für viele unserer Familien bedeutet das, wenn sie früher gerade
so hingekommen sind, dass sie in ganz vielen Fällen jetzt reingefallen sind. Ob das der Vertrag war, den sie fürs Handy unterschrieben haben, oder dafür, dass sie plötzlich hohe Wasserkosten gekriegt haben, die früher nicht so angefallen sind, oder dass
ganz schnell was gekürzt wird von der Grundsicherung – das
hat viele Familien in große Probleme gestürzt. Und es hat sehr
viel von unserer Arbeit geschluckt. Aber ich denke, dass es ein
Teil unserer Arbeit war, und der war wichtig. Es ist die permanente Auseinandersetzung damit, wie ich in dieser Gesellschaft
bestehen kann. Wahrscheinlich müsste man einen größeren Anteil an Zeit auch für solche Sachen wie Sozialberatung haben.
Wer ist die wichtigste Person in der Familie?
Das ist für uns insofern eine wichtige Geschichte, das zu
wissen, weil du dann irgendwas hast, wo du einen Hebel hast,
um was zu bewegen. Das ist durchaus schon so, wenn dieser
oder jener »okay« sagt, dann geht das.
Sind das meistens die Männer oder die Frauen?
Es kommt darauf an, worum es so geht. Viele sagen, die älteste Roma-Frau ist die entscheidende Person, wenn gar nichts
mehr geht. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, Vieles mit Genehmigung des Mannes zu tun, auch wenn dahinter schon die
Frau steht, die das »Okay« geben muss. Aber offiziell ist der
Mann der Ansprechpartner.
Was können die Teilnehmerinnen am besten?
Das ist für mich schon manchmal faszinierend: Über Sachen, die für uns bindend, verpflichtend, rechtens sind hinwegzusehen, und zu sagen: »Ihr könnt mich alle mal!«
Und sie haben eine ganz andere Spontaneität als wir. Wenn
das Wetter schön ist, entscheiden sie: »Heute Nachmittag grillen wir mal oder fahren an’ See.«
Wer ist die wichtigste Person in der Familie?
Ich habe vor vielen Jahren einen Roma-Jungen adoptiert.
Und da gibt’s immer mal wieder – auch wenn wir uns stellenweise sehr gut verstehen – da gibt es Situationen, in denen er
über mich und ich über ihn schlucken muss. Das sind Kleinigkeiten. Ich erinnere mich noch daran, als er noch zu Hause wohnte, wenn es ums Abwaschen ging, schlicht und einfach ums Abwaschen, und ich nach Hause kam und den ganzen Tag gearbeitet hatte und gekocht hatte und was weiß ich, und er hätte abwaschen müssen, dann saß er am Tisch und hat mich mit großen Augen angeguckt und gesagt: »Aber wieso? Du bist doch
die Frau, du musst doch abwaschen.« Ich denke ja für mich, als
ein wenig frauenbewegte Frau war das das Schlimmste, was mir
jemand sagen konnte. Inzwischen haben wir es hingekriegt,
dass er seinen Teil an der Hausarbeit mit abdeckt. Wenn er bei
seiner Ursprungsfamilie ist, dann ist es eine Schande für ihn,
aber auch für die anderen in der Familie, wenn er abwäscht.
Weil es keine Männerarbeit ist. Das zerreißt ihn ganz oft, weil
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er nicht mehr weiß, was richtig und was falsch ist. Ich habe gerade Gestern abend mit seinen Töchtern telefoniert, die sich sehr
darüber beschwert haben, dass sie putzen und aufräumen sollten, und der Sohnemann draußen zum Spielen war. Ich denke,
da gibt’s auch innerhalb der Gruppe inzwischen solche Probleme, dass auch die Mädchen merken, es muss nicht immer so
sein, wie es schon immer war, sondern sie sich was anderes wünschen. Es wird da für uns noch große Reibungen und Diskussionsbedarf geben. Ich habe gestern mit den Mädchen beschlossen, dass wir eine Familienkonferenz machen, um zu sehen, wie
das in Zukunft gehandhabt werden soll. Da kommen genau
zwei Kulturen aufeinander, und wir müssen sehen, wie wir damit umgehen können. Ich versuche das halt mit meinen deutschen Kulturtechniken in den Griff zu kriegen. Ob es funktioniert, weiß ich nicht. Und da kommen wir zu der Frage der
wichtigsten Person in der Familie. Ich, als die Mutter, bin diejenige, die gefragt werden muss, und die nicht umgangen werden
kann. Und daher ist es für die Kinder, meine Enkel, immer
wichtig, dass sie mich ansprechen können. Sie wissen, dass,
wenn ich was zu den Eltern sage, es auch Gewicht hat.
Was bedeutet es für dich, oder für die Teilnehmerinnen Roma
oder Sinti zu sein?
Ich denke, es ist ein ganz starker Halt in der Gruppe.
Wahrscheinlich hat kaum ein Volk so viel Rückhalt in der eigene Gruppe. Was ganz positiv sein kann, was auch sehr negativ
sein kann. Wenn du versuchst auszubrechen, oder was anderes
zu wollen. Halt bedeutet auch Kontrolle.
Ich glaube, ausgestoßen zu werden – ich muss es von der
negativen Seite her angehen – ist was sehr Gruseliges. Du wirst
aus einer ganz klaren Struktur ausgestoßen, die dir Halt und
Orientierung gegeben hat. Und du hast nicht gelernt, in der
übrigen Gesellschaft verankert zu sein. Wenn jemand ausgestoßen ist, ist er entwurzelt. Da gibt es eine große Angst. Und auf
der einen Seite ist die Gruppe Schutz, aber gleichzeitig bereitet
sie nicht darauf vor, sich mit der Gesellschaft auseinander zu
setzen.
Es ist was, das mich ganz doll beschäftigt, weil ich diesen
Familiendruck hasse. Und gleichzeitig denke ich: »Wie hätte
diese Gruppe überleben können, wenn sie nicht diesen Halt und
ihre eigenen Regeln gehabt hätte?«
Suzana Jovanovic
Von links: Ljiljana Sacrovic, Suzana Jovanovic,
Sandra Todorovic, Regina Bakar
Kursteilnehmerin bei KAROLA e.V., Hamburg
Ich bin 24 Jahre alt und in Kladowo in Serbien geboren. Ich habe nur in Serbien in meinem Dorf gelebt. Ich bin vor vier Jahren
hergekommen als Asylbewerberin. Zu dem Zeitpunkt war ich
schwanger mit meiner Tochter. Jetzt habe ich drei Kinder. Die
eine wird im August zwei und die kleine ist acht Monate. Mein
Mann hat eine andere Frau und Zwillinge mit ihr. Alle zusammen sind das dann fünf Kinder.
Wann bist du glücklich?
Ich weiß nicht. In letzter Zeit bin ich nicht glücklich. Hier
in der Schule nur.
Was war dein Traumberuf als Kind?
Lehrerin. Meine Mutter ist Hausfrau und mein Vater ist
Maler. Nach der Schule will ich gar nichts machen. Ich habe
drei Kinder.
Wo bist du schon überall zur Schule/Berufsschule gegangen?
In Serbien bin ich drei Jahre zur Schule gegangen, dann habe ich zu Hause gearbeitet, Kartoffeln gepflückt und den Haushalt gemacht. Ich habe eine Zwillingsschwester und einen Bru-
der. Die sind beide in Serbien. Meine Schwester hat geheiratet.
Ich habe bei meiner Mutter gewohnt. Dann bin ich hergekommen. Ich habe dann woanders gearbeitet.
Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum?
Ich bin im Januar gekommen. Die Ausländerbehörde sagte,
ich soll einen Deutschkurs machen. Erst habe ich gedacht, »wieso muss ich sprechen lernen«. Jetzt weiß ich, das Leben hier ist
schwer ohne Deutsch zu können. Beim Arzt, beim Einkaufen
und überall musst du sprechen und du kannst deinen Kindern
sonst nicht helfen. Ich lerne gut hier.
Was kannst du besonders gut?
Am besten kann ich kochen und putzen!
Was gefällt dir daran, eine Roma/ein Rom zu sein?
Bei uns ist das Essen gut und die Feste wie Hochzeiten. Wir haben viele Feiern. Im Jahr gibt’s 44 Gottesfeiern.
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Sandra Todorovic
Kursteilnehmerin bei KAROLA e.V. in Hamburg
Ich bin in Boa in Serbien geboren und 16 Jahre alt. Erst habe ich
in Boa gelebt und vor fünf Jahren bin ich nach Deutschland gekommen. Meine Tante und ich sind wegen des Krieges weg.
Wann bist du glücklich?
Wenn ich eine glückliche Familie habe.
Was war dein Traumberuf als Kind?
Erstmal wollte ich Kindergärtnerin werden für kleine Kinder. Weil ich sie liebe. Jetzt finde ich das, wo die Frauen entbinden, toll. Ich mag zusehen, wie das Baby auf die Welt kommt.
Das ist wunderschön.
Was arbeiten deine Eltern?
Weiß ich nicht. Ich bin ohne Eltern aufgewachsen.
Wo bist du schon überall zur Schule gegangen?
Das erste Mal hier in Deutschland, in Serbien nicht. Jetzt
ist es hier so anders, so schön. Ich lerne schnell. In Serbien wusste ich nicht, was das ist, Schule, deswegen habe ich es nicht vermisst. Hier habe ich mich gefreut, zu sehen, wie es ist. Es ist
sehr schön.
Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum?
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Im März. Meine Tante hat mir das empfohlen. Ich lerne hier gut.
Ich möchte eigentlich weitermachen und dann eine Ausbildung
als Hebamme anfangen.
Wie viele Personen sind in deiner Familie?
Ich, mein Cousin, meine Oma und mein Kind. Er ist sechs
Monate alt. Der Vater ist auch hier aber ich bin nicht mit ihm
zusammen. Wenn ich so darüber nachdenke, meine Familie ist
mir das Wichtigste auf der Welt. Was ich gut kann? Ich kann
sehr schön Haare flechten.
Bist du stolz, eine Roma zu sein?
Eigentlich erzähle ich es gerne.
Was hast du besonders gern an deiner Kultur?
Einmal im Jahr gibt es ein Fest bei uns. Das ist mit Lamm
grillen.
Wann bist du beleidigt?
Wenn mich jemand ärgert, und meine Kultur beleidigt.
Aus der Sicht meiner Eltern sollte ich mich nicht von
ihren kulturellen Denkweisen weiter entfernen. Sie hatten
die Befürchtung, dass ich ihnen zu fremd werde.
Yasmin Demirovic-Schulze
Studentin, Hamburg
Ich heiße Salfeta Demirovic-Schulze, werde aber seit ca. zwölf
Jahren Yasmin genannt. Ich bin 27 Jahre alt und wurde in Surdulica in Serbien geboren. Mit elf Jahren, im Jahre 1991, bin ich
mit meinen Eltern und meiner Schwester Tatjana in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. In Hamburg wohne ich seit
zirka anderthalb Jahren. Ich studiere jetzt Sozialpädagogik hier.
Meine schulische Laufbahn in Serbien habe ich mit dem
Abschließen der vierten Klasse der Grundschule beendet. In
Surdulica war ich eine sehr gute und beliebte Schülerin.
In Suderburg im Landkreis Uelzen begann für mich mit
der Orientierungsstufe die deutsche Schulbildung. Zu Beginn
beherrschte ich die deutsche Sprache nicht. Ich befand mich in
einem mir fremden Land. Ich fühlte mich sehr isoliert und vermisste meine Roma-Freundinnen und besonders meine geliebte
Oma. Zu der Zeit halfen mir Tagträume, die Vorstellung, wieder
in Surdulica, in meiner gewohnten Umgebung, zu sein. In meinem damaligen Wohnort, Dreilingen (Landkreis Uelzen), gab
es wenige Kinder. Meine sechs Jahre jüngere Schwester Tatjana
war zunächst meine einzige Spielpartnerin im Ort.
Die Schule stellte mir Deutschförderunterricht zur Verfügung, an dem ich mit anderen serbischen Kindern aus der Umgebung teilnahm. Ich machte sehr schnell Fortschritte und lernte die deutsche Sprache zu beherrschen. Ich lernte schnell, weil
ich bilingual aufgewachsen bin. Meine Muttersprache ist Roma
und Serbisch lernte ich damals in der Schule. Aus meiner Isolation bin ich mit Hilfe der deutschen Sprache entflohen. Nur dadurch konnte ich den Kontakt zu anderen Kindern beziehungsweise Jugendlichen herstellen. Dadurch fing es an, mir besser
zu gehen.
Mit dem Umzug von Dreilingen nach Suderburg kam die Pubertät und somit eine Wende in meinem Leben. Zu diesem
Zeitpunkt fingen die Konflikte in meiner Familie an. Meine Eltern kamen mit meiner Veränderung nicht zurecht. Es deutete
sich eine Überforderung ihrerseits im Umgang mit mir an. Ich
wollte die gleichen Freiheiten haben wie meine deutschen Freundinnen, das heißt, etwas unternehmen, ausgehen, wie es in diesem Alter typisch ist – auch Jungs kennen lernen. Das durfte ich
jedoch nicht, weil es nicht mit dem übereinstimmte, was meine
Eltern für mich vorgesehen haben. Aus der Sicht meiner Eltern
sollte ich mich nicht weiter von ihren kulturellen Denkweisen
entfernen. Sie hatten die Befürchtung, dass ich ihnen zu fremd
werde. Wenn es in der Familie keinen Konsens gibt, entstehen
Probleme. Und so war es bei mir auch. Die Interessen und Bedürfnisse waren sehr unterschiedlich.
Glaubst du, dass es gehen könnte, die Kultur zu behalten und
trotzdem seinem Kind Freiheiten zu lassen?
Ja, das glaube ich, dafür müssten jedoch die Eltern in
Deutschland integriert und gut verwurzelt sein. Weiterhin ist
dafür Selbstbewusstsein und Stärke von Seiten der Eltern erforderlich. Meine Eltern konnten diese Voraussetzung nicht aufweisen.
Thomas (Ehemann): Es ist ein kultureller Spagat für die Eltern mit Migrationshintergrund, denn viele Eltern sind relativ
jung Eltern geworden. Ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung
war noch nicht fortgeschritten. Viele sind sich der Riesenverantwortung nicht bewusst. Sie haben eher »ich muss Kinder machen« anstatt »ich will Kinder bekommen« gedacht, und sich
nicht selber ausreichend Gedanken über die Kindeserziehung
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gemacht. Diese Eltern reisen nach Deutschland ein und merken, hier verläuft die Erziehung ganz anders. Sie unterscheidet
sich deutlich von der Erziehung ihres Herkunftslandes. Die
Wurzeln und die Familienstärke sind einfach nicht mehr da, es
gibt nichts mehr, wo man sich anlehnen kann. Die Kinder entwickeln sich anders als von den Eltern gewünscht. Die Entwicklung der Kinder können die Eltern nicht verhindern und sind
dadurch noch mehr mit der Situation überfordert. Aufgrund
dessen ist es der Wunsch, dass die Wurzel, das was sie kennen,
bleibt.
Yasmin: Bei der Integration und der Verwurzelung stand
uns die Familie Dehning, bestehend aus Ida, Horst, Petra und
Hinnerk, mit Rat und Tat zur Seite. Wir hatten eine Kooperation, meine Eltern halfen bei der Landwirtschaft und im Gegenzug begleiteten sie uns zur Behörden, füllten uns Formulare aus.
Im Allgemeinen gaben sie uns praktische Lebenshilfen.
Petra ist Sonderschullehrerin und hat früher in Hamburg
mit türkischen Migrantinnen gearbeitet. Mich hat sie jahrelang
begleitet und unter anderem mit mir Zukunftsgespräche bezüglich Schule, Ausbildung und Aufenthaltsstatus geführt. Auch
bei der Fremdunterbringung meiner Person war Ihre Hilfe von
besonderer Bedeutung. Zu diesem Zeitpunkt war ich 15 Jahre
alt. Meinen Eltern wurde das elterliche Sorgerecht entzogen
und sie wurden über meinen Aufenthaltsort nicht informiert.
Aus dieser Zeit ist der Name Yasmin entstanden und mir
erhalten geblieben. Ich bin bei den Quäker-Häusern bei Buchholz untergebracht worden. Petra hat mich während der gesamten Zeit über begleitet.
Meine Schwester Tatjana ist in der Familie geblieben. Aus
gemeinsamen Gesprächen ist mir bekannt, dass sie mich sehr
vermisste.
Für mich war es eine sehr schwierige Zeit, für meine gewonnene Freiheit bezahlte ich einen hohen Preis. Ich fühlte mich
häufig alleine, da ich aus den Strukturen der Großfamilie entflohen bin. Durch die Vermittlung meines Onkels mütterlicherseits kam es zu einem ersten Wiedersehen mit meinen Eltern nach einer Zeitspanne von drei Jahren. Nun war mein
Wohnort Buchholz meinen Eltern bekannt.
Allmählich konnte sich das Verhältnis entspannen. Die
Angst, von meinen Eltern entdeckt und zurück nach Serbien
geschickt zu werden, konnte sich einstellen. Meinen Ehemann
Thomas lernte ich in der weiterführenden Schule kennen, den ich
meinen Eltern vorstellte, dieser wurde von ihnen schnell akzeptiert, da er an ihnen, an der Kultur und Sprache interessiert war.
Thomas: Ich mochte das Essen ihrer Mutter sehr. Liebe geht
durch den Magen.
Yasmin: Mit der Heirat mit Thomas waren meine Eltern einverstanden und unterstützen mich beim serbischen Konsulat in
Hamburg einen Pass zu beantragen.
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Das hat das Verhältnis zu deinen Eltern entspannt?
Meine Eltern waren beruhigt zu merken, dass ich nicht auf die
»schiefe Bahn« geraten bin, das heißt, sie haben weder Drogennoch Alkoholprobleme bei mir vorgefunden. Ihre Befürchtungen haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil, ich führte allmählich ein zufriedenes Leben.
Verhielten sich deine Eltern anders bei deiner jüngeren Schwester Tatjana?
Ja, das taten sie. Die größeren Geschwister sind die Vorreiter, damit die jüngeren es dann besser haben.
Das heißt, dass es ein langer und schmerzhafter Prozess für dich
war, das durchzusetzen, dass dein Leben so verläuft, wie du es
dir gewünscht hast?
Drei Jahre lang hatte ich nur spärlichen Kontakt zu meinen Eltern, der aus Telefonaten und ganz wenigen Besuchen bestand. Meine Eltern gaben mich nicht auf und verziehen mir
mein, in ihren Augen, Fehlverhalten. Auch ich habe ihnen verziehen, jedoch haben wir leider über die Zeit meines Wegbleibens wenig gesprochen.
Wann hast du angefangen zu studieren?
Im Jahre 2005. Zuvor absolvierte ich die Erzieherausbildung in Rotenburg Wümme, die ich mit einem »Gut« abgeschlossen habe. Der Weg zum Studium war lang und erfolgreich. Alle meine Schulabschlüsse holte ich nach. Angefangen
von dem Hauptschulabschluss bis zu einem guten Vordiplom.
Woher hast du diesen Willen?
Den habe ich im Laufe der Jahre entwickelt. Ich habe an
mich geglaubt. Bereits als kleines Mädchen glaubte ich an Gott
und dachte, dass er mich liebt und dass ich mit seiner Hilfe
meinen Weg gehen werde. Die Liebe meiner Oma förderte zusätzlich meine Willensstärke.
Wie bist du dazu gekommen zu studieren?
Ich habe die Erzieherausbildung absolviert und dabei gemerkt, dass mir das Lernen liegt und Spaß bereitet. Aus den guten Ergebnissen meiner Prüfungen entstand der Wunsch zum
Studium. In der Regelstudienzeit werde ich das Studium voraussichtlich im Jahre 2009 abschließen. Mein Sozialpädagogikstudium wird finanziell glücklicherweise durch die Hans
und Gretchen Tiedje - Stiftung finanziert. In meinem Bewerbungsschreiben schrieb ich, dass ich für eine ganze Kleinstadt,
nämlich für Surdulica, studiere. Weiterhin schrieb ich, dass die
Roma-Menschen dort nicht mit Bildung beschäftigt, sondern
eher bildungsfern sind. Ich schilderte, dass diese Menschen mit
Gedanken der Arbeitslosigkeit und Armut beschäftigt sind und
dass das Lesen und Schreiben kein zentraler Bestandteil ihres
Alltags ist. Zudem sind die Roma auch in der BRD eher in
niedrigeren Berufsgruppen beschäftigt. Mir ist nicht bekannt,
dass sie in Fakultäten oder in Universitäten vertreten sind. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie ihre Herkunft nicht sofort
Die Liebe meiner Oma förderte zusätzlich
meine Willensstärke.
Meine geliebte
Oma
preisgeben. Mit Sicherheit gibt es Roma, die sich schämen, zu
sagen, dass sie Roma sind. Bei mir selbst hat es gedauert, bis ich
zu meiner Herkunft und Identität stehen konnte. Das tat ich
aufgrund von Vorurteilen und Stigmatisierungen gegenüber der
Roma. Jetzt sage ich bewusst, dass ich der Volksgruppe Roma
angehöre. Das habe ich unter anderem zwei Freunden zu verdanken, die mich dazu ermutigten. Sie weisen selbst Migrationshintergrund auf und fanden meine Herkunft sehr spannend. Bis
dato hatte ich zu viel Schamgefühl, um über meine Herkunft zu
sprechen. Jetzt reagieren die Menschen positiv überrascht, wenn
ich über mich erzähle. Unwissenheit und Vorurteile existieren
bezüglich der Roma leider immer noch.
Hast du dir überlegt, was deine Schwerpunkte in deiner Arbeit
sein werden?
Mein Schwerpunkt im Studium ist Bildung. Diesen
Schwerpunkt habe ich mir bewusst gesetzt. Aber ehrlich gesagt,
bevor ich der Einrichtung KAROLA begegnet bin, war mir der
Gedanke nicht gekommen, in Hamburg mit Roma zusammenzuarbeiten. Aus der Begegnung könnten sich spannende berufliche Projekte entwickeln. Mein großer beruflicher Traum ist
die Lebenswelt der Roma in Surdulica zu verbessern, insbesondere die Kinder zu unterstützen und zu fördern. Ich würde gerne mit deutscher Unterstützung und finanziellen Mitteln eine
Roma-Schule und einen Roma-Kindergarten dort aufbauen. In
der Tätigkeit würde ich gerne meine Schwester Tatjana einbinden. Aber auch die Integration zwischen den dort lebenden Roma und Serben würde ich gerne vorantreiben. Ich würde in diesem Projekt als Koordinatorin fungieren und bei Bedarf den
Aufbau auch vor Ort längerfristig begleiten.
Die dort lebenden Kinder liegen mir am Herzen. Ich möch-
te ihnen eine Struktur und einen geregelten Tagesablauf bieten.
Weiterhin soll ihnen eine angemessene Förderung und Beschulung zuteil werden. Es ist mein Traum, dass Bildung dort ein
wichtiger Bestandteil des Roma-Alltags wird. Die Kinder sollen auch in der Freizeit gerne Kinderbücher, Kindergeschichten
und Märchen lesen.
Ich möchte gerne, dass das Bild der Roma positiver wird,
das heißt, es soll eine positivere Berichterstattung in Zukunft
geben, deswegen finde ich dieses Buchprojekt auch gut und
notwendig.
Zum Abschluss meines Interviews möchte ich einen besonderen Dank an die folgenden Menschen aussprechen, die in meinem Leben eine wichtige Rolle haben:
Ich bedanke mich bei meinem Mann Thomas, der für mich immer da ist und mich unterstützt.
Bei Petra und Hinnerk, Horst und Ida, die in schwierigen Zeiten zu mir gestanden haben und meine Persönlichkeitsentwicklung unterstützt haben.
Bei Sabine Blume, die als Sozialpädagogin mir geholfen hat,
meine Ziele erfolgreich umzusetzen.
Bei meinen Psychologen Herrn Weber und Herrn Kremser, die
in der Zusammenarbeit eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung meiner Gesundheit übernommen haben.
Beim Team der Quäker-Häuser, das mir die notwendigen Freiräume für mein Wachstum geschaffen hat.
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Bane Mutic
Kursteilnehmer bei Kiez mobil, RAA Berlin
Ich bin In Schweden geboren und jetzt 16 Jahre alt.
Woher kommst du?
Ich habe in Niš (Serbien), Schweden und Deutschland gelebt, spreche serbisch und deutsch. Vor elf oder zwölf Jahren bin
ich nach Deutschland gekommen.
Ich bin kein Roma. Ich bin ein Serbe. Ich kann kein zigeunerisch. Ich bin ein richtiger Serbe.
Wann bist du glücklich?
Wenn ich rappe und Videos drehe. Vor zwei Monaten habe
ich durch meinen Freund angefangen.
Was wolltest du werden, als du klein warst?
Als Kind wollte ich Feuerwehrmann werden. Jetzt werde
ich Rapper! Ich bin noch kein Profi, aber ich will ein eigenes
Album herausbringen.
Wie lief es in der Schule?
Also, zur Grundschule bin ich ganz normal sechs Jahre gegangen, danach in die Oberschule und dann bin ich hierher. Ich
habe ein paar Mal die Schule gewechselt. Aus der Grundschule
bin ich rausgeflogen. Aus paar Schulen bin ich rausgeflogen.
Dann bin ich ruhig geworden und hierher gekommen.
Wenn die Lehrer und Lehrerinnen auf dich anders reagiert hätten, glaubst du, dass du nicht rausgeflogen wärst?
Ja, das glaube ich schon, weil sie mich so genervt haben.
Ich war sauer und habe meinen Tisch einfach so umgeworfen
und den Spiegel kaputt gemacht.
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Wieso haben sie dich genervt?
Wegen meinem anderen Aussehen und so. Die haben mich einfach falsch behandelt, glaube ich. Jedes Mal bestrafen, nach jeder Kleinigkeit! Das musste nicht sein.
Was hätten sie in der Schule anders machen sollen?
Die sollten mich nicht nach jeder Kleinigkeit bestrafen.
Hätten sie mich besser verstanden, dann wäre ich ein bisschen
länger da geblieben. Aber egal, jetzt bin ich hier und ich hoffe,
hier klappt alles besser. Ich bin hier glücklich. In meiner alten
Schule dachte ich, ich schaffe es nicht mehr und dann habe ich
von Bobo gehört, dass man hier Abschluss machen kann. Erst
wollte ich nicht, dann habe ich mich angemeldet. Wie lange bin
ich jetzt dabei? Nicht einmal zwei Monate – einen Monat.
Meinst du, dass du was lernst?
Ich will Rapper werden und dafür hilft es mir sehr.
Wie groß ist deine Familie?
Wir sind sechs Leute. Ich habe drei jüngere Brüder, meine
Mutter und meinen Schwiegervater. Meine Mutter arbeitet als
Sekretärin und mein Stiefvater ist Maler und Lackierer.
Wer ist die wichtigste Person?
Meine Mutter, dann meine Brüder.
Stan Slobodan
Kursteilnehmer bei Kiez mobil, RAA Berlin
Ich bin 16 Jahre alt und in Serbien-Montenegro geboren. Jetzt
ist es nur noch Serbien, weil Montenegro jetzt weg ist. Ich habe in Banscho und in Deutschland gelebt – in Sachsen-Anhalt,
in Berlin, in Serbien und so weiter. Vor 13 Jahren bin ich nach
Deutschland gekommen.
Wann bist du glücklich?
Glücklich bin ich, wenn ich krompe (tanze)!
Was hast du als Kind geträumt zu werden?
Als Kind wollte ich Mafiaboss werden.
Und heute?
Jetzt will ich Kfz-Mechaniker werden.
Wie groß ist deine Familie?
Meine Eltern leben getrennt. Meine Mutter ist arbeitslos,
glaube ich. Sie hat einen Ein - Euro -Job. Mein Vater ist Kfz Mechaniker.
Wo bist du zur Schule gegangen?
Hier in Deutschland bin ich zur Grundschule und Oberschule. Ich war noch nie in der Achten, bin immer sitzen geblieben. Die haben alle genervt. Ziemlich viel Scheiß gebaut habe
ich. Die haben mich genervt. Die meisten haben mich respektiert, aber manche haben nicht eingesehen. Dann musste ich sie
hauen. Deswegen kriegte ich immer Verweise und deswegen
flieg ich immer von der Schule. Jetzt bin hier gelandet.
Hattest du nie Lehrerinnen, die dich verstanden haben?
Klar haben sie mich verstanden, aber der Direktor hat
mich nicht verstanden und keiner hat was zu sagen außer der
Direktor.
Seit wann bist du hier in der Schule?
Hier bin ich seit einem Jahr. Ja, ist schon okay hier. Was
mich nervt, zum Beispiel es ist Pause, dann kommt Zvonko und
sagt: »Kommt rein! Die Pause ist zu Ende!« Wir haben einen
Türsteher hier, damit wir zum Unterricht gehen. Wenn man
mich zwingt, zum Unterricht zu gehen, dann mach ich nicht
mit. Dann lerne ich halt nichts.
Wie groß ist deine Familie?
Meine Familie ist sehr, sehr groß! Ich lebe eigentlich mit
meinem Vater in Sachsen-Anhalt.
Da kann ich aber nicht leben, weil ich hier zur Schule gehe.
In den Ferien gehen wir dahin. Zurzeit lebe ich bei der Schwester meines Vaters. Sie hat sechs Kinder – alles Mädchen, außer
mir. Ich bin der Jüngste, ich bin Roma.
Gefällt es dir, Roma zu sein?
Witze und Späße find’ ich bei uns Roma gut. Es gibt bei
uns recht viele. Aber Politik und so, lass mal, wir sind die
Schlimmsten da drinnen.
Erzählst du, dass du Roma bist?
Ich erzähle es natürlich. Die sagen zu mir »Zigeuner, Zigeuner« und ich sag: »Was? Deine Mutter ist Zigeuner!«
Gibt es ein Sprichwort, was du während deiner Kindheit immer zu Hause gehört hast?
»Pame tuglau!« – »Immer kühlen Kopf behalten!«
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Munib Omerovic
Kursteilnehmer bei Kiez mobil, RAA Berlin
Seit 14 Jahren lebe ich hier. ‘92 bin ich hier nach Berlin gekommen. Ich bin 17 und in Bosnien in Tusla geboren.
Wann bist du glücklich?
Wenn ich mit meiner Familie zusammen bin, dann bin ich
glücklich.
Wie groß ist deine Familie?
Ich habe vier, fünf Onkel. Mein Vater wurde abgeschoben.
Er ist in Bosnien. Dann gibt es noch meine Mutter und uns sieben Geschwister – drei Schwestern, drei Brüder. Ich bin der Älteste, der Jüngste ist acht. Meine Mama ist krank. Sie war auch
im Krieg. Sie kann nicht aufstehen, nur liegen. Meine Geschwister machen alles. Alle sechs Geschwister gehen zur Schule und machen den Haushalt.
Was hast du als Kind geträumt zu werden?
Ich habe geträumt, Polizist zu sein.
24
Was möchtest du jetzt für einen Beruf?
Mein Wunsch wäre Kfz-Mechaniker.
Wo bist du zur Schule gegangen?
Ich war sechs Jahre in der Grundschule. Dann war ich in
der Willy-Brandt-Schule bis zur achten Klasse. Ich war da zu
frech und bin ich nicht regelmäßig zur Schule gegangen. Dann
haben sie mich hierher geschickt. Von Zvonko die Frau hat mich
hierher gebracht und meinte, hier kannst du besser lernen.
Hätten sie dich in den anderen Schulen anders behandeln sollen, so dass du mehr Spaß am Lernen gehabt hättest?
War schon alles okay in den Schulen.
Wir haben eine andere Methode als die normale
Schule wo sie früher waren.
Mit mehr Gefühle und mehr Verständnis.
Zvonko Salijevic
Mediator bei Kiez mobil, RAA Berlin
Ich komme aus Niš (Serbien), bin 31 Jahre alt und seit 1989 in
Deutschland.
Wann bist du glücklich in deiner Arbeit?
Wenn die alle da sind, alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen und wenn die alle motiviert sind und aktiv am Unterricht
teilnehmen, dann bin ich glücklich.
Als Kind hattest du da einen Traumberuf?
Ich wollte Privatdetektiv sein. Irgendwas mit Militär. Jetzt
arbeite ich als Mediator/Co-Teacher.
Was für Berufe üben deine Eltern aus?
Mein Vater ist Schweißer, meine Mutter Schneiderin.
Wenn du dir was wünschen könntest, was wäre das?
Das was ich mache, mit Jugendlichen arbeiten im Bereich
»Schule und Ausbildung«.
Wo bist du zur Schule gegangen?
Ich hab oft die Schule gewechselt. Acht Jahre in Niš, in Serbien, da wo ich geboren bin, und mittlere Schule. Ich war drei
Jahre in Sarajevo in der Militärschule. Danach bin ich 1992, es
war Krieg, nach Sarajevo. Ich habe abgebrochen und danach bin
ich wieder nach Niš. Da habe ich weiter als Verkehrstechniker
gearbeitet.
Wann bist du zu diesem Projekt gekommen?
2002 bis 2005 war ich im EQUAL -Projekt bei der RAA
und ich habe auch eine kleine Umschulung gemacht. Da habe
ich Medienberater gelernt und Mediator. Dieses Projekt läuft
seit April 2006. Seitdem bin hier eingestellt.
Warum glaubst du, dass euer Schulangebot gut angenommen
wird?
Wir haben eine andere Methode als die normale Schule, wo
sie früher waren. Mit mehr Gefühl und mehr Verständnis. Mit
dieser Methode fühlen sie sich hier nicht, als ob sie in der Schule sind. Hier haben sie das Gefühl, irgendwas Gutes zu machen
und sie haben ihre Meinung über die Schule hier stark geändert,
natürlich zum Besseren.
Was wollen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen danach machen?
Da wo sie früher zur Schule gingen, waren sie nicht regelmäßig. Es ist ein schönes Wort dafür! Überhaupt nicht waren
sie in der Schule. Hier bei uns gibt es eine Bewegung, eine gute
Bewegung! Erstmal kommen sie hierher, nicht so regelmäßig, aber dreimal in der Woche. Das ist eine gute Sache, super
schön!!!
Die meisten wollen die Schule fertig machen und sich weiterbilden. Viele wollen Kfz-Meister werden. Die Mädchen wollen irgendwo im Büro arbeiten, wollen auch Friseurin sein. Es
gibt viele Verbesserungen! Sie haben jetzt Berufsorientierungen
im Kopf und vorher hatten sie überhaupt nichts.
Sie lernen hier durchzuhalten. Wie schafft ihr das?
Na ja, ich muss sagen, es ist auch schwer, aber auf den anderen Seite, sie brauchen viel Geduld. Auch in der normalen
Schule braucht man viel, viel Geduld und dann kommen diese
Ergebnisse. Aber erstmal Geduld. Danach kommt alles.
25
… erstmal Geduld. Danach kommt alles.
Einmal kam ich nach Hause und war in Sorge. Meine Frau fragte: »Was ist los? Was ist passiert?« Ich sagte: »Mit diesen Jungs
komm ich nicht klar, es geht gar nicht. Die sind ganz verrückte
Kinder!« Meine Frau arbeitet auch in einer Grundschule und in
zwei Hauptschulen. Sie hat gesagt: »Okay, was machen sie?« Ich
antwortete: »Sie sind unmotiviert, unruhig.« Sie sagte: »Na ja,
das ist normal! Da, wo ich arbeite, die Kinder, die sind auch so,
es gibt keinen Unterschied, es ist normal für dieses Alter.«
Dann hab ich mir überlegt, wir sind hier nicht anders. Die Kinder sind gleich. Wir müssen uns konzentrieren auf das, was wir
erreichen wollen, auf die Hauptsache. Die sind nicht dumme
Kinder. Sie sind sehr, sehr schlau. Sie können Vieles erreichen.
Nur die Lehrer brauchen Geduld. Das ist sehr wichtig. Sie können schon viel.
Motivieren ist schwer. Gute Motivation ist alles!
Was können sie am besten?
Sie kennen sich gut mit Musik aus, mit PCs, das heißt, mit
Computern. Paar wissen schon viel über Autos. Jeder engagiert
sich in der Richtung seines eigenen Interesses.
Was würdest du beim nächsten Projekt genauso machen?
Ich werde diese Methode nicht soviel verändern. Ich mag
diesen Kontakt mit ihnen als Freund, nicht als Lehrer – einfach
so. Vielleicht mit ein bisschen mehr Respekt. Wir haben schon
viel geändert.
Wer sind die wichtigsten Personen für die Kinder?
26
Die Eltern. Wenn ich nicht mit ihnen was erreiche, dann kontaktiere ich die Eltern und dann kann ich besser arbeiten. Auf
der einen Seite sind die Eltern, auf der anderen Seite ich, dann
kann das Kind nur in die gute Richtung gehen! Geht nicht
anders.
Was bedeutet es, Roma zu sein?
Aus meiner Erfahrung ist es schwer zu sagen, dass man Roma ist. Ich verstehe es. Ich habe auch in paar Schulen hier in Berlin gearbeitet. Ich habe auch paar Lehrer interviewt und die haben gesagt, die Roma-Kinder werden diskriminiert von anderen Kindern. Nicht von den deutschen Kindern aber von arabischen, türkischen … Sie haben Vorurteile von den Eltern gelernt, kommen zur Schule und geben das weiter. Deswegen wollen sich einige Kinder nicht als Roma vorstellen oder bezeichnen. Aber paar von ihnen sagen stolz: »Ich bin Rom!« Das sind
die Stärkeren und wenn die gut in der Schule sind, haben sie
keine Probleme mit türkischen oder arabischen Kindern.
Viele von uns waren Analphabeten,
konnten die Sprache nicht. Mal war ich
in der dritten Klasse mit zwölf, mal
mit neun Jahren in der fünften Klasse –
es wechselte ständig.
Hamze Bytyci
Schauspieler, Berlin
Ich heiße Hamze, bin 25 Jahre alt und Roma aus dem Kosovo,
aus der Stadt Prizren. Mit sieben Jahren sind wir zusammen mit
meinem älteren Bruder und meiner Mutter hierher nach Deutschland gekommen. Mein Vater war schon zwei Monate hier. Wir
sind aus dem Krieg geflohen.
Wo hast du gelebt?
Wir haben überall in Deutschland gelebt, elf Stationen
(Transfers) ungefähr. Angekommen sind wir in München. Die
erste Station waren Saarbrücken, Saarluis, Karlsruhe, Göppingen und von dort sind wir nach Aalen. Da ist mein jüngster Bruder zur Welt gekommen. Und dann sind wir nach Dortmund zu
meiner Tante. Wir haben sehr viele Verwandte in Deutschland.
Mütterlicherseits sind alle Geschwister in Deutschland. Die
nächste Station war Castrop-Rauxel. Von da nach Xanten, Vreden für sieben, acht Monate und dann wieder zurück nach Karlsruhe. Von Karlsruhe nach Villingen-Schwenningen, dann nach
Freiburg. Da haben wir ungefähr sechs Jahre in der Hammerschmiedstrasse in der Flüchtlingsunterkunft gelebt. Ich weiß
nicht, warum wir so viel umgezogen sind. Ich denke, man wollte die Leute ein bisschen mürbe machen, so dass sie freiwillig
ausreisen.
Bist du zur Schule gegangen während der Umzüge?
Ja, ich bin die ganze Zeit zur Schule gegangen. Teilweise
gab es auch Lehrer in den Heimen, die uns freiwillig Unterricht
gaben. Die haben versucht, nicht nur diesen Frontalunterricht zu
machen, sondern zu gucken: »Was fehlt den Kindern? Wo können die andocken?« Viele von uns waren Analphabeten, konn-
ten die Sprache nicht. Mal war ich in der dritten Klasse mit
zwölf, mal mit neun Jahren in der fünften Klasse – es wechselte
ständig.
Was für Erinnerungen hast du an die Schulzeit?
Im Kosovo, in Jugoslawien eine sehr gute, obwohl die Lehrer sehr streng waren. Hier würdest du vom Lehrer nicht geschlagen werden. Aber diesen Druck, den sie ausüben, diese Disziplin, das ist teilweise notwendig. Wenn ich es vergleiche mit
den heutigen Verhältnissen – das ist schwierig. Teilweise wissen
die Jugendlichen nicht, was sie mit ihrer Zukunft, ihrer Freiheit
anfangen sollen. Sie sind wirklich überfordert. Jemand müsste
ihnen einen Weg bahnen. In Deutschland habe ich am Anfang
Schwierigkeiten gehabt, mich einzuordnen. Aber es war kein
Vergleich zum Kosovo, weil hier die Leute viel pädagogischer
ausgebildet sind, viel verständnisvoller. Obwohl man auch gemerkt hat, es ist ein bisschen, als ob sie ein schlechtes Gewissen
haben. Man wurde mit Samthandschuhen angefasst, die Jugendlichen, die die Sprache konnten. Die anderen kamen in die
Vorbereitungsklasse.
Haben deine Eltern Berufe?
In Jugoslawien hat meine Mutter schon mit 16 angefangen
zu arbeiten. Und mein Vater hat als Gas -Wasser- Installateur
gearbeitet. Als wir nach Deutschland kamen, hatten sie erstmal
keine Arbeit, aber meine Mutter hat ganz schnell Arbeit gefunden. Sie hat die Haushälterin gespielt und hat dadurch viele
Freunde gefunden und die Sprache schnell gelernt. Was für
meinen Vater nicht so einfach war, weil er immer wieder irgend27
welche Hausmeisterdienste angenommen hat, aber nicht wirklich glücklich war. Und erschwerend kam noch hinzu, dass er
mit diesem Aufenthaltsstatus keiner Arbeit nachgehen durfte.
Ohne Aufenthaltserlaubnis keine Arbeit, ohne Arbeit… Ein
Teufelskreis!
Wie ist der Status heute?
Ich habe damals viel übersetzt und den Leuten bei den
Ämtern geholfen. Und ich fragte: »Ist es möglich?! Ich höre immer Integration – was muss man denn noch machen? Deutsches
Blut trinken, damit man integriert ist?«
Meine Familie hat jetzt auch eine Niederlassungserlaubnis
bekommen. Ich habe damals meine Freundin geheiratet. Und
eine Woche später haben sie auch die Befugnis bekommen –
witzigerweise, obwohl wir da schon seit 16 Jahren in Deutschland waren. Wir kamen 1989 an.
Die Mutter meines Sohnes ist ebenfalls Deutsche. Liou
Constantin Ramazan (Ramadan=Islamischer Fastenmonat) hat
nicht nur zwei Kulturen, sondern auch die Möglichkeit, zwei
verschiedene Religionen kennenzulernen. Natürlich wird Liou
auch seine Erfahrungen machen. Sein Sternzeichen ist ja zum
Glück Waage und als erster Enkel beider Familien wird er seinen
ersten Geburtstag binational feiern dürfen. Und wie es sich auch
für einen Weltbürger gehört, feiern wir alle zusammen dieses
Jahr das Zuckerfest (Bajram).
Gibt es viele gemischte Ehen?
Mehrere meiner Cousins leben mit einer deutschen Frau
und haben gemeinsame Kinder, wie zum Beispiel Dzonis Sohn
Noah. Er ist in der fünften Klasse einer anthroposophischen
Schule.
Es ist nicht einfach, da bei uns Roma die Familie einen
starken Einfluss hat. Bei mir war das so: Da ich mit sieben Jahren hierher kam und hier aufgewachsen bin, wusste ich, das hier
ist meine Kultur. Und ich kann nicht mit einer Frau klar kommen, die mir aufgesetzt wird.
Das haben meine Familie und meine Verwandten akzeptieren müssen. Für meine Familie war es nicht einfach, weil bei
uns die Braut einen ganz anderen Stellenwert hat als hier. Hier
ist sie einfach die Frau, aber bei uns ist sie die Braut, die Tochter, das Vorzeigeobjekt. Ja, da gab es anfänglich kulturelle
Schwierigkeiten, »aber wieso einfach, wenn es kompliziert
geht«, sag ich immer.
Was hast du geträumt?
Ich habe witzigerweise immer davon geträumt, Feuerwehrmann zu werden, oder eben Schauspieler. Und das bin ich
auch geworden. Ich bin hier zur Schule gegangen und hatte dieselben Schwierigkeiten wie jeder andere Jugendliche auch. Mir
wurde im Ausländerheim geholfen, indem ich an künstlerischen
Projekten teilnehmen durfte. Das habe ich mitgemacht und gemerkt, dass es für mein Selbstwertgefühl und für meine Min28
derwertigkeitsgefühle, die ich hatte, als Ausländer sehr gut tat.
Dann hast du eine Ausbildung gemacht?
Ich hatte meine erste große Hauptrolle mit neun. »Die
Blume des Glücks« in Freiburg, meiner Heimatstadt, war der
Grundstein meiner beruflichen Laufbahn. Danach kamen die
»Schul- AG« und immer wieder Laientheater. Als die Realschule vorbei war und ich überlegte, was ich machen möchte, entschied ich mich für eine Ausbildung. Also begann ich mit verschiedenen Praktika. Ich wollte etwas Kaufmännisches, weil ich
dachte, es sei schick, so mit Krawatte – also habe ich als Automobilkaufmann begonnen, was aber überhaupt nicht mein
Ding war!
Also dachte ich: »Nein, ich muss was Künstlerisches machen. Dann werde ich jetzt Koch!« Ich habe eine Ausbildung angefangen beziehungsweise ein längeres Praktikum. Nun, es war
schwierig. Alle meine Freunde waren im Urlaub und ich habe
in den Sommerferien in der Küche gebrutzelt. Und das war
nicht gut. Irgendwann habe ich gedacht: »Also gut, dann mach
ich die Schule weiter!« Währenddessen habe ich noch bei UPS
gejobt. »Mann, was will ich denn wirklich«, habe ich mich gefragt. Also begann ich einen Abendkurs in der Freiburger Schauspielschule, bei der ich auch anschließend vorgesprochen und
nach acht Semestern erfolgreich abgeschlossen habe.
2005, im Sommer war ich fertig, habe in Zürich an einem
Theater vorgesprochen und ein Jahresengagement bekommen.
Ich hatte immer mehr Glück als Verstand. »Das ist mein RomaSchicksal«, dachte ich immer. Als Schicksal würde ich auch die
Begegnung zur Mutter meines Sohnes bezeichnen, mit der ich
jetzt in Berlin eine Familie gegründet habe. Man kann sagen,
dass es ein fruchtbares Jahr war, auch für mein berufliches Weiterkommen.
Passend zu der Zeit nannten wir unseren 2006 gegründeten Roma - Deutschen - Verein »Amaro Drom« (Unser Weg).
Dadurch entstanden viele Möglichkeiten für mich, selbstständig als Schauspieler und künstlerischer Leiter in diversen Vereinen und Organisationen, unter anderem beim Roma Aeter
Klub Theater, MeDIA RrOMA, RAA Berlin und dem Südost
e.V., tätig zu sein.
Was findest du, was Roma am besten tun?
Wenn sie konsequent sind, können sie alles erreichen. Und
davon bin ich hundertprozentig überzeugt. Das Problem ist
diese Stärke sich hinzusetzen und zu sagen »das ist jetzt mein
Ziel.« Das fällt ihnen sehr schwer, da sie es in der Vergangenheit
nie gelernt haben. Sie mussten sich immer durchmogeln, um
etwas hinzukriegen. Es gibt definitiv unendlich viel Potential
im künstlerischen Bereich! Und im kaufmännischen Bereich sowieso. Das ist ein Volk, das immer weltoffen gewesen ist, immer friedlich war, nie einen Krieg geführt hat. Ein Volk, das
mit anderen Völkern sehr gut auskommen kann.
… im Theater, dass sie versuchen, die Tonlage zu verstellen, dass
sie die Lehrer so anschreien, als wäre es ein Kumpel …
in
Meine Cast
g-Karte
Eine Lebensweisheit?
Ich habe mit meinem Vater immer albanisch gesprochen.
Und mit meiner Mutter spreche ich jetzt romanes, seitdem
mein Sohn auf der Welt ist. Ich verstehe es, aber gesprochen habe ich es zu Hause selten, weil man mir immer gesagt hat: »Du
darfst nicht sagen, dass du Roma bist. Das wird hier nicht gerne
angesehen.« Und es gibt ein albanisches Sprichwort, das heißt:
»Majupi lüp Sor.« – »Der Zigeuner braucht Druck«.
Das ist ein bisschen derb, aber es stimmt: Unter Druck
entsteht manchmal auch was Gutes.
Wann fühlst du dich beleidigt?
Also, ich weiß, dass bei Jugendlichen diese Floskeln leider
dazugehören. Und durch die Medien wird es auch noch verstärkt. Aber es ist auch ein Gruppengefühl, das sie haben.
Wenn ein Fremder meine Mutter beleidigen würde, dann
kann ich für nichts mehr garantieren. Wenn ich das Gefühl habe, bewusst missverstanden zu werden. Aber eigentlich bin ich
ein Mensch, der selten beleidigt ist, eher jemand, der gerne Leberwurst ißt und nicht ist!!!
Was machst du im Medienbereich?
Die Arbeit mit Jugendlichen im Medienbereich war unter
anderem mein Ansporn, nach Berlin zu kommen. Ich habe mir
neben der Schauspielerei ein zweites Standbein damit aufgebaut. Ich möchte das, was mir gut getan hat, das Künstlerische,
auch weitervermitteln. Wir haben in der Schauspielschule ganz
viel über Schauspiel gelernt, aber viel wichtiger und wertvoller
war es, dass ich mich kennen gelernt habe. In verschiedenen Situationen und wie ich als Mensch funktioniere.
Es gibt viele gesellschaftliche Probleme, die man durch
zum Beispiel Schauspiel einfacher lösen kann als durch einen
anderen Beruf. Man kann ganz schnell in eine Rolle schlüpfen,
lernt vielleicht auch dadurch, sich besser in jemanden hineinzuversetzen, und kann das dann ausleben.
Es ist wichtig, den Jugendlichen andere Strukturen zu vermitteln, die ihren ein bisschen zu lockern, indem man Sachen
macht, die sie sonst nicht so gut oder nicht so »cool« finden,
wie zum Beispiel Museumsbesuche oder auf den Friedhof gehen. Es geht darum, ein bisschen zu sich zu kommen und den
eigenen Doppelgänger ein bisschen weiter weg zu lassen.
Im Künstlerischen darf man machen und sein, was man
will. Also ist alles Theater!
Dadurch haben sie Möglichkeiten, etwas zu spielen, was sie
überhaupt gar nicht sein können oder nicht dürfen oder sollen.
Dadurch werden Klischees abgebaut – ob das jetzt Ausländer
sind oder andere.
Du setzt das um im Film?
Vieles ist Pädagogik, obwohl ich keine pädagogische Ausbildung habe. Was ich gelebt und erlebt habe, das kann und lerne ich ihnen zu vermitteln. Und ich merke, dass die Jugendlichen mich respektieren, weil ich versuche, ehrlich zu ihnen zu
sein. Und wenn es nicht funktioniert, dann sag ich auch: »Verkackt.«
Das Wichtige ist das Spielerische an den Theaterübungen:
sich lockern, ein bisschen blödeln lassen und dann auch Übungen, mit denen sie zuerst überhaupt nicht klar kommen, wie
zum Beispiel ein bisschen Yoga oder so etwas, was erst überhaupt nicht geht. Und witzigerweise finden sie das selber lustig. Am Anfang sagten sie: »Das ist total homo.« Jetzt haben sie
gemerkt: »Ich fühle was«! Na so was aber auch!«
Oder im Theater sollen sie versuchen, die Tonlage zu verstellen,
29
denn sie schreien die Lehrer teilweise so an, als wäre es ein
Kumpel. Und ich meine: »Hey, ihr müsst schon wissen, wo die
Grenzen sind.«
Dann merkt man im filmischen Bereich – wenn sie versuchen sollen, sich selber darzustellen – dass sie da schon Probleme haben, weil sie sich nicht wirklich kennen. Sie versuchen etwas darzustellen, was sie gerne wären, und nicht das, was sie
sind. Es ist ein langer Prozess, aber der macht Spass! Wenn ich
merke, dass die Jugendlichen soweit sind, dass sie sagen: »Jetzt
müssen wir ein paar Altlasten loswerden.«
Mein nächstes Projekt ist ein Buch raus zubringen, so was
wie ein »Roma - Knigge« für Roma oder auch Nicht - Roma.
Über Geburtstage oder Feiern, dass man ungefähr weiß, wie
man bestimmte Bräuche handhabt, was man bei Beerdigungen
sagt, zur Verlobung, zum Geburtstag oder zur Taufe. Das ist
das, was ich an meiner Heimat, an meinen Wurzeln, wichtig
finde, diese Traditionen.
Zum Beispiel schneide ich nachts nie meine Fingernägel.
»Was soll denn das«, sagen die Leute. »Das macht man nicht,
weil du glaubst, dass es Unglück bringt?« Und ich sag: »Ja, mach
dich ruhig lustig darüber.« Warum versucht man nicht, sich das
so vorzustellen, dass, wenn man es tagsüber macht, Glück
bringt. Dass man es positiv sieht? Aber nur mit Ehrfurcht funktionieren wir. Es wird auch ein bisschen autobiografisch werden
– eben der Weg von zwei Jugendlichen aus dem Kosovo.
Wie finden deine Eltern das, was du machst?
Am Anfang war es sehr schwer für meine Mutter. Zum
Glück habe ich meinen Cousin Dzoni. Der ist sehr engagiert.
Ich versuche, meine Schauspielerei und mein Privates zu verbinden. Meine Mutter meinte: »Mach doch eine Lehre. Koch wäre
so schön, da stehen die Frauen drauf!« Ich habe dann während
meiner Schauspielausbildung gearbeitet, dann Bafög bekommen. Aber von großer Bedeutung war, dass die Mutter von einem Freund mich finanziell unterstützt hat. Sie fand das toll.
Ich habe viel, viel Hilfe gehabt, aber ich habe auch um Hilfe gebeten. Und wenn man Hilfe sucht, gibt es die immer irgendwo.
Ich merke, dass es kleine, aber feine Unterschiede zwischen den
Roma in Freiburg und den Roma in Berlin gibt. Dass die Roma
in Freiburg viel mehr Ehrfurcht haben, Ehrfurcht vor dem Leben. Ich weiß nicht, ob es mit der Religion zu tun hat, aber viele von ihnen sind Muslime und dadurch haben sie einfach einen
anderen Zugang zu den anderen Jugendlichen. Da beleidigt
man sich erstens nicht so viel. Und zweitens ist es eine Frage des
Aufenthalts. Viele von ihnen haben eine Duldung, und dadurch
kämpfen sie und sind viel engagierter.
Hier, also die Roma in Berlin, sind meistens serbische Roma. Viele sagen gar nicht, dass sie Roma sind, sondern dass sie
aus Serbien kommen. Sie sprechen auch serbisch. Sie haben
nicht diese Aufenthaltsprobleme. Die sagen sich: »Ich habe mei30
ne Aufenthaltsgenehmigung, der Rest ist mir egal.« Und das
ist mit vielen Jugendlichen in Berlin so, die diese Identifizierungsschwierigkeiten haben. Ob das nun Araber sind, Türken
oder Roma. Der Unterschied ist heftig. Daher merke ich, dass
die Zukunftsperspektiven in Berlin viel schwieriger sind. Obwohl die Jugendlichen in Freiburg nicht wie hier Jobs vom Arbeitsamt bekommen, haben sie es, gerade durch die vielen Möglichkeiten, schwieriger.
In Freiburg haben wir mit 30 jugendlichen Roma ein Wochenendseminar gemacht und für unsere Roma - Kulturwoche
geprobt. Ein ganzes Wochenende haben wir gearbeitet und die
haben super mitgemacht! Am Anfang wussten die Eltern nicht,
was sie davon halten sollten. Aber ich habe gesagt: »Ich bürge
für jeden Einzelnen, ihr müsst uns einfach vertrauen, ihr habt
gar keine andere Wahl.« Und die Eltern haben gesagt »Klar.«
Und wir haben auch eine Nachtwanderung mit ein paar
Jugendlichen gemacht. Wir hatten natürlich keine Taschenlampen, sondern konventionell, wie man das so macht, mit Handys.
Da hat man so viel Licht gehabt, das war optimal. Es war die
erste Roma-Pfadfindergruppe Deutschlands. Da war ich schon
stolz drauf.
Und als wir uns danach am Bahnhof verabschiedet haben,
haben zwei, drei Jugendliche gesagt: »Es war super! Wann machen wir das wieder?« Das macht glücklich. Okay, ich habe es
hart gehabt, meine Familie eine Woche lang nicht zu sehen.
Aber es hat sich gelohnt. Und die Jugendlichen hatten das Gefühl, etwas erreicht zu haben.
2006 haben wir in Belgrad mit Leuten, die abgeschoben
wurden, Interviews darüber geführt, was das für eine Situation
für sie ist. Und sie meinten: »Klar, wir hatten ein Haus gebaut,
aber wir haben kein Geld. Sollen wir Steine essen?« Und da habe ich gemerkt, dass es schade ist, dass die Jugendlichen hier
nicht ein bisschen davon mitkriegen und merken, wie gut es ihnen geht. Ich werde den Film jetzt schneiden, und ihnen zeigen:
»Jetzt guckt euch das an: Sie würden in irgendein Heim gehen
und Klos putzen, nur damit sie hier bleiben können.«
Seherazada Music
Kursteilnehmerin bei Kumulus Plus, RAA Berlin
Ich bin 18 Jahre alt und in Jelena geboren. Wir sind hierher gekommen, als ich zwei Jahre alt war. Seit 15 Jahren lebe ich in
Berlin.
Was war dein Traumberuf als Kind?
Friseurin, aber es war nicht immer so. Ich habe mal Praktikum gemacht als Friseurin und das gefiel mir nicht. Wenn ich
mit der Schule weitermache und dann eine Ausbildung ranhänge, will ich als Schneiderin oder Kosmetikerin arbeiten. Mir gefällt hier alles gut und ich will versuchen eine Ausbildung als
bosnische Lehrerin zu machen. Wenn ich es nicht schaffe als Kosmetikerin, dann werde ich als Lehrerin arbeiten. Das braucht
man hier in Berlin! Es gibt viele unserer Jugendlichen, die können nicht ihre Muttersprache sprechen. Das konnte ich auch
nicht früher, aber jetzt. Zu Hause reden wir deutsch. Ich bin so
viele Jahre hier … Hier lerne ich schreiben und lesen. Ich konnte vorher nicht in unserer Sprache antworten, jetzt kann ich es.
Zu Hause im Urlaub konnten wir manchmal nichts verstehen.
Da fühlt man sich unwohl!
Wo bist du schon überall zur Schule gegangen?
Ich glaube, ich habe fünf oder sechs Schulen besucht. Ich
war zuerst in der Grundschule. Von da an erinnere ich mich gar
nicht mehr. Wir sind immer umgezogen – einfach in einen anderen Bezirk. Ich habe meinen Abschluss nicht bekommen. Ich
habe ein Zeugnis aus der Neunten.
Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum?
Eigentlich wusste ich erst gar nichts von diesem Projekt.
Ich war bei der Ärztin von meinem Vater. Wir sind gut befreundet miteinander. Da bin ich hingegangen und sie hat mir eine
Adresse gegeben, wo ich meinen Schulabschluss machen kann.
Aber die haben mich nicht genommen, weil ich nicht gut
Deutsch konnte. Dann habe ich gehört, dass es diese Schule hier
gibt. Hier fühle ich mich wohl. Ich habe mich alleine erkundigt
und habe das hier gefunden. Am Anfang habe ich gedacht, dass
ich die Einzige bin, die das nicht kann. Das war ein ungewohn-
tes Gefühl. Aber später habe ich mich daran gewöhnt. Na klar!
Ich war erstaunt, dass es viel mehr waren. Mir gefällt es hier einfach, wie der Lehrer mit uns umgeht und uns alles so beibringt,
dass man es versteht. Ich verstehe ihn auf jeden Fall. Ich verstehe mich mit den anderen und habe keine Probleme. Eigentlich
bin ich im September fertig und kriege ein Zertifikat, aber ich
will hier weitermachen – eine Ausbildung als Lehrerin.
Wie viele Personen sind in deiner Familie?
Verwandte und so? Mindestens 100! Jetzt sind wir mein Papa und drei Kinder, aber früher waren wir sechs, sieben in einer
Wohnung. Die wichtigste Person für mich ist mein Papa.
Bist du stolz, eine Roma/ein Rom zu sein?
Manchmal, ehrlich gesagt, schäme ich mich, weil manchmal, wenn man in der Sprache redet, in unserer Sprache, dann
sagen die Leute: »Guck mal, die Zigeuner!« Dann schämt man
sich wirklich, dass man Roma ist. Eigentlich sind wir aber auch
nur Menschen. Ja, aber die denken, wir sind anders. Die denken, dass wir eine andere Kultur haben.
Ehrlich gesagt, stolz, nee! Ehrlich gesagt, würde ich gerne
leben wie eine Deutsche. Aber später, wenn ich mit meinen
Leuten zu tun habe, fühle ich mich wie eine Roma. Und wenn
ich zurück gehe in meine Heimat, oh, dann fühle ich mich wie
ein Dorfkind!
Was magst du besonders gerne an deiner Kultur?
Tanzen! Ich tanze sehr gerne und ich singe!
Welches Sprichwort hat man dir zu Hause beigebracht?
Wir haben viele Sprüche! »Dilie«, das heißt so was wie
»Spinner«, aber in einer süßen Art.
Wann fühlst du dich beleidigt?
Wenn jemand mich oder meine Familie beleidigt. Wenn
mich jemand ärgert und sagt, dass ich pummelig bin. Oder
wenn jemand mir etwas sagt, was mir nicht passt. Dann könnte
ich selber schlechte Wörter sagen, zurück beleidigen.
31
Amir Mustafic
Kursteilnehmer bei Kumulus Plus, RAA Berlin
Ich bin 22 Jahre alt und geboren in Binjas, in Bosnien-Herzegovina. 1992 kam ich nach Deutschland – mit acht Jahren. Ich
bin mit meinen fünf Geschwistern gekommen. Damals war
Krieg, also waren wir Flüchtlinge.
Wann bist du glücklich?
Wenn ich was erreicht habe, wenn ich was geschafft habe,
auf deutsch gesagt, wenn ich auf meinen eigenen Beine stehen
kann, ganz alleine.
Was arbeiten deine Eltern?
Ganz normal, meine Mutter war Hausfrau, Mutter von
fünf Kindern und mein Vater war Bauunternehmer in unserer
Heimat, hier in Deutschland war er nichts.
Was machst du jetzt?
Ein Alphabetisierungskurs. Damals konnte ich nicht viele
Wörter oder Buchstaben. Jetzt ist es besser.
Wenn deine Wünsche sich erfüllen könnten, was würdest du
gerne tun?
Ich möchte gerne Unternehmer werden, selbstständig sein.
Deswegen mach ich die Alphabetisierung, wegen der Buchhaltung.
Wo bist du schon überall zur Schule/Berufsschule gegangen?
Ja, man kann sagen, gegangen bin ich schon, aber nicht regelmäßig und ich habe alles vergessen. Jetzt, seit ich hier bin,
komme ich besser klar als damals in der Schule. Ich habe nichts
wahrgenommen, ich hatte auch kein Interesse. Hier ist alles
schön leicht, es wird mehrmals gesagt, man kommt mit.
Lag es an deinen Lehrern, dass du nicht lernen konntest?
Ich sag, es liegt an einem selber. Man muss selber kämpfen.
Wenn man will, kann man alles schaffen. Wenn man jung ist,
hat man keine Lust. Jetzt denk ich anders und will was schaffen.
Nachdem ich hier angefangen habe, komm ich besser klar.
Was ist hier anders? Warum hältst du es hier aus?
In der normalen Schule ist es schwerer. Hier ist es leichter.
Man arbeitet mehr zusammen hier. Es wird erklärt. Es ist viel
besser. Ich habe keine guten Erinnerungen an meine Schule,
weil ich gar nicht in der Schule war.
32
Was hast du stattdessen gemacht?
Spazieren gehen.
Wann bist du zu unserem Projekt gekommen und warum?
Am 31. habe ich mich in Verbindung gesetzt. Ich war drinnen. Ich konnte keinen Buchstaben. Langsam hat er mir alles
beigebracht.
Was waren deine Erwartungen zu Beginn des Projekts?
Ich hatte keine Erwartungen, sondern Sorgen, ob sie mich
annehmen, ob es klappt mit mir.
Wie unterstützt dich das Projekt?
Sehr! Formulare auszufüllen zum Beispiel! Wenn man keine Ausbildung hat, kann man keine normale Arbeit finden.
Wie viele Personen sind in deiner Familie?
Fünf Geschwister plus Neffen – 40 Stück und alle in Berlin.
Welche Bedeutung hat deine Familie für dich?
Motivation. Alles was ich vor mir habe, alles was ich hinter mir
habe, dass ich es schaffe. Dass ich mit freundlichem Lächeln
nach Hause komme und weiß, dass ich es geschafft habe.
Was kannst du am besten? Was möchtest du noch besser können?
Mit Menschen zusammen arbeiten, mit Ausländern vor allem und zuhören.
Was bedeutet es für dich, Roma zu sein?
Es bedeutet für mich: »Egal, Mensch ist Mensch, jeder hat
seine Ziele, jeder hat seine Vorstellungen, es spielt keine Rolle.«
Was magst du besonders gerne an deiner Kultur?
Das Essen!
Erzählst du, dass du ein Rom bist?
Egal wer mich fragt, ich sage immer, was ich bin. Entweder kommt er klar, oder nicht.
Sein Ding, mein Ding.
Hast du ein Sprichwort, das du zu Hause immer gehört hast?
Mein Spruch ist: »Kämpfen bis es nicht mehr geht und
schaffen!«
Wann bist du beleidigt?
Wenn jemand meine Familie angreift, alles andere interessiert mich nicht.
Ich habe mich vom Elektromechaniker
hoch qualifiziert bis zum Elektrotechniker.
Ich war Geschäftsführer und hatte
drei Brigaden.
Zikica Ibraimovic
Mediator bei Kumulus Plus, RAA Berlin
Ich bin 58 Jahre alt. Geboren wurde ich in Serbien, in der Stadt
Niš. 42 Jahre lang habe ich da gelebt. Wegen des Kriegs bin ich
hierher nach Berlin gekommen.
Damals habe ich gedacht, es ist ein Bruderkrieg. Das war ein
Bürgerkrieg. Für mich gab es immer ein Jugoslawien, zu Titos
Zeiten. Nach Tito ist dann passiert, was passiert ist. Im ehemaligen Jugoslawien sind alle gleich gewesen. Und dann kam der
Krieg und plötzlich gab es Bosnien und Kroatien und Serbien
und Makedonien und so weiter. Meine ganze Familie ist weggegangen, alle nach Berlin.
Was war dein Beruf zu Hause?
Zu Hause hatte ich mehrere Berufe. Ich habe mich vom
Elektromechaniker hoch qualifiziert bis zum Elektrotechniker.
Ich war Geschäftsführer und hatte drei Brigaden. Das bedeutet
über 40 Leute. Und ein Jahr lang habe ich auch als Lehrer gearbeitet. Mein Sohn hat bei mir ein Praktikum gemacht. Er ist
auch Elektrotechniker und studiert jetzt Informatik. Er ist außerdem Lehrer und arbeitet auch mit Roma und mit deutschen
Kindern.
Welche Momente in deiner Arbeit machen dich glücklich?
Jeder Moment, in dem ich meinem Volk helfe, ist für mich
ein glücklicher Moment. Wenn meine Leute hierher zur Alphabetisierung kommen, dann können die oft nur ein Kreuz machen. Ich mache auch Alphabetisierungskurse in unserer Muttersprache. Bis zur dritten Klasse lernen sie mindestens die Personalpronomen, Sätze in der Gegenwart und in der Zukunft.
Diese Arbeit mache ich mit ganzem Herzen. Das macht mich
glücklich. Wenn sie ankommen und nur ein Kreuz machen
können und dann weggehen und schreiben können! Ein paar
Teilnehmer kommen regelmäßig. Und sie bedanken sich oder
bringen eine Blume. »Danke. Wir waren blind und jetzt sehen
wir.« Bis jetzt habe ich schon 25 Leuten Lesen und Schreiben
beigebracht.
Was hast Du gehofft und was befürchtet, als das Projekt anfing?
Das ist jetzt mein zweites Projekt. Ich mochte das erste
Projekt, es war ein EQUAL Projekt. Für mich war das ganz neu.
Ich habe früher als Mediator gearbeitet. Ich gehörte als Mediator zur Zielgruppe dieses Projekts. Die haben auch neue Mediatoren ausgebildet, Zvonko zum Beispiel. Und es gab auch Alphabetisierungskurse. Alphabetisierung kam für mich nicht in
Frage – ich habe es alleine geschafft. In dieser Zeit war immer
ein Teilnehmer im Deutschkurs, der war Mediator, Mediengestalter. In dem Deutschkurs waren zwei Teilnehmer, Mutter
und Sohn, die ich regelmäßig begleitet habe. Und dann sind sie
zweimal nicht gekommen. Als sie die zweite Woche nicht gekommen waren – sie schämten sich, mir im Unterricht etwas zu
sagen – habe ich einen Hausbesuch gemacht. Sie haben mir gesagt: »Ach Zikica, wir schämen uns, aber wir können nicht lesen und schreiben.« Sie sagten mir, dass sie keinen einzigen
Buchstaben kennen. Und im Deutschkurs mussten sie lesen.
Und als sie das gesehen haben, haben sie es sein gelassen. Ich
kenne diese Situation und habe ihnen gesagt: »Dann schreib ich
eine Entschuldigung.« Und ich habe einen Weg gefunden. Ich
33
war Mathelehrer und habe noch ein Praktikum gemacht. Von
den 17 Teilnehmern haben es nur drei geschafft. Um gutes Romanes zu sprechen, braucht man Mathe. Ich war viel beschäftigt, aber ich habe zu den Zweien gesagt: »Ich nehme mir Zeit,
ehrenamtlich eine Stunde pro Woche mit euch zu üben.« Sie
waren so begeistert! Am Anfang war es einmal pro Woche, dann
zweimal pro Woche, und dann habe ich es regelmäßig dreimal
in der Woche gemacht. Und dann haben spontan auch die anderen davon gehört, und aus zwei sind am Ende 23 geworden, die
einen Alphabetisierungskurs brauchten. Ich sage immer, Alphabetisierung ist eine große Vorbereitung für die Integration in
die Deutschkurse. Ich habe es erlebt, dass eine Frau zu mir kam,
die sagte: »Ich möchte bei dir einen Alphabetisierungskurs machen.« »Kannst du lesen,« hab ich sie gefragt. »Gar nicht!« Ich
habe erlebt, dass sie den Stift nicht halten konnte und ich ihr das
erst zeigen musste. Sie war bei einem Deutschkurs, wo sie ihr
einen Brief mitgegeben haben, dass sie nicht Deutsch lernen
kann. Und dann kam sie zu mir. Einen Buchstaben kannte sie.
Zu 99 Prozent sind es Frauen, die Analphabeten sind. Inzwischen ist es auch bekannt, dass wir hier so etwas machen und
alle schicken sie hierher, zu mir. Danach, in der zweiten Grundstufe, mache ich Vorbereitung auf die Deutschkurse. Ich zeige,
welche Buchstaben gleich sind, wie bei uns, und welche nicht.
Viele meiner Schüler machen jetzt ein Praktikum.
Dieses EQUAL I, das war das erste Mal für uns, das erste
europäische Projekt. Wir hatten auch ein bisschen Angst, doch
langsam, aber sicher ist es meine Stärke geworden. Ich habe Akquise gemacht. Viele Menschen kennen mich jetzt. Bis zum letzten Tag in Serbien habe ich gearbeitet. Dann habe ich mir einen
Urlaubsschein geholt, einen für das erste Jahr und einen für das
nächste Jahr, so dass ich die Möglichkeit hatte, zurückzugehen.
Aber ich bin nicht zurückgegangen. Dann sind zwei Jahre vergangen. Damals habe ich in einer Roma-Union gearbeitet. Ich
kenne dieses Volk, mein Volk, die Roma. Sie haben Respekt und
Vertrauen. Und ich habe Akquise betrieben. Damals waren es
mindestens 25 Teilnehmer. 25 mit Duldung, die anderen mit
Aufenthalt. Ich habe es geschafft, dass sie einen Abschiebeschutz bis zum Ende des Projekts bekommen haben.
Was ist mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen danach
passiert? Sind sie abgeschoben worden?
Viele haben danach einen Aufenthalt bekommen, ein kleiner Teil hat eine Grenzübertrittsbescheinigung gekriegt. Eine
von den Teilnehmerinnen ist Mediatorin an der Mediengestaltungsschule. Über das Projekt hat sie einen Aufenthalt gekriegt. Eine andere hat Arbeit gefunden. Erst hatten beide Probleme mit dem Aufenthalt.
In meinem Leben hier in Deutschland habe ich mehrere Male einen Abschiebebescheid bekommen. Ich habe sehr schlechte
Erfahrungen gemacht. Ich habe immer gesagt: »Warum werden
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alle von unserem Volk in einen Topf geworfen? Überall gibt es
gute und schlechte Leute.«
Als ich hergekommen bin, habe ich sofort Arbeit gefunden. Weil ich bis zum letzten Tag gearbeitet hatte, konnte ich
nicht plötzlich Sozialhilfe kriegen. Einmal als ich in Lichtenberg
im Bahnhof nach Arbeit gefragt habe, hatte ich meine Papiere
mit. Und sie war begeistert. Aber als sie sagte, ich hätte ja nur
drei Monate Duldung, hat der Mann gesagt: »Tut mir leid, ohne
ausreichend lange Duldung kannst du nicht arbeiten.« Später
habe ich in der Roma-Union gearbeitet. Ich war immer aktiv.
Einmal ging ich zum Sozialamt. Den Tag vorher hatte ich
von der Ausländerbehörde sechs Monate Duldung bekommen.
Am nächsten Tag gehe ich zum Sozialamt und die Frau sagt zu
mir: »Ab heute bekommst du nichts mehr.« Und ich frage: »Wieso?« Und sie sagt: »Du kannst ja jetzt freiwillig ausreisen.« Und
ich sagte ihr: »Gestern habe ich sechs Monate bekommen«.
»Nein«, sagte sie, »du kannst ja jetzt freiwillig nach Hause.« Ich
war überrascht. Und ich habe gefragt: »Wo sind die Menschenrechte? Sie sind das Sozialamt.«
Ich arbeite mit meinem Herzen. Ich denke, das ist der
Grund, dass ich auch mal einen Spaß machen kann, aber ich bin
auch diszipliniert. Ich habe immer gesagt: »Wenn du hier bist,
musst du lernen. Später können wir Spaß haben. Ich kann lesen
und schreiben – ihr müsst hier lernen.«
Ich mache auch Muttersprachenunterricht. Für uns Roma
sind das zwei Sprachen: Serbokroatisch und Romanes. Eigentlich ist Romanes unsere Muttersprache. Aber früher mussten wir
alle Serbokroatisch sprechen. Jetzt gibt’s Kroatisch extra und
Bosnisch extra. Im ehemaligen Jugoslawien gab es eine Sprache
und jedes Kind musste diese Sprache lernen, sonst konnte es gar
nicht zur Schule gehen. Zu meiner Zeit konnte es passieren, dass
es Familien gab, die nur Romanes gesprochen haben. Und das
war eine sehr schlechte Erfahrung. Wenn das Kind kein einziges
Wort Serbokroatisch konnte und in die erste Klasse kam – das
war eine Katastrophe. So wie hier, wenn Kinder kein Deutsch
können, wenn sie eingeschult werden. Für mich ist das zum
Beispiel ein Grund, warum unsere Leute nicht so viel die Schule besuchen, wegen der Sprache. In der ersten Klasse waren wir
vier, in der zweiten Klasse zwei, in der dritten Klasse nur ich –
aber warum?! Weil die Kinder nicht in die Kita gehen. Mein
Enkel ist ohne ein Wort Deutsch zur Schule gekommen. Und
dann gibt’s Probleme. Er ist krank gewesen. Er verstand nichts.
Die Lehrerin war pädagogisch sehr gut. Die ganze Klasse kam
aus Zehlendorf. Wenn er ein Wort auf Romanes sagte, lachte
die ganze Klasse und dann schämte er sich und wolle nicht
mehr in die Schule. Das ist ein großes Problem.
Was würdest Du beim nächsten Mal genauso machen und was
auf jeden Fall anders?
Wenn es den Bedarf für meine Arbeit weiterhin gibt, ma-
Diese Arbeit mache ich mit ganzem Herzen.
Das macht mich glücklich. Wenn sie ankommen und nur
ein Kreuz machen können und dann weggehen und
schreiben können!
che ich weiter. Ich habe als Mediator gearbeitet. Wenn es neuen
Bedarf gibt, dann kann ich mich umstellen. Viele Leute sind
Analphabeten. Ich mache Hausbesuche. Ich mache jetzt auch
im Wedding Alphabetisierung. Andere Leute kommen zur Beratung und fragen: »Kannst du nicht auch in unserem Stadtteil
Alphabetisierung machen?« Ich habe mehrere Arbeiten, die ich
mache: Alphabetisierung, Mediator, Begleiter, Berater, Betreuer. Ich habe es auch geschafft, dass sechs Teilnehmer ein Praktikum im Metallbau bekommen haben. Nach der Alphabetisierung fragen sie mich: »Was kann ich jetzt machen?« Und ich habe jetzt drei Teilnehmer, die ein Praktikum machen, wo ich sie
jeden Donnerstag besuche und motiviere. Eine Zeit lang bin ich
nicht hingegangen, da gingen sie auch nicht.
Gibt es ein strategisches Zusammenarbeiten?
Viele fragen mich: »Was kann ich jetzt weitermachen?«
Zusammenarbeiten tue ich bei diesem täglichen Praktikum, das
sechs Monate dauert. Ein Teilnehmer ist schon seit mehr als einem Jahr beschäftigt. Ich mache die Beratung und sage: »Du hast
vorher gar nichts gehabt. Jetzt hast du Lesen und Schreiben gelernt und hast drei Tage die Woche Schule und zwei Tage Praktikum in einer guten Firma.« Das ist unser Kumuluspartner.
Was können die Teilnehmer und Teilnehmerinnen am besten?
»Den Willen zeigen.« (Sagt einer der Teilnehmerinnen,
der aufmerksam zuhört.)
Wer ist die wichtigste Person in den Familien der Teilnehmer
und Teilnehmerinnen?
Mehr die Mutter.
Was bedeutet es für dich, Roma/Sinti zu sein? Was bedeutet es
deiner Meinung nach für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer?
Für mich bedeuten die Wörter »Roma« und »Sinti« das
gleiche. Sinti leben hier seit über 500 Jahren. Sie sagen »Ich bin
Sinto« oder »Ich bin Gatscho«. Ich bin Sinto und sie sprechen
einen anderen Dialekt als wir. Den kann ich nicht. Du bist Roma aus Deutschland, aber du kannst nie deutscher Roma sein.
Du bist Roma aus Serbien, aus der ganzen Welt. Es ist eine einzige Sprache, mit der wir uns überall verstehen.
Ein Unterschied ist, dass Roma zu wenig ausgebildet sind.
Jetzt nimmt die Bildung langsam, aber sicher zu. Wir haben
jetzt einen Roma-Eltern-Verein. Mein Sohn und ich sind eingetragen. Wir arbeiten ehrenamtlich. Bei der ersten Versammlung des Vereins waren 60 Roma.
Nenn mir eine Lebensweisheit oder ein Sprichwort?
»Wer etwas machen will, muss sich selbst helfen.« »Man
muss kämpfen, weil unser ganzes Leben kämpfen ist.« Und:
»Für jede Arbeit brauchen wir Gesundheit.«
35
Frieda Larsen mit ihrer Enkelin Nathalie
Es war für mich wunderbar. Jedes Jahr, immer wenn der Frühling kommt,
hätte ich eigentlich Lust zu reisen, merkwürdig.
Frieda Larsen
Mitglied im Auschwitz-Komitee, Hamburg
Ich bin in Rostock geboren in Mecklenburg, am 7. Januar 1933
in der Weimarer Republik.
Lebten deine Eltern dort?
Ja, im Wohnwagen. Wir sind zu der Zeit noch gereist.
Meine Eltern haben immer auf bestimmten Plätzen gestanden
und mein Vater ist mit dem Auto herumgefahren und hat seinen
Handel getrieben. Wenn das erledigt war, sind wir zum nächsten Platz gezogen.
Aber wir hatten Wohnwagen, die so groß waren, dass sie
nicht mit Pferden gezogen wurden, sondern mit Zugmaschinen. Die mussten auf die Eisenbahnlore verladen werden, also hat
man zwei, drei Tage, manchmal vier Tage Zeit, wenn die Wagen
unterwegs sind. In der Zeit sind wir weitergereist mit dem Auto und haben in Hotels übernachtet. Das waren sozusagen unsere Ferien.
Es gab Plätze, wo man stehen konnte. Hamburg war extrem schlecht, weil man auf den Durchreiseplätzen höchstens
vier Tage bleiben durfte.
Was hat dein Vater für Geschäfte gemacht?
Mein Vater war am 12. Mai 1889 geboren. Meine Mutter
ist am 1. November 1907 in Emden geboren. Sie war eine bürgerliche Frau. Deswegen bin ich nach Hitlers Bezeichnung ein
Mischling.
Zu dieser Zeit war eine gemischte Ehe sehr selten und es
war sehr schwierig. Mein Vater war Textilkaufmann. Er hat mit
Stoffen für Anzüge, Mäntel und Kleider gehandelt. Von seiner
Kindheit her war er aber ein Schaustellerkind. Er ist in Papenburg geboren, auch auf der Reise. Seine Eltern hatten drei Geschäfte: eine Schießbude von zwölf Metern Länge, ein Kettenkarussell und eine Luftschaukel. Die Kinder mussten auch im Geschäft mithelfen. Aufbauen und abbauen. Die Geschäfte haben
nicht immer zum Leben gereicht. Man blieb ein, höchstens zwei
Wochenenden, dann ist man weitergezogen. Das waren harte
Zeiten, nicht das lustige Zigeunerleben. Es hat damals nicht gereicht zum Leben. Mein Vater hat, als er älter wurde, mit Freunden auf Hochzeiten und Festen Musik gemacht.
Wie viele Jahre von deiner Kindheit seid ihr gereist?
Bis 1937. Dann mussten wir uns freiwillig zwanghaft sesshaft machen. Hier in Hamburg. Wir mussten das Haus, also den
Wagen, verkaufen. Und da natürlich keiner mehr Bedarf hatte,
weil es nicht mehr erlaubt war zu reisen, konnte man auch nichts
dafür kriegen. Es war kalte Enteignung.
Wo bist du zur Schule gegangen?
In vielen Schulen. Ich bin am Weiher in die katholische
Schule eingeschult worden. Mein Vater hat uns aus Protest katholisch taufen lassen. Das war sein Protest gegen Hitler. Und
die wurde natürlich geschlossen, die Konfessionsschule, noch in
meinem ersten Schuljahr. Ich liebte es, zur Schule zu gehen.
Und dann kam ich in die Schule Telemannstrasse. Da hatte ich
eine Lehrerin, die war Nazi. Die hatte was gegen uns. Wir hat37
ten damals Schiefertafeln und Vidotafeln. Die waren aus weißem Kunststoff, auf denen mit einem schwarzen Stift geschrieben wurde, was man hinterher wieder abwaschen konnte. Ich
sollte was schreiben. Sie hat gesagt, »das war nicht gut«, ich
hätte auf der falschen Tafel geschrieben. Ich musste nach vorne
kommen, die Hände ausstrecken und sie hat mich mit dem Rohrstock in beide Hände geschlagen. Danach sind meine Eltern
zum Direktor gegangen. Er sagte, wir hätten keine Chance gegen diese Frau. Es gab keine andere Möglichkeit, als dass ich
von der Schule rausgenommen und ein Jahr später wieder eingeschult wurde. Seitdem habe ich Panik vor der Schule gehabt.
Mein ganzes Leben danach bin ich mit Panik zur Schule gegangen. Wenn ich das Wort »schreiben« hörte, konnte ich weder denken noch sonst was!
Ich hatte keine Freundschaften. Wir waren fünf Kinder zu
Hause. Ich war die Älteste. Das hieß, immer wenn Bombenalarm war, und das war zum Schluss des Krieges in Hamburg
tagtäglich, da sind wir zum Bunker Heussweg gelaufen. Und
ich bin die letzten sechs Wochen, die der Krieg dauerte, nur zum
Essen nach Hause gegangen. Ich habe gesagt: »Ich möchte diesen Krieg überleben.« Ich war damals zwölfeinhalb Jahre alt.
Ich habe sehr bewusst beschlossen, dass ich überleben will. Ich
hatte ein paar Sachen im Krieg erlebt: Ich war, wie gesagt, einige Zeit bei meiner Tante in Lingen. Es war mitten am Tag und
da war dieses große Eisenbahnwerk. Wir haben mit dem Nachbar vor dem Haus gestanden und geredet. Auf einmal schrie der
Nachbar: »In den Keller, in den Keller!« Meine Tante und ich
sind in den Keller gerannt. Das war ein Doppelhaus. Er ist zu seiner Familie ins Haus gelaufen und die Häuser wurden getroffen.
Die fünf Nachbarn waren tot und meine Tante und ich, wir haben im Keller überlebt. Ein Schritt raus aus der Tür war ein riesiger Bombenkrater. Mindestens 20 Meter und ganz tief. Wäre
es nachts gewesen, da wären wir nie raus gekommen. Es war mitten am Tag und wir hatten Glück, dass wir es überlebt haben.
Was hast du nach dem Krieg gemacht?
Unsere Familie war ungeheuerlich belastet durch den
Krieg. Was wird kommen? Holt man uns, Sinti und Mischlinge? Wie soll man das sagen? Die einen wurden geholt, die anderen nicht, man wusste es nicht. Wir waren ständig bedroht.
Nach dem Krieg hat mein Vater versucht, wieder zu reisen. Es
hat nicht geklappt. Er hat es nicht geschafft, wieder einen Wagen zu kaufen. Meine Eltern haben sich dann getrennt. Unser
Leben war völlig aus den Fugen geraten. Es gab keine Arbeit.
Ich bin dann nach Schweden gegangen und habe in einem Hotel gearbeitet. Ich habe fünf Jahre dort gelebt und bin danach
wieder zurückgekommen. Und dann bin ich zur See gefahren.
Ich habe auf norwegischen Handelsschiffen die Messe gemacht.
Dadurch habe ich auch meinen Mann kennen gelernt. Er war
Norweger, Matrose, als ich ihn kennen lernte. Wir sind dann
38
später nach Norwegen gezogen, damit er auf der Seefahrtsschule studieren und sein Patent als Kapitän machen kann. Eigentlich planten wir damals, um das zu finanzieren, dass wir im
Wechsel ein Jahr in Norwegen bleiben und ein Jahr zur See fahren. Wir bekamen aber ein Studiendarlehen vom norwegischen
Staat, das wir nach und nach später zurückgezahlt haben.
Wie war es für dich als Kind, dass ihr immer herumgereist seid?
Ich glaube, es war für mich wunderbar. Jedes Jahr, wenn
der Frühling kommt, hätte ich eigentlich immer noch Lust zu
reisen, merkwürdig. Das ist etwas, was in einem drin ist.
Meine Mutter hat gesagt: »Es wird hier kein Romanes mehr
gesprochen!« Es war natürlich wegen der Ängste, dass man auf
uns aufmerksam werden könnte. Das ist wirklich so, den ganzen
Krieg hindurch war das unterdrückt. Ich hab es als Kind, sagt
man, besser als Deutsch gekonnt. Dadurch weiß ich ganz viel,
aber ich spreche es nicht mehr.
Welche Fähigkeiten hast du durch deine Familie gewonnen?
Von meinem Vater habe ich die Fähigkeit, bei den Dingen,
die einen bewegen, über die ich spreche, erstmal den Kopf einzuschalten. Über die Dinge gut nachzudenken, die ich mache
und sich klar zu werden, dass ich die Verantwortung übernehmen
muss. Und ich habe als Kind sehr viel Verantwortung übernehmen müssen. Ich habe immer auf meine jüngste Schwester aufpassen müssen. Im Krieg war es so: »So, jetzt kommt Alarm!«
Und dann die Kleine anziehen, das war meine Aufgabe, und meine Mutter hat sich sehr auf mich verlassen. Konnte sie auch.
Von klein auf habe ich auf die Schwester aufgepasst. Von meiner
Mutter habe ich mitbekommen: »Du bist die Große, das kannst
du!« Das war vielleicht nicht immer spaßig. Ich hab es später so
empfunden, dass meine Mutter von mir eigentlich zu viel verlangt hat. Sie war mit den Kindern, dem Krieg und den ganzen
Umständen wohl überfordert. Mein Vater war oft nicht da. Er war
hier im Hafen in einer Kaserne eingesperrt und musste Trümmer räumen. Bei dem Trupp, wo er eingezogen war, wurde er
einmal von einem Eisenträger verletzt. Für einen Mann in seinem Alter war diese Arbeit eigentlich eine Unverschämtheit,
sehr hart.
Nach dem Krieg war meine Großmutter an Krebs erkrankt. Meine Mutter ist zu ihr gereist und blieb mehrere Monate dort, bis die Großmutter gestorben ist. Ich war 15. Ich musste während dieser Zeit meine vier Geschwister und mich versorgen. Sie sagte: »Du bist groß, du kannst das.« Ich musste kochen,
Wäsche waschen, alles per Hand, keine Waschmaschine, ja! Ich
musste wirklich den ganzen Haushalt machen. Mein Vater
machte sein Geschäft. Er kam einmal in der Woche, gab mir
Geld und Lebensmittel und fragte: »Na, klappt das?« Ich musste früh lernen, Verantwortung zu übernehmen. Und, ich muss
sagen, das habe ich sehr verinnerlicht. Das ist heute noch so mit
meiner Familie.
Ich glaube, wenn man zur Verantwortung
erzogen wird, dass man als Mädchen
genauso gut Verantwortung, aber auch Rechte
haben sollte wie die Jungs.
Wie wäre dein Leben gewesen, wenn ihr nicht sesshaft geworden
wäret?
Es ist etwas, das man sich nur erträumen kann. Man kann
es eigentlich definitiv nicht sagen, aber für mich ist klar, mein
Leben wäre einfach in anderen Bahnen verlaufen. Weil das, was
Hitler in Gang gesetzt hat und was er an Lebensqualität geraubt
hat, ist nach dem Krieg nicht wieder entstanden, ganz sicher.
Und dadurch kann ich nur sagen, was für mich sehr lebenswert
gewesen wäre, ist mir leider verloren gegangen. Ich bin ziemlich sicher, dass ich mich auf der Reise sehr wohl gefühlt hätte.
Für mich ist das klar geworden, als ich nach dem Krieg ein Jahr
mit meiner Freundin, ihrer Mutter und ihrer Tante auf Reisen
war. Das war mein Leben.
Die Wagen früher waren fantastisch. Unser Wagen war von
Buschbaum. Das war damals die Firma, die die besten Wagen
baute. Sie waren geschindelt. Das waren ganz schmale, ausgesuchte Bretter, die alle mit Messingschrauben verbunden waren.
Und von innen waren sie mit Sperrholz verkleidet. Die Wagen
hatten Oberlicht, das gibt noch eine ganz besondere Atmosphäre. Der Wagen war groß und hatte eine drei Meter lange Veranda, die herausgezogen wurde, wenn man auf dem Platz angekommen war. In der Sommerzeit wurde da gekocht und so. Es
gab wunderschöne Stuben und Schlafräume, nach dem Krieg
hat man sogar Bäder eingebaut. Ganz viele Wagen haben heute
Bad und Klimaanlagen. Die Schausteller vom Dom haben solche Wagen. Ganz früher waren sie so, dass man sie mit ein bis
zwei Pferden ziehen konnte.
Welche Werte wären hilfreich für jüngere Leute?
Ich denke, dass die Werte bei uns zu Hause generell sehr in
Ordnung waren, dass es einen großen Zusammenhalt gab. Ich
meine aber, dass ich es sehr begrüßen würde, wenn die Mädchen
gleichberechtigter wären, was sie zum Teil nicht sind. Ich glaube, dass es mit der Bildung zu tun hat. Ich bin einfach der Meinung, weil ich so viel Verantwortung übernehmen musste, dass
ich genauso gut wie mein Bruder war, obwohl er als Junge gewisse Vorteile hatte. Dass die Jungen mehr durften als Mädchen, fand ich nicht gut. Sie sollten gleichberechtigt sein.
Bei den Sinti gibt es sehr viele Regeln, sehr viele traditionsbedingte Sachen, die den Zusammenhalt ausmachen, was
ich absolut wichtig finde. Viele Leute wissen nichts von diesen
Regeln und sind deswegen gegen diese Menschen eingestellt,
weil sie nicht wissen, was diese Regeln in den Traditionen darstellen. Aber auch da möchte ich sagen, nicht alles, was die Regeln sagen, ist nachvollziehbar. Ich habe von meinem Vater gelernt, dass ich meinen Kopf benutzen soll und wenn ich etwas
sage, die Verantwortung übernehmen muss.
In den Traditionen gibt es ganz viele Sachen, wo ich sage:
»Schade, es ist einfach Schande und nicht nachvollziehbar.« Ich
glaube, es hat damit zu tun, dass Männer aus allen Schichten
glauben, dass sie weniger Mann sind, wenn sie nicht solche Regeln gegen Frauen aufstellen. Gleichberechtigung mit Verstand
würde ich für akzeptabler halten.
Meinst du, dass diese Traditionen sich mit der Zeit ändern?
Sie verändern sich garantiert. Das Leben geht immer weiter und die Entwicklung auch. Aber Traditionen haben es an sich,
dass sie stehen bleiben, und zum Teil im Mittelalter.
Ich bin der Auffassung, dass es Traditionen gibt, die vor vielen Jahren nachvollziehbar waren, die aber heute abzulehnen
sind, weil sie durch die Entwicklung ihren Sinn verloren haben.
Und noch etwas: Menschen verschiedener Kulturen haben auch
39
Der Bus von Tante Mietze, 1946 im
Sommer, kann auch 1947 gewesen
sein. Da bin ich mit ihrer Tochter
drauf zu sehen.
Vor unserem Wagen.
unterschiedliche Wertesysteme. Was mir wichtig ist: Dass wir
die Werte anderer Kulturen respektieren und nicht, weil sie mit
unseren Traditionen nicht konform sind, diskriminieren.
Was ist der Unterschied zwischen Roma und Sinti?
Durch die verschiedenen Wanderungswege nach Europa
haben sich auch verschiedene Lebensformen entwickelt. Ich
möchte auch sagen, dass innerhalb von Europa die Sinti immer
versucht haben, sich bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft, in der sie sich aufhielten, einzufügen. Und natürlich ist die
Gesellschaft in Polen, in Jugoslawien, Tschechien, Griechenland oder Russland eine andere als in Deutschland. Ich halte es
für völlig wichtig und super, dass wir nicht alle gleich gestrickt
sind. Natürlich nimmt man von diesen verschiedenen Kulturen, in denen man sich bewegt, Dinge auf, um nicht aus dem
Rahmen zu fallen, um sich einfach einzuordnen in diese Gesellschaft. Aber bitte nicht einverleiben lassen! Das ist der Unterschied und das haben die Sinti immer versucht aufrechtzuerhalten durch ihre Lebenshaltung.
Du bist in Deutschland aufgewachsen du hast den Krieg hier
am eigenen Leib miterlebt und es war für dich selbstverständlich, dich in die Erinnerungskultuhr aktiv einzumischen…
Solange ich denken kann, und das war schon ziemlich früh.
Ich war immer neugierig. Ich war ein extrem neugieriges Kind
und habe mich immer eingemischt, obwohl ich den Respekt vor
den älteren Leuten gelernt habe. Man sagte ja, die dürfen sagen,
was sie wollen, selbst wenn es der größte Unsinn ist, soll man
nicht dagegen sprechen.
Wie war es nach dem Krieg für dich?
Nach dem Krieg war in Hamburg eine sogenannte Zuzugssperre. Nur Menschen, die in Hamburg eine Wohnung hat40
Mein Vaters Auto.
Da ist mein Bruder mit drauf.
ten und nicht ausgebombt waren, durften nach Hamburg herein.
Von uns waren auch Familienmitglieder nach Auschwitz gekommen. Nach dem Krieg bekamen wir vom Roten Kreuz eine
Anfrage, ob uns die Menschen bekannt sind. Wir sagten »ja«.
Dann sagten sie, wenn wir gewillt wären, sie in Hamburg aufzunehmen, dürften sie nach Hamburg herein. Und dann kam
der Bescheid. Zuerst kam ein Mädchen, etwas älter als ich. Sie
kam zuerst in das Auffanglager in der Schule Telemannstraße. Sie
hatte sich erinnert an Tante Else und Onkel A. und wo wir in
Hamburg gewohnt hatten.
Sie kam erstmal zu uns. Eine Tante von ihr wohnte in der
Eimsbüttler Chaussee. Sie hat sofort »ja« gesagt und sie konnte
bei der Tante wohnen. Nach und nach kamen dann ihr Vater
und ihre fünf Geschwister. Ihre Mutter ist in Auschwitz geblieben. Und Anna, die älteste Schwester, hatte schon zwei Kinder,
bevor sie nach Auschwitz kamen. Ihr Säugling ist auf dem Transport gestorben. Zwei der Schwestern kamen aus einer Waffenfabrik zurück und der Bruder war in Auschwitz, Monowitz, Mauthausen und in Buchenwald Dora gewesen. Jetzt leben nur noch
zwei von ihnen.
Dann kam die sogenannte Entschädigung. Aber es hieß,
die Sinti waren Kriminelle. Deswegen waren sie in Auschwitz.
Nicht aus Rassengründen. Und deswegen haben sie keine Ansprüche auf Entschädigung oder Rente.
Das hat mich immer sehr interessiert. Mein Vater hat sich
extrem mit der Aufarbeitung der Verbrechen befasst. Die jüdischen Menschen hatten den Vorteil, gleich nach dem Krieg,
dass sie große Organisationen hatten oder schufen, die sie international unterstützten. Die Sinti waren eingestuft als Kriminelle und dadurch sehr rechtlos. Die jüdischen Menschen hatten
Das bin ich im Kinderwagen. Ich
muss da das Baby sein. Das muss
33 gewesen sein.
auch den Vorteil, dass sie bildungsmäßig sehr gut dastanden.
Bildung war in ihrer Tradition immer etwas ganz Erstrebenswertes. Und Sinti und Roma sind Menschen, die gereist sind,
die nicht sesshaft waren und nach ihrer Lebensweise wenig Chancen hatten, eine gute Schulbildung zu erlangen. Das ist natürlich ein Riesennachteil, wenn man an einen Staat, der einem
Unrecht getan hat, Ansprüche stellen will.
Deswegen bin ich sehr dafür, dass Sinti- und Roma-Kinder
unbedingt in der Schule eine gute Basis bekommen. Ich empfinde es als starke Diskriminierung, dass sie sofort in die Sonderschule abgeschoben werden, wenn sie zu Beginn in der Schule nicht gleich Schritt halten können. Sinti- und Roma-Kinder
sollten von den Lehrern Nachhilfe bekommen, damit sie sich in
das Schulsystem integrieren können und ihren Weg finden.
Nathalie: Ein Kind muss nicht alles sofort können. Es geht zur
Schule, um das zu lernen. Wenn gleich zu Anfang gesagt wird,
»das ist nicht gut«, kann es gar nicht wachsen. Es startet mit wenig guten Erfahrungen. Und das ist definitiv nicht gut.
Die jüngere Generation von Roma und Sinti ist wenig über die
eigene Geschichte informiert. Wie kann das geändert werden?
Frieda: Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass die Sinti
und Roma danach über ihre Geschichte wenig oder gar nicht
gesprochen haben. Sie haben geschwiegen, aus berechtigter
Angst, es könnte ihnen wieder Unrecht geschehen.
Ich bin im Auschwitz-Komitee in der BRD. Und da haben
wir das Projekt Hannoverscher Bahnhof. Das ist im Hafen gewesen. Und in der Hafen-City soll jetzt alles für den Tourismus
groß herausgestellt werden. Man hat das Tamm-Museum und
die Ballinstadt ökonomisch sehr stark gefördert. Vom Hannoverschen Bahnhof sind 1940 bis 1945 aus Hamburg die großen
Transporte mit verfolgten Menschen in die KZs und Vernichtungslager abgefahren. Wir sind bestrebt, dass wir dieses Gebiet des Bahnhofs zur Erinnerung nutzen, weil es zur Geschichte von Hamburg gehört. Für die Menschen, die nicht zurückgekommen sind, und für die, die zurückgekommen sind, und um
den Touristen zu zeigen, hier, das ist ein wesentlicher Teil der
Geschichte Hamburgs, auch wenn es ein verheerender Teil der
Geschichte ist.
Und deshalb kämpfen wir dafür, dass dort etwas entsteht.
Dass eine Gedenkstätte, in welcher Form auch immer, groß und
sichtbar da sein muss. Auch für die Sinti und Roma, wenn sie
nach Hamburg kommen, dass sie in den Hafen fahren und ihren
Familien zeigen können, von hier sind unsere Leute in die KZs
gebracht worden. Wir wollen kein Museum. Es soll lebendige
Geschichte sein, zur Erinnerung und zur Mahnung für die Zukunft.
41
Die Leute vom Arbeitsamt die stellen sich vor,
du nimmst einen Analphabeten … und der soll nach
drei Monaten fertig sein mit lesen und schreiben
können und am besten noch Lehrerbescheinigung
haben. Das geht nicht.
Gottfried Weiß (Zweiter von rechts) mit den Auszubildenden
die den Wagen neu gebaut haben.
Rita und Gottfried Weiß und Regina Mechau
Landesverein der Sinti e.V., Hamburg
Rita und ich sind gebürtige Harburger. Wir sind geboren hier in
Wilhelmsburg und wir haben Stammbaum. Die Familie Weiß
ist seit 600 Jahren sesshaft in Harburg. Wir sind 500 Leute, alles Familie Weiß, nur zwei Familien nicht. Die Frauen sind alle
Weiß, die Männer sind angeheiratet.
Die Siedlung gibt es seit 1980/1981. Der Grund: Wir haben hier früher gewohnt, wo die Tankstelle ist, in Behelfsheimen.
Dann wollte die Stadt was Gutes tun und hat uns diese Siedlung
gegeben. Was ich schade finde ist, dass nicht alle Sinti, die hier
hätten wohnen sollen, hier sind. Viele wohnen in Wilhelmsburg.
Meine Cousins, mein Opa, die kamen nicht rein hier, weil sie
vorher sich ne Wohnung genommen haben, weil es so unzumutbar war in dem Behelfsheim. Da waren keine sanitären Anlagen.
Die zogen deswegen raus und dann kamen sie nicht mehr rein.
Rita und ich haben vor sieben Jahren angefangen, aktiv unseren Leuten zu helfen. Wir haben Beratung gemacht, Leute auf
das Arbeitsamt, Sozialamt begleitet. Es hat sich sehr schnell
rumgesprochen, es gab einen großen Bedarf. Dann hat sich das
weiterentwickelt, es ist expandiert.
Viele hier sind arbeitslos, gemischt durch die Generationen. Die Jüngeren, die geben sich Mühe, die gehen zur Schule.
Es ist schon etwas anders geworden.
Seit August 2005 macht das SBB Projekt hier Ausbildung:
Dachdecker, Gartenlandschaftsbauer für die Männer. Im Holzbereich als Tischler können sie hier ausgebildet werden, Hauptschulabschluss machen. Selbständigkeit ist unser Ziel. Die Jüngeren, merke ich doch, wollen einen richtigen Beruf lernen,
weil es ihnen wichtig ist, Schulabschluss zu machen. Bei den
Alten ist es so eingefleischt: Sie wollen Selbstständigkeit: Das
ist das A und O.
Eine moderne Selbständigkeit mit ganz anderen Zielen.
Früher ist man morgens aufgestanden und dachte: »Mensch,
hoffentlich verdiene ich was heute.« Die denken jetzt anders
und wir müssen mitdenken. Der Gedanke in dem Zusammen42
hang, der geht im Paket. Die denken moderner jetzt, einfach
und wirtschaftlicher. Früher war es immer einer, der rausgegangen ist, um Geld zu verdienen. Jetzt tun sie sich auch in Gruppen zusammen. Um was zusammenzumachen, sich selber organisieren, das ist auch unser Ziel. Ihnen beizustehen.
Dachdecken hat Zukunft. Wir haben hier in Veddel angefangen und bald wurde es zu groß hier. Mit 15 Teilnehmern haben wir angefangen, jetzt sind wir 170. Dann wurde noch ein
Projekt in Jenfeld aufgebaut, auch vom SBB. Auch Alphabetisierung für Frauen, Jugendliche, ältere Männer. Ne kleine Nähstube ist auch da, die machen das genauso wie wir, in kleinen
Stücken Hauptschulabschluss. Die meisten Teilnehmer und
Teilnehmerinnen sind Sinti, aber wir haben auch Roma und
drei, vier Nicht-Sinti.
Welche Schwerpunkte hatte Rita in ihrer Arbeit?
Die Frauen und die Nähstube hier. Vor 13 Jahren hatte sie
schon den Gedanken, so was aufzubauen. Als wir angefangen
haben, hatte sie alle Pläne, Fassmalerei und so weiter, wollte sie
machen. Alles, was mit Frauen zu tun hat, hier und in Jenfeld
war ihr Schwerpunkt. Mit den Frauen das durchzustehen, war
ihr größter Erfolg. Weil es nicht einfach ist, die Frauen wegzuholen aus der Familie heraus. Das war der größte Erfolg, dass
wir das durchgezogen haben. Sie hat es geschafft durch viele
Gespräche und ihre Dickköpfigkeit.
Wir waren zuerst über 30 Frauen in der Nähwerkstatt und
haben klein angefangen mit Stickereien.
Kleine Kissen haben wir genäht, Schürzen. Jetzt haben wir
schon den ersten Auftrag. Wir nähen ehrenamtlich, spenden
Kleidung für Kinder in Russland. Bei einem Auftrag haben wir
für ein Theaterstück das Kostüm genäht, jetzt Freitag ist Premiere. Wir wollen uns immer mehr steigern, dass wir Richtung
Selbständigkeit gehen, dass wir unsere eigene kleine Firma haben. Das wollte Rita.
Welche Sprache sprechen Sinti und was sind Sinti?
Gottfried und Rita Weiß kannten sich
bereits als Kinder
im Juli 200
Rita Weiß, gestorben
7
Sinti sprechen Sintosprache. Und Sinti und Roma sind ein
Volk. Wir haben eine andere Kultur, das einzige, was uns ein
bisschen unterscheidet. Roma sind Zugereiste. Sinti leben
schon seit Generationen hier. Wir sprechen alle Romanes, wir
verstehen uns auch. Du musst dir das so vorstellen, wie wenn
wir jetzt nach Bayern fahren würden, also den Dialekt. Sinti haben alle einen deutschen Pass. Wir brauchen keine Aufenthaltsgenehmigungen.
Was ist das für ein Wohnwagen?
Es war ne Idee von meinem Bruder: »Oberlicht-Bauwagen
renovieren.« Wir haben einen ganz alten Bauwagen bis auf die
Achse auseinander gebaut und ganz neu gebaut. Am ersten September da wurde er zum ersten Mal bei einem Märchenfest ausgeliehen. Und da waren wir 60 bis 70 Mann mit den Jungs, die
das ausgebaut haben. Und so was von Freude war da, hatte ich
noch nie gesehen! Das war ihr Ding.
Und das da waren normale Wohncontainer und die Männer
haben die renoviert. Dächer gemacht, alles von Grund auf neu
gemacht im Rahmen dieser Qualifizierungsmaßnahme. Drei
Container sind fertig. Am Ende soll es hier aussehen wie ein
kleines Dorf. Da sind die Frauen, die Männer, ein Kindergarten,
dass die Frauen ruhiger arbeiten können und dass sie wissen, die
Kinder sind gut aufgehoben.
Der blaue Bauwagen sollte auch ausgebaut werden mit
Emil zusammen. Er kommt wöchentlich und guckt, ob die das
richtig machen, weil er das ganz genau weiß aus dem Kopf, wie
der ausgesehen hat früher. Emil ist der Älteste hier in der Siedlung, unserer Chef.
Was haben Rita und du als Beruf gemacht?
Rita hat Fassmalerin gelernt ich war mein Leben lang Antiquitätenhändler in Harburg. Fassmalerin heißt Möbel fassen,
antike Stücke genau so, wie sie mal waren, wieder malen, das ist
Fassmalerei.
Welche Art von Projektunterstützung würde sinnvoll sein?
Sie dabei zu unterstützen, das zu machen, was sie wollen. Ihnen
zuhören, was sie machen wollen. Tagtäglich hören wir, was sie
sich wünschen und versuchen, das umzusetzen.
Mir liegt noch was am Herzen: Wenn man solche Projekte
macht, dass man das ungute Gefühl dabei hat, diese Unsicherheit, ob man nächstes Jahr weiterfinanziert wird. Die Leute vom
Arbeitsamt, die stellen sich vor, du nimmst einen Analphabeten
oder einen, der seinen Namen nicht lesen und schreiben kann
und der soll nach drei Monaten fertig sein mit Lesen- und
Schreibenkönnen und am besten noch Lehrerbescheinigung haben. Das geht nicht. Das denken die im Jobcenter. Nicht alle,
aber viele. In drei Monaten! Das ist nicht normal.
Beim ersten Kurs, die Frauen und Männer, die kamen für
den Deutschkurs. Dann sind sie in den Ein-Euro-Job gegangen,
dann mussten sie nach 13 Monaten wieder für drei Monate zur
Alphabetisierung gehen. Ich finde es auch nicht gut, dass es so
ne kurze Zeit ist. Normalerweise lernt man drei, vier Jahre und
wir müssen das in einem Jahr schaffen. Ob die Frauen eine Verlängerung kriegen? Manche Jobcenter stellen sich quer. Wir
wollen, dass die Frauen ihre drei Jahre lernen können, dass sie
danach was in der Hand haben.
Rita hatte die Idee, dass wir Bauwagen ausbauen, schön
hinstellen hier auf dem Hof und dann annoncieren, dass Rucksacktouristen kommen und übernachten können. So wie es früher war, dass sie selber Feuer machen und so was.
Wenn man selber in so einem Wohnwagen gelebt hat wie
wir, als wir geheiratet haben, die ersten zwei, drei Jahre, weiß
man, wie schön das ist. Was sollte man das verheimlichen? Die
Leute können dann unsere Geschichte besser kennen lernen und
so kann man Vorurteile, die immer noch da sind, abbauen.
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Melanie Lorenz
DRK
Christoph Leucht
Freudenberg Stiftung
Sandra Niederer
Regina Bakar
südost Europa Kultur e.V. KAROLA e.V. Hamburg
Antje Hofert
RAA Berlin
Zika Ibraimovic
RAA Berlin
Roma, Kultur und Überraschungen
Gruppengespräch vom 2. Juli 2007.
Die Fragen stellte Christoph Leucht/Freudenberg Stiftung
Wie war Eure erste Begegnung mit einem Rom bzw. einer Roma
oder einem Sinto beziehungsweise einer Sintizza in Eurem Leben? Gibt es kulturelle Werte, die für Roma und Sinti, die ihr
kennt, gelten? Worin bestehen sie Eurer Meinung nach? Was
hat Euch überrascht, als Ihr Eure Teilnehmer kennen gelernt
habt?
Regina Bakar: Ich bin vor zirka fünf Jahren zum ersten
Mal in Kontakt gekommen mit Roma im Karolinenviertel in
Hamburg. Ich war die neue Kursleiterin der Deutsch-Integrationskurse bei KAROLA e.V. Die Roma-Frauen besuchten zwar
nicht diesen Kurs, liefen aber immer durch den Raum, um zur
Beratung in das dahinter gelegene Büro zu kommen. Das passierte an manchen Tagen recht häufig und störte die Kursteilnehmerinnen. Auf meine Frage, ob wir nicht ein Papier an der
Tür anbringen könnten mit dem Hinweis »Beratung ab 12 Uhr«,
meinte die Geschäftsführerin von KAROLA, Christine Solano,
nachdenklich: »Na ja, aber die können ja alle nicht lesen.« Ich
muss zugeben, sehr überrascht gewesen zu sein. Wie, die können alle nicht lesen? Mir wurde in diesem Moment bewusst,
dass ich nichts über die im Hamburger Karolinenviertel lebenden Roma wusste, sowohl im Allgemeinen als auch im Speziellen. Überrascht hat mich also eher meine eigene Unkenntnis
über eine große Gruppe von Menschen, die schon seit langer
Zeit unter uns lebt.
Sandra Niederer: Ich habe schon als kleines Kind Kontakt
zu Roma gehabt. Für uns Kinder war es immer sehr aufregend,
wenn die Wohnwagen mit den anders aussehenden und anders
lebenden Menschen kamen. Die Masse an Vorurteilen seitens
meiner Großmutter machte es natürlich noch interessanter mit
diesen Kindern zu spielen … Später sind mir dann Roma wieder
bewusst nach Ausbruch der Jugoslawienkriege bettelnd auf der
Straße begegnet … Vor sieben Jahren hatte ich dann nochmals
einen ganz anderen Kontakt mit Roma. Beruflich habe ich Mikrokredite an Kleinunternehmen in Bosnien und Makedonien
vergeben. Dabei sind sie mir dann als Kunden, das heißt als
Kreditnehmer begegnet. Es waren jetzt keine Massen, jedoch
diejenigen sind mir als gute und ehrliche, hart arbeitende Geschäftsmänner in Erinnerung geblieben … Zurück in Deutschland hat mich dann der Zufall mit diesen Menschen zusammengebracht und so sind sie Teil meiner Arbeit geworden.
Nach wie vor fällt mir auf, dass ich im Grunde wenig über
die Roma als Volksgruppe weiß. Aus meinen Kontakten heraus
zu den einzelnen Menschen habe ich einfach das Gefühl, dass
die Familie und die Gemeinschaft eine zentrale Rollen spielen.
Antje Hofert: Meine erste Begegnung mit Roma war in einem Asylbewerberheim in Krusow in der nähe von Allermünde. Dort wohnte eine ganz große Familie aus Rumänien und wir
haben vier Jahre fast jedes Wochenende mit der Familie verlebt.
Ich habe alles kennen gelernt. Wo sie überall in Deutschland
gewohnt haben, wovon sie gelebt haben … In Rumänien waren
sie Ziegelschläger … Und zum Schluss habe ich selber miterlebt, wie sie abgeschoben wurden und habe danach mit der Nordsüdbrücken-Stiftung ein Projekt für sie organisiert. Über vier
Jahre habe ich die große Familie mit einem Projekt in Sadowa
Romi in Rumänien begleitet. Für mich war das Beeindruckendste der alte Gentleman Papou, der sagte: »Weißt du, es ist vielleicht gut hier (in Deutschland), so richtig gut ist es aber eigentlich zu Hause. Es riecht anders, die Familien halten anderes zusammen, wir sind besser mit der Erde verbunden!« Das konnte
er so klar sagen, weil er hatte in der Melioration gearbeitet. Bis
zur Wende hatte er eine feste Stelle, bis 1989 also.
Das andere Beindruckende war meine Freundin Anna. Sie
hat mir eine Vorlesung in Ökonomie gehalten. Alle haben damals in der Wendezeit alte Sachen nach Rumänien
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Bei uns liegen die Schwierigkeiten im Zugang zu Qualifizierung – durch
die Bank hat keine/r einen Schulabschluss.
gebracht. Anna ist in Craiova, einer Stadt in der Nähe der Grenze nach Bulgarien, mit mir auf den Markt gegangen und sagte:
»Pass auf, wir sollten hier nähen! Wir sollten die alten Sachen
mitnehmen. Wir sollten dankbar sein! Und jetzt schau: Die Levis aus Deutschland kostet fünf Mark, die kann kein Mensch
hier nähen, kein Mensch kann im Moment hier in Rumänien
davon leben, dass er näht!« Das war für mich sehr beeindruckend und hat die schönen Plakate von Misereor (kirchliche
NGO) sehr relativiert. Diese Vorlesung zur Wirkung von Spenden, die verdanke ich Anna. Noch etwas: Es wird immer gesagt,
dass die Frauen so unterdrückt sind und dass sie so wenig zu sagen haben, aber die Frauen sagten mir: »Antje, wenn Du was
machen willst, wenn Du es durchsetzten willst, dann musst Du
es machen! Geh und mach, frag nicht. Hilfe kriegst Du nicht,
also lauf los und Du wirst sehen, wie viel Kraft Du hast!« So,
das habe ich dort gelernt. Das hat mir hier keiner vermittelt.
Hier wird immer gesagt: »Du musst Dich absprechen, genau
befragen und wenn Dir keiner hilft, dann geht es nicht!« Aber
die Frauen waren stärker! Also insgesamt drei Sachen die ich
dort gelernt hab. Dafür danke ich ihnen heute noch sehr, sehr!
Zika Ibraimovic: Meine erste Begegnung hier in Deutschland war vor 15 Jahren in einem Wohnheim in der Talstrasse in
Tempelhof. Aber in dieser Zeit waren wir alle im gleichen Topf.
Das Heim war am Anfang für Flüchtlinge und Asylbewerber.
Ich muss sagen, diese Zeit war sehr, sehr schlimm. Weil, als wir
aus dem ehemaligen Jugoslawien als Flüchtlinge herkamen,
wussten wir nicht, wie lange wir hier bleiben werden. In dieser
Zeit dachte ich manchmal: »Soll ich in Deutschland bleiben
oder was soll ich hier machen?« Wir alle, auch ich persönlich,
dachten damals, dass der Krieg schnell vergeht. Ein, zwei Jahre
und dann können wir zurück nach Rumänien. Leider ist es nicht
passiert und wir sind noch immer da!
Unsere Roma waren damals auch zu 80 – 90 % nicht in unserer Heimat und haben nicht gearbeitet. Die Roma-Kultur
kenne ich sehr gut. Leider müssen Deutsche unsere Kultur kennen lernen. Unsere Kultur war ganz anders als die deutsche und
wir mussten langsam, aber sicher diese Kultur kennen lernen.
Überraschend für mich war, dass viele Teilnehmer sagen: »Zigeuner wollen nicht lernen, wollen nicht arbeiten.« Aber es gibt auch
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andere Roma. Heute ist das ganz anders als die Deutschen denken. Ich bezeichne mich jetzt immer als Deutsche, weil wir hier
in Deutschland sind. Dann haben wir gezeigt, was wir gemacht
haben. Wir haben gebildete Roma, die hier arbeiten. Für Roma
gibt es langsam eine Emanzipation und sie denken jetzt: »Aha,
wir werden lange hier leben und wir müssen auch etwas machen
und nicht immer zu Hause sitzen, schlafen und fernsehen.«
Heute gibt es Hoffnung, weil jetzt kommen neue Gesetze
und die Bleiberechtsregelung – das ist besser. Früher gab es
Duldung, Kettenduldung und Abschiebung.
Gibt es noch Fragen?
Antje Hofert: Viel wird ja bei uns über das geschriebene
Wort vermittelt. Was mir meine Kollegen vermittelt haben,
ist, dass das gesprochene Wort gilt! Das, was du von Auge zu
Auge sagst, das zählt! Alles andere ist immer auslegbar, aber
das, was du von Auge zu Auge sagst, das ist das Entscheidende.
Auch das habe ich zur Maxime meiner Arbeit gemacht. Mir
können viele Leute irgendwas erzählen, aber wenn ich nicht persönlich mit ihnen Kontakt habe, einen Draht zu ihnen finde
oder mindestens ein gemeinsames Lachen, dann nehme ich eher
Abstand von dieser Arbeit.
Erwartungen & Ziele
Welche Erwartungen an das Projekt teilt Ihr mit Euren Teilnehmern und Teilnehmerinnen und welche unterscheiden Euch
von der Mehrheit der Teilnehmer und Teilnehmerinnen? Habt
Ihr ursprüngliche Projektziele aufgeben müssen? Warum? Wie
habt Ihr neue Ziele entwickelt und wie habt Ihr Euer Projekt
daran angepasst?
Zika Ibraimovic: Kumulus plus oder das erste Projekt? Sie
wissen, ich mache Alphabetisierung in diesem Projekt auch auf
Muttersprache und ich habe 76 Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Sie haben alle Aufenthalt und sie wollen arbeiten, aber sie
können nicht lesen und schreiben. Deswegen wollen sie zuerst
das lernen und danach weitermachen. Ich habe die Erfahrung
gemacht, dass paar Teilnehmer und Teilnehmerinnen von hier
danach ein Kfz-Praktikum gemacht haben und jetzt arbeiten.
Aber wer arbeiten will, muss erst lernen. Viele Teilnehmer und
Teilnehmerinnen kommen auch in der Hoffnung, hier Arbeit zu
finden, aber wir können keine Arbeit anbieten, weil sie Analphabeten sind. Es gibt viele, die die achte Klasse noch absolviert
haben, aber nicht weiter zur Schule gegangen sind und jetzt
wollen sie etwas machen, arbeiten, aber nicht mehr lernen. Deswegen ist dieses Praktikumsangebot sehr gut, weil es nur sieben
Monate dauert. Jeden Tag kann man ein Zertifikat kriegen und
so kommt man danach an Arbeit. Es gibt verschiedene Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Es gibt welche, die wollen nicht viel
lernen, sondern gleich arbeiten. Andere machen zehn Stunden
und dann wissen sie nicht, wo sie Weiterbildung machen können, weil sie nicht so gute Noten haben und dann fragen sie
mich, was sie weiter machen sollen.
Wie ist es mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen, gibt es
welche, die einfach weiterlernen wollen? Oder wollen sie eine
Weiterbildung?
Regina Bakar: Zu uns kommen die Frauen aus unterschiedlichen Motivationen. Für viele ist es aber zunächst schon
der Druck von einer Behörde – entweder von der Ausländerbehörde, die zu der Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet oder der Druck vom Arbeitsamt, das mit einem EinEuro-Job »droht«.Dann wird doch manchmal lieber das »geringere Übel« gewählt, nämlich zu KAROLA zu gehen, um dort
Lesen und Schreiben zu lernen. Wenige Frauen, aber immerhin
einige, nehmen das Bildungsangebot von sich aus, ohne äußeren
Druck, an. In unserem Alphabetisierungskurs gibt es auch jüngere Teilnehmerinnen, 17-jährige zum Beispiel, die noch die
Möglichkeit hätten, eine reguläre Schule zu besuchen, aber sie
sagen: »Nein, wir kommen lieber zu Euch!« Auch sie brauchen
den geschützten Raum, den KAROLA ihnen bietet. Für alle
Teilnehmerinnen stellt sich jedoch immer wieder die Frage:
»Wie lange muss ich noch? Wann bin ich endlich fertig und
was habe ich dann davon?« Sie am Ball zu halten, ihnen den
Sinn und Zweck des Lernens zu verdeutlichen, kostet uns immer wieder viel Mühe. Eine berufliche Weiterbildung wollen
höchstens unsere jüngeren Kursteilnehmerinnen. Aber sie kennen sehr wohl den Unterschied zwischen einer »richtigen« Ausbildung und den vorgeschalteten »Berufsqualifizierungsmaßnahmen«. Zeit und Kraft in etwas zu investieren, was ihnen
nach ihrer Meinung nichts bringt, sehen die meisten nicht ein.
Habt Ihr was verändert? Zu den Zielen?
Regina Bakar: Unsere Ziele mussten wir eigentlich im
Laufe der Projektlaufzeit nicht anpassen. Wir haben sie von
vornherein sehr niedrig gesteckt. Wir wissen, dass man in der
Arbeit mit Roma-Frauen innerhalb von gut zwei Jahren Projektlaufzeit keine »Erfolge« melden kann. Damit meine ich für
Außenstehende »sichtbare« Erfolge, die man in Zahlen ausdrücken kann, wie zum Beispiel erfolgreiche Abschlüsse, Zertifikate oder hohe Vermittlungsquoten in Arbeit. Solche Ergebnisse
vorzuweisen, erfordert bei dieser Zielgruppe eine Arbeit über
Generationen. Wir haben, wie gesagt, unsere Erwartungen viel
niedriger gesteckt. Unsere Hoffnung war, dass zunächst unser
Bildungsangebot von den Roma - Frauen angenommen wird
und dass wir mit ihnen gemeinsam eine langfristige und regelmäßige Kursteilnahme einüben. Unserem übergeordneten Projektziel, Roma-Frauen auf ihrem Weg zu mehr Selbständigkeit
und Selbstbestimmung in der deutschen Gesellschaft zu unterstützen, sind wir schrittweise näher gekommen. Deshalb nimmt
die Zeit für Beratung in unserer Arbeit auch sehr viel Raum ein.
Wie schafft Ihr es, die Kraft der Frauen zu fördern und sie nicht
zu bemuttern?
Regina Bakar: Das stimmt, das ist in unserer Arbeit tagtäglich eine große Herausforderung. Viele der Frauen haben
Schwierigkeiten damit, ihren Alltag hier in Deutschland zu bewältigen. Ein Mahnbescheid vom Gericht, ein ihnen unverständliches Schreiben einer Behörde, aber auch die Betriebskostenabrechnung des Vermieters und so weiter – dies sind in der
Regel die Anlässe, weshalb sie KAROLA aufsuchen. Viele der
Frauen kennen wir nun aber schon länger, so dass sozusagen alle
lebenspraktischen Themen schon einmal auf den Tisch kamen.
Mit diesen Frauen haben wir gemeinsam »Lebensordner« angelegt. Ein Ordner, in dem alle wichtigen Papiere und Unterlagen
sortiert abgeheftet sind. In den Alphabetisierungskursen, aber
auch während der Beratung üben wir mit den Frauen beispielsweise das Ausfüllen von Überweisungsträgern oder anderen Formularen, erklären ihnen den Unterschied zwischen einer Einzugsermächtigung und eines Dauerauftrages, was ein Sozialversicherungsausweis ist und alles andere, was sonst noch anliegt.
Unser Ziel ist es dabei, dass sie selbst einen Überblick bekommen und all diese Dinge selbst in die Hand nehmen können.
Sandra Niederer: Unsere Teilnehmer kamen zu uns und
hatten meistens Kettenduldungen. Sie hatten sich vom Projekt
einen sicheren Aufenthaltsstatus erhofft und dachten, mit einer
Bescheinigung von südost wäre dieser garantiert. Aufgrund des
unsicheren Aufenthaltsstatus drehte sich Vieles um dieses Thema. Die Motivation, sich hier beruflich in die Gesellschaft zu
integrieren, geriet in den Hintergrund. Praktisch heißt das,
dass, Alphabetisierungs- und Deutschkurse und Gesellschaftskundeunterricht sehr gut angenommen wurden. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen betonten auch immer wieder, dass da
ihr Interesse liegt. Die Teilnehmerinnen haben immer wieder
gesagt, dass sie dadurch viel über die deutsche Gesellschaft und
Deutschland, insbesondere über Berlin, gelernt und verstanden
haben. Hierbei mussten wir die Basisqualifikation im handwerklichen Bereich neu gestalten.
Das Ziel der beruflichen Integration, welches in gerade
mal zweieinhalb Jahren schwierig zu verfolgen ist, ist uns in einigen Fällen gelungen. Das heißt, wir konnten zwei Teilnehmer
in Praktika vermitteln und ein Teilnehmer hat sich selbständig
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gemacht. Wir hatten uns aber mehr davon erhofft, dass diejenigen, die es in Anführungszeichen geschafft hatten, als Multiplikatoren fungieren. Diese sind jedoch vom Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme für uns nicht mehr greifbar gewesen.
Diese 9-Monats-Jobs zu machen?
Sandra Niederer: Nein! Die Basisqualifikation haben wir
in monatliche Module aufgeteilt, das heißt, die Module wurden
weiter unterteilt. Dies resultierte daraus, dass die Deutsch- und
Alphabetisierungskenntnisse der Teilnehmer und Telnehmerinnen niedriger waren als vor Projektbeginn angenommen. Der
andere Grund war, dass wir feststellen mussten, dass das Durchhaltevermögen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen niedriger
war. Hinzu kommt auch noch, dass Dinge, die wir Deutschen
als Selbstverständlichkeit voraussetzen, zum Beispiel Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit, eine viel größere Herausforderung darstellten als erwartet … Regelmäßigkeit wurde von der
Zielgruppe sogar ganz anders definiert …
Zu Beginn haben wir die Teilnehmer schlichtweg damit
überfordert, zu erwarten, dass diese täglich zu erscheinen haben
und durchgehend am Unterricht teilnehmen sollen. Das heißt,
wir mussten das Pferd von hinten aufsäumen, indem wir die
Anwesenheit und die Kursintensität langsam steigerten. Wichtig ist es, dem Alltag eine Struktur zu geben, aber langsam. Beginnend mit einmal die Woche sind wir nun bei viermal die
Woche angelangt. Ich denke, das ist der richtige Weg, jedoch
ein Weg, der viel Zeit und Geduld braucht.
Die Module sind so aufgebaut, dass man sie beliebig nach
Intensität in einem Bereich beziehungsweise variabel mit anderen handwerklichen Bereichen variieren kann. Das bedeutet,
man kann entweder eine tiefgreifende Basisqualifizierung in einem Bereich erwerben oder eher breiter gestreutes Wissen in
verschiedenen handwerklichen Bereichen wie Holz, Elektro
oder Metall erweben. Somit hat man die Möglichkeit, die Teilnehmer je nach persönlichem Wissens- und Fähigkeitsstand
zum richtigen Zeitpunkt in ein Praktikum zu vermitteln beziehungsweise die theoretische Qualifizierung auszuweiten.
Was man noch sagen muss ist, dass sich die Altersstruktur
unserer Teilnehmer und Teilnehmerinnen über die gesamte Projektlaufzeit verändert hat. Während sich zu Beginn überwiegend Menschen über 35 für das Projekt interessierten, sind es
heute überwiegend Menschen unter 25 Jahren.
Die älteren Teilnehmer waren eher darauf aus, zu testen:
»Was können die mir noch beibringen?« Damit will ich sagen,
diese Menschen haben es über die ganzen Jahre geschafft, sich
eine illegale Selbstständigkeit aufzubauen. Diese Menschen hatten ganz klare Vorstellungen davon, was sie noch an Fertigkeiten
dazulernen möchten, waren sich aber auch ihrer bereits gesammelten Lebens- und Arbeitserfahrung bewusst, ohne sie preiszugeben. Viele dieser Menschen handeln mit Schrott, das heißt,
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sie sammeln Schrott und verkaufen diesen weiter. Unsere Idee
zu Beginn war es, diese Art von Lebensunterhalt zu legalisieren
und deren Wissen und Kenntnisse entsprechend zu verkaufen.
Wir stellten jedoch fest, dass neben den rechtlichen Schwierigkeiten das Interesse, aus der Illegalität zu entkommen, sehr gering war, da die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht aufgeht…
Aufgrund der Abschiebewelle, die wir leider im Projekt
miterleben mussten, haben acht Teilnehmer und Teilnehmerinnen gleichzeitig eine Grenzübertrittsbescheinigung erhalten.
Somit wurde auch dem Projekt von heute auf morgen das Vertrauen entzogen. Die Leute haben sehr großes Misstrauen gegenüber uns entwickelt. Sie haben uns angeklagt. Sie haben gesagt, wir hätten der Ausländerbehörde zugearbeitet. Sie sagten,
wir hätten sie verraten. Das Vertrauen, das südost über Jahre genossen und aufgebaut hatte und auch der Grundstein für die
Durchführung dieses EQUAL -Projektes war, wurde innerhalb
kurzer Zeit entzogen und dauert an.
Parallel hierzu wurden natürlich Gespräche mit den Ausländerbehörden und dem Innensenat geführt, um den Projektteilnehmern für die Dauer des Projektes einen gesicherten Aufenthalt zu gewährleisten und den Teilnehmern und Teilnehmerinnen die Möglichkeit zu bieten, mit einem einigermaßen klaren Kopf den Qualifizierungsmaßnahmen nachgehen zu können. Leider war dies nicht der Fall. Immer wiederkehrende Zwischenfälle von Abschiebungen gingen natürlich rum wie ein
Lauffeuer. Teilnehmer fehlten auf einmal, keiner wusste, sind sie
abgeschoben oder sind es die Angst und das Misstrauen… Andere Teilnehmer sind in die Illegalität abgetaucht … Wiederum
gibt es Teilnehmer, die immer noch im Projekt sind, trotz Grenzübertrittsbescheinigung, jedoch mit dem ständigen Druck im
Nacken, die monatliche Verlängerung könnte nicht erfolgen.
Hierbei handelt es sich überwiegend um jüngere Teilnehmer,
um die 20 Jahre, die derzeit parallel ihren Hauptschulabschluss
nachholen.
Aufgrund der vielen psychischen Belastungen der Teilnehmer mussten wir unsere Arbeit in Richtung sozialer Begleitung
und persönlicher Beratung intensivieren. Wir haben unsere
Maßnahmen dahingehend angepasst, dass wir viel detaillierter
und intensiver mit den einzelnen Personen arbeiten, viel mehr
Deutsch- und Alphabetisierungsunterricht anbieten und vor allem Raum schaffen, der die Möglichkeit bietet, durchzuatmen
und sich über Lebensperspektiven klar zu werden.
Antje Hofert: Ich rede jetzt über das erste EQUAL -Projekt
von 2002 bis 2005. Wir hatten auch Abschiebungen und haben
irgendwann, ich weiß nicht, ob man es Begreifen nennen kann,
aber es war in Berlin, dass wir gesagt haben, wir begreifen Integration als einen Teil der Stadt Berlin und des gesellschaftlichen
Lebens hier. Wir haben verstärkt Menschen unterstützt, die im
Bereich Schulen gearbeitet haben, zum Beispiel Mediatoren
und Mediengestalter. Wir haben nicht ihre berufliche Qualifizierung in den Mittelpunkt gestellt, sondern deren Unterstützung für Berlin gefördert. Seitdem wurde bei uns nicht mehr
abgeschoben. Allerdings liegt das schon Jahre zurück und vielleicht kann man es nicht vergleichen. Wir haben gesagt, Handwerker gibt es ganz viele in der Stadt. Es besteht die Notwendigkeit, den Gemeinden Unterstützung zu geben und das haben wir getan: Menschen in den Communities unterstützt, zu
lernen. Mit diesem Angebot an Berlin haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.
Unsere Zielgruppe hat sich verändert. Wir hatten erst junge Menschen ohne Hauptschulabschluss oder ohne Schulabschluss allgemein, die keine Anbindung mehr an Schulen hatten. Die haben wir nicht erreichen können. Also diejenigen, die
arbeiten, haben zum Teil schon Familie. Die Schule ist aus ihrer
Perspektive weder ihr dringendes Problem noch ihre größte
Chance. Jetzt haben wir Jugendliche zwischen 13 und 22 Jahren.
Das sind alles junge Menschen, bis auf zwei, die noch ‘ne Anbindung an die Schule haben. Weiterhin sind sie Schüler. Wir
haben in XENOS eine Kooperation zu jeder Schule. Alle Jugendlichen arbeiten. Sie sind oft sehr müde, wenn sie zu uns kommen. Wir wollten ursprünglich eine Fremdprüfung machen,
aber dadurch, dass alle Schüler die Anbindung an ihre Schule
behalten haben, können sie vielleicht die Schulprüfung machen.
Die meisten Jugendlichen, die zu uns kommen, haben einen befristeten Aufenthalt, die müssen nicht kommen. Aber es
ist so: Bei uns haben sie noch ein Stück Kindheit. Sie werden
eindeutig nicht immer als Erwachsene behandelt, weil sie sich
die Freiheit nehmen, manchmal doch wie recht kleine Kinder
zu sein. Das ist in Ordnung so.
Was haben wir noch verändert? Ja, wir mussten eine Entscheidung fällen zwischen mehr Praxis und weniger Schule. Wir haben eine komplette Werkstatt für Mediendesigner, wir haben
Veranstaltungstechnik, die gleichzeitig Elektrotechnik ist. Die
Jugendlichen haben die Angebote aber nicht wahrgenommen,
dann haben wir gesagt: »Na gut, qualifizierter Schulabschluss
ist vielleicht wichtiger.« Jetzt haben wir mehr Kraft in mehr
Kleingruppenunterricht gesteckt. Es klingt wahrscheinlich
merkwürdig, aber sie sind einfach nicht zu den Praxisprojekten
gekommen, obwohl sie eine komplette Werkstatt zur Verfügung hatten. Dann haben wir gesagt: »Wir müssen besprechen,
warum es so ist.«
Probleme und Herausforderungen
Welche Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben
Eure Teilnehmer und Teilnehmerinnen? Gibt es rechtliche
Barrieren und habt Ihr Strategien, um sie zu umgehen oder zu
beseitigen? Setzt Euch das Programm oder der Programmträger
Grenzen bei den Lösungsstrategien?
Die strukturellen Schwierigkeiten zwischen Zugangsverbot zum
Arbeitsmarkt oder die Arbeitsmarktvorrangprüfung, welche
die meisten nicht schaffen, weil sie nicht besser qualifiziert sind
als andere Bewerber, und auf der anderen Seite die Forderung
des Programms, Arbeitsmarktintegration zu fördern, dazwischen gibt es offensichtlich Widersprüche – wie ist es bei Euch?
Wie geht Ihr damit um?
Zika Ibraimovic: Für mich gibt es einen Unterschied zwischen Arbeitsmarkt und Jobcenter. Ein Beispiel: Eine Frau kam
zu mir. Sie konnte nicht schreiben, nicht mal den Bleistift halten. Sie wollte bei mir mitmachen. Ich habe ihr eine Bescheinigung gegeben für das Jobcenter, aber die haben ihr gesagt, sie
muss zum Deutschkurs. Die Frau war 50 Jahre alt. Sie kam nur
die ersten drei Tage zum Kurs. Dann kam sie zu mir und wollte, dass ich ihr einen Brief schreibe. Die Frau stört. Die Schwierigkeit für unser Volk ist, das Jobcenter vermittelt ihnen einen
Ein-Euro-Job und sie empfinden das als Schande. Ich habe ihr
dann erklärt, dass ich, wenn ich arbeitslos bin, ein Jobangebot
nicht ablehne. Auch einen Ein-Euro-Job nehme ich sofort. Dazu kriegt man vom Sozialamt noch Geld. Später, wenn du einen
richtigen Job bekommst, kriegst 800 Euro. Das ist auch nicht
mehr. Aber sie wissen nichts über all das.
Rechtlich habe ich viele schlechte Erfahrungen in Deutschland gemacht. Nichts läuft rechtlich korrekt. Manche Leute
kriegen Aufenthaltserlaubnis mit Arbeitserlaubnis hier und andere aber nicht. Was ist die Regelung für Roma? In einer Familie arbeitet der Mann nicht, die Frau nicht und sie haben mehrere Kinder – sie bekommen zwei Jahre Aufenthalt.
Ein anderer Mann hat ein Kind und darf nur vier Stunden täglich arbeiten. Das ist nicht genug! In Berlin ist es sehr schwer,
jetzt einen Job zu finden. Darum gibt es hier einen sehr großen
Computer, der alles weiß: Wer will arbeiten, wer kann arbeiten
und wo? Unsere Leute streiten sich darüber, was der eine kriegt
und der andere nicht. Das ist nicht gut.
Unterstützt das Arbeitsministerium eure Strategien?
Sandra Niederer: Wir haben dieses Problem mit den
Grenzübertrittsbescheinigungen. In unserer EP sind wir die
Einzigen, die mit Asylbewerbern arbeiten und dadurch in gewisser Weise auf uns allein gestellt. Behindert wurden wir jedoch nicht. Bei der Projektplanung haben wir versucht, rechtliche Barrieren bezüglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt zu umgehen, indem wir versuchen wollten, die Teilnehmer in Praktika zu vermitteln und dem Arbeitgeber somit die Möglichkeit
zu geben, zu sagen: »Das ist dein Mann. Bescheinige, dass er der
richtige ist!« Das hat in zwei Fällen geklappt. Insbesondere deswegen, weil die EQUAL -Entwicklungspartnerschaft Bridge eine Weisung bezüglich der Praktika ausgearbeitet hat.
Wie ging es weiter?
Sandra Niederer: Leider konnten beide Arbeitgeber keine
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die Frauen sagen mir: Antje, wenn du was machen willst, wenn du es durchsetzten
willst, … Geh und mach, frag nicht. Hilfe kriegst du nicht, also lauf los und
du wirst sehen wie viel Kraft du hast. So, das habe ich dort gelernt. Das hat
mir hier keiner vermittelt.
Bezahlung bieten, die für die Ernährung der Familien gereicht
hätte. So hat ein Teilnehmer ein Angebot auf der Baustelle
wahrgenommen und ein anderer hat sich selbständig gemacht.
Beide haben Aufenthalt erhalten, was jedoch andere Gründe
hat. Es sind noch nicht die Verdienste von EQUAL.
Regina Bakar: Bei unseren Projektteilnehmerinnen liegen die
Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt sehr selten in
rechtlichen Barrieren. Die meisten haben ja in irgendeiner Form
eine Aufenthaltserlaubnis und damit auch eine Arbeitserlaubnis.
Es ist ganz einfach so, dass durch die Bank keine der Teilnehmerinnen einen Schulabschluss vorzuweisen hat und die Beschäftigungsmöglichkeiten für gering beziehungsweise unqualifizierte Menschen nicht gerade gut aussehen. Ich glaube, ich liege
auch nicht falsch mit dem Eindruck, dass Roma-Frauen auch
bei der Vergabe von Putzjobs hinten angestellt werden.
Manchmal sagen die Behörden: »Die haben kein Recht auf
Qualifizierung, sie sollten gleich auf den Arbeitsmark und
nicht zu Maßnahmen gehen!« Habt Ihr so was?
Regina Bakar: Bislang haben wir diese Erfahrung eigentlich nicht gemacht. Die Mitarbeiter der Behörden sind eher positiv überrascht, dass es uns und unser Angebot für Roma-Frauen gibt. Ich habe den Eindruck, die eine oder andere Sachbearbeiterin im Arbeitsamt ist sogar richtig froh darüber, denn somit kann sie ihre »Klientin«, eine nicht-alphabetisierte RomaFrau, erstmal »passgenau« unterbringen. Die Ausländerbehörden dagegen legen den Schwerpunkt mehr auf die »eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts«. Da heißt es dann, wenn die
Frau hier bleiben will, soll sie arbeiten gehen. Da kommen wir
mit unserem Kursangebot zweimal pro Woche nicht weit. Das
ist ihnen zu wenig. Das müsste dann schon Vollzeit sein.
Sandra Niederer: Wir streben 30 Wochenstunden an.
Zika Ibraimovic: Dreimal pro Woche Unterricht, einmal
pro Woche mach ich Begleitung und einmal Beratung – also bei
uns ist es Vollzeit.
Antje Hofert: Wir arbeiten auch Vollzeit. Bloß haben wir
mit dem Arbeitsmarkt nichts zu tun, weil unsere Teilnehmer
und Teilnehmerinnen eindeutig Hauptschüler sind. Aber wir
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haben Kooperationen zu weiterführenden Schulen. Das fängt
jetzt allmählich an.
Regina Bakar: Wie gesagt, die Behörden stehen unserem
Bildungsangebot für Roma-Frauen eigentlich recht wohlwollend gegenüber. Das Problem, das sich dann aber einstellt, ist die
Frage nach dem »erfolgreichen Abschluss« eines Kurses. Wann
ist die Frau denn nun endlich »fertig« mit ihrem Alphabetisierungskurs? Bei lernungewohnten Erwachsenen ist die Alphabetisierung allerdings mit sehr viel Mühe verbunden und es lässt
sich schwer vorhersagen, wann jemand »fertig« ist. Zudem haben wir auch mit den unregelmäßigen Kursbesuchen umzugehen, die dem Lernprozess natürlich nicht förderlich sind.
Zika Ibraimovic: Es ist sehr schwer für unsere Menschen
(Roma) irgendwohin regelmäßig zu kommen. Ich habe es mit
mehreren Modulen und mehreren Kombinationen versucht.
Zuerst habe ich jeden Tag Alphabetisierung versucht, aber das
funktionierte überhaupt nicht. Dann probierte ich vier Tage.
Inzwischen sage ich, drei Tage pro Woche ist sehr gut.
Antje Hofert: Du hast gefragt, welchen Arbeitsmarktwert
EQUAL I bei uns hatte. Es gab zwei Strategien. Die eine kannst
du besser erläutern Zika, Du kennst dich besser aus. Die andere
Strategie war, dass wir einfach Arbeitsplätze geschaffen haben.
Wir haben der Stadt Berlin erklärt, hier gibt es einen Bedarf und
für diesen bilden wir Leute aus! Das hat geklappt und die Leute
arbeiten bis heute. Sie sind heute meine Kollegen. Mit denen arbeiten wir weiter, entwickeln die Geschichte weiter und ziehen
auch noch neue Kollegen an. Es ist so, viele meiner Kollegen sind
serbische Kollegen. Zika kennt sie auch ganz gut. Jetzt kommen
Leute aus Polen mit dazu, die Kraft haben und arbeiten wollen.
Christoph Leucht: Es ist schwer, Stellen zu finden oder über
EQUAL - Praktika in den Arbeitsmarkt reinzukommen. Auch
die Arbeitsmarktvorrangprüfung war ein bisschen schwierig.
Die Kollegen dachten, das kriegen sie hin, was aber ganz schwierig war, weil die Ausländerbehörde gesagt hat: »Interessiert uns
nicht, ob er arbeitet oder nicht. Der ist nicht als Arbeitnehmer
gekommen. Der hat keinen Werkvertrag, sondern der hat
Flüchtlings- oder Gesundheitsgründe für eine Duldung und
wenn die Gründe wegfallen, interessiert uns das nicht.« Da ist
die Strategie ein bisschen gescheitert, über eine Arbeitsmarktintegration aufenthaltsrechtliche Fragen zu klären. Frankfurt
hat sich da ganz rausgehalten. Sie haben gesagt: »Wir machen
Schulabschluss, wir versuchen das Aufenthaltsrecht über Petitionen zu sichern, aber wir fokussieren uns nicht darauf, sondern
auf den aktuellen Status.« Dadurch haben sie so einen großen
Erfolg gehabt. Die Hälfte der Teilnehmer und Teilnehmerinnen
hat einen Abschluss gemacht. Im ausländerrechtlichen Bereich
war das Ziel immer nur das Bleiberecht während des Projektes.
Antje Hofert: Meinst du die Aachener Schweißer? Da gab
es mal einen Großauftrag, für den sie Leute brauchten.
Christoph Leucht: Nein, die Aachener Schweißer haben
mit zwei Intensitäten gearbeitet. Es gab eine Fachqualifizierung. Die haben Ausbildungsmodule gemacht. Da kann man
sich ohne eine Berufsschule zu besuchen in bis zu sechs Bereichen qualifizieren. Die haben Arbeit gefunden. Einer ist über
Lohnkosten zu uns gekommen, einer ist später dazu gekommen.
Dieses Unternehmen hatte einen Riesenauftrag für Schienen
und da sind sie eingezogen worden und einer ist bei der Konkurrenz gelandet. Als die dann runterfahren mussten, ist er
»rausgeflogen worden« und der fünfte hat immer wieder versucht reinzukommen, hat es aber nicht geschafft. Also von den
sechs Leuten, die die Ausbildung gemacht haben, sind drei drin
geblieben und dann kam die bittere Pille, dass die Ausländerbehörde gesagt hat: »Interessiert uns nicht, ob die eine Arbeit haben oder nicht.« Dann kam rechtzeitig die Bleiberechtsregelung, aber es hat nicht funktioniert. Es hat nicht funktioniert,
weil man in dem Programmleitfaden die Ausländerbehörde als
Partner haben musste. Da muss eine Ausländerbehörde wie in
Berlin da sein, die sagt: »Wir machen das!« Das haben sie gesagt in Berlin und sie haben gesagt: »Wenn eine andere Senatsverwaltung den Bedarf anmeldet und sagt wir wollen diese vier
Personen haben, wofür auch immer, im schulischen Bereich
vielleicht, die vier und keine anderen, die brauchen wir.« Das ist
eine Absprache mit der relevanten Stelle gewesen. Da hat die
Ausländerbehörde nicht gesagt: »Wenn die Arbeit haben, dürfen sie bleiben.« Solche Projekte funktionieren nur als Kooperation, nicht als »Wir machen mal irgendwie und nachher schieben wir es der Ausländerbehörde unter oder wir schießen gegen
sie!« Es funktioniert nicht. Vielleicht im Einzelfall, aber sonst
nicht. Da muss die Ausländerbehörde Partner sein. Sonst ist es
für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen eine Illusion.
Projektdurchführung und Potenziale der Teilnehmer und Teilnehmerinnen
Was konntet Ihr und Eure Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu
Beginn des Projektes besonders gut und as habt Ihr und as haben sie dazugelernt? Welcher Teil der Projektdurchführung be-
reitet Schwierigkeiten und wie reagiert Ihr darauf? Worin unterstützt Ihr Eure Teilnehmer und Teilnehmerinnen und worin
sollten sie noch stärker unterstützt werden? Wobei und wie haben Euch Eure Partner unterstützt oder behindert?
Regina Bakar: Was wir und unsere Teilnehmerinnen
schon zu Beginn des Projekts besonders gut konnten, war die
Basis jeder weiteren Zusammenarbeit, nämlich gegenseitiger
Respekt und von Seiten der Roma auch das Vertrauen gegenüber der Einrichtung und uns »Gadsche«- Mitarbeiterinnen.
Das bedeutet also im Umkehrschluss, unsere Arbeit mit den
Roma-Frauen in Hamburg hat nicht erst mit dem Start dieses
EQUAL - Projekts begonnen und endet hoffentlich auch nicht
damit. Ich denke aber auch, dass wir im Laufe dieser Projektlaufzeit viel voneinander lernen konnten und sich die Kulturen
damit ein wenig näher gekommen sind und etwas transparenter
wurden. Was uns Schwierigkeiten bereitet, ist, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Wir werden von mehr und mehr Roma
aufgesucht und die Probleme, die sie oftmals mitbringen, werden nicht leichter. Gleichzeitig fällt bei einer Förderung aus
EU - Mitteln viel Verwaltungsarbeit an, aber auch dem Anspruch nach Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung soll man genügen. Die Kapazitäten reichen da einfach manchmal nicht
mehr aus, dies alles zu bewerkstelligen.
Was bringen Euch die Partner?
Regina Bakar: Wir sind ja ein Teilprojekt der EP »Fluchtort Hamburg«, das sich mit seinen Bildungs- und Qualifizierungsangeboten an Menschen mit ungesichertem Aufenthalt
richtet. Wir sind darunter allerdings das einzige Projekt, das
sich speziell an Roma richtet. Es ist vor allem der Austausch mit
unseren Projektpartnern, der wertvoll ist für unsere Arbeit. Mal
rauszukommen aus seinen vier (Projekt-)Wänden und anderen
von der eigenen Arbeit zu berichten, kann manchmal ungemein
hilfreich sein. Gleichzeitig erfahren wir auch viel Unterstützung in Form von Informationsweitergabe, aber auch moralischer und ideeller Art.
Antje Hofert: Was die erwachsenen Teilnehmer und Teilnehmerinnen gut können, jetzt rede ich von EQUAL, ist selbstorganisierte Unterstützung in der Familie. Sie helfen sich untereinander, informieren und unterstützen sich wirklich gegenseitig bei der Arbeitssuche. Es grämt mich, wenn immer gesagt
wird: »Die Anforderungen der Familie stehen der Integration im
Wege!« Unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben mühelos ihre Angelegenheiten organisiert und bewältigt und das mit
ihren familiären Strukturen. Was für mich wichtig ist, wirklich,
ist die Familie als das zu akzeptieren und nicht bloß zu sagen,
die Familie ist ein Wert, der ist dort und das findet man ganz
toll. Sondern die Familie ist was ganz Aktives, die Familie hilft
sich, die organisiert, die geht zum Jobcenter, leistet Übersetzungsarbeit ebenso wie Verwaltungsarbeit. Das ist etwas was
51
unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen mitbringen. Das müssen wir ihnen nicht beibringen! Beibringen ist auch nicht das
richtige Wort, wir machen andere Türen auf. Die Türen, die wir
aufmachen, die funktionieren anders. Dort zu sagen: »Pass auf,
ihr habt euer System und das überlebt auch in dieser Gesellschaft, also lass uns gucken, ob ihr nicht noch ein paar mehr
Wege finden könnt, die wirklich was mit Integration zu tun haben.« Also ein Miteinanderleben mit Austausch und das ist etwas was wir machen können: Türen öffnen.
Durchschlängel Modus?
Antje Hofert: Wenn du am Rande der Gesellschaft lebst,
musst du unheimlich viel Energie aufwenden, um überleben zu
können und ich habe großen Respekt davor. Es ist eine Frage,
Vertrauen zu finden, wenn was angeboten wird, ob man den
Leuten aber vertraut, ist eine andere. Das ist Schwerstarbeit und
das sind einzelne Menschen, die diesen Weg gehen – wirklich
einzelne Menschen. Man muss sich nichts vormachen, aus Jugoslawien kamen qualifizierte Leute, die sind mit der Gesellschaft
dort umgegangen wie mit unserer – also ganz souverän. Man
muss auch zwischen den Leuten trennen, die am Rand gelebt
haben und denen, die in der Stadt gelebt haben und ganz normal integriert waren. Wir freuen uns, wenn Leute dazukommen
und ganz bewusst sagen: »Ich will eure Hilfe!« Die sagen: »Ich
will es mit euch machen!« Das ist eine Entscheidung!
Sandra Niederer: Eigentlich wurde das Meiste gesagt, wie
sie sich unter uns am Rande der Gesellschaft behaupten. Wie sie
es schaffen, sich einen zusätzlichen Verdienst an Land zu ziehen.
Wie sie ihre Selbstständigkeit aufbauen. Sie verstehen ihr
Handwerk. Sie sind untereinander unheimlich stark vernetzt
und dadurch auch in gewisser Weise nach außen hin abgeschottet und unabhängig.
Im Vergleich zu anderen Besuchern des südost-Zentrums
suchen Roma seltener die Unterstützung bei der Bewältigung
von bürokratischen Hindernissen. Irgendwie schaffen sie es untereinander. Für mich ist es ein Phänomen trotz der hohen Rate
an Analphabeten und doch relativ schlechten Deutschkenntnisse. Ich denke, es gibt immer wieder herausragende Personen in
der Roma-Community, die den sogenannten Durchblick haben.
Und dadurch, dass sie untereinander so stark vernetzt sind, wissen sie genau, welches zum Beispiel der richtige Arzt oder Anwalt für ihre Angelegenheiten ist. Untereinander sind sie unheimlich gut organisiert und dadurch eigentlich auch auf ihre
Art in unserer Gesellschaft etabliert.
Bei uns haben sie die Möglichkeit, Deutsch zu lernen und
mit der deutschen Gesellschaft in Kontakt zu treten. Oft sind
wir Deutschen bei südost für die Roma der einzige Kontakt zur
deutschen Gesellschaft, das heißt, durch uns können sie sich sozusagen an die hiesige Gesellschaft herantasten. Ebenso kommt
von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen immer wieder die
52
Aussage: »Mensch, da gibt es ja auch andere Volksgruppen, denen es genauso geht wie uns!« Aufgrund der Umstände – Asylbewerberdasein – und des starken kulturellen Zusammenhalts
innerhalb ihrer Volksgruppe, findet auch in gewisser Weise eine
Gettoisierung statt. Durch das Projekt ermöglichen wir für unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen oft den Schritt nach außen. Es ist nicht immer einfach und es gibt Rückschläge, aber es
ist ein Anfang.
Um auf unsere »geplanten« Partner zu kommen, das heißt,
diejenigen Organisationen, mit welchen eine engere Zusammenarbeit hätte stattfinden sollen, um sich gegenseitig zu unterstützen: Wir mussten ziemlich schnell feststellen, dass unser Partner zwar eine Datenbank über Kleinunternehmen führt, jedoch
überwiegend im Dienstleistungssektor und eher im Segment
höher qualifiziertes Personal. Somit war ein Matching schwer.
Zika Ibraimovic: Zu Begin des Projekts war es besonderes gut,
weil ich in EQUAL I schon mit Alphabetisierung angefangen
hatte und das war sehr gut, weil wir verlängern konnten in Kumulus Plus. Die Leute waren begeistert weiterzumachen. Wir
bieten zu jeder Zeit sehr gute Beratungen an. Es gibt viele Dinge, die sie brauchen. Es gibt Leute, die wollen selbstständig sein
und andere wollen Weiterbildung, andere wollen arbeiten.
Nach Möglichkeit bekommen sie eine Beratung. Ich sage immer, eine Möglichkeit ist da, welche Wünsche sie haben, ist es
etwas ganz anderes. Ich wollte zum Beispiel Flugzeugpilot werden, aber es gab keine Möglichkeit. Jeder Zeit bekommen sie
hier eine gute Beratung, um zwischen ihren Wünschen und der
Realität einen Mittelweg zu finden.
Über die Alphabetisierung kommen wir in Kontakt mit
Eltern, mit Familien und ich begleite auch und habe Akquise
am Donnerstag und dann mach ich Hausbesuche. Bei den
Hausbesuchen höre ich, was sie möchten, welchen Bedarf sie haben. Bis jetzt funktioniert es so ziemlich gut.
Antje Hofert: Es hat auch was mit empowerment zu tun.
Wenn wir mit unseren Ergebnissen aufgetreten sind, auch gegenüber anderen EQUAL -Partnern, haben sie gesagt: »He, die
haben ja fast die gleichen Probleme wie Übersiedler aus Russland – oder die Leute aus Polen.« Es wird klar, was wirklich spezifisch ist, ist die wirkliche Diskriminierung von Roma, also
Mehrfachdiskriminierung von Roma und Sinti, aber ansonsten
gab es etwas fast wie Solidarität. Sie sagen: »Mensch, das was ihr
erlebt, das erleben wir auch. Erzählt mal weiter. Legt mal auf
den Tisch, dann packen wir unsere Erfahrungen dazu.« Das
macht ihr besonders, Zika, ihr knüpft an die Erfahrung an. Ihr
kommuniziert ganz toll mit den Bestrebungen der russischen
Übersiedler. Es kommen sehr viele qualifizierte Leute her. Es
scheint normal zu sein, dass jemand mit sechs Semestern Medizin hier Treppen putzt. Das gehört zur Folklore und da wehren
sich immer mehr dagegen und XENIA macht auch ganz viel
Arbeit und das ist auch ein outcome muss man sagen. Also von
Alphabetisierung bis zur beruflichen Anerkennung. Da sind auf
jeden Fall Leute dabei, die ich als Kollegen haben möchte. Da
sind Lehrerinnen dabei, da sind Musiklehrer dabei, da sind Leute, die im Krankenbereich gearbeitet haben – die sind schon
da!!! Ich stehe schon Schlange und sag, ich will sie haben.
Mainstream der Innovationen
Letzte Frage: Welchen Teil Eures Projektes haltet Ihr für besonders effektiv? Wer in Eurem Umfeld hat das meiste Interesse an
der Fortführung eures Projektes? Wo werden die von Euch erprobten Konzepte weiter umgesetzt?
Sandra Niederer: Ich glaube, unser Konzept hätte
gepasst, wenn wir rechtlich anders abgesichert gewesen wären,
wenn wir den Raum und diese Ruhe gehabt hätten, die Leute
auch zu qualifizieren, anstatt unsere Teilnehmer ständig zu den
Ausländerbehörden und zu den Anwälten zu begleiten. Ganz zu
schweigen von dem psychologischen Druck, der dadurch ständig wie ein Damoklesschwert über unseren Teilnehmern und
Teilnehmerinnen hing.
In den letzten Monaten hat sich dann zunehmend gezeigt,
dass die Jugendlichen immer weniger Interesse am handwerklichen Bereich haben und mehr hin zum Dienstleistungssektor
beziehungsweise moderne Medien tendieren. Es kristallisierten
sich zum Beispiel mehr Berufswünsche wie Friseur, Verkäufer
und auch Kfz-Mechaniker heraus.
Bei den älteren Teilnehmern und Teilnehmerinnen hätte
spezifischer darauf eingegangen werden sollen, was sie bis dahin
gemacht haben, was sie in Ex-Jugoslawien gemacht haben. Zu
Beginn des Projektes gab es das Konzept, Fähigkeiten, Kenntnisse und so weiter, die bereits vorhanden sind, – in diesen Fällen, vor allem im Bereich von Feder- und Schrotthandel – aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Leider sind wir aufgrund der
doch sehr widrigen Umstände gar nicht so weit vorgedrungen.
Zum jetzigen Zeitpunkt sähe ich schon eine reelle Perspektive
darin, die bereits im »Untergrund« verrichteten Tätigkeiten zu
legalisieren und anzumelden. Natürlich alles unter der Prämisse eines gesicherten Aufenthalts.
Glaubst du, dass irgendjemand außer Euch Interesse hätte, hier
im Bundestag mit dieser Gruppe oder diesen Ansätzen weiterzuarbeiten, also stoßt Ihr auf offene Ohren? Wer sind die Leute,
die sagen „ja, interessant“?
Sandra Niederer: Fällt mir spontan niemand ein. Leider
stelle ich immer wieder fest, dass die Barriere der über einen
langen Zeitraum aufgebauten Vorurteile manchmal fast unüberwindbar erscheint. Diese stecken ganz schön tief.
Interessant finden dieses Thema sicher mehrere Leute. Die
Frage ist jedoch, wie weit reicht das Interesse.
Regina Bakar: Aus unserer Projekterfahrung muss ich sagen,
dass es auch mit einem gesicherten Aufenthalt der Teilnehmer
und Teilnehmerinnen eine große Herausforderung bleibt, eine
kontinuierliche Bildungsarbeit durchzuführen. Und wie gesagt,
große Erfolge, die messbar sind, kann man mit dieser Zielgruppe nicht innerhalb von zwei Jahren vorweisen. Aber wie können
wir dann verdeutlichen, dass sich unsere Arbeit trotzdem lohnt?
Wir sehen den Bedarf, der an uns herangetragen wird und wir
sehen die kleinen Fortschritte, die Früchte unserer Arbeit sozusagen. Und durch das Vertrauen, das uns von den Roma entgegengebracht wird, kommen wir auch mehr und mehr in die
Rolle von Vermittlern.
Profitieren von dem gewachsenen Vertrauen von Eurer Arbeit
die Leute im Viertel? Beim Amt, der Müllabfuhr, dem Jugendamt, der Polizei
Regina Bakar: Ja, auf alle Fälle. Wir haben sogar den Eindruck, dass gerne mal Zuständigkeiten an uns abgegeben werden, weil wir eben »den besseren Draht« zu dieser Gruppe haben. Ich denke, es gibt eine ganz schön große Spannbreite an
Menschen, die Interesse daran haben, dass wir unsere Arbeit
fortführen und zwar vor allem all die, die selbst beruflich mit
Roma zu tun haben. Das geht von Anwälten, Ärzten und Lehrern bis hin zu Mitarbeitern beim Jugendamt, die Vormundschaften für Roma-Kinder übernommen haben. Eigentlich sollte auch die Stadt Hamburg großes Interesse an der Fortführung
unserer Konzepte zeigen, denn letztendlich nehmen wir den
Allgemeinen Sozialen Diensten viel Arbeit ab.
Antje Hofert: Wir haben Mediatoren qualifiziert und der
Senat will uns haben. Der Senat gibt mittlerweile etwas Geld.
Längst nicht so viel wie in Hamburg, aber man entdeckt, dass
die Familien, denen die Mediatoren geholfen haben, erstmal
nicht selbstständiger werden. Man geht noch mal hin und noch
mal hin. Irgendwann sagen wir denjenigen, die die Arbeit machen, wenn sie immer wieder als Mediator rein gehen und immer wieder erzählen, das kann’s nicht sein und dann hat die
Gruppe gesagt, wir machen eine Müttergruppe. Wir nehmen
sie einfach zusammen und informieren die mal, was es so gibt.
Das bleibt immer noch. Es war der Beginn eine Gruppenarbeit.
Es ist aber so, dass diese Frauen, dieser Müttertreff, wo ganz viele gute Informationen weitergegeben wurden zum Thema Jobcenter, zur Gesundheitsfürsorge und auch zu Sport für Frauen,
die Mütter ein wenig wachgerüttelt hat. Die machen jetzt selber weiter. Die haben es wirklich, da war ich Zeugin, die haben
es geschafft. Die haben unser System so gut kennen gelernt, dass
sie innerhalb von zwei Stunden ein Projekt entwickelt haben.
Ganz straight, ganz gut! Die wussten genau, worum es geht,
was sie machen müssen, wen sie einbeziehen, wer ihnen Unterstützung gibt. Das ist das, was wir uns gewünscht haben.
Kleinschrittige Selbsthilfe muss man nicht groß machen, aber
was für uns wichtig war, war, dass sie gesagt haben: »Wir blei53
ben in der Schule. Wir gehen nicht irgendwo hin. Wir bleiben
hier, wo unsere Kinder lernen.«
Zika Ibraimovic: Wir müssen noch überprüfen, welchen
wirklichen Bedarf es gibt. Weil, wenn man den Bedarf mal so
und mal so aussucht, das funktioniert nicht gut.
Sandra Niederer: Ich glaube, diese Kombination von Bezugsbetreuung und niedrigschwelliger Basisqualifizierung ist
ein guter Grundstein. Der Raum und die Zeit für vertrauensbildende Maßnahmen, das heißt, eine über einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehende Ansprechperson bildet den
Grundstein für eine erfolgreiche Integration. Wir müssen uns
klarmachen, dass durch das, was die Menschen nicht nur durch
ihre Flucht und Ausgrenzung in den letzten 15 Jahren, sondern
was sie in den letzten Jahrhunderten erfahren haben, Vertrauen
nicht von heute auf morgen aufgebaut werden kann.
Fehlt etwas? Hat es sich gelohnt? Für wen?
Sandra Niederer: Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, sowohl für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen als auch für uns
und für Dritte. Auch wenn wir nicht die Massen qualifiziert haben und in Lohn und Brot gebracht haben, so hat es sich für jeden einzelnen gelohnt, der an unseren Maßnahmen teilgenommen hat. Es hat sich um jeden Besuch bei Behörden gelohnt, wo
wir Missverständnisse aufklären konnten und den Menschen in
den Vordergrund bringen konnten. Es ist uns gelungen, neue
Erkenntnisse zu gewinnen, das heißt wir sind in unseren Erfahrungen weitergekommen, haben es geschafft, mit wirklich
schwierigen Gegebenheiten zu arbeiten, ohne dabei aufzugeben. Wir sind einfach zwei Jahre weiter. Jedoch wäre es jetzt fatal, die Arbeit so stehen zu lassen, das heißt, aufgrund finanzieller Gründe die Arbeit einzustellen. Auch eine Unterbrechung
unserer Arbeit von nur kurzer Zeit würde das bis dato aufgebaute zu Nichte machen. Ich würde sagen, es gibt definitiv Wege
für die Integration, jedoch bedarf es auch eines langen Atems.
Regina Bakar: Ich kann mich Sandra nur anschließen, mit
dem Wunsch, dass das, was wir nun innerhalb der Projektlaufzeit aufgebaut haben, nicht umsonst gewesen ist. Gelohnt hat es
sich nicht nur für alle Beteiligten, sondern auch für viele Außenstehende, nämlich dadurch, dass wir nun diese Publikation
veröffentlichen können. Das wäre ohne EQUAL -Projekt nicht
möglich gewesen.
Antje Hofert: Für uns hatte es sich auf jeden Fall für die
Stadt gelohnt, für die Schulen und es gibt einen Weg der Schülerintegration und des Lernniveaus an den Schulen, wo es Mediatoren gibt. Das ist eindeutig.
Melanie Lorenz: Wir hatten schon einmal über idealtypische Hilfemaßnahmen gesprochen. Was wünscht Ihr Euch als
Mitarbeiter der Projekte von den staatlichen Institutionen? In
welchen Bereichen benötigt Ihr mehr Unterstützung für eure
Arbeit, zum Beispiel von Behörden, dem BMAS, Schulämtern?
54
Antje Hofert: Das Bundesministerium setzt immer Dinge
voraus... Es wird immer davon gesprochen, die soft skills müssten entwickelt werden – wie Pünktlichkeit zum Beispiel. Es
gibt zunächst wenig Offenheit gegenüber dem, was die Familien mitbringen. Also ich würde mir wünschen, dass noch mal im
Bereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dass dort noch
mal dazu gearbeitet werden würde. Da würde man die breiten
Ressourcen und alles, was sie mitbringen, auffangen. Großfamilie, das heißt 55 Leute im Klartext. Das andere ist, dass diese
Maßnahme diese vertrauensbildenden Geschichten, die unheimlich viel Zeit in Anspruch nehmen, dass es da irgendwie die
Möglichkeit gäbe, die darzustellen. Weil die kann man nicht
kofinanzieren. Vertrauensbildende Maßnahme heißt: sitzen,
Kaffee trinken, erzählen und vor allen Dingen essen und trinken. Tut mir leid, dass ich es hier sagen muss, aber es kann nicht
sein, dass, wenn man mit Menschen zu tun hat, es kein Essen
und Trinken gibt. Kann man von mir aus untersuchen. Es wird
so viel von Parallelgesellschaften gesprochen, na dann sollte
man dafür die Zeit aufwenden und sagen, die einen kommen so
zurecht die andren so und schauen wir, wie es zusammen geht.
Das kann man immer in einen Mainstream reinbringen, also
mainstreaming Arbeit sollte wirklich finanziert werden.
Sandra Niederer: Von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen
diesen Druck zu nehmen, ständig bei den Behörden, insbesondere den Ausländerbehörden, vorsprechen zu müssen. Im Grunde ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auf eine Qualifizierung
konzentrieren zu können. Von ihnen diese Unsicherheit zu nehmen: »Bin ich morgen noch hier oder nicht?«
Was mir Vieles klar gemacht hat, war ein Gespräch mit
den Jugendlichen, wo die Frage im Raum stand, was sie mit ihrem Leben machen wollten. Es herrschte großes Schweigen und
Verunsicherung. Nach fünf Minuten sagte einer: »Diese Frage
meinst du jetzt nicht ernst! Ich muss schauen, wie ich durch den
Tag komm.« Diese Menschen sind mit so viel anderen existentiellen Problemen, insbesondere mit der Frage »Wo kann ich
überhaupt für wie lange existieren? Meine Heimat auf dem Papier ist eine andere als in Wirklichkeit …«
Alleine eine solche Aussage von diesen Menschen zu bekommen, bedarf einer wochenlangen Arbeit. Erst an diesem
Punkt haben die Teilnehmer und Teilnehmerinnen angefangen,
sich damit auseinanderzusetzten, wo ihr Leben hinlaufen könnte. Das heißt, sie hatten fast zum ersten Mal eine reelle Chance
über einen Berufswunsch nachzudenken, denn bis dato hatten
sie eigentlich nicht einmal das Recht dazu, sich einem solchen
Gedanken zu widmen.
Vielen Dank!
Wege in Erwerbsarbeit
Beratung und Qualifizierung für Roma-Frauen und Frauen mit ungesichertem Aufenthalt
KAROLA – Internationaler Treffpunkt für Frauen und Mädchen e.V., Hamburg
Das Projekt ist eines von 16 Teilprojekten der Entwicklungspartnerschaft
»Fluchtort Hamburg« im Themenbereich »Asylbewerberinnen und Asylbewerber« des deutschen EQUAL-Programms.
In diesem Themenbereich geht es darum, dieser Personengruppe, die in der
Regel einen ungesicherten Aufenthaltsstatus hat, die Möglichkeit zu bieten,
ihre beruflichen Fertigkeiten mit dem Ziel der Integration in ihre Heimatländer zu verbessern. Darüber hinaus sollen Stützungsstrukturen zur psychosozialen Stabilisierung sowie arbeitsmarktliche Beratungs- und Orientierungsangebote für diese Personengruppe aufgebaut werden. Kindern wird
der Erwerb schulischer Abschlüsse ermöglicht.
Personalressourcen
2 x halbe Stellen
• Projektleitung, Büroorganisation und Buchhaltung
• Kursvorbereitung und Durchführung
• Beratung
14 Honorarstunden pro Monat
• 10 Std. Alphapetisierungskurs
• 4 Std. Gesundheitsförderung
Teilnehmer 73 Teilnehmerinnen
• 60 Romafrauen
• 13 Flüchtlingsfrauen aus Afghanistan, Russland
und der Türkei
Zielgruppe Roma-Frauen und Frauen mit ungesichertem
Aufenthalt, überwiegend nicht alphabetisiert und ohne formelle
Berufserfahrungen
Herkunft
• 10 Afghanistan
• 2 Türkei
• 1 Russland
• 60 Roma: 35 Serbien, 15 Serbien in Hamburg geboren,
3 Montenegro, 5 Mazedonien, 1 Bulgarien, 1 Bosnien
Altersstruktur
16 – 18 Jahre
18 – 25 Jahre
25 – 35 Jahre
35 – 50 Jahre
50 – 65 Jahre
Gesamt
Aufenthaltsrechtlicher Status
• Asyl / geduldet / ausreisepflichtig
• Zuwanderer mit Aufenthaltserlaubnis
• 2. Generation Zuwanderer teilweise
ohne Aufenthaltserlaubnis
2005 2006 2007
3
3
1
8
12
3
6
6
4
10
7
3
3
6
30
34
12
2005 2006 2007
9
10
1
11
17
7
9
5
2
Bildungserfahrung
2005 2006 2007
• ohne Schulbesuch: alphabetisiert
0
0
0
nicht alphabetisiert
17
19
6
• mehrjähriger Schulbesuch
ohne Abschluss: alphabetisiert
10
9
4
nicht alphabetisiert
3
4
0
56
Problem: Die Gruppe der serbischen Roma-Frauen in Hamburg sind überwiegend ohne Schulabschluss und ohne Zugang zu Bildung und formellem
Arbeitsmarkt. Die schulische Ausbildung ermöglicht auch bei in Deutschland aufgewachsenen Frauen oft keinen Arbeitsmarkt- oder Ausbildungsplatzzugang. Häufig kommt es beispielsweise durch eine dem traditionellen
Rollenverständnis entsprechende frühe Heirat und Schwangerschaft zum Abbruch der Schulausbildung, teilweise noch bevor grundlegende Kenntnisse
im Lesen, Schreiben und Rechnen vollständig erlernt werden konnten. Diese
fehlen dann nicht nur für die spätere Fortsetzung des Ausbildungsprozesses,
sondern auch bei der Bewältigung der Alltagsaufgaben. Sich akkumulierende
finanzielle, persönliche und soziale Probleme schließen einen Wiedereinstieg
in den Ausbildungsprozess oder den ungelernten Arbeitsmarkt dann in der
Regel aus und führen zu dauerhafter Abhängigkeit von Sozialleistungen.
Eine Integration in die hiesige Bevölkerung fand zugleich nie wirklich
statt. Selbst hier geborene Roma- Frauen bezeichnen sich selbst als »Ausländerin«. Dies entspricht auch der Wahrnehmung der Mehrheitsbevölkerung
und der deutschen Verwaltungspraxis, denn auch hier geborene Roma können in vermeintliche »Heimatländer« abgeschoben werden. Die über Jahrhunderte gemachte Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrung der Roma in Europa ist tief in den Menschen verwurzelt. Es fehlen positive, motivierende Lernerfahrungen und der individuelle Zugang zu den Bildungseinrichtungen der Stadt.
Projektstrategie: KAROLA e.V. hat durch ein über viele Jahre gewachsenes
Vertrauensverhältnis einen guten Zugang zu dieser Zielgruppe. Eine im Projekt aufgebaute »Willkommenskultur« und die von gegenseitigem Respekt
und Interesse geprägte Begegnung zwischen Roma und Angehörigen der
Mehrheitskultur erleichtern den Teilnehmerinnen den Zugang zu den Angeboten des Vereins. Verständnis für die auf historischer und aktueller Diskriminierung beruhender Skepsis der am Projekt teilnehmenden Roma-Frauen
gegenüber den Bildungsangeboten der Mehrheitsgesellschaft und für deren
vielen alltäglichen Belastungen sind die unabdingbare Voraussetzung, um in
Beratungsgesprächen bzw. während der Kursangebote psychosozial stabilisierend wirken zu können.
Viele der Roma-Frauen sind von ihren Problemen der Alltagsbewältigung so in den Griff genommen, dass ihrer Meinung nach an eine Kursteilnahme gar nicht zu denken ist. Eine intensive Sozialberatung ist die Zugangsvoraussetzung für diese Gruppe. Begleitende bzw. aufsuchende Beratung, auch als Krisenintervention, sind für die gesamte Laufzeit vorgesehen.
Beratungsgespräche reduzieren sich hierbei selten auf singuläre Problemlagen, sondern berühren zumeist gleichzeitig Bereiche wie Beratung im Aufenthalts- und Sozialrecht, Unterstützung bei der Wohnungssuche, Schuldenregulierung, Vermittlung bei Konflikten mit Ämtern und Behörden, Schulund Ausbildungsberatung, Unterstützung bei der Arbeitssuche und Beratung zu den Themen Gesundheit und Krankheit, Familienplanung und Erziehung.
Darüber hinaus finden aktuelle Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen Eingang in die Beratungsgespräche und können hier reflektiert
werden. Inhalte und Methoden der Alphabetisierungskurse richten sich an
den guten mündlichen Deutschkenntnissen und den Alltagserfahrungen der
Teilnehmerinnen aus. Ziel des Projekts ist es nicht zuletzt, den Frauen den
Stellenwert und den Nutzen lebenslangen Lernens begreifbar zu machen
Ergebnisse: Dem Träger KAROLA e.V. ist es gelungen, die ansonsten meist
unüberwindbare Distanz zu deutschen Bildungsträgern zu überbrücken. Das
Beratungs- und Alphabetisierungsangebot wurde von den Roma-Frauen angenommen und der Zugang zu Bildung wurde schrittweise ermöglicht. Bei
den zirka 15 Frauen, die im Laufe der zweieinhalbjährigen Projektlaufzeit an
dem Alphabetisierungskurs teilgenommen haben, sind zum Teil beachtliche Fortschritte im schriftlichen und mündlichen Ausdrucksvermögen in
Deutsch festzustellen.
Zusätzlich ist es gelungen, die Vermittlungsrolle des Projektträgers zu
stärken und dadurch den Teilnehmerinnen Zugangsmöglichkeiten zu anderen Bildungs- und Fördermaßnahmen zu ermöglichen sowie den Dialog mit
den Behörden und den Bewohnern des Viertels konstruktiver zu gestalten.
Beratungsstunden pro Monat
Aufenthalts- / Arbeitserlaubnisrecht
Sozialrecht / Begleitung zum Sozialamt
Gesundheit / Vermittlung von / bei Ärzten
Wohnungssuche / Mietrecht
Jobsuche / Arbeitsrecht
Erziehung / Familie / Schulkontakt
2005 2006 2007
10
10
10
20
20
20
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
Grundbildungsangebote
• Alphabetisierungskurs für Anfängerinnen
2 x / Woche á 3 Std.
• Schreib- und Lesetraining für bildungsferne Frauen
2 x / Woche á 3 Std.
Fazit: Ohne ausreichende Schulerfahrung und die dabei geprägten kognitiven Strukturen war das Erlernen von Lesen und Schreiben für alle Teilnehmerinnen ein sehr mühsamer Weg. Sich noch als erwachsener Mensch dem Vorhaben »Alphabetisierung« zu stellen, erfordert damit besonders viel Engagement und Geduld. Das hohe Maß an Kontinuität und Verlässlichkeit von Seiten der Einrichtung und der Mitarbeiterinnen ist im Prinzip nicht mit kurzen Projektlaufzeiten vereinbar. Die mühsam geschaffene Lernmotivation der
Teilnehmerinnen wäre eine optimale Ausgangslage für die Fortsetzung der in
der Zielgruppe so schwierigen Bildungs- und Qualifizierungsarbeit.
57
Novi Vidici – Neue Perspektiven
Qualifizierungsmaßnahmen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber, insbesondere Roma und Sinti
südost Europa Kultur e.V., Berlin
Personalressourcen
1/4 Stelle
• Projektleitung
2 x 3/4 Stelle
• Ausbildung und Unterricht
• Beratung und Betreuung (geteilte Stelle)
20 Honorarstunden pro Monat
• 10 Std. Alphabetisierungs- und Deutschkurs
• 10 Std. Gesellschaftskunde
Teilnehmer 33 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit
je 30 Std./ Woche; zwischen 55 und 10 Teilnehmerinnen und
Teilnehmer, 2 Durchgänge á 9 Monate
Zielgruppe / Herkunft alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer
waren Asylbewerber und de-facto Flüchtlinge, darunter Roma
und Kosovo-Albaner. Durch zahlreiche Abschiebungen kam
es zu einer hohen Fluktuation.
Altersstruktur
Jünger als 16 Jahre
16 – 18 Jahre
18 – 25 Jahre
25 – 35 Jahre
35 – 50 Jahre
50 – 65 Jahre
Gesamt
2005 2006 2007
m/w m/w m/w
2/0
1/0
1/0
5/2
2/1
11/5
9/6
3/2
4/9
4/5
0/3
6/14
4/9
0/3
1/0
54
39
12
Bildungserfahrung
2005 2006 2007
• ohne Schulbesuch: alphabetisiert
0
0
nicht alphabetisiert
10
7
• mehrjähriger Schulbesuch
ohne Abschluss: alphabetisiert
18
11
5
nicht alphabetisiert
4
2
0
• Schulabschlüsse:
Grundschule Jugoslawien (8 Jahre)
17
12
5
Oberschule Jugoslawien
6
4
Hauptschulabschluss Deutschland
4
2
Realschulabschluss Deutschland
2
2
• Berufe:
Berufsausbildung
1
Beschäftigt als Koch in Jugoslawien
1
Kaufmännischer Angestellter
2
• Fachschule / Universitätsabschluss:
Studium Lehrer in Jugoslawien
1
Fachschule Landwirtschaft
2
Nicht beendetes Studium
3
2
58
Das Projekt ist eines von neun Teilprojekten der Entwicklungspartnerschaft
»ProIntegration – Berufliche Integration von Migrant/innen durch interkulturelles Mainstreaming« im Themenbereich »Beschäftigungsfähigkeit / Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf dem Arbeitsmarkt«
des deutschen EQUAL-Programms.
Der Themenbereich zielt auf die Förderung benachteiligter Personen am Arbeitsmarkt ab. Dazu zählen unter anderem Langzeitarbeitslose, Menschen
mit Behinderungen, Migrantinnen und Migranten, junge Menschen ohne
schulischen oder beruflichen Abschluss, ältere Beschäftigte, Frauen in einer
Familienphase. Entwicklungspartnerschaften im Thema »Bekämpfung von
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf dem Arbeitsmarkt« erproben unter
anderem multikulturelle Lehr- und Lernkonzepte, Ansätze zum interkulturellen Konfliktmanagement und die Einführung von Diversity Management
im KMU und anderen Organisationen.
Problem: Überdurchnittlich viele Roma, die als Flüchtlinge in Berlin leben,
haben keinen Schul- oder Berufsabschluss. Die Fluchtgründe der allermeisten
Familien sind nicht anerkannt, so dass ihre Abschiebung lediglich vorübergehend ausgesetzt wird. Ohne Aufenthaltstitel fehlt die Perspektive in Deutschland und behindert die Bildungs- und Ausbildungsmotivation. Durch die
statusbedingt fehlende Arbeitserlaubnis ist zudem der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu den betrieblichen Ausbildungsplätzen versperrt. Die neue Bleiberechtsregelung eröffnet seit einigen Monaten denen eine Perspektive, die
eine Arbeit oder die Teilnahme an einer Ausbildung nachweisen können.
Projektstrategie: Im Projekt »Novi Vidici – Neue Perspektiven« sollten ursprünglich neunmonatige Kurse und Praktika in den Bereichen Metall, Holz,
Elektro, Kfz, Textil sowie Pflege Grundkenntnisse vermittelt werden und die
in Berlin lebenden Roma und Sinti dadurch bei ihrer beruflichen und sozialen Integration unterstützt werden.
Die Abschiebung mehrerer Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleich zu
Beginn des Projekts zerstörte das jahrelang aufgebaute Vertrauen des Trägers
zu den erwachsenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern und weiteren potentiellen Teilnehmern, die auf eine Aussetzung der Abschiebung während der
Teilnahmezeit gehofft hatten. Vorübergehend mussten hauptsächlich NichtRoma für die Teilnahme am Projekt gewonnen werden. Seit Ende 2006
konnten verstärkt Jugendliche aus Roma-Flüchtlingsfamilien für die Teilnahme gewonnen werden. Für diese Gruppe wurden zusätzlich Angebote zur
Vorbereitung auf die Hauptschulabschlusskurse der Volkshochschulen eingerichtet.
Die im Projekt angesiedelte Beratung befasst sich überwiegend mit aufenthaltsrechtlichen Problemen, dem Sozialleistungsbezug und der Suche
nach Jobs und Bildungsangeboten. Einzelfallbetreuung und Kleingruppen-
betreuung haben sich wegen des im Vergleich zur Gruppentherapie einfacher
entstehenden Vertrauens zu den Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern
als effektivste und konstruktivste Methoden der psychosozialen Stabilisierung
der Teilnehmerinnen und Teilnehmer entwickelt.
Zur Stärkung des Selbstvertrauens und Verbesserung der Gruppendynamik wurden zusätzlich Theater, Yoga, Musik, Quilten, Sport mit Jugendlichen und gemeinsames Kochen angeboten.
Ergebnisse: Das Projekt erlebte durch die zeitweise Veränderung der Rahmenbedingungen drei unterschiedliche Phasen. Über 50 erwachsene Teilnehmerinnen und Teilnehmer interessierten sich zu Beginn des Projektes und begannen den Berufsvorbereitungskurs in den Bereichen Holz und Metall sowie
Textil. Die Abschiebung von mindestens fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmern Ende 2005 führte zu einem nachhaltigen Vertrauensbruch zwischen
dem Projekt und der Zielgruppe. Für die Gewinnung neuer Teilnehmer wurden mit dem Berufsvorbereitungskurs Moderne Medien und dem Sprachkurs
zwei neue Angebote im Projekt geschaffen, die gleichzeitig stärker auf die
Qualifizierungsbedürfnisse der jüngeren Teilnehmerinnen und Teilnehmer
eingingen. Als neues Qualifizierungsziel kam vor allem für Letztere die Vorbereitung auf den Hauptschulabschlusskurs der Volkshochschule hinzu.
Die im Projekt angebotenen Berufsvorbereitungskurse wurden 2005 von
54, 2006 von 46 und 2007 von 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmern genutzt.
Die ab 2006 angebotenen Sprachkurse 2006 von 16 und 2007 von acht Teilnehmerinnen. und Teilnehmern Das Teilprojekt beschäftigte sich als einziges
in der ganzen Entwicklungspartnerschaft mit der Förderung von Asylbewerbern, so dass es kaum zur Kooperation innerhalb der Entwicklungspartnerschaft kam.
Die häufige Begleitung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Ämtern führte im Projektverlauf zu einer spürbaren Verbesserung der multikulturellen Kompetenzen der dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Fazit: Die zu Projektbeginn nicht geklärte Zusammenarbeit mit der für die
Aussetzung der Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde führte zu einer
schweren Beeinträchtigung der Projektdurchführung. Durch die Schaffung
einzelner neuer Angebote und den aktiven Wiederaufbau der Vertrauensbeziehungen zur Zielgruppe gelang die Weiterführung des Projekts trotz großer Schwierigkeiten. Der Träger genießt erneut das für mögliche Folgeprojekte notwendige Vertrauen der Zielgruppe.
Berufliche Bildungsmaßnahmen
Schulvorbereitung
Berufsvorb. Holz
Berufsvorb. Metall
Berufsvorb. Elektro
Berufsvorb. Textil
Berufsvorb. Medien und PC
Sprachkurse Deutsch
Bewerbungstraining
Praktika
2005 2006 2007
0
0
4
19
9
2
20
8
2
1
0
1
15
13
5
0
16
6
0
16
8
0
15
5
0
2
1
Beratungsstunden pro Monat
2005 2006 2007
Aufenthalts- / Arbeitserlaubnisrecht
20
70
60
Sozialrecht / Begleitung zum Sozialamt
20
45
45
Gesundheit / Vermittlung von/ bei Ärzten
10
5
5
Wohnungssuche / Mietrecht
0
0
5
Jobsuche / Arbeitsrecht
0
30
10
Familienrecht / Begl. bei Dokumentenerwerb 10
10
5
Schul- und Ausbildungsrecht und-platzsuche 0
20
30
Die im Projekt angesiedelte Beratung, befasst sich überwiegend mit aufenthaltsrechtlichen Problemen, dem Sozialleistungsbezug und der Suche nach Jobs und Bildungsangeboten.
Einzelfallbetreuung und Kleingruppenbetreuung haben sich
wegen des im Vergleich zur Gruppentherapie einfacher entstehenden Vertrauens zu den Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter als effektivste und konstruktivste Methoden der psychosozialen Stabilisierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
entwickelt.
Zur Stärkung des Selbstvertrauens und Verbesserung der
Gruppendynamik wurden zusätzlich Theater, Yoga, Musik,
Quilten, Sport mit Jugendlichen und gemeinsames Kochen.
59
Kumulus Plus
Beratungs- und Vermittlungspool für Roma und Sinti
RAA Berlin – Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie e.V., Berlin
Personalressourcen
1 3/4 Stellen
1/8 Stelle Buchhaltung
Teilnehmer
10 – 17 Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Alphabetisierung
5 – 13 Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Trainingsmaßnahmen
und Praktika
167 Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Beratung
Zielgruppe Roma und Sinti mit Zugang zum Arbeitsmarkt
Altersstruktur
16 – 18 Jahre
18 – 25 Jahre
25 – 35 Jahre
35 – 50 Jahre
50 – 65 Jahre
Gesamt
Aufenthaltsrechtlicher Status
• Flüchtlinge mit Aufenthaltserlaubnis
§ 9, 25, 26, 28 AufenthG.
• Duldung
• Deutschen Pass
• befristete Aufenthaltserlaubnis
2005 2006 2007
m/w m/w m/w
2/4
4/4
2/2
5/5
6/9
1/0
13/12 5/11
0/4
12/9 6/19
3/9
3/4
7/3
1/2
69
84
22
2005 2006 2007
33
16
3
1
29
12
1
1
11
1
3
12
Bildungserfahrung
2005 2006 2007
• ohne Schulbesuch u. nicht alphabetisiert 23
28
11
• mehrj. Schulbesuch ohne Abschluss
alphabetisiert
5
17
1
nicht alphabetisiert
3
3
0
• Schulabschlüsse
Grundschule
11
6
4
Erweiterte Abschlüsse
25
18
8
• Berufsausbildung in anderen Ländern
19
9
5
• Fachschule / Universitätsabschlüsse
in anderen Ländern
4
4
1
Berufliche Vorerfahrungen
2005 2006 2007
• selbstständig ohne Berufsabschluss
20
40
6
• selbstständig im erlernten Beruf
3
1
1
• selbstständig außerhalb des
erlernten Berufs
1
1
0
• angestellt ohne Berufsabschluss
13
7
9
• angestellt im erlernten Beruf
13
9
4
• angestellt außerhalb des erlernten Berufs 10
12
0
60
Das Projekt ist eines von zehn Teilprojekten der Entwicklungspartnerschaft
»Kumulus Plus – Integration durch Qualifikation« im Themenbereich »Beschäftigungsfähigkeit/Erleichterung des Zugangs zum bzw. Rückkehr auf
den Arbeitsmarkt« des deutschen EQUAL-Programms.
Der Themenbereich zielt auf die Förderung benachteiligter Personen am Arbeitsmarkt ab. Dazu zählen unter anderem Langzeitarbeitslose, Menschen
mit Behinderungen, Migrantinnen und Migranten, junge Menschen ohne
schulischen oder beruflichen Abschluss, ältere Beschäftigte, Frauen in einer
Familienphase. Im Thema »Erleichterung des Zugangs zum bzw. Rückkehr
auf den Arbeitsmarkt« werden Modelle entwickelt, persönliche und strukturelle Zugangsbarrieren zu beseitigen. Als Ansatzpunkte dafür dienen zum
Beispiel die Identifizierung und Stärkung der Kompetenzen benachteiligter
Personengruppen, die Ausweitung des Berufswahlspektrums von Mädchen
und Jungen, Modelle zur Optimierung der individuellen Berufswegeplanung
und die Verbesserung der Angebotstrukturen der beruflichen Bildung .
Problem: Die rechtlichen Barrieren stellen eines der wichtigsten Hindernisse
beim Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge dar. Oftmals entstehen dadurch
mehrjährige beschäftigungslose Zeiträume, die in Verbindung mit fehlenden
oder nicht transferierbaren formellen beruflichen Qualifikationen eine Integration in den Arbeitsmarkt auch dann erschweren, wenn durch Bleiberechtsregelungen der Zugang zum Arbeitsmarkt geöffnet wird. Zugleich
existieren eine Vielzahl auch für die Zielgruppe ehemaliger Flüchtlinge passende Vermittlungs- und Einarbeitungsangebote auf dem Bildungs- und
Fördermarkt. Und auch hier kann es nach jahrelanger Beschäftigungslosigkeit zu anfänglichen Kommunikations- und Einarbeitungsproblemen kommen, für die es eines muttersprachlichen und im Bedarfsfall aufsuchenden
und begleitenden Beratungsangebots bedarf.
Für den Arbeitsmarktzugang außerdem erschwerend kommt hinzu, dass
viele Frauen aus den Roma-Familien nur kurz oder gar nicht die Schule besucht haben und deshalb nicht alphabetisiert sind.
Projektstrategie: Der Beratungs- und Vermittlungspool sieht seine Aufgabe
in der Vermittlung von existierenden Qualifizierungsangeboten und in der
Förderung von Alphabetisierung und deutschen Sprachkenntnissen als
grundlegende Zugangsvoraussetzung für Arbeit und Weiterbildung. Das
Projekt versteht sich als Erstkontaktstelle und verweist in Fällen schwerer
Traumatisierung in der Regel an sozialpsychologische Dienste, Einzelfamilienhilfe und medizinische Gutachter. Obschon einige Teilnehmerinnen und
Teilnehmer prekären Aufenthaltsverhältnissen unterliegen, geht unser Projekt von einem dauerhaften Verbleib der Menschen in Deutschland aus. Fälle
von Abschiebungen, wie es sie insbesondere in der Anfangszeit des Projektes
gab, sind Einzelfälle geblieben.
Die Beratung erfolgt nach dem Prinzip der »Hilfe zur Selbsthilfe«. Um selbsttragende Prozesse der Selbsthilfe zu initiieren, muss die Beratung sowohl aufsuchend als auch dialogisch als externes Beratungsangebot erfolgen. Muttersprachliche Kompetenzen der Beraterinnen und Berater und Erfahrungen
mit der Zielgruppe sind dafür zwingend erforderlich.
Ergebnisse: Durch die Trainings (Alphabetisierung, Bewerbungstrainings)
konnte eine messbare Verbesserung der deutschen (Schrift-) Sprachkenntnisse erreicht werden.
Die Begleitung und mobile Beratung durch der Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter konnte in »Dreier Konferenzen« (Einrichtung – Klientin und Klient – Beraterin und Berater) oftmals einen offenen Dialog zwischen
den Einrichtungen und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern initiieren.
Die interkulturelle Kompetenz der Einrichtungen verbesserte sich, da deren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Lage versetzt wurden, die Bedürfnisse und biografischen Rahmungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in
den Prozess der Entscheidungsfindung einzubeziehen.
Praktika und die Vermittlung in passende Qualifizierungsmaßnahmen
führten in zahlreichen Fällen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit.
Fazit: Fehlende (Schrift-) Sprachkenntnisse sind eine hohe Barriere, sowohl
bei der Findung als auch bei der Wahrnehmung von Qualifizierungs- und
Arbeitsmarktfördermaßnahmen. Alphabetisierung muss als Schlüsselkompetenz vor allen anderen Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt werden und
ist wegen der Wertschätzung und Ermutigung zum Lernen in der Muttersprache und von Muttersprachlern vermittelt besonders erfolgreich. Um das
gut ausgebaute Angebot an Fördermaßnahmen der Zielgruppe der beschäftigungslosen ehemaligen Roma-Flüchtlinge zugänglich zu machen, bedarf es
einer muttersprachlichen, teilweise aufsuchenden und gut vernetzten Beratungs- und Vermittlungsmöglichkeit.
Berufliche Bildungsmaßnahmen
2005 2006 2007
Studienvorbereitung / -begleitung
3
3
2
Sprachkurse deutsch
0
5
5
muttersprachl. Alphabetisierung
17
13
10
Trainingsmaßnahmen
8
4
3
Orientierungs- und Vorbereitungspraktika
5
3
1
Beratungsstunden pro Monat
Aufenthalts- / Arbeitserlaubnisrecht
Sozialrecht
Gesundheit / Vermittlung von/bei Ärzten
Wohnungssuche/ Mietrecht
Jobsuche / Arbeitsrecht
Erziehung / Familienrecht
Bildung / Schul- und Ausbildungsrecht
2005 2006 2007
30
30
30
30
30
30
2
2
2
8
8
8
30
30
30
5
5
5
15
15
15
61
Kiez mobil
Ein Berufsorientierungsprojekt zur Unterstützung der Ausbildungs- und Schulintegration für Jugendliche aus Roma-, Sintiund afrikanischen Communities in Neukölln
RAA Berlin – Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie e.V., Berlin
Personalressourcen
1/2 Stelle Projektleitung
1/2 Stelle Pädagogische Leitung
1/2 Stelle Ausbildung und Unterricht
36 Std. Honorar
Teilnehmerinnen
12 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Vollzeit
24 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Beratung
Zielgruppe Jugendliche mit und ohne berufsbefähigenden
Schulabschluss, bedingt durch den Einsatz von Romabildungsmediatoren besonders für jugendliche Roma und Sinti.
Altersstruktur
jünger als 16 Jahre
16 – 18 Jahre
18 – 25 Jahre
Gesamt
2006 2007
m/w m/w
1/2
0/2
6/1
7/1
1/1
1/1
12
12
Aufenthaltsrechtlicher Status
2006 2007
• Flüchtlinge im Asylverfahren/
vorübergehend geduldet
6
5
• ausreisepflichtige Flüchtlinge
2
2
• ehemalige Flüchtlinge mit Aufenthaltserlaubnis
3
4
• Einheimische mit dt. Staatsangehörigkeit
1
1
Bildungserfahrungen
• mehrjähriger Schulbesuch ohne Abschluss
alphabetisiert
nicht alphabetisiert
2006 2007
7
5
7
5
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verbringen jeweils 12 Std./
Woche in den Schulabschlusskursen und 12 Std. in den
Berufsorientierungs- und Vorbereitungspraktika. Freizeit- und
künstlerische Aktivitäten werden jeweils 20 Std. pro Monat
angeboten.
Beratungsstunden pro Monat
Aufenthalts- / Arbeitserlaubnisrecht
Gesundheit / Vermittlung von/ bei Ärzten
Erziehung / Familienrecht
Bildung / Schul- und Ausbildungsrecht
62
2006 2007
3
1
2
2
15
15
5
5
Das XENOS - Projekt »Kiez mobil« unterstützt durch die Firma a.v.el.
Schulz die Reintegration Jugendlicher in den Bildungs- und Ausbildungsbereich. Für den Übergang von der Schule in den Beruf stellt die RAA hier für
Jugendliche mit und ohne berufsbefähigendem Schulabschluss berufsorientierende Angebote in Praxis und Theorie zur Verfügung. Diese Angebote berücksichtigen nachdrücklich die Lebenssituation der jugendlichen Roma,
Sinti und Afrikaner sowie von jugendlichen Flüchtlingen mit ungesichertem
Aufenthalt.
Das aus dem Europäischen Sozialfonds geförderte Bundesprogramm »XENOS – Leben und Arbeiten in Vielfalt« zielt darauf ab, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung in der Gesellschaft nachhaltig entgegenzuwirken. XENOS verknüpft an der Schnittstelle von Schule, Ausbildung
und Arbeitswelt arbeitsmarktpolitische Maßnahmen mit Aktivitäten gegen
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zur Stärkung zivilgesellschaftlicher
Strukturen.
Problem: Entwurzelung und Heimatlosigkeit aufgrund von Flucht und Migration, erzwungene soziale Alimentierung, fehlende Identifikationsmöglichkeiten mit vorhandenen Bildungsangeboten, Sprachschwierigkeiten, hohe Belastungen durch die Mitarbeit in der eigenen Familie und frühe Elternschaft, fehlende Zielvorstellungen aufgrund des Mangels an gesellschaftlichen und individuellen Perspektiven und andere Bedingungen begünstigen
Schuldistanz und -abstinenz.
Projektstrategie: Kiez mobil bietet individuelle Lebenswegberatung, die die
Familienbedingungen umfassend einbezieht. Ausgehend von den eingebrachten Kompetenzen werden gemeinsam mit den Jugendlichen kurz-, mittel- und langfristig wirkende Maßnahmen konzipiert und realistische Zielvorgaben vereinbart.
Kurzfristig: Kompetenzfeststellung, Selbsteinschätzung, probeweise
Entscheidung für ein bestimmtes Berufsfeld, Praktika, probeweises Festlegen
der theoretischen und praktischen Qualifizierungseinheiten.
Mittelfristig: Herstellung positiver Lernvoraussetzungen an geeigneten
Orten, Entwicklung der Lernakzeptanz in den Familien, gegebenenfalls Organisation von Kinderbetreuung, Vertiefen des Interesses für ein Berufsfeld,
gegebenenfalls Nachholen des berufsbefähigenden Schulabschlusses, theoretische und praktische Berufsorientierung, Berufspraktika, Eingliederung in
die Berufsbildung, Mediation in Berufsschulen und bei Praxispartnern,
Vermittlung von Grundlagen der Streitschlichtung und Mediatorenqualifizierung.
Langfristig: Angebot der langfristigen Begleitung während und nach
der Berufsausbildung, Stützunterricht, Mediation, Unterstützung bei der
Jobsuche.
Ergebnisse: Die erfolgreiche Vorbereitung auf den Mittleren Schulabschluss
gelingt durch Co-Teaching, kleine Gruppen und Individualunterricht. Aufenthaltsrechtliche Probleme einzelner Teilnehmerinnen und Teilnehmer
konnten durch die Registrierung aller Schüler an Regelschulen gelöst werden.
Durch die Zusammenarbeit von muttersprachlichen Lehrern mit hochmotivierten Lehramtsstudenten in allen Fächern (Mathematik, Deutsch,
Chemie, Biologie, Physik, Geographie, Sozialkunde) konnten sowohl die
deutschen als auch die für den MSA wichtigen englischen Sprachkenntnisse
verbessert werden.
Die als modulare Qualifizierungsangebote angebotenen Berufsorientierungspraktika in den Bereichen Elektromechanik/Mechatronik, Mediengestaltung und Büro wurden innerhalb des Teams bzw. beim Unternehmenspartner angeboten, so dass auf individuelle Lernprobleme gezielt und in guter
Zusammenarbeit eingegangen werden konnte.
Fazit: Tendenziell bietet sich eine enge Kooperation mit einer Regelschule
an, um die dortigen Ressourcen und didaktischen Kompetenzen für den
Lernerfolg einzelner Teilnehmer nutzbar zu machen. Gleichzeitig ist ein außerschulisches »Standbein« besonders für jugendliche Schulverweigerer unerlässlich, die oft durch jahrelange traumatische Misserfolgskarrieren erst
langsam wieder Vertrauen in die Institution Schule fassen müssen.
Muttersprachliche Lehrerinnen und Lehrer und Bildungsmediatorinnen
und -mediatoren erleichtern den Aufbau von Vertrauen zu den Jugendlichen
und ihren Familien und erzielen eine hohe Vorbildwirkung, besonders da, wo
in Familie und Nachbarschaft kaum Vorbilder mit erfolgreichen Bildungskarrieren für die Jugendlichen zur Verfügung stehen.
63
Kooperation, Integration, Beschäftigung und Arbeit für Sinti in Hamburg (KIBA)
Arbeitsgelegenheiten nach § 16,3 SGB II und spezifische Angebote für die berufliche Qualifizierung
SBB Kompetenz gGmbH in Kooperation mit dem Landesverein der Sinti in Hamburg
Personalressourcen
1 Stelle Lernberatung / Projektleitung
1 Stelle Anleiter
1 Stelle Sinti Anleiter
3 Stellen Sinti Coachs
1/4 Stelle Verwaltung und Honorarkräfte nach Bedarf
12 Honorarkräfte mit unterschiedlichen Schwerpunkten und
zeitlichen Einsätzen (Stand Nov. 2007)
Teilnehmer
90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit 30 Std./Woche
Zielgruppe Einheimische erwachsene erwerbslose Sinti mit
und ohne Berufsausbildung, Männer und Frauen zwischen
18 und 60 Jahren überwiegend aus Hamburg-Wilhelmsburg.
Altersstruktur
2007
m/w
0
21/10
15/5
13/12
2/1
51/28
16 – 18 Jahre
18 – 25 Jahre
25 – 35 Jahre
35 – 50 Jahre
50 – 65 Jahre
Gesamt
Aufenthaltsrechtlicher Status
2005 2006 2007
Einheimische mit dt. Staatsangehörigkeit
15 100
90
Bildungserfahrungen
• mehrj. Schulbesuch ohne Abschluss
nicht alphabetisiert
alphabetisiert
• Hauptschulabschluss
• Berufsausbildung in Deutschland
2005 2006 2007
Berufserfahrungen
• selbstständig ohne Berufsabschluss
• angestellt ohne Berufsabschluss
• nicht bekannt
2007
ca. 25
55
10
0
14
1
0
88
11
1
0
73
12
5
Der Wochenstundenplan der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
orientiert sich an deren individuellen Bedürfnissen. Die Projektleitung bietet neben den Kursen Sozialberatung, individuelles
Coaching, Profiling und Hilfe bei der Jobsuche an. Die vier im
Projekt arbeitenden Sinti begleiten und unterstützen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, vermitteln Beratungsdienstleistungen und besuchen problembelastete Familien bei Bedarf
auch zu Hause.
Beratungsstunden pro Monat
Sozialrecht (während der Qualifzierung)
Jobsuche
64
2007
10
20
Das Projekt bietet Arbeitsgelegenheiten nach § 16,3 SGB II für Hamburger
Sinti. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden im Rahmen eines Kooperationsprojektes der Stiftung Berufliche Bildung und des Landesvereins
der Sinti in Hamburg betreuten Projektes beruflich qualifiziert, sozial beraten und in vielen Einzelbelangen des Alltags betreut.
Aufgrund von Bildungsdefiziten (Schulabbrüche, kaum oder keine Schreibund Lesefähigkeit) und der sozialen Situation (Trauma der Verfolgung) gibt
es zugleich erhebliche Schwierigkeiten dabei, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Hilfe der Arbeitsgelegenheiten in den ersten Arbeitsmarkt zu
vermitteln. So ist das Ziel des Projektes, die Rahmenbedingungen des SGB II
zu nutzen, um individuelle Perspektiven im Kontext einer gemeinnützigen
Arbeit für die Sinti und Roma zu finden.
Das Projekt wird aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, der Behörde
für Wirtschaft und Arbeit und team.arbeit.hamburg-Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II gefördert.
Problem: Diskriminierung am Arbeitsmarkt und im schulischen Bereich in
Verbindung mit den Spätfolgen der nationalsozialistischen Verfolgung und
deren Fortsetzung nach dem zweiten Weltkrieg haben dazu geführt, dass
ganze Familien seit Jahrzehnten ihren Lebensunterhalt ohne formale Berufsabschlüsse und außerhalb des regulären Arbeitsmarktes verdienen. Der
Rückgang des Angebots ungelernter Tätigkeiten am Arbeitsmarkt und die
teilweise abnehmenden Verdienstmöglichkeiten als Selbständiger ohne Berufsabschluss haben die Abhängigkeit der Familien von staatlichen Transferleistungen vergrößert. Der erneute Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt, insbesondere im Rahmen von Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes,
scheitert bei vielen Teilnehmenden an erheblichen Schulbildungsdefiziten
(Schulabbrüche, kaum oder keine Schreib- und Lesefähigkeit) aber auch an
der sozialen Situation (Trauma der Verfolgung). Ziel des Projektes ist es, die
Rahmenbedingungen des SGB II zu nutzen, um individuelle Perspektiven
im Kontext einer gemeinnützigen Arbeit für die teilnehmenden Sinti und
Roma zu finden.
Projektstrategie: Ziel der zehnmonatigen Maßnahmen ist es, die Sinti in ihrem beruflichen Umfeld zu stärken. KIBA ist in erster Linie auf die Schaffung
von Arbeitsgelegenheiten und die direkte Förderung der Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer orientiert und bietet Qualifizierungsmaßnahmen im direkten Zusammenhang mit den angebotenen Tätigkeiten und auf deren Bedürfnisse abgestimmt. Dazu ist das Projekt in drei
teilweise geschlechtsspezifisch orientierte Teilprojekte unterteilt, die vom
Beratungsangebot der Projektleitung und des Trägers, der aufsuchenden und
unterstützenden Arbeit der Sinti-Coaches und von Kulturprojekten flankiert
werden. Zwei jüngere Teilnehmer besuchen Schulabschlusskurse und sechs
Teilnehmerinnen einen Alphabetisierungskurs. KIBA verfolgt einen partizipativen Projektansatz, der es zulässt, die einzelnen Teilprojekte flexibel an die
Nachfragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer anzupassen.
Die beiden Projektträger SBB und der Landesverein der Sinti in Hamburg
kooperieren bei der Projektdurchführung mit dem Sozial- und Arbeitsamt
und dem REBUS in Hamburg und tauschen ihre Erfahrungen mit den branchennahen KMU aus.
Ergebnisse: Im Mittelpunkt der Maßnahme steht die Befähigung für den so
genannten ersten Arbeitsmarkt. Konkrete Zahlen für einen Eintritt und Verbleib in diesem als Ergebnis der Projektteilnahme liegen noch nicht vor. Bereits jetzt lässt sich jedoch eine starke Zunahme von Beschäftigungs- und
Qualifizierungsorientierung unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern
feststellen. Parallel dazu entsteht durch die praktischen Tätigkeiten ein Kulturzentrum in der Nähe der Wohnorte der Teilnehmer, dessen Aufbau die
Teilnehmer und ihre Familien ermutigt und in ihrem Selbstvertrauen stärkt.
Um die von SBB unterstützten Teilprojekte von KIBA herum entwickelt der
Landesverein der Sinti in Hamburg eine Vielzahl von wirtschaftlich aussichtsreichen Ideen, die bereits mittelfristig im Stande sein könnten, den Lebensunterhalt einzelner Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu sichern.
Fazit: Die intensive Zusammenarbeit einer Selbstorganisation mit einem
freien Träger der beruflichen Bildung und Beschäftigungsförderung ist von
gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt, wodurch beide Partner ihre
jeweiligen Stärken voll in das Projekt einbringen können. KIBA reagiert auf
ein tiefsitzendes historisch und politisch dimensioniertes Problem mit einer
langfristigen Investition in das Selbstvertrauen, die Qualifizierungsmotivation und die ökonomische Kreativität der Teilnehmenden. Über den konkreten
Qualifizierungserfolg und die Motivierung einzelner Beteiligter hinaus werden die Teilnehmenden dadurch als Gruppe und der sie repräsentierende Landesverein als Institution und nicht zuletzt als Akteur der arbeitsmarktbezogenen Qualifizierung und der beruflichen Bildung gestärkt.
Teilprojekt 1 Im Rahmen der gemeinnützigen Arbeit wird ein
Gelände hergerichtet, auf dem kulturelle Begegnungen und
weitere Aktivitäten stattfinden sollen. Es gibt unterschiedliche
Arbeiten, die von den Teilnehmern durchgeführt werden: Ausbau eines alten Heuschobers; Nachbau alter so genannter »Zigeunerwagen«, in denen Unterricht stattfinden kann oder die
ausgeliehen werden können an Schulprojekte u.a.; Betreiben
einer »Kleinen Musikschule«, in der sozialschwache Kinder aus
dem Stadtteil an das Musizieren herangeführt werden; Anlegen
einer Parklandschaft; Ausbau von Stallungen für die Tiere; Kulturbetrieb: Begegnungszentrum für Sinti, Roma und Nicht-Sinti.
Im Zusammenhang mit den Baumaßnahmen finden regelmäßig Qualifizierungseinheiten in den folgenden Bereichen statt:
Garten- und Landschaftsbau (120 UE / 25 Pers.), Holzbau (72
UE / 25 Pers.), Dach- und Innenausbau (72 UE / 25 Pers.). Es
besteht die Möglichkeit, über das Angebot der SBB Kompetenz an modularen Qualifizierungsangeboten teilzunehmen.
Hiervon wird jedoch selten Gebrauch gemacht.
Teilprojekt 2 Die Frauen haben eine Schneiderwerkstatt gegründet, in der sie umfassend qualifiziert werden. Hier werden
anhand konkreter Hilfsprojekte die Ausbildungsinhalte vermittelt. Auch diese Arbeiten finden im Bereich der Gemeinnützigkeit statt z.B. »Warme Kleidung für russische Sinti und Roma«.
Im Zusammenhang mit dem Betrieb der Schneiderwerkstatt
werden als Qualifizierungsangebote Schneidern und Nähen für
Fortgeschrittene (136 UE / 25 Pers.), Alphabetisierung, Stoffdruck, Kosmetik und Ernährung und ein PC-Kurs angeboten.
Teilprojekt 3 Für Männer und Frauen gibt es das Angebot, berufliche Perspektiven im Rahmen selbstständiger Tätigkeiten
zu entwickeln. In einem ersten Schritt werden dazu die individuellen Berufswünsche der Teilnehmer mit professionellen
Coaching-Methoden analysiert und auf Umsetzbarkeit geprüft.
65
Roma und Sinte – durch Selbstorganisation zu Existenzsicherung und Beschäftigung
Schulabschluss, Qualifizierung und Beschäftigung für Roma und für Sinti in Aachen, Berlin und Frankfurt
RAA Berlin, Roma Union Grenzland/AWAG Aachen und Förderverein Roma Frankfurt u. v. a. m.
Personalressourcen
2 Stellen für Koordination (national, transnational)
3 Stellen für Regionalkoordinatoren
4 Stellen für Roma-Bildungsmediatoren
8 Stellen für Ausbilder
2 Verwaltungsstellen
ca. 30 Honorarkräfte
Teilnehmer
• jugendliche Roma ohne Hauptschulabschluss im Alter von
16 bis 23 Jahren (15 Vollzeitplätze in Frankfurt)
• erwachsene arbeitslose Roma, aus einheimischen und aus
Flüchtlingsfamilien (25 Vollzeit-Teilnehmerplätze in Aachen)
• jugendliche Roma ohne Hauptschulabschluss im Alter von
16 bis 23 Jahren und erwachsene arbeitslose Roma, aus
einheimischen und Flüchtlingsfamilien und polnische Sinti
(50 Vollzeit-Teilnehmerplätze in Berlin)
Beschreibung der jeweils unterschiedlichen regionalen
Schwerpunkte und Herangehensweisen:
Berlin
Roma-Schulmediatorenausbildung Deutschkurs, PC - Kurs
und Praktikum an 3 Schulen (2 Grundschulen Wedding,
1 Hauptschule Neukölln); Projektziel: Praktika an Schulen, Prüfungen in Deutsch, PC-Kenntnisse, pädagogische Prüfung im
Abschlusscoloqium
Mediengruppe MediaRroma unter Anleitung produzierte
Kurzfilme (Roma-Schulmediatoren, Literaturcafé, Roma - Konzert, Schaworalle); Projektziel: Produktmappe mit Audio, Video
und Multimedia aus den Bereichen Projektdokumentation,
integrative und kriminalpräventive Medienarbeit mit Jugendlichen, Deutschprüfung
Alphabetisierungsprojekt Alphabetisierung in Romanes, Serbisch und Deutsch, paralleler Deutschkursbesuch für 3 Gruppen mit insgesamt 21 Teilnehmenden; Projektziel: Zertifikat VHS
oder Diktat 3. Klasse, Gründung eines Roma-Elternvereins
Deutschkurs Anfänger- und Fortgeschrittenenkurs; Projektziel: Zertifikate A 1 und A 2
Hauptschulabschlusskurse Vorbereitungskurs bis zur Aufnahme auf die VHS; Projektziel: Aufnahme in den Hauptschulabschlusskurs der VHS
Existenzgründerkurs PC-Kurs, Gewerberecht und Entwicklung von Geschäftsmodellen für Kleinunternehmer
PC-Kurs blockweise Kurse (Word, Bildbearbeitung, Layout)
Folkloregruppe Amaro Ternipe Betreuung und Organisation
durch selbstorganisiertes Roma-Team (Management, Musik,
Choreographie, Elternarbeit)
Aachen
Praktikum / Beschäftigung Holz, Metall, Gastronomie / Reinigung, Elektro, Recycling, Gartenbau; Projektziel: Vorbereitungspraktikum und 6 – 12 monatige qualifizierende Beschäftigung auf dem zweiten Arbeitsmarkt zur Verbesserung der Vermittlungschancen
66
Das Projekt ist als Entwicklungspartnerschaft im Rahmen der ersten
EQUAL-Förderrunde im Themenbereich »Beschäftigungsfähigkeit/Erleichterung des Zugangs zum bzw. Rückkehr auf den Arbeitsmarkt« durchgeführt
worden und das einzige Projektnetzwerk, das sich im Rahmen des deutschen
EQUAL - Programms ausschließlich auf die Förderung von Roma und von
Sinti konzentriert hat.
In Aachen, Berlin und Frankfurt wurden von 2002 bis 2005 von 12 Partnern
insgesamt 15 Teilprojekte zur Qualifizierung, Begleitung und Beschäftigung
für Roma und für Sinti im Alter von 16 bis 65 Jahren durchgeführt. Alle drei
Städte zusammen verfügten über insgesamt knapp hundert Teilnehmerplätze, die während der zweieinhalbjährigen Projektlaufzeit von weit über 200
Personen in Anspruch genommen wurden. Die Mehrzahl der Teilnehmenden
hatte auf Grund ihres Flüchtlingsstatus neben fehlenden Qualifizierungen erhebliche rechtliche Probleme bei Zugang zum Arbeitsmarkt.
Entwicklungspartnerschaften im Thema »Erleichterung des Zugangs
zum bzw. Rückkehr auf den Arbeitsmarkt« entwickeln »Modelle um persönliche und strukturelle Zugangsbarrieren zu beseitigen. Als Ansatzpunkte dafür dienen die Identifizierung und Stärkung der Kompetenzen benachteiligter Personengruppen, die Ausweitung des Berufswahlspektrums, Modelle zur
Optimierung der individuellen Berufswegeplanung und die Verbesserung
der Angebotstrukturen der beruflichen Bildung.«
Problem: Die insgesamt sehr heterogene Teilnehmergruppe war von mehreren zum Teil sich überschneidenden Problemen betroffen: fehlende Schreibund Lesekenntnisse; fehlende oder für den Arbeitsmarkt zu geringe Deutschkenntnisse; fehlender oder in Deutschland nicht anerkannter Schul- oder
Ausbildungsabschluss; fehlende Berufserfahrung oder für den dt. Arbeitsmarkt zu geringe branchenspezifische Kenntnisse und Fertigkeiten im Ausbildungsberuf; rechtliche Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt wegen
des Flüchtlingsstatus; antiziganistische Ressentiments und Diskriminierung
auf dem Arbeitsmarkt von Seiten der Arbeitgeber, Kollegen und Kunden.
Projektstrategie: Im Mittelpunkt der Interventionslogik standen die individuellen Qualifizierungsbedürfnisse der Teilnehmer und ihre ausländerrechtlich begründeten Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt.
Ergebnisse: Entsprechend der unterschiedlichen Ansätze und Ausgangs- sowie Rahmenbedingungen waren auch die Projektergebnisse von Stadt zu
Stadt verschieden. Im Rahmen der Qualifizierungsmaßnahmen erreichten etwa zehn Teilnehmende in Aachen Helfer- oder Grundlagenqualifikationen als
Elektrohelfer bzw. Kunstoffschweisser und verbesserten damit ihre Beschäftigungschancen bei Zeitarbeitsfirmen und den regionalen Kunstoffverarbeitungsunternehmen erheblich. Ausländerrechtlich begründete Zugangsbar-
rieren konnten nur vereinzelt und nicht im Zusammenhang mit Qualifizierungs- oder Beschäftigungsergebnissen überwunden werden
In Frankfurt bestanden acht der 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer
mit guten und sehr guten Ergebnissen die externe Hauptschulabschlußprüfung. Ausländerrechtliche Verbesserungen konnten dadurch leider nicht mit
dem Innenministerium vereinbart werden.
In Berlin konnte eine große Anzahl von Teilnehmenden durch das Projekt
alphabetisiert werden. Acht Teilnehmer erwarben Einstiegswissen über Audio- und Videoproduktion und gründeten das Projekt MediaRroma, mit dem
bis heute videografische Projektdokumentationen produziert werden. Drei
Teilnehmerinnen machten den Abschluss als Roma-Schulmediatoren und arbeiten bis heute in zwei Grund- und einer Hauptschule in Berlin. Rechtliche
Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt konnten durch gute Kooperation mit
der Schul- und Innensenatsverwaltung für die Mitglieder von MediaRroma
und für die drei Roma-Schulmediatoren abgebaut werden.
Die beiden anderen Hauptziele Sensibilisierung und interkulturelle Öffnung der Arbeits- und Bildungsmärkte Deutschlands und der Herkunftsländer und die Förderung der Selbstorganisation von Roma und von Sinti konnten im Rahmen der regionalen Kooperation und durch Fortführungsprojekte
erreicht werden. Bei allen Teilnehmenden verbesserten sich die Sprachkenntnisse in Deutsch erheblich und in vielen Fällen konnten durch das Projekt die
fehlenden Lese- und Schreibkenntnisse vermittelt werden.
Fazit: Für das Projektziel »Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit« konnte kein Zielarbeitsmarkt definiert werden: der deutsche hätte einen Einspruch des Programmträgers und der des Herkunftslandes einen Ausstieg der
Teilnehmer bedeutet. Das Projekt konzentrierte sich daher bis auf Ausnahmen auf den Erwerb von anschlussfähigen Basisqualifikationen, die eine weitere berufliche Qualifizierung auf unterschiedlichen Arbeitsmärkten ermöglichen. Unmittelbar arbeitsmarktrelevante berufliche Qualifikationen hätten
laut Aussage der operativen Partnern und ihrer Dozenten auf Grund der geringen Deutschkenntnisse während des Projektzeitraumes von den meisten
Teilnehmern nicht erreicht werden können. In einer Situation, wo die relevanten Ziele der Projektbegünstigten (Aufenthaltsrecht) nicht realistisch
sind und realistische Ziele (Rückkehrvorbereitung) nicht relevant ließ sich
kaum eine schlüssige Interventionslogik für das Projekt konzipieren.
Die besonders in Berlin und Aachen geplante Förderung der wirtschaftlichen Selbständigkeit, durch die Legalisierung und Professionalisierung von
bestehenden Geschäftserfahrungen einzelner Teilnehmer war im Projekt
nicht erfolgreich. Es gab zum einen keine qualifizierten Anleiter mit eigenen
unternehmerischen Erfahrungen für einen praxisnahen Unterricht. Außerdem hätten die meisten Teilnehmer auf Grund des fehlenden Aufenthaltsrechts gar keine Erlaubnis für selbständige Tätigkeiten gehabt.
Kunststofffügetechnikerqualifizierung 6 Wochen Berufsgrundqualifizierung an der Handwerkskammer mit Praktika auf
dem ersten Arbeitsmarkt; Projektziel: Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt
Deutschkurs Anfänger- und Fortgeschrittenenkurs, Projektziel: Zertifikate A1 und A2
PC-Kurs 1 x / Woche Einführungskurs (Word)
Musikgruppe wöchentlich mehrmals Proben; Projektziel: professionelle Romaband
Hauptschulabschlusskurs 1 - Jahreskurs mit HSA - Prüfung
(Projektteilnehmer werden ohne Aufnahmegebühr und an der
Warteliste vorbei in den HSA - Kurs aufgenommen)
Sozialberatung Sozialhilfe, Aufenthaltstitel, Schulden, Wohnung, Jobvermittlung; Qualifizierung eines Roma-Sozialberaters
Frauengruppe 1 Tag / Woche á 6 Std.: Deutsch, Beratung,
Berufsorientierung; Projektziel: adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten
Kunstprojekt Kunstobjekte, Denkmalprojekte, Ausstellungen
Assessment / Berufsorientierung 2 Wochen im Block (Männer) und 1 Tag / Woche á 6 Std. (Frauen); Anpassung eines erprobten Assessmentkonzeptes
Frankfurt
Schulunterricht HSA - Gruppe für 8 Jugendliche und HSA Vorbereitungsgruppe für 7 Jugendliche, Roma - Mediator begleitet den Unterricht, 3 x 5 Std. Unterricht / Woche plus individuelle Nachhilfestunden, 1x / Woche Sport, Projektziel: 8 x
HSA, 7x HSA - Kurs - Aufnahmeprüfung VHS
PC-Kurs Word, Excel, Bildbearbeitung, Webdesign, Projektziel: Bewerbung / Lebenslauf, Bildprodukte, eigene Homepage
Schülerpraktika 2 Tage / Woche vermittelte und selbst gesuchte Praktika in den Bereichen: Einzelhandel, Hausmeister,
KfZ- Reparatur, Küche, Schneider, Grafiker, Hotel, Innenausbau, Friseur, Verwaltung, Projektziel: Berufsorientierung
Sozialpädagogische Begleitung Gruppengespräche, Ausflüge, Einzelbetreuung, Einsatz und Weiterqualifizierung eines
Roma-Zielgruppenmediators
67
Überblick von Bildungs- und Beschäftigungsprojekten
von und für Roma und Sinti in Deutschland
Berlin RAA Berlin e.V.
Das Roma - Schulmediatorenprojekt der RAA Berlin
begann 1999 mit Unterstützung der Lindenstiftung,
führte zu einer Ausbildung von Roma - Schulmediatoren im Rahmen der von der RAA koordinierten
EQUAL- Entwicklungspartnerschaft »Roma und Sinte – durch Selbstorganisation zu Beschäftigung und
Existenzsicherung« und wird seit 2006 auch vom
Land unterstützt. Die Roma - Schulmediatorinnen
und -mediatoren fördern die Verständigung zwischen der Schule und den Eltern und sind Vorbilder
und Beispiele erfolgreicher Bildungskarrieren für die
ganze Familie. Das Alphabetisierungs- und Beratungsprojekt Kumulus Plus fördert im Rahmen des
EQUAL- Programms die gesellschaftliche und berufliche Integration der Eltern, Geschwister und Großeltern. MediaRroma produziert Projektfilme und Videos mit Jugendlichen und ist ebenfalls ein Ergebnis aus dem EQUAL- Programm. Die Bildungsberatung vermittelt Jugendlichen ohne Lehrstelle oder
Schulabschluss ein passendes Angebot auf dem
Berliner Bildungsmarkt und führt hin und wieder eigene Modellprojekte zum Erwerb von Abschlüssen
durch.
Angebote
• Roma-Schulmediatoren zur Unterstützung und
Vermittlung bei Problemen und Konflikten in der
Grund- und Oberschule
• Bildungs- und Berufsbildungsberatung für Jugendliche ohne Schulabschluss oder Lehrstelle
• Berufsvorbereitung, Hauptschulabschluss und
Schulverweigererprojekt (Kiez mobil)
• Jobsuche und Sozialberatung (Kumulus Plus –
EQUAL)
• Alphabetisierung und Praktika für Erwachsene
(Kumulus Plus – EQUAL)
• Jugend- und Videoprojekte (MediaRroma)
Ansprechpartner Antje Hofert (Bildungsberatung,
Hauptschulabschluss), Suzanna Ismailovic (RomaSchulmediatorin), Ksenija Jüngling (Jobsuche und
Sozialberatung), Zika Ibraimovic (Alphabetisierung),
Zvonko Salijevic (MediaRroma)
RAA Berlin
Chausseestr. 29, 10115 Berlin
Tel. 030 - 24 04 5100, [email protected]
www.raa-berlin.de
68
Berlin Roma Elternverein Berlin »Bashe
Rroma e.V.«
Seit dem Beginn des Schuljahres 2006 / 2007 setzt
der Elternverein ein Projekt an der Adolf- ReichweinOberschule in Neukölln mit Angeboten im vorschulischen, schulischen und außerschulischen Bereich,
wie zum Beispiel Unterstützung der Schüler während des Unterrichts, Hausbesuche bei den Eltern
und Organisation von Elternabenden, um. Hauptziel
ist die Förderung der Integration und die Verbesserung der Schul-, Bildungs- und Berufbildungssituation der Kinder durch die Vernetzung und Stärkung
des Engagements zwischen Schule, Schülern und
Eltern.
Angebote
• Unterstützung und Vermittlung bei Problemen
und Konflikten in der Grund- und Oberschule
• Beratung von Eltern zu Schul- und Erziehungsfragen
Ansprechpartner Daniel Ibraimovic
Rroma Elternverein Berlin (REB)
»Bashe Rroma« e.V.
c/o AWO - Familienzentrum, Falkstr. 27, 12053 Berlin
Mobil 0162 - 234 73 91, [email protected]
Berlin südost Europa Kultur e.V.
Der südost Europa Kultur e.V. (SOEK) wurde 1991als
Verein zur Förderung deutsch - südosteuropäischer
Kulturbeziehungen gegründet. Seit 1992 wurde das
südost-Zentrum zu einem Treffpunkt aller kulturellen
Kräfte, die im europäischen Kontext gemeinsam
über nationalistische Propaganda aufklären und ihr
wirksam entgegentreten. Während der Kriege im
ehemaligen Jugoslawien und in den ersten Jahren
danach bestand das vorrangige Ziel darin, Kriegsflüchtlingen aus Kroatien, Bosnien-Herzegowina
und dem Kosovo, deren Kriegserfahrungen häufig
zu schwerem psychischen Leiden führten, im Austausch mit anderen für sich und ihre Familien eine
neue und lebenswerte Perspektive zu entwickeln.
Seit 1997 schafft der Verein auch direkt in Südosteuropa Foren für einen Austausch und entwickelt Perspektiven für ein friedliches Zusammenleben. Aus
der Arbeit bei südost hat sich die Stiftung ÜBERBRÜCKEN entwickelt, deren Ziel es ist, Menschen
aus Kriegsgebieten zu helfen, ihre Traumata zu
überwinden.
Im Rahmen des EQUAL- Programms bietet das Projekt Novi Vidici – Neue Perspektiven die Qualifzierung in verschiedenen handwerklichen Bereichen,
Pflegebasiskurse sowie begleitende Deutsch- und
Alphabetisierungskurse sowie soziale Beratung, Betreuung und Begleitung für Asylbewerberinnen und
Asylbewerber vor allem für Roma und Sinti, an.
Angebote
• Qualifizierungsangebot mit Deutschkurs,
Schulabschlussvorbereitung und Praktika
(Holz, Elektro, Sanitär- und Heizung, Textilbereich) (Novi Vidici – EQUAL)
• Sozial- und Rechtsberatung
• Lesungen, Konzerte, Ausstellungen, Filmvorführungen
• Roma-Projekte in Bosnien-Herzegowina
• psychotherapeutische Gruppenarbeit für Kriegstraumatisierte
• Deutschkurse
• Gesundheits- und Erziehungsberatung
• Nachhilfeunterricht
Ansprechpartnerin
Sandra Niederer (Qualifizierungsprojekt)
südost Europa Kultur e.V.
Großbeerenstraße 88, 10963 Berlin
Tel. 030 - 25 37 79 9 0, [email protected]
www.suedost-ev.de
Hamburg Roma und Cinti Union
Hamburg
Die seit 1980 in Hamburg ansässige Organisation
vertritt seit ihrer Gründung die Belange der Roma in
Hamburg und ganz Deutschland. Die Roma und
Cinti Union (RCU) engagierte sich seit Ende der
80er stark international, baute das europäische Roma-Bürgerrechtsnetzwerk Roma National Congress
auf und trug maßgeblich zur Gründung des European Roma and Travellers Forum bei, dessen erster
Präsident der langjährige Vorsitzende der RCU,
Rudko Kawczynski, im Jahre 2004 wurde. Bis Ende
der 90er Jahre organisierte die RCU mehrere, zum
Teil spektakuläre, Demonstrationen, Märsche, Besetzungen und Blockaden, um auf die prekäre humanitäre Situation der Roma in Osteuropa aufmerksam zu machen und ein Bleiberecht für die nach
Deutschland geflohenen Roma durchzusetzen.
1992 entwickelte die RCU gemeinsam mit der damaligen Hamburger Bildungssenatorin Rosemarie
Raab Konzepte für die Verbesserung der schulischen und sozialen Situation der Roma-Familien im
Karolinenviertel. Die von der Roma und Cinti Union
ausgesuchten Sozialarbeiterinnen und -arbeiter halfen, den Kontakt zu den Familien aufzubauen und
legten damit den Grundstein für den heutigen Arbeitskreis der Roma-Lehrer und Roma-Sozialarbeiter. Einzelne Beratungsangebote werden in Kooperation mit den Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS) für Hamburger Schulen
organisiert.
Angebote
• Bildungs- und Sozialberatung und politische Vertretung
• Informationsrecherche und Internetpublikationen
• Organisation von politischen und wissenschaftlichen Tagungen
Ansprechpartner Marko Knudsen
Rom und Cinti Union e.V.
Postfach 304145, 20324 Hamburg
Tel. 040 - 319 42 49, [email protected]
www.RomNews.com
Hamburg Landesvereins der Sinti e.V.,
Hamburg (in Kooperation mit SBB
Kompetenz gGmbH)
Der Landesverein wurde 2002 als Selbsthilfeinitiative gegründet und organisiert vor allem Sinti-Familien aus den Hamburger Stadtteilen Wilhelmsburg
und Harburg. Das gemeinsam mit der Stiftung SBB
Kompetenz gGmbH seit 2005 durchgeführte Qualifizierungsprojekt KIBA AktivJob für arbeitslose Sinteza und Sinti soll selbstbestimmtes Arbeiten im Projekt ermöglichen und die kulturelle Vielfalt der Sinti
aufzeigen. Das Projekt soll die jetzige Lebenssituation der Sinti der Öffentlichkeit näher bringen und damit zu einem Ort der Begegnung werden. Sintizza
arbeiten als Sozialarbeiterinnen bei den Aktivitäten,
Trainings und Schulungen mit und schaffen damit
eine vertrauensvolle Lernsituation. Das Projekt wird
noch bis 31. Dez. 2007 aus Mitteln des Europäischen
Sozialfonds der Freien und Hansestadt Hamburg
gefördert.
Viele Projekte des Vereins entstanden durch die
Ideen und das unermüdliche Engagement der an
schwerer Krankheit 2007 verstorbenen Rita Weiß,
deren Andenken und Vorbild in der aktuellen Arbeit
des Landesvereins und seiner Partner einen zentralen Platz einnehmen.
Angebote
• KIBA AktivJob / Kooperation für Integration, Bildung und Arbeit für Sinti in Hamburg für arbeitslose Sinteza und Sinti, die Arbeitslosengeld II
beziehen
• Aktiv-Jobs im Projekt Bauernhof / Ort der Begegnung
• Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche
• Vorbereitung auf eine mögliche selbstständige
Tätigkeit
• Vorbereitung auf den Erwerb von Schulabschlüssen
• Begleitung in Ausbildung und / oder Arbeit
Ansprechpartner
Gottfried Weiß und Peter Holst-Glöss
Landesverein der Sinti e.V.
Kleingartenweg 8, 21109 Hamburg
Tel. 040 - 3197 37 91
Hamburg KAROLA – Internationaler
Treffpunkt für Frauen und Mädchen e.V.
Der Verein wurde 1984 im Hamburger Karolinenviertel gegründet, mit der bis heute gültigen Zielsetzung, das nachbarschaftliche Verhältnis zwischen
Menschen aller Kulturen zu fördern und gesellschaftliche Benachteiligungen zu bekämpfen. Große soziale Spannungen stellten den als alternativ
und tolerant geltenden Stadtteil, mit einem traditionell sehr hohen Anteil von ausländischen Mitbürgern, in den 90er Jahren auf eine harte Zerreißprobe: Eine hohe Anzahl Roma suchte aufgrund des
Jugoslawienkrieges Zuflucht bei Verwandten im Karolinenviertel. Bereits zu dieser Zeit fungierte der Internationale Treffpunkt als Vermittlungsraum.
Roma zählen auch heute zu der zahlenmäßig größten Gruppe, die KAROLA e.V. aufsuchen. Mit Hilfe
der Förderung durch das EQUAL- Programm konnte
der Verein seit 2005 das Beratungsangebot und
die Alphabetisierungskurse für Roma-Frauen ausbauen und intensivieren. Die Arbeit des Vereins wird
durch Zuwendungen über Projektgelder, als auch
von privaten Spenden und ehrenamtlicher Arbeit getragen. Ziel des Vereins ist es, im Sinne einer stadtteilorientierten Begegnungsstätte, für alle Frauen
und Mädchen mit Migrationshintergrund offen zu
sein, um weiterhin Hilfestellung bei allen Fragen der
Alltagsbewältigung und Lebensgestaltung leisten zu
können.
Angebote
• Alphabetisierungskurse
• Sozialberatung
• Unterstützung bei der Arbeitssuche und
bei persönlichen und familiären Problemen
• Schul- und Ausbildungsberatung
• Foto- und Kunstprojekte
• Mädchengruppe
Ansprechpartnerinnen
Christine Solano und Regina Bakar
KAROLA – Internationaler Treffpunkt
für Frauen und Mädchen e.V.
Beckstraße 2, 20357 Hamburg
Tel. 040 - 439 27 81, [email protected]
www.fluchtort-hamburg.de
SBB Kompetenz gGmbH
[email protected]
www.sbb-hamburg.de/angebot/fachqualifizierung/
alg_sinti-aktiv.php
69
Hamburg Arbeitskreis Roma - Lehrer und
Schulsozialarbeiter
Kiel Verband Deutscher Sinti und Roma
Landesverband Schleswig - Holstein
1992 begannen die Bemühungen der damaligen
Hamburger Bildungssenatorin um die Einbeziehung
von Roma- und Sinti -Kollegen als Lehrer und Schulsozialarbeiter in die Hamburger Schulen mit einem
hohen Anteil an Roma- und Sinti - Kindern. Nach der
geduldigen Überwindung aller politischen und bürokratischen Hindernisse arbeiten heute sechs RomaKollegen und ein Sinti - Kollege an zwölf Schulen im
Arbeitskreis zusammen. Einige dieser Roma-Kollegen arbeiten zusätzlich mit in den Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen für Schulen (REBUS) der Hamburger Bildungsbehörde.
Ein häufig gewählter Fortbildungswunsch für Lehrerinnen und Lehrer und Schulkollegien ist die Gestaltung pädagogischer Jahreskonferenzen zum Thema Bildung und Qualifizierung von Roma- und SintiKindern in der Schule und Antiziganismus an Schulen durch einzelne Mitglieder des Arbeitskreises.
Der Landesverband entstand wie die meisten anderen Landesverbände im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma in Deutschland Ende
der 70er Jahre. 1979 gegründet, begann seine Arbeit mit dem Kampf für gleiche Rechte und die umfassende Anerkennung des Völkermords und der
Verfolgung in der nationalsozialistischen deutschen
Vergangenheit. 1990 begann die Förderung durch
das Landessozialministerium. Zwei Mütter begannen 1995 im Projekt »Strategien zur Verbesserung
der schulischen Situation« als Mediatorinnen in der
Schule zu arbeiten. Die ersten Sinti-Schulmediatorinnen in Deutschland wurden ab 1997 vom Landesbildungsministerium gefördert und arbeiten heute
zu viert an vier Schulen. Im Wohnungsbauprojekt
»Maro Temm«, geplant seit 2003, werden 2007 unter
bundesweiter Beachtung die ersten Eigenheime für
Kieler Sinti-Familien, mit dem Ziel gemeinschaftlichen Wohnens, in kleinen Nachbarschaften gebaut.
Angebote
• Romanes-Unterricht für Roma-Kinder an der
Schule, Unterrichtsbegleitung, Co -Teaching,
interkulturelle Vermittlung und Sozialarbeit mit
Eltern
• Methodentraining und Materialentwicklung für
den Romanes - Unterricht
• Beratung und Fortbildung für Lehrer und Schulkollegien
Ansprechpartnerin Brunhild Krühler
Arbeitskreis Roma-Lehrer und -sozialarbeiter
c/o Schule Rotenhäuser Damm
Rotenhäuser Damm 45, 21107 Hamburg
Tel. 040 - 485 09 73, [email protected]
Angebote
• Unterstützung im Unterricht, Vermittlung zwischen Lehrern und Eltern, Hausaufgabenhilfe
• Bildungs-, Rechts- und Sozialberatung
• Wohnungsbauprojekt
Ansprechpartner Matthäus Weiß
Verband Deutscher Sinti und Roma –
Landesverband Schleswig-Holstein
Dorfstr. 12, 24146 Kiel-Elmschenhagen
Tel. 0431-122 09 22
[email protected]
Frankfurt Förderverein Roma e.V.
Der Verein wurde 1993 als Verein zur Schaffung eines Roma - Gemeindezentrums e.V. von Aktivisten
aus der Menschenrechts- und Flüchtlingsarbeit gegründet und begann seine Arbeit mit einer Beratungsstelle und ambulanten Hilfen zur Erziehung.
1996 übernahm der auch als Träger der freien Jugendhilfe anerkannte Verein eine Kindertagesstätte.
Das Projekt des Gemeindezentrums wurde angepasst und es entstand die »Schaworalle«, die hauptsächlich Kinder aus schulfernen rumänischen Roma - Familien betreut. Die intensive Einbeziehung
der Eltern in die Arbeit und die Beschäftigung mehrerer Muttersprachler machen die »Schaworalle«
zum Treffpunkt und Bildungsimpulsgeber für die Familien. Auch die älteren Geschwister sind nun zum
Lernen motiviert und so wurde die Schaworalle im
Jahre 2000 zusätzlich schulischer Lernersatzort für
eine Grund- und eine Hauptschule und führt Kinder
bis zum Hauptschulabschluss, denen der Besuch
der Regelschule aus den verschiedensten Gründen
nicht gelingt. Im Jahre 2002 kam im Rahmen des
EQUAL- Programms ein Hauptschul- und Berufsorientierungsabschlusskurs für Jugendliche und junge
Erwachsene hinzu. 2006 wurde die Schaworalle für
ihr Engagement für Bildung und Integration mit dem
Theodor- Heuss - Preis ausgezeichnet.
Angebote
• Sozial- und Rechtsberatung
• Kindertagesstätte »Schaworalle« mit angeschlossenen Schulklassen
• berufliche Bildung und schulische Qualifizierung
für Jugendliche und junge Erwachsene
• Lehrerfortbildung / Arbeitskreis Roma als Gesprächskreis Frankfurter Institutionen und Einrichtungen
• Sozialpädagoische Lern- und Familienhilfe
• Archiv
• Philharmonischer Verein der Roma und Sinti
Ansprechpartner
Joachim Brenner und Sabine Ernst
Geschäfts- und Beratungsstelle des
Förderverein Roma e.V.
Stoltzestrasse 17, 60311 Frankfurt/Main
Tel. 069 - 44 0123, [email protected]
www.foerdervereinroma.de
www.schaworalle.de
70
Köln Rom e.V. – Gemeinnütziger Verein
für die Verständigung von Rom (Roma &
Sinti) und Nicht-Rom
Mannheim Verband Deutscher Sinti
und Roma – Landesverband BadenWürttemberg e.V.
Darmstadt / Bad Hersfeld Verband
Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Hessen
Als die Kölner Stadtverwaltung sich weigerte, im
Winter 1986 / 87 fast 1000, vor allem aus Jugoslawien geflüchteten Roma - Familien, Lebensunterhalt,
Unterkünfte und medizinische Versorgung zukommen zu lassen, nahmen Hartwig Beseler, Doris
Schmitz, Renate Graffmann und Kurt Holl Kontakt
zu den Familien auf und gründeten die »Kölner Roma - Initiative«. 1988 wurde der »ROM e.V.« mit dem
Ziel gegründet, die Familien durch ein Bleiberecht
vor weiterer Vertreibung und Kriminalisierung zu
schützen. Spektakuläre Aktionen erwirkten zu Beginn ein Bleiberecht für mehrere hundert Roma. Wenig später brach die Landesregierung ihre Bleiberechtszusagen und begann stattdessen 1992 mit
einem »Rückkehrprogramm«. In den folgenden Jahren konzentrierte sich die Arbeit des Vereins auf
Integrationshilfen für die Familien: Wohnung, Familienzusammenführung, Arbeitsuche, Sozialhilfe,
Schulbesuch, Aufenthaltsprobleme und ging gegen rassistische Berichterstattung und Polizeiübergriffe vor.
1999 wurde das Archiv und Dokumentationszentrum des Vereins vom damaligen Bundespräsidenten Wolfang Thierse feierlich eröffnet. Im Rahmen eines Strategiewechsels der Stadtverwaltung, hin zu
Integrationsbemühungen für die in Köln lebenden
Roma, begann im August 2004 das Schulprojekt
»Amaro Kher«, welchem seit 2006 auch eine Kindergartengruppe angeschlossen ist. Parallel dazu erhielten etwa zehn Schulen und einige der größeren
Flüchtlingswohnheime personelle Verstärkung zur
Verbesserung der Bildungssituation der dort lebenden und lernenden Roma - Kinder.
Der Verband wurde 1986 im Rahmen der Bürgerrechtsarbeit der deutschen Sinti und Roma gegen
Ausgrenzung und Ungleichbehandlung gegründet.
Der Verband vertritt über 10.000 Sinti und Roma im
Bundesland und im Vorstand des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma und versteht sich zugleich als
Dialogpartner für die Institutionen des öffentlichen
Lebens und einzelne Menschen, die Informationen
zur Lage von Sinti und Roma suchen. Die verbandseigene Beratungsstelle Kultur / Wissenschaft begleitet die Umsetzung des 1997 in Deutschland ratifizierten Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats. Die Beratungsstelle Soziales / Arbeit leistet Hilfe zur Selbsthilfe auf
der Basis einer engen Vernetzung und Kooperation
mit allen relevanten Einrichtungen. Die Beratungsstelle Bildung / Antiziganismus fördert und begleitet
seit 1997 Bildungsprojekte im ganzen Land. Sie bietet darüber hinaus eine individuelle Unterstützung
und Bildungslaufbahnplanung an, vermittelt bei
Konflikten in Schulen und führt Beratungen und Fortbildungen für Lehrer und Schulen durch.
Der Verband wurde 1980 als Interessenvertretung
der in Hessen lebenden Sinti und Roma gegründet.
Neben seiner Beratungstätigkeit zur Lösung von individuellen Fragen, vertritt der hessische Landesverband die Interessen der nationalen Minderheit der
Sinti und Roma in Hessen und im Vorstand des
Zentralrates Deutscher Sinti und Roma.
Nach der erfolgten Anerkennung der deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit im Jahre 1995
sowie des deutschen Romanes als nationale Minderheitensprache durch das Land Hessen, stehen
die Begleitung der Umsetzung des Abkommen in
Land und Kommunen und die Aufklärung über den
Antiziganismus und über die Verfolgungsgeschichte
der Sinti und Roma und der Abbau von Vorurteilen
seitens der Mehrheitsbevölkerung im Zentrum der
Verbandsarbeit.
Besondere Priorität nehmen die o. g. Schulprojekte
zur Förderung der Chancengleichheit ein.
Angebote
• Sozial- und Erziehungsberatung
• Schulprojekt »Amaro Kher« mit integrierter Kindergartengruppe
• Soziale Gruppenarbeit in dem Flüchtlingsheim
Theodor- Heuss-Str. in Köln - Porz
• Bibliothek / Archiv und Dokumentationszentrum
Ansprechpartner Kurt Holl
Rom e.V.
Bobstraße 6 – 8, 50676 Köln
Tel. 0221- 24 25 36, [email protected]
www.romev.de
Angebote
• Aufarbeitung und Dokumentation der Verfolgungsgeschichte auf lokaler und regionaler Ebene
• Gedenkstättenarbeit in Baden- Württemberg
• Rekonstruktion und Bewahrung der im NS zerstörten kulturellen Eigenständigkeit von Sinti und
Roma sowie die Förderung der eigenen kulturellen Identität
• Öffentlichkeitsarbeit gegen Diskriminierung und
Benachteiligung von Sinti und Roma, sowie Information und Aufklärung über antiziganistische
Vorurteile und Strukturen
• Beratungsstellen Soziales / Arbeit, Bildung / Antiziganismus und Kultur / Wissenschaft
• Unterstützung von Bildungsprojekten in BadenWürttemberg
Ansprechpartner Daniel Strauß
Verband Deutscher Sinti und Roma
– Landesverband Baden-Württemberg e. V.
B7, 16 (Adressenbezeichnung in den innerstädtischen »Quadraten«), 68161 Mannheim
Tel. 0621- 1569645, [email protected]
www.sinti-roma-bawue.de
Angebote
• Beratung, Betreuung und Interessenvertretung
von allen hessischen Sinti und Roma
• Projekte zur Verbesserung der Schulsituation der
Sinti- und Roma - Kinder in Darmstadt seit 2002
(Hausaufgabenbetreuung) und in Bad Hersfeld
seit 2005 / 2006 (Sinti - Mediator an 2 Schulen)
• Unterstützung von Land und Kommunen bei der
Umsetzung des Europäischen Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten
• Aufklärung über die Verfolgungsgeschichte und
die Ursachen und (Aus-) Wirkungen des Antiziganismus für Mehrheit und Minderheit (Ausstellung: »Hornhaut auf der Seele – Die Geschichte
zur Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen«,
sieben Lokaldokumentationen, sowie dem »Standardwerk«: Die Verfolgung der Sinti und Roma in
Hessen – zwischen 1870 und 1950)
• Internet-Informationen und Weiterbildungsveranstaltungen zu Verfolgungsgeschichte und Antiziganismus über einen Bildungsserver
Ansprechpartner Adam Strauß
Verband Deutscher Sinti und Roma
– Landesverband Hessen
Bismarckstr. 15, 64293 Darmstadt
Tel. 06151- 37 77 40, [email protected]
www.sinti-roma-hessen.de
71
Politische Dokumente zur Situation der Roma und Sinti
Europarat
Vereinte Nationen
Framework Convention for the protection of national minorities and European Charter for regional or minority languages of the council of Europe
Das seit 1995 in Deutschland geltende Minderheitenschutzabkommen und die
seit 1999 gelte Charta zum Schutz der Regional- und Minderheitensprachen
sind Abkommen der Mitgliedstaaten des Europarates, deren Umsetzung von
diesem durch regelmäßige Berichte überprüft wird.
Resolution 1992 /65 zum Schutz der Roma (Gypsies), United Nations
High Commissio n for Human Rights (March 1992) Nachdem der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen bereits 1977 auf die Diskriminierung
der Roma hingewiesen hatte, fordert diese Resolution die UN - Mitgliedsstaaten
auf, konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation und zur Beseitigung
ihrer Diskriminierung umzusetzen.
Recommendation (2000) 4 on Education of Roma / Gypsy Children in
Europe, Committee of Ministers of the Council of Europe Diese Empfehlung des Komitees der Bildungsminister des Europarats ist die aktuellste und
relevanteste Vorlage, die Richtlinien für die Umsetzung der Bildungsförderung
für Roma-Kinder in Europa beinhaltet.
Avoiding the Dependency Trap. Bratislava: Regional Bureau for Europe
and the Commonwealth of Independent States (2002) Bericht des United
Nations Development Programme (UNDP) zur Situation der Roma in Osteuropa.
Report by the Commissioner for Human Rights Thomas Hammarberg on
his visit to Germany, 9 – 11 and 15 – 20 October 2006. CommDH (2007)
14. Strasbourg: Council of Europe (11 July 2007). Bericht des Menschenrechtsbeauftragten des Europarats zu Deutschland, in dem auch auf die
Situation der Roma eingegangen wird.
Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarats zur Menschenrechtslage der Roma, Sinti und Travellers in Europa (2006) Im Bericht werden auf die Diskriminierung im Wohnungssektor, im Bildungsbereich, am Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesen eingegangen sowie rassistische Übergriffe und Vertreibungen beschrieben.
Appell des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma und der europäischen Romaorganisationen an den UN - Generalsekretär Im Rahmen der
Eröffnung der Ausstellung über den Völkermord an den Roma und Sinti im
2. Weltkrieg im UNO - Gebäude in New York überreichte Romani Rose dem UNGeneralsekretär am 30. Jan. 2007 einen Appell, sein Engagement zum Schutz
der Menschenrechte für Roma und Sinti in Europa und weltweit zu intensivieren.
Zur Lage von Kindern aus Roma - Familien in Deutschland. Breaking the
cycle of exclusion. Roma Children in South East Europe. Zwei UNICEF- Berichte
aus den Jahren 2006 / 2007, die auf einer gemeinsamen Tagung mit der Kinderrechtskommission des Deutschen Bundestages im März 2007 in Berlin, zur Lage von Roma - Kindern, vorgestellt wurden.
Weltbank
Die Situation der Roma Schul Mediatoren und Assistenten in Europa. Calin Rus im Auftrag des Europarats DG IV / EDU / ROM. Strasbourg (2006)
Übersicht über die Tätigkeit von Roma-Schulmedia toren in ganz Europa.
Europäische Union
Resolution of the Council of Ministers of Education meeting within the
Council, of 22 May 1989, on school provisions for gypsy and traveller
children (89/C 153 / 02). Eine etwas ältere gemeinsame Erklärung des Rats der
Bildungsminister der Europäischen Union und des Europarats zum Thema.
EUMC; Roma and Travellers in Public Education. An overview of the situation in the EU Member States. Wien (2006) Das von der Europäischen
Kommission unterhaltene European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) berichtet hier über die Bildungssituation in allen EU - Mitgliedstaaten.
Die Situation der Roma in der erweiterten Europäischen Union. Europäische Kommission. Generaldirektion Beschäftigung und Soziales, Referat
D3. Brüssel (2004) Bericht, der die Lage beschreibt und Anforderungen und
Schlussfolgerungen für die Politik formuliert.
www.ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rpub_
en.htm Eine Vielzahl weiterer Dokumente kann auf dieser Seite eingesehen
oder heruntergeladen werden.
72
ROMA IN AN EXPANDING EUROPE. BREAKING THE POVERTY CYCLE.
Weltbank (2005) Ein Bericht zur Situation der Roma in der Slowakei, Rumänien, Ungarn und Spanien, der die Ursachen und Auswirkungen der besonderen Armut der Roma untersucht.
Deutschland
Bericht der Bundesregierung über Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht sowie über die Lage der Roma,
Sinti und verwandter Gruppen (aufgrund der Entschließung des deutschen Bundestages vom 28. Juni 1986 (Drucksache 10 / 5765), BT-Drucksache 10 / 6287 Der erste Bundestagsbeschluss zur Verbesserung der Lage
der Roma und der Sinti in Deutschland.
Entschließungsantrag diverser Abgeordneter der Fraktion BÜNDNIS
90 / DIE GRÜNEN zur Situation von Roma in der Europäischen Union, in
den EU-Beitrittsländern und im Kosovo vom 20. Juni 2007, Deutscher
Bundestag Drucksache 16 / 5784 Seit langem die erste Bundestagsdebatte
zur Situation der Roma und Sinti in Deutschland.
Materialien aus EQUAL-Projekten
zur Förderung von Roma bzw. Sinti in
Deutschland und Europa
Überblick zur rechtlichen Situation von
Roma und Sinti
Praxisreader »Lernen trotz Trauma – Möglichkeiten der beruflichen Qualifizierung von kriegs- und fluchttraumatisierten Frauen« der deutschen
Entwicklungspartnerschaft »Fluchtort Hamburg« (DE - XB 4 - 76051- 20 20 / 221) Der aus der Zusammenarbeit von vier Teilprojekten gewonnene Praxisreader fasst Erfahrungswerte und Erkenntnisse zusammen, wie Bildungsarbeit
mit geflüchteten Frauen trotz Traumatisierung gelingen kann. Auf die Situation
der Roma - Frauen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Bildungsarbeit mit dieser Zielgruppe wird gesondert eingegangen.
Rechtliche Beschränkungen für Roma-Flüchtlinge im Bildungs- und Beschäftigungsbereich
DVD »Info Tool Box« der österreichischen Entwicklungspartnerschaft
»nEwC_baselines« (EP 2 - 2 -11/ 276) Die von einem Soziologen in direkter
Kooperation mit Roma und Sinti erarbeitete Erhebung dient in Form einer Info
Tool Box [DVD in Englisch, Deutsch, Romanes] dem Wissenstransfer zwischen
den Partnerinnen und Partnern und der Verbreitung des erarbeiteten KnowHows auf nationaler und transnationaler Basis.
Ausstellung »ROMA RISING – Romské obrození« der tschechischen Entwicklungspartnerschaft »Roma« (CZ - 80) Die Ausstellung porträtiert über 100
tschechische Roma aus der Mittelschicht und der Arbeiterklasse, die durch ihr
Leben kraftvoll den weit verbreiteten antiziganistischen Stereotypen trotzen. Die
Ausstellung ehrt den Mut und das Engagement der Porträtierten, die aktiv dazu
beitragen, die Verständigung zu verbessern und die Minderheit als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger innerhalb der tschechischen Gesellschaft zu
etablieren.
Trainingsmaterial »CULTURAL MEDIATION TRAINING PROGRAMME«
der irischen Entwicklungspartnerschaft »Roma Cultural Mediation Project« (IE – 43) Die Entwicklungspartnerschaft hat für ihr Trainingsprogramm
»Kulturelle Roma - Mediation« ein Manual für Mentorinnen und Mentoren und
eines für Teilnehmerinnen und Teilnehmer entwickelt, welche auf der Seite
http://www.ideasbank- equal.info heruntergeladen werden können.
www.ec.europa.eu/employment_social/equal/products/index_en.cfm Weitere Materialien können über die Produktdatenbanken der einzelnen nationalen
EQUAL- Programme recherchiert werden.
Aufenthaltsrechtlich spielt die ethnische Zugehörigkeit von Flüchtlingen und
Asylsuchenden nur dann eine Rolle, wenn sie eine Gefahr und konkrete Verfolgung im Herkunftsland begründet. Bereits mehrmals wurden seit Anfang der
90er Jahre die Abschiebungen von Roma aus bestimmten Gebieten Südosteuropas ausgesetzt und damit, zuletzt im Falle von Roma aus dem Kosovo, deren
besondere Verfolgung anerkannt.
Generell haben alle in Deutschland lebenden Kinder unter 16 Jahren, die
noch keine 10 Schulbesuchsjahre absolviert haben, das Recht und in fast allen
Bundesländern auch die Pflicht die allgemeinbildende Schule zu besuchen. Eine Berufsausbildung kann in der Regel in vollzeitschulischen Ausbildungen außerhalb des dualen Ausbildungsystems absolviert werden, bei denen keine Anstellung als Lehrling erfolgt und daher auch keine Arbeitserlaubnis notwendig
ist. Der Besuch der Abiturstufe ist aufenthalts- oder arbeitsrechtlich unproblematisch zugleich widersprechen oft die Sozialämter gegen die weitere Zahlung
von Unterhaltsleistungen und fordern zur Arbeitssuche bzw. der Ausübung von
Arbeitsgelegenheiten auf. Für die Aufnahme eines Hochschulstudiums wird ein
gesondertes Visum benötigt, welches in der Regel nur in der Botschaft des Herkunftslandes beantragt werden kann.
Oftmals eingeschränkt ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Die selbstständige Erwerbstätigkeit ist für die meisten nicht anerkannten Flüchtlinge gänzlich untersagt. Eine Anstellung unterliegt der Arbeitsmarktvorrangprüfung des
Jobcenters, welches zuerst versucht, Arbeitnehmer mit gleicher Qualifikation
und uneingeschränktem Zugang zum Arbeitsmarkt für die betreffenden Arbeitsplätze zu finden.
Rechtliche Verpflichtungen, die sich staatlicherseits aus Minderheitenschutzabkommen und Sprachencharta ergeben
Im seit 1995 in Deutschland geltenden Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten und in der seit 1999 geltenden Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen sind eine Reihe von
Rechten für jene Roma und Sinti festgelegt, die zur autochthonen Minderheit
der Roma und Sinti in Deutschland gehören. Die konkreten sich daraus ergebenden Rechte müssen auf Landesebene zwischen den Verbänden der Roma
und Sinti und der jeweiligen Landesregierung ausgehandelt werden und umfassen u. a. die kulturelle Förderung, Beteiligungs- und Mitspracherechte und den
Schutz vor Diskriminierung.
Rechtliche Möglichkeiten bei Fällen von Diskriminierung am
Arbeitsmarkt und im Ausbildungsbereich
Unabhängig vom Aufenthaltstitel sind auch Flüchtlinge vor Diskriminierungen
oder Belästigungen auf Grund ihrer Herkunft, Sprache, ihres Alters, Geschlechts, ihrer Weltanschauung, sexuellen Orientierung oder einer evtl. Behinderung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geschützt.
Angezeigt werden können mögliche Diskriminierungsfälle entweder bei den
bundesweit verteilten Antidiskriminierungsbüros oder den Landes- bzw. der
Bundesstelle für Gleichbehandlung.
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