01.04.13, Präses Annette Kurschus

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01.04.13, Präses Annette Kurschus
01.04.13, Präses Annette Kurschus
Osterpredigt über Jesaja 25,8-9
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, der uns tröstet, wie einen seine Mutter
tröstet, und von Jesus Christus, unserm Herrn,
der dem Tod seine letzte Macht
für immer genommen hat.
Liebe Ostergemeinde! Es war meine erste Beerdigung als junge Pastorin. Die Kinder der plötzlich
gestorbenen Frau waren etwa in meinem Alter. Wir saßen zusammen zum Gespräch und zur
Planung des Trauergottesdienstes. „Also, wir glauben das nicht – das mit der Auferstehung der
Toten“, platzte es plötzlich aus einem der Söhne heraus.
Beinahe trotzig klang das. Jedenfalls sehr entschieden. Nach einem kurzen Zögern fuhr er fort –
etwas leiser, doch ebenso deutlich: „Aber sagen Sie es bitte trotzdem!“
Dieser Satz hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. „Aber sagen Sie es bitte trotzdem!“
Eine bewegende Bitte. Darin steckt die tiefe Ahnung: Es gibt etwas über mein Glauben und
Verstehen hinaus. Etwas, das größer ist als meine Hoffnung. Gewisser sogar als meine Erfahrung.
Es muss mir von außen zugesagt werden. Es hat Kraft. Es gilt. Auch wenn ich es zurzeit nur
schwer oder gar nicht glauben kann. „Sagen Sie es bitte trotzdem!“
Seit fast 2000 Jahren sagen Menschen die Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi weiter. In
der Regel tun sie es „trotzdem“. Wir feiern heute Ostern. Den Sieg des Lebens über den Tod. Die
Verheißung, dass der Tod einmal nicht das letzte Wort behalten wird. Wir feiern, dass das Leben
stärker ist – trotz allem, was dagegen spricht.
Obwohl der Tod weiterhin seine Triumphe feiert.
Jeden Tag sterben Menschen. Durch Gewalt. Durch Krankheit. Durch Unfälle. Durch
Katastrophen. Im Krieg. Manche sterben viel zu früh. Andere alt und lebenssatt.
Manche sterben elend und jämmerlich. Andere schlafen sanft und friedlich für immer ein. Die
einen werden nach langen Leidenswegen erlöst. Die anderen werden jäh aus dem Leben
gerissen. Ohne jede Vorankündigung.
So wie die Mutter jenes jungen Mannes. „Also, wir glauben das nicht – das mit der Auferstehung
der Toten. Aber sagen Sie es bitte trotzdem!“ Ostern können wir gar nicht anders feiern als
„trotzdem“. Christ ist erstanden! – diese Osterbotschaft sagt: Auch unser Leben läuft auf das
Leben hinaus – und nicht auf den Tod. Das lehrt keine Erfahrung. Das kann niemand erklären. Im
Gegenteil: Die Tageszeitungen, das Radio, das Fernsehen, das Internet – sie alle präsentieren
uns unablässig Nachrichten, die man mit einem Satz zusammenfassen kann: Mitten im Leben sind
wir vom Tod umfangen. Und zwar auf Schritt und Tritt.
Ostern heißt: Mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen.Das ist ein ungeheuerlicher Satz. Viel
größer als alles, was wir erfahren. Unglaublich im wahrsten Sinne des Wortes. Und doch wahrer
als alles, was wir zu wissen meinen. Seine Wahrheit wirft ihr Licht schon jetzt mit hellem Schein in
unser Leben. Davon muss man erzählen.
Oder singen. Oder – Bilder malen.
Der Predigttext des heutigen zweiten Ostertages malt uns ein Bild vor Augen. Ein uraltes Bild. Uns
ist es überliefert vom Propheten Jesaja; und der hat es wohl bereits vorgefunden aus Tagen einer
noch viel früheren Zeit:
8 Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERR wird die Tränen von allen
Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der
HERR hat´s gesagt. 9 Zu der Zeit wird man sagen: „Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften,
dass er uns helfe. Das ist der HERR, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über
sein Heil.“
Ein Bild voller Leben. Kraftvoll und zärtlich. Vernichtend und fürsorglich. Fremd und vertraut.
Unheimlich fern scheint dieser Gott, der wie ein wildes Tier den Tod verschlingt. Und liebevoll
kommt er uns nah, wenn er die Tränen abwischt von den Gesichtern der Menschen.
Dieses alte Bild ist ursprünglich kein Osterbild. Lange vor Ostern wurde es gemalt. Einige
Jahrhunderte vor Jesu Geburt. Mit Worten, deren Lebenskraft unter die Haut geht.
Das Bild leuchtet mit seinen hoffnungsvollen Farben in einem beklemmend düsteren
Zusammenhang. Es ist gerahmt von Schuld und Strafe und Untergang. Und es braucht nicht viel
Phantasie, um in diesem düsteren Rahmen auch die Farben unserer heutigen Welt zu erkennen.
Die Farben von zerstörter Erde, von verwüsteten Städten, von klagenden Menschen. Eine
Szenerie des Todes.
Mitten darin strahlt dieses helle Bild auf, dessen lebendiger Schein weit über seine
Entstehungszeit hinaus reicht. Bis hin zu uns heute. Und ich bin gewiss: Auch noch für unsere
Kinder und Kindeskinder wird es seine Kraft behalten.
8 Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERR wird die Tränen von allen
Angesichtern abwischen.
Mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen. Unglaublich. Und doch nicht zu schön, um wahr zu
sein. Das lässt sich nicht erklären. Davon muss man erzählen. Oder singen.
Oder – Bilder malen.
Vielleicht kennen Sie das auch: Wenn mehrere zusammen sind und jemand erzählt, fallen plötzlich
auch den anderen Geschichten ein. Wenn jemand zu singen beginnt, singen die anderen
unwillkürlich mit.Und wenn jemand ein Bild malt, stehen dir plötzlich andere Bilder vor Augen.
Bilder, die so ähnlich sind – oder ganz anders. Manchmal sind sie auch beides zugleich.
Bei mir jedenfalls stellt sich plötzlich ein Bild wieder ein, das sich mir vor einiger Zeit ganz
unerwartet bot. Beim Kaffeetrinken auf einem Marktplatz mitten in der Stadt.
Gedankenverloren saß ich in der Mittagssonne. Ließ meine Gedanken schweifen. Meine Blicke
auch. Auf die belebte Straße vor mir. Der Verkehr flutete. Die Menschen hasteten aneinander
vorbei. Und plötzlich sah ich das Bild: Einen Leichenwagen. Groß und schwarz – erhaben und ein
wenig furchterregend. So wie Leichenwagen nun einmal sind.
Und dieser Leichenwagen wurde abgeschleppt von einem riesigen Gefährt der
Straßenverkehrswacht. Ein groteskes Bild. Lächerlich im wahrsten Sinne des Wortes. Auch dies
ursprünglich kein Osterbild. Oder doch? Kein Künstler könnte das eindrücklicher zeichnen. Ein
Leichenwagen auf dem Abschlepptransporter! Mir ging es durch Mark und Bein. Und zugleich
musste ich unwillkürlich lachen. Der Tod ist auf der Strecke geblieben! Die Luft ist ihm
ausgegangen. Er kann nicht mehr. Der Tod ist tot.
Jetzt, auf einmal, ist es wieder da, dieses Bild. Ausgelöst durch das uralte Bild des Predigttextes.
Beides ursprünglich keine Osterbilder. Oder doch?
Musik
Der Tod ist verschlungen vom Sieg (1. Korinther 15,54): So hat der Apostel Paulus das alte Bild
des Propheten Jesaja aufgenommen – das Bild vom lebendigen Gott, der wie ein wildes Tier den
Tod verschlingt. Paulus sieht darin ein Osterbild.
Ein Spott aus dem Tod ist worden (EG 101,4): So singen wir in einem alten Osterlied mit Martin
Luther. Mit diesem Spottlied könnten wir den Leichenwagen auslachen, der im Verkehr liegenblieb
und abgeschleppt werden muss.
Ich denke wieder an den jungen Mann, dessen Mutter ich zu beerdigen hatte. „Also, wir glauben
das nicht – das mit der Auferstehung der Toten.“ Vielen Menschen geht es ähnlich wie ihm.
Manchmal gehöre ich auch dazu. Glaube und Hoffnung besitzt man nicht wie ein Auto oder ein
Kleid. Ich muss die Botschaft vom Sieg des Lebens immer neu hören. Weil so viel dagegen
spricht. „Aber sagen Sie es bitte trotzdem!“
Dass der Tod einmal nicht das letzte Wort haben wird, macht ihn nicht einfach ungefährlich. Mit
keinem einzigen Wort wird in der Bibel der Tod verharmlost. Umgekehrt:
Er ist der größte, der letzte Feind. Er macht Angst. Er löst Grauen und Entsetzen aus. Er stürzt
Menschen in tiefe Trauer und Verzweiflung. Immer wieder. Der Tod gehört nicht zum Leben dazu,
wie immer wieder so unbedacht dahergesagt wird. Nein, der Tod widerspricht dem Leben auf
brutale Weise; er bekämpft es, bis zuletzt, oft buchstäblich bis aufs Blut – doch am Ende wird er
diesen Kampf verlieren. Weil Gott, der das Leben ist, ihn in Christus besiegt hat.
Wenn ich das alles „trotzdem“ sage, wird das den jungen Mann nicht von seiner Trauer befreien.
Auch nicht von seinem Schmerz. Er wird seine Mutter vermissen. Manche Fragen werden bleiben,
ohne dass er eine Antwort darauf findet. Und: Ich bin gewiss, dass der lebendige Gott die Mutter
bei ihrem Namen ruft. Auch jetzt: Du bist mein. (Jesaja 43,1) Dass der ihre Tränen abwischt, der
ihr vor vielen Jahren das Leben gab und es ihr jetzt neu schenkt.
Derselbe Gott, der unsere Toten in einem neuen Leben umfangen hält, ist auch voller Liebe bei
uns Lebenden, die den Tod fürchten. Auch wenn der junge Mann nichts davon spüren mag: Gott,
der Lebendige, wird an seiner Seite bleiben.
Ausgerechnet die Ostergeschichten der Bibel kommen besonders behutsam und leise daher. Sie
stecken voller scheinbar kleiner Überraschungen. Da erkennen Menschen, den auferstandenen
Christus nicht – obwohl er unmittelbar hinter ihnen steht oder neben ihnen geht. Plötzlich merken
sie: Er ist da. Obwohl sie nicht im entferntesten damit gerechnet hatten.
Zum Beispiel die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Zu Beginn des Gottesdienstes
haben wir von ihnen gehört. Der Tod sitzt ihnen hämisch im Nacken. Wie vielen Menschen mag
das heute, am Ostermontag 2013, auch so gehen? Die beiden Jünger erzählen einander, was sie
erlebt haben: Jesus ist gestorben. Alles haben sie für ihn stehen und liegen lassen. Ihr ganzes
bisheriges Leben über den Haufen geworfen. Weil sie überzeugt waren: Der macht alles neu. Und
nun ist diese Hoffnung dahin. Für immer.
Wir ahnen, wie den beiden zumute sein muss.Viele ahnen es nicht nur. Sie kennen das aus
eigenem Erleben: Wenn plötzlich alles zusammenfällt, was bisher Halt gab. Wenn alles einstürzt,
worauf du dich verlassen hast. Wenn nichts mehr von dem bleibt, was dein ganzer Lebensinhalt
war.
Ihre Augen wurden gehalten, erzählt der Evangelist Lukas. Sie sind so gefangen in ihrem traurigen
Erleben, dass sie nichts wahrnehmen können, was darüber hinausführt.
Der, den sie für tot halten, geht neben ihnen her. Und sie erkennen ihn nicht.
„Also, wir glauben das nicht – das mit der Auferstehung der Toten. Aber sagen Sie es bitte
trotzdem.“
Diese Geschichte zum Beispiel: Ich werde nicht aufhören, sie zu erzählen. Immer wieder.
Trotzdem. Weil ich ahne: Sie erzählt auch von Ihnen und von mir. Von den vielen Menschen, die
sich fürchten und es einfach nicht glauben können, dass das Leben stärker ist. Was, wenn der
auferstandene Jesus und in ihm der lebendige Gott auch hinter Ihnen stünde und hinter mir? Und
ich plötzlich in einer absolut vernagelten Situation neuen Mut gewinne – obwohl ich eben noch
dachte, ich kann nicht mehr und schmeiße alles hin.
Was, wenn er neben uns herginge – auch auf den Wegen, die mühsam sind und quälend? Und du
auf einmal die Kraft spürst, es anders zu versuchen; einen Umweg zu nehmen – oder
umzukehren. Was, wenn er selbst da gegenwärtig wäre, wo der Tod scheinbar seine Siege feiert?
Der lebendige Gott: Auf der onkologischen Station im Krankenhaus oder mitten im vernichtenden
Strudel der Tsunamiwelle? Gott auch da, wo niemand an ihn glaubt und niemand ihn vermutet? Es
trotzdem sagen heißt zuallererst: Es immer wieder hören. Sich weigern zu glauben, es sei zu
schön oder zu unbegreiflich, um wahr zu sein.
Die Wahrheit, die zu Ostern laut wird, ist größer als alles, was wir glauben und wissen und hoffen
können. Deshalb muss sie unter die Leute. Damit wir jeden Tag auf Spurensuche gehen können
nach dem Schein, den die große Wahrheit in unser Leben wirft.
Davon können und sollen wir erzählen. Und singen. Und neben den großen, alten auch viele
kleine, neue, eigene Bilder malen.
Vielleicht bleibt eins der schönsten und größten Bilder dieses: Und Gott wird abwischen alle
Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch
Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen. (Offenbarung 21,4)
Der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und
Sinne in Christus Jesus. Amen.