Lebensberatung

Transcription

Lebensberatung
Lebens-Beratung
als kreativer Prozeß
Gottfried Freudmann
Lebens-Beratung als kreativer Prozeß
Abschlußarbeit von Gottfried Freudmann
für die Ausbildung zum Lebens- und Sozialberater bei Sympaideia
INHALT
Was bewegt Menschen?
4
Idee
6
I.
Leben und Lebens-Beratung
7
1
Leben
7
1.1
Was ist Leben?
7
1.2
Ein Modell des Lebens
8
2
Bewegung
Kräfte
Individualität
7
7
8
Modelle und Methoden
Der Film des Lebens
Fünf Dimensionen des Lebens
Störungen
Ausgeglichenheit
Entwicklung
8
9
9
10
10
10
Lebens-Beratung
12
2.1
Das Leben als Ganzes
12
2.2
Der Lebensberater im Film des Klienten
13
Das Wesentliche erkennen
Vereinigung von Logik und Intuition
Einstieg
Meilensteine und Wendepunkte finden
Störungen aufspüren
Ein Wunschbild schaffen
Drehbuch, Inszenierung und Spiel
- 1 -
12
12
13
13
13
14
14
II. Lebensberatung ist wie ein Tanz
15
1
Begegnung
15
2
Signale
15
3
Einladung
16
4
Führen und führen lassen
17
5
Ein Bild Deiner Welt
17
6
Vertrauen
17
7
Beziehung
18
8
Ermutigung
18
9
Zeit und Aufmerksamkeit
19
10
Kontakt
19
11
Nähe und Distanz
19
12
Berührung
19
13
Bewegung
20
14
Impulse
20
15
Schritte
20
16
Feedback
20
17
Unter-Stützung
21
18
Hindernisse
21
19
Auch ins Dunkel
22
20
Erleben
22
21
Emotionen
22
22
Veränderung
22
23
Selbständigkeit
23
24
Loslassen
23
- 2 -
III. Das Familien-Spiel
24
1
Einleitung
24
2
Phasen
25
3
Genogramm
25
4
Spiel
25
4.1
Auswahl
25
4.2
Aufstellung
26
4.3
Veränderungsimpulse
27
4.4
Abschluß
27
5
6
Resumee
28
5.1
Absichten und Wirkungen
28
5.2
Abgrenzung zur Familienaufstellung nach Hellinger
30
Bewusstseinsentwicklung
Erkenntnisse über Zusammenhänge, Wechselwirkungen
Kreativität
Identitätsfindung und Orientierung
Ermutigung
Stärkung von Selbstwert und Sicherheit
Empfindsamkeit
Berater
28
28
28
29
29
29
29
29
Beispiele
31
6.1
Holly – Abgrenzung (März 97)
32
6.2
Emily - Kräfte (Mai 98)
35
6.3
Romy – Nähe (Mai 98)
40
6.4
Linda – Druck (Juli 98)
43
6.5
Hilary - Nahrung (Juli 98)
47
6.6
Gloria - Versöhnung (Oktober 98)
54
6.7
Simone - Mißbrauch (Oktober 98)
59
6.8
Elvira – Söhne (März 99)
66
6.9
Helen – Männer (April 99)
75
Übersichtstabelle
80
- 3 -
Was bewegt Menschen?
Was bewegt Menschen, Lebens-Beratung in Anspruch zu nehmen? Neugier? Wunsch
nach Veränderung? Probleme, mit denen man selbst nicht zurecht kommt? Der Traum
von einem besseren Leben? Wunsch nach erfüllten Beziehungen?
Was bewegt Menschen, Lebens- und Sozialberater zu werden? Der Wunsch nach einem
neuen, erfüllenden Beruf? Nach neuen Methoden, nach neuen Umgangsformen mit
Menschen? Der Wunsch, anderen zu helfen, ihre Probleme in den Griff zu bekommen?
Der Anspruch, die Welt ein kleines bißchen lebenswerter und liebevoller zu machen? Der
Wunsch, selbst ein „neuer“ Mensch zu werden?
Was lernen Lebens- und Sozialberater? Sich selbst und ihren Klienten zu helfen, neue
Möglichkeiten, Fähigkeiten, Sichtweisen, Handlungsmöglichkeiten in ihrem Leben zu
finden.
Lebens- und Sozialberatung betrifft also das Leben des Menschen als Individuum in
seinem sozialen Umfeld – sowohl das des Klienten als auch das des Beraters. Beratung
wird dann erfolgreich und befriedigend sein, wenn möglichst alle Beteiligten daraus
Nutzen ziehen können.
Auf den Punkt gebracht könnte man sagen, Beratung soll ermöglichen, Neues durch
Veränderung zu schaffen:
Für den Klienten beispielsweise
 Ängste und Unsicherheiten überwinden und in Lebensmut und Lebensfreude
zu transformieren
 mit Problemen besser zurechtkommen: besser damit leben oder sie selbst lösen
können
 Grenzen setzen und ihre Respektierung verlangen
 eigene Bedürfnisse erkennen und artikulieren
 eigene Ziele formulieren und Schritte zur Erreichung setzen
 neue Sichtweisen eröffnen, die zu mehr Verständnis und mehr Zufriedenheit
führen
 neue Möglichkeiten zu leben und zu handeln
 mit anderen Menschen befriedigende Beziehungen eingehen können
 durch eigene Veränderung Veränderungen im sozialen Umfeld bewirken
Für den Berater beispielsweise
 abwechslungsreiche und befriedigende Arbeit
 Erfolgserlebnisse durch Fördern und Miterleben von menschlicher
Entwicklung
 neue Erfahrungen und Erkenntnisse
 die eigene Kompetenz sichern und verbessern
 eigene Methoden der Beratung und Begleitung entwickeln
- 4 -
Was liegt also näher, die Beratung als kreativen Prozeß zu verstehen, in dem Berater und
Klient gemeinsam versuchen, die erwünschten neuen Elemente in ihrem Leben zu finden,
zu erschaffen und zu gestalten. Der Berater hat dazu das notwendige Handwerkszeug
gelernt. Er erkennt schon vorhandene und noch erforderliche Ressourcen sowie
bestehende Hindernisse und hat Ideen, die dem Klienten weiterhelfen können. Der
Klient kennt seine eigene Welt am besten. Es fehlt oft nur an kleinen Impulsen, sie aus
einer anderen, höheren Perspektive zu betrachten, die eigenen, oft verborgenen
Fähigkeiten aufzuspüren, zu stärken und zu nutzen, seinen eigenen Wert zu finden, neue
Handlungsmöglichkeiten und Verhaltensweisen zu erschaffen, die Veränderungen
einleiten und nachhaltig absichern.
- 5 -
Idee
Im Leben des Menschen können also Probleme auftauchen, die er nicht mehr alleine
bewältigen kann oder will. Lebens-Beratung ist eine Möglichkeit professioneller Hilfe. Sie
soll dem Hilfesuchenden ermöglichen, durch Veränderungen seinen momentanen
Problemen gewachsen zu sein, seinen eigenen Weg durchs Leben zu finden und
selbständig weiterzugehen. Die Lebens-Beratung selbst ist ein Teil seines Weges, und ein
Teil des Weges des Lebens-Beraters. Deshalb ist auch eine gute Beziehung zwischen
Berater und Klient enorm wichtig.
Es gibt sicherlich unterschiedliche Ansätze für Lebens-Beratung. Ich möchte sie als
kreativen Prozeß sehen: Mein Wunsch ist, daß der Klient seine verborgenen Ressourcen
entdecken, entwickeln und nutzen kann, um seinen weiteren Lebensweg kreativ und
selbstbestimmt zu gestalten. Als Lebens-Berater möchte ich mit kreativen Impulsen die
Kreativität des Klienten fördern und dadurch bewirken, daß der obige Prozeß in Gang
kommen kann.
Die vorliegende Arbeit habe ich in drei Abschnitte gegliedert:
I.
Leben und Lebens-Beratung.
Einleitend möchte ich mich mit dem Leben beschäftigen, dem eigentlichen
Arbeitsgebiet des LSB.
II. Lebensberatung als Tanz.
Meine Arbeit als Lebensberater möchte ich metaphorisch als kreativen Tanz mit dem
Klienten beschreiben. In der Metapher soll mein Selbstverständnis als Lebens- und
Sozialberater und das Wesentliche meiner Arbeitsweise deutlich werden.
III. Das Familienspiel.
Zu einer speziellen Methode der Beratung, die diesem Ansatz entspricht, hat mich
eine Klientin inspiriert. Ich möchte sie „Familienspiel“ nennen: Die Aufstellung der
Familie mittels Figuren. Diese Methode und damit gewonnene Erfahrungen möchte
ich hier beschreiben.
- 6 -
I. Leben und Lebens-Beratung
1
Leben
Leben ist per definitionem das Arbeitsmedium des Lebens- und Sozialberaters. Deshalb
finde ich es wichtig, mir darüber einige grundsätzliche Gedanken zu machen, und zwar
speziell über jene Aspekte, die mir für die praktische Arbeit als Lebens- und Sozialberater
bedeutsam scheinen.
1.1 Was ist Leben?
Bewegung
Ein wichtiges Charakteristikum von Leben ist Bewegung. Unbelebte Dinge bewegen sich
zwar auch, allerdings kommen da Energie, Bewegungs- und Steuerungsimpulse von
außen. Das ist ein wichtiges Unterscheidungskriterium zu lebenden Organismen: Die
Bewegung kommt von innen, vom Organismus selbst. Das gilt für den Einzeller ebenso
wie für einen aus Milliarden hochspezialisierter Einzelzellen und Zellgruppen aufgebauten
Organismus wie den Menschen.
Wenn lebende Wesen zusammenleben, entsteht eine weitere Bewegung, die sich aus den
von innen kommenden Bewegungen der Einzelorganismen und den Reaktionen auf die
Begegnung und Verbindung mit anderen Organismen ergibt. Die gesamte Bewegung
eines einzelnen Lebewesens setzt sich also zusammen aus der inneren Bewegung und der
Reaktion auf oder Anpassung an äußere Bewegungen.
Die Bewegung von innen schafft Veränderung, ist also schöpferisch, kreativ.
Kräfte
Die Bewegung entsteht durch das Wirken von Kräften wie Anziehung oder Abstoßung,
Kontraktion oder Expansion, Füllung oder Entleerung, Kampf oder Flucht. Auf den
Menschen bezogen ist Leben ein Spiel von verschiedenen Kräften innerhalb eines
Menschen, zwischen zwei Menschen und in kleinen und großen Gruppen von Menschen.
Je freier diese Kräfte wirken können, umso schneller und besser wird sich ein
Gleichgewicht einstellen können, das sich selbst regelt und weiterentwickelt. Dadurch
entsteht im Wechsel Leere und Überfülle. Diese Extremzustände versuchen sich
langfristig gesehen auszugleichen: Leere will gefüllt werden, Fülle will Leere auffüllen.
Neues entsteht durch „Krisen“, das heißt durch ein Überschreiten einer quantitativ
„kritischen“ Grenze, die nur durch eine neue Qualität wieder ins Gleichgewicht gebracht
werden kann.
Je mehr ein Organismus „aus dem Gleichgewicht“ ist – ein einzelner Mensch, ein Paar,
eine Familie, ein Arbeitsteam, ein Verein, ein Volk, ein Staat, die gesamte Menschheit, die
Natur – umso größer werden die Probleme und umso schwieriger wird es, das
- 7 -
Gleichgewicht wieder zu finden. Je größer gewisse Defizite sind, umso größer sind
Ängste, Unsicherheit, Mutlosigkeit – aber umso größer ist auch der Wunsch, das
Bedürfnis, der Drang, diese Defizite auszugleichen und so das Gleichgewicht zu
erreichen.
Um ein Gleichgewicht zu finden in diesem Spiel von Kräften bedarf es gewisser
Voraussetzungen und Fähigkeiten. Der Mensch braucht eine Idee, eine Vorstellung, ein
Bild von einem Wunschzustand, und Ideen, Möglichkeiten und Fähigkeiten, diesem
Wunschzustand näherzukommen.
Individualität
Jeder Mensch ist einzigartig. Er hat ganz individuelle Zustände in körperlicher, seelischer,
geistiger Hinsicht. Seine Ressourcen, Defizite, Blockaden, Ängste, Bedürfnisse,
Verhaltensweisen usw. können zwar mit jenen anderer Menschen verglichen werden und
lassen sich bis zu einem gewissen Grad kategorisieren, analysieren, berechnen, ja sogar
vorhersagen. Die dynamische Entwicklung des Menschen durch Zeit und Raum unter
dem Einfluß von Umweltfaktoren und seine innere Entwicklung möchte ich jedoch
immer individuell sehen.
1.2 Ein Modell des Lebens
Modelle und Methoden
Jedes Modell eines komplexen Systems ist notwendigerweise vereinfachend und kann nur
einen kleinen Teil oder Teilaspekte des Systems und seiner dynamischen Entwicklung
darstellen. Ein Mensch und sein Leben ist ein sehr komplexes System.
Jede therapeutische oder beratende Methode kann ebenfalls nur einen kleinen Teil oder
Teilaspekte des menschlichen Systems beeinflussen, kann jedoch dazu beitragen, dem
Menschen große Veränderungen zu ermöglichen.
Modelle und Methoden sind für mich nur Hilfsmittel und daher nicht auf jeden
Menschen zu jedem Zeitpunkt gleichermaßen anwendbar. Unpassend angewendete
Modelle und Methoden können sehr leicht zu unzutreffenden Hypothesen und in der
Folge zu unpassenden Interventionen (ver)führen.
In der Praxis ist es aber gar nicht anders möglich, als sich an gewissen Modellen zu
orientieren und mit gewissen Methoden zu arbeiten. Gleichzeitig ist es mir aber ganz
wichtig, darüber nicht die Einzigartigkeit jedes Klienten zu vergessen, mit dem ich arbeite,
seine Lebenssituation, seine Möglichkeiten zu berücksichtigen und gegebenenfalls meine
Modelle und Methoden zu relativieren, anzupassen, zu korrigieren.
Man könnte sagen, daß Modelle und Methoden der linken Hemisphäre entspringen und
die Wahrnehmung und Berücksichtigung des Klienten als individuelle Ganzheit der
rechten. Das Zusammenspiel dieser beiden Aspekte unter Nutzung der jeweiligen Stärken
von Logik und Intuition ist mein Ziel.
Es gibt zwar schon viele Modelle des menschlichen Lebens, auch viele brauchbare, ich
möchte aber trotzdem für mich ein möglichst einfaches und doch möglichst umfassendes
Modell definieren, an dem ich mich orientiere – mit dem Bewußtsein der Problematik
von Modellen im Hintergrund.
- 8 -
Der Film des Lebens
Um das Leben modellhaft beschreiben zu können, möchte ich es mir wie einen Film
vorstellen. Der Film des Lebens besteht aus einer zeitlichen Abfolge von Bildern. Die
Bilder geben Momentaufnahmen der Lebenssituation zu einem bestimmten Zeitpunkt
wieder. Zwei aufeinanderfolgende Bilder unterscheiden sich in der Regel voneinander
kaum. Einschneidende Ereignisse, die quasi einen Schnitt im Film des Lebens darstellen,
können jedoch große plötzliche Veränderungen verursachen. Abgesehen von solchen
Schnitten wird jedoch Veränderung bzw. Entwicklung nur über einen längeren Zeitraum
sichtbar. Auf dem Einzelbild ist der Körper des Menschen sichtbar und die Umgebung,
in der er sich befindet. Erscheinungsbild, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und die
Beziehungen zur Umgebung wiederspiegeln vielleicht seine momentane seelische
Verfassung. Seine Gedanken sind weitestgehend unsichtbar. Schon ein solcher Film ist
eine Reduzierung auf einzelne Momentaufnahmen.
Aus dieser Vorstellung leite ich das folgende Modell ab, das mir helfen soll, mich in der
Beratung zu orientieren.
Fünf Dimensionen des Lebens
Das Leben eines Menschen möchte ich in fünf Dimensionen abbilden: Drei
Dimensionen für sein Innenleben, die vierte für sein Außenleben, die fünfte als zeitliche
Dimension seines Lebens.
Körper (K): Sein körperlicher Gesundheitszustand – wie gut funktioniert sein
Organismus
Seele (S): Seine seelische Verfassung – was fühlt und empfindet er
Geist (G): Seine geistige Verfassung – wie denkt er
Umfeld (U): Seine Lebenssituation – wo, wie, mit wem lebt er
Biografie (B): Seine Lebensgeschichte – was hat er alles erlebt; der Film seines Lebens
bis zum heutigen Tag
B
Die ersten vier Dimensionen K, S, G und U sind auf jedem
einzelnen Bild aus seinem Lebensfilm für den jeweiligen
Zeitpunkt abgebildet.
G
G
S
S
K
K
Die fünfte Dimension B kennzeichnet sein bisheriges
Leben, seinen Lebenslauf, also die Folge dieser
Einzelbilder.
Die zeitliche Dimension ist durch ein ganz bestimmtes Datum selbst linear, also durch
eine ganz bestimmte Datums- und Zeitangabe zu charakterisieren. Die anderen
Dimensionen sind selbst wieder aus vielen Elementen zusammengesetzt, also nicht
- 9 -
U
einfach und schon gar nicht vollständig zu beschreiben. Daher möchte ich mich hier in
diesen Dimensionen bewußt auf einen „unscharfen“ Gesamteindruck beschränken. Diese
Dimensionen stelle ich mir wie übereinanderliegende Schichten des Einzelbildes vor, wie
einzelne Ebenen, die natürlich nicht ganz klar voneinander zu trennen sind.
Störungen
Diese 5 Dimensionen hängen natürlich zusammen und beeinflussen sich gegenseitig:
 Gesundheitliche Probleme beschäftigen den Geist, belasten die Seele, beeinflussen
vielleicht auch sein Umfeld.
 Seelische Störungen können körperliche Symptome auslösen, beschäftigen den Geist
und haben ebenfalls Auswirkungen auf das Umfeld.
 Denkweise, Gedanken können den Körper krankmachen oder heilen, die Seele
niederdrücken oder aufmuntern, und haben über die Handlungen des Menschen
Auswirkungen auf sein Umfeld
Extreme Schwierigkeiten auf einer Ebene wirken auch belastend oder störend auf andere
Ebenen. Wenn in einer dieser Dimensionen ernsthafte Störungen vorliegen, dann wird es
ohne deren Behebung kaum möglich sein, die Gesamtsituation zu verbessern.
Unter Störung verstehe ich hier ein Ungleichgewicht, einen extremen, akuten oder
chronischen Mangel oder Überfluß auf einer oder mehreren Ebenen oder auch eine
Spaltung oder Disharmonie zwischen zwei oder mehreren Ebenen.
Ausgeglichenheit
Je harmonischer der Zustand der einzelnen Ebenen ist und je besser die Ebenen
untereinander harmonieren, also sich in Übereinstimmung entwickeln, umso besser wird
sich der Mensch an die sich verändernde Umwelt anpassen können, umso besser wird er
seine Wünsche erfüllen, seine Ziele erreichen können in einem gesunden Körper, mit
geistig/seelischer Zufriedenheit und ohne unüberwindlichen Widerstand seiner Umwelt.
Entwicklung
Wie das nächste Bild im Lebensfilm ausfällt, hängt also vom momentanen Zustand ab
und von den Veränderungen, die Körper, Seele, Geist und Umfeld ausgehend vom IstZustand hin zum gewünschten Zustand vornehmen. Stark vereinfacht könnte man sagen,
die Seele hat Wünsche, der Geist gibt die Befehle, der Körper führt sie aus und die
Umwelt, die ja auch wieder aus ähnlich „funktionierenden“ Menschen besteht, „reagiert“
darauf. Über längere Sicht gesehen ergibt sich daraus die Prägung des Innen- und
Außenlebens durch die bisherigen Lebenserfahrungen. Personen verschwinden, neue
Menschen tauchen auf. Es gibt Schnitte und Szenenwechsel im Film des Lebens,
schmerzliche und befreiende.
Wie sein Film vom betreffenden Menschen wahrgenommen wird, ist sehr
unterschiedlich. Er kann unbewußt ablaufen, der Mensch kann das Gefühl haben,
machtlos dem Schicksal ausgeliefert zu sein, er kann fremdbestimmten Zielen und Ideen
nachlaufen.
Jeder Mensch kann selbst sehr großen Einfluß darauf nehmen, wie die nächsten Bilder
seines Lebens ausfallen. Es hängt von seinem Denken, Fühlen, Wollen und Handeln ab,
- 10 -
also vom jeweiligen Zustand und dem Übereinstimmungsgrad der 3 inneren
Dimensionen in meinem Modell, nicht nur von den äußeren Umweltfaktoren. Er selbst
kann Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller im restlichen Film seines Lebens
sein. Er muß sich nicht damit begnügen, in einem Film weiterzuspielen, den andere
erdacht, inszeniert und gespielt haben. Er muß nicht ihm von anderen zugewiesene
Rollen in einem fremden Film spielen, sondern er kann versuchen, er selbst in seinem
eigenen Film zu sein. Ich bin überzeugt, daß diese grundlegende Wandlung viele
Folgeprobleme wie von selbst löst, weil sie zu Selbständigkeit, Eigenverantwortung,
Handlungsfähigkeit, Bewußtheit und damit zu Erfolg, Zufriedenheit und Glück führt. Ich
habe diese Erfahrung selbst erlebt und Ähnliches auch bei einigen meiner KlientInnen
bemerkt.
- 11 -
2 Lebens-Beratung
2.1 Das Leben als Ganzes
Mir ist es wichtig, das Leben des Menschen ganzheitlich zu sehen – möglichst viele
Aspekte, Zusammenhänge, Hintergründe von Systemen und Prozessen, und doch als
Ganzes, als lebende Gestalt. Das ist für mich die Voraussetzung, mir ein möglichst
umfassendes Bild vom Klienten, seiner Welt, seinem Momentanzustand, seinen
Bedürfnissen und Wünschen, seinen Fähigkeiten und Defiziten zu machen und ihn
möglichst als ganzen Menschen eingebettet in seine momentane Lebenssituation vor dem
Hintergrund seiner Lebensgeschichte wahrnehmen zu können.
Das Wesentliche erkennen
So wird es mir leichter möglich, das Wesentliche für die Beratung zu erkennen oder zu
erspüren, und möglichst zu verhindern, mich in Oberflächlichem, Vordergründigem oder
Unwesentlichem zu verzetteln. Das ist natürlich ein hoher Anspruch, aber ich glaube
gerade in der heutigen Zeit angesichts der Überbewertung des Spezialistentums
gegenüber ganzheitlichen Sicht- und Handlungsweisen eine große Chance für den Beruf
des Lebens- und Sozialberaters. Dieser Ansatz bringt natürlich die große
Herausforderung mit sich, aus der Informationsflut an verbalen und nonverbalen
Botschaften sowohl in der Interaktion mit dem Klienten als auch in Vor- und
Nachbereitung Wesentliches herausfiltern und in hilfreiche Impulse, Interaktionen und
Interventionen umsetzen zu können.
Vereinigung von Logik und Intuition, von System und Gestalt
Daher ist mir das im vorigen Kapitel umrissene, auf Wesentliches reduzierte und doch
möglichst umfassende Modell des wirklichen Lebens wichtig. Es soll mich sowohl in
meinen logisch-planerisch-reflektierenden als auch in meinen intuitiv-emotionellkreativen Arbeitsphasen im Hinterkopf leiten und begleiten.
Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, daß während der Beratungssitzung meine
Intuition im Vordergrund, das logische, planende, analysierende, reflektierende Denken
im Hintergrund stehen. Bei der Vorbereitung einer Sitzung und der Nachbereitung bzw.
Reflexion ist es genau umgekehrt.
Dem Anspruch der Ganzheitlichkeit glaube ich mich am besten annähern zu können,
wenn es mir gelingt, systemischen Ansatz und Gestalt-Ansatz zu verbinden. Das wäre
auch eine Vereinigung von logisch-analysierender und der intuitiv-holistischer
Arbeitsweise. Der systemische Zugang ist ja eher logisch, analysierend, planend, der
Gestalt-Zugang eher intuitiv, ganzheitlich, phänomenologisch. Eine Möglichkeit, diese
beiden Zugänge parallel zu nutzen ist beispielsweise das in Teil III beschriebene
„Familienspiel“.
- 12 -
2.2 Der Lebensberater im Film des Klienten
Einstieg
Als Berater steige ich zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Film des Lebens meines
Klienten ein, spiele eine Zeitlang in dem Film mit und steige wieder aus, wenn die
Beratung beendet ist.
Anfangs habe ich nur ein Bild von dem Bild, das den Ist-Zustand kennzeichnet. Ich
versuche so viel über den bisherigen Film zu erfahren, als erforderlich ist, um den jetzigen
Zustand des Menschen zu verstehen, jene markanten Bilder aus seiner Vergangenheit zu
finden, deren besonderen Inhalte seinen Zustand und seine weitere Entwicklung noch
beeinflussen.
Meilensteine und Wendepunkte finden
Vorerst ist es für mich als Berater wichtig, dem Klienten zu helfen, aus der langen Kette
von Einzelbildern jene markanten Bilder und Schnitte herauszufinden, die für ihn so
etwas wie Meilensteine, Weggabelungen oder Wendepunkte in seinem bisherigen Leben
waren. Das kann ihm auch helfen, zu erkennen oder zu erleben, wie sein Film bisher
gelaufen ist.
Interessant sind Fragen wie:
 wer hat das Drehbuch geschrieben?
 wer hat die Inszenierung geplant?
 wer ist für die Dramaturgie zuständig?
 wer führt Regie?
 welche Schauspieler spielen welche Rollen?
 wo ist der Klient selbst in diesem Film?
und auch Zukunftsfragen wie:
 wie könnte der Film weitergehen?
 wo liegen Möglichkeiten, den weiteren Ablauf günstig zu beeinflussen?
 was hindert mich noch daran, meine eigene Rolle zu spielen?
 wie könnte ein Happy-End aussehen?
Schon die Beschäftigung mit solchen Fragen kann den Klienten animieren oder
ermutigen, die weitere Gestaltung seines Lebensfilms in die eigene Hand zu nehmen.
Störungen aufspüren
Wie schon im vorigen Kapitel ausgeführt, ist es mir also wichtig, mögliche Störungen zu
erkennen und vorrangig zu bearbeiten – jedoch immer im Gesamtzusammenhang aller 5
Dimensionen. Schon die Milderung oder Beseitigung einer Störung kann eine wesentliche
Verbesserung der Gesamtsituation bewirken. Wichtig ist mir auch zu unterscheiden
zwischen primärer und sekundärer Störung, also zwischen Quelle und Folgewirkung.
- 13 -
Für die Behandlung der Störungen im Detail sind die jeweiligen Spezialisten wie Ärzte
und Therapeuten zuständig. Als Lebensberater sehe ich meine Aufgabe darin, dem
Klienten zu helfen, sich selbst zu helfen, wo er kann, und Hilfe zu suchen und
anzunehmen, wo er selbst sie zu brauchen glaubt.
Ein Wunschbild schaffen
Jeder Mensch hat Träume und Wünsche von seiner Zukunft. Sie können unbewußt sein,
ungeordnet, nebulos, unrealistisch erscheinen. Ich möchte es meinem Klienten
ermöglichen, sein Wunschbild von seinem Leben zu erschaffen, zu gestalten und Schritte
zur Realisierung zu finden und zu setzen. Dazu ist Fantasie und Kreativität erforderlich,
vom Klienten, aber auch von mir als Berater. Also versuche ich diese Fähigkeiten beim
Klienten zu fördern. Wir gehen vom momentanen Lebens-Bild aus und orientieren uns
am Wunschbild des Klienten, das es entweder schon gibt oder das in der Beratung zu
entwickeln ist.
Drehbuch, Inszenierung und Spiel
Also gilt es für den Klienten, sein Drehbuch zu überprüfen, gegebenenfalls zu korrigieren
oder neu zu schreiben, zu überlegen, wie dieses neue Drehbuch zu inszenieren ist, ob und
wie die Bühne zu verändern ist, was vom bisherigen Bühnenbild brauchbar oder überholt
ist, ob und wie die Rollenbesetzung zu verändern ist, welche vorhandene oder neue
Requisiten nötig sind.
Und dann kommt das Spiel des Lebens selbst: die eigene selbstgewählte, veränderte oder
neue Rolle auch wirklich zu spielen.
Die Rolle des Beraters
Dabei kann ich als Lebens-Berater sehr hilfreich
sein. Ich habe einen großen Werkzeugkoffer an
wirksamen Methoden, ich habe einen Rucksack
voll Erfahrungen, ich habe die Kraft und die
Behutsamkeit, den Klienten auf seinem Weg ein
Stück zu begleiten. Meinen Werkzeugkoffer und
meinen Erfahrungsrucksack möchte ich so
sparsam wie möglich einsetzen, um den jeweils
aktuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten des
Klienten gerecht zu werden und nicht durch ein
Zuviel seine eigene Kreativität zu behindern.
Mir ist es auch ganz wichtig, allen Versuchungen
zu widerstehen, das Drehbuch nach meinen
Vorstellungen umzuschreiben, die Regie an mich
zu reißen, oder eine für mich selbst wichtige Rolle
zu besetzen.
Dieser Prozeß ist natürlich nicht einfach und
allgemein im Konkreten zu beschreiben. Ich
versuche es durch ein weiteres Modell: Die
Lebens-Beratung als eine Art Tanz mit dem
Klienten.
- 14 -
aus meinem Werkzeugkoffer















Familienspiel
Fantasiereisen
Traumarbeit
Märchenarbeit
Tests
Zielarbeit
Identität und Selbstwert
Beziehungsarbeit
Rollenspiele
Psychodrama
Gedichte und Texte
Zeichnen und Malen
Musizieren/Trommeln
Körperübungen
Tanzen
II. Lebensberatung ist wie ein Tanz
Du möchtest, daß ich Dich auf einem Stück Deines Lebensweges begleite. Du willst ihn
mit mir gehen, weil Du von mir etwas erwartest oder erhoffst, vielleicht Hilfe oder
Ratschläge für die Lösung Deiner Probleme, vielleicht Anregungen für Veränderungen.
Ich möchte Dich einladen, dieses Stück gemeinsamen Lebensweges als Tanz zu sehen,
miteinander zu tanzen, ich als Berater, Du als Klient, als Klientin, jedoch als Tanz-Paar.
1
Begegnung
Wir begegnen uns. Du kommst zu mir, ich komme zu
Dir, oder wir treffen uns. Wir kommen ins Gespräch.
Es kann sein, daß Du mir gleich Dein Herz
ausschüttest, weil Du merkst, ich habe Interesse für
Dich, ich nehme mir Zeit für Dich. Du vertraust mir.
Du vertraust mir Dein Leid an, Deine Ängste, Deine
Unzufriedenheit, vielleicht auch Deine Ziele, Deine
Wünsche, Deine Träume.
Ich höre Dir zu, ich versuche, dem Inhalt zu folgen
und gleichzeitig Deine Botschaften aufzufangen. Bleibt
es bei einer Begegnung, bei einem Austausch über die
Befindlichkeit, einer Erleichterung durch Aus-Sprechen
und Mit-Teilen? Oder möchtest Du mehr, eine
Beratung, eine Begleitung?
2 Signale
Wenn ich Signale vermute wie: Komm näher, nimm Kontakt mit mir auf, verstehe mich,
hilf mir, laß mich nicht im Stich, dann versuche ich auf meine innere Stimme zu hören:
Will ich das, traue ich mir das zu, bin ich sicher, daß Du das willst? Wenn es für mich
paßt, dann gehe auf Deine Signale ein, ich gehe auf Dich zu, wie um einen Tanz mit Dir
zu beginnen.
Es kann auch sein, daß Du mich nicht zum Tanzen einlädst. Vielleicht weißt Du nicht,
daß ich tanzen kann, daß ich mit Dir tanzen könnte, daß ich Zeit und Interesse hätte für
einen Tanz mit Dir. Vielleicht möchtest Du mich nicht weiter „belästigen“. Vielleicht
glaubst Du nicht, daß Dich ein Tanz mit mir ein Stück weiterbringen könnte auf Deiner
Suche nach Deinem Weg.
Wenn ich das Gefühl habe, Du möchtest mit mir tanzen, schickst mir aber keine
eindeutigen Signale, dann lade ich dich ein zu diesem Tanz: Ich strecke dir meine Hand
entgegen. Du nimmst sie an - oder auch nicht. Wenn Du meine Einladung nicht
annimmst, ist es auch gut - Du brauchst mich nicht, zumindest nicht jetzt.
- 15 -
3 Einladung
Wenn ich Deine Einladung annehme oder Du meine, beginnt ein Tanz, ein Tanz von uns
beiden in Deine Welt.
Wenn Du schon in Bewegung bist, versuche ich mich Deiner Bewegung anzupassen.
Wenn Du stehst und ich ein Bewegungsbedürfnis bei Dir verspüre, versuche ich Dich
ganz sanft in Bewegung zu bringen. Wenn Du sitzt und ich einen Aufwärtsdrang merke,
versuche ich Dir auf die Beine zu helfen. Wenn Du liegst und Dich aufrichten möchtest,
versuche ich Dir zu helfen, Dich in eine bessere Position zu bringen. Ich will Dich dort
abholen, wo Du gerade bist.
 Ich will nicht Dein Lehrer sein, der Dich
lehren will, wie Du zu leben hast.
 Ich will kein Guru sein, der Dir sagt, was
Du tun sollst, um Dein Schicksal zu
wenden.
 Ich will nicht Dein Führer sein, dem Du
blind hinterherläufst.
 Ich will nicht Dein Trainer sein, der Dich
so lange üben läßt, bis Du mich perfekt
kopieren kannst.
 Ich will kein Professor sein, der Dir genau
erklärt, was Dir fehlt.
 Ich will kein Doktor sein, der Dir Rezepte
verschreibt.
 Ich will kein Pfleger sein, der Dir Deine
Verletzungen heilt.
 Ich will und kann kein Therapeut für
Dich sein, der Dir hilft, weil Du dir selbst
nicht mehr helfen kannst.
Die Welt meiner Klienten in meiner Farbe zu streichen
möchte ich tunlichst vermeiden
 Ich kann nicht Dein Geliebter sein, der
Dir schenkt, was Du Dir ersehnst.
 Ich will auch nicht Dein Tanzlehrer sein, der Dir die Art des Tanzes und die einzelnen Schritte vorzeigt, die Du nachmachen und üben sollst, bis Du sie perfekt kannst.
Von einigen diesen Rollen, vielleicht sogar von allen, steckt aber doch ein bißchen in mir.
Ich möchte darauf achten, daß ich mich nicht dazu verführen lasse, in diese Rollen zu
fallen, vor allem nicht unbewußt. Ich möchte mich nicht verführen lassen von meinen
eigenen Anteilen an diesen Rollen, nicht von einer Situation im Beratungsprozeß, und
nicht von Dir, Deinen Bedürfnissen, Deinen Signalen. Andererseits kann es sehr hilfreich
sein, bewußt und für eine begrenzte Zeit in die eine oder andere Rolle zu schlüpfen und
in angebrachter Dosis anzuwenden. Wenn es beispielsweise darum geht, einen Stillstand
zu beenden und Dich in Bewegung zu bringen. Und dann sofort aus dieser Rolle
auszusteigen, wenn diese Wirkung eingetreten ist. Bevor sie Dich zu Abhängigkeit
verleitet, bevor sie für mich zum Selbstzweck wird.
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4 Führen und führen lassen
Ich will Dein Tanzpartner sein, der sich führen läßt von Dir und Deiner Geschichte und
von dem Du Dich führen läßt, solange Du ein bißchen Führung nötig hast. Führung, das
heißt hier Schutz und Halt geben, Vertrauen vermitteln, Hindernissen ausweichen, die
Richtung wiederfinden, Sicherheit gewinnen, damit Du Deinen Weg erkennen und ihm
folgen kannst. Zuerst in Begleitung, dann alleine. Ich will einfach Dein Begleiter sein auf
einem Stück Deines Weges durch Dein Leben.
Wenn ich mit Dir tanze, ist die Hierarchie aufgehoben. Ich stehe nicht über Dir wie ein
übermächtiger Vater, ich stehe nicht vor Dir wie ein bestimmender Chef, ich bin einfach
bei Dir und bewege mich in Deinem Rhythmus, Du kannst mich spüren und Dich doch
frei bewegen.
Ich will mit Dir vielleicht verschiedene Tänze ausprobieren, um herauszufinden, welchen
Du am liebsten tanzt. Es gibt ja beispielsweise systemische Tänze, Gestalt-Tänze,
neurolinguistische Tänze. Es ist meine Aufgabe, für Dich passende Tänze vorzuschlagen,
die mir für Dein Wesen, Deine Problematik, Deine Verfassung, die momentane Situation
geeignet und hilfreich erscheinen.
5 Ein Bild Deiner Welt
Indem ich Deinen Bewegungen folge, versuche ich mir ein Bild von Deiner Welt zu
ertanzen. Indem ich mit dir tanze, bekomme ich eine Idee, wie Deine Welt für Dich sein
könnte, wie Du sie erleben könntest.
Ich versuche, Dich als ganzes Wesen zu erfassen, Dich im Rahmen Deines Umfeldes zu
verstehen und mich davon leiten zu lassen. Ständig versuche ich, mein Bild von Dir und
Deiner Welt zu ergänzen, zu vervollständigen, zu korrigieren, meine Ideen von Deinen
zutagetretenden Mustern, Bedürfnissen, Ressourcen, Wünschen, Zielen, Möglichkeiten
und möglichen Wegen zu Deinen Zielen im Kopf zu behalten.
6 Vertrauen
Es ist mir wichtig, daß Du Vertrauen zu mir haben
kannst. Nur so können wir gemeinsam tanzen. Nur so
wird es Dir möglich, mit mir zu tanzen, Dich dem
Kontakt mit mir anzuvertrauen, meinen Bewegungen,
vielleicht meiner Führung.
Du kannst die Augen schließen, wenn es für Dich
besser ist, um besser auf Deine innere Stimme hören zu
können. Ich achte auf Dich, solange Du sie geschlossen
hast. Du kannst die Augen öffnen, wenn Du wieder
Deinen Blick auf Deine Welt richten willst, um
wahrzunehmen, was auf Dich zukommt, und Deine
Bewegungen daran anzupassen.
- 17 -
7 Beziehung
Während wir miteinander tanzen, befinden wir uns in einer Beziehung. Ich kann üben,
mit Dir in Beziehung zu sein, du kannst üben, mit mir in Beziehung zu sein. Meine
Kompetentz und Sicherheit in Beziehung mit meinen Klienten wird sich festigen. Deine
Fähigkeit, mit anderen Menschen in einer Beziehung zu leben, wird sich verbessern.
Wir kommen uns durch unseren gemeinsamen Tanz nahe, vielleicht sehr nahe.
Unsere Beziehung ist eine Beziehung zwischen zwei Menschen. Das ist ganz wichtig für
unseren Tanz, wenn es für Dich ganz wichtig ist, daß Dir ein Mensch begegnet, der es
Dir ermöglicht, wirklich weiterzukommen, Deinem Ziel näherzukommen. Weil er sich die
dafür erforderliche Zeit nimmt, Dir Aufmerksamkeit, Interesse, Verständnis,
Engagement, Kompetenz und Verantwortung entgegenbringt.
Daher ist es auch eine Beziehung zwischen Berater und Klient. Das wollen wir beide
nicht vergessen, um unser Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Ich will mich nicht von
Dir verführen lassen und Dich nicht verführen zu etwas, was in unserer Beziehung keinen
Platz haben kann. Ich will auf meine eigenen Grenzen, auf meine eigene Energie achten
und auch auf Deine Grenzen achten, und darauf, daß auch Du Deine eigenen und meine
Grenzen respektierst. Ich will nicht mit Dir einen Raum betreten, wo es für Dich oder für
mich gefährlich werden kann.
Der Tanz der Beratung kann immer nur ein Weg, nicht selbst das Ziel sein. Es liegt vor
allem an mir, darauf zu achten.
Im Tanz, in der Bewegung kommen wir auch in Kontakt mit anderen Menschen. Auch
die Beziehung zu diesen Menschen, die Du schon kennst, oder kennenlernen wirst, wird
sich vielleicht verändern oder anders gestalten. Du kannst diese Beziehungen anders
gestalten.
8 Ermutigung
Vielleicht hast Du als Kind nicht tanzen können, nicht tanzen dürfen. Vielleicht hättest
Du dürfen, aber nicht können. Vielleicht bist Du ausgelacht, beschimpft, bedroht,
geschlagen worden, als Du zu tanzen versucht hast. Vielleicht hat man Dir Tänze
aufgezwungen, die Dir fremd waren, Die Du nicht mochtest, so daß Du jetzt auch nicht
tanzen willst. Doch tief in Dir drin ist wohl der Wunsch, Deinen eigenen Tanz zu tanzen,
tanzen zu dürfen, tanzen zu können. Ich möchte Dir helfen, diesem Wunsch
nachzuspüren.
Und wenn Du diesen Wunsch spüren kannst, dann will ich Dir helfen, diesen Wunsch zu
verwirklichen. Ich werde Dich nicht auslachen, wenn es auch anfangs komisch aussehen
sollte.
Vielleicht gelingt es mir, Dich zu diesem Deinen eigenen Tanz zu ermutigen, wenigstens
zu ersten vorsichtigen Schritten. Ich werde versuchen, Dich dabei zu schützen, zu
begleiten, zu stützen, vielleicht auch ein wenig zu führen – solange, bis Du sicher wirst,
bis es Dir Spaß macht, bis Du Deinen eigenen Tanz tanzen kannst.
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9 Zeit und Aufmerksamkeit
Ich will mir Zeit nehmen für den Tanz mit Dir. Soviel Zeit als nötig ist für Dich, so viel
Zeit als möglich ist für mich.
Ich lausche Deinen Worten, ich horche auf den Klang Deiner Stimme, dem Tempo
Deiner Worte, achte auf Deine Gesten, Deine Gesichtszüge, Deine Bewegungen, Deine
Haltung, Deine Kleidung. Deine Augen, Deine Hände, Deinen Atem.
Ich erfahre von Deinen Belastungen, Überforderung, Veränderungen, Verlusten,
Schmerzen, von anderen Personen, von Deinen Gefühlen, Empfindungen, von
Symptomen, Gesundheitsstörungen, von Erlebnissen.
10 Kontakt
Wenn wir guten Kontakt haben, wenn ich Dich spüren kann und Du mich, wenn du
Dich gehalten, sicher, bereit fühlst, dann beginnt unser Tanz. Ich schaue Dich an, ich
schaue auf Dich, ich versuche Deine Worte, deine Gesten, Deine Signale, Deine
Gedanken, Deine Gefühle, Deine Stimmung, Deine Impulse, Deine Wünsche, Deine
Hemmungen zu erfassen. Ich versuche dem Inhalt Deiner Worte zu folgen, aber darüber
nicht die vielen anderen Signale und Botschaften zu übersehen, die Du mir vermittelst.
Wenn wir in Kontakt sind, fühlst Du Dich nicht allein. Du kannst Dich gestützt,
gehalten, geschützt, gestärkt, sicherer fühlen. Vielleicht so viel sicherer, daß Du nun den
Mut aufbringen kannst, Dinge auszuprobieren oder gar zu verändern, die Dir alleine
undenkbar oder zu riskant erschienen sind.
Ich versuche dir soviel Halt und Sicherheit zu geben, dass du selbst in Bewegung
kommen willst und kannst und bleibst.
11 Nähe und Distanz
Unsere Distanz können wir beide bestimmen. Sie soll nicht zu groß sein, sonst geht der
Kontakt verloren. Sie soll nicht zu klein sein, sonst verletzen wir unsere Grenzen. Wir
können die Distanz im Tanz auch verändern, sie kann mal größer werden, um mehr
Freiheit und Selbständigkeit zu versuchen, sie kann mal enger werden, um mehr Schutz
und Sicherheit zu bieten. Wichtig ist, daß die jeweilige Distanz für uns beide und die
Situation paßt.
12 Berührung
Wir sind in Berührung gekommen. Unser Lebensweg berührt sich, Deine Geschichte
berührt mich. Berührung kann Wärme geben, Vertrautheit, Vertrauen, Geborgenheit,
Sicherheit. Damit kann Dein Mut steigen, das zu wagen, was Du alleine vielleicht nicht
riskierst.
- 19 -
13 Bewegung
Tanz bringt Dich in Bewegung. Bewegung bedeutet Veränderung, bedeutet Veränderung
des Standpunktes, bedeutet Veränderung des Blickwinkels, Veränderung der Perspektive,
bedeutet Auflösung von Stillstand, bedeutet Entwicklung. Deine Bewegung bringt
Bewegung in Deine Welt, in Dein Umfeld, bedeutet Veränderung Deines Umfelds.
Durch die Bewegung kommst Du weiter, du bewegst Dich durch den Raum und durch
die Zeit. Die Bewegung für sich bewirkt schon Veränderung – subtil, unmerklich, aber oft
wirksam.
Wenn wir in Bewegung sind, dann folge ich Dir.
Ich lasse mich ein auf Dich, ich folge Deinen Worten, Deinen Gesten, Deinen
Emotionen, Deinen Bewegungen. Deine Bewegungen bewegen mich. Ich versuche, mit
Dir Schritt zu halten, mich auf Dein Tempo einzustellen, mich Deinen Bewegungen
anzupassen.
Wenn Du Dich drehst, drehe ich mich mit. Wenn Du innehältst, versuche auch ich
innezuhalten. Wenn ich das Gefühl habe, Du möchtest einen Schritt machen, dann
versuche ich Dir einen kleinen Impuls zu geben.
14 Impulse
Ich versuche Dich nicht zu ziehen und nicht zu schieben. Meine Impulse sind minimal,
so dass du sie vielleicht gar nicht merkst, sie jedenfalls nicht als unangenehm,
bevormundend, dominierend, bedrohlich, oder gar beängstigend empfindest. Sie sollen
Dich nicht von Deinem Weg abbringen, nicht in eine ungewünschte Richtung lenken. Sie
sollen Dich aktivieren und mobilisieren, wenn ich merke, dass Du danach verlangst. Es
sollen Möglichkeiten sein, denen Du folgen kannst oder auch nicht. Es soll Deine
Entscheidung sein, ob, wie, wohin wir tanzen. Es ist ja Dein Tanz in Deiner Welt.
15 Schritte
Ich achte auf Deine Schritte. Große oder kleine, langsame oder schnelle. Ich versuche,
Dir nicht auf die Zehen zu treten, Dich nicht zu verletzen, mit Dir im Rhythmus zu
bleiben. Schritt für Schritt tanzen wir durch Deine Welt.
16 Feedback
Um in gutem Kontakt zu bleiben, versuche ich auf Dein Feedback zu achten, versuche zu
spüren, worauf Du reagierst.
Ich will Dich nicht drängen, nicht bedrängen. Ich möchte Dir Deine eigenen
Bewegungen ermöglichen. Wenn Du eine Bewegung andeutest, mache ich sie mit. Wenn
sie mir unsicher erscheint, versuche ich sie zu stützen und ganz leicht zu verstärken.
- 20 -
Wenn Du Dich nicht bewegst, versuche ich zu spüren, ob Du Dich eben jetzt nicht
bewegen willst oder kannst. Oft ist es wichtig, innezuhalten, den Moment festzuhalten, in
dem etwas Wesentliches passiert, die Entscheidung zu treffen, wie und wohin es weiter
gehen soll. Wenn ich aber das Gefühl habe, Du möchtest weiter, kannst aber nicht, oder
Du weißt nicht die Richtung, die Du einschlagen sollst, versuche ich Dir kleine Impulse
zu geben, die Dir diese Entscheidung erleichtern oder ermöglichen können. Der erste
Schritt nach dem Stillstand soll von Dir kommen, dann ist es Dein Weg und nicht meiner.
17 Unter-Stützung
Wenn Du unsicher wirst, versuche ich Dir Sicherheit zu vermitteln. Wenn Dich die Kraft
verläßt, versuche ich Dich zu halten. Wenn Dich der Mut verläßt, versuche ich Dich zu
ermutigen. Wenn ich das Gefühl habe, Du überforderst Dich, versuche ich Dich zu
bremsen.
Es kann vorkommen, daß Du den Halt verlierst, daß Du zu stürzen drohst, daß es
momentan zuviel wird für Dich, daß es zu schnell geht. Es kann passieren, daß Du mir
entgleitest, daß Du die Kontrolle verlierst, daß Du am Boden liegst. In diesem Moment
ist es mir ganz wichtig, einfach bei Dir zu sein, Dir das Gefühl zu vermitteln, daß ich
Dich nicht im Stich lasse, daß ich Vertrauen zu Dir habe, daß Du wieder aufstehen
möchtest, Dich zu schützen vor der Umwelt, vielleicht auch vor Deinen eigenen
momentanen Gedanken.
Unseren gemeinsamen Tanz fortzusetzen, verliert momentan an Bedeutung. Es geht
zuerst einmal darum, daß Du selbst Dich wieder aufrichten kannst und willst, daß Du mit
oder ohne meine Hilfe wieder aufstehen kannst, daß Du wieder Lust bekommst,
weiterzutanzen. Vielleicht in einem anderen Rhythmus, vielleicht in eine andere
Richtung, vielleicht mit anderer Körperhaltung. Dein Sturz kann Dir vielleicht bewußt
machen, daß es so nicht weiter gehen kann, daß Du etwas verändern möchtest, und daß
Du erkennst, was Du verändern möchtest und wie Du das angehen könntest. Und das
kann Dir neue Kraft, neuen Mut geben und die nötige Portion Kreativität, diesen neuen
Weg einzuschlagen.
18 Hindernisse
Der Tanz in Deiner Welt ist vielleicht nicht ganz einfach: es kann Hindernisse geben,
große und kleine, starre und bewegliche, es kann eng sein, wir können anstoßen, wir
können anstehen. Es tauchen Personen auf, Erinnerungen, Gefühle. Es kann zu
unangenehmen Begegnungen, Berührungen, Erlebnissen kommen, unangenehm für
Dich, vielleicht unangenehm auch für mich.
Ich versuche zu spüren, wie es für Dich sein könnte, diesen Dingen zu begegnen. Wenn
ich merke, dass es für Dich unangenehm ist, versuche ich Dir Schutz und Sicherheit zu
geben. Damit Du den Mut fassen kannst, Dich diesen Konfrontationen zu stellen.
- 21 -
19 Auch ins Dunkel
Wenn es mir gut gelingt, mit Dir in Kontakt zu bleiben, dann merke ich, es ist gut für
Dich, mit mir gemeinsam in Deiner Welt zu tanzen. Du bekommst das Gefühl,
verstanden zu werden, begleitet zu werden, vielleicht sogar gestützt oder beschützt zu
werden. Nur ganz selten mache ich eine Bewegung, um dich in eine andere Richtung in
Deiner Welt zu lenken. Vielleicht sehe ich ein Hindernis auf uns zukommen, dem ich mit
Dir momentan lieber ausweichen möchte. Vielleicht bekomme ich einen kurzen Blick auf
einen Teil Deiner Welt, den du mir noch nicht gezeigt hast. Es kann sein, dass es dir
schwerfällt, dorthin zu tanzen. Vielleicht ist es unangenehm dort, dunkel, unheimlich,
eng, weit, gefährlich. Deshalb hast Du diesen Teil bisher gemieden. Begleitet, gestützt,
geschützt möchtest Du Dich aber doch auch in diese Landschaft vorwagen. Du möchtest
diesem Bereich Deines Lebens den Schrecken nehmen, damit er Dich nicht weiter
behindern kann auf Deinem Weg.
Monster werden klein, wenn man auf sie zugeht. Das ist leichter, wenn man jemand
neben sich weiß, der es gelernt hat, mit Monstern umzugehen. Aus Monstern können
sogar Freunde werden.
20 Erleben
Durch den Tanz kannst Du vieles versuchen, Du kannst es erleben, nicht nur drüber
nachdenken oder reden. Das Erleben gibt Dir mehr Sicherheit. Was Du bereits erlebt
hast, gerade wenn Du Angst davor gehabt hast, unsicher warst, was Du Dir aber
gewünscht hast, das kannst Du bei der nächsten Gelegenheit mit weniger Angst und
Unsicherheit, mit mehr Bewußtheit und Freude erleben, ja genießen. Und Du wirst nicht
versuchen, solche Erlebnisse bewußt oder unbewußt zu vermeiden, sondern sie zulassen
oder sogar aktiv suchen.
21 Emotionen
In der Bewegung und durch die Bewegung kannst Du Emotionen leichter ausdrücken.
Die Bewegung kann Emotionen auslösen, lösen. Du bekommst ein Gefühl für Deine
Bewegungen, ein Gefühl für Deine Gefühle. Emotionen, die Du zulassen kannst, die Du
ausdrücken kannst, brauchst Du nicht mehr zu unterdrücken, können Dich nicht mehr
niederdrücken. Sie können Dein Leben bereichern.
22 Veränderung
Beim Tanz kann auch etwas passieren. Zum Beispiel ein Stromausfall: Das Licht geht
plötzlich aus, die Begleitmusik verstummt. Das gewohnte Muster wird unterbrochen.
Das kann Angst machen, doch Du bist nicht allein. Aber es kann auch die Chance bieten
zum Nachdenken, zum Wahrnehmen auf anderen Ebenen, zur Neuorientierung. Neue
Perspektiven können neue Möglichkeiten eröffnen, die neue Motivation, neue Lebenslust,
neuen Mut bringen können. Und die Energie, die neuen Möglichkeiten auch anzupacken.
- 22 -
23 Selbständigkeit
Im Tanz kannst Du Deine eigenen Bewegungen finden, kreative, intuitive Bewegungen
statt stereotypen, eingelernten Bewegungen, die vielleicht nicht Deine eigenen sind.
Der Tanz kann einen Rahmen schaffen, der viel Neues ermöglicht. Er kann Dir eine Idee
vermitteln, Dich inspirieren und ermutigen, neue Möglichkeiten ausprobieren.
Du kannst die Richtung wechseln, den Blickwinkel ändern, deine Körperhaltung, das
Tempo variieren. Du kannst Deine Position so wählen, daß Du Dein Ziel und den Weg
vor Augen bekommst. Das Erleben von Veränderung kann verborgene oder ungenutzte
Ressourcen freilegen und fördern. Das kann Deine Kreativität anregen. Du kannst Dir
Raum schaffen für Deine Bewegungen, Dir Mut und Kraft holen für weitere
Veränderungen.
Beim Tanzen kannst Du Dein Ziel anvisieren, hintanzen, dabei aber auf mögliche
Hindernisse achten. Dieser Tanz kann Dich ermutigen, selbständig Entscheidungen für
Dein Leben zu treffen.
24 Loslassen
Wenn Du alleine weiter tanzen kannst und willst, dann lassen wir uns los und tanzen
jeder für sich weiter. Es ist schön, Dir aus der Distanz zuzusehen, wie Du nun selbständig
tanzt. Ich kann Dich jetzt leichter als Ganzes wahrnehmen, Deine Gestalt, Deine
Bewegungen, Dein Umfeld. Vieles hat sich verändert seit unserer ersten Begegnung.
Deine Bewegungen sind sicherer geworden, schöner, ausdrucksvoller, lebendiger,
fröhlicher. Wer weiß es schon, was alles passiert ist seither, was Dir alles geholfen hat,
nun besser tanzen zu können. Es ist mir nicht wichtig, wie groß mein Beitrag dabei war.
Ich freue mich an Deiner neuen Beweglichkeit, und ich erinnere mich gerne daran, wie
wir eine zeitlang gemeinsam getanzt haben, jeder auf seinem Weg, aber eben ein Stück
gemeinsam. Es hat uns beide weiter gebracht. Unsere Wege trennen sich, Du kannst
vielleicht mit neuem Mut, mit neuer Hoffnung, mit Neugier, mit Freude Deinen neuen
Weg beschreiten. Auf mich wartet vielleicht wieder ein Mensch, den ich ein Stück auf
seinem Weg begleiten darf. Wir verabschieden uns, aber es ist kein Abschied für immer.
Vielleicht begegnen wir uns wieder, aber unter anderen Umständen, wie zwei alte
Freunde.
- 23 -
III. Das Familien-Spiel
1
Einleitung
Meine erste Bekanntschaft mit Familienaufstellung machte ich bei einem für mich ganz
wichtigen Kommunikationsseminar. Ich durfte den Vater spielen für drei Seminarteilnehmerinnen, konnte sie in den Arm nehmen, trösten und ihnen das sagen, was ich
gerne meinen eigenen drei Töchtern gesagt hätte. Meine eigene Aufstellung war für mich
sehr berührend, weil die Rollenspielerin meiner Mutter mit meiner Mutter frappante
Ähnlichkeiten in Aussehen, Bewegungen, Ausdruck und auch in Erlebnissen und
gesprochenen Worten hatte. Es war unglaublich für mich, was bei solchen Aufstellungen
zutage kam und wieviel an „Heilung“ passierte. Ganz entscheidend war für mich die
einfühlsame Art der Leiterin der Aufstellung (einer Lebens- und Sozialberaterin), die
immer mit dem arbeitete, was von den Rollenspielern kam, nie Suggestivfragen stellte, der
es also in bewundernswerter Weise gelang, ihre eigenen Ideen und Vorstellungen von der
Familiensituation zurückzuhalten und den Ablauf der Ereignisse nicht zu kontrollieren.
Im Rahmen eines Seminars mußte ich eine gegenteilige Erfahrung machen. Der Leiter der
Aufstellung versuchte, seine Idee durchzusetzen, entsprechende Äußerungen den
Rollenspielern in den Mund zu legen und Bert Hellinger zu imitieren. Die Rollenspieler
machten aber einfach nicht mit. Der Leiter erkannte das offenbar nicht und versuchte
immer wieder, sein Drehbuch durchzudrücken. Es war für mich als Zuschauer schwer
auszuhalten. Weitere Aufstellungen auf diesem Seminar waren aber total beeindruckend.
Rollenspieler bekamen sogar massive körperliche Symptome jener Personen, die sie
verkörperten. Was da ablief, war eine Möglichkeit, wie es gewesen sein könnte. Immer
wieder passiert es naturgemäß, daß die eigene Lebensgeschichte der Rollenspieler ihr
Verhalten im Spiel beeinflussen, ja prägen kann. Das kann sehr hilfreich sein, wenn es
Assoziationen, Erkenntnisse oder „heilende Reaktionen“ beim Aufstellenden auslöst. Es
kann aber auch hinderlich sein, wenn er eine für ihn unpassende Geschichte vorgespielt
bekommt. Und genau das ist beispielsweise in dem oben geschilderten Fall passiert, wo
der Leiter die Aufstellung in seine Richtung lenken wollte. Auch ein mir bekanntes
Ehepaar hat von sehr negativen Erlebnissen durch autoritäre Aufstellungsleiter berichtet.
Diese Erfahrungen brachten mich auf die Idee, die Familienaufstellung den Klienten nur
mit Figuren machen zu lassen. Damit können Fremdeinflüsse durch Rollenspieler
ausgeschlossen werden. Ein weiteres wichtiges Element hat sich dann eher durch die
Praxis ergeben: Mir ist es wichtig, den systemischen Aspekt der Familienaufstellung mit
dem Gestalt-Aspekt zu verbinden: Die Gestalten der Familie – aus der Erinnerung des
Klienten zum Aufstellungszeitpunkt – herausarbeiten und in Beziehung treten zu lassen.
So entsteht auch so etwas wie eine eigene Gestalt der Familie, des Systems. Diese Gestalt
des Systems ist aber veränderbar, zumindestens das Bild, das der Klient von ihr hat. Fast
immer tritt der Wunsch des Klienten nach einem neuen Bild zutage. Fast immer gibt es
eine kreative Lösung, die von den Klienten spontan selbst geschaffen wird, die ihm Kraft
gibt, ihn glücklich, ja manchmal sogar euphorisch macht, also ein großes Veränderungspotential beinhalten kann.
- 24 -
2 Phasen
Üblicherweise gliedere ich die Arbeit in 3 Phasen:

Erstellung des Genogramms

Das eigentliche Spiel: die Aufstellung mit Figuren

Feedback und Reflexion
Manchmal (bei großen Systemen) ist für die Erstellung des Genogramms eine eigene
Sitzung erforderlich. Wenn möglich, versuche ich aber alle 3 Phasen in einer
geschlossenen Einheit abzuwickeln, um die Energie und die Atmosphäre zu nutzen, die
bei dieser Arbeit entsteht. Dafür sind fast immer um die 3 Stunden nötig.
Es kann auch sein, daß sich im Zuge der Arbeit eine Fragestellung herauskristallisiert, die
ein eigenes Spiel mit einem Teil der Personen oder zusätzlichen Figuren nahelegt.
3 Genogramm
Die Erhebung des Genogramms gestalte ich als geführte Erinnerung an die (wichtigen)
Personen der Herkunftsfamilie. Ich beschränke mich nicht auf ein Abfragen der bloßen
persönlichen Daten wie Geburts- und Sterbejahr, Geschlecht , sondern lasse auch die oft
umfangreichen Erzählungen zu, die vom Klienten kommen können. Sie enthalten meist
wichtige Informationen und können auch spontan zu Erinnerungen an wichtige
Eigenschaften, Beziehungen, Erlebnisse und auch schon zu Erkenntnissen führen. Die
Figuren bekommen so für mich, der sie ja erst eben kennenlernt, aber auch für den
Klienten eine oft sehr lebendige Gestalt. Das erleichtert und verkürzt dann die eigentliche
Arbeit mit den Figuren. Ich bekomme so auch einen Überblick und gewisse
Zusammenhänge der beteiligten Personen.
4 Spiel
Erfahrungsgemäß hat jedes Spiel eine eigene, individuelle Note, die ihm vom Klienten,
seiner Situation, seinen Wünschen, seinem kreativem Potential und den äußeren
Gegebenheiten wie Raum und Zeit gegeben werden. Daher versuche ich im folgenden
eine Art Standardablauf zu schildern, der sich im Einzelfall natürlich anders ergeben
kann.
4.1 Auswahl
Meine Mutter brachte mir einmal aus Kleinasien ein Schachspiel mit. Die Figuren sind rot
und gelb und haben eine eigenwillige Gestalt. Die Figuren haben unterschiedliche Größe,
mit Ausnahme des Turms haben sie Gesichter, die Bauern sind kleine Matrjoschkas. Die
unterschiedliche Gestaltung der Figuren läßt die Klienten spontan wichtige
Charakteristika der Personen in die Auswahl der passenden Figur einfließen, was ich als
Berater einfach nur wahrnehmen kann oder auch zum Anlaß der Nachfrage nach der
- 25 -
Bedeutung für den Klienten nehmen kann. Man kann, ja muß die Figuren bei der
Aufstellung in eine bestimmte Richtung blicken lassen (Die Türme haben von mir Augen
bekommen). Dieses Spiel schien mir geeignet für die Arbeit.
Weiters biete ich eine zweite Möglichkeit an: Tierfiguren. Damit können Personen auf
eine andere, vielleicht intensivere Art und Weise charakterisiert und gegebenenfalls mit
(eigenen) Emotionen besetzt werden.
Weiters lasse ich dem Klienten die Auswahl der Arbeitsfläche (Tisch oder Boden), wobei
ich bei Unschlüssigkeit den Boden vorschlage, da erfahrungsgemäß viel Platz vorteilhaft
ist.
4.2 Aufstellung
Nach der Auswahl des
Spiels rege ich den
Klienten an, für die für
ihn wichtigen Personen
passende Figuren
auszuwählen und
aufzustellen. Schon die
Reihenfolge und die
Selektion kann
interessante Aufschlüsse
geben. Auf jeden Fall die
Auswahl der Figuren.
Dabei spielen folgenden Elemente eine Rolle:
Größe, Farbe, Figur, gewisse Gestaltungselemente der Figuren (Spitzen, Hörner),
Ähnlichkeiten mit bereits stehenden Figuren.
Meist sagen die Klienten etwas Wichtiges, während sie die Figur hinstellen. Manchmal
verändern sie sofort die Position, weil sie merken, daß Ort oder Blickrichtung nicht
stimmen oder die Gruppierung mit den bereits stehenden Figuren. Fast immer bleiben
aber die Figuren so stehen, wie sie spontan hingestellt wurden, und das hat sehr oft eine
tiefe Bedeutung oder Beziehung zu der betreffenden Person und ihrem Platz im gesamten
System. Diese Bedeutung wird manchmal sofort bewußt und gelegentlich auch
angesprochen, meist aber erst im Lauf der Arbeit oder nach Abschluß der Aufstellung
deutlich.
Am klarsten wird das beim Aspekt, welche Figur welche Blickrichtung hat, welche
andere(n) Figuren sie ansieht oder zumindest im Blickfeld hat. Ganz wichtig ist auch die
Entfernung, die meist die wirkliche Nähe oder Distanz ausdrückt. Interessant sind auch
die Gruppenbildung und die Anordnung (z.B. in Linien, Kreisen oder Dreiecken). Das
Beziehungsgeflecht des Systems nimmt durch die spontane, oft intuitive Arbeit des
Klienten eine deutliche Gestalt an.
Oft bekommen die Klienten während der Aufstellung der Figuren schon Impulse nach
Korrektur, die ich natürlich zulasse, gegebenenfalls den Auslöser oder die Bedeutung
nachfrage. Fast immer kommen aber schon während der Arbeit Aussagen der Klienten,
die auf Erkenntnisse, neue Sichtweisen, bisher nicht erkannte Zusammenhänge oder auf
- 26 -
Beweggründe für Verhalten von Personen hindeuten oder sogar klar ausgesprochen
werden.
Meist ist es ziemlich klar, wann alle wichtigen Figuren stehen. Manchmal kommen später
noch „Vergessene“ hinzu, entweder spontan auf Wunsch des Klienten oder auf meine
Nachfrage hin.
Wenn die Figuren stehen, frage ich meist nach, ob es jetzt so paßt und lasse ihm Zeit, sein
Werk zu betrachten. Oft kommen vom Klienten bei dieser Betrachtung schon sehr
interessante Aussagen, die auf wesentliche Punkte hindeuten.
Wenn nichts kommt, oder wenn es mir wichtig erscheint, fordere ich den Klienten auf,
sich hinter „seine“ Figur zu setzen (gleiche Blickrichtung) und versuchen zu fühlen, wie
es ihr an diesem Platz in diesem System geht. Wenn es mir wichtig erscheint, lade ich den
Klienten auch ein, sich in andere Personen einzufühlen, z.B. um Verständnis für sie zu
wecken und ihm zu ermöglichen, andere Menschen so annehmen zu können, wie sie nun
mal sind.
4.3 Veränderungsimpulse
Falls nicht der Klient selbst den Wunsch äußert, etwas an diesem Bild verändern zu
wollen, stelle ich die Frage nach Veränderungsimpulsen oder –wünschen.
Dabei treten zwei spezielle Wünsche besonders oft auf: Der Wunsch, aus diesem System
herauszugehen und der Wunsch, die Familie solle einen Kreis bilden.
Ich vermeide es, den Klienten nach irgendwelchen „Lösungen“ suchen zu lassen oder gar
irgendwelche Lösungen anzubieten. Meist ergeben sich Lösungsansätze oder
Lösungsmöglichkeiten aus dem Veränderungsimpuls und dessen kreativer Umsetzung im
Spiel.
4.4 Abschluß
Abschließend bitte ich den Klienten um Feedback, wie es ihm bei der Arbeit gegangen ist,
was es ihm gebracht hat, falls das nicht von selbst vom Klienten kommt.
Wichtig ist mir einfach, daß der Klient ein von ihm gewünschtes neues Familienbild
erschafft und vor sich sieht, daß er selbst merkt, daß er Veränderungen vornehmen oder
sich zumindest wünschen kann.
Mehreren Rückmeldungen einige Zeit nach der Aufstellung konnte ich entnehmen, daß
Veränderungen, die Klienten in ihrem Leben vorgenommen haben, sich auch tatsächlich
verändernd (im positiven Sinn) auf einige andere Familienmitglieder und deren
Beziehungen ausgewirkt hat.
- 27 -
5 Resumee
5.1 Absichten und Wirkungen
Ergebnis ist eine Kreation eines neuen Familienbildes:
-
eine neue Sichtweise des Ist-Zustandes
-
eine Idee vom Wunsch-Zustand
mehr Verständnis für andere Familienmitglieder
neue Handlungsmöglichkeiten
Bewußtwerden und Ausdrücken von Bedürfnissen
Gefühl für Zusammenhänge und Komplexität – und wie man damit umgehen kann
Bewusstseinsentwicklung
Konsequenzen von Damals und Dort zum Hier und Jetzt
Bewusstwerden noch bestehender Fesseln
Erkennen von bisher unerkannten und unerfüllten Bedürfnissen
Bewusstwerden von Prozessen und Zusammenhängen
Erkennen von der Bedeutung des eigenen Handelns (z.B. durch gezielte Rückmeldungen
über Beobachtungen des Beraters)
Erkenntnisse über Zusammenhänge, Wechselwirkungen
Darstellung der Familiengeschichte in einer verständnisschaffenden Weise für die
beteiligten Personen und die Prozesse (nicht be- und verurteilend, sondern beschreibend,
darstellend, gestaltend), die Versöhnung und Loslösung erleichtern und ermöglichen kann
Gewinnen einer Übersicht, eines Überblicks, einer übergeordneten Perspektive, die
wichtig sein kann auch für das aktuelle Verhalten
Erkennen von Familienmustern, von Verstrickungen, von Abhängigkeiten, von Ursachen
und Auswirkungen
Kreativität
eigene Aktivität
gefühlsbetonte oder lustvolle Arbeit
weitestmöglicher Ausschluß von äußeren Einflüssen
Entwicklung von Lösungsansätzen oder Lösungswegen
Förderung der Kreativität und der Auseinandersetzung, der Entscheidungsfreudigkeit, der
Gewinnung von Sicherheit
- 28 -
Identitätsfindung und Orientierung
Beschäftigung mit der eigenen Herkunftsfamilie
Entstehung eines Gesamtbildes der eigenen Familienstruktur
bestimmende Personen und Erlebnisse treten in den Vordergrund
klare Struktur für den Beratungsprozeß auch für Klienten
Förderung der Standortbestimmung und Orientierungsfähigkeit
Ermutigung
Figuren ermöglichen Externalisierung, aber auch Identifizierung und Charakterisierung
Möglichkeit, unangenehme und unbewußte Dinge darzustellen und klarzumachen
Stärkung von Selbstwert und Sicherheit
Erfolgserlebnisse
Aha-Erlebnisse mit großem Veränderungspotential
Würdigung des eigenen Schicksals durch den Berater
Gewinn von Sicherheit in der Charakterisierung und Einordnung von Personen und
Prozessen
mehr Raum und Platz nehmen, mehr im Geschehen drin sein, bessere Übersicht von
oben haben durch Arbeit auf dem Boden
Empfindsamkeit
Entwicklung und Förderung des Gefühls für sich selbst und andere Menschen
Berater
Zugang zum Klienten und seinem System
umfassendes und detailliertes Bild des Klientensystems
Erkennen von Eigenheiten, Stärken und Defiziten des Klienten
- 29 -
5.2 Abgrenzung zur Familienaufstellung nach Hellinger
Die Methode ist dem Familienbrett nachempfunden. Zur Familienaufstellung (nach Bert
Hellinger) bestehen größere Unterschiede, auch wenn es um dasselbe Thema
Familiensystem geht und der Ablauf ähnlich erscheint. Wichtig ist, welche Methode für
den jeweiligen Klienten besser paßt. Das Erleben eines Schauspiels von selbst
ausgesuchten Rollenspielers aus der Zuschauerperspektive und/oder das Einsteigen in
dieses Geschehen kann sehr viel bewußt machen und in Bewegung bringen. Auch die
Feststellungen des Therapeuten und das Durchspielen wichtiger Situationen. Vielleicht ist
eine Aufstellung mit lebenden Personen für Menschen besser geeignet, die selbst eher
unsicher, wenig bewußt, wenig kreativ sind, unter einem großen Leidensdruck stehen,
denen es hilft, ihre Familiendynamik vorerst aus der Zuschauerperspektive zu erleben,
oder auch aus der Sicht eines Spielers.
Beim Spiel mit Figuren hat der Klient mehr die Rolle des Regisseurs, des Dirigenten, er
hat die Möglichkeit den Ablauf zu steuern, Tempo, Themen, Aufmerksamkeit, Zeit zu
bestimmen - was ihm auch helfen kann bei dem Versuch, Ohnmacht, Hilflosigkeit und
Abhängigkeit im realen Familiensystem überwinden zu lernen durch eigenes aktives und
selbstbestimmtes Tun im spielerischen Prozeß.
Vieles wird vielleicht deutlicher bewußt, weil die Ablenkung durch andere Personen und
deren Handlungen, Aussagen, Empfindungen, Emotionen fehlen. Die Figuren erleben
erst etwas, wenn sich der Klient selbst in die Figur einfühlt. Er kann dadurch selbst besser
nachfühlen, was in den anderen vorgegangen sein könnte als beim Betrachten von
Rollenspielern und Rollenspielen. Auch das Tempo und die Richtung wird vom Klienten
bestimmt und nicht vom Therapeuten, den Rollenspielern oder dem Gruppenprozeß.
- 30 -
6 Beispiele
Die folgenden Beispiele aus meiner Übungspraxis sind chronologisch gereiht. Männliche
Klienten konnte ich bisher für eine solche Arbeit leider nicht gewinnen. Die Vornamen
der Klientinnen sind Pseudonyme. Ansonsten habe ich nichts verändert.
Das erste Beispiel war eigentlich keine Aufstellung der Herkunftsfamilie, sondern eine
Aufstellung des derzeitigen Kernsystems. Das beeindruckende Erlebnis und Ergebnis des
zweiten Beispiels war für mich der Anstoß, diese fantastische Methode auch bei anderen
Klienten zu versuchen. Verlauf und Ergebnis waren jedesmal einzigartig, jedoch immer
tief berührend, ästhetisch, kreativ, fruchtbar und motivierend.
Es ist mir wichtig, hier die jeweiligen Prozesse einfach zu beschreiben. Ich habe versucht,
mich dabei auf das Wesentliche mit dem Fokus auf Bewegung und Veränderung zu
beschränken, jedoch die Entstehung dieser wesentlichen Passagen nicht zu vergessen und
die Gestalt der Klientin lebendig werden zu lassen. Dadurch erscheinen manche
Beschreibungen vielleicht lang. Wichtige Passagen habe ich möglichst wortgetreu
dokumentiert.
Es soll sichtbar werden, welche Kreativität und Kraft in den Menschen steckt, die sich
dieser Aufgabe stellen, und was an intuitivem Wissen um Veränderungen und
Lösungswegen schon vorhanden, wenn auch oft verborgen ist. Die Energie, die oft mit
traumatischen Erlebnissen oder chronisch bedrückenden und angstmachenden
Lebensumständen verbunden ist, kann befreit und transformiert die Einleitung einer
Selbstheilungsphase bewirken und mit der erforderlichen Kraft versorgen.
Ich habe versucht, die Beispiele ähnlich zu strukturieren. Im Text sind meine Fragen
fett und kursiv gedruckt, die Antworten bzw. Erzählungen der Klientin in normaler
Schrift, Beschreibung von Ereignissen oder Anmerkungen kursiv.
Unter Tanz ist der gesamte Beratungsprozeß charakterisiert, nicht bloß das hier
beschriebene Familienspiel.
Weiters habe ich jedem Beispiel das Genogramm sowie Schaubilder des
Aufstellungsprozesses beigefügt.
Abschließend habe ich versucht, einige wichtige Aspekte dieser Beispiele in einer
Übersichtstabelle darzustellen:
Motiv:
Spiel:
Themen:
eigene Position:
Dynamik:
Wunsch:
Impuls:
Schlußbild:
Hinderungsgründe:
Ereignisse:
Wirkungen:
Feedback:
Besonderheiten:
Motivation, diese Arbeit zu machen
Art der Spielfiguren
vorgebrachte oder während des Spiels aufgetauchte Themen
Position der eigenen Spielfigur innerhalb des Systems
Dynamik, mit der Klientin arbeitete
Wünsche, die im Spiel auftauchten
Veränderungsimpulse, spontan oder auf Nachfrage
Charakterisierung des Bildes des Systems am Ende der Arbeit
..., die Wünsche oder das Schlußbild zu verwirklichen
besondere Ereignisse während der Arbeit
beobachtete oder erklärte unmittelbare Wirkungen der Arbeit
nach Abschluß der Arbeit
einige Beobachtungen oder Strukturierungen
- 31 -
6.1 Holly – Abgrenzung (März 97)
Aus ihrem Lebensfilm
Holly hat Existenzängste, z.B. die Angst, ihre
ungeliebte Arbeitsstelle zu verlieren. Sie fühlt sich
außer für ihre Tochter auch für ihren Vater, ihre
Chefs und deren Aufgaben und für viele Verwandte
und Bekannte verantwortlich, zerbricht sich den
Kopf für andere Leute, will ihnen helfen und Gutes
tun. Dabei fühlt sie sich aber ständig unter Druck
(Zeit, Geld, körperliche Symptome, Angst vor
Krankheiten und Tod). Sie überfordert sich oft und
fühlt sich dann schlecht und deprimiert, wenn nicht
alles so läuft wie sie sich das vorstellt. Recht leicht
fühlt sie sich persönlich angegriffen, ausgenutzt,
schlecht behandelt, teilweise auch verfolgt. Sie
äußert hin und wieder unter starker Belastung oder
unter dem Eindruck mehrerer zusammentreffender
frustrierender Erlebnisse Todessehnsucht, allerdings
klingt das eher wie ein Hilferuf.
M
†
V
Holly
Ex
FEx
Astrid
Es ist ihr sehr wichtig, daß ihre Tochter Astrid (11) in der Schule gut lernt, weil sie
möchte, daß sie einmal eine bessere Arbeitsstelle bekommt als sie selbst hat. Sie traut
Astrid wenig zu, so wenig, wie ihr selbst offenbar zugetraut wurde, als sie so alt war, und
so wenig, als sie sich selbst jetzt zutraut. Die Tochter wehrt sich jedoch gegenüber
Bevormundung und Drill durch Mutter und Großvater, durch Widerstand und
Gegenangriff oder Anruf bei ihrem Vater.
Den Vater ihrer Tochter (Ex) hat Holly aus mehreren Gründen nicht geheiratet. Er
besucht Astrid häufig (oft auch unangemeldet und gegen ihren Willen, wobei ihm von
ihrem Vater die Stange gehalten wird) und verwöhnt sie oft durch teure Geschenke,
Urlaube und Belohnungen für Schulerfolge. Das kann sich Holly nicht leisten, was ihr
Astrid im Streit dann vorwirft (von ihrem Vater bekommt sie alles).
Von ihrem Vater wurde Holly gedrillt. Lernen bedeutet für sie Drill, sie tut das auch mit
ihrer Tochter, obwohl sie sagt, daß sie das nicht will. Ihren Vater braucht sie, um auf ihre
Tochter aufzupassen, wenn sie noch in der Arbeit ist und hin und wieder am Abend
fortgeht. Er behandelt sie immer noch wie ein kleines Kind, mischt sich immer wieder in
ihre Angelegenheiten ein, verlangt pünktliches Essen und Aufmerksamkeit und
Folgsamkeit, ist andernfalls beleidigt. Sie will ihn nicht verletzen und auch nicht als
Aufsichtsperson verlieren.
Sie wünscht sich zwar einen Mann, dem sie vertrauen kann, der sie beschützt, der ihr
praktische Arbeit im Haus erledigt, träumt auch davon, wenn ihr eine Wahrsagerin das
voraussagt, unternimmt aber keine ernsthaften Versuche, jemand kennenzulernen. Sie hat
große Angst, daß sie wieder auf jemand hereinfällt, der sie verletzen und betrügen könnte.
Sie versucht, Kontakt mit jenen Menschen zu vermeiden, die ihr „nicht gut tun“, und sich
mit jenen zu umgeben, die ihr wohlgesonnen sind. Dabei verwendet sie die
- 32 -
Charaktereigenschaften der Sternzeichen als Orientierung, unpassenden Sternzeichen gibt
sie keine Chance.
Sie beklagt sich zwar oft über ihre Situation, ist sich aber offenbar nicht bewußt, daß sie
selbst sich wohl am meisten im Wege steht. Alle Versuche, ihr dabei zu helfen, bewußter
zu werden, haben kaum nachhaltige Wirkung. Allerdings sind kleine Veränderungen
sichtbar, vielleicht ist es meine eigene Ungeduld, die diese kleinen Schritte nicht
antsprechend zu würdigen weiß.
Das Spiel
Einer dieser Versuche war eine spontane Aufstellung mit Spielfiguren (nicht zufällig aus
dem Spiel „Mensch ärgere Dich nicht“), als sie sich wieder über die Ausweg- und
Hoffnungslosigkeit ihrer Situation beklagte. Ich lud sie ein, für sich, ihre Tochter, ihren
Vater, den Ex (Vater ihrer Tochter) und dessen Freundin Spielfiguren auszusuchen und
auf dem Tisch aufzustellen.
Sie spürte sehr gut, wie sie sich bedroht fühlte, daß ihr Vater zu nahe war und sich
zwischen sie und ihrer Tochter stellte. Auch gegen ihren Ex konnte sie sich nicht
nachhaltig wehren.
Als erster Veränderungswunsch sollte der Ex samt Freundin weg (sie in Ruhe lassen). Der
zweite Wunsch war, den Vater nicht so nahe zu haben – aber sie bräuchte ihn doch noch
und möchte ihn nicht verletzen. Sie stellt ihn schräg hinter sich. Nun fühlt sie sich viel
leichter, weniger unter Druck, vom Vater spürt sie jetzt Rückhalt. Sie hat intuitiv ein gutes
Bild für sich gestellt. Auf die Frage, was sie tun kann, um einen solchen Zustand zu
erreichen, kommt aber das typische „Weiß ich nicht“.
Interessant ist, daß sie – auf mögliche Strategien zur Verbesserung ihrer Situation
angesprochen – immer wieder antwortet: Etwas Kreatives. Sie möchte gerne malen, hat
ein sehr gutes Gefühl für Farben und Farbkompositionen, ihre Bilder ähneln einer
impressionistischen Gemälden mit auffallend wenig klaren Formen und wenig Dynamik.
Sie wünscht sich, gegenständlich zu malen, traut es sich aber nicht zu.
Wirkung
Die Abgrenzung gegenüber ihrem Ex hat sie nach dieser Aufstellung deutlich verbessern
und auch eine Zeitlang durchhalten können.
Der Tanz
Der Tanz mit ihr ist sehr mühsam und langwierig. Mir kommt es so vor, daß wir uns
ständig im Kreise drehen. Meine Versuche, mit ihr vorsichtig aus ihrem Kreislauf
herauszutanzen, waren nur kurzfristig erfolgreich. Sie folgte mir zwar, war aber bei
nächster Gelegenheit wieder in ihren eingefahrenen Geleisen. Manchmal hatte ich sogar
das Gefühl, alleine um sie herumzutanzen, während sie in der Mitte auf dem Boden saß
und ihre Situation beklagte. Allerdings ist mir immer klarer geworden, daß sie wirklich
noch nicht in der Lage ist, nachhaltige Veränderungen anzugehen. Ihre Ängste könnten
noch zu groß sein, ihre Ressourcen noch nicht ausreichend zugänglich. Oft fühlt sie sich
hilflos, ausgeliefert, abhängig, handlungsunfähig, total überfordert, manchmal äußert sie
Todeswünsche. Vielleicht braucht sie noch mehr Zeit oder therapeutische Hilfe.
- 33 -
1. Bild
2. Bild
3. Bild
V
V
Holly
V
Holly
Astrid
Holly
Astrid
Ex
Astrid
Ex
FEx
Möchtest Du noch etwas verändern?Ja, V ist zu nahe,
aber ich möchte ihn nicht verletzen, ich brauche ihn auch
Wo würdest Du ihn hinstellen, wenn es nur nach Dir
ginge, wenn er das verstehen-würde?
34 -( Stellt V hinter
sich - 3. Bild)
FEx
Was fühlt Holly jetzt? Es ist viel leichter, weniger Druck
Was spürst Du jetzt vom V? Rückhalt
Was kannst Du tun, um einen solchen Zustand zu
erreichen? Weiß nicht
Vorschläge: Andere Aufgaben für V mit Astrid, z.B. er solle
ihr etwas lernen, was ihm und ihr Spaß macht; er solle sich
nicht selbst und den andern (Astrid und Holly) Streß
machen, ohne das eigentliche Ziel zu erreichen ...
Holly
Bemerkenswert, wer wen ansieht; paßt das? Ja
Wie fühlt sich Holly? umringt, bedrohlich
FEx steht knapp hinter Ex? Ist von ihm abhängig, sitzt
ihm im Genick
Wie steht V zu Dir? Zu nahe
Und zu Dir und A? in der Mitte, dazwischen
Was möchtest Du am liebsten verändern?Ex samt Fex
sollten weg sein
Wer hätte was dagegen? - A? ja, sie hat ihn gern, sie
bekommt von ihm alles, was sie will
Wo würdest Du ihn sonst hinstellen?(Stellt beide weiter
weg - 2.Bild)
Ex
FEx
6.2 Emily - Kräfte (Mai 98)
Elfi
1937
VV
1906-1976
†
MV
1909
Ulli
1944
V
1938
GVM
M
1943
VM
1908-74
†
Kurt
1937
MM
1911
Klaus
1939
Hans
1941
†
1963
KT
Emily
1966
Birgit
1969
FB
Vorgeschichte
Emily fragte mich nach Möglichkeiten von Familienaufstellungen. Nach einem Seminar sie hat schon viel Einzel- und Gruppen-Selbsterfahrung - sei sie nun reif dafür. Ich gab
ihr ein paar Adressen und erwähnte beiläufig, daß ich Ähnliches schon einmal mit
Spielfiguren gemacht habe. Das wäre ihr eigentlich lieber als mit lebenden Menschen,
zumindest als erster Schritt. Und so vereinbarten wir eine Aufstellung mit Figuren.
Das Spiel
Ich lasse Emily die Wahl, die Aufstellung auf dem Tisch oder am Boden zu machen. Sie
geht auf den Boden. Emily wählt die Figuren sehr sorgfältig aus, versucht, das Wesen der
jeweiligen Person zu berücksichtigen. Sie stellt sie spontan auf den Boden, fühlt dann
nach und korrigiert öfters, bis die Position in Relation zu den bereits am Boden
stehenden Figuren für sie paßt. Sie versucht von selbst, sich in die Figuren einzufühlen,
das gelingt ihr auch sehr gut: Sie setzt sich hinter die jeweilige Figur, um das System aus
ihrer Perspektive zu betrachten und zu spüren. Es kommen ihr immer wieder spontane
Erkenntnisse, die sie zu überraschten Ausrufen („das gibt’s ja nicht“, „schau Dir das
einmal an“, „ja bist du...“, „na das ist aber stark“ usw.) veranlassen. Mehrmals kommen
Emotionen hoch, meist Traurigkeit. Vor allem, als sie sich damit beschäftigt, was ihre
Eltern ihr nicht geben konnten und was sie daran hinderte. In ihren Formulierungen wird
Verständnis und Verzeihen für das Verhalten der Eltern hörbar: Sie schildert die
Verhaltensweisen von Eltern und Großeltern, dabei fallen ihr die familiendynamischen
Kräfte und Verstrickungen ein, aber auch die guten Absichten, die diesen Mustern
- 35 -
zugrundelagen und die Schutzfunktion, die damit für die betreffenden Personen
verbunden war.
Als alle Figuren stehen, hält Emily inne und betrachtet das ganze System schweigend.
Dann sagt sie mit tiefer Traurigkeit in der Stimme: Das ist ja ein riesiger Saustall. Es ist
bedrückend, es hängt eine drohende schwarze Wolke über der Familie.
Anfangs will sie aus der Familie weg, aber etwas hält sie zurück. Sie kommt drauf, daß sie
ihrer Schwester helfen möchte, sich ebenfalls aus den Verstrickungen zu befreien. Dann
merkt sie jedoch, daß ihre Schwester diese Hilfe gar nicht braucht, da sie schon früher
begonnen hat, Distanz zur Familie aufzubauen und sich langsam zu entfernen. Da ist sie
erleichtert und wandert mit ihrer Figur weit weg. Sie braucht viel Platz auf dem Boden,
um die gewünschte Distanz zu erreichen, die für sie gut ist (Auf dem Tisch hätte sie
diesen Platz nicht gehabt).
Einen unerwarteten, aber sehr berührenden Beitrag liefert Emilys Hase, der während der
ganzen Arbeit im Zimmer bleiben durfte und sich lange Zeit diskret im Hintergrund hielt.
Als Emilys Figur weit weg und ziemlich alleine auf weiter Flur steht, hoppelt er genau zu
dieser Figur hin, beschnuppert sie und schleckt sie liebevoll ab. Emily ist ganz gerührt –
ihren Hasen hat sie mir als ihren neuen Freund vorgestellt, von ihrem menschlichen
Freund hat sie sich vor kurzem im Einvernehmen getrennt.
Sie läßt nun alle anderen Figuren dorthin gehen, wohin es sie in ihrer Vorstellung ziehen
könnte. Es entsteht ein sehr schönes Bild: Die „zusammengehörigen“ Paare sind vereint,
fast alle stehen in einem geometrisch ziemlich exakten Kreis, im Zentrum Ulli, die jüngere
Schwester ihres Vaters. Außer ihr ist nur die mütterliche Großmutter innerhalb des
Kreises. Für Emily hat Ulli die Kraft und die Fähigkeit, diesen Kreis zustandezubringen
und die negative Energie der Großmutter zu neutralisieren. Außer Klaus haben zwar alle
die Gesichter nach außen gerichtet, aber die fesselnden Kräfte scheinen aufgelöst, das
Ganze verliert seinen bedrohlichen Charakter.
Die Konfrontationssituation ist aufgelöst: Ihre Eltern sind hinausgegangen und stehen
nebeneinander ohne trennende Schwiegermutter dazwischen. Die väterliche Großmutter
hat sich zu ihrem verstorbenen Mann gestellt, der mütterliche Großvater bekommt seine
heimliche Geliebte. Die Schwester hat ihren Freund, auch Emily stellt sich einen Partner
zur Seite, den sie bald zu finden hofft.
Sie betrachtet dieses Bild, ist selbst fasziniert davon. Sie sagt, die drohende Wolke ist weg,
jetzt ist es wie eine umgekehrte Pyramide, deren Spitze am Boden Ulli ist, in der sich die
ganze heilende Energie konzentriert, wie eine Projektion der göttlichen Energie auf die
Erde.
Auch ich bin total fasziniert von der Arbeit, die sie in diesen 3 Stunden geleistet hat. Mein
Beitrag war eher bescheiden, ich habe neben meinen Aufzeichnungen hin und wieder ein
paar Verständnisfragen gestellt, sie aber weitgehend selbständig tun lassen, was wie von
selbst geschah. Es kam mir vor, als ob sie gleichzeitig zwei Rollen spiele: Eine Klientin
und gleichzeitig ihre Therapeutin mit viel Einfühlungsvermögen und Erfahrung in der
Arbeit mit Familiensystemen.
Feedback 1
Nachdem ich gegangen war, habe sie eine Dreiviertelstunde alleine zu lauter Rock-Musik
getanzt und sich unglaublich gut und befreit gefühlt. Das erzählt sie mir bei unserer
- 36 -
nächsten Sitzung eine Woche danach. Sie habe die Aufstellung alleine noch einmal
gemacht unter dem Aspekt, wie es ihr selbst mit der jeweiligen Person gehe.
Die Dreiecksbeziehungen sind ihr nicht aufgefallen, aber sie sieht das auch so. Ihre
früheren Beziehungen zu Männern waren kurz, intensiv, die Partner weit weg, der
Abschied tränenreich - so brauchte sie nicht Schluß zu machen und auch nicht ihr
Partner. Jetzt weiß sie, daß ihr Traumpartner kommen wird. Sie braucht ihn nicht, damit
er sie aus ihrem Familiensystem herausholt, das mache sie jetzt alleine.
Am meisten in der Familie liebe sie ihre Schwester, sie habe zwar Angst vor der
Entfernung, wüßte aber andererseits, daß die Liebe sie beide zusammenhält – Liebe in
Freiheit und gegenseitigem tiefen Vertrauen.
Feedback 2
Emily erzählt mir, daß sie ziemlich exakt neun Monate nach diesem Familienspiel eine
Familienaufstellung bei einem Seminar gemacht habe. Es war sehr tiefgehend für sie und
auch für die anderen Teilnehmer (10 Männern und 10 Frauen), sie habe nachher zwei
Tage gebraucht, um wieder ihrer Arbeit nachgehen zu können.
Die Themen waren für sie wieder Partner und Loslösen aus der Familie. Erst jetzt war sie
wirklich imstande, aus der Familie zu gehen. Ihre Mutter hatte eine schlimme Woche
hinter sich, ein Krebsverdacht bestätigte sich jedoch nicht, ihr Vater habe erstmals weinen
können. Während dieser schlimmen Woche hatte sie ihren Eltern beistehen können.
Der Tanz
Ich habe sie nie als mögliche Klientin für eine Beratung gesehen, da sie mir von sehr
erfolgreicher Selbsterfahrung erzählt hat. Sie strahlt große Freude und Zuversicht aus, die
ansteckend wirken kann. Mein Tanz mit ihr in der Rolle eines Beraters beschränkt sich
also alleine auf dieses Familienspiel.
Emily wollte tanzen, in einer größeren Gruppe, einen sehr tiefgehenden Tanz
(Familienaufstellung). Ich habe ihr angeboten, zu zweit zu tanzen, sie hat das Angebot
sofort angenommen. Im Tanz hat sie ein Furioso hingelegt und mich so mitgerissen, daß
ich nie die Führung zu übernehmen brauchte. Sie hat keinerlei Impulse gebraucht, da sie
genau fühlte, was sie wollte, wohin sie wollte. Ich war für sie wohl ein idealer Begleiter,
der ihr das gewünschte minimale Maß an Sicherheit und Struktur geboten hat. Der Tanz
mit ihr war so beeindruckend, daß er mich dazu inspiriert hat, diese Methode öfter
anzubieten.
- 37 -
Emily – Aufstellung
H
an
† s
Emily
MM
M
MV
VV
VM
†
Emily
V
†
GVM
Ulli
Klaus
VM
†
Birgit
drohende schwarze Wolke
Gott
Elfi
rt
Ku
- 38 -
FE
Emily
V
H
an
† s
M
Emily – Schlußbild
MV
VV
†
MM
Klaus
Ulli
VM
†
Elfi
GVM
FB
Birgit
t
r
Ku
- 39 -
6.3 Romy – Nähe (Mai 98)
?
?
Walter
1933 ?
Christl
1937 ?
VV
† 1975
Herta
1935 ?
4 Kinder von vier
versch. Männern
mind.
2 Abtr.
†
MV
† 1965
?
?
1952
?
?
V
1931
Brigitte
1954
Romy
1958
VM
† 1946
SVM
Emmerich
1912
MM
† 1982
Fanny
Berta
M
1936
Hartwig
Max
Fritz
Elfi
1933
Erwin
1960-76
Robert
1968
Abtr.
Jürgen
1970
Abtr.
//
Christoph
Markus
Aus ihrem Lebensfilm
Romy hat viele Männerbekanntschaften, aber sie kann nach ihrer Aussage keinen Mann
wirklich in ihre Nähe lassen. Sie sucht sich immer wieder Männer, die auch keine Nähe
zulassen können und dabei entsteht bei ihr der Wunsch, solchen Männern zu helfen.
Mit Romy hatte ich vor diesem Familienspiel schon einige sehr tiefgehende Gespräche
geführt, war in sehr gutem Kontakt und habe schon einiges von ihrer Lebensgeschichte
erfahren. Das hat mich bewogen, ihr dieses Spiel anzubieten. Hier möchte ich einige mir
wichtig erscheinende Passagen wiedergeben.
Das Spiel
Wie fühlt sich die Romy in dieser Aufstellung: schrecklich, eng; sie ist im Zentrum
Was möchte sie sagen: Laßt mich in Ruhe, ich kann nicht immer, wenn ihr das wollt
Wie spürt sie V: er beobachtet mich, wie ich bin und was ich tue; er war nie da für mich
Und M: M steht bedrohlich nahe vor mir, sie tut so, als ob sie schützend vor mir stünde;
sie schaut zu Robert, der vermittelt ihr das Gefühl gebraucht zu werden (Sorgenkind);
auch V nach seinem Unfall braucht sie jetzt, das mag sie; mich hat sie zum Aufpassen auf
die kleinen Brüder gebraucht
Hast Du auf jemanden im Familiensystem Wut? Nur auf M, ich glaube, weil sie
streng und lieblos zu mir war
Was wünscht Du Dir? ein Happy-End
- 40 -
† im Krieg
Erwin
19..
Klaus
19..
Hast Du einen Impuls für die Romy in der Aufstellung? sie möchte ein bißchen
hinaus (zieht ihre Figur Richtung Fanny). Das war eine tolle Frau, ein Diamant in dieser
Familie, Einzelgängerin, weit in ihrer persönlichen Entwicklung, bescheiden, frei von
Neid und Haß, wurde von den anderen belächelt und als „arm“ bezeichnet; ihre ruhige
Art fasziniert mich; sie hat als erste und Einzige zu mir von Frau zu Frau geredet, mir
Tips gegeben (Aufklärung, Kleidung, Frisur, ...)
Was hält Dich zurück, hinauszugehen? das tut man nicht, die Familie läßt man nicht
im Stich, um ein eigenes Leben zu führen.
Woher kommt das? Von den Eltern; V sagte einmal, das wichtigste im Leben ist, von
der Gesellschaft akzeptiert zu werden; er tut alles um den Schein zu wahren.
Fühlst Du Dich für irgendwen oder irgendwas verantwortlich? Nein, aber irgendwie
doch.
Wie ist das mit Deiner „Angst“ vor Nähe? ich habe keinen Freiraum, das Gefühl, ich
muß da sein, muß mich auf die anderen einstellen. In meiner Ehe war es dasselbe: ich
hätte mich aufopfern sollen für den Mann, wie meine M. Familie ist Haufen von
Egoisten. Egoismus: da stellt es mir die Haare auf. Ich versuche, nicht verletzend zu sein.
Ich brauche mehr Distanz, um Nähe zulassen zu können.
Feedback
Ihr Gesicht war nachher verändert, die kaum merkliche Maske der „Gefalltochter“ war
weg, sie wirkte etwas nachdenklich, vielleicht ein wenig traurig (Augen, Mund), aber sehr
gelöst. Mehr sie selbst?
Anruf am nächsten Morgen (ihr 40. Geburtstag !): sie fühlt sich sehr gut, hat gestern noch
viel aufgeschrieben, die Aufstellung war für sie „toll“ und wichtig gewesen.
Der Tanz
Wir kamen gut in Kontakt und harmonierten in der Bewegung anfangs sehr gut.
Allerdings war für sie eine gewisse Distanz sehr wichtig, um die von ihr gewünschte Art
von Nähe zulassen zu können. Immer wenn ich diese Grenze überschritt, bewußt oder
unbewußt, machte sie eine Art von Abwehrbewegung. Anfangs kaum merklich, später
sehr deutlich. Zumindest das hat ihr der Tanz mit mir gebracht, ihre Grenzen deutlich zu
signalisieren. Ich hatte jedoch immer wieder das Gefühl, daß sie vor dem, was sie sich am
meisten wünscht, auch am meisten Angst hat, und daß sie entsprechend reagiert. Das
deckt sich auch recht gut mit ihren Aussagen während des Familienspiels. Mit diesem
Widerspruch zwischen Wunsch und Verhalten habe ich sie unbewußt immer wieder
konfrontiert. Bei einer Übung während eines Seminars entstand eine Situation, die sie
möglicherweise an ein traumatisches Erlebnis erinnert hat. Jedenfalls war diese
Konfrontation dann für sie so stark, daß sie mich um Zeit und Abstand bat und auch
über das, was passiert war, nicht mit mir sprechen wollte. Sie hat mir nur versichert, daß
es für sie wichtig war. Sie zog sich immer mehr von mir zurück und brach schließlich den
Kontakt gänzlich ab. Sie gab mir keine Chance mehr mit ihr weiterzuarbeiten und zu
erfahren, was wirklich dahintersteckte. Vielleicht habe ich ihr durch unseren oberflächlich
betrachtet misslungenen Tanz aber die Möglichkeit geboten, zu erkennen, was sie will,
was sie nicht will, und dass sie das auch deutlich genug artikulieren kann. Auch wenn es
für mich nicht angenehm ist, bin ich bereit, diese Rolle auf mich zu nehmen.
- 41 -
Romy – Aufstellung
Fanny
Renate
in
Erw
†
R
ob
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t
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Romy
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Jürgen
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V
MV
VV
Chris
tl
- 42 -
r
VM
†
6.4 Linda – Druck (Juli 98)
VV
† 1961
VM
Josef
1898-78
MV
† 1953
MM
Maria
† 1962
Altersreihenfolge unbekannt, V war jedoch der Jüngste
Karl
Peter
Sepp
Maria
Barbara
Theresa
Franziska
V
Franz
1930
atin
Erhard
1952
Veronika
1956
Martha
1957
unehel.
Christoph
Barbara
1977
Geschiedener
Rudolf
1962
1980-81
Anna
1981
Linda
1958
Rudi
1941
M
Maria
1936
Franz
1938
Hannes
1966
Klemens
1968
1955
ufp
Ta
?
als Baby
†
Felix
1961
Monika
Stefan
1964
Martin
1976
1986
Simon
1987
unehel.
Sara
Aus ihrem Lebensfilm
Linda stammt aus einer sehr streng religiösen Familie, war lange von der Religion geprägt,
versuchte aber von Anfang an irgendwie ihren eigenen Weg zu finden, was ihr die Eltern
aber absolut schwer gemacht haben. Sie hat einen wesentlich älteren Mann geheiratet, der
selbst massive Probleme hat. Linda hat einen starken inneren Konflikt, das zuzulassen,
was sie sich wünscht und was ihr guttut, weil sie glaubt, sie dürfte das nicht tun. Sie ist
sehr besorgt um ihren Mann und ihre Kinder, vor allem um den Sohn, der auch große
Probleme hat (Neurodermitis, Bettnässen, Aggressivität gegenüber Vater). Ihre Tochter
ist ihr eine große Stütze. Obwohl ihr Mann ihr nicht helfen kann, sogar „gegen“ sie
arbeitet in Partnerschaft und Kindererziehung, sie oft sehr schlecht behandelt, steht sie zu
ihm und versucht ihm zu helfen. Sie steht unter einem Dauerdruck von außen und von
innen. Das macht ihr natürlich viel Angst, die auch zu einem guten Teil aus ihrer
Lebensgeschichte erklärbar ist. Es ist bewunderswert, wie sie für sich, für ihren Mann, für
ihre Beziehung, für ihren Sohn kämpft, wie sie dazu die Kraft aufbringt (durch ihren
Glauben an Gott aber auch an sich selbst). In dem Jahr, seit ich sie kenne, hat sie sich
gewaltig zu ihrem Vorteil verändert. Sie konnte einige Ängste abbauen oder verringern,
leichter auf andere Menschen zugehen und mit ihnen in Kontakt kommen. Ich habe das
Gefühl, sie hat sich geöffnet für sich selbst und andere und ist irgendwie aufgeblüht. Sie
kann den zeitweise massiven Druck dadurch leichter aushalten. Und langsam werden
auch die Probleme mit Mann und Sohn kleiner.
Das Familienspiel habe ich ihr angeboten, nachdem sie mir von ihren Problemen erzählt
hat und von der faktischen Wirkungslosigkeit der Paartherapie mit ihrem Mann.
- 43 -
Bernadette
1977
Das Spiel
Willst Du mit Schachfiguren oder mit Tieren arbeiten? Gibt es einen Igel? Ich bin
ein Igel. Die Stacheln sind Schutz. Als Skorpion habe ich auch einen Stachel, den ich jetzt
nur selten brauche, ich verletze mich auch selbst damit, früher habe ich das oft gemacht.
(Entscheidet sich dann für die Schachfiguren).
Ich schlage vor, die Aufstellung chronologisch zu machen, also mit der Situation
zu beginnen, wo Du auf die Welt kamst: Du, Deine Eltern, Deine beiden
Schwestern.
Ich bin ein Turm. V redet, predigt, macht mir Angst – M tut (Barmherzigkeit,
Nächstenliebe), ich wollte immer so werden wie sie – jetzt bin ich schon so: bin gerne
Mutter und Hausfrau, habe ihre Schrift, mag alte Leute.
Mit 16 wollte ich weg von zu Hause, hatte aber sehr Heimweh. Die jüngeren
Schülerinnen waren selbstbewußter, ich beneidete sie. Diesen Neid habe ich in die Ehe
mitgebracht, jetzt ist er weg, ich weiß nicht seit wann.
Richtige Freundschaften hatte ich erst seit 15 Jahren, auch eine eigene Meinung. Das
Erzkonservative zu Hause habe ich nicht ausgehalten.
Zu V kann ich nicht hin, er ist ein guter Kerl, aber vom Krieg gedanklich eingenebelt, er
hat Angst vor einem neuen Krieg. Er hat sehr strenge Maßstäbe (z.B. über Priester), ist
aber selbst zu feige. Es hat kaum Zärtlichkeiten zwischen den Eltern gegeben, V hat M
kaum gelobt.
M ist streng, hat Angst vor V. Sie hat viel Arbeit gehabt (Haushalt, Kinder, Landwirtschaft, Gemüsegarten), schaffte das mit festem Glauben und Beten, war kaum krank.
Ich bin das 3. Mädchen und hätte schon ein Bub sein sollen, das bekam ich immer wieder
zu spüren.
Felix, mein erster Bruder: Habe jetzt jemand, der mich schützt, aber er kam mit 10 ins
Internat, ich war in der 2. HS.
Du stehst ziemlich im Zentrum. Ich wollte als Kind im Mittelpunkt stehen, habe mich
aber nicht so gefühlt.
Felix ist eher schnell selbständig geworden, hat sich schneller lösen können. Was man mir
zuwenig zugetraut hat, hat man Felix aufgehalst. M hat mir kaum etwas zugetraut.
Den Eltern war christliche Erziehung wichtig (Felix Internat, Veronika+Martha Internat
HS). Ich war nur im 2. Klassenzug, daher kam ich nicht ins Internat. Ich wurde zur Arbeit
herangezogen, Veronika und Martha nicht. Ich hatte verschiedene Arbeitsstellen, das
wurde bei anderen viel mehr toleriert als bei mir.
Stefan hat Ähnlichkeiten mit Simon (Widerstand und Aggression). Ich habe an ihm viel
herumgenörgelt, er hat sich aber durch seine Freundin ziemlich geändert. Ich glaube, daß
ich das jetzt bei Simon wieder gutmachen kann. Simon heißt ja auch Simon Stefan – er
mag Verwandte nicht.
Ich habe mir eine kleine Schwester gewünscht. In der Familie wurde immer ein
Geheimnis um die Schwangerschaften der M gemacht.
V sagte mir: Ja keine unehelichen Kinder – prompt hatte ich eines. Dann sagte er, ich
käme deswegen in die Hölle.
- 44 -
Zu Karl habe ich besondere Beziehung, ist schwarzes Schaf, nicht konservativ.
Es sieht so aus, als ob sich keine 2 Personen anschauen. Ja, niemand wollte zuviel
Nähe. Das war die Distanz, wir gaben uns nur die Hände, es gab keine Umarmungen
oder Küsse. Simon hat sogar das Handgeben lange verweigert. Er kann aber sehr herzlich
sein, wenn er sich über etwas sehr gefreut hat oder beim Abschied, auch meinem Mn
gegenüber.
Spontan stellt sie die Personen um – „wer mir näher steht“.
Feedback
Wie war diese Arbeit für Dich? witzig, viele Parallelen wurden deutlich.
Es gab kaum Bewegung bei der Aufstellung, die Figuren blieben meist so stehen, wie sie
hingestellt wurden.
Der Tanz
Der Tanz mit Linda ist sehr anstrengend und zeitaufwendig – allerdings auch sehr
fruchtbar, sodaß ich die Mühen gerne in Kauf nahm. Sie zeigt einen unglaublichen Mut,
genau die Schritte zu machen, vor denen sie am meisten Angst hat. Sie hat sehr viel
Vertrauen zu mir, ich gebe ihr Schutz, ihr halte sie, wenn sie fällt, und das passierte
mehrmals. Sie weiß, daß ich ihr wieder aufhelfe, sie kommt auch sehr schnell wieder auf
die Beine, und das meist fast alleine. Sie weiß ziemlich genau, wo sie hinwill, vor allem
was sie hinter sich lassen möchte, sie weiß daß es für sie stark und alles andere als einfach
ist – aber sie läßt sich davon nicht abschrecken und ihr Erfolg gibt ihr immer wieder
recht. Sie sagt immer wieder, daß sie in Entscheidungssituationen auf ihre innere Stimme
zu hören versuche und sie immer passende Antworten bekomme. Sie konnte vieles an
sich selbst und dadurch ein wenig auch an ihrem Umfeld verändern. Sie beklagt sich
nicht, daß sie den größten Teil der Belastungen tragen muß. Sie ist zwar eine
anstrengende, aber doch für einen LSB sehr motivierende Tanzpartnerin aufgrund der
sichtbaren tiefgreifenden positiven Veränderungen und des schmeichelhaften, aber
ehrlichen und realistischen Feedbacks.
- 45 -
Linda – Aufstellung
Bernadette
Martin
Felix
Linda
Veronika
Martha
M
Stefa
n
V
Hannes
Klemens
Wer mir näher steht
Linda
M
Klemens
Bernadette
Felix
Veronika
V
Stefa
n
Martha
- 46 -
Martin
6.5 Hilary - Nahrung (Juli 98)
1MMV
†
MV
Josefa
†
VV
†
VM
† 1940
MM
Hilde
† 1942
2MMM
Karl
†
Fritz
Josefa
† 1996
Karoline
V
Franz
1919-1993
M
Hilde
1926
Tante
Berti
1926
Anna
Franzi
1952
Andrea
1957
rsa
a-E
K
Om
K
"Oma"
Adele
† 1976
tz
Sepp
† 1994
TP
Paula
† 1992
Franz
Ta
uf
pa
tin
noch 5 Kinder,
alle früh †
3FK
†
Maria
1957
Elisabeth
1958
Robert
1960
Hilary
1960
1978-1984
Anna
1985
Norbert
1949
PK
Fritz
1985
Bernhard
1986
Nikolaus
1995
Josefine
1997
Genogramm
Was ist Dein Motiv, diese Familienaufstellung zu machen? ich glaube, von M sehr
geprägt zu sein. Immer wieder spiele ich ihre Muster, mache ihre Bewegungen, obwohl
ich es vermeiden möchte. Die Vorgänge mit M übertrage ich auf meinen Mn, obwohl ich
weiß, daß er nichts dafür kann. Er reagiert mit Schuldzuweisungen.
Wenn ich meiner Mutter nicht entsprach, reagierte sie mit Schweigen und Liebesentzug;
ich mußte immer erraten, was in ihr vorging, bekam ein schlechtes Gewissen und traute
mich nie zu fragen.
Wir 3 Schwestern wurden Lehrerinnen, wobei ich „das letzte“ mache, Sonderschule (in
den Augen der M), aber wenigstens Lehrerin. M wollte, daß wir schnell Matura machten
und Lehrerin würden. M war Buchhalterin (mit HaSch). Franz ist Techniker, V sagte zu
ihm, Lehrer sei kein „gescheiter Beruf“. Er spricht das aus, was M nicht sagen kann, er ist
beinhart.
Das Spiel
Möchtest Du Aufstellung mit Schachfiguren oder mit Tieren machen? (Nach
kurzer Überlegung) mit Tieren.
Ich wollte Krankenschwester werden, hätte auch gerne Psychlogie studiert.
- 47 -
Habe mit Robert noch nicht wirklich abgeschlossen. Obwohl er mir sehr viel bedeutet
hat, wollte ich ihn nicht heiraten. Seine Familie ist sehr nett, die hätten sich auch über
mich als Schwiegertochter gefreut. Ich habe aber Angst gehabt, wie meine M zu werden.
Er hat es nicht verstanden, daß ich mich getrennt habe, ist jetzt irgendwie abweisend und
kühl. Er ist jetzt auch verheiratet.
V hatte Parkinson, etwa seit ich 15 war, es wurde lange verheimlicht. Er ist im
Krankenhaus gestorben; der Sterbekult um meinen V störte mich, es war wie eine
Bewachung, man wollte ihn nicht alleine lassen (vor allem Maria und M). Er wurde immer
„ruhiggestellt“, wenn ich bei ihm war, hatte ich das Gefühl, er bekommt alles mit. Ich bin
traurig, daß ich die Zeit mit V nicht genutzt habe. Ich hatte keine männliche
Bezugsperson.
Alles was ich will, muß ich heimlich tun, kann nicht dazu stehen, es könnte ja der Familie
bekannt werden, das wäre eine „Schande“. Zum Psychotherapeuten ging ich z.B. mit
Sonnenbrille. Die Familie war sehr katholisch, alles was dem nicht entsprach, tat ich mit
schlechtem Gewissen wegen Mutters drohendem Zeigefinger
Ich war kein geplantes Kind; meine ersten 6 Wochen war ich von M getrennt (im
Krankenhaus wegen Harnröhrenknick). M war gemein zu mir (weint), und ich habe ihr
heimlich viel zufleiß getan.
Mit der Drohgebärde schützt sich der Gorilla (M) selbst, seine fiktive Welt, die auf sehr
wackeligen Beinen steht.
Wo hätte dich die M gerne: hinter den Kindern (stellt Esel da hin, fühlt sich dort nicht gut,
stellt sich wieder zurück)
Feedback
Diese Arbeit war wohl ziemlich gut für sie: Sie hat mich zum Schluß spontan umarmt und
lange fest gedrückt und gehalten.
Sie konnte offenbar viel aussprechen, was sie sonst nicht sagen kann. Ich habe nur die
wichtigsten Personen aufstellen lassen, dadurch ist das für sie momentan Wesentliche
klarer herausgekommen (Befreiung von M und Robert, Distanz zur Familie,
Verabschiedung von V, Zuwendung zu Norbert). Und habe sie alles erzählen lassen und
wenig lenkend eingegriffen, sie hat viel selbst getan (Veränderungen von Standort und
Ausrichtung der Figuren, Figurenwechsel).
- 48 -
Der Tanz
Es ist faszinierend, wie kreativ, selbstsicher und erfolgreich sie diese Arbeit machte in
Anbetracht der massiven Defizite, die sie in ihrer Kindheit erleiden mußte. Die
Nachwirkungen sind zwar noch spürbar, sie spürt sie ja selbst auch, und doch ist sie fähig
zu einem kreativen und zielstrebigen Tanz. Sie brauchte fast keine Impulse, ich fühlte
mich in ihrer Welt sicher, weil sie sich so sicher darin zu bewegen wußte. Auch wenn ihre
Welt, vor allem der Teil ihrer Kindheit, von viel Dunkel und Kälte gezeichnet war. Ihre
jetzige Welt ist sie dabei ihren Bedürfnissen anzupassen, und dazu trugen wohl dieses
Spiel und auch noch nachfolgende Tanzschritte mit ihr bei. Sie hat die Fähigkeit, sich aus
dem Angebotenen das für sie passende zu nehmen und auch sehr viel
Einfühlungsvermögen, um anderen Menschen schöne und wichtige Dinge zu sagen und
zu schenken.
t
er
ob f
R cha
S
Hilary
Esel
Hilary – Aufstellung 1. Bild
rt
be l
or e
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K
M
Gorilla
Hilary und ihr Mann
Norbert schauen zuerst
parallel zu M
Elisab.
Pferd
Maria
Elefant
M steht zuerst zwischen
Kindern und V, dann
zwischen Hilde und
Geschwistern
Franzi
Löwe
M
Gorilla
Hilary
V
M
Elisabeth
Maria
Franz
Robert
Norbert
Andrea
Esel
Giraffe
Gorilla
Pferd
Elefant
Löwe
Schaf
Kamel
Hahn
schwarz
gelb/braun
schwarz
braun
grau
hellbraun
weiß
braun
weiß
groß
groß
groß
klein
klein
klein
groß
groß
klein
trägt brav seine Lasten
steht über den Dingen, ist nicht präsent
Drohgebärde, schirmt V ab
V e
aff
Gir
emotionell
trägt einiges mit sich (Höcker)
wichtig
- 49 -
t
er
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Hilary
Esel
Hilary – Aufstellung 2. Bild
No
r
Ka bert
me
l
M
Gorilla
Elisab.
Pferd
Andrea
Hahn
Maria
Elefant
Franzi
Löwe
Hilary
Esel
V
Andrea kommt hinzu - ihre Blickrichtung trennt Hilary und die beiden
Männer vom Rest der Familie.
Robert wendet sich von Hilary ab: sie sagt, sie braucht ihn nicht mehr, er
ist eher abweisend zu ihr.
Hilary und Norbert wenden einander zu, Norbert weicht leicht zurück von
M.
Auf die Frage, wo hätte Dich M gerne, stellt sich Hilary hinter Maria und
sagt, dort war sie wohl früher, dort ist es nicht angenehm. Sie stellt sich
wieder zurück, geht dann (mit Norbert) ein Stück von der Familie weg.
- 50 -
e
aff
Gir
t
er
ob f
R cha
S
Hilary
Esel
Hilary – Aufstellung 3. Bild
No
r
Ka bert
me
l
M
Gorilla
Elisab.
Pferd
Andrea
Hahn
Maria
Elefant
Franzi
Löwe
V e
aff
Gir
Hilary und Norbert drehen sich von der Familie weg, Robert dreht sich von Hilary weg.
Hilarys Blick fällt auf den freien Raum vor ihr.
- 51 -
Hilary – Aufstellung 4. Bild
Andrea
Hahn
t
er
ob f
R cha
S
Hilary
Esel
No
r
Ka bert
me
l
M
Gorilla
Elisab.
Pferd
Maria
Elefant
Franzi
Löwe
V
Hilary nimmt Robert und legt ihn sich über den Rücken - es ist für sie keine Belastung,
sondern wie eine Hilfe. Robert fällt aber immer wieder vom Rücken, sie läßt ihn dann
daneben stehen.
Hilary und Norbert bewegen sich von der Familie weg in den freien Raum.
Andrea rückt in Richtung Hilary, der Raum zwischen der bewegten Gruppe und der
Restfamilie wird groß.
- 52 -
e
aff
Gir
Hilary – Aufstellung Schlußbild
Hilary
Pferd
No
r
Ka bert
me
l
Andrea
Hahn
t
er
ob f
R cha
S
M
Elch
M
Gorilla
Elisab.
Pferd
Maria
Elefant
Franzi
Löwe
Hilary und Norbert gehen noch weiter weg, Robert bleibt zurück.
Der Wunsch, die Mutter möge bewußter werden, drückt sich in einer
Verwandlung des Gorilla in einen Elch (mehr Wärme, kann auch geben)
aus, der ihr ein Stück nachkommt.
Hilary verwandelt sich in ein kleineres braunes Pferd (leichter), den Esel
stellt sie zu ihrem V und spricht vom weichen Fell und dem langen Hals
der Giraffe.
- 53 -
V
Hilary
Esel
e
aff
Gir
6.6 Gloria - Versöhnung (Oktober 98)
MV
"Großmama"
1906-1988
VV
†
SVV
1901-1968
VM
1914-1944
MM
"Oma"
1921-1985
SVM
"Opa"
Hubert
??
1942-1942
// 1936
Ida
1928-1990
V
1930-1993
1963/64
Loise
1988-1993
M
1940
Tante
1958-1964
Gloria
1958
Hermann
Susi
1956
Roland
1964
1988
Sandra
1985
Christoph
1989
Aus ihrem Lebensfilm
Gloria hat selbst ziemliche Ängste und den Wunsch nach Harmonie. Wenn andere
Menschen leiden, geht ihr das sehr nahe und weckt den dringenden Wunsch ihnen zu
helfen. Das versucht sie privat und beruflich umzusetzen, ich glaube es gelingt ihr auch
recht gut. Sie lernt immer mehr, sich selbst dabei nicht zu vergessen.
Das Spiel
Wie geht es Dir, wenn Du das Bild ansiehst? Ich möchte M und V
zusammenbringen. Durch Oma und Opa bin ich sehr gestärkt. (Ihre M ruft an). Mich zieht
es zum echten Opa (VV) hin, ich weiß nichts von ihm, einfach nur aus Neugierde.
Wer sieht wohin, wer sieht wen an? SVV sieht M an – er hat sie so mögen wie sie ist.
Aus den Familienstreitereien hat er sich herausgehalten.
Ich schaue in die Leere, das paßt. Ich könnte mich zu Oma umdrehen (dreht die Figur um).
M braucht mich nur, wenn sie mit den anderen zerstritten ist; ich fange nach zehn
Minuten mit ihr zu streiten an, meist nur über Kleinigkeiten. Sie akzeptiert nur das, was
für sie richtig ist, sie ist narzißtisch, kann keine andere Meinung zulassen.
Zwischen 6 und 12 Jahren habe ich fast nichts gegessen (wenn die Eltern dabei waren),
bin abgemagert. Ich wollte, daß sich die Eltern um mich kümmern. Ich war gerne krank,
- 54 -
da konnte ich von der Schule daheimbleiben und bei der Oma auf dem Sofa liegen. Auch
später, als ich schon gearbeitet habe, war ich gerne krank. Der Schulweg war sehr lang,
durch einen steilen Wald, im Winter viel Schnee, in der Schule, war ich die erste Stunde
meist ganz fertig.
Die Scheidung kam „sauber“ überraschend für mich. An dem Tag, als sie es mir sagten,
hatte ich ein Schlüsselerlebnis; Wie waren im Garten in Hallwang, der hat zwei
Gartentüren, V und M standen bei je einer der Türen, beide sagten, „Komm her zu mir“!
Ich wußte nicht, was ich tun sollte und bin zu einem Nachbarn gelaufen und habe mich
hinter der Waschmaschine versteckt. Einen Tag bin ich dann in Hallwang noch in die
Schule gegangen, dann hat mich M nach Braunau zur MM gebracht.
Am 1. Abend meiner Ausbildung habe ich dieses Bild erzählt, ich glaube, ich habe das
schon verarbeitet, aber die Kursleiterin meinte, wenn ich es so emotionell erzählte, hätte
ich es noch nicht verarbeitet.
Glaubst Du das? Nein. Ich habe meinen Eltern verziehen, es ist zwar schwer für mich
gewesen, aber es hat mich stark gemacht, das auszuhalten. Und jetzt habe ich die Kraft,
mich selbst zu heilen. Ich habe meine Eltern in mir vereint. Das Essen ist jetzt ein Genuß
für mich, ich richte auch für mich selbst etwas her.
Ich habe mir lange die Schuld gegeben, daß sie wegen mir heiraten mußten. Ich wollte als
Kind schon immer meine Eltern zusammenbringen. V und M haben nach der Scheidung
nicht mehr miteinander gesprochen, nur schriftlich verkehrt. Bei meiner Hochzeit wollte
ich keine Geschenke, sondern nur, daß V und M miteinander reden. Und dann haben sie
auf meiner Hochzeit miteinander getanzt und fast nur über mich geredet, diskutiert, nicht
gestritten! Es war für mich wie ein Traum der in Erfüllung geht.
Ich habe lange das Gefühl gehabt, es will mir wer etwas Böses antun, es verfolgt mich
wer.
Feedback
Wie war es für Dich? Es war sehr interessant und es ist gut, nicht immer nur anderen zu
helfen, sondern wenn sich einmal jemand meine „Kacke“ anhört.
Der Tanz
Lange Zeit hatte sie auf mich den Eindruck gemacht, sehr gut mit ihrem Leben
zurechtzukommen. Das Familienspiel machte sie eher aus Neugier, sagte sie. Was ich
dadurch von ihrer Lebensgeschichte erfahren habe, hat mich sehr berührt, vor allem das
Gefühl des Verfolgtseins. Ihre Geschichte hat mir deutlich gemacht, wie sehr
Gefühlssituationen und sogar körperliche Symptome der eigenen Lebensgeschichte, vor
allem der eigenen Kindheit, durch das analoge Alter von nahestehenden Personen,
beispielsweise der eigenen Kinder, wieder an die Oberfläche kommen können. Und das
kann so schnell und überwältigend sein, daß man momentan nicht weiß, woher das
kommt.
Vielleicht war es Zufall, aber kurze Zeit nach diesem Spiel hatte sie eine ziemliche Krise
mit massiven körperlichen und seelischen Symptomen. Dabei konnte ich ihr mehrmals
beistehen und auch einen kleinen Beitrag leisten, daß sie sich selbst wieder herausrappeln
konnte.
- 55 -
Einmal rief ich sie in einem für sie kritischen Moment an und machte mit ihr eine
Fantasiereise zur Stärkung von Selbstwert und Sicherheit, wies sie auf die Parallelen ihrer
eigenen Kindheitserlebnisse mit dem aktuellen Alter ihrer Kinder hin. Kurz darauf
informierte ich sie über eine ehrenamtliche Tätigkeit im sozialen Bereich, die sie begeistert
annahm und die für sie offenbar momentan ganz wichtig ist.
Gloria – Aufstellung 1. Bild
VM
MM
"Oma"
M
SV a"
p
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Gloria
V
Ida
MV
"Großmama"
M
SVV
Roland
Roland
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- 56 -
Gloria – Aufstellung 2. Bild
VM
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"Oma"
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MV
"Großmama"
M
SVV
Roland
VV
- 57 -
Gloria – Schlußbild
VM
MM
"Oma"
M
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p
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Gloria
V
Ida
MV
"Großmama"
Gl
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V
M
SVV
M
Roland
VV
- 58 -
6.7 Simone - Mißbrauch (Oktober 98)
VV
†
MV
†
V
Johann
1896-81
??
1886-?
??
jünger
??
jünger
VM
†
MM
†
??
älter
M
Sabina
1917-84
im Krieg †
2/1936
Bruno
1934-71
Berta
1936
Johann
1937
Josef
1939
Lunge, Alk.
Leopold
1941-97
Maria
1943
Frieda
1945
Fritz
1948
Herz
Angela
1949-96
Simone
1950
Walter
Agnes
1953
Christine
1954
Unfall
1971-73
Robert
1972
Genogramm
Deine Geschwister? Wir waren insgesamt 15 Geschwister, 3 sind gleich bei der Geburt
gestorben, 2 dürften Zwillinge gewesen sein. Tut sich schwer beim Erinnern an Namen und
Geburts- und Todesjahre. Alle Großeltern haben im selben Ortgelebt. Hast Du auch in
dem Ort gelebt? Bis zu meinem 10. Lebensjahr, dann bin ich in den nächsten Ort
gezogen. Du bist gezogen? Ich hab müssen, bin zu einem anderen Bauern gekommen.
Bis zu mir haben die Kinder alle zu fremden Bauern müssen. Eltern haben kleine
Landwirtschaft gehabt, konnten sich so viele Kinder nicht leisten. Von dem Bauern bin
ich ausgerissen nach einem halben Jahr, war dann kurz wieder zu Hause, bin dann zu
einem anderen Bauern gekommen und von dort nach Wien, war also nie mehr zu Hause,
außer im Urlaub.
Wie war denn das für Dich, als Du von zu Hause wegmußtest? Ein Schock. Ich
kann mich an nichts erinnern, erst wieder – der Bauer hat mich mit dem Moped geholt –
wie wir fast bei ihm zu Hause waren. Ich sehe mich da von oben auf dem Moped sitzen.
Das Wegkommen von zu Hause war ausgeblendet - erst bei einer Therapie ist mir ein
Bild gekommen, wie es hätte gewesen sein können; da ist viel Wut herausgekommen.
Hast Du dann noch Kontakt gehabt zu Eltern? Ja, bis zum Schluß.
Gibt es sonst noch wichtige Personen, die nicht zur Familie gehören? Personen, die
für mich eine besondere Bedeutung haben? Ja, an die Du dich gut erinnern kannst!
Nicht gute Erinnerungen? Ja, auch.
Beim ersten Bauer habe ich es nicht ausgehalten, sie haben kein Verständnis gehabt für
mich. Nach der Schule mußte ich in Landwirtschaft arbeiten oder auf Kinder aufpassen.
Da bin ich ausgerissen und nach Hause marschiert. Am nächsten Tag hat mich Bauer am
- 59 -
?
1955 †
bei Geburt
gestorben
Schulweg abgepaßt und mir gedroht. Die Eltern stellten mich vor die Alternative,
entweder zu dem Bauern zurückzugehen oder zumindest meine Sachen zu holen. Ich
holte sie und war dann ein halbes Jahr zu Hause. Dann bin ich zu einem anderen Bauern
im selben Ort wie der erste Bauer gekommen. Dort habe ich mich noch schlechter
gefühlt, obwohl ich 2 Jahre dort war. Dort habe ich sexuellen Mißbrauch erlebt.
Selbst erlebt oder mitangesehen? Er an mir. Ich habe gerade einen Vortrag über
sexuellen Mißbrauch an Kindern angehört, beim Vortrag ist es mir ganz gut gegangen,
aber auf dem Heimweg habe ich gemerkt, daß ich es nicht wirklich verarbeitet habe,
(weint), habe noch irrsinnig viel Wut in mir gespeichert habe. Er lebt ja nicht mehr. Habe
mir Gedanken gemacht, wie ich die an den Mann bringen könnte, damit sie an die richtige
Adresse kommt. Weiß nicht, wie ich das anstellen werde und ob ich da überhaupt noch
hineingehen soll oder eine Wutarbeit. Habe geglaubt, es schon verarbeitet zu haben, aber
das habe ich nur verstandesmäßig gemacht (es ist mir nicht wirklich was passiert, jetzt
kannst du das endlich einmal loslassen oder fallenlassen), aber gefühlsmäßig sitzt die Wut
noch tief.
Behindert dich das jetzt noch, wenn du mit Männern zu tun hast? Komme auch
jetzt noch schwer zu meinen sexuellen Gefühlen, da muß ich schon in eine sehr positive
Stimmung kommen, um da reingehen zu können. Und dann passiert es mir auch noch,
daß ich plötzlich wieder draußen bin aus dem Gefühl, hinauskatapultiert, irgendwie im
Kopf, wahrscheinlich damit ich mich mit den negativen Gefühlen nicht
auseinandersetzen muß.
Wie lange warst Du bei dem Bauern? 2 Jahre, und das ist gleich am Anfang passiert,
und dann immer wieder. Ich habe das zum ersten Mal erzählt einer Therapeutin, da war
ich 43.
Du hast es 20 Jahre mit Dir herumgetragen. Hat er dich irgendwie bedroht, damit
Du nichts erzählst? Bei dem Vortrag wurden die Mechanismen aufgezeigt, da habe ich
mich total wiedergefunden, die eigenen Schuldgefühle. Das Ende: der Bauer war sehr
dominant; er hat auf den Amboß geklopft, dann mußte ich in die Schmiede kommen.
Einmal dürfte ich es überhört haben, da kam er fuchsteufelswild in die Küche und hat
mir eine Watsche angedroht. Das dürfte den Widerspruchsgeist in mir geweckt haben, ich
sagte: „Dann hauen Sie her!“ – nichts war. Und von diesem Zeitpunkt an ließ er mich in
Ruhe, vielleicht hat er Angst gekriegt. Früher habe ich mich irgendwie eingelassen drauf,
habe keinen Widerspruch gehabt. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, daß das nicht
in Ordnung war, war damals total unaufgeklärt. Die Eltern waren kirchlich sehr
beeinflußt, über Sex ist nicht gesprochen worden.
...
Habe einen Freund gehabt, habe mich von dem aber getrennt, der hat mich finanziell
ausgenutzt. Als ich Abendhandelsschule begonnen habe, hat das „ihr“ nicht gepaßt,
daraufhin habe ich aufgehört und bin zu meinem späteren Mann gezogen. Habe ihn
geheiratet, als mein Sohn Robert unterwegs war.
Nach der Scheidung habe ich 12 Jahre einen Partner gehabt, der mich schlecht behandelt
hat, hat mich belogen und betrogen, finanziell ausgenutzt, aber nicht geschlagen. Danach
war ich einige Jahre allein, bin dann bei einer Sekte gewesen, in dieser Zeit habe ich
Georg kennengelernt (damals nur Freundschaft). Mit ihm bin ich noch heute beisammen
– seit etwa 3 Jahren in einer Liebesbeziehung. Anfangs war er homosexuell, aber Sex war
bei uns damals völlig ausgeklammert. Nach einigen Lügengeschichten habe ich ihn
hinausgeworfen, nach einigen Jahren haben wir uns wieder getroffen, haben dann auch
- 60 -
sexuell miteinander begonnen. Es war zeitweise eine Katastrophe, er hatte keinerlei
Erfahrungen mit Frauen, auf Berührungsebene; das hat sich inzwischen sehr positiv
verändert, Wachstum bei beiden. Er hat mit seiner Homosexualität gekämpft, er spürt
offenbar immer weniger, daß er das will. Es geht uns gut miteinander, wir können über
alles reden, er ist sehr offen, das habe ich von ihm gelernt. Jetzt geht es mir ganz gut, aber
ich habe irre lang gebraucht, um halbwegs meinen Weg zu finden. Ich weiß, daß ich da
noch einiges aufzulösen habe, um das wirklich zu befreien. Dieser Vortrag hat mich
unbewußt angezogen, weil ich da noch etwas zu tun habe.
Das ist Dir sehr wichtig? Ja, aber der Mann, der mich mißbraucht hat, ist schon
verstorben, aber sein Sohn lebt noch. Das war komisch, der hatte sich damals die Hand
gebrochen, er war zu Hause und ich mußte ihn waschen, er war schon erwachsen. Mit
dem möchte ich Kontakt aufnehmen und ihm das von seinem Vater erzählen, obwohl er
das nicht verantworten muß.
Wie könntest Du Deine Wut am besten loswerden? Würde versuchen, den Sohn
ausfindig zu machen.
Wie würde der reagieren? Möchte wissen, warum ich ihn damals waschen mußte, den
Körper, das habe ich nicht freiwillig gemacht.
Magst Du da weitermachen, es ist ja eine eigene Geschichte, obwohl es für dich
wichtig ist. Nein, das ist eine eigene Geschichte.
Wie ist Dein Verhältnis zu Deinen Schwestern? Außer zu Agnes habe ich zu niemand
Kontakt. Zu Frieda schon, aber ich bin jetzt sehr distanziert. Zu Maria habe ich schon
Kontakt gehabt, aber anläßlich des Todes von Leopold gab es harte Diskussion. Ich habe
zu ihm keinen Kontakt und keinen Gefühlsbezug gehabt und bin daher auch nicht zum
Begräbnis gefahren. Das tragen sie mir bis jetzt nach, ich wollte es ihnen erklären, sie
haben es nicht verstanden. Bei Gesprächen mit Geschwistern ist es nie um Gefühle
gegangen, es war nur sehr oberflächlich. Am ehesten kann ich noch mit Agnes reden, bei
anderen ist das nicht möglich. Vielleicht läuft da aber bei mir etwas, daß ich das nicht
zustandebringe.
Hast Du geschwisterliche Gefühle? Für Fritz, er war mein liebster Bruder, auch zur
jüngsten Schwester denke ich mir, aber es treibt mich doch nichts, nach Hause zur
Schwester fahren. Ich will schon eine Schwester, aber es kommt kein wirkliches Gespräch
zustande, es blockt jeder ab, außer Agnes. Die ist aber krank, hat eine Psychose. Sie hat
jahrelang Wahnvorstellungen gehabt, fühlt sich beobachtet und verfolgt, sagte einmal zu
mir, ich sei ein Mörderin.
Hast Du vielleicht auch solche Gedanken gehabt, die Menschen wollen mir etwas
Böses tun? Eigentlich nicht, ich will die positiven Sachen sehen, ich kann Leuten locker
verzeihen, obwohl immer noch Wut da ist, aber die möchte ich auflösen.
Wäre noch Wut da, wenn Du diesem Mann wirklich verzeihen könntest? Ich weiß
nicht. Vielleicht muß ich noch so einen Prozeß durchgehen, ein bewußtes Setting, um die
Energien zu befreien. Nach ewigen Rachegedanken ist mir nicht, ich will nach vor, nicht
mich ewig hinten in der Vergangenheit festnageln. Es gibt auch den Wunsch, macht doch
alle, was ihr wollt, es geht mich nichts an, und dann gibt es wieder Gedanken, warum
können wir viele Geschwister uns nicht besser verstehen? Ich könnte doch den Versuch
machen, irgendwie an mir zu arbeiten. Aber man muß es den anderen frei lassen, auch an
sich zu arbeiten oder nicht. Über die Kindheit wollen sie nicht reden, sie sagen, das war
eben so bei uns. Die schlechtesten Eltern haben wir auch nicht gehabt. Es war eben eine
große Familie, wo aber einer mit dem anderen nicht wirklich reden konnte über die
- 61 -
eigenen Gefühle, das wird total abgeblockt. Das habe auch ich gemacht, auch heute
teilweise noch, oder ich transportiere sie sofort in den Verstand.
Das Spiel
Du hast jetzt zwar schon viel erzählt, aber stellen wir die Familie doch auf,
vielleicht wird noch einiges sichtbar.
Ein Satz ist in mir aufgetaucht von Agnes: Sei doch eine Mutter für mich!
Was mir aufgefallen ist: Alle schauen nach vorne, keine 2 Personen schauen sich
an. Ja, es gab wenig Kontakt zwischen uns.
Fast alle Kinder Eltern stehen hinter den Eltern, als ob sie die Kinder hinter sich
gelassen haben (Sie mußten sie ja weggeben). Nur die Kinder, für die der Hof
vorgesehen war, stehen vorne? Sepp war vorgesehen für den Hof. Christl hat das
übernommen. Die Eltern haben die Kinder weggeschickt, die Kinder wollten den Hof
nicht, die meisten weggezogen.
Habe mich mehr zum V hingezogen gefühlt, aber keinen wirklichen Zugang gehabt.
Möchtest Du etwas verändern? Sie zögert.
Fühlst Du Dich an der Stelle einigermaßen wohl oder möchtest Du Dich
woanders hinstellen? Ich möchte raus. Stellt ihre Figur raus und dreht sie um. Du schaust
genau auf die Agnes. Sie bleibt im Moment mein Bezugspunkt zu der Familie. Sie hat
den meisten Kontakt zu Frieda. Frieda steht irgendwie im Zentrum. Sie will sie dirigieren.
Wenn sie mich fragt, was soll ich tun, habe ich ihr gesagt, laß Dir nicht alles gefallen von
Frieda, du mußt dich nicht rechtfertigen. Agnes will schon Kontakt zu Frieda, aber Frieda
kommandiert sie herum.
Versucht sie das auch bei anderen? Auch bei mir, aber ich lasse es jetzt nicht mehr zu.
Sie bricht den Kontakt zu mir immer mehr ab. Beim letzten Geburtstag habe ich gesagt,
ich möchte auch über unsere Gefühle reden können, wie es uns wirklich geht. Diese
Versuche scheiterten, außer bei Agnes, da bestehen noch Chancen.
Wo stehst Du jetzt wirklich? Ein bißchen außerhalb, aber ich habe noch nicht
losgelassen.
Was? Ambivalente Gefühle: Schaut her, ich habe euch meinen Weg anzubieten (vielleicht
auch Wunsch nach Anerkennung); andererseits, macht was ihr wollt, ich gehe meinen
Weg.
Was ist dein Weg? Keine Angst zu haben, über Gefühle reden zu können.
Ich bewundere Dich, nach allem was Du erlebt hast, daß Du den Wunsch hast,
Deinen Geschwistern zu helfen, Dir ist ja offenbar wenig geholfen worden.
Vielleicht habe ich schon von Kindheit an diese Elemente in mir gehabt, wie beim
Tanzen der große Kreis, und daß ich das in der Familie immer wollt oder unbewußt noch
immer will. In dieser großen Familie sollten wir einen großen Kreis machen. Eltern leben
nicht mehr, aber unter Geschwistern möglich.
Was müßte passieren, damit es ein Kreis wird? Du kannst es ja einmal versuchen.
Zuerst alle wegstellen, die nicht mehr leben. Du kannst jetzt einmal selbst etwas
machen, dich selbst irgendwo hinstellen. (Stellt sich wieder neben Agnes, wo sie anfangs
stand).
- 62 -
Wo würdest Du Dich hinstellen, damit Du die anderen dazu bringst, einen großen
Kreis zu bilden? (Stellt sich wo hin).
Du schaust jetzt genau in die andere Richtung wie alle anderen. (Dreht sich).
Jetzt schaust Du die Frieda an. (sie lacht).
Was würde die Frieda machen, wenn Du sie anschaust? Da fällt mir jetzt nur Tanz
ein.
Wie würden die anderen jetzt reagieren? Schau mal von oben, was müßte
geschehen, damit ein Kreis entsteht, ohne daß sich allzu viel bewegen müßte? Es
ist ja gar nicht so viel. Hans sehr weit weg, den herholen, bei ihm wird es schwierig sein.
Der Sepp müßte sich nur umdrehen. Würde er das machen? Schwierig. Die Agnes müßte
ein bißchen hineinkommen in den Kreis. ... Die Berta muß sich auch ein bißchen drehen
(Maria?) Die Christl da her und der Kreis ist fertig. Die müssen ein bißchen
zusammenrücken, damit der Kreis runder wird.
Du willst ihn perfekt haben. Eine Gruppe mit neun Leuten, das ist ja gar nicht so
schlecht. ...
Bei einer Familienfeier könntest Du das ja einmal vorschlagen, daß ihr Euch im
Kreis aufstellt und die Hände gebt und gar nichts sagen müßt. Im Jahr 2000 zu
meinem 50. Geburtstag, da lade ich dann alle ein. Das ist eine gute Idee. Werde schauen,
was ich mit meiner Vision mache und doch bei mir bleibe und meinen Weg gehe.
Feedback
Es hat mir wohlgetan, diese Arbeit zu machen, es war gut, über meine Geschichte reden
zu können.
Der Tanz
Wir haben relativ viel Zeit gemeinsam bei Seminaren verbracht, sie hat ziemlich großes
Vertrauen in mich. Öfters konnte ich ihr beistehen, wenn bei ihr Schmerz und Trauer
hochkam. Sie hat mein Angebot angenommen, dieses Familienspiel mit mir zu machen.
Darüber hinaus gab es keine ausdrückliche Beratung. Und doch kommt das, was
zwischen uns in den Seminaren immer wieder passiert, dem beraterischen Tanz ohne
Worte phasenweise ziemlich nahe – vielleicht hat mich das sogar auf die Idee gebracht,
diese Metapher in dieser Arbeit zu verwenden.
- 63 -
Springer
 65
Springer
1 Ohr
Simone – Aufstellung
An
g
ela
ld
Leopo
†
†
Läufer
 61
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Simone
Bruno
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Joh
Si
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Springer
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Frit
 68
Fr
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a
König
 63
Turm
Maria
V
Läufer
 69/70
M
†
(S
 63
Jo
s
ep ef
p)
†
Berta
Christl
hat Hof
übernommen
- 64 -
Simone – Schlußbild
ann
Simone
Ag
ne
s
Joh
z
Frit
Fr
ied
a
Agnes
Frit
z
Ma
ria
Maria
Ch
rist
l
Be
rta
Josef
(Sepp)
Sim
one
n
Johan
Simone möchte ihre
(lebenden) Geschwister in
einem Kreis vereinen
- 65 -
6.8 Elvira – Söhne (März 99)
VV
Karl
1901-69
MV
Maria
1900-86
VM
Josef
1902-67
V
Alfred
1926-85
Rudolf
1920
MM
Maria
1899-76
M
Anna
1929-80
Hilde
1925
Paula
1930
1951-72
Elvira
1952
Kurt
1952
Manfred
1957-58
Ulli
1954
(10 Monate)
Christine
1960
Anita
1963
1964
(Abtr.)
1978
Sabine
1978
Robert
1981
Manuel
1992
VorgeschichteElvira hat mir erzählt, daß ihr Vater lieber einen Sohn an ihrer Stelle
gehabt hätte. Das hat in mir Erinnerungen an die Geschichten zweier anderer Klientinnen
mit derselben Konstellation ausgelöst und die furchtbaren inneren Konflikte, die in
solchen Fällen beim betroffenen Kind entstehen können. Daher bot ich ihr das
Familienspiel an. Wie sich herausstellte, war es aber bei Elvira etwas anders, als ich
vermutet hatte ...
Das Spiel 1: Die Herkunftsfamilie
Schach oder Tiere? Schach.
Sie nimmt zuerst die Figur für MM, dann V und M, danach erst die Figur für sich selbst, und zwar
zuerst die gleiche wie für ihren V (mit Spitz), nach der Auswahl der Figur für Anita tauscht sie sich aus
gegen einen Bauer: Weil wir 2 (ich und Ulli) haben uns gleich geschaut und die 2 (Christine
und Anita), vom Gesicht und von allem, auch vom Wesen. Als alle stehen, sagt sie: Das paßt
überhaupt nicht, das gehört so... und stellt V zu seiner Mutter
Es paßt noch immer nicht; ich habe sie jetzt aufgestellt, damit ich jeden einzeln sehen
kann, und so wie sie zusammengehören; wir waren nie als ganze Familie zum Ansehen
- 66 -
(beinand): wir waren ganz viel mit M allein, V war viel bei seiner Mutter, weil VV schon
bald gestorben. Sie hat ihn oft auch in der Nacht angerufen, und er ist zu ihr gefahren.
Nach der Scheidung war ich mit Anita und V allein im Haus.
Hat V Frauengeschichten gehabt? davon weiß ich nichts, hat nur von neuer Partnerin
gesprochen, davon geträumt, aber das hat er nie verwirklicht. Anita war viel mit V
zusammen, hatte aber schlechtes Verhältnis zu ihm. Es gab sexuelle Übergriffe, wir
mußten uns zu ihm ins Bett legen, er hat uns überall angegriffen. Habe es zwar nicht
mögen, aber geduldet, war folgsames Kind und wollte mir keinen Krieg anfangen. Heute
weiß ich, es war verkehrt. Es ist mir schon als Kind komisch vorgekommen, aber mir sind
viele Dinge komisch vorgekommen. Wenn mir mein Mann auf eine bestimmte Stelle über
der Brust unter der Schulter gelangt hat, habe ich ihn weggetaucht, das habe ich
überhaupt nicht leiden können, habe nur Wut bekommen. Habe ganz lange gebraucht,
um draufzukommen, wo das herkommt (durch Tantra).
Wie alt warst Du damals? etwa 18. Nach dem Fortgehen mußte ich mich zu ihm ins
Bett legen und ihm alles genau erzählen. Das habe ich getan, so dumm war ich damals.
Was hat Anita erzählt? Sie hat ein ganz schweres Schicksal, da ist es mir ja noch gut
gegangen. Sie wurde auf der Maturareise vergewaltigt und schwanger. Das habe ich nicht
mitbekommen, obwohl wir in einem Haus lebten. V hat darauf bestanden, daß es
abgetrieben wird. Anita sagte, das war das Allerschlimmste, was ihr passiert ist. Von da
weg war sie eigentlich tot. Sie ist ausgezogen und ganz verkommen, hat Jobs auf
unterstem Level angenommen, hat aber dann studiert und es geht ihr jetzt nicht schlecht.
Sie hat einen Freund, sie leben aber wie Bruder und Schwester, mit Sex hat sie Probleme.
Wann hat M mit Alkohol begonnen? Die Eltern haben immer gestritten, dann hat V
begonnen, sich selbst zu verwirklichen (Artikel, Glossen schreiben für Zeitung, kleine
Geschichten), hat dadurch freies Leben kennengelernt. Wollte mit 40 etwas erreicht
haben, hat es aber nicht geschafft, bekannt zu werden.
Was hat er geschrieben? Er hat einfach menschliche Begebenheiten verarbeitet, hat das
lustig verpackt. Z.B. daß Paula sexy war; Frauen haben ihn schon immer fasziniert. Er ist
in andere Kreise gekommen, damals hat es in der Ehe schon gekriselt, ich habe es nicht
mitgekriegt. Ich bin mit 16 nach Holland gekommen (Ausbildung 9 Monate). Zwischen
18 und 19 habe ich den Alkohol bei M bemerkt, sie hat einen „Dackelinen“-Blick
bekommen. Vorher hat sie es vertuschen können.
Möchtest Du bei Figuren etwas umstellen?
Ich würde mich sicher allein stellen, bin immer allein gewesen. Ich habe zwar getan, was
von mir verlangt wurde, war aber im Prinzip allein.
Mein Verhältnis zu Anita war sehr zwiespältig. Habe sie als kleines Mädchen sehr mögen.
Aber dann konnte ich mit ihr gar nicht reden. Ich konnte nicht einsehen, daß sie mir
überhaupt nicht helfen wollte und brauchte V als Vermittler. Ich weiß fast nur negative
Erinnerungen an Anitas Kindheit, ich war auch böse zu ihr, habe so eine Wut und Haß
gehabt auf sie, sie hat das tun können, was sie wollen hat und ich nicht. Ich habe ihr nicht
gekocht. Sie hat nicht das getan, was ich von ihr wollte und ich nicht das, was sie
vielleicht wollte. Wir haben uns gegenseitig das Leben schwer gemacht.
Hat V viele Frauen gehabt? Er wollte zuerst Paula heiraten, auch MV hat ihn sehr
mögen. Er hat alles für Frauen getan.
- 67 -
Warum wollte V einen Sohn? Nur als Nachfolger für die Firma. Deswegen hat er mich
immer traktiert, wollte, daß ich die Firma einmal übernehme. Zuerst gab es massive
Vorwürfe, daß ich kein Bub geworden bin, das schlagt immer wieder bei mir durch (z.B.
daß ich nicht schnaufen kann, daß ich einfach nicht will). Ich habe auch eine ganz
schwere Geburt gehabt, war ganz blau.
V wollte, daß wir abgehärtet sind, M das Gegenteil, sie verwärmte uns. Er stellte unsere
Kinderwagen im Winter ins Freie und ließ uns schreien, hat uns mit dem Polster den
Mund zugehalten, wenn wir laut geschrien haben. Wenn ich jetzt noch dran denke, wird
mir ganz anders. Er war furchtbar jähzornig, wenn ihm etwas gegen den Strich ging, auch
mit Kunden.
Wir Kinder haben Rivalitäten zwischen Godi und V gespürt. Heute geht es, ich kann
mich gegen Godi ein wenig behaupten, tue nicht mehr alles, was sie will, und traue mir
das auch zu sagen. Aber ich habe immer noch ein ungutes Gefühl bei ihr, es sind noch so
viele Sachen von früher. Sie hat mit mir lernen müssen, und hat mich immer so gedrückt
wie ich meinen Buben jetzt drücke, also furchtbar, hat mich als blöd hingestellt, weil sie
ist ja so gescheit.
Wir waren nur bei der Oma (MM), bei der anderen waren wir nie, da waren wir nicht
erwünscht, die hat kein Herz gehabt für uns, es war eiskalt.
Tiefschläge und Konkurse gehen durch die ganze Familie (V).
Ich hätte Godi gerne über die Vergangenheit gefragt, aber sie sagt nichts, will das nicht
wahrhaben.
Paula habe ich schon lange nicht gesehen, das ist ein Kapitel für sich.
Habe Ulli gegenüber immer Schuldgefühle gehabt, weil ich ihr das Schönere
weggenommen habe, sie hat es mir oft freiwillig gegeben. Habe diesen Anspruch auch
heute noch, möchte mir oft als erste aussuchen, dann bin ich zufrieden.
Ich habe viel mit meinen Schwestern gespielt, habe keine Freundinnen haben dürfen als
Kind. Haben uns recht gern gehabt, aber auch viel gestritten.
Unser Geschäft haben wir 1984 übernommen und 1993 Konkurs gemacht. V hat es uns
krankheitshalber übergeben (Rauchen, Zucker).
Ich will genau das nicht machen, was meine Eltern taten (Rauchen, Trinken). Auch Ulli
nicht.
Du und Ulli sind die „Starken“, die Christine und Anita die „Schwachen“? Wir
sind immer unter der Knute der Eltern gestanden, die 2 Jungen haben V nicht mehr
gefolgt, sie seien mißraten oder er habe versagt in der Erziehung, sagte er. Christine und
ich waren mehr Mama-Kinder (uns hat er so hergerichtet, wie er wollte), C & A mehr
Papa-Kinder (ihm ähnlich).
M hatte viel Arbeit zu Hause, V war viel auswärts (bei Kunden), dadurch hatte er viel
Freiheit. Ich tue mir heute noch sehr schwer, Kurt im Wirtshaus anzurufen, wenn ich ihn
brauche, obwohl ihm das gar nichts ausmacht. Aber ich weiß noch, wie mein V das
gehaßt hat, wenn M sämtliche Wirtshäuser angerufen hat, wenn sie ihn brauchte. Ich habe
mich immer gewundert, wenn Kurt anders reagierte als mein V. Kurt war für mich VErsatz. Ich war bis 25 total unselbständig, V hat alles für mich gemacht, hat mir gesagt
was ich tun soll.
Behindert Dich heute noch etwas aus der Familie? Godi. Ulli hilft mir, wenn ich
etwas brauche. Aber ich habe bei ihr das Gefühl, sie ist nicht echt; sie hat eher
- 68 -
Mütterlichkeit statt Weiblichkeit, obwohl sie keine Kinder hat. Ich weiß nicht, ob ich sie
herzlich gern habe, das weiß ich bei niemand, ich stehe alleine da.
Wie hast Du Kindheit empfunden? Ich war viel für die kleinen Geschwister da, sie
waren so laut. Für mich selbst habe ich zu wenig Platz und Zeit gehabt, jetzt bin ich
schon dabei, es mir zu genehmigen. Aber auch jetzt ist es noch so: Ich bin den ganzen
Tag zu Hause, könnte das tun, was ich gern mag, aber was tue ich: Waschen, Putzen,
Kochen, nur damit ich das nicht tue, was mir guttut. Ich bin mir selbst im Weg, überliste
mich selbst.
Wer ist das in Dir? Da kommen so Befehle, wie von V und M, du hast das zu tun. Ich
lebe viel mit meinem inneren Programm. Für mich war der Bub, der gestorben ist, nie
wichtig. Für Ulli schon, sie hat gemeint, daß sein Tod die Eltern entzweit hat, und sie hat
daran gearbeitet und für sich die Eltern versöhnt.
Ich war damals schon traurig wie er gestorben ist, aber ich war nicht erwünscht, am Grab
nicht, ich wußte nicht, wo ich hinschliefen sollte. Es ist auch nie über den Tod geredet
wurde, wer starb war weg und aus basta. Wie V gestorben ist, sind wir im Bett gelegen,
und es war ein Loch, eine Leere, weil er uns immer gesagt hat, was wir tun sollten. Ich
dachte, jetzt muß ich mich am Kurt halten, weil selbst weißt Du ja nichts.
Kann ich mir gar nicht vorstellen, so wie Du jetzt auf mich wirkst! Ja , aber das war
sicher so, ich habe es auch jetzt immer wieder, daß ich das kleine schwache Mädchen bin,
das immer gehalten werden will, weil es nichts weiß und nichts kann.
Und was tust Du dann? Dann gebe ich mir einen inneren Ruck, gebe mir Power und
tue und werke. M hat mir nie etwas von ihrem Leben erzählt, sie hat das mit Alkohol
weggespült, ich war ihre Stütze. Aber über ihre Gefühle hat sie mir nichts erzählt. Mit V
habe ich viel Spaß gehabt, obwohl er so streng war, das habe ich damals nicht gemerkt.
Auch wie ich im Internat war, ist es mir so gut gegangen, alle anderen haben geschimpft.
Ich habe alle recht gern mögen, besonders Frauen. M konnte nicht verstehen, daß ich mit
17 noch gar nicht ausgehen wollte.
Daß Du ein Bub hättest sein sollen, war wegen dem Geschäft? Das habe ich nicht
gern hören wollen. V ist mit mir auch zum Frauenarzt gegangen, er war sogar bei den
Untersuchungen dabei. Wir mußten V immer baden und rasieren; wir haben V immer
verwöhnt, Ulli und ich, das haben wir mögen.
Weißt Du, wie das sexuelle Verhältnis der Eltern war? Denkbar schlecht. M hat nach
der Abtreibung gesagt, sie will keine Gebärmaschine sein. Sie war als Frau nicht geachtet,
V hat immer etwas gefunden an ihr, was ihm nicht paßte, sagte, sie sei frigid. Sie war aber
als junges Mädchen sehr fesch und sehr lustig. V hat sich in sie verknallt, als sie
Arbeitskleidung anhatte. Er hat auch mit MM recht gut können, VM hat ihm mißtraut.
Wie er gestorben ist, waren sie total zerstritten wegen Geld. Ich habe das damals nicht
verstanden.
Ist Dir Besitz nicht so wichtig? Ich habe eh keinen mehr. Aber ein Haus hätte ich
schon gern, ich weiß nicht, ob wir es erhalten können. Wenn wir einmal gehen müßten,
wär mir das ein großer Kummer, weils da so schön ist, aber ich kenn ja auch nichts
anderes. Bin schon gern woanders, bin aber am liebsten zu Hause.
Mit Christine war ich schwer zerkriegt wegen einer Kleinigkeit (sie hat einmal mein Sofa
beschmutzt, es aber nicht zugegeben). Ich war damals selbst schwanger zum Robert und
leicht angerührt, wir waren dann lange Jahre verfeindet, aber seit sie einen anderen Mann
- 69 -
hatte und Kinder, ist es wieder normal. Vielleicht war ich so stur damals. Christine wirkt
auf mich auch unecht (unehrlich?), aber sie ist eben so.
Was ist mit Godi? Das sind alte Leute, es geht ihnen schlecht, sie lassen sich nicht
helfen, und wenn, muß es genau so sein, wie sie wollen. Ich mag aber schnell fertig
werden. Ich möchte ihnen nicht schön tun wegen der Erbschaft. Man geht hin, weil man
hingehen muß, aber ich gehe nicht oft hin, sie erzählen immer von anderen Leuten,
wollen nicht hören, wie es mir geht. Alles was ich tue ist nichts, und das will ich nicht
hören, das geht sie nichts an. Was ich schon geleistet habe, hat Godi nie anerkannt. Sie tut
gerne andere Leute ausrichten, schaut aber nicht bei sich selbst. Mit ihm mag ich nichts
zu tun haben, er möchte gerne abgebusselt werden. Mir ist es ein Problem, bei ihnen so
zu tun, wie ich früher getan habe. Wenn ich bei ihnen so bin, wie ich jetzt bin, verstehen
sie es nicht.
Und wenn Du nicht hingehst? Dann jammert sie, warum kommst du nie?
Und wie geht’s dir? Ich denke mir, es ist eine Verpflichtung, sie ist die Schwester meiner
M. Godi hat V nie mögen, vielleicht hat ihr M erbarmt und sie wollte sie vom Alkohol
wegbringen.
Was war eigentlich Dein Motiv, diese Aufstellung zu machen? Ich habe es schon
einmal gemacht, es hat mich wieder interessiert, weil ich schon mehr weiß. Ich habe mich
auch nicht mehr gefürchtet davor, die meisten Leute sind schon gestorben. Nur die zwei
(Godi) sind mir ein Problem. Ich nehme das so ernst, was sie sagt, obwohl ich das nicht
will. Sie hat mich geschulmeistert und ist sehr neidig.
Dein V sagt Dir, was Du tun sollst, und was sagt sie (Godi)? Wie ichs noch besser
machen könnte, oder ich muß das tun, was die Leute sagen. Habe immer noch leichten
Schiß, daß sie etwas weiß, was ich nicht weiß.
Daß es nicht gut genug ist für sie, was Du tust? Daß ich Dessous, verkaufe, habe ich
ihr gar nicht gesagt, das ist ja nichts für sie. Aber für mich schon. Ich ringe immer noch
um Anerkennung, ich komme mir ja so nicht schlecht vor.
Den Eindruck habe ich auch. Von wem wirst Du anerkannt? Von mir selber, von
meinem Mann hoffe ich und auch von meinen Schwestern, vom Opa weiß ich nicht, ist
mir egal.
Und von den Kindern? Ja auch. Vom Bub weiß ich nicht, weil er mich immer verarscht,
aber ich glaube, daß er mich doch recht gern mag.
Hat Godi etwas, was Du an Dir selbst nicht magst? Nein. Aber sie ist recht
scheinheilig.
Machst Du auch noch Dinge, die Du nicht magst? Ja, aber immer weniger. Wie ich
zu sein hätte, aber selbst nicht will. Für ihn (Rudolf) ist Arbeit das Wichtigste. Genau,
vielleicht ist es das, wenn ich nichts arbeite oder ichs mir besser gehen lasse. Ich bin
jahrelang hingegangen und habe erzählt, was ich arbeite. Jetzt nicht mehr, weil ich das
Gefühl habe, es interessiert sie nicht.
Lassen wir es dabei? Ja. Aber ich möchte gerne wissen, was Dir jetzt durch den Kopf
geht.
Meine Gedanken: Dein Vater hat es nicht leicht gehabt. Er hat die Firma für die
Eltern weiterbetrieben. Vielleicht hätte er auch deswegen gerne einen Sohn
gehabt, der das macht, was er selbst nicht konnte. Vielleicht wollte er keine starke
Frau (wie seine Mutter), sondern selbst ein starker Mann sein. Oder er hätte sich
- 70 -
einen starken Vater gewünscht. Er ist an Lungenkrebs gestorben. Vielleicht hat er
keine Luft bekommen. Er hat alles getan, was seine Mutter wollte, alle 2 waren so, auch
sein Vater, sie haben ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen, haben sie vergöttert. V
hat es nicht geschafft, sich von ihr zu lösen.
Vielleicht hätte er sich von Dir gewünscht, daß Du als Bub das schaffst, was er
nicht konnte, sich von der Mutter lösen. Er hat immer gesagt, Du sollst 2 Berufe
haben. Er selbst wollte studieren. Er hat es nicht geschafft seinen Eltern zu sagen, die
Firma mag ich nicht übernehmen. Er ist von seinem Vater streng erzogen worden, der
hat in geschlagen. Wir mußten auf Nudelwalker knien, V wollte unseren Willen brechen,
er hat uns oft schikaniert: „Du darfst erst aufstehen, wenn Du um Verzeihung bittest.“
Wenn ich weinte, sagte er: „das Wasser gehört für die Mäuse“.
Vielleicht hat er mit euch gemacht, was er sich seinen Eltern gegenüber nicht
getraut hat. Ich tue das Gleiche mit meinen Kindern. Manuel hat sich bei der Aufgabe
so gespielt. Der kann mich so reizen, wenn er seine Aufgabe nicht macht, da weiß ich oft
nicht wie ichs anders machen soll. Er hat schon geweint und sich vor mir gefürchtet, da
habe ich aufgehört zu schreien, weil das bringt ja nichts. Die Godi hat mich auch so
sekkiert, und ich gebe es weiter. Wenn es kracht, tue ich mir so schwer, aufzuhören, da
geht es mir dann schlechter wie ihm. Mein V hat für mich einen Heiligenschein gehabt.
Möchtest Du Dir die Situation mit Manuel noch anschauen? Ja.
Das Spiel 2: Lernen mit Manuel
Sie stellt sich und Manuel auf, dazu noch V und Godi. Erst steht Godi neben V, dann stellt sie sie
neben sich. V, Godi und E sehen in eine Richtung, Manuel schaut in die Querrichtung.
Ich mache Druck auf Manuel, aber ich fühle mich angeschoben. Ich möchte nicht
angeschoben werden, aber das bin ich von früher gewöhnt.
Ist das der Druck von V und Godi? Ja, ich sollte das Ganze lockerer nehmen. Manuel
geht jetzt in die erste, vor Weihnachten wars besser, seither ist es ganz schlecht. Genau in
diesem Moment kommt Manuel leibhaftig bei der Türe herein – direkt aus der Schule! Sie begrüßt ihn
sehr herzlich und stellt mich vor. Ich spreche zu ihm:
Jetzt haben wir gerade von Dir geredet, Manuel, und Du kommst bei der Türe
herein. Eine von den 4 Figuren bist Du. Möchtest Du raten welche? Er überlegt lange
und gewissenhaft und sagt: Der! Genau!! E: Super!! Und wo ist die Mama? Manuel zeigt auf
ihren V. E: Nein! Manuel: Auch bei den 4? E: Ja. Manuel zeigt auf Godi. Er weiß genau,
daß das nicht Du selbst bist beim Lernen mit ihm! E: Ach so, ja, genau! Zu Manuel:
Du bist ganz gescheit! Welches Manderl soll Deine Mama sein? Manuel nimmt die
richtige Figur.
Das Spiel 3: Manuel
Manuel übernimmt das Spiel!
Steht die Mama da gut oder möchtest Du sie woanders hinstellen? Manuel stellt sie
sich gegenüber, so daß sie ihn ansieht. Rückt die Figur von V näher zu sich. E: Wer ist denn das?
Manuel: Robert. E: Du kannst Dir auch den Papa holen, wo täte denn er stehen? Nimmt
eine Figur für Kurt und stellt ihn hinter Robert. Er sieht an der Szene vorbei. E: So weit weg? Aha.
Und Sabine? Er nimmt die Figur von Godi und dreht sie so, daß sie ihn ansieht. Du machst das
ja ganz schön!
- 71 -
E: Stimmt das schon, daß Du so weit weg bist vom Papa? Manuel: Okay, er kann da zuwe
gehn. Stellt Kurt schräg hinter E, so daß er sie ansieht.
E zu Manuel: Weißt Du, daß wir zwei ganz beinand sind, hätte ich mir nicht gedacht!
Du hast es auch so schön hingestellt, daß Dich alle anschauen!
Manuel stellt die Figuren plötzlich um, wir müssen wieder fragen, wer wer ist. Manuel: Jetzt paßt
Mama auf mich auf und Papa auf Robert und Sabine. Das ist super wie Du das
machst.
Manuel zeigt auf die restlichen Figuren von der ursprünglichen Aufstellung: Und die da hinten?
E: Die vergessen wir da hinten! - - - Und wie ist das beim Aufgabenmachen?
Manuel: Mit mir? Wenn ich Aufgabe mache? Mama tut nähen, Robert wird wieder
telefonieren, und der Papa – der ist draußen.
Manuel gefällt das Spiel mit den Figuren. Er stellt mit fast allen Figuren seine (halbe) Schulklasse auf.
Feedback
Bin wieder auf sehr viel draufgekommen. Mit Manuel geht es jetzt super, er macht die
Aufgaben wie von selbst, es gibt keine Probleme mehr.
Der Tanz
Der Tanz mit Gloria fällt mir sehr leicht, ich fühle mich sehr sicher. Sie hat schon einen
langen und steinigen Weg erfolgreich hinter sich gebracht, die Defizite der Vergangenheit
gut auf sehr kreative Weise aufgeholt. Bei der Aufstellung war wohl der Anfang mit ihrer
Herkunftsfamilie sicher nicht unwichtig, das Wichtigste passierte durch das Auftauchen
ihres Sohnes im genau passenden Moment und die „Arbeit“, die er dann in ihrer
Gegenwart vollendete.
Nachdem bei ihr alte Existenzängste massiv aufgetaucht waren (sie konnte kaum mehr
schlafen), bat sie mich um Hilfe. Ich machte daraufhin mit ihr eine Fantasiereise zur
Stärkung von Selbstwert und dem Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und
Verbundenheit. Auch an diesem Tag kam der Sohn genau in dem Moment (10 Minuten
später als sonst) aus der Schule bei der Tür herein, als sie von der Fantasiereise
zurückkehrte. Es war sehr gut für sie, ihn gleich in ihre Arme nehmen zu können.
- 72 -
Elvira Spiel 1
die Herkunftsfamilie
14
VV
†
9
VM
†
1
13
MM
†
V
MV
†
†
2
V
†
8
Anita
3
M
†
7
ne
Christi
6
ed
Manfr
†
5
Pa
ula
Ul
li
10
11
Hilde
(Godi)
4
Elvira
Ru
dol
f
12
Die Ziffern geben die Reihenfolge bei der Figurenauswahl an
- 73 -
Elvira Spiel 2
Lernen mit Manuel
V
†
Hilde
(Godi)
Elvira
Hilde
(Godi)
el
Manu
Spiel 3 -Manuel
1. Bild
K
( V urt
)
El
( M vira
)
Spiel 3 - Manuel
2. Bild
Auf wen M und V aufpassen
t
Elvira
(M)
el
Ku
( V rt
)
Manu
Sab
ine
Sab
ine
K
( V urt
)
Rober
- 74 -
Robert
Manu
el
6.9 Helen – Männer (April 99)
VV
August
1913-58
Gustl
1933
MV
Theresia
1915-89
V
Johann
1938
Walter
1943
Hilde
1935-99
VM
Franz
1915-98
MM
Hilde
1917
M
Christine
1940
Margit
1944
Rosmarie
1946
1961
Hansi
10/1961
Helen
11/1962
Karl-Heinz
1962
Abortus
19??
2. Monat
Abortus
19??
2. Monat
Christian
1967
Rafael
1997
Vorgeschichte:
Helen bat mich, eine Familienaufstellung mit ihr zu machen, da sie das Gefühl hatte, ihre
Familie sei ein ziemliches Durcheinander.
Genogramm
Ich bin mit Peter bei MV aufgewachsen, weil M arbeiten gehen mußte, als ich 2 war; habe
mich vor Peter ein bißchen gefürchtet; im Haus von VV+MV waren außer Eltern noch
Walter und die 2 Brüder Hans und Christian.
MV hat mich bevorzugt, wie eigene Tochter behandelt, hat sich um Hansi wenig
gekümmert. Er war auf mich aggressiv. Beide Omas wollten mich vor Hansi beschützen.
Hansi war manchmal ganz gemein zu mir, ich habe dann geweint, die Luft angehalten und
blau geworden. Er hat mich verletzt, ich habe Wut auf ihn gehabt, die aber gegen mich
gerichtet. M ist nach der Geburt von Christian wieder daheim gewesen
- 75 -
Peter
1957
von MV adoptiert
Aufstellung
Schach oder Tiere? mit Tieren wäre es lustig. Wir geben Rafael Schach zum Spielen, er kommt
aber bald, dann tauschen wir. Vielleicht ist es doch besser mit Figuren.
Sie stellt die Figuren ziemlich schnell auf, Rafael kommt immer wieder dazwischen, dann auch noch die
Katze; Rafael geht dann hinaus spielen, aber Helen muß immer wieder nachschauen gehen, weil Rafael
zur Straße gehen will. Die Figur von M macht am meisten mit: erst steige ich fast drauf, dann wirft sie
Rafael um, zuletzt geht die Katze auf sie los. Dann stehen die Figuren doch.
Fällt Dir etwas auf? Es ist keine richtige Ordnung, ich kann aber nicht sagen, wie –
zusammenhanglos.
Du hast 3 Springer genommen, für M und Deine Brüder Sie haben Hörndl, das ist
Aggression; M hatte unterschwellige, unterdrückte Wut.
Worauf? Auf ihre frühere Lebenssituation, sie war nicht gern Hausfrau; sie war
künstlerisch (malte, schrieb Gedichte), hätte gerne den Beruf weitergemacht (Friseurin
gelernt, dann im Büro mit Buchhaltung). Nachdem Christian kam, hat sie nicht mehr
gearbeitet.
Du bist eine Königin Das ist eine Königin? Ich bin die Prinzessin, ich fühle mich so
würdevoll.
Walter ist der König Von der Figur stimmt es nicht, er ist eher klein und ein Dickerl,
aber gelassen, wohltuend, er hat viel gespielt mit uns Kindern, da gab es wenig Spannung,
es war gut, daß er da war.
Also von der Haltung her ein König? Ja.
V ist ein Turm Weil er verschlossen war, nicht zugänglich. Die Oma (MV) ist eher klein,
lieb, rund, häuslich, mütterlich, nicht bewußt, ihrem Mann gegenüber klein; sie war
weicher, liebevoller, gütiger als andere in der Familie.
M und V stehen extrem weit auseinander Ja, M war so weit weg durch ihr
Berufsleben.
Auch emotionell? Ja, und sie wollte nicht Mutter und Hausfrau sein. V war mir näher,
aber verschlossen. Ich habe auch die Eltern als weit auseinander empfunden, sie passen
eigentlich gar nicht zusammen. Die Brüder waren aggressiv auf mich, weil mich Oma
bevorzugt hat, auch die Eltern haben mich etwas hervorgehoben, M war aber auf
Gerechtigkeit bedacht. Ich war trotz (Geburts-)Trauma ein liebes Kind, offen, ein
Sonnenschein.
Wie geht es der Helen (Figur)? Wie ein Vorreiter, wie die Spitze, sie ist alleine,
bewußtseinsmäßig stimmt das.
Wer kann Dir da folgen? Christian, Hansi, V in gewisser Weise auf andere Art, auch M.
Was hat sich bei den Brüdern dadurch verändert? Weitsicht, Dinge hinterfragen,
Gedanken machen, wie geht es ihnen und anderen Menschen; das gilt auch für die Eltern.
V macht viel über Vernunftüberlegungen, wirft mir aber vor, daß ich überhaupt nicht
denke. M hat starke Gefühle, unterdrückt sie aber. Sie wäre gerne eine gute Mutter
gewesen, weint jetzt oft plötzlich und heftig, wenn von Kindheit die Rede ist
Hat M über ihre Kindheit erzählt? Sie ist in Tschechien geboren, auf Bauernhof, im
Krieg ist ihre Mutter mit 2 kleinen Kindern nach Österreich geflüchtet; sie war bei
fremden Bauern und wurde dort schlecht behandelt (mit 4-6 J). Oma hat wegen ihrer
- 76 -
Arbeit ihre Kinder vernachlässigen müssen. Sie konnte auch ihre Kinder nie stillen, nicht
einmal ein paar Tage.
Das machst Du jetzt wieder gut (Helen stillt Rafael immer noch, er ist fast 2. Auch sonst
scheint er fast ihr Lebensmittelpunkt zu sein).
Und ihr Vater (VM)? hat eine schwierige Kindheit gehabt, ist auf einem Bauernhof
großgeworden, mußte als Kind viel arbeiten. Er war ein starker Mensch, ist im Krieg
desertiert, war dann schwer krank, wäre fast umgekommen (Durchfall); hat immer wieder
vom Krieg erzählt, war sehr sensibel.
V war immer ein Einzelgänger, Einzelkämpfer, er läßt kaum jemand an sich heran (in
Familie und Beruf).
Den Männern ist es nicht besonders gut gegangen in dieser Familie Gerade habe
ich genau den gleichen Gedanken gehabt, es stimmt.
Besonders Deine Brüder: Du und die Oma zeigen ihr den Rücken, auch die
Eltern sind weit weg. Nur Walter hat irgendwie Übersicht und schaut auf sie, war
er den Brüdern näher? Ja.
Möchtest Du gerne etwas verändern? Ich möchte, daß die Familie einen Kreis bildet.
Sie tut es auch gleich. Hansi steht erst zwischen V und MV, dann stellt sie ihn zwischen sich und die
M. Sie nimmt auch die restlichen Onkel und Tanten dazu. Peter steht erst außerhalb, dann paßt er
genau in die Lücke zwischen der väterlichen und mütterlichen Seite, genau Helen gegenüber.
Helen muß nun weg, wir sind trotz der Störungen rechtzeitig fertig geworden. Für ein Feedback bleibt
keine Zeit mehr.
Feedback
Nach ein paar Tagen ruft sie mich an, ich frage sie nach dem Familienspiel: Es hat eine
starke Wirkung gehabt, vor allem der Kreis. Es hat mich glücklich gemacht, in mir ist
Harmonie entstanden. Dieses Bild war gut für mich, auch wenn es wahrscheinlich nicht
passieren wird. Ich sage ihr noch, daß ich glaube, daß Rafael in ihrem Leben momentan
ziemlich im Mittelpunkt steht. Sie bestätigt das, er gibt ihr das, was sie von Männern (von
denen sie enttäuscht ist), nicht bekommen kann. Er gibt ihr das Gefühl, gebraucht zu
werden und ist auch oft ganz lieb zu ihr, wenn sie traurig ist.
Der Tanz
Der Tanz mit ihr ist bisher wie mit einer guten, vertrauten Bekannten. Sie hat viel
Vertrauen zu mir. Vielleicht konnte ich ihre Enttäuschung über „die Männer“ ein bißchen
relativieren. Sie erzählte mir von einem Traum, den sie hatte, nachdem sie ein
homöopathisches Mittel gegen Traurigkeit genommen hatte: In diesem Traum gab es
Teufel, die anderen Menschen Verletzungen zufügten, und diese verletzten Menschen
wurden auch zu Teufeln, die dasselbe taten. Sie selbst war aber kein Teufel, sie hat das
Ganze beobachtet, sich selbst aber nicht wahrgenommen.
Kurz danach erzählte sie mir von einem schweren Autounfall, den sie selbst in Eile durch
Unachtsamkeit verursacht hatte. Sie und Rafael blieben wie durch ein Wunder unverletzt.
- 77 -
Helen – Aufstellung
V
Helen
MV
M
V
Hansi
Christian
Peter
Walter
VV
Königin=Prinzessin
Bäuerin
Springer
Turm
Springer
Springer
Läufer
König
Läufer
4
VV
†
MV
†
2
len
He
Han
si
1
5
Christi
an
6
Wa
lter
Pet
8
er
7
VM
†
M
3
MM
- 78 -
Helen – Schlußbild
MV
†
VV
†
Hansi
V
Gu
stl
M
Walte
r
Hansi
Peter
Helen
VM
†
Ch
rist
MM
arie
sm
Ro
Hilde
†
Margit
Peter
- 79 -
ian
Motiv
Spiel
Themen
eigene
Position
Dynamik
Wunsch
Impuls
Schlußbild
Holly
Emily
Romy
Linda
Hilary
Gloria
Simone
Elvira
Helen
Wunsch nach
Verbesserung ihrer
Situation
Spielfiguren
Mißtrauen
Bedrohung
Abgrenzung
Bereitschaft zu
Familienaufstellung
Neugier
Erfolglosigkeit von
Paartherapie
Ablösung von Mutter
Neugier
Neugier
Familie ziemliches
Durcheinander
Schach
Ablösung
Partner
Schach
Nähe zu Männern
Erfüllung der
Erwartungen anderer
vom V benutzt
Schach
Religion
Selbstwert
Ängste
Mangel an Wärme
Schuldgefühle
zentral (Wunsch)
Tiere
Ablösung von M
Abschluß mit
Jugendfreund
Essen
Trennung von V
Rand, nach innen
gerichtet
sehr viel Bewegung und
häufige Verwandlung
der Figuren
Schach
Krankheit als Appell
Angst vor Verlassenwerden und Verfolgg.
Kindheitstraumen
Schuldgefühle
Am Rand, doch dort in
der Mitte
anfangs wenig
Schach
Kindheitstraumen
Mißbrauch
Ängste
Aufarbeiten
Neugier, keine Angste
mehr
Problem Tante/Onkel
Schach
Identität als Mädchen
und Tochter
Abhängigkeit von V und
Tante
Pflichtgefühle
Rand
ziemlich allein
viel Bewegung und
Veränderung
Sohn übernahm das Spiel
Muster loswerden
Projektion auf Mann
beenden
Zuwendung zu Mann
Abwendung von Fam.
Bewegung zum V
mit Mann von M gelöst
Trost beim V und für
den V
Eltern versöhnen
über Gefühle reden
Schwester helfen
Familienkreis
hinausgehen (nach
Zögern)
Muster durchbrechen
Besseres Lernen mit
Sohn
keine eigenen
Familienkreis
Lernen mit Sohn
Kreis
Pflichtgefühle
noch nicht nachgefragt
zentral
Rand, nach außen
gerichtet
Veränderungen nur nach spontan
Aufforderung
viel aus probiert und
verändert
in Personen eingefühlt
Distanz
weg aus dem „Saustall“
Rückhalt
Kreativität
andere sollen sich
weggehen
ändern
Schwester helfen
zentral (eng)
mehr Distanz
Hinderungs- Mutlosigkeit
Abhängigkeit
gründe
Kreis
Neutralisierung der
„Bösen“
Paarbildung
Kraft der „Guten“
Sorge um Schwester
kaum Veränderungen
viel erzählt
kaum Bewegung
Happy-End
Ablösung von Eltern
hinausgehen, zu Vorbild
wer mir näher steht
keines
wer mir näher steht
Familie läßt man nicht im
Stich
eher zentral
wenig
Zur Oma hinwenden
Eltern vereinen und
selbst dazustellen
Vereinigung von V und M Kreis
mit ihr im Zentrum
Schuldgefühle
Schach
Beziehung zu Männern
Sohn als
Lebensmittelpunkt
vorne, alleine
viel Unruhe und
Veränderung
Familienkreis
Existenzangst
ihr Hase schleckt ihre
Figur liebevoll ab
Ereignisse
Wirkungen
bessere Abgrenzung
Gefühl des Befreitseins
Feedback
interessant
Liebe zur Schwester
Partnerbeziehungen
Besonderheiten
viele
Dreieckskonstellationen
(2 Frauen 1 Mann)
M ruft an, als sie Thema
ist
„Maske“ der
Gefalltochter abgelegt
toll gefühlt, viel
aufgeschrieben
viele uneheliche Kinder
auf V-Seite
Mut für Veränderungen eigene Kreativität,
eigenen Wert gespürt
witzig
spontane Umarmung
viele Parallelen deutlich
geworden
Figuren sehen sich nicht für sie wichtige
an
Menschen stehen ihr
näher – außer V
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Selbstwertstärkung
Sohn kommt genau in
dem Moment. als wir von
ihm sprechen
Sohn übernimmt
Aufstellung
wichtig, über ihre
Lernen mir Sohn
Gefühle reden zu können wesentlich verbessert
hat ihr wohlgetan
neue Erkenntnisse
interessant
gut, sich helfen zu
lassen
gespaltene Familie (V und alle sehen nach vorne
Generationslinien
M-Seite)
Kinder hinter den Eltern
außer HofaspirantInnen
Sohn dominiert die
Aufstellung
Mutter wird mehrmals
umgeworfen
Harmonie- und
Glücksgefühl
Bild des Kreises war gut,
wenn auch unrealistisch
ungünstige Positionen
der Männer (außer 1
Onkel)