35 - Arznei

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35 - Arznei
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In Deutschland ließ sich eine entsprechende Kennzeichnung
nicht durchsetzen. Wir markieren ab sofort solche Wirkstoffe
mit einem schwarzen Dreieck (▼), die in Deutschland
weniger als fünf Jahre im Handel sind – in der Überschrift,
bei der ersten Nennung im Text sowie im Fazit. Bewusst
wählen wir das gleiche Warnsymbol wie unsere britische
Schwesterzeitschrift Drug and Therapeutics Bulletin. Gleichzeitig bereiten wir für unsere atd Arzneimitteldatenbank im
Internet eine Auskunftsroutine vor, mit der abgefragt werden
kann, wann ein Arzneistoff hierzulande auf den Markt
gekommen ist, –Red.
▼DULOXETIN (YENTREVE)
BEI BELASTUNGSINKONTINENZ
Seit August wird der Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer ▼Duloxetin (YENTREVE) zur Behandlung
mittelschwerer bis schwerer Belastungsinkontinenz* der Frau
angeboten. In den USA ist Duloxetin unter dem Warenzeichen CYMBALTA als Antidepressivum und bei schmerzhafter diabetischer Neuropathie zugelassen. Die Einführung als
Antidepressivum steht nach positivem Votum der europäischen Zulassungsbehörde (EMEA) auch hierzulande bevor.
Die Werbung für YENTREVE verspricht eine „signifikante Verringerung der Inkontinenz-Ereignisse” und „hohe
Therapiezufriedenheit dank Wirksamkeit und Verträglichkeit.”1 Der Hersteller Boehringer Ingelheim/Lilly besetzt ein
Indikationsgebiet, in dem bisher kein medikamentöser Therapiestandard existiert. Therapie der Wahl sind Training des Beckenbodens und bei Versagen chirurgische Maßnahmen.
EIGENSCHAFTEN: Duloxetin hemmt im zentralen Nervensystem
die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin. Die Anreicherung dieser Neurotransmitter im „Onufschen Nukleus” im Sakralmark
soll eine erhöhte Aktivität des Harnröhrenschließmuskels verursachen.
Ob jedoch dieser Wirkmechanismus bei Menschen überhaupt eine Rolle
spielt, ist fraglich. Die experimentell an Katzen erhobenen Wirkungsmodelle ließen sich in Untersuchungen bei Patientinnen mit schwerer Belastungsinkontinenz nicht reproduzieren. Die europäische Zulassungsbehörde erachtet den Wirkmechanismus als ungeklärt.2
Die Bioverfügbarkeit beträgt 32% bis 80%, die maximale Konzentration wird nach sechs Stunden erreicht. Duloxetin wird durch die Zytochrom P450-Isozyme CYP 1A2 und CYP 2D6 metabolisiert. Die gleichzeitige Einnahme starker Hemmstoffe von CYP 1A2 wie Fluvoxamin
(FEVARIN u.a.) oder Ciprofloxacin (CIPROBAY u.a.) führt zu deutlichen Anstiegen der Serumkonzentration von Duloxetin und ist kontraindiziert.2
WIRKSAMKEIT: Vier zulassungsrelevante plazebokontrollierte Studien über drei Monate, davon eine zur Dosisfindung, erfassen knapp 2.200 Patientinnen mit alleinigen oder
vorherrschenden Symptomen einer Stressinkontinenz.3-6 Drei
der Studien sind identisch konzipiert und werden in weiten
Passagen mit gleichem Wortlaut veröffentlicht.4-6 Als Erfolgskriterien dienen die Reduktion wöchentlicher InkontinenzEreignisse (IEF: Incontinence Episode Frequency) und die
Verbesserung in einem krankheitsspezifischen Fragebogen
(Incontinence quality of life). Die in Tagebüchern erfasste
Anzahl der Inkontinenz-Ereignisse verringert sich bei gepoolter Auswertung von 17 pro Woche in den Duloxetin-Gruppen um durchschnittlich 8,8, unter Plazebo um 5,6. In den
einzelnen Studien liegt der Vorteil gegenüber Plazebo bei 1,5
bis 3,9 pro Woche.2 Selbst dieser geringe therapeutische Gewinn erscheint jedoch geschönt: Da viele Frauen die Behandlung mit Duloxetin wegen Nutzlosigkeit oder Störwirkungen
frühzeitig absetzen und ihre Beschwerden nicht dokumentieren, werden 15% der Verumanwenderinnen nicht in die Auswertung einbezogen. Dies kann eine Verzerrung der Ergebnisse zu Gunsten von Duloxetin bewirken. Da Patientinnen
mit mehr als 13 Inkontinenzereignissen pro Woche verhältnismäßig mehr zu profitieren scheinen, ist die Zulassung auf
diese, als mittelschwer bis schwer definierten Krankheitsbilder
beschränkt.
*
Bei der vorwiegend bei Frauen wegen einer Schwäche des Beckenbodens auftretenden Belastungs- oder Stressinkontinenz versagt während Erhöhung des
intraabdominellen Drucks, z.B. beim Husten oder Niesen, der Harnröhrenschließmuskel und führt zu unwillkürlichem Harnabgang.
a r z n e i - t e l e g r a m m 2004; Jg. 35, Nr. 11
Bei gemeinsamer Auswertung der veröffentlichten Studien
bessert sich die „krankheitsspezifische” Lebensqualität nach
zwölf Wochen unter Duloxetin um 9, unter Plazebo um 6
Punkte.2 Ob der Unterschied von 3 Punkten bei einer Gesamtskala von 0 bis 100 relevant ist, darf bezweifelt werden.
Eine auf 36 Wochen angelegte, nicht veröffentlichte Studie
findet keinen Einfluss auf die krankheitsspezifische Befindlichkeit.2,7
Valide Studien zum Einfluss von Duloxetin auf die Operationsnotwendigkeit liegen nicht vor. Ob ein Zusatznutzen
von Duloxetin bei Patientinnen mit adäquatem Beckenbodentraining besteht oder wie groß dieser ist, lässt sich mangels
veröffentlichter Daten ebenfalls nicht einschätzen.
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: In den Kurzzeitstudien bricht jede fünfte Frau die Behandlung wegen Störwirkungen ab, bei längerer Einnahme sogar jede dritte.2 Am häufigsten wird über Übelkeit (23%), Mundtrockenheit (13,5%),
Müdigkeit und Schlaflosigkeit (je 13%) sowie Verstopfung
(11%) geklagt. Erhöhung der Transaminasen sowie Myopathie mit Anstieg der Kreatinkinase sind dokumentiert.2
Mit Entzugserscheinungen wie Schlaflosigkeit, Unruhe
und Alpträumen ist beim Absetzen zu rechnen. Ausschleichen
der Medikation wird daher empfohlen. Alarmierend ist auch
das Auftreten von Suizidgedanken, ähnlich wie bei SerotoninWiederaufnahmehemmern (SSRI; a-t 2003; 34: 114). Eine
gesunde Probandin hat in der Phase der Dosisreduktion
Selbstmord begangen. Die EMEA äußert Bedenken, dass der
Zusammenhang zwischen Einnahme von Duloxetin und
Suizidgedanken wegen des Gebrauchs außerhalb des psychiatrischen Bereiches übersehen werden kann.2
KOSTEN: Bezogen auf eine Tagesdosis von 80 mg Duloxetin (YENTREVE) und Packungen mit 56 bzw. 98 Kapseln
zu 40 mg betragen die monatlichen Kosten in Deutschland
69 & bzw. 62,75 &, in Österreich bezogen auf 56 Kapseln
103,61 &.
Mit dem Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer ▼Duloxetin (YENTREVE) kommt ein Antidepressivum zur Behandlung der Stressinkontinenz auf den
Markt, dessen allenfalls marginaler Nutzen nur für drei
Monate nachgewiesen ist. Der Wirkmechanismus ist entgegen Herstellerangaben ungeklärt.
Störwirkungen sind häufig und führen kurzfristig bei
20%, während langfristiger Einnahme bei 30% zum Therapieabbruch.
Suizid und Suizidgedanken sind beschrieben.
Die positive Bewertung der europäischen Zulassungsbehörde erscheint uns aufgrund des geringen Nutzens
und des bedrohlichen Störwirkungspotenzials nicht nachvollziehbar. Wir raten von der Einnahme ab.
(R = randomisierte Studie)
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1 Boehringer I./Lilly: YENTREVE-Werbung, Ärzte Ztg. vom 9. Sept. 2004
2 EMEA: YENTREVE, Europ. Bewertungsbericht (EPAR): http://www.
emea.eu.int/humandocs/humans/EPAR/YENTREVE/YENTREVE.htm
3 NORTON, P.A. et al.: Am J. Obstet. Gynecol. 2002; 187: 40-8
4 DMOCHOWSKI, R.R. et al.: J. Urol. 2003; 170: 1259-63
5 MILLARD, R.J. et al.: BJU Int. 2004; 93: 311-8
6 van KERREBROECK, P. et al.: BJOG 2004; 111: 249-57
7 Lilly Deutschland GmbH: Schreiben vom 25. Okt. 2004
Übersicht 111111111111111111111111111111111111111111111111111111111
WIE EVIDENZBASIERT
IST DIE GRIPPEIMPFUNG?
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die
jährliche Influenzaimpfung für Personen über 60 Jahre, alle
Bewohner von Pflegeheimen sowie bei Vorliegen von Grunderkrankungen, die das Risiko für Komplikationen erhöhen.
Die Impfung wird auch medizinischem Personal bzw. Personen, die als Infektionsquellen in Betracht kommen, angeravor
Warenzeichen
in Österreich
und Schweiz
(Beispiele)
Ciprofloxacin:
CIPROFLOX
(A)
CIPROXIN
(CH)
Duloxetin:
YENTREVE
(A, CH)
Fluvoxamin:
FLOXYFRAL
(A, CH)
GrippeImpfstoff:
INFLUVAC
(A, CH)