Notwegerecht - Rechtstipps.de

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Notwegerecht:
Wann können Sie Nachbar­grund­
stücke dafür in Anspruch nehmen?
Christian A. Felber
Rechtsanwalt, Eich/Rheinhessen
Inhalt
1Notwegerecht 1
2Notleitungsrecht 5
1
Notwegerecht
ƒƒ Was versteht man unter einem »Notwegerecht«?
Fehlt Ihrem Grundstück zu seiner ordnungsgemäßen Benutzung die notwendige Verbindung zu
einer öffentlichen Verkehrsfläche oder reicht die vorhandene Verbindung nicht aus, können Sie
von Ihrem Nachbarn verlangen, Ihnen ein Notwegerecht einzuräumen. Das Notwegerecht bedeu­
tet also eine Beschränkung des Eigentums in der Form, dass der Eigentümer des Verbindungs­
grundstücks dulden muss, dass Sie sein Grundstück benutzen. Es ist gesetzlich geregelt in §§ 917,
918 BGB.
ƒƒ Wann können Sie die Einrichtung eines Notwegerechts verlangen?
Wenn Sie einen Notweg beanspruchen wollen, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
–– Ihrem Grundstück muss eine Verbindung an eine öffentliche Straße fehlen
Wann eine solche Anbindung fehlt, wird nach strengen Maßstäben beurteilt. Verlangt wird,
dass dem Grundstück rechtlich oder tatsächlich die Zugangsmöglichkeiten zu einer öffentli­
chen Straße oder Weg fehlen, beispielsweise der vorhandene Weg zu schmal ist.
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Es genügt, wenn die Anbindung unzureichend ist. Etwa für den Fall, dass Ihr Grundstück
nur vorübergehend nicht angebunden ist (z. B. für die Dauer von Bauarbeiten oder bei
Überschwemmungen). Ebenfalls ausreichend ist, wenn auch nur einem Grundstücksteil die
Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt (z. B. bei Hofraumnutzung oder Hanggrund­
stücken).
Sind die vorhandenen Verbindungen lediglich umständlicher oder unbequemer zu benut­
zen, reicht dies zur Begründung eines Notwegerechts nicht aus (OLG Karlsruhe, Urteil vom
28. 7. 2010, 6 U 105 / 08; Brandenburgisches OLG, Urteil vom 30. 10. 2008, 5 U 131 / 07). Sie
müssen auch etwaige Unbequemlichkeiten wie eine moderne Torschließanlage hinnehmen,
die grundsätzlich den Zugang geschlossen hält (OLG Karlsruhe, Urteil vom 23. 2. 2006,
9 U 132 / 05).
Beachten Sie weiter: Sie müssen als Grundstückseigentümer auch von einer bereits beste­
henden anderweitigen Verbindung mit einem öffentlichen Weg Gebrauch machen. Das gilt
selbst dann, wenn diese Verbindung umständlicher ist oder höhere Kosten verursacht als die
Inanspruchnahme eines Notwegs.
–– Eine Benutzung des Verbindungsgrundstücks ist notwendig
Das verbindungslose Grundstück muss ordnungsgemäß benutzt werden können. Was das
be­deutet, hängt von der Benutzung des Grundstücks, dessen Lage, Größe und Wirtschaftsart
ab.
Ein Notwegerecht setzt in der Regel voraus, dass ohne die »Durchfahrtsmöglichkeit« eine ord­
nungsgemäße Benutzung des hinteren Grundstücks nicht gewährleistet ist. Die Notwendig­
keit bestimmt sich nach den vorhandenen Möglichkeiten, die öffentliche Straße zu erreichen.
Besteht keine Verbindung, ist die Anbindung über den Notweg »notwendig«.
Umgekehrt gilt: Wenn ein anderer ausreichender, unter Umständen auch unbequemerer oder
teurerer Zugang möglich ist, besteht keine Notwendigkeit.
Es kommt also nicht auf die persönlichen Bedürfnisse des Eigentümers oder des Nutzungs­
berechtigten an (z. B. Mieter oder Pächter), sondern auf objektiv zu bestimmende Kriterien
dafür, was einer ordentlichen und wirtschaftlichen Grundstücksnutzung entspricht.
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Beispiel: Einem Grundstückseigentümer steht gegen seinen Nachbarn ein Anspruch auf
Duldung der Benutzung dessen Zufahrtsweges zu, damit er sein Grundstück mit seinem
Kfz erreichen kann. Ein anderweitig bestehender Zugang zu Fuß oder mit dem Fahrrad über
eine öffentliche Fläche reicht für eine ausreichende Nutzung eines Anwesens nicht aus,
da so die Grundbedürfnisse wie die problemlose Anlieferung von Gegenständen des täglichen Bedarfs nicht befriedigt werden können (BGH, Urteil vom 12. 12. 2008, V ZR 106 / 07,
NJW-RR 2009 S.515).
Nahe gelegene Parkmöglichkeiten können eine Pkw-Zufahrt aber wiederum unnötig machen.
Es kommt dabei also sehr auf die Umstände des Einzelfalls an.
Auch vorübergehende außergewöhnliche Bedürfnisse sind nicht ausschlaggebend. Dies gilt
auch für theoretisch denkbare Fluchtwege im Brandfalle. Diese Möglichkeit alleine führt noch
nicht zu einem Notwegerecht für eine Feuertreppe (OLG Koblenz, Beschluss vom 21. 12. 2006,
5 U 908 / 06, NZM 2007 S. 342).
–– Sie müssen die Einrichtung des Notwegs ausdrücklich verlangen
Ihren Anspruch auf Duldung eines Notweges müssen Sie gegen sämtliche Grundstückseigen­
tümer richten, die zwischen Ihrem verbindungslosen Grundstück und der öffentlichen Straße
liegen. Als mögliche Anspruchsgegner kommen auch Erbbauberechtigte infrage.
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!!
Fordern Sie Ihren Nachbarn unter Hinweis auf die Gesetzeslage auf, die Benutzung des
Verbindungsgrundstückes für einen Notweg zu dulden. Versuchen Sie möglichst eine ein­
vernehmliche Lösung mit Ihren Nachbarn zu erzielen.
Als Eigentümer des zugangslosen Grundstücks sind Sie »notwegeberechtigt«. Das gilt auch
für Erbbauberechtigte.
Mieter oder Pächter als Nutzungsberechtigte eines Grundstücks können hingegen das Not­
wegerecht nicht selbst geltend machen. Sie müssen sich in diesem Fall an Ihren Vermieter oder
Verpächter halten, wenn Sie einen Notweg benötigen (BGH, Urteil vom 5. 5. 2006,
V ZR 139 / 05, NJW-RR 2006 S.1160).
Miteigentümer eines Grundstücks müssen den Anspruch gemeinsam geltend machen (BGH,
Urteil vom 7. 7. 2006, V ZR 159 / 05, NJW 2006 S. 3426).
ƒƒ Wie entsteht das Notwegerecht?
Sind die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, entsteht ein Notwegerecht. Es bedarf dazu weder
einer vertraglichen Vereinbarung noch einer gerichtlichen Feststellung. Sie können in diesem Fall
also Ihren Grundstücksnachbarn auffordern, Ihnen die Benutzung des Verbindungsgrundstückes
zu gestatten.
Die Einigkeit über das Notwegerecht hingegen sollte immer schriftlich festgehalten werden. Zwar
kann die Gestattung des Nachbarn sich auch aus jahrelanger Duldung ergeben (OLG Oldenburg,
Urteil vom 11. 2. 2008, 15 U 55 / 07). Eine einfache schriftliche Fixierung beugt aber Beweis­
problemen vor. Eine notarielle Form oder ein Eintrag ins Grundbuch ist nicht notwendig
(OLG Nürnberg, Urteil vom 7. 9. 2010, 1 U 258 / 10).
Verweigert Ihr Nachbar seine Zustimmung, bleibt Ihnen nur der Gang vor das Zivilgericht.
Geklagt wird auf Duldung der Benutzung. Lassen Sie sich dabei von einem Anwalt vertreten.
Nur im Notfall sollten Sie eigenmächtig den Notweg benutzen! Andernfalls droht Ihnen eine
Anzeige wegen Hausfriedensbruch. In dringenden Notfällen dürfen Sie jedoch den Notweg auch
ohne vertragliche Vereinbarung oder gerichtliche Feststellung nutzen, beispielsweise damit
Rettungsfahrzeuge auf Ihr Grundstück gelangen können.
ƒƒ Wird das Notwegerecht ins Grundbuch eingetragen?
Nein, denn das Notwegerecht als solches ist nicht eintragungsfähig. Aber: Sie können eine
Vereinbarung über das Notwegerecht als Grunddienstbarkeit ins Grundbuch eintragen. Das
empfiehlt sich, um einen möglichen Streit mit Ihrem Nachbarn über den Umfang und Inhalt des
Notwegerechts zu vermeiden. Holen Sie sich in diesen Fragen auf jeden Fall notariellen Rat ein.
ƒƒ Was umfasst das Notwegerecht?
Der Umfang des Nutzungsrechts ist umstritten und richtet sich nach den Bedürfnissen des ver­
bindungslosen Grundstücks und nach den örtlichen Gegebenheiten.
Das Notwegerecht umfasst in der Regel das Durchgangsrecht für Personen, jedoch regelmäßig
kein Zufahrtsrecht auf das Grundstück (OLG Karlsruhe, Urteil vom 25. 1. 1995, NJW-RR 1995
S. 1042). Wann Sie den Notweg auch befahren dürfen, hängt von den Umständen des Einzelfalls
ab (z. B. sonstige Parkmöglichkeiten, persönliche Verhältnisse wie Ihr Alter oder Gesundheits­
zustand; vgl. oben).
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Als Notwegeberechtigter haben Sie aber das Recht, den Weg angemessen zu beleuchten. Dies
ergibt sich aus dem Gebot der Verkehrssicherung (LG Zweibrücken, Urteil vom 19. 7. 2005,
3 S 258 / 04). Macht der Verpflichtete ebenfalls Gebrauch von diesem »Komfort«, hat er sich gege­
benenfalls auch an den Kosten zu beteiligen (BGH, Urteil vom 17. 2. 2006, V ZR 49 / 05).
Auch wenn Sie eine Grunddienstbarkeit (d. h. ein Wegerecht) ins Grundbuch eingetragen haben,
berechtigt das Wegerecht lediglich zum Befahren des Durchfahrtswegs oder zum Durchgang. Ihr
Nachbar kann nicht verlangen, sein Fahrzeug dort auch parken zu dürfen, wenn er es auch vor
dem Grundstück oder in benachbarten Straßen abstellen kann (OLG Saarbrücken, Urteil vom
24. 7. 2002, 1 U 81 / 02 – 19, NJW-RR 2002 S. 1385).
Auch das Be- und Entladen auf dem Weg ist nicht gestattet (AG Paderborn, Urteil vom
28. 6. 2000, 54 C 188 / 00).
Andererseits erlischt das eingetragene Notwegerecht nicht schon deshalb, weil das Grund­
stück jetzt anders genutzt werden soll oder muss (BGH, Urteil vom 18. 7. 2008, V ZR 171 / 07,
NJW 2008 S. 3123).
Zudem müssen Sie als Notwegeberechtigter grundsätzlich verhindern, dass Dritte unberechtigt
das Verbindungsgrundstück nutzen (z. B. Besucher, die auch auf der Straße parken können).
Unterlassen Sie es, Abhilfe zu schaffen, droht Ihnen unter Umständen auch ein Bußgeld. Notwendigen Zulieferern (z. B. Heizöllieferanten) kann die gelegentliche Mitbenutzung jedoch nicht
untersagt werden.
Das Notwegerecht kann auch zeitlich befristet eingerichtet werden, beispielsweise für die Dauer
von Straßenbauarbeiten oder bei einer Überschwemmung. Ist der Zugangsmangel zu einer
öffentlichen Straße behoben, endet die Duldungpflicht.
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Beispiel: Eine Straße wird aufgrund eines Erdrutsches unpassierbar. Nach Abschluss der
Aufräumarbeiten können Sie die bestehende Straße wieder benutzen und müssen nicht
mehr das Nachbargrundstück in Anspruch nehmen.
ƒƒ Gibt es eine Entschädigung für die Duldung des Notweges?
Ja, als duldungspflichtiger Grundstückseigentümer erhalten Sie als Ausgleich für die Beeinträch­
tigungen, die dem Verbindungsgrundstück entstehen, eine sogenannte »Notwegerente« (§ 917
Abs. 2 BGB). Anspruch darauf haben Sie, sobald Ihr Nachbar das Notwegerecht zulässigerweise
fordern kann und Sie der Benutzung Ihres Grundstücks zustimmen. Gezahlt werden muss die
Notwegerente vom jeweiligen Eigentümer des verbindungslosen Grundstücks.
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Bezahlen Sie die Rente unbedingt rechtzeitig und vollständig. Andernfalls kann der Eigentümer des Verbindungsgrundstücks die Benutzung des Notweges so lange verweigern, bis
Sie Ihre Zahlungsrückstände ausgeglichen haben.
Die Höhe der Geldrente bemisst sich nach der Minderung des Verkehrswertes, die das gesamte
Verbindungsgrundstück durch den Notweg erfährt. Es kommt also nicht darauf an, welche
Vorteile der Notwegeberechtigte hat. Denn die Rente stellt einen Ausgleich für die Beeinträchti­
gungen Ihres Grundstücks dar. Die Bemessungskriterien orientieren sich an den Umständen des
Einzelfalls.
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Beispiel: Ausschlaggebend sind unter anderem die Größe, Lage, Zuschnitt des Grundstücks
und der in Anspruch genommenen Teilfläche sowie Art und Ausmaß der Nutzung durch den
Notwegeberechtigten (BGH, Urteil v. 16. 11. 1990, V ZR 297 / 89, NJW 1991 S. 564).
An die Höhe der Rente sollten Sie keine großen Erwartungen knüpfen. Sie ist in der Regel gering.
Sind keinerlei Beeinträchtigungen festzustellen, entfällt der Rentenanspruch unter Umständen
ganz.
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Beispiel:
–– Für die Duldung der Verlegung von drei Versorgungsleitungen (hier: Gas, Wasser, Abwasser) wurde die jährliche Rente auf rund € 90,– festgelegt (OLG Hamm, Urteil vom
8. 7. 1991, 5 U 49 / 91, NJW-RR 1992 S. 723).
–– Für die Mitbenutzung eines Weges erhielt ein Grundstückseigentümer eine Notwegerente in Höhe von € 100,– pro Jahr (OLG Koblenz, Urteil vom 21. 6. 2001, OLGZ 1992
S. 230).
Notleitungsrecht
Ist Ihr Grundstück von öffentlichen Straßen abgeschnitten und fehlen ihm die zu seiner ordnungsge­
mäßen Benutzung erforderlichen Anbindungen an die öffentliche Abwasser-, Gas- oder Wasserversorgung, steht Ihnen als Grundstückseigentümer ein sogenanntes »Notleitungsrecht« zu.
Einige Landesnachbarrechtsgesetze enthalten ausdrückliche Regelungen zum Notleitungsrecht
(BGH, Urteil vom 22. 6. 1990, V ZR 59 / 89, NJW 1991 S. 176). Prüfen Sie deshalb das entsprechende
Gesetz. Denn die Landesgesetzgeber gestalten das Notleitungsrecht unterschiedlich. Geregelt wird
unter anderem die Duldungspflicht des Nachbarn, sein Grundstück für den Anschluss benutzen zu
dürfen, die Höhe der dafür zu leistenden Entschädigung sowie die Frage, wer für die Anschluss- und
Unterhaltskosten der Leitungen aufkommen muss.
Fehlt eine gesetzliche Regelung, werden für Fragen des Notleitungsrechts die Vorschriften über
das Notwegerecht herangezogen (BGH, Urteil vom 4. 7. 2008, V ZR 172 / 07): Die Grundsätze in
Abschnitt 1 gelten für Notleitungen entsprechend.
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