Intensivtäter und Intensivtäterprogramme der Polizei

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Intensivtäter und Intensivtäterprogramme der Polizei
Masterarbeit
Masterstudiengang Kriminologie und Polizeiwissenschaft
Ruhr-Universität Bochum
Juristische Fakultät
Thema:
Intensivtäter und Intensivtäterprogramme der Polizei – bezogen auf Gewalttätigkeiten junger
männlicher Rechtsbrecher
Eine kriminalistisch / kriminologische Studie
Erstgutachter:
LKD a.D. Robert Weihmann
Zweitgutachter:
Dipl.-Pol. Katrin List
Vorgelegt von:
Jan-Volker Schwind
Polizeidirektion Oldenburg
- Polizeikommissariat Vechta E-Mail: [email protected]
Graduiert am 30. April 2012
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis ………………………………………………………. 5
1.
Einleitung ………………………………………………………… 7
1.1
Gegenstand der Masterarbeit, Forschungszweck und
Forschungsmethoden ………………………………………………….. 8
1.2
Datenschutz …………………………………………………………….. 10
2.
Entwicklung der Jugendkriminalität ………………………… 11
2.1
Ubiquitäres Verhalten …………………………………………...…….. 11
2.2
Episodenhaftes Verhalten …………………………………………….. 12
2.3
Chronische Rückfalltäter ………………………………………………. 12
2.4
Wendepunkte …………………………………………………………... 12
2.5
Jungenproblem …………………………………………………………. 13
2.5.1
Schwellentäter ………………………………………………………….. 13
2.5.2
Gewaltintensivtäter …………………………………………………….. 13
3.
Begriffsbestimmungen ………………………………………… 14
3.1
„Junge“ Rechtsbrecher ………………………………………………... 14
3.2
Intensivtäter …………………………………………………………….. 14
3.3
Gewalttätigkeiten ………………………………………………………. 14
3.4
Bezeichnungen für strafrechtlich Verfolgte ………………………….. 15
3.4.1
Tatverdächtige ………………………………………………………….. 15
3.4.2
Beschuldigte ……………………………………………………………. 15
3.4.3
Angeklagte ……………………………………………………………… 15
3.4.4
Verurteilte Täter ………………………………………………………… 15
3.4.5
Strafgefangene …………………………………………………………. 15
3.5
Tatverdächtigenbelastungszahl ………………………………………. 16
3.6
Migrationshintergrund …………………………………………………. 16
4.
Hellfeld und Dunkelfeld ………………………………….......... 16
4.1
Hellfeld …………………………………………………………….......... 16
4.2
Dunkelfeld …………………………………………………................... 16
5.
Kriminogene Risikofaktoren ………………………………….. 17
5.1
Theoretische Erklärungsansätze ……………………………............. 18
5.1.1
Allgemeine Kriminalitätstheorien ……………………………….......... 18
5.1.2
Interaktionistische Ansätze: Kriminalisierungstheorien……….......... 19
5.1.3
Gruppendruck in Tätergemeinschaften ………………………........... 19
2
5.2
Lebensläufe von Gewaltintensivtätern am Beispiel
von Berlin- Neukölln …………………………………………………… 20
5.3
Ergebnisse der empirischen Forschung zu den Risikofaktoren …... 24
5.3.1
Forschungsbefunde aus Hessen …………………………………….. 24
5.3.2
Ergebnisse aus bundesweiten Schülerbefragungen ………………..25
5.3.3
Gesicherte Befunde im Überblick ……………………………………. 26
6.
(Gewalt-) Intensivtäterprogramme ……………………………26
6.1
Das „Neuköllner Modell“ ………………………………………………. 27
6.2
„Häuser des Jugendrechts“ …………………………………………… 28
6.2.1
Stuttgart …………………………………………………………………. 29
6.2.2
Köln ……………………………………………………………………… 30
6.2.3
Frankfurt/ M. …….……………………………………………………… 31
6.3
Intensivtäterprogramme als Rahmenkonzepte der Polizeien in der
Bundesrepublik Deutschland …………………………………………. 32
6.3.1
Baden-Württemberg …………………………………………………… 32
6.3.2
Berlin …………………………………………………………………….. 35
6.3.3
Bremen ………………………………………………………………….. 38
6.3.4
Hamburg ………………………………………………………………… 41
6.3.5
Hessen ………………………………………………………………….. 44
6.3.6
Mecklenburg-Vorpommern ……………………………………………. 46
6.3.7
Niedersachsen …………………………………………………………. 48
6.3.8
Nordrhein-Westfalen …………………………………………………... 51
6.3.9
Rheinland-Pfalz ………………………………………………………… 53
6.3.10 Saarland ………………………………………………………………… 55
6.3.11 Sachsen …………………………………………………………………. 57
6.3.12 Sachsen-Anhalt ………………………………………………………… 59
6.3.13 Schleswig-Holstein …………………………………………………….. 61
6.4
Vergleich der Programme …………………………………………….. 63
6.4.1
Definition und Statistik ………………………………………………… 63
6.4.2
Aufnahme in eine Intensivtäterliste und Folgen der Aufnahme …... 64
6.4.3
Täterorientierte Kriminalitätsbekämpfung …………………………… 65
6.4.4
Zusammenarbeit von kommunalen und staatlichen Behörden …… 66
6.4.5
Berücksichtigung des Migrationshintergrunds …………………….... 66
6.5
Ergebnisse der Evaluationen …………………………………………. 67
6.5.1
Prozessevaluationen …………………………………………………... 67
3
6.5.2
Wirkungsevaluationen …………………………………………………. 67
6.6
Programme der therapeutischen Jugenderziehung ………………... 68
6.6.1
Das „Trainingscamp Lothar Kannenberg“ in Diemelstadt-Rhoden .. 68
6.6.2
Die GITW des Caritas- Sozialwerks in Lohne ……………………… 70
7.
Interviews mit Gewaltintensivtätern ………………………… 71
7.1
Bereits vorhandene Befragungsergebnisse ………………………… 71
7.1.1
Befragungen in berliner Strafanstalten ……………………………… 71
7.1.2
Befragungen in hessischen Strafanstalten …………………………. 72
7.2
Eigene Befragungen …………………………………………………… 76
7.2.1
Modalitäten ……………………………………………………………… 76
7.2.2
Typische Beispiele aus den Antworten………………………………. 77
7.3
Alkohol- und Drogenprobleme ………………………………………... 83
7.3.1
Alkoholeinflüsse ………………………………………………………... 83
7.3.2
Drogeneinflüsse ………………………………………………………... 84
7.4
Einstellungen zu strafrechtlichen Sanktionen ………………………. 84
7.5
Einschätzung des Dunkelfeldes der Kriminalität …………………… 86
8.
Zusammenfassung und Ausblick …………………………….87
8.1
Fazit und Vorschläge zu den Länderprogrammen …………………. 87
8.2
Fazit und Vorschläge im Kontext der Befragungen ………………… 89
8.3
Ausblick …………………………………………………………………. 90
9.
Verzeichnisse und Anhang …………………………………… 92
9.1
Literatur …………………………………………………………………. 92
9.2
Zeitungs-Zeitschriftenartikel…………………………………………… 95
9.3
Internetquellen……........................................................................... 96
9.4
Anhang …... …………………………………………………………….. 97
9.4.1
Spiegel – Grafik…………………………………………………………. 97
9.4.2
Focus – Grafik ………………………………………………………….. 97
9.4.3
Übersicht Definition (Gewalt-) Intensivtäter …………………………. 98
9.4.4
Anschreiben an die Landeskriminalämter …………………… ……... 99
9.4.5
Ablehnende Rückmeldungen …………………………………………. 100
9.4.6
Genehmigung Kriminologische Forschungsstelle ………………….. 102
9.4.7
Fragebogen Hessen ……..…………………………………………….. 103
9.4.8
Alter/ Migrationshintergrund der Probanden ………………………… 105
Ehrenwörtliche Erklärung ……………………………………………… 106
4
Abkürzungsverzeichnis
a.a.O.
am angeführten Ort
Abs.
Absatz
Aufl.
Auflage
Az.
Aktenzeichen
Bd.
Band
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGHSt
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen
BMI
Bundesministerium des Innern
BSB
Beratungsstelle für Schule und Berufsbildung
bzw.
beziehungsweise
ED-Behandlung
Erkennungsdienstliche Behandlung
et. al.
Abkürzung für lat.: „und andere“
EVA
Elektronischer Vorgangsassistent
ff.
folgende [Seiten]
FIT
Familieninterventionsteam
ggfs.
Gegebenenfalls
GITW
Geschlossene Intensivtherapeutische Wohngruppe
HInT
Herausragende Intensivtäter
Hrsg.
Herausgeber
INPOL-MV
Polizeiliches
Auskunftssystem
(Mecklenburg-
Vorpommern)
IT
Intensivtäter
JGG
Jugendgerichtsgesetz
JIT
junge Intensivtäter
JMIT
junger Mehrfach- und Intensivtäter
JSB
Jugendsachbearbeiter
JVA
Justizvollzugsanstalt
KFN
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen
KJHG
Kinder- und Jugendhilfegesetz
KKFoSt
Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle
KoMT
Kiezorientierter Mehrfachtäter
KoSt ITB
Koordinierungsstelle Intensivtäterbekämpfung
LIS
Landesinstitut für Schule
5
LKÄ
Landeskriminalämter
MIT
Mehrfach- und Intensivtäter
Nr.
Nummer
n.v.
nicht verfügbar
o.J.
ohne Jahr
PKS
Polizeiliche Kriminalstatistik
PMK
Politisch motivierte Kriminalität
PROTÄKT
Projekt Täterorientierte Kriminalitätsbekämpfung
Pkt.
(Gliederungs-)punkt
PSB
Periodischer Sicherheitsbericht
Rdn.
Randnummer
S.
Seite
ST
Schwellentäter
SGB
Sozialgesetzbuch
sog.
sogenannte
StA
Staatsanwalt(schaft)
StPO
Strafprozessordnung
StVollzG
Strafvollzugsgesetz
TOE-Programm
Programm „Täterorientierte Ermittlungsarbeit“
TV
Tatverdächtiger
TVBZ
Tatverdächtigenbelastungszahl
U-Haft
Untersuchungshaft
usw.
und so weiter
vgl.
vergleiche
VwV
Verwaltungsvorschrift
z.B.
zum Beispiel
ZD
Zentraldirektion
ZEK
Zentrale Ermittlungskommissariate
6
1.
Einleitung
Gewalttätigkeiten gehören zu den Themen, die die Medien insgesamt, aber
besonders die sog. Regenbogenpresse interessieren. Sensationsberichte erhöhen die Auflage, aber auch die Verbrechensfurcht, die wiederum die Lebensqualität insbesondere ängstlicher Menschen verringert. Mit der polizeilichen
Erfahrung stimmen viele Berichterstattungen, was viele nicht wissen, nicht
überein (dazu Weihmann/ Schuch 2010, S. 630). Auf der anderen Seite ist es
im Sinne der Rückfallverhütung nicht zielführend, bestimmte Phänomene im
Sinne der „political correctness“ herunterzuspielen. Es zählen nur Fakten, die
im Rahmen dieser Masterarbeit herausgearbeitet werden sollen. Den Einstieg
bildet eine Berichterstattung im SPIEGEL.
In der Ausgabe 18/2011 (S. 32 ff.) befasste sich dieses Nachrichtenmagazin in
der Titelgeschichte mit dem Thema: „Mordwut – Die unheimliche Eskalation der
Jugendgewalt!“. Auf zwölf Seiten werden Statistiken und spektakuläre Fälle
brutaler Straßengewalt unterbreitet. Dabei handelt es sich in erster Linie um ein
Großstadtproblem (siehe Anhang: Pkt. 9.4.2).
Der Bericht im Spiegel bezieht sich auf tatverdächtige, männliche Jugendliche
und Heranwachsende (oft mit Migrationshintergrund), die Gleichaltrige, aber
auch ältere Menschen aus nichtigem Anlass in U- und S-Bahnen oder auf Straßen und Plätzen überfallen, brutal zusammenschlagen, zum Teil auch berauben. Besondere Empörung löste ein spektakulärer Vorfall im Zwischengeschoss
eines Münchner U-Bahnhofs („Arabella-Park“) am 20.12.2007 aus. Ein damals
17jähriger und ein 20jähriger schlugen dort einen Pensionär krankenhausreif.
Einfach so aus Spaß an der Gewalt bzw. aus Frust (vgl. den Bericht im
SPIEGEL 39/ 2009, S. 70 über „Minutenmonster“).
Es gibt weitere Fälle, auch 2011. Am 23.04.2011 (Karsamstag) traf der
18jährige Gymnasiast Torben B. nach einer Party auf dem U-Bahnhof BerlinFriedrichstraße den 29jährigen Installateur Markus P., prügelte ihn mit einer
Hartplastikflasche grundlos zu Boden und trat ihm mehrmals mit dem Stiefel
gegen den Kopf (vgl. den Bericht im Focus 35/2011, S. 47). Das Opfer überlebte nur knapp. Der SPIEGEL (32/2011, S. 41) kommentierte, auch dieser Fall
zeige, „wie gering mittlerweile die Hemmschwelle für exzessive Gewalt unter
Jugendlichen geworden ist“.
Drittes Beispiel: Am 18.09.2011 begegnete ein 17jähriger Osnabrücker nachts
um zwei Uhr mit zwei Kumpeln in seiner Begleitung einem 22jährigen aus Ib7
benbüren, der mit vier jungen Frauen Richtung Innenstadt unterwegs war. Nach
kurzem Wortwechsel tötete der Osnabrücker den Ibbenbürener mit Messerstichen. Täter und Opfer kannten sich nicht (vgl. die Berichte in der Neuen Osnabrücker
Zeitung
vom
19.09.2011,
S.
1
und
2.12.2011,
S.
17).
Die
Mordkommission ermittelt.
Die Täter bzw. Tatverdächtigen solcher Überfälle („Tottreter“: Heinke 2010) sind
der Polizei meist aus ähnlichen Vorfällen, die mehr oder weniger ohne spürbare
Rechtsfolgen ausgingen, bekannt. Das war auch in München so. Dass solche
Ereignisse, die die Medien anprangern, die Bevölkerung aufregen, zeigt der
geballte Volkszorn, der in der Folgeausgabe des SPIEGEL’s über die Leserbrief-Spalten hereinbrach. Dazu einige Beispiele (19/2011, S. 8):
„ Wer sich zu derart asozialen Handlungen hinreißen lässt, darf nicht mit Milde
rechnen, sondern muss die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen –
schon um eventuelle Nachahmer so gut wie möglich abzuschrecken“.
„Pseudosoziales Tätermitleid und Nachsicht empfinden die Prügler doch bereits
als eine Art Freispruch zweiter Klasse. Das können die Opfer auch als Verhöhnung oder einen zweiten Tritt ins Gesicht auffassen“.
„Es ist mir vollkommen egal, ob jemand eine schwere Kindheit hatte oder nicht.
Das gibt ihm keine Berechtigung, seinen Frust an anderen Menschen auszulassen“.
„Bei denjenigen, die es tatsächlich bis dahin gebracht haben, handelt es sich
meist bereits um Intensivtäter, bei denen erzieherische Maßnahmen nur noch
selten Erfolge bringen“.
1.1
Gegenstand
der
Masterarbeit,
Forschungszweck
und
For-
schungsmethoden
Problematisch sind vor allem die Mehrfachtäter. Mehrfachtäter, die ihre Karrieren oft als „Schwellentäter“ (siehe Pkt. 2.5.1) beginnen, machen etwa fünf Prozent
einer
Geburtskohorte
(=
eines
Geburtsjahrganges)
aus.
Solche
Jugendlichen „bilden seit langem die eigentliche kriminologische und kriminalpolitische Problemgruppe“ (Boers 2009, S. 49).
8
Das Thema der gewalttätigen Mehrfachtäter beschäftigt auch den Verfasser
dieser Masterarbeit, weil er in seinem Beruf als Polizeibeamter zwar nicht täglich, aber doch relativ oft mit Gewaltphänomen konfrontiert wird.
Die Probleme nehmen nicht ab, sondern zu. Oder ist die Häufung nur ein Medieneffekt (Walter 2003, S. 162)? Dagegen spricht, dass auch die Innenminister
der Länder aufmerksam wurden und seit Anfang der 1990er Jahre reagieren
(Einzelheiten bei Bindel-Kögel/ Karliczek 2009, S. 90-93): mit speziellen Intensivtäter- (vor allem auf Gewalttäter bezogenen) Programmen, mit denen sich
der Verfasser näher befasst hat.
Da der Umfang der Masterarbeit seitenmäßig begrenzt wurde, hat sich Verfasser entschieden, die Programme auf Kernaussagen bzw. auf „prägnante Aussagen“ erheblich verkürzt vorzustellen und mit Hilfe folgenden Prüfschemas zu
vergleichen:
1. Ziele der Intensivtäterprogramme
2. Definition des Intensivtäters
3. Sachbearbeitung der Polizei und Staatsanwaltschaft
4. Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
5. Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
6. Evaluationen
Berührt werden in diesem Zusammenhang aus naheliegenden Gründen kriminalistische, kriminologische und kriminalpolitische Fragen, die sich auf Phänomene, Ursachen und Interventionen beziehen. In methodischer Hinsicht handelt
es sich:

im Hauptteil der Masterarbeit um Aktenuntersuchungen
bzw. um die
Auswertung von Konzeptbeschreibungen (dazu Bock 2007, S. 122) und

im Ergänzungsteil um face- to- face Befragungen von verurteilten bzw.
im Strafvollzug einsitzenden, Tätern (Interviews), denen ein Fragebogen
aus Hessen (siehe Anhang: Pkt. 9.4.7) zu Grunde gelegt wurde.
Dabei geht der Verfasser von einer ganzheitlichen Betrachtung aus. Wenn die
Wirksamkeit von Programmen diskutiert werden soll, lässt sich die Ursachen-
9
frage nicht ausblenden. Sonst fehlt das Fundament. Vergleichbar mit der Therapie des Arztes, die auch eine sorgfältige Diagnose voraussetzt.
Um an die Unterlagen über die Intensivtäterprogramme zu gelangen, hat Verfasser im Internet recherchiert und alle 16 Landeskriminalämter (LKÄ) angeschrieben (siehe Anhang: Pkt. 9.4.4) und um Unterstützung gebeten. Eine
entsprechend systematische Bundesübersicht anhand eines Prüfschemas gibt
es bisher, soweit Verfasser feststellen konnte, noch nicht. Um die Verwendbarkeit der Recherchen zu erhöhen, wird häufig aus den Quellen (mit Anführungszeichen) zitiert. Das geschieht, um die Praxisrelevanz zu erhöhen. Es geht um
anwendungsorientierte bzw. angewandte Forschung (ausführlich Bock 2007, S.
103). Bei Umformulierungen würde die Gefahr der Verfälschung der Texte
bestehen, die die Verwendbarkeit der Arbeit verringern, weil es für die gewählte
Zielsetzung auf absolute Genauigkeit ankommt. Dabei bezieht sich diese Untersuchung aus Gründen der thematischen Begrenzung grundsätzlich nur auf
Landesrahmenprogramme, also nur ausnahmsweise auf örtliche Intensivtäterbekämpfungskonzepte, wie sie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen umgesetzt
werden.
Methodik zur Auswertung der Intensivtäterprogramme
Im Hauptteil der Masterarbeit werden die Rahmenkonzepte (der
Landeskriminalämter)
vorgestellt
und
miteinander
verglichen.
In
methodischer Hinsicht geht es um Aktenuntersuchungen (Dokumentenanalysen), die einem vom Verfasser entwickelten Prüfschema
(Raster) folgen, zu dem auch eine Übersicht über Evaluationen, soweit
sie durchgeführt wurden, gehört. Voraussetzung ist eine Definition bzw.
Operationalisierung der Begriffe, die unter Pkt. 3 der Gliederung folgt.
1.2
Datenschutz
Es bleibt die Datenschutzproblematik, die auch im Rahmen dieser Masterarbeit
diskutiert werden muss. Die Rechtsgrundlage, die zu prüfen ist, ist § 476 Strafprozessordnung (StPO), der eine Forschungsklausel enthält. Nach § 476 Abs. 1
StPO geht es um die Verwendung „personenbezogener Daten“, die nur dann
zulässig ist, wenn „dies für die Durchführung bestimmter wissenschaftlicher
Forschungsarbeiten erforderlich ist“ und „eine Nutzung anonymisierter Informationen zu diesem Zweck nicht möglich ist“. Zu prüfen war also, ob die von den
10
LKÄ übersandten Unterlagen personenbezogene Daten enthalten. Das ist jedoch nicht der Fall. Diese Informationen sind auch grundsätzlich allgemein
öffentlich zugänglich: Die Quellen werden vom Verfasser im Text dieser Arbeit
jeweils genannt. Soweit die Quellen öffentlich nicht verfügbar sind („n.v.“), sind
auch in diesen Schriftstücken keine personenbezogenen Daten enthalten.
Für die Befragungen von einsitzenden Gewaltintensivtätern bilden die §§ 166
und 186 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) die Grundlage. In § 166 wird der „Kriminologische Dienst“ erwähnt, der in Niedersachsen von Celle aus Forschungsexposés überprüft. Das ist auch im Falle dieser Masterarbeit geschehen. § 186
StVollzG verweist wiederum auf § 476 StPO und damit wieder auf die Frage der
Verwendung personenbezogener Informationen. Diese wurden aber vom Verfasser anonymisiert.
Die Ausarbeitung beginnt mit einem kurzen Überblick über die Entwicklung der
Jugendkriminalität, die der SPIEGEL (18/2011, S. 36: vgl. Anhang: Pkt. 9.4.1)
beschreibt.
2.
Entwicklung der Jugendkriminalität in Deutschland
Es gehört schon zum Allgemeinwissen, dass jugendkriminelles Verhalten in
jeder Gesellschaft vorkommt. Nach der Anomietheorie (siehe Pkt. 5.1.1) werden
solche Auffälligkeiten als „integrierender Bestandteil jeder Gesellschaft“ betrachtet. Denn in jeder Gesellschaft wird bestimmtes, störendes sozial abweichendes Verhalten mit Strafe bedroht.
2.1
Ubiquitäres Verhalten
Wenn Jugendliche straffällig werden, dann meistens deshalb, weil sie neugierig
erst die Grenzen des Erlaubten austasten wollen, um sich dann aber sozial
angepasst verhalten zu können. Da solche Grenzerfahrungen grundsätzlich
jeder Jugendliche macht, spricht man von ubiquitärem Verhalten (Kunz 2004, S.
291; Bock 2007, S. 272). Vor allem die Ergebnisse der Dunkelfeldforschung
(Überblick bei Kreuzer 1994, S. 10) zeigen, dass es kaum Jugendliche gibt, die
nicht irgendwann in ihrem Leben gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen
haben.
11
2.2
Episodenhaftes Verhalten
Die Kriminalität der meisten Jugendlichen hat aber nur episodenhaften Charakter. Das heißt, es handelt sich um eine soziale Auffälligkeit, die sich auf einen
zeitlichen Entwicklungsabschnitt bezieht und dann abebbt (von Danwitz 2004,
S. 192). Sie „wächst sich meist mit zunehmenden Alter aus und spiegelt sich
hauptsächlich in der Begehung sog. Bagatelldelikte wieder“ (Rupp 2009, S. 14).
Man spricht dann von „Spontanbewährung“ und meint damit, die „erfolgreiche
Normsozialisation durch primäre Sozialinstanzen, wie Familie, Schule und
Gleichaltrige“ (Boers 2009, S. 49). Denn auch ohne „formelle Kontrollintervention begehen die allermeisten Menschen keine Straftaten mehr“ (a.a.O., S. 42).
2.3
Chronische Rückfalltäter
In der Regel hören die Straffälligkeiten also mit zunehmendem Alter wieder auf.
Kohortenstudien (Übersicht bei Kerner 1989, S. 190 ff.) zeigen jedoch, dass der
Episodencharakter sozial abweichenden Verhaltens junger Menschen nicht für
die Entwicklung aller jungen Straftäter gilt. Etwa sechs Prozent jedes Jahrgangs
setzen das mit Strafe bedrohte Verhalten noch nach dem 18. Lebensjahr weiter
fort (chronic offenders). Das war bereits das Ergebnis der bekannten „Philadelphia Birth Cohort“ Studie von Wolfgang et. al. (1972). Wiederholungsstudien in
den folgenden Jahrzehnten haben dieses Resultat immer wieder bestätigt
(Heinz et. al. 1986, S. 163 ff.). Boers (2009, S. 61) geht davon aus, dass bei
„Gewalt- chronics“ die kriminelle Auffälligkeit oft erst „Mitte Zwanzig oder Mitte
Dreißig“ nachlässt.
2.4
Wendepunkte
Wann sich kriminelles Verhalten im Sinne einer kriminellen Karriere verfestigt,
untersucht die Biografieforschung. Diese befasst sich insbesondere mit der
Frage, wann junge Menschen straffällig bzw. gewalttätig werden und warum sie
es bleiben bzw. damit aufhören. Das Aufhören kann mit bestimmten Ereignissen (turning points) zu tun haben. Solche turning points können z.B. darin bestehen, dass eine Ausbildung mit Erfolg abgeschlossen wird, Bezugspersonen
Einfluss ausüben (Freundin, Ehefrau) oder eine Haftstrafe abgeschreckt hat (zu
Wendepunkten: Schneider, H.-J. 2001, S. 63 und Boers 2009, S. 59).
12
2.5
Jungenproblem
Jugendkriminalität ist ein Jungenproblem. Die Täter physischer Gewalt sind
hauptsächlich Jungen. Deshalb beschäftigt sich diese Masterarbeit (auch um
sie zu begrenzen) nur mit männlichen Gewaltintensivtätern. Mädchen gehen
eher verbal aufeinander los (Weisser Ring 1997, S. 213). Besondere Probleme
haben Schulen mit hohem Migrantenanteil (PISA-Studie, Süddeutsche Zeitung
vom 06.03.2003, S. 2). So machte es Schlagzeilen, als die Lehrkräfte der RütliSchule in Berlin-Neukölln einstimmig beschlossen, dem dortigen Schulsenator
nahe zu legen, die Schule zu schließen, weil sie mit den jungen Arabern und
Türken, die diese Schule überwiegend besuchen, wegen der Disziplinschwierigkeiten bzw. Gewalttätigkeiten nicht mehr fertig wurden (vgl. SPIEGEL
14/2006, S. 23). Nach den bundesweiten Schülerbefragungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens (KFN) haben nichtdeutsche Jungen
bei gefährlichen und schweren Körperverletzungen und Raubtaten eine über
dreimal so hohe Tatverdächtigenbelastungszahl (TVBZ, siehe Pkt. 3.5) als
deutsche Jungen, wobei auch noch zu berücksichtigen ist, dass zahlreiche
Zuwanderer inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (Baier/
Pfeiffer/ Rabold 2009, S. 323/325).
2.5.1 Schwellentäter
„Schwellentäter“ werden solche Kinder und Jugendliche genannt, bei denen
sich spätere intensivkriminelle Karrieren schon frühzeitig im Kindergarten oder
in der Grundschule abzeichnen: Risikokinder (ausführlich Winterhoff 2008).
Erfasst werden Auffälligkeiten wie Disziplinverstöße, Unpünktlichkeit, regelmäßiges Schwänzen des Schulunterrichts, geringe Selbstbeherrschung, Gewalttätigkeiten und die Einbindung in sozial negativ auffällige Jugendgruppen- und
Banden (Schwind 2011, S. 72). Als Schwellentäter werden aber auch solche
erwachsenen Straftäter bezeichnet, die erst an der Schwelle zum Intensivtäter
stehen. Es reicht noch nicht für eine Eingruppierung als Intensivtäter (vgl. die
Ausführungen zu den einzelnen Länderprogrammen: Pkt. 6.3 ff.).
2.5.2 Gewaltintensivtäter
Gewaltintensivtäter sind Wiederholungstäter, die auch in Tätergemeinschaften:
Skinheads, Rocker, Hooligans immer wieder dauerhaft Gewaltstraftaten begehen (von Danwitz 2004, S. 191). Der Befund lautet: Wenige Täter begehen viele
13
Straftaten, die auch viele Opfer betreffen, was meist nicht problematisiert wird.
Den Anteil dieser chronic offenders schätzt der Bund Deutscher Kriminalbeamter (Rupp 2009, S. 14) auf 5-10 Prozent aller Jugendstraftäter, die aber „für ca.
50 Prozent der registrierten Straftaten verantwortlich sind“ (ebenso Walter et. al.
2009, S. 25 und Boers 2009, S. 53). Nach den KFN-Schülerbefragungen (bundesweit wurden 15jährige aller Schulformen befragt) hatten 4,3 Prozent aller
Befragten schon fünf und mehr Gewaltstraftaten verübt (Baier/ Pfeiffer/ Rabold
2009, S. 326). Nur mit diesem Täterkreis beschäftigt sich diese Arbeit. Aber
schon die Definition ist umstritten, wie sich aus der später vorgestellten Übersicht der Länderprogramme ergibt (Pkt. 6.3 ff.).
3.
Begriffsbestimmungen
Für die begriffliche Abgrenzung erscheint es dem Verfasser sinnvoll, entsprechende Definitionen, z.B. aus dem Jugendgerichtsgesetz (JGG), des Strafgesetzbuches (StGB), der Strafprozessordnung (StPO) oder der Polizeilichen
Kriminalstatistik (PKS), voranzustellen.
3.1
„Junge“ Rechtsbrecher
Junge Rechtsbrecher sind Kinder (bis 14 Jahren), Jugendliche (von 14-18 Jahren), Heranwachsende (von 18-21 Jahren) und Jungtäter (21 bis 25 Jahren).
Der Begriff des Jungtäters wird im JGG nicht genannt, spielt aber im Strafvollzug eine Rolle. Bei der Justizvollzugsanstalt (JVA) Vechta handelt es sich z.B.
um eine „Jungtäteranstalt“, in der Verfasser Probanden interviewt hat (vgl. Pkt.
7.2 ff.).
3.2
Intensivtäter
Bei diesen handelt es sich um Wiederholungstäter, also um solche, die irgendwelche Straftaten immer wieder verüben oder immer die gleichen, z.B. Gewalttätigkeiten. Der Begriff der Intensivtäter ist neu, aber nicht das Phänomen, das
früher als „Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher“ bzw. „Hangtäter“ benannt
wurde (Steffen 2005, S. 31).
3.3
Gewalttätigkeiten
Bei Gewalttätigkeiten geht es im Rahmen dieser Masterarbeit nur um bestimmte personenbezogene Gewalt, nämlich um Raubtaten und vorsätzliche Körper14
verletzungen (§§ 223 ff., 249 ff. StGB). Nicht einbezogen werden in diese Untersuchung also Vandalismen (Gewalt gegen Sachen) und psychische Gewalt
(Nötigung, Erpressung, Demütigung usw.).
3.4
Bezeichnungen für strafrechtlich Verfolgte
3.4.1
Tatverdächtige
Nach der PKS des Bundeskriminalamts (2010, S. 20) ist „jeder tatverdächtig,
der nach dem polizeilichen Ermittlungsergebnis auf Grund zureichender, tatsächlicher Anhaltspunkte verdächtig ist, eine rechtswidrige (Straf-) Tat begangen zu haben“. Die Zahl der Tatverdächtigen (TV) wird durch die TVBZ
ausgedrückt (vgl. Pkt. 3.5).
3.4.2 Beschuldigte
„Der Tatverdächtige, gegen den ein Ermittlungsverfahren läuft, heißt Beschuldigter“ (Kühne 2003, Rdn. 4). Der Begriff Beschuldigter ist zugleich der Oberbegriff (§ 157 StPO) für Personen, gegen die ein Strafverfahren betrieben wird
(Weihmann/ Schuch 2010, S. 487, die auf BGHSt 10, S. 8 hinweisen) oder
gegen die eine Strafanzeige (§ 158 StPO) erstattet worden ist (Weihmann/
Schuch a.a.O.; Näheres bei Kühne 2003, Rdn. 4).
3.4.3
Angeklagte
„Für den Beschuldigten, gegen den die öffentliche Klage erhoben ist, verwendet
das Gesetz die speziellere Bezeichnung Angeschuldigter; den Angeschuldigten,
gegen den die Eröffnung der Hauptverhandlung beschlossen ist, nennt das
Gesetz Angeklagten, § 157 StPO“ (a.a.O.).
3.4.4 Verurteilte Täter
Verurteilte Täter sind solche Personen, die rechtskräftig in einem Strafverfahren
verurteilt worden sind (vgl. §§ 260/268 StPO).
3.4.5 Strafgefangene
Strafgefangene sind solche verurteilten Täter, die eine Freiheitsstrafe in der
JVA verbüßen müssen (geregelt im Strafvollzugsgesetz).
15
3.5
Tatverdächtigenbelastungszahl
Mit der TBVZ wird die Zahl der Tatverdächtigen pro 100 000 derselben Altersgruppe ab 8 Jahre bestimmt (PKS 2010, S. 15).
3.6
Migrationshintergrund
Nach der Definition des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden (2010, S. 6)
sind Personen mit Migrationshintergrund alle zugewanderten Ausländer und
ihre Nachkommen „mit zumindest einem zugewanderten oder in Deutschland
geborenen Elternteil“.
4.
Hellfeld und Dunkelfeld
Der Umfang der Problematik wird durch die PKS nur zum Teil beschrieben. Es
fehlen in der PKS Informationen zum Dunkelfeld. Darauf weist das Bundeskriminalamt (BKA), das diese Statistik für den Bund führt, auch selbst hin (PKS
2010, S. 7).
4.1
Hellfeld
Die Hellfeld-Informationen enthält bereits der schon unter Pkt. 1 erwähnte
SPIEGEL- Artikel (siehe auch Anhang: Pkt. 9.4.1). Dessen Zahlen beginnen
aber erst im Jahre 1995. Wie verlief die Entwicklung im Hellfeld zuvor?
Im Langzeitvergleich haben die Zahlen zur Jugendkriminalität von 1974 bis
1982 (insbesondere infolge der geburtenstarken Jahrgänge) von rund 142 000
(1974) auf rund 204 000 (1982) zugenommen, ab 1982 nehmen die Zahlen
(insbesondere wegen der geburtenschwachen Jahrgänge) bis auf rund 125 000
(1989) wieder ab. Nach der Wiedervereinigung (1989/90) stiegen die Zahlen auf
rund 250 000 (2009) an. 2010 nahmen sie um rund 7 % (6,9 %) auf rund 230
000 (231 543) wieder ab (PKS 2010, S. 85). Alarmierend wirkt die vom
SPIEGEL beschriebene Steigerung der qualifizierten (gefährlichen und schweren) Körperverletzungen (siehe Anhang: Pkt. 9.4.1). Die TVBZ für gefährliche
und schwere Körperverletzungen lag 2007 insgesamt 2,5mal höher als 1993
(Baier/Pfeiffer/ Rabold, 2009, S. 324).
4.2
Dunkelfeld
Zum Dunkelfeld gehören die „Straftaten, die der Polizei nicht bekannt werden“
(Weihmann/ Schuch 2010, S. 566). Aus der Forschung ist belegt, dass das
16
Dunkelfeld bei der Jugendkriminalität (schon wegen des Ubiquität- Phänomens)
groß ist. Die Schätzungen variieren. Baier/ Pfeiffer/ Rabold et. al. (2010, S. 188)
weisen jedoch in ihren Schülerbefragungen (2007/08) darauf hin, dass das
Dunkelfeld (im Gegensatz zum Hellfeld) nicht nur generell, sondern auch bei
Mehrfachgewalttätern rückläufig ist. Sichere Zahlenwerte fehlen. Die rückläufige
Tendenz soll nach Baier/ Pfeiffer/ Rabold (2009, S. 328) aber nur am veränderten Anzeigeverhalten liegen: Nur jede vierte Körperverletzung gelangt zur Anzeige. 75 % verbleiben danach im Dunkelfeld.
Der Polizeipsychologe Füllgrabe weist dazu (Deutsche Polizei 2009, S. 9) darauf hin, dass manche qualifizierten Körperverletzungen und Raubtaten deshalb
nicht angezeigt werden (Statistik fehlt), weil die Täter drohen: „Wenn das rauskommt, stech ich Dich ab!“. Da „wird der Schülerausweis abgenommen, um
dem Opfer Angst zu machen und zu demonstrieren, dass man seine Adresse
kennt […] Das ist praktisch usus“ (Füllgrabe a.a.O.).
Dass die U-Bahn Schläger von München (siehe Pkt. 1) gefasst werden konnten,
lag nur an einem 30 sekundenlangen Video einer Überwachungskamera, sonst
wäre selbst dieser brutale Angriff im Dunkeln geblieben (Steffen 2009, S. 83).
Auch die U-Bahn-Treter von Berlin (siehe Pkt. 1) wurden nur durch eine Videoüberwachung überführt. Die Täter wurden am 21.12.2011 zu Haftstrafen zwischen vier und sechs Jahren verurteilt (Neue Osnabrücker Zeitung vom
22.12.2011, S. 23) Schreckt das ab? (vgl. dazu Pkt. 7.4).
5.
Kriminogene Risikofaktoren
Die Phänomene gehen auf Einflussfaktoren (Ursachen) zurück, mit denen sich
eine ganze Reihe von Erklärungsansätzen befassen (siehe Pkt. 5.1 ff.). Diese
werden ebenso wie die Ergebnisse der empirischen Forschung in dieser Arbeit
nachfolgend vorgestellt (siehe Pkt. 5.3), weil es nahe liegt, dass Konzepte, wie
die Intensivtäterprogramme der Polizei, ursachenorientiert angelegt werden
müssen.
Nur wer die Ursache kennt, kann im Einzelfall angemessen reagieren. Es geht
immer um die Rückfallverhütung. Angestrebt wird also die schon in der Einleitung (siehe Pkt. 1.1) erwähnte ganzheitliche Betrachtung.
17
5.1
Theoretische Erklärungsansätze
Zu unterscheiden sind Kriminalitätstheorien und Kriminalisierungstheorien, die
im Überblick dargestellt werden, um später auf diese Ansätze wieder zurückkommen zu können.
5.1.1
Allgemeine Kriminalitätstheorien
Zu den allgemeinen Kriminalitätstheorien (vgl. Übersicht bei Lamneck 2007, S.
110 ff.), die für das Kriminellwerden generell Bedeutung besitzen, gehören z.B.
die Sozialisationstheorien (vgl. Kunz 2004, S. 138; Jung 2007, S. 80; Schwind
2011, S. 114 ff.), nämlich der psychoanalytische Ansatz und die Kontrolltheorien, die Kriminalität mit Erziehungsdefiziten erklären, etwa mit dem Fehlen von
Hemmschwellen bzw. Empathie, die gerade Gewalttätern fehlen.
Die Lerntheorie geht davon aus, dass kriminelles Verhalten (wie jedes andere
Verhalten) erlernt werden kann, z.B. in der Familie (Gewalttätigkeiten der Eltern: „Kreislauf der Gewalt“), in der Gruppe der Gleichaltrigen (peer group), der
Bande oder im (Jugend-) Strafvollzug (Bock 2007, S. 47; Meier 2003, S. 60).
Jedenfalls lässt sich aggressives Verhalten auch lernpsychologisch erklären. In
diesem Zusammenhang darf die Frustrations-Aggressions-Hypothese nicht
fehlen, nach der Frustration (in Folge von schulischem Misserfolg, familiären
Problemen) Aggressionen auslösen können. Erlernt werden können auch die
„Neutralisierungstechniken“, mit denen der Täter seine Tat vor sich selbst oder
vor anderen zu rechtfertigen sucht. Nach der Theorie des rationalen Wahlhandelns dürfte auch eine Kosten-Nutzen-Analyse im Einzelfall relevant sein (so
alle bisher erwähnten Lehrbücher).
Nach der schon oben erwähnten Anomietheorie (vgl. Lamneck 2007, S. 216 ff.)
kann z.B. Arbeitslosigkeit die Flucht in kriminelles Verhalten bzw. in Alkohol und
Drogenabhängigkeit erklären. Ein Großteil der Delikte, die Gewaltintensivtätern
zur Last gelegt werden, ereignen sich unter dem enthemmenden Alkoholeinfluss. Darauf kommt der Verfasser noch später zurück (siehe Pkt. 7.3.1).
Die Kulturkonfliktstheorie versucht in Verbindung mit soziostrukturellen Benachteiligungen, die auch in den Medien immer wieder thematisiert werden, sozial
abweichendes Verhalten von Migranten (bzw. von Personen mit Migrationshintergrund) zu erklären (vgl. Lamneck 2007, S. 147 ff.).
Zu den Viktimisierungstheorien zählt der Routine- Activity- Ansatz, nach dem
sich die Gefahr einer Viktimisierung erhöht, wenn drei Umstände vorliegen:
18

ein motivierter Täter,

ein aus Tätersicht geeignetes Opfer, das

schutzlos erscheint bzw. bei dem der Täter (oder die Täter) nicht mit risikoreicher Gegenwehr rechnen müssen: die S- und U- Bahn-Fälle?
Nach dem ökologischen Ansatz der Chicago-Schule und der Theorie der sozialen Desintegration (vgl. Schneider 2009, S. 296) sind gewalttätige Verhaltensweisen (z.B. die Gewalttaten im August 2011 in einem Londoner Viertel: vgl.
Neue Osnabrücker Zeitung vom 18.08.2011, S. 3) auch auf das Wohnumfeld
zurückzuführen, in dem junge Menschen, die zu Gewaltstraftätern werden,
aufwachsen müssen.
5.1.2
Interaktionistische Ansätze: Kriminalisierungstheorien
Kriminalisierungstheorien beschäftigen sich mit der Frage, wie sich in diesem
Zusammenhang Außeneinflüsse auf die kriminelle Karriere (bzw. auf turning
points) auswirken, insbesondere Kontakte mit den Instanzen sozialer Kontrolle:
Polizei und Justiz (Lamneck 2007, S. 223). Lassen sich Aufschaukelungsprozesse nachweisen? Wirkt eine Verurteilung stigmatisierend mit Folgen für die
weitere Lebensführung? Zu diesen Erklärungstheorien gehören der Etikettierungsansatz (Labeling approach: Kunz 2004, S. 143 ff.) und das Lebensstilkonzept mit Wendepunkten (vgl. Schneider 2001, S. 68). Welche Wendepunkte
haben im Leben von Gewalt – Intensivtätern eine Rolle gespielt? War niemand
da, der sie zurückhalten konnte? Auch mit den turning points beschäftigt sich
die Biografieforschung (vgl. Stelly/ Thomas/ Kerner/ Weitekamp 1998, S. 104
ff.).
5.1.3
Gruppendruck in Tätergemeinschaften
Auch Gruppendruckphänomene sind oft Ergebnis interaktionistischer Einflüsse.
In Tätergemeinschaften z.B. bei den Hells Angels oder Bandidos (zu diesen
Bader 2011, S. 227 ff.) oder bei den „Tottretern“ (zu diesen Heinke 2010) oder
im Zuge von Demonstrationen kann Konformitätsdruck Hass und Wut, sowie
den Drang zu Aktionismus verstärken (Aufschaukeln) und die gegenseitige
Unterstützung bei Normüberschreitungen bis hin zu Brutalitäten erklären. Aber
warum schließen sich (junge) Menschen zu gewaltorientierten Gruppen zusammen? Dazu schreiben Schumann/ Prein/ Seus (1999, S. 308): Die Mitglied19
schaft in einer solchen Tätergemeinschaft „ermöglicht, Männlichkeit betonende
Szenarios zu erleben; Konkurrenz, Mutproben, Konfrontation in delinquenten
Situationen, verbale Gewalt, Alkoholkonsum fungieren als Männlichkeitsbeweis
mit allen riskanten Folgen“.
5.2
Lebensläufe von Gewaltintensivtätern
Lebensläufe veranschaulichen, warum eine kriminelle Karriere entstand. Nach
der Intensivtäterstatistik der Berliner Staatsanwaltschaft (vgl. Reusch 2004 und
2006) sind 80 % der Berliner Intensivtäter solche mit Migrationshintergrund:
meist Araber und Türken. Zum Verhältnis der beiden Gruppen zueinander wurden keine prozentualen Zahlen bekannt gegeben. Es wurde nur darauf hingewiesen, dass der Großteil der Intensivtäter aus dem Bezirk Berlin-Neukölln
stammt. Deshalb liegt es für den Verfasser nahe, auf einige typische solcher
Lebensumstände vor dem Hintergrund der Kriminalitäts- und Kriminalisierungstheorien einzugehen bzw. diese in die Beurteilung der Lage mit einzubeziehen.
Die Hinweise sind dem Buch der bekannten Berliner Jugendrichterin (am Amtsgericht Tiergarten) Kirsten Heisig über „Das Ende der Geduld“ (2010) entnommen. Sie stammen aus dem Kapitel über „typische Intensivtäterkarrieren“ (S. 80
ff.). Zu Beobachtungen zum Migrationshintergrund schreibt Heisig:
„ Die meisten der zur Zeit etwa 550 Intensivtäter, die bei der Berliner Staatsanwaltschaft registriert sind, wohnen und `wirken` in Neukölln. Es sind gegenwärtig 214. Zur Erinnerung: Als Intensivtäter werden nur Personen bezeichnet, die
innerhalb eines Jahres mindestens zehn erhebliche Delikte begangen haben.
[…] Schwerkriminelle, die häufig 30 und mehr erhebliche Taten aufweisen,
haben zu etwa 90 % einen Migrationshintergrund.“ (S. 80).
„Die Jugendlichen entstammen den vor vielen Jahren aus dem Libanon oder
der Türkei zugewanderten Familien mit sechs Kindern und mehr. Viele Einwanderer haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit, und die meisten
leben vom Kindergeld und staatlichen Transferleistungen. Die Mütter haben nie
deutsch gelernt. Sie überlassen speziell die Jungen schon früh sich selbst,
wobei dies nicht auf mangelnde Fürsorge, sondern auf eine kulturelle Tradition
zurückzuführen ist. Söhne sind kleine Männer und stehen deshalb über den
20
Töchtern. Diese werden einer starken Kontrolle unterzogen, die zum Teil auch
durch die Brüder ausgeübt wird“ (S. 81).
Zu Beobachtungen zur kriminellen Karriere schreibt Heisig:
„Während die Töchter oft sehr erfolgreich versuchen, eine Qualifikation für den
ersten Arbeitsmarkt zu erlangen, und dabei hoffen müssen, nicht verheiratet zu
werden, treiben sich die Brüder im Kiez herum, während die Mutter sie irgendwo im inzwischen weitverzweigten Verwandtschaftskreis wähnt und der Vater
im Teehaus sitzt“ (a.a.O.).
„Es kommt zu ersten Straftaten, die überwiegend aus der Gruppe heraus begangen werden. So abstrakt hört sich das zunächst harmlos an. Aus der Opferperspektive sieht es jedoch anders aus, wenn man mit einem Schlagring, einem
Gürtel oder mit einer Eisenstange zusammengeschlagen wird, weil man einen
Araber angeblich zu lange angeschaut hat. Oder wenn eine alte Dame zu später Abendstunde um etwas Ruhe bittet und dann von drei ´Arabern´ ins Gesicht
geschlagen wird. Oder wenn der Polizeibeamte, der eine Anzeige aufnehmen
muss, weil die Jugendlichen einen Zeitungsständer angezündet haben, zu
hören bekommt: Ich scheiß auf Deutschland. Du bist Dreck unter meinen Schuhen. Du bist tot“ (S. 81/ 82).
„Eine (libanesische) Großfamilie bringt es ohne Probleme auf Hunderte polizeilicher Ermittlungsverfahren […]. Insgesamt ergibt die strafrechtliche Gesamtbetrachtung einiger Clans, dass die weiblichen Familienangehörigen vorwiegend
stehlen und die männlichen Straftaten aus allen Bereichen des Strafgesetzbuches begehen: Von Drogen- und Eigentumsdelikten über Beleidigung, Bedrohung, Raub, Erpressung, gefährliche Körperverletzung, Sexualstraftaten und
Zuhälterei bis zum Mord ist alles vertreten. Die Kinder wachsen weitgehend
unkontrolliert in diesen kriminellen Strukturen auf. Auch sie begehen deshalb oft
von Kindesbeinen an Straftaten. Der Staat kommt an diese Familien nicht heran“ (S. 90).
„Massive Gewaltbereitschaft wird auch innerfamiliär, das heißt von Männern
gegenüber den Frauen, ausgeübt. Es existieren nach meinem Wissen jedoch
21
diesbezüglich kaum Ermittlungsverfahren. Das ist auch nicht verwunderlich,
denn die Wahrung der ´Familienehre’ nach außen folgt einem ungeschriebenen, aber wirksamen Kodex. Wer die eignen Leuten an die ´Deutschen´ verrät,
riskiert sein Leben. Also bieten die hilflosen Ämter fortlaufend weitere Erziehungshilfen unterschiedlichster freier Träger der Jugendhilfe an. Der Erfolg ist
meist gleich null“ (S. 92).
Heisig schreibt zu den Reaktionen der Justiz:
„Das sind nur einige ´Einstiegstaten´ der Intensivtäter, die zu diesem Zeitpunkt
oft noch nicht strafmündig sind […].Nachdem […] die magische Grenze von
vierzehn überschritten ist, können die Täter vor das Jugendgericht gebracht
werden. Inzwischen haben sie es auf einige Diebstähle, Körperverletzungen
und Raubtaten gebracht. Mehrere ältere Geschwister sitzen bereits in der
Strafanstalt“ (S. 82).
„Da viele Kollegen bei den jüngeren ´Nachrückern´ nicht als erste jugendrichterliche Maßnahme eine Jugendstrafe verhängen möchten, kommt es häufig zur
Anordnung von Anti-Gewalt-Maßnahmen und mehrwöchigen Dauerarresten.
Bis diese Weisung umgesetzt bzw. der Arrest vollstreckt ist, vergehen erneut
einige Monate. Zeitgleich versucht das Jugendamt weiter, mit unterstützenden
Angeboten zu agieren. In einem Intensivtäterverfahren wartete der 15-jährige
Verurteilte nicht lange ab, sondern beging noch am Tage seiner Verurteilung
wegen Diebstahls eine erneute Straftat. […] Der frisch Verurteilte schlug einem
Mann mit der Faust (aus nichtigem Anlass) in das Gesicht, sodass dessen Brille
zerbrach und er diverse Augen- und Gesichtsverletzungen davontrug und für
kurze Zeit besinnungslos war. Nachdem der Kumpel das Geschehen filmisch
dokumentiert hatte, rannten alle Beteiligten lachend davon“ (S. 83).
Bewertung durch den Verfasser: Im Gegensatz zu Thilo Sarrazin, der in seinem
Buch über das Thema „Deutschland schafft sich ab“ (2010) ähnlich (aus Sekundärquellen) berichtet, kann Kirsten Heisig als Berliner Jugendrichterin aus
eigener Erfahrung schöpfen. Aber auch sie ist auf harte Kritik gestoßen (Focus
33/2010, S. 38). Ob sie sich deshalb oder wegen familiärer Probleme das Leben genommen hat (sie hat sich erhängt: Focus a.a.O.), ist nicht geklärt. Der
22
Westdeutsche Rundfunk (TV) hat am 19.05.2011 um 22:30 Uhr eine Sendung
ausgestrahlt mit dem Titel „ Tod einer Richterin“, in der Kirsten Heisig und ihre
Arbeit positiv dargestellt wurden.
Erwähnt wurde in der Sendung z.B. das von ihr initiierte „Neuköllner Modell“,
das auf zügige strafrechtliche Reaktionen setzt, begleitet von präventiven Aktivitäten, z.B. des Jugendamtes bzw. der Jugendgerichtshilfe. Darauf wird der
Verfasser unter Pkt. 6.1 noch zurückkommen. Heisig’s Beobachtungen bestätigen die Annahme von Kriminalitätstheorien und Kriminalisierungstheorien:

Sozialisationstheorien: Jungen mit Migrationshintergrund werden in den
Herkunftsfamilien oft nicht adäquat erzogen. Das bedeutet, dass
Hemmschwellen (Selbstbeherrschung unterentwickelt) fehlen, ebenso
wie Rechtsgefühl und Empathie;

Lerntheorie: Familienväter sind oft kein Vorbild; kriminelle Ansteckung
(gewalttätige Freunde), Kreislauf der Gewalt, Straftaten werden wiederholt, weil nachhaltige Sanktionen ausbleiben;

Neutralisierungstechniken: Könnten auch bei den brutalen U- und SBahn-Überfällen relevant sein („Du Opfer“ als Schimpfwort);

Gruppendruck spielt bei bandenmäßiger Tatdurchführung (z.B. im Hinblick auf Brutalitäten) eine Rolle;

Anomietheorie: Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit können Frustrationen auslösen und zur Flucht in Alkohol und Drogen führen und Gewaltexzesse erklären;

Kulturkonfliktstheorie: z.B. andere kulturelle Vorstellungen zur Rolle der
Frau und zur „Ehre“;

Routine-Activity-Theorie: man sucht sich wehrlose (geeignete) Opfer
(z.B. nachts auf der Straße) um z.B. sein Selbstwertgefühl zu verbessern;

der ökologischer Ansatz der Chicago-Schule und die Theorie der sozialen Desintegration beziehen sich auf das ungünstige städtische Umfeld
vieler Gewaltintensivtäter;

Kriminalisierungstheorien: Negative Erfahrungen mit Polizei und Justiz
können kriminelle Karrieren verfestigen.
23
Als positive Wendepunkte im Leben kommen nach Kirsten Heisig energische
und rasche Rechtsfolgen in Frage, die nach ihrer Erfahrung grundsätzlich ausbleiben. Bis auf die ausländerspezifischen Probleme können die anderen Defizite natürlich auch die Straftaten deutscher Gewaltintensivtäter erklären. Aber:
„Deutsche Vielfachtäter gibt es in Neukölln kaum“ (Heisig 2010, S. 80). In diesem Stadtteil leben ganz überwiegend Araber. Zu welchen Ergebnissen kommt
die empirische Forschung?
5.3
Ergebnisse der empirischen Forschung zu den Bedingungsfaktoren
Die Ergebnisse der empirischen Forschung zu den Ursachen von Gewalttätigkeiten hat schon die (Anti-) Gewaltkommission der Bundesregierung (Schwind/
Baumann, 1990) zusammengetragen. Die Bedingungsfaktoren werden auch in
den gängigen Kriminologielehrbüchern ausführlich beschrieben. Der Verfasser
will solche Hinweise deshalb nur insoweit wiederholen, als sie für die gewählte
Thematik wichtig erscheinen.
5.3.1
Forschungsbefunde aus Hessen
Von den „universitären Studien“ wird von Koch-Arzberger et. al. (2010) die
Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung (Göppinger 1983) zitiert, die zum
Ziel hatte, „ein breites Basiswissen über den wiederholt Straffälligen im Vergleich zur Durchschnittspopulation“ zu erlangen. Aus dem Kreis der deutschen
Längsschnittuntersuchungen wird eine Arbeit von Heinz et. al. (1988, S. 631 ff.)
erwähnt. Diese Forschergruppe hatte das Bundeszentralregister ausgewertet
und dabei ermittelt, „dass nur 1,8 % der Männer und 0,3 % der Frauen fünf und
mehr Einträge aufwiesen“ (zit. nach Koch-Arzberger et. al. 2010, S. 54). Dass
es so relativ wenige sein sollen, überrascht.
Berichtet wird auch über die Ergebnisse von „Polizeilichen Studien“ (a.a.O., S.
54 ff.) mit Resultaten, die zum Teil anders klingen. Erwähnt werden drei Studien. So hat eine Untersuchung der „Kriminologischen Forschungsgruppe der
Bayerischen Polizei“ (Steffen 2005, S. 32) zu „Kindlichen und jugendlichen
Mehrfach- und Intensivtätern“ ergeben, dass etwa ein Drittel der 906 in München tatverdächtigen 14-15jährigen „mit mehr als vier Straftaten registriert“
wurden (a.a.O., S. 56). Die schon erwähnte Untersuchung aus Hessen (KochArzberger et. al. 2010) differenziert nach „soziodemographischen Daten“
24
(a.a.O., S. 73), Belastungsfaktoren (a.a.O., S. 89), Einstiegsalter (a.a.O., S.
111) und Karriereverlauf (a.a.O., S. 159) der Mehrfach- und Intensivtäter (MIT)
in Hessen.
Die Gesamtzahl der Straftaten, die den 1328 Mehrfach- und Intensivtätern
(MIT) zum Stichtag 31.07.2006 in Hessen zur Last gelegt wurden, betrug 93
400. Im Durchschnitt entfielen damit auf jeden MIT etwa 70 Straftaten (a.a.O.).
Bei den Nichtdeutschen machte der Anteil an den Rohheitsdelikten und an den
Straftaten gegen die persönliche Freiheit ca. 22 % aus, bei den MIT mit deutscher Staatsbürgerschaft nur ca. 11 %. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen
(vgl. Pkt. 2.5), dass zahlreiche Migranten und ihre Nachkommen inzwischen
(weil sie die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt haben) als Deutsche gezählt
werden. Der Prozentsatz zu Lasten der Täter mit Migrationshintergrund, dürfte
also noch höher als 22 % anzusetzen sein.
5.3.2
Ergebnisse aus Schülerbefragungen
Die Ergebnisse der schon oben erwähnten Schülerbefragungen, die das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) ab 2005 durchführt, werden von Koch-Arzberger et al. nicht erwähnt. Beim KFN geht es um
ausgewählte Bedingungsfaktoren der Gewalttäterschaft ganz allgemein, aber
insbesondere bei jugendlichen Mehrfachtätern. Zu den herausgefilterten Risikofaktoren zählen (Baier/ Pfeiffer/ Rabold 2009, S. 329 und 2010, S. 185):

hohe Risikosuche (Suche nach dem Nervenkitzel: Spaß an der Gewalt)
verbunden mit niedriger Fähigkeit zur Selbstbeherrschung,

häufige Schulschwänzereien,

hoher Gewaltmedienkonsum,

häufiger Alkoholgebrauch,

wöchentliche Zeit für Kneipe, Disco usw.,

schwere Elterngewalt (untereinander und gegenüber den Kindern) ,in
den letzten 12 Monaten erlebt.
Der stärkste Einfluss auf die Jugendgewalt soll von der Zahl der gewalttätigen
Freunde abhängen (mehr als fünf), deren Verhalten gelernt und nachgeahmt
wird (Baier/ Pfeiffer/ Rabold 2009, S. 329).
25
5.3.3 Gesicherte Befunde im Überblick
Auch nach Steffen, die als Leiterin des „Dezernats Forschung, Statistik, Prävention“ im Bayerisches Landeskriminalamt über einen Forschungsüberblick verfügt, gehört zu den gesicherten Befunden der kriminologischen Forschung die
Feststellung, dass die Mehrfach- und Intensivtäterauffälligkeit regelmäßig mit
sozialen und individuellen Defiziten und Mängellagen verbunden ist (Steffen
2009, S. 86). Erwähnt werden

„Frühauffälligkeit,

Herkunft aus sozio-ökonomisch belasteter Familie,

gestörte Erziehungsverhältnisse – insbesondere durch erfahrene oder
beobachtete familiäre Gewalt-,

materielle Notlagen bis hin zu sozialer Randständigkeit und dauerhafter
sozialer Ausgrenzung,

Schulstörungen und Schulversagen, Schulschwänzen und vorzeitigem
Schulabbruch, Scheitern beruflicher Ausbildung,

starke Orientierung an delinquenten Cliquen und Peer-Gruppen“ u.ä. .
Nicht erwähnt werden „die Akkumulation von Misserfolgen“ (Boers 2009, S. 67)
und psychiatrische Persönlichkeitsdefizite. (Gewalt-) Intensivtäterprogramme,
die präventive Ziele verfolgen, sollten sich auch an diesen Einflussfaktoren
orientieren.
6.
Gewalt-/ Intensivtäterprogramme
Intensivtäterprogramme beziehen sich in erster Linie wegen deren Gefährlichkeit auf Gewalttäter. Die jeweiligen Maßnahmenbündel erfassen schwerpunktmäßig
Aktivitäten
in
den
Bereichen
der
sekundären
Prävention
(Strafverfolgung) und tertiären Prävention (Rückfallverhütung). Die primäre
Prävention (allgemeine Vorbeugung) kommt für den betreffenden Täterkreis
schon zu spät und ist deshalb nicht Gegenstand der Intensivtäterprogramme.
Die Aufgabe besteht einerseits darin, die zum Teil sehr umfangreichen Beschreibungen in ihren Kernaussagen kurz zusammenzufassen, andererseits
konnte nur dokumentiert werden, was dem Verfasser zur Verfügung gestellt
wurde.
26
Bevor auf die Länderprogramme eingegangen wird, sollen ortsbezogene Ansätze vorgestellt werden, die die gleichen Ziele verfolgen bzw. in die Programme
integriert sind: das Berliner Neuköllner Modell und die „Häuser des Jugendrechts“ in den Großstädten Stuttgart, Köln und Frankfurt/ M.. Auf die Zusammenarbeit mit solchen Häusern weisen z.B. die Programme der Bundesländer
Hessen und Rheinland-Pfalz ausdrücklich hin.
6.1
Das „Neuköllner Modell“
Das Neuköllner Modell ist (wie schon unter Pkt. 5.2 erwähnt) auf Initiative von
Kirsten Heisig entstanden und wird in ihrem Buch (2010) auf den S. 177 bis 195
beschrieben. Der Bericht beginnt auf der S. 177 mit dem Satz: „Mein Geduldsfaden riss irgendwann und ich begann mir Gedanken darüber zu machen, was
ich selbst beitragen könnte. Praktisch, nicht rechtstheoretisch“. Die Grundlage
ihrer Überlegungen bilden dabei drei Aspekte, die Heisig (S. 179 ff.) wie folgt
zusammenfasst:
Erstens: „Zum einen (schreibt sie) verstreicht zu viel Zeit von der Tatbegehung
bis zur Hauptverhandlung. Selbst in einfach gelagerten Fällen vergehen nicht
selten sechs Monate, bis es zur Verhandlung kommt […]. Denkt man an seine
eigenen Kinder, gelangt man zum einen auch bei mäßigem Fachwissen zu der
Erkenntnis, dass ein Fernsehverbot drei Wochen nach dem verspäteten Nachhausekommen nichts mehr bringt. Das gilt im Prinzip auch für jugendliche Straftäter. Die Verfahrensdauer muss also verkürzt werden“.
Zweitens: „Zum anderen stellt man fest, dass systemübergreifend zu wenig
kommuniziert wird und dadurch wichtige Informationen verloren gehen“.
Drittens: Gedacht ist das Modell nur für einfache Fälle leichter Straftaten mit
denen jedoch oft eine kriminelle Karriere beginnt: Ladendiebstahl, Sachbeschädigung, Bedrohung und Beleidigung.
Der Grundgedanke des „Neuköllner Modells“ (Heisig, a.a.O.) bezieht sich auf
Einzelrichtersachen in deren Rahmen das „beschleunigte Verfahren“ (vereinfachtes Jugendstrafverfahren, §§ 76 ff. JGG) eingesetzt werden kann. Das
Modell „bietet die Möglichkeit, ohne Einhaltung von Formen oder Fristen unmittelbar auf Straftaten zu reagieren“ (a.a.O.). Kurz nach der Tat, „ist der Täter in
der Hauptverhandlung emotional noch dicht am Erlebten […]. In diesen Situationen hat bereits die Hauptverhandlung einen erzieherischen Effekt“ (a.a.O.).
27
Weiter heißt es jedoch: „Die Verfahren, die wir auf diese Weise erledigen, sind
nicht geeignet, auf Intensivtäter einzuwirken, da bei diesen bereits Jugendstrafen ins Haus stehen“ (a.a.O.). Es kommen nach dem Neuköllner Modell daher
als Rechtsfolgen nur Erziehungsmaßnahmen (§ 9 JGG: Weisungen, Heimerziehung usw.) und Zuchtmittel (§ 13 JGG: Schadenswiedergutmachung, Verwarnung und Jugendarrest) in Frage. Heisig hat sich mit Erfolg außerdem um
gemeinsame Einsatzstrategien mit der Polizei bemüht. Zum Teil fanden Zuständigkeits- Veränderungen statt. Auch das gehört zum Modell (a.a.O.).
„Das Neuköllner Modell“ wird in der Novemberausgabe der Zeitschrift Kriminalistik (2011, S. 731 ff.) von Suske-Bonack konstruktiv- kritisch besprochen.
Insgesamt betrachtet, gelangt die Autorin zu dem Ergebnis, dass „beschleunigt
durchgeführte vereinfachte Jugendverfahren ein wichtiger Baustein des Gesamtkonzepts zur Bekämpfung der Jugendkriminalität ist, der sich sinnvoll zwischen die Verfahrensmöglichkeiten Diversion und allgemeine, mitunter
langwierige Jugendverfahren einfügt“ (a.a.O., S. 735). Suske-Bonack weist
ferner darauf hin, dass „ab 1.1.2008 das beschleunigt durchgeführte vereinfachte Jugendverfahren in den Abschnittsbereichen A 54 und A 55 (beide befinden
sich in Berlin-Neukölln) erprobt und mit Datum 1.7.2008 auf die gesamte Direktion fünf ausgeweitet wurde“ (a.a.O., S. 733). Am „1.9.2009 wurde es für die
Sachbearbeitung in der Direktion sechs und am 1.1.2010 in der Direktion eins
übernommen. Die Ausdehnung auf die Direktionen zwei, drei und vier erfolgte
zum 01.06.2010“ (a.a.O.; vgl. auch Pkt. 6.3.2).
Evaluiert ist das Modell nach den Beobachtungen von Heisig (2010, S. 186)
bisher noch nicht. Die Berliner Justizsenatorin (von der Aue) hielt eine Evaluation nicht für nötig, „weil die Beteiligten sowieso eng zusammenarbeiten“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.05.2010, S. 7).
6.2
„Häuser des Jugendrechts“
Nach Fünfsinn/ Winkler (2011, S. 2) „arbeiten (ressortübergreifend) in Häusern
des Jugendrechts, Jugendhilfe bzw. Jugendgerichtshilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft „unter einem Dach“ mit dem Ziel zusammen, die Kooperation der
beteiligten Institutionen zu verbessern, um damit angemessen und abgestimmt
auf Jugenddelinquenz zu reagieren, die Dauer von Jugendstrafverfahren zu
verkürzen und die Prävention zu stärken“.
28
6.2.1
Stuttgart
Die Grundgedanken des Neuköllner Modells sind nicht neu. Schon 1999 wurde
ein damals „einmaliges Modellprojekt“ als „Haus des Jugendrechts“ in Stuttgart
begonnen (Haus des Jugendrechts Stuttgart, 2009). Im Vorwort der Broschüre
mit dem Titel „Zehn Jahre Haus des Jugendrechts Stuttgart“ (S. 9) heißt es:
„Unbefriedigend war, dass die staatlichen Reaktionen (auf zunehmende Jugendkriminalität) vielfach nicht abgestimmt waren und nacheinander erfolgten.
Die Zeitdauer zwischen Straftat und Sanktionierung war oft viel zu lang, junge
Täter warteten monatelang auf eine Reaktion oder die erste Verhandlung bei
Gericht“ (vgl. auch Feuerhelm/ Kügler 2009).
Daraus resultierte (wie im Neuköllner Modell) eine Konzeption mit folgenden
Zielen (a.a.O., S. 10): „Schnelles Handeln bei normwidrigem Verhalten durch
Beschleunigung staatlicher und kommunaler Reaktion auf Straftaten junger
Menschen, sowie Optimierung der behördenübergreifenden Zusammenarbeit“.
Um das zu erreichen, wurden auch in Stuttgart die bisherigen Zuständigkeiten
neu überdacht. Wesentlich war „die Angleichung der sachlichen und örtlichen
Zuständigkeiten der (beteiligten) Institutionen“ (a.a.O.). Beteiligt sind die Polizei
(Polizeipräsidium Stuttgart), die Staatsanwaltschaft (beim Landgericht Stuttgart), das Amtsgericht Stuttgart- Bad Cannstatt und das Jugendamt Stuttgart.
Als „geeignete Stadtbezirke für das Modellprojekt wurden Bad Cannstatt und
Münster ausgewählt“. Polizei und Staatsanwaltschaft wurden „unter einem
Dach“ untergebracht, die Jugendgerichtshilfe des Jugendamtes in einem Gebäude nebenan.
Durch die Nähe lassen sich „die Maßnahmen und Hilfen aller Beteiligten gut
abstimmen“ (a.a.O., S. 14), die es „ermöglichen, die große Bandbreite des
Jugendgerichtsgesetzes (JGG), von der erzieherischen Maßnahme bis hin zur
Jugendstrafe in der Praxis erfolgreich anzuwenden“ (a.a.O., S. 15).
Anders als nach dem Neuköllner Modell können damit auch Intensivtäter bzw.
Gewalt- Intensivtäter in die Rechtsfolgen (Jugendstrafe) einbezogen werden.
Die Informationswege werden wie folgt beschrieben (a.a.O.): „Die Staatsanwaltschaft schaltet sofort die Jugendgerichtshilfe zur Initiierung von Hilfemaßnahmen ein; wohlgemerkt, das polizeiliche Ermittlungsverfahren ist zu diesem
Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Die Jugendgerichtshilfe bekommt damit zu
einem sehr frühen Zeitpunkt die Information über ein laufendes Ermittlungsverfahren bei der Polizei. Sie kann frühzeitig reagieren und die gesamte Palette
29
der Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (Sozialgesetzbuch VII)
ausschöpfen (§ 38 JGG)“.
Eine Evaluation ist geplant. Für „Konzeption und empirische Befunde“ wird Prof.
Dr. Feuerhelm (Universität Mainz) genannt (a.a.O., S. 46).
6.2.2 Köln
Rund 10 Jahre nach der Arbeitsaufnahme des Stuttgarter Modells (1999/2009)
hat das Kölner „Haus des Jugendrechts“ seine Tätigkeit begonnen. Die Basis
bildet folgender Beschluss des Rates der Stadt Köln vom 19.07.2007: „Die
Verwaltung wird gebeten, in Abstimmung mit den Kooperationspartnern Polizei,
Staatsanwaltschaft und Jugendhilfe ein Pilotprojekt zu entwickeln, welches
analog zum Stuttgarter Modell eines „Haus des Jugendrechts“ eine konzentrierte Zusammenarbeit ermöglicht, um strafrechtliche Verfahren zu verkürzen und
damit zeitnahe Reaktionen auf jugendkriminelle Aktivitäten zu ermöglichen“
(Kölner Haus des Jugendrechts 2010, S. 5).
An anderer Stelle desselben Beschlusses (a.a.O., S. 9) heißt es ergänzend:
„Durch die gezielte Bekämpfung der Kriminalität von Intensivtätern sollen nachhaltige Abschreckungseffekte erzielt und die Verhinderung bzw. der Abbruch
krimineller Karrieren bezweckt werden […]. Zu diesem Zweck sind alle präventiven und repressiven Maßnahmen direktionsübergreifend abzustimmen […].
Wie in Stuttgart sollen strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen jugendliche
und heranwachsende Mehrfachtatverdächtige beschleunigt werden“.
In der Kölner Konzeption wird dann darauf hingewiesen (a.a.O., S. 10), dass
landes- bzw. „bundeseinheitliche Regeln zur Einstufung von Intensivtätern nicht
existieren“.
Durch die Kölner Polizei werden als Mehrfachtäterverdächtige solche Personen
geführt, „die eine gewohnheits- oder gewerbemäßige Begehung von Straftaten
mit Schwergewicht in den Bereichen der Gewalt- und Eigentumskriminalität
erkennen lassen und bei denen nach kriminologischer Bewertung anzunehmen
ist, dass sie weitere Straftaten in erheblichem Ausmaße begehen“ (a.a.O.).
Erfasst werden mit diesem Raster solche mehrfach auffälligen Jugendlichen
und Heranwachsenden, „die jeweils innerhalb der letzten 12 Monate mindestens fünf Straftaten aus den Bereichen Raub, Körperverletzung, Straftaten
gegen die persönliche Freiheit und Diebstahl verübt haben“ (a.a.O., S. 11).
Dafür werden Punkte vergeben, auf Grund deren eine Rankingliste erstellt wird
30
(vgl. Pkt. 6.3.8.2). Verfahren gegen Intensivtäter werden in Sonderdezernaten
der Polizei und Staatsanwaltschaft geführt, die „spiegelbildlich“ (a.a.O., S. 13)
zusammenarbeiten, und zwar „unter einem Dach“.
Auch das Jugendamt wird zu den gemeinsamen Fallkonferenzen mit herangezogen. Zu den weiteren Kooperationspartnern gehören in Köln: die örtlichen
Gerichte, Freie Träger der Jugendhilfe und Streetworker der Stadt Köln (a.a.O.,
S. 18).
6.2.3 Frankfurt/M.
In Frankfurt hat die Stadtverwaltung seit 2008 das Haus des Jugendrechts
eingerichtet. Nach der Konzeption dieses Hauses ist es das Ziel (Fünfsinn/
Winkler 2011, S. 3):

„zum einen das Abgleiten von Kindern und Jugendlichen/ Heranwachsenden“ in sozial abweichendes Verhalten zu verhindern,

zum anderen „bereits begonnene kriminelle Karrieren frühzeitig abzubrechen, um dadurch langfristig Jugenddelinquenz zu reduzieren“.
Dabei gehen die Betreiber von einem „ganzheitlichen Ansatz“ aus, zu dem „die
Optimierung der behördenübergreifenden Zusammenarbeit durch die Unterbringung aller Beteiligten (wie in Stuttgart und Köln) in einem Anwesen gehört“.
Beteiligt sind (a.a.O., S. 4): Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe,
sowie eine Institution der evangelischen Kirche, die einen Täter/ Opferausgleich
anbietet und beratend auch der Präventionsrat der Stadt Frankfurt.
Personenbezogene Ermittlungen der Polizei werden (wie bei der StA) gegenüber Schwellentätern, sowie Mehrfach- und Intensivtätern von speziellen Sachbearbeitern geführt. Beabsichtigt ist eine „zeitnahe Reaktion auf normwidriges
Verhalten bereits bei der ersten Verfehlung“ (a.a.O.).
In „geeigneten Fällen trifft die Staatsanwaltschaft in Abstimmung mit der Jugendgerichtshilfe eine Vorentscheidung zu der Frage, welchen Abschluss/
welche erzieherische Maßnahme die konkrete Sachlage voraussichtlich zur
Folge haben wird. Alle Beteiligten führen „regelmäßig 14tägig“ sog. Hauskonferenzen durch und bei Bedarf auch noch spezielle „Fallkonferenzen“ (a.a.O., S.
5).
31
6.3
Intensivtäterprogramme als Rahmenkonzepte der Polizeien in der
Bundesrepublik Deutschland
Federführend sind die 16 Landeskriminalämter, die vom Verfasser angeschrieben wurden (siehe Pkt. 9.4.4). Aus folgenden Bundesländern wurden Konzepte
übersandt: Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.
Bayern und Nordrhein-Westfalen haben eine Zusendung abgelehnt (vgl. Pkt.
9.4.5); die Unterlagen aus Nordrhein-Westfalen konnten anders beschafft werden. Brandenburg verfügt (wie Nordrhein-Westfalen) über kein eigenes Landesintensivtäterprogramm. Thüringen orientiert sich am hessischen Konzept.
Alle Landesprogramme wurden vom Verfasser in eine Kurzform gebracht und
nach dem einheitlichen Prüfschema (siehe Punkt 1.1) gegliedert. Dabei werden
die Quellen aus denen zitiert, die jeweils den Landesprogrammen zur besseren
Lesbarkeit vorangestellt sind. Die Thematik bleibt aber eng begrenzt. Es wäre
zwar wünschenswert z.B. auch die Qualität der Zusammenarbeit der am Konzept beteiligten Institutionen zu untersuchen oder die Funktionen einer Intensivtäterliste zu erforschen. Eine solche Ausweitung kann aber für eine zeitlich
begrenzte Masterarbeit nicht in Betracht kommen. Für umfangreichere empirische Untersuchungen (z.B. durch das KFN?) ist jedenfalls Raum. So weisen
Bindel-Kögel/ Karliczek (2009, S. 99) darauf hin, dass auch die Frage „wie die
Konzepte und Programme auf junge Intensivtäter mittel- und längerfristig wirken
bisher nicht erforscht worden ist“.
6.3.1
Baden-Württemberg
Quellen:
LKA Baden-Württemberg: Täterorientiertes Vorgehen gegen Mehrfach- und Intensivtäter,
Gewaltkriminalität (MIT-G), Baden-Württemberg 2008, S.1-7, n.v., zit. LKA BW 2008.
LKA Baden-Württemberg: Mehrfach- und Intensivtäter „Gewalt“ in Baden-Württemberg,
Evaluationsbericht 2008, Baden-Württemberg 2009, n.v., zit. LKA BW 2009.
6.3.1.1 Ziele des Programms
Das Ziel des Landesprogramms besteht in der „Schaffung einer durchgängig
abgestimmten Intervention“ durch Jugendhilfe, Polizei, Staatsanwaltschaft und
Gericht (LKA BW 2009, S. 2).
32
6.3.1.2 Definition des Intensivtäters
Als MIT-G Täter werden nur Erwachsene erfasst, „bei denen aufgrund ihres
kriminellen Vorlebens, einer offensichtlichen Wirkungslosigkeit bisheriger Strafund Resozialisierungsmaßnahmen, einer starken Negativprognose (mit erneuter Begehung von Gewalttaten ist zu rechnen), der aufgewendeten kriminellen
Energie (z.B. im Hinblick auf besondere Gewaltanwendung, Rücksichtslosigkeit
und Opferauswahl) ein dringender Handlungsbedarf gegeben scheint. In Betracht kommen dabei Personen, die drei oder mehr Gewaltdelikte innerhalb der
letzten zwölf Monate begangen haben“ (LKA BW 2008, S. 1). Ergänzend wird
vermerkt, „dass auch Gewalttäter in das „MIT-G“ Programm aufgenommen
wurden, bei denen zwar eine konkrete Ausprägung der Gewaltbereitschaft zu
erkennen war, die aber keine drei Gewalttaten in den zurückliegenden zwölf
Monaten begangen hatten“ (LKA BW 2009, S. 3).
6.3.1.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Die Polizei hat insbesondere die „Aufgabe, ihre Erkenntnisse und Erfahrungen
in die Beratungen einzubringen, erzieherische Auflagen gezielt zu überwachen,
die vielfältigen Kontakte mit den Betroffenen und ihrem persönlichen Umfeld für
präventive Einflussnahmen zu nutzen sowie weitere Straftaten durch lageorientierte Präsenzmaßnahmen möglichst schon im Vorfeld zu verhindern“. Weiterer
Bestandteil der Maßnahmen besteht in der „zügigen Fallvorlage an die Staatsanwaltschaft“ (a.a.O., S. 4)
6.3.1.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
Um jugendliche Intensivtäter gezielt vor einer Fortsetzung ihrer ”kriminellen
Karriere” zu bewahren, gleichzeitig aber auch die Allgemeinheit zu schützen, ist
eine intensive Zusammenarbeit der zuständigen kommunalen und staatlichen
Stellen geboten. Hierzu geben die Kommunalen Landesverbände und die betroffenen Ministerien folgende Empfehlungen: Auf Kreisebene stimmen Jugendämter, Staatsanwaltschaft, Polizeivollzugsdienst und– soweit ausländische
Kinder und Jugendliche betroffen sind – die Ausländerbehörden in regelmäßigen Koordinierungsgesprächen ihre Präventions- und Interventionsmaßnahmen
hinsichtlich jugendlicher Intensivtäter ab (a.a.O., S. 5). Hierzu dürfen die beteiligten Stellen personenbezogene Daten austauschen, soweit dies im jeweiligen
Fall nach den für sie geltenden Vorschriften zulässig ist. „Massive Kriminalitäts33
auffälligkeit von Kindern und Jugendlichen führt zwangsläufig zu einer oft parallelen Befassung der zuständigen staatlichen Stellen“ (a.a.O.). Ziel der Koordinierungsgespräche ist es, „im Sinne eines Synergieeffektes gemeinsam zu
einer Gesamtschau des Falles zu kommen, Nahtstellenprobleme zu reduzieren
sowie im Rahmen des rechtlich Möglichen eine übergreifende Lösungsstrategie
zu entwickeln und diese abgestimmt umzusetzen“ (a.a.O.). Im Vordergrund
stehen Hilfeangebote, um diesen besonders kriminalitätsgefährdeten jungen
Menschen die Rückkehr zu rechtstreuem Verhalten zu erleichtern und ihnen
wieder eine positive Lebensperspektive zu verschaffen (a.a.O., S. 6). Dabei
kommt den Jugendämtern eine maßgebliche Rolle zu, bei der sie individuell das
gesamte Instrumentarium jugendhilferechtlicher Maßnahmen nach dem SGB
VIII – u.a. Förderung der Erziehung in der Familie, Erziehungshilfen in ambulanter und stationärer Form, intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung – einsetzen können. Die Staatsanwaltschaft kann durch situationsangemessene
Auflagen und Weisungen im Rahmen des Jugendstrafverfahrens den Loslösungsprozess aus einem kriminalitätsbegünstigenden Umfeld unterstützen
(a.a.O.).
6.3.1.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Die Berücksichtigung eines Migrationshintergrunds findet in Form von Absprachen mit der Ausländerbehörde statt.
6.3.1.6 Evaluation
Dieses Modell ist evaluiert worden (LKA 2009). Der Bericht stammt aus dem
Jahr 2008. Wer ihn verfasst hat, geht aus der LKA –Broschüre nicht hervor. Er
beginnt mit dem Satz (S. 1): „Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen
wird die Fortführung der Konzeption Täterorientiertes Vorgehen gegen Mehrfach- und Intensivtäter – Gewaltkriminalität (MIT-G)“ empfohlen. Einzelheiten
aus dem Evaluationsbericht :

„Das angestrebte Ziel zur Schaffung einer durchgängig abgestimmten Intervention gegen Gewalt- und Intensivtäter aller Altersgruppen wurde
weitgehend erreicht. Als „eingebundene Institutionen“ werden außer der
Polizei erwähnt: die Staatsanwaltschaft, die Bewährungshilfe des Amts-
34
gerichts, die Ausländerbehörde, die Waffenbehörde und der „Veranstalter von Brauchtumsveranstaltungen“ (a.a.O., S. 3).

„Von einzelnen Polizeidirektionen wurde bekannt, dass die […] vorgegebenen Kriterien erweitert und beispielsweise auch Gewalttäter […] aufgenommen wurden, bei denen zwar eine konkrete Ausprägung der
Gewaltbereitschaft erkennbar war, aber keine drei Gewalttaten in den zurückliegenden zwölf Monaten begangen“ wurden (a.a.O.).
Als „veranlasste Maßnahmen“ werden in der Evaluation u.a. aufgeführt (a.a.O.,
S. 4): „die Unterrichtung des für den Wohnort zuständigen Polizeireviers, die
abgestimmte und beschleunigte Bearbeitung von Straftaten der „MIT-G“ – Fälle
und zügige Fallvorlage an die Staatsanwaltschaft, anlassbezogene Benachrichtigung von Fahrerlaubnisbehörde und Ausländerbehörde und Gefährderansprachen, um die „MIT-G“ darüber zu unterrichten, dass sie im polizeilichen Fokus
stehen“ (a.a.O.).
Als Handlungsempfehlungen/ Maßnahmen werden empfohlen: die Erhebung
von Informationen über „die Anzahl der MIT-G, die nach der Einstufung keine
weiteren einschlägigen Gewalttaten mehr begangen haben“ und die Veranstaltung eines Workshop „für die mit der Einstufung und Betreuung von MIT-G
befassten Sachbearbeiter unter Beteiligung von Vertretern des Landespolizeipräsidiums sowie der Landesprävention und der Fachinspektion des LKA mit
dem Ziel „sinnvolle Modifikationen“ des Programms zu besprechen“ (a.a.O., S.
7).
6.3.2 Berlin
Quellen:
Der Polizeipräsident in Berlin LKA 724 KoST ITB: „Arbeitshinweise zur Täterorientierten
Ermittlungsarbeit“ – Version 2008 (Az.: 0634/3), gültig seit dem 19.06.2008, n.v., zit. LKA BE
2008.
LKA Berlin: Evaluation des Intensivtäterkonzepts bei der Berliner Polizei, Abschlussbericht des
Praktikums vom 06.03.2006 bis 21.04.2006, n.v., zit. LKA BE 2006.
LKA Berlin: Evaluation der „Arbeitshinweise Intensivtäterbekämpfung (Stand: 19.06.2008)“,
Schreiben vom 01.02.2010 (Az. 4664-977000), n.v., zit. LKA BE 2010.
6.3.2.1 Ziele des Programms
„Grundgedanke der täterorientierten Ermittlungsarbeit ist die personenorientierte und deliktsunabhängige Bearbeitung von Strafverfahren und das Zusammen35
führen von Informationen über Personen, bei denen sich eine kriminelle Karriere abzeichnet bzw. bereits begonnen hat. Er zielt in erster Linie auf die Bereiche
der Jugend- und Gewaltkriminalität ab“ (LKA BE 2008, S. 2; vgl. auch Pkt. 6.1
zum Neuköllner Modell).
6.3.2.2 Definition des Intensivtäters
Das Programm unterscheidet zwischen den Begriffen „Kiezorientierter Mehrfachtäter“ (KoMT), „Schwellentäter“ (ST) und „Intensivtäter“ (IT) (a.a.O., S. 3).
Ein KoMT „ist eine Person, die innerhalb eines bestimmten eingrenzbaren örtlichen Bereiches (Abschnitt) und innerhalb eines zeitlich relativ engen Zeitraumes (ein Jahr) durch die wiederholte Begehung von Straftaten polizeilich in
Erscheinung getreten ist und bei der unter kriminologischer Betrachtung und
Bewertung ihres bisherigen Verhaltens die Prognose gestellt werden kann,
dass sie auch künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit Straftaten begehen wird und
bei der daher eine personenbezogene Sondersachbearbeitung für mindestens
ein Jahr geboten erscheint“ (a.a.O.).
Um als KoMT erfasst zu werden, kommt es somit lediglich auf eine Risikoanalyse an. Eine Altersgrenze oder eine präzisere Beschreibung über die Art und
Anzahl der begangenen Delikte wird nicht verlangt (a.a.O.).
Schwellentäter werden definiert „als Straftäter unter 21 Jahren, die – ohne Intensivtäter zu sein - verdächtig sind, in der Regel mindestens fünf Gewaltstraftaten von einigem Gewicht begangen zu haben, und bei denen die Prognose
gestellt werden kann, dass sie künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere
derartige Straftaten begehen werden. Zu den Gewaltstraftaten von einigem
Gewicht zählen insbesondere die Raubstraftaten“ (a.a.O.).
„Intensivtäter (IT) sind Straftäter, die verdächtig sind, den Rechtsfrieden durch
besonders störende Straftaten, wie z.B. Raub-, Rohheits- und/oder Eigentumsdelikte in besonderen Fällen begangen zu haben oder innerhalb eines Jahres in
mindestens zehn Fällen Straftaten von einigem Gewicht begangen zu haben
und bei denen die Gefahr einer sich verfestigenden kriminellen Karriere besteht“ (a.a.O). Es besteht weiter die Möglichkeit, einen Tatverdächtigen allein
auf Grund einer einzigen schweren Straftat als Intensivtäter einzuordnen
(a.a.O).
36
6.3.2.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Kern des Programms ist die Zuordnung und Bearbeitung von Ermittlungsverfahren eines intensiv agierenden Straftäters durch einen festen „Sondersachbearbeiter“. Auf Ebene der Polizeiabschnitte werden die KoMT betreut und auf
Ebene der örtlichen Kriminalreferate sowie des LKA die Schwellen- und Intensivtäter (a.a.O., S. 2). Als zentrale Ansprechstelle im LKA ist die „Koordinierungsstelle Intensivtäterbekämpfung“ (KoSt ITB) zuständig (a.a.O., S. 5). Dazu
heißt es (a.a.O., S. 10): Die „polizeiliche Maßnahmenkette bei der Behandlung
von Tätern im Bereich der Jugend- und Gewaltkriminalität lässt sich wie folgt
darstellen: Nach dem Erkennen von besonders häufig anfallenden Personen
bereits auf Kiezebene (Bereich der Polizeiabschnitte)“ sind nach dem Programm zunächst präventive Maßnahmen (z.B. Gefährderansprache, Einbindung der Diversionsbeauftragten oder Jugendbeauftragten) anzuwenden. „Bei
weiterer, wiederholter Straftatenbegehung ist die Einstellung in das TOEProgramm als Kiezorientierter Mehrfachtäter in Erwägung zu ziehen. Resultierend daraus erfolgt eine verstärkt personenbezogene Sachbearbeitung gemäß
Maßnahmenkatalog“ (a.a.O.), z.B. Kontaktaufnahme mit Täter, personenorientierter Bericht mit kriminologischer Prognose, Kontaktaufnahme und Austausch
von Informationen mit anderen Behörden, wie Jugendamt, Schule, Sozialamt,
Ausländerbehörde u.a. (a.a.O.).
„Lässt sich ein Fortschreiten der kriminellen Karriere beobachten, so ist eine
Übergabe der Person an die Kriminalreferate anzustreben“ (a.a.O.). Es erfolgt
die Einstufung im TOE-Programm als Schwellen- oder Intensivtäter. Tatverdächtige, die über einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten polizeilich nicht in
Erscheinung getreten sind, werden aus dem Programm entfernt (a.a.O., S. 10).
6.3.2.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
Wie unter Pkt. 6.3.2.3 beschrieben, erfolgt im TOE-Programm eine Vernetzung
bzw. Zusammenarbeit mit anderen Behörden, die Staatsanwaltschaft inbegriffen. Die Verfahren werden auch hier personenorientiert bearbeitet, d.h., dass
alle Strafverfahren einer als Schwellen- oder Intensivtäter eingestuften Person
von einem Dezernenten geführt werden. Nach der „Gemeinsamen Richtlinie
von Polizei und Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung von Intensivtätern (Intensivtäterrichtlinie) haben die Sondersachbearbeiter bei Polizei und Staatsanwaltschaft die Verpflichtung zur gegenseitigen Kontaktaufnahme und zum
37
Austausch von relevanten Informationen“, z.B. erteilter Weisungen, Auflagen
oder Vollzugslockerungen (a.a.O., S. 4).
6.3.2.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Die Berücksichtigung eines Migrationshintergrunds erfolgt durch die Kontaktaufnahme zur Ausländerbehörde.
6.3.2.6 Evaluation
Die Wirkung auf das kriminelle Verhalten durch Aufnahme in das Intensivtäterprogramm wurde beispielhaft an vier abgemeldeten IMT’s durchgeführt (LKA
BE 2006, S. 4). Kritisiert wird, dass sich nur die Anzahl der bekannt gewordenen Straftaten feststellen lässt. Angeregt wird die Analyse durch das Vermerken
aller Maßnahmen, welche durch die Sondersachbearbeiter erfolgt sind, zu ergänzen, z.B. durch Ausfüllen eines Fragenkatalogs für jeden IMT, sowie zu
Zeitpunkt und Art des Ereignisses. Dadurch ließen sich Anhaltspunkte dafür
gewinnen, welche Ereignisse einen „Knick“ in der Kriminalitätskarriere (turning
point) ausgelöst haben könnten (a.a.O., S. 5).
Ferner wird die Beschleunigung der Schwellentäterbearbeitung angemahnt,
sowie die „aktivere Nutzung auswärtiger Konzepte“. Genannt werden dazu die
„Erfahrungen in Köln und anderen Großstädten“. Außerdem wird die Einführung
von „Fallkonferenzen“ als „regelmäßiges Mittel der Kooperation“ angeregt (LKA
BE 2010, S. 2).
6.3.3 Bremen
Quelle:
Polizei Bremen: Handlungsanleitung zur Unterbindung „Krimineller Karrieren“: Kapitel V
(Intensivtäterkonzept) und Kapitel VI.e (Fallkonferenz bei Schwellen- und Intensivtätern), Bremen
2010, n.v., zit. Polizei HB 2010.
6.3.3.1 Ziele des Programms
Das Ziel des Intensivtäterkonzepts (Polizei HB 2010, Kap. V) liegt in erster Linie
in der Verfahrensbeschleunigung; angestrebt werden „tatzeitnahe justizielle
Maßnahmen und Sanktionen“ im Sinne einer präventiven Wirkung (vor allem
durch das Jugendstrafverfahren), sowie durch Informationsaustausch und Vernetzung mit anderen Behörden (a.a.O., S. 5).
38
6.3.3.2 Definition des Intensivtäters
Nach dem Intensivtäterkonzept (Kap. V) werden Tatverdächtige (ab 14 Jahren)
als Intensivtäter definiert, wenn sie „eine gewohnheits- oder gewerbsmäßige
Begehung von Straftaten mit Schwerpunkt in den Bereichen Gewalt- und Eigentumskriminalität erkennen lassen und bei denen angenommen werden kann,
dass sie weitere Straftaten verüben werden“ (a.a.O., S. 2). Erfasst werden alle
Täter, „denen fünf oder mehr Taten dieser Deliktsfelder in den letzten zwölf
Monaten vorgeworfen werden. Eine Altersgrenze gibt es nicht“ (a.a.O.). Das
Konzept greift nicht nur die Anzahl der Taten auf; es findet auch eine „Gewichtung der Delikte mittels Multiplikatoren“ statt (a.a.O.). Demnach erhalten Raubdelikte den Faktor 5, Körperverletzungen, Straftaten gegen die persönliche
Freiheit
und
Diebstahl
unter
erschwerenden
Umständen
den
Faktor
3.Schließlich wird der einfache Diebstahl mit dem Faktor 1 multipliziert (a.a.O.).
„Durch dieses Verfahren entsteht eine Täter-Ranking-Liste mit Punktwerten“
(a.a.O., S. 3). Als zweites Kriterium für die Einordnung als Intensivtäter wird die
Täterpersönlichkeit und „vor allem bei Jugendlichen“ das soziale Umfeld und
eine individuelle Risikoeinschätzung herangezogen (a.a.O.).
Die endgültige Intensivtäterliste wird abschließend in Zusammenarbeit mit der
Staatsanwaltschaft erstellt (a.a.O.).
6.3.3.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Der Intensivtäter wird grundsätzlich „konsequent einem polizeilichen Ermittler
fest zugeordnet, aber auch bei der Staatsanwaltschaft gibt es feste Sonderzuständigkeiten (a.a.O., S. 7). „Entsprechende feste Zuständigkeiten wurden beim
Jugendrichter und bei den sozialen Diensten (in der Regel die Jugendgerichtshilfe) eingerichtet“ (a.a.O., S. 8). Nicht nur der jeweilige Ermittler bzw. Sachbearbeiter erhält hierdurch umfassende Erkenntnisse über „seine“ Intensivtäter
und deren Umfeld, sondern insbesondere im Zusammenhang mit den Jugendstrafverfahren haben Täter, Erziehungsberechtigte und Kooperationspartner
anderer Behörden (z.B. Justiz und Soziales) feste Ansprechpartner für den
jeweiligen Probanden“ (a.a.O., S. 6).
„Wird eine Straftat publik, kommt es unmittelbar zur Vernehmung und ggfs. zu
einer anlassbezogenen Gefährderansprache. Aufsuchende und anlassunabhängige Folgegespräche […] können sich im Rahmen der Schwerpunktsetzungen nach dem Erstkontakt anschließen. Bei Intensivtätern werden grundsätzlich
39
alle rechtlich begründbaren polizeilichen Maßnahmen wie z.B. das Durchführen/
Aktualisieren von ED-Behandlungen, das Anregen von DNA- Beschlüssen, das
Anregen von Haftbefehlen, ggfs. das Ausschreiben zur polizeilichen Beobachtung konsequent ausgeschöpft“ (a.a.O., S. 7).
„Neben den allgemeinen strafrechtlichen und polizeirechtlichen Verfahren/
Maßnahmen werden je nach Sachlage Nebenprozesse, wie die Entziehung
oder Erteilungsbeschränkung der Fahrerlaubnis, ausländerrechtliche Maßnahmen, Waffentrageverbote, Meilenverbot etc. geprüft und ggfs. eingeleitet“
(a.a.O.).
6.3.3.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
Im Kapitel VI.e (Polizei Bremen 2010, S.4) werden die Voraussetzungen für die
Ansetzung einer „behördenübergreifenden Fallkonferenz“ (Polizei, Amt für Soziale Dienste, Jugendamt, Schule) erläutert, die nur dann vorgenommen wird,
wenn es sich mindestens um einen Schwellentäter oder einen Intensivtäter
handelt.
Schwellentäter sind „Jugendliche und Heranwachsende, bei denen ein gesteigertes Risiko künftigen kriminellen Verhaltens vorhanden ist und die innerhalb
der letzten 12 Monate mindestens drei Mal im hinreichenden Tatverdacht standen, eine Straftat […] begangen zu haben“ (a.a.O.). Berücksichtigt wird zudem
die kriminelle Energie des Einzelnen (a.a.O). Es werden demnach alle Täter
von 14-21 Jahren erfasst. Mit der Handlungsanleitung (a.a.O.) wird auch das
Ziel verfolgt, bei Schwellentätern und bei „Intensivtätern“ unter 14 Jahren präventive Maßnahmen in Zusammenarbeit mit anderen Behörden einzusetzen.
„Für die Koordination mit anderen Behörden ist auf polizeilicher Seite grundsätzlich das K 14 zuständig“ (a.a.O.). Dazu gehören auch Fallbesprechungen
(a.a.O.). Beschrieben wird ferner ein behördenübergreifendes Informationsaustauschnetz. In diesem Rahmen bekommen die JVA, das Ausländeramt, die
Jugendbewährungshilfe und die Jugendgerichtshilfe aktuelle Intensivtäterlisten
mit den für sie relevanten Daten für eine bessere Beurteilung der Straffälligen
und weiterführenden Maßnahmen ihrerseits (a.a.O.). Die genannten Behörden
und gegebenenfalls das Landesinstitut für Schule (LIS) entscheiden, wenn eine
Fallkonferenz einberufen wurde (s.o.), auch gemeinsam über die weitere Behandlung eines Intensivtäters (a.a.O.).
40
6.3.3.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
In Kapitel V (Polizei HB, S. 4) wird beschrieben, dass in der Intensivtäterliste
differenziert werden kann, nach Altersgruppen und ethnischem Hintergrund.
Dadurch sollen „zielgruppenorientierte Maßnahmen“ erleichtert werden, wie der
„Einsatz von interkulturellen Kompetenzen bei bestimmten Tätern mit Migrationshintergrund“ (a.a.O., S. 5).
6.3.3.6 Evaluation
Evaluationen wurden nicht durchgeführt.
6.3.4
Hamburg
Quelle:
Polizei Hamburg: Jugendlagebild 2009. Jugendkriminalität und Jugendgefährdung in Hamburg:
Kapitel 5.1 (Das Intensivtäterprogramm der Polizei), Hamburg 2010, n.v., zit. Polizei HH 2010.
6.3.4.1 Ziele des Programms
Das Konzept verfolgt das Ziel durch präventive und repressive Maßnahmen die
Fallzahlen möglichst effektiv zu senken (Polizei HH 2010, S. 49).
6.3.4.2 Definition des Intensivtäters
Als Zielgruppe des Konzepts „gelten junge Täter/-innen, in der Regel bis zum
Alter von 25 Jahren“, die im Verdacht stehen, „innerhalb der letzten 12 Monate
wiederholt (mindestens in zwei Fällen an einem Raub, schweren Diebstahl,
gewerbsmäßiger Hehlerei oder an einem sonstigen Gewaltdelikt“ beteiligt gewesen zu sein (a.a.O., S. 50). Als zweites Kriterium wird das Ergebnis einer
individuellen Prognose herangezogen, nämlich ob zu befürchten ist, dass die
Person „weiterhin derartige Fälle begehen wird (Negativprognose)“ (a.a.O.).
„Bei bestimmten sehr schwerwiegenden Gewaltstraftaten und einer Negativprüfung (Einzelfallprüfung)“ (a.a.O.) kann die Erfassung als Intensivtäter auch
schon nach der ersten Tat erfolgen.
6.3.4.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Mit der Intensivtätersachbearbeitung beschäftigen sich die vier zentralen Ermittlungskommissariate (ZEK) unter dem Dach der Abteilung Verbrechensbekämpfung in der Zentraldirektion (ZD 6). „Feste Sachbearbeiter kümmern sich im
41
ZEK um diese Täter“ (a.a.O., S. 51). „Kümmern heißt in diesem Zusammenhang immer präventiv und repressiv vorzugehen“ (a.a.O., S. 49). Die erfassten
Intensivtäter werden im Computersystem der Polizei mit einem Personenhinweis versehen, anhand dessen alle Polizeibeamten erkennen, dass für die
zentrale, deliktsübergreifende Sachbearbeitung das ausschreibende ZEK zuständig ist. Die Ausschreibung im Computer bewirkt, dass sämtliche Informationen zu diesen Tätern an dieser Stelle zusammenlaufen (a.a.O., S. 50).
Eine tatzeitzeitnahe Sachbearbeitung wird „durch das Einrichten von Rufbereitschaften/ Diensten“ gewährleistet. „Das Gebot der ersten Stunde“ ist dabei als
„tragende Säule der täterorientierten Sachbearbeitung“ zu betrachten (a.a.O.).
Wenn Intensivtäter auffallen, erfolgt eine sofortige Information an die zuständige
ZEK. Der annehmende Beamte entscheidet dann über weitere Maßnahmen,
„lageabhängig werden die Ermittlungen sofort vor Ort aufgenommen“ (a.a.O.).
Bei der betreffenden Tätergruppe ist, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten, z.B. das Aussprechen von Waffenbesitzverboten oder eine Einstellung in
die DNA –Datenbank, obligatorisch. Dabei soll die im Computer ausgeschriebene Einstufung als Intensivtäter das Vorgehen der Dienststellen bei Ausschreibung zum Intensivtäter weitgehend offen mit den jungen Tätern und
deren Eltern besprochen werden (a.a.O., S. 51). So erfolgt in der Regel auch
eine Gefährderansprache (a.a.O.).
Die „täterorientierte Kriminalitätsbekämpfung“ (PROTÄKT) setzt sich bei der
Hamburger Staatsanwaltschaft fort, die „in enger Kooperation mit der Polizei“
über die Aufnahme von Jugendlichen und Heranwachsenden in das PROTÄKTProgramm entscheidet. „Ziel des Programms ist es, Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende noch effektiver und beschleunigter zu führen,
als dies bei Jugendstrafverfahren ohnehin geboten ist“ (a.a.O., S. 53). Auch auf
der Ebene der Staatsanwaltschaft vertreten Sonderdezernenten die Ermittlungsverfahren, die „Täterakten“ anlegen, die dem Jugendgericht mit der Anklage und den Verfahrensakten übersandt werden. Diese Täterakten enthalten
Informationen über „die Lebens- und Familienverhältnisse, den Werdegang und
alle weiteren Umstände, die erforderlich erscheinen, um die Person des Täters
beurteilen und eine geeignete erzieherische Maßnahme einleiten zu können“
(a.a.O., S. 54).
42
Außer mit strafprozessualen Maßnahmen werden gerade bei jugendlichen/
heranwachsenden Tätern auch alle präventiven Möglichkeiten genutzt. Grundlage dafür ist die enge Zusammenarbeit mit anderen Fachbehörden.
6.3.4.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
Für die Jugendhilfe gibt es in Hamburg ein spezielles „Familieninterventionsteam (FIT)“, das bei gefährdeten Minderjährigen und ihren Familien „eine
schnelle, konsequente und nachhaltige Intervention im Rahmen der gesetzlichen Regelungen des Sozialgesetzbuchs Achtes Buch (Kinder und Jugendhilfe
SGB VIII), BGB bzw. JGG anstrebt“ (a.a.O., S. 57).
Zu den Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII gehören z.B. Erziehungsberatung, soziale Gruppenarbeit, am Ende auch Familientherapien, die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung und als „ultima ratio“ die geschlossene
(Heim-) Unterbringung (a.a.O., S. 60).
Die Polizei meldet die Kinder und Jugendlichen an das FIT, „wenn der Tatvorwurf auf besonders hohe kriminelle Energie schließen lässt, die Taten serienmäßig, gemeinsam und fortgesetzt begangen werden oder einen sexuellen
„Übergriff“ betreffen (a.a.O., S. 58). Dabei erfolgt die FIT- Zuständigkeit auf der
Grundlage u.a. folgender Kriterien (a.a.O.): verfestigte kriminelle Verhaltensmuster, fehlender erzieherischer Einfluss der Erziehungsberechtigten, Gewalt
im häuslichen Umfeld, Schulverweigerung, Suchtprobleme, Einbindung in eine
peer group mit krimineller Tendenz.
In gemeinsamen Fallkonferenzen kommen alle Beteiligten zusammen. „Regelmäßige Teilnehmer sind Vertreter der Jugendhilfe (FIT, Fachamt Straffälligenund Gerichtshilfe), der Polizei, der BSB (Beratungsstelle Gewaltprävention) und
der StA. Je nach Bedarf können darüber hinaus auch weitere Personen hinzugezogen werden, z.B. Mitarbeiter der Ausländerbehörde oder Jugendrichter. Es
werden die aktuellen Sachstände zusammengetragen und weitere Maßnahmen
zusammen beschlossen (a.a.O., S. 64).
Auffällig ist, dass Hamburg zu den wenigen Bundesländern gehört, das in ihrem
Programm auf Ursachen, die zu einer kriminellen Karriere als Intensivtäter führen, näher eingehen. Genannt werden: „Herkunft aus sozioökonomischen belasteten Familien, gestörter Erziehungsverhältnisse, selbst erfahrener oder
beobachteter familiärer Gewalt, materieller Notlage bis hin zu sozialer Rand-
43
ständigkeit und dauerhafter sozialer Ausgrenzung, sowie Schul- und Ausbildungsdefiziten“ (a.a.O., S. 39).
6.3.4.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Zu den gemeinsamen Fallkonferenzen werden im Bedarfsfall Mitarbeiter der
Ausländerbehörde hinzugezogen.
6.3.4.6 Evaluation
Evaluationen haben nicht stattgefunden
6.3.5
Hessen
Quellen:
Hessisches Innenministerium und Hessisches Justizministerium: „Gemeinsame Richtlinien zur
Strafverfolgung von Mehrfach-/ Intensivtäterinnen und Mehrfachintensivtätern, insbesondere im
Bereich der Massen-/Straßenkriminalität“, Runderlass vom 19. Aug. 2002, veröffentlicht im
Staatsanzeiger Nr. 34 vom 26.08.2002, 3176 und im JMBL 2002, 587; zit. LKA HE 2008.
Hessisches Ministerium der Justiz: „Abschlussbericht der Expertenkommission zur Verbesserung
der rechtlichen und tatsächlichen Instrumentarien zur Bekämpfung der Jugendkriminalität,
Wiesbaden 2008; Vorstellung des Intensivtäterprogramms auf S. 31 und Bericht der
Ressortübergreifenden Arbeitsgruppe (Anlage 5) zur „Optimierung des Hessischen Konzepts
Mehrfach- und Intensivtäter (MIT)“; zit. MJ HE 2008,
6.3.5.1 Ziele des Programms
„Wesentliches Ziel bei der Bekämpfung von Jugendkriminalität muss es sein,
gemeinsam (insbesondere Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendamt und Jugendhilfe) individuell abgestimmte Maßnahmenkonzepte täterorientierter Prävention, Intervention und Repression durchzuführen“ (MJ HE 2008, Anlage 5).
Hierzu werden die intensivierte Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft sowie eine Bündelung von Ressourcen, deliktsübergreifende,
täterorientierte und damit konzentrierte Ermittlungen, eine Festschreibung der
Zuständigkeiten und die Benennung fester Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner auf beiden Seiten geregelt“ (a.a.O., S. 4).
6.3.5.2 Definition des Intensivtäters
Als Mehrfachintensivtäter werden solche Personen eingestuft (LKA HE 2008, S.
23), „die in der Regel wiederholt deliktübergreifend in der Eigentums/Vermögenskriminalität, bei Körperverletzungsdelikten oder Raubstraftaten in
44
Erscheinung getreten sind (kriminelles Vorleben) und bei denen unter Berücksichtigung ihres kriminellen Vorlebens und der offensichtlichen Wirkungslosigkeit bisheriger Straf- und Resozialisierungsmaßnahmen damit gerechnet
werden muss, dass sie erneut Straftaten begehen (Negativprognose)“. Dabei
sollen im Einzelfall „insbesondere folgende Indikatoren“ berücksichtigt werden:


„mehr als zehn Straftaten innerhalb der letzten zwei Jahre“,
Aufwendung „krimineller Energie „im Hinblick auf besondere Gewaltanwendung, Rücksichtslosigkeit, Opferauswahl und Schadenshöhe“,

„rasche zeitliche Abfolge der Straftaten“,

„Straftaten wurden während oder nach Bewährung, Haftverschonung,
Urlaub, Freigang oder während des Aufenthalts im offenen Vollzuges“
verübt,

„Mangel
an
Einsichtsfähigkeit
und
Resozialisierungsbereitschaft“
(a.a.O.).
6.3.5.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
„Polizei und Staatsanwaltschaft haben im Rahmen personeller Schwerpunktsetzungen Organisationseinheiten geschaffen, die durch Spezialisierung entsprechende Strafverfahren besonders zielorientiert und konsequent bearbeiten
können“ (MJ HE 2008, S. 6). „Hierdurch wird ein „intensives Betreuungsverhältnis“ zu den MIT gewährleistet. Darüber hinaus verfügen die Präsidien jeweils
über einen polizeilichen MIT-Koordinator, teilweise räumlich der Staatsanwaltschaft angegliedert“ (a.a.O.). „Der Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft wird untereinander über gemeinsame
Arbeitsbesprechungen gewährleistet“ (a.a.O.).
6.3.5.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
Jugendlichen und heranwachsenden Tätern, die „mehrfach durch gewaltgeprägtes und delinquentes Verhalten aufgefallen sind“, sollten nach diesem
Konzept in Zusammenarbeit mit den „Komplementärstellen (insbes. mit der
Schulleitung, Schulamt, Schulpsychologen, Jugendamt, Jugendgerichtshilfe,
Jugendstaatsanwaltschaft, Jugendrichter, Sozialarbeiter usw.) mit einer im
Schwerpunkt präventiven Ausrichtung begegnet werden“ (a.a.O.).
45
6.3.5.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Die Berücksichtigung eines Migrationshintergrunds wird in der Konzeption nicht
erwähnt.
6.3.5.6 Evaluation
Das Programm wurde evaluiert: Die Evaluation erfolgte durch das Institut für
Kriminologie der Universität Tübingen (Prof. Dr. Hans-Jürgen Kerner). Das
Institut gelangte zu folgender Beurteilung (a.a.O., S. 180 ff.): „Das Konzept ist
im Grunde nach durchweg kriminalistisch effizient. Jedoch sind, kriminologisch
betrachtet, auch in Hessen die unter der Bezeichnung Mehrfach- und Intensivtäter zusammengefassten Täter in keiner Hinsicht eine homogene Gruppe.
Kritisch wird angemerkt, dass es „nicht genügt, feststellen und dokumentieren
zu können, wie es um die Quantität oder Qualität der begangenen Straftaten
bestellt ist; vielmehr muss man für den Einzelfall plausibel und verbindlich – und
im besten Fall interdisziplinär – eruieren können, welchen Stellenwert und welche Bedeutung eine Straftat oder eine Straftatenserie in und aktuell für den
Lebenslauf eines Täters hat“. Dieser Ansatz entspricht auch der, in dieser Masterarbeit angestrebten ganzheitlichen Betrachtung. Erst „mit Hilfe dieses Kriteriums könnten Maßnahmen oder Sanktionen auf den Einzelfall gezielt
abgestimmt werden […] ob überhaupt realistischerweise und, wenn ja, genau
wie auf örtlicher- oder überörtlicher Ebene dafür gesorgt werden kann, dass
sich die Lebenssituationen der Betroffenen in positiver Weise verändere“, lasse
„sich auf Grund der Informationen, die (in Hessen) bislang erhoben werden
konnten, nicht einmal ansatzweise diskutieren“.
6.3.6
Mecklenburg-Vorpommern
Quelle:
Innenministerium (Mecklenburg-Vorpommern): Bekämpfung von Intensivtätern (Az.: II 440a –
200.30.00), gültig seit 08.02.2011, n.v., zit. MI MV 2011.
6.3.6.1 Ziele des Programms
Ziel des Konzeptes „ist die Verbesserung der objektiven und subjektiven Sicherheit durch Schwerpunktsetzung auf die Bekämpfung von Intensivtätern“ (MI
MV 2011, S.1). Eine Zusammenarbeit mit anderen Behörden wird nicht genannt
(vgl. Pkt. 6.3.6.4)
46
6.3.6.2 Definition des Intensivtäters
Definiert wird der in Mecklenburg-Vorpommern geltende Begriff „Herausragende Intensivtäter“ (HInt). Solche sind als „Tatverdächtige anzusehen, die wegen
Straftaten gemäß PKS, Verkehrsstraftaten und/ oder politisch motivierter Kriminalität (PMK) innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren wie folgt in Erscheinung getreten sind“ (a.a.O., S. 2): Sie müssen „mindestens 20 Straftaten oder
mindestens 10 Straftaten“ mit einer Gewaltstraftat begangen haben (a.a.O.). Zu
der Gewaltstraftat zählt die gefährliche Körperverletzung, der Diebstahl im besonders schweren Fall, die Raubstraftat oder bestimmte Sexualdelikte (a.a.O.).
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass im Einzelfall auf Grund der Schwere
vorliegender Einzelstraftaten, auch Tatverdächtige mit weniger als 10 Straftaten
als „HInt“ gekennzeichnet werden können (a.a.O.). Eine Altersbegrenzung sieht
die Definition nicht vor.
6.3.6.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Im polizeilichen Auskunftssystem „INPOL-MV“ wird nachfolgend der „HInt“ als
solcher gekennzeichnet (a.a.O.). Darüber hinaus führt das LKA die Intensivtäter
in einer landesweiten Übersicht zusammen, zu der auch nicht aktive Intensivtäter (solche in Haft) gehören (a.a.O.).
„Im Rahmen der Ermittlungen […] sind alle polizeilichen Informationssysteme
konsequent zu nutzen“ (a.a.O., S. 3). „Dazu zählen insbesondere lückenlose
INPOL/EVA Abfragen, die Nutzung der kriminalpolizeilichen Sammlungen (Kriminalakten) […] die ED-Behandlung gem. § 81 b 2.Alt. StPO, die Durchführung
von DNA-Recherchen in der DNA-Datenbank und ggf. die Beantragung von
DNA-Analysen, die Nutzung der beim LKA vorgehaltenen Dateien […] sowie die
Datei Gewalttäter Sport und die Auswertung der Anhalte- und Beobachtungsmeldungen im Hinblick auf vorliegende Straftaten“ (a.a.O.).
„Im Sinne eines täterorientierten Ansatzes ist im Einzelfall zu prüfen, ob und
ggf. welche verdeckten Maßnahmen durchzuführen sind. Dazu zählen insbesondere Observation und polizeiliche Beobachtung“ (a.a.O.).
6.3.6.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
Bezüglich der Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Institutionen wird
lediglich die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft genannt, die „möglichst
frühzeitig bei der Bearbeitung von durch Intensivtätern begangenen Straftaten
47
mit dem Ziel der auch dortigen Verfahrenszusammenführung (Sammelverfahren) einzubeziehen“ ist (a.a.O.).
6.3.6.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Die Berücksichtigung eines Migrationshintergrunds findet im Konzept keine
Erwähnung.
6.3.6.6 Evaluation
Das LKA erstellt alle zwei Jahre den Lagebericht „Herausragende Intensivtäter“.
Eine Evaluation wurde bislang noch nicht durchgeführt.
6.3.7
Niedersachsen
Quelle:
LKA Niedersachsen: Landesrahmenkonzept „Minderjährige Schwellen- und Intensivtäter“, gültig
seit dem 11.06.2009, n.v., zit. LKA NI 2009.
6.3.7.1 Ziele des Programms
Die wesentlichen Ziele des Landesrahmenkonzeptes sind neben der Reduzierung der Kinder- und Jugenddelinquenz insbesondere, eine „konsequente und
schnelle Bekämpfung der Taten“ (LKA NI 2009, S. 2) und im Rahmen einer
Verfahrensbeschleunigung die Zusammenarbeit/ Kooperation mit anderen
Behörden, um ein individuell ausgerichtetes Maßnahmen- und Handlungskonzept mit erzieherischen und spezialpräventiven Maßnahmen“ verfolgen zu können (a.a.O.). Das Landesrahmenkonzept bezieht sich nur auf minderjährige
„Schwellen- und Intensivtäter“.
6.3.7.2 Definition des Intensivtäters
Definiert werden die Zuschreibungen wie folgt: Als „Schwellentäter“ gelten Minderjährige, „die bereits mehrfach in Erscheinung getreten sind, deren Straftaten
überwiegend im Bereich der Gewalt-, Eigentums- oder BTM-Delikte liegen, bei
denen Qualität und Quantität der Straftaten sowie ihre soziale Situation zu einer
Negativprognose (Wiederholungsgefahr) führen und deren weitere kriminelle
Karriere sich zu verfestigen droht“ (a.a.O., S. 6).
Intensivtäter sind dementsprechend solche Minderjährigen, „bei denen sich die
kriminelle Karriere verfestigt hat und eine strafrechtliche bzw. jugendhilferechtliche Reaktion gebotenen erscheint“ (a.a.O.). Um eine einheitliche Erfassung von
48
Intensivtätern gewährleisten zu können, werden zwei Kriterien herangezogen,
einerseits eine Bewertung der begangenen Straftaten nach Punkten (Faktorisierung) und andererseits eine Beurteilung der persönlichen Umstände (a.a.O.).
Nach dem ersten Merkmal gilt als Intensivtäter, wer eine Punktzahl von 35
erreicht. Fünf Punkte bringen z.B. Raubtaten und sexuelle Gewalt, drei Punkte
gefährliche Körperverletzung, zwei Punkte eine einfache Körperverletzung und
ein besonders schwerer Fall des Diebstahls. Betrachtungszeitraum sind die
jeweils zurückliegenden zwölf Monate, die mit der Tatzeit beginnen (a.a.O., S.
7) Ein Täter, der wiederholt gefährliche Körperverletzungen verübt, wird also
erst dann als Gewalt- Intensivtäter registriert, wenn er in dieser Zeitspanne
zwölf dieser Straftaten verübt hat.
Beim zweiten (Intensivtäter-) Kriterium liegt der Schwerpunkt in der kriminologischen Beurteilung der Täterpersönlichkeit (Negativprognose). Merkmale sind
u.a. Familie/ Bezugspersonen, Alkohol- Drogenprobleme, bisherige Maßnahmen nach JGG/ SGB VIII erfolglos, oder Schulschwänzen (aaO).
Sobald der Intensivtäter das 18. Lebensjahr vollendet hat, also erwachsen wird,
kommt seine Aufnahme in ein Landesrahmenkonzept „Bekämpfung von erwachsenen und heranwachsenden Mehrfach- und Intensivtätern“ in Frage
(a.a.O., S. 9).
6.3.7.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Die Verantwortlichkeit für die Umsetzung des Landesrahmenkonzeptes liegt bei
den jeweiligen Polizeidirektionen. „Die Bearbeitung von Fällen kindlicher und
jugendlicher Delinquenz richtet sich nach dem Erlass „Leitlinien für die polizeiliche Bearbeitung von Jugendsachen“ (a.a.O., S. 4). Bereits in diesem Erlass
wird der Grundsatz „der täterorientierten, deliktsübergreifenden und zeitnahen
Bearbeitung“ hervorgehoben (a.a.O.).
Die Leiter des Fachkommissariates 6 (Polizeiinspektion) und des Aufgabenfeldes 4 (Polizeikommissariat) sind zusammen mit einem Dezernenten der
Staatsanwaltschaft für die Erfassung von Intensivtätern zuständig (a.a.O., S. 8).
Die Einordnung von Schwellentätern obliegt hingegen allein der Polizei (a.a.O.).
Bezüglich der polizeilichen Maßnahmen ist zunächst Aufklärung im Rahmen
eines täterorientierten Ansatzes zu betreiben (z.B. soziales Umfeld, Lebenssituation). Zugleich sind über Schwellen- und Intensivtäter Kriminalakten zu führen, um sich ein Bild über die kriminellen Aktivitäten machen zu können (a.a.O.,
49
S. 10). Die Maßnahmen reichen insbesondere bei Intensivtätern bis zu einer
ED-Behandlung, sowie der Fertigung von Kontrollmeldungen. Der Schwerpunkt
bei Intensivtätern liegt zudem in regelmäßigen Kontaktaufnahmen (im 14- tägigen Rhythmus). Sie dienen zur Durchführung von Gefährderansprachen, der
Überprüfung von Auflagen oder Weisungen (wie z.B. Einhaltung von Alkoholund Drogenabstinenz, Schulbesuch) oder dem Feststellen von persönlichen
Lebensumständen oder dem aktuellen Freundeskreis (peer group) (a.a.O., S.
11 ff.).
6.3.7.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
Bei Schwellen- und Intensivtätern kann die Polizei anlassbezogene Fallkonferenzen anregen. „Dabei sollten außer der Polizei mindestens die Staatsanwaltschaft (bei Strafmündigen) sowie die Jugendhilfe beteiligt sein“ (a.a.O., S. 12).
Soweit „dies nach den örtlichen Gegebenheiten möglich ist, achten die Staatsanwaltschaften darauf, dass in Verfahren, an denen Intensivtäter beteiligt sind,
möglichst immer die Zuständigkeit derselben Dezernentin oder desselben Dezernenten begründet wird (a.a.O., S. 14). Es wird dafür Sorge getragen, dass
alle betrauten Staatsanwälte und Staatsanwältinnen über eine aktuelle Intensivtäterliste verfügen (a.a.O., S. 15). Jugendamt, Polizei und StA überlegen gemeinsam
Möglichkeiten
der
Intervention,
in
geeigneten
Fällen
unter
Einbeziehung der Schule.
6.3.7.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Die Berücksichtigung eines Migrationshintergrundes wird nicht erwähnt. Es ist
aber wiederum davon auszugehen, dass dieser in den Fallkonferenzen eine
Rolle spielt.
6.3.7.6 Evaluation
Evaluationen werden nicht erwähnt.
50
6.3.8 Nordrhein-Westfalen
Quellen:
Runderlass des IM NRW vom 30.09.2005/ AZ 42-13.02.02 (1912) – zit. RdErl. 2005;
Bericht der AG zur Neuausrichtung zur der Kriminalprävention in NRW – November 2005
Auszug, zit. Bericht AG 2005;
PPF-Vortrag der StA Köln, gehalten auf dem 12. Deutschen Präventionstag am 18.06.2007 in
Wiesbaden: Intensivtäterbekämpfung in Köln, zit. StA Köln 2007. (Seitenangaben nach
Folienausdruck)
6.3.8.1 Ziele des Programms
Ein spezielles Landeskonzept zur Bekämpfung von Intensivtätern gibt es in
Nordrhein-Westfalen nicht. Die einzelnen Polizeibehörden richten sich aber
nach einem Rahmen, den ein noch gültiger Rund-Erlass des Innenministeriums
NRW mit der Bezeichnung „ Qualitätsoffensive in der Kriminalitätsbekämpfung“
(vom 30. Sept. 2005) setzt. Die 47 Kreispolizeibehörden (KPB) „intensivieren in
diesem Zusammenhang […] ihre Aktivitäten“ auch im Handlungsfeld „Serienund Intensivtäter“ (RdErl. 2005, 3.2). Grundlegende Überlegungen enthält ein
Bericht einer vom Innenministerium NRW (mit Erlass vom 12.5.2004) eingesetzten „Arbeitsgruppe zur Neuausrichtung der polizeilichen Kriminalprävention
in NRW“ (Bericht AG 2005). Auf S. 2 heißt es: „Erforderlich […] ist eine konsequente Reaktion auf Normverletzungen, eine angemessene Verfolgungsintensität […] (und) mit anderen Aufgabenträgen abgestimmte Interventionskonzepte,
gerade bei jugendlichen Intensivtätern und eine schnelle Aufklärung und Ahndung von Straftaten“. Ihre „Umsetzung setzt (a.a.O., S. 31) eine entsprechende
ressortübergreifende strategische Ausrichtung auf Landesebene […] (und) auf
örtlicher Ebene voraus, z.B. Fallkonferenzen von zuständigen Behörden und
sonstigen Partnern, Erziehungsverantwortlichen, Schulen, Jugendamt und
freien Trägern. In diese ist auch die Polizei einzubeziehen.“ Einer „zeitnahen
polizeilichen und justiziellen Reaktion auf Straftaten kommt insbesondere bei
jungen Menschen besondere Bedeutung zu“ (a.a.O., S. 34). Bei „der Delinquenz jugendlicher Intensivtäter handelt es sich im Wesentlichen um Diebstahlsdelikte mit zunehmender Delinquenzhäufigkeit, auch um schwerwiegende
Gewaltkriminalität“ (a.a.O., S. 35). Da „kriminelle Einstellungen und Verhaltensweisen von Jugendlichen weitgehend durch Peer groups, die einen devianten Lebensstil bekräftigen, bestimmt werden, wirken konsequente erzieherische
oder strafverfolgende Maßnahmen gegen „Rädelsführer“ in Gruppen von Jugendlichen mit hoher Delinquenz auch normstabilisierend auf andere Grup51
penmitgliedern“ (a.a.O., S.36). Wie diese Vorgaben umgesetzt werden, ergibt
sich aus einer Präsentation des Kölner Programms auf dem letzten Deutschen
Präventionstag (16./17. Mai 2011 in Oldenburg). Die weiteren Ausführungen
beziehen sich daher auf diese Quelle (StA Köln 2011).
6.3.8.2 Definition des Intensivtäters
In Köln wird eine Rankingliste erstellt, und zwar auf folgende Weise: „Aus der
Gesamtmenge der mehrfach auffälligen Jugendlichen und Heranwachsenden
werden diejenigen ausgefiltert, die innerhalb der jeweils letzten 12 Monate
mindestens 5 Straftaten aus […] näher beschriebenen Deliktsfeldern begangen
haben sollen“ (StA Köln 2011, S. 11). Diese Deliktsfelder werden gewichtet:,
Raub und Erpressung erhalten den Faktor 5, Körperverletzungsdelikte den
Faktor 3 und einfacher Diebstahl den Faktor 1. Aus dieser Faktorisierung wird
füre jede ermittelte Person ein Punktwert errechnet, der in die genannte Rankingliste eingeht (a.a.O.). Unmittelbar nach Einstufung als Intensivtäter führt die
Polizei eine Gefährderansprache durch. Bei Jugendlichen sind dazu die Erziehungsberechtigten hinzuziehen.
6.3.8.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Intensivtäter werden festen Sachbearbeitern zugewiesen. Diese bearbeiten
deliktsübergreifend grundsätzlich alle Delikte, die von diesem Personenkreis
begangen wurden (StA Köln 2011, S. 4). Über jeden Intensivtäter wird eine
umfangreiche Biografie erstellt; der personenorientierte Bericht ist Gegenstand
der Ermittlungsakte. Das Konzept sieht eine „enge Verzahnung“ insbesondere
von Staatsanwaltschaft und Polizei vor, hinsichtlich der „Informationssteuerung,
Absprachen bezüglich der Verfahren, Fallkonferenzen und Gefährderansprachen“ (a.a.O., S.7). Bei der Staatsanwaltschaft werden Sonderdezernenten für
jugendliche und heranwachsende Intensivtäter eingesetzt. „Einmal im Monat
treffen sich die Sachbearbeiter mit den Sonderdezernenten der Staatsanwaltschaft“ (a.a.O.).
6.3.8.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
„Maßgebliche Bausteine“ des Intensivtäterkonzepts sind nicht nur „die enge
Verzahnung von Staatsanwaltschaft und Polizei“, sondern auch die Zusammenarbeit mit Partnern, zu denen in speziellen Fallkonferenzen zum Beispiel
52
gehören: Schule, Schulamt, Bewährungshilfe, Jugendgerichtshilfe, Ausländeramt und Jugendgericht. Man trifft sich auf Einladung der Polizei grundsätzlich
an jedem Donnerstag im Monat: Regelmäßig werden zwei neue Fälle behandelt
(StA Köln 2011, S. 8/9).
6.3.8.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Die Hinzuziehung des Ausländeramtes zu Fallkonferenzen wird erwähnt.
6.3.8.6 Evaluation
Über Evaluationen hat der Verfasser in den Quellen nichts gefunden.
6.3.9
Rheinland-Pfalz
Quelle:
Ministerium des Innern und für Sport (Rheinland-Pfalz): Rahmenkonzeption zur Bekämpfung
jugend- und jugendspezifischer Aggressionsdelikte, o.J. (Az.: 20120-5/344), n.v., zit. MI RP.
6.3.9.1 Ziele des Programms
„Die Konzeption verfolgt insbesondere die nachfolgenden Ziele: (1) die Optimierung der gefahrenabwehrenden und strafverfolgenden polizeilichen Maßnahmen, (2) das Erkennen und konsequentes Verfolgen von jungen Mehrfachund Intensivtätern, (3) die nachhaltige Reduzierung der Fallzahlen von Aggressionsdelikten und (4) die Stabilisierung der hohen Aufklärungsquote in diesem
Phänomenbereich“ (MI RP, S. 4).
„Darüber hinaus kommt einer engen Vernetzung innerhalb der Polizei und einer
regelmäßigen und unmittelbaren Abstimmung mit den anderen zuständigen
Behörden und Institutionen besondere Bedeutung zu“ (a.a.O.).
6.3.9.2 Definition des Intensivtäters
In Rheinland-Pfalz wird zwischen Mehrfach- und Intensivtätern nicht differenziert. Die Einstufung als junger Mehrfach- und Intensivtäter (JMIT) erfolgt anhand der Häufigkeit und der Intensität (Beurteilung der kriminellen Energie) von
Straftaten, die letztlich eine ungünstige Wiederholungsprognose begründen
(a.a.O.). JMIT sind demnach „Jungtäter, die in 12 Monaten mindestens fünfmal
oder mindestens zweimal wegen eines Delikts der Gewaltkriminalität in Erscheinung getreten sind, oder die durch eine Tat den Rechtsfrieden in beson53
ders gravierender Weise beeinträchtigt haben und die Gefahr der Wiederholung
besteht“ (a.a.O.).
6.3.9.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Die Sachbearbeitung der Jugenddelikte ist in Rheinland-Pfalz bislang nicht
einheitlich geregelt (a.a.O., S. 5). Die Konzeption verlangt, insbesondere im
Hinblick auf die Einordnung von JMIT und einer frühzeitigen Prävention, die
Bearbeitung in einer Organisationseinheit zusammenzulegen (a.a.O., S.6). So
heisst es im „Bekämpfungskonzept“, dass die Bearbeitung von Jugendsachen
grundsätzlich durch die Jugendsachbearbeiter/-innen der Polizeiinspektionen zu
erfolgen hat, sofern nicht ein Haus des Jugendrechts eingerichtet ist“ (a.a.O.).
Das Konzept sieht Maßnahmen der Erkenntnisgewinnung (z.B. Aufklärungsmaßnahmen oder die verdeckte Informationsgewinnung), sowie operative Maßnahmen vor (a.a.O.). Die Auswertung und Steuerung von Erkenntnissen, z.B.
über JMIT, erfolgt durch das LKA. Im Rahmen der verdeckten Informationsgewinnung sollte bei JMIT z.B. die Durchführung von Observationen oder Telekommunikationsüberwachungen geprüft werden (a.a.O.).
Operative Maßnamen beziehen sich im Konzept in erster Linie auf allgemeine
Maßnahmen, wie polizeiliche Präsenz und die Schwerpunktsetzung an sozialen
Brennpunkten. In diesem Zusammenhang wird im Unterpunkt „Ermittlungsführung“ hervorgehoben, dass eine „zeitnahe und qualifizierte Strafverfolgung“ den
Jungtätern die Folgen ihres Verhaltens aufzeigt, sowie zur Abschreckung vor
weiteren Taten führt (a.a.O., S. 9).
6.3.9.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
Als Konsequenz ist bei Jungtätern auf eine Verfahrensbeschleunigung hinzuwirken. Deswegen „kommt der Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft,
den Jugendämtern, der Jugendgerichtshilfe und der Bewährungshilfe eine besondere Bedeutung zu“ (a.a.O., S. 11). Die Bündelungsfunktion übernimmt die
Polizei. Näheres ist dem Konzept bezüglich der weitergehenden Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden und Institutionen nicht zu entnehmen.
Als Besonderheit der Rahmenkonzeption von Rheinland-Pfalz fällt auf, dass
„gewaltbegünstigende Faktoren“ angeführt werden, und zwar unter Bezug auf
die Forschungsergebnisse des KFN, die oben vom Verfasser aufgeführt worden
54
sind. Aus dem Katalog der verschiedenen Bedingungsfaktoren werden besonders betont

Soziale Benachteiligungen und soziale Ausgrenzungen,

Gewalt im Elternhaus,

Identifizierung mit gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen,

ein gewalttätiger Freundeskreis, die Zugehörigkeit zu einer peer group,
welche Gewalt als geeignetes Mittel zur Erreichung eines Ziels akzeptiert
und

„permanenter Medienkonsum, sowie die Nutzung von Gewaltvideos und
Gewaltspielen schon in jungen Jahren“ (a.a.O., S. 3).
6.3.9.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Die Berücksichtigung eines Migrationshintergrundes wird in der Konzeption
nicht erwähnt.
6.3.9.6 Evaluation
Eine Evaluation ist, abgesehen von einer Berichtspflicht an das Innenministerium hinsichtlich der Entwicklung der Jugenddelinquenz, nicht vorgesehen
(a.a.O., S. 12).
6.3.10 Saarland
Quelle:
Gemeinsame Richtlinie des Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales, des Ministeriums für
Inneres, Familie, Frauen und Sport und des Saarländischen Landkreistages:„zum Umgang mit
„Jungen Intensivtätern“ („InitiativProgramm – JungeIntensivTäter“), gültig seit dem 01.07.2007,
n.v., zit. MJ/MI SL 2007.
6.3.10.1 Ziele des Programms
Ziel des Initiativprogramms ist „die konsequente Bekämpfung der Jugendkriminalität, „um eine Verfestigung delinquenten Verhaltens im Einzelfall zu verhindern und langfristig die Delinquenz des „Jungen Intensivtäters“ zu reduzieren“
(MJ/MI SL 2007, S. 1). Dafür ist neben einer konsequenten Strafverfolgung ein
„individuell ausgerichtetes Maßnahmenbündel und Handlungskonzept mit erzieherischen und spezialpräventiven Maßnahmen“ notwendig (a.a.O.).
55
6.3.10.2 Definition des Intensivtäters
Als Junge Intensivtäter (JIT) gelten Personen unter 21 Jahren, „bei denen
Quantität und Qualität ihres delinquenten Verhaltens eine stark negative Wiederholungsprognose indizieren“. Zum quantitativen Element gehört, dass die
Person in einem Berichtsjahr mindestens fünf Straftaten oder mindestens zwei
Gewaltstraftaten begangen hat und „bei denen im Hinblick auf die Schwere und
Häufigkeit der Straftaten, die dabei gezeigte Energie sowie auf eine aktuelle
Gefahrenprognose damit gerechnet werden muss, dass sie erneut in erheblicher Weise straffällig werden (qualitatives Element)“. (a.a.O., S. 2)
Eine Einstufung als JIT kann im Einzelfall auch durch Indikatoren, wie die Straftatenbegehung nach Bewährung, Haftverschonung oder Freigang oder auf
Grund von „Mangel an Einsichtsfähigkeit und fehlender Resozialisierungsbereitschaft“ erfolgen (a.a.O.).
6.3.10.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Die Sachbearbeitung bei JIT übernehmen die Jugendsachbearbeiter (JSB) der
örtlich zuständigen Polizeidienststellen. Die Ermittlungen umfassen Feststellungen über die Person, wie z.B. das Umfeld, die Lebenssituation und die kriminellen Aktivitäten (a.a.O., S. 3).
Im Konzept sind folgende drei wesentliche Aufgaben genannt: „die erste Bewertung […], die personenorientierte Sachbearbeitung und das Initiieren individuell
ausgerichteter Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Straftaten des JIT“.
Konkrete Maßnahmen können dem Konzept nicht entnommen werden.
Festgelegt ist aber, dass „die Ermittlungsführung der von JIT begangenen Straftaten“ in einer Organisationseinheit erfolgen soll, damit Mehrfachermittlungen
ausgeschlossen werden können (a.a.O., S. 4). Zudem ist in Absprache mit der
Staatsanwaltschaft auf eine Verfahrensbeschleunigung hinzuwirken (a.a.O.).
Bei den Landespolizeien werden in den Organisationseinheiten „Beauftragte für
Jugendsachen“ (BFJ) ausgewiesen. Deren Aufgabenspektrum umfasst neben
der Rolle als Ansprechpartner für die JSB im jeweiligen Dienstbezirk insbesondere die „Entscheidungsfindung zur Vorlage eines JIT an die Staatsanwaltschaft bzw. Festlegung und Aufnahme in das IP-JIT bei Kindern (a.a.O.).
Auffällig ist die Aufnahme von Kindern. Die Entscheidung zur Aufnahme von
Tatverdächtigen in das IP-JIT trifft auf Vorlage der BFJ die Staatsanwaltschaft
(a.a.O., S. 5).
56
6.3.10.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit anderen Behörden nennt das Konzept die
zeitnahe Informierung des Jugendamtes (a.a.O.), so dass gegebenenfalls zeitnah jugendhilferechtliche Maßnahmen nach dem SGB VIII abgestimmt werden
können (a.a.O.). „Die Jugendgerichtshilfe ist – soweit nicht bereits durch die
Polizei veranlasst – so früh wie möglich zu beteiligten“ (a.a.O.).
„Ergibt eine Bewertung des Einzelfalles, dass durch die Bündelung […] erzieherischer Maßnahmen […] auf den in der IP-JIT aufgenommenen Tatverdächtigen
gezielter einzuwirken ist, kann eine Einzelfallbesprechung (Fallkonferenz) unter
Beteiligung der zuständigen Sachbearbeiter bei dem Träger der Jugendhilfe,
der Polizei und der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden“ (a.a.O.).
Daneben ist gegebenenfalls (bei familiengerichtlichen Maßnahmen) das Familiengericht (a.a.O.) und mit den zuständigen Schulbehörden Kontakt aufzunehmen (a.a.O., S. 6).
6.3.10.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Die Berücksichtigung eines Migrationshintergrundes wird im Konzept nicht
erwähnt.
6.3.10.6 Evaluation
Evaluationen haben nicht stattgefunden
6.3.11 Sachsen
Quelle:
Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums des Innern, der Justiz
und für Soziales: „über die Arbeit mit jungen Intensivtätern im Freistaat Sachsen“, VwV Junge
Intensivtäter – VwV JunI, gültig seit dem 01.12.2006, n.v., zit. MI/MJ SN 2006.
6.3.11.1 Ziele des Programms
Ziel der VwV „ist die „Optimierung von Strafverfahren gegen minderjährige
Intensivtäter (JunI), bei denen eine Verfestigung krimineller Verhaltensweisen
bereits sichtbar geworden ist oder befürchtet werden muss […]. Die bereits
auffälligen JunI sollen durch vernetztes Handeln aller an diesem Prozess Verantwortung tragenden Ressorts, Institutionen und Behörden vor einer Fortsetzung ihrer kriminellen Karriere bewahrt werden“ (MI/MJ SN 2006, S. 2).
57
6.3.11.2 Definition des Intensivtäters
Folgende Kriterien definieren den Begriff des JunI: Es handelt sich um „Tatverdächtige, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die mindestens
fünfmal wegen einer Straftat oder mindestens zweimal wegen eines Deliktes
der Gewaltkriminalität in Erscheinung getreten sind, bei denen mindestens eine
Straftat innerhalb der letzten 12 Monate registriert wurde und die ihren Wohnoder Aufenthaltsort im Freistaat Sachsen haben“ (a.a.O.).
In diesem Zusammenhang weist die Verwaltungsvorschrift darauf hin dass
„darüber hinaus in jedem Fall die Tatschwere und Fallintensivität bei der Auswahl (des JunI) berücksichtigt werden“ soll (a.a.O.). So können auch Jungtäter
als JunI erfasst werden, die „durch aktuelle und intensive Delinquenz Handlungsbedarf erkennen lassen“.
6.3.11.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Im Rahmen des Beschleunigungsgebotes sollen Strafanzeigen mit einem „JunIMerker“ schnellstmöglich bearbeitet werden. Nach Eingang einer entsprechenden Strafanzeige folgt unmittelbar die Verständigung mit der Staatsanwaltschaft, „um die Abstimmung aller weiteren Maßnahmen und Ermittlungsschritte“
(a.a.O., S. 4) abzusprechen.
In der Regel wird im Zuge der polizeilichen Ermittlungen die schulische, berufliche und soziale Situation des JunI in Augenschein genommen. Jugendsachbearbeiter der jeweiligen Polizeireviere sollen anstreben, sich ein Bild vom JunI
machen zu können, um gegebenenfalls schon in einem frühen Stadium zu
intervenieren z.B. durch Beratungs- und Hilfsangebote (a.a.O.).
6.3.11.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
In diesem Zusammenhang sind „Erkenntnisse über Maßnahmen anderer Behörden, Institutionen und Beteiligter, insbesondere der Jugendhilfe und des
Jugendschutzes mit Jugendhilfeeinrichtungen in freier Trägerschaft, Schulen
und Schulämtern“ (a.a.O., S. 5) einzuholen.
Vor Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft, wird grundsätzlich das
Jugendamt eingebunden, damit nicht aufzuschiebende Maßnahmen eingeleitet
werden können. Die Staatsanwaltschaft informiert „nach Prüfung des Tatvorwurfs umgehend den Träger der öffentlichen Jugendhilfe und, soweit erforderlich, den Sozialen Dienst der Justiz“. Auch hier gilt das Beschleunigungsgebot,
58
denn die Staatsanwaltschaft erhebt, sofern keine Diversion möglich ist, unverzüglich, „spätestens drei Wochen nach der letzten Vernehmung des beschuldigten Jugendlichen Anklage zum Jugendgericht“ (a.a.O., S. 7).
Des Weiteren sollen „zur Abstimmung vorliegender Informationen zur Person,
zu den begangenen Straftaten und zu bereits eingeleiteten bzw. erforderlichen
Maßnahmen regelmäßig Fallkonferenzen zu einzelnen JunI durchgeführt, an
denen jeweils die betroffenen Institutionen sowie andere mit dem JunI befassten Einrichtungen, wie Bewährungshilfe und freie Träger der Jugendhilfe teilnehmen. Die Einladung zu den Fallkonferenzen erfolgt durch die zuständige
Staatsanwaltschaft“ (a.a.O., S. 8).
6.3.11.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Die Berücksichtigung eines Migrationshintergrundes wird nicht erwähnt. Es ist
aber wiederum davon auszugehen, dass dieser in den Fallkonferenzen eine
Rolle spielt.
6.3.11.6 Evaluation
Evaluationen werden nicht genannt.
6.3.12 Sachsen-Anhalt
Quelle:
Ministerium des Innern (Sachsen-Anhalt): Konzeption zur Bearbeitung von Jugendsachen vom
07.10.2009 (abgedruckt in MBl. LSA 2009, 712); als Anlage erscheinen die Leitlinien „Bearbeitung
von Jugendsachen in Verbindung mit jugendlichen Intensivtätern“, Az.: 24-51606 (gültig ab
01.08.2009), zit. MI ST 2009.
6.3.12.1 Ziele des Programms
Ziel der Konzeption ist (MI ST 2009, S. 1) die vorrangige Bearbeitung des jeweiligen Ermittlungsverfahrens (Verfahrensbeschleunigung), (a.a.O., S. 2) die
fortlaufenden Aktualisierung des Datenbestandes über jugendliche Intensivtäter
und (a.a.O., S. 3) die Intensivierung der Zusammenarbeit mit anderen Behörden (a.a.O., S. 1 und 2).
6.3.12.2 Definition des Intensivtäters
Unterschieden wird zwischen den Begriffen „jugendliche Intensivtäter“ und
„jugendliche Mehrfachtäter“. Als jugendliche Mehrfachtäter „gelten alle Perso59
nen unter 21 Jahren, die mehr als zwei Straftaten im Kalenderjahr […] oder
innerhalb der letzten zwölf Monate“ begangen haben (a.a.O., S. 2). Unter der
Zuschreibung „jugendlicher Intensivtäter“ werden Personen erfasst, „die mehr
als neun Straftaten begangen haben“ (a.a.O.), im gleichen Betrachtungszeitraum wie beim „jugendlichen Mehrfachtäter“. Dabei werden Gewaltstraftaten
wie andere Delikte gezählt.
6.3.12.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Erkenntnisse über Jungtatverdächtige werden über eine Jugendtatverdächtigendatei erfasst oder ergänzt. In diesem Zusammenhang sind parallel die
„Schwere der verübten Delikte, Art und Ausführung der Taten, allgemeine Gefährdungserkenntnisse, signifikante Auffälligkeiten im Verhalten und im sozialen
Umfeld und eine (negative) Wiederholungsprognose“ zu prüfen (a.a.O.). „Stellt
sich bei dieser Prüfung heraus, dass der Jungtatverdächtige ein jugendlicher
Intensivtäter ist, wird in Absprache mit der Staatsanwaltschaft und dem Koordinator für Jugendsachen der Vorschlag zur Durchführung einer Einzelfallbesprechung unterbreitet. Das Ermittlungsverfahren ist bei der Polizei entsprechend
dem Ergebnis der Einzelfallbesprechung zu bearbeiten und abzuschließen. Die
Ermittlungsakte ist mit der Bezeichnung „JIT“ (jugendlicher Intensivtäter) zu
kennzeichnen“ (a.a.O., S. 3). Bei jugendlichen Mehrfachtätern kommt keine
Einzelfallbesprechung, sondern nur eine vorrangige Bearbeitung in Abstimmung
mit der Staatsanwaltschaft in Betracht (Kriterium: Art und Schwere der Straftaten) (a.a.O., S. 2).
6.3.12.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
Das Ziel der Einzelfallbesprechung ist es eine „Lösungsstrategie zu entwerfen
und diese abgestimmt umzusetzen“ (a.a.O., S. 3). Teilnehmer sind Polizei (Jugendberatung der Polizei), Staatsanwaltschaft und andere Stellen (z.B. Jugendamt, Allgemeiner Sozialdienst), die sich über bereits veranlasste bzw.
weitere vorgesehene Maßnahmen abstimmen (a.a.O.). Dabei können etwa vom
Jugendamt „Instrumentarien der Erziehung in der Familie, Erziehungshilfen […]
und intensive sozialpädagogische Einzelfallbetreuung eingesetzt werden“
(a.a.O.). Die interdisziplinäre Zusammenarbeit schließt nach den Leitlinien auch
die Einbeziehung der jeweiligen Schule bzw. der Schulbehörde nicht aus
(a.a.O.).
60
6.3.12.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Die Sachbearbeitung bei jugendlichen Intensivtätern oder Mehrfachtätern mit
Migrationshintergrund wird nicht näher erläutert. Es ergeht lediglich der Hinweis, dass „bei ausländischen jugendlichen Intensivtätern […] die Prüfung ausländerrechtlicher Maßnahmen
anzuregen“ (a.a.O.) ist.
Auf
Grund der
anzustrebenden Einzelfallbesprechung bei Intensivtätern ist jedoch davon auszugehen, dass der Migrationshintergrund berücksichtigt wird.
6.3.12.6 Evaluation
Eine Evaluation hat nicht stattgefunden.
6.3.13
Schleswig-Holstein
Quelle:
Innenministerium (Schleswig-Holstein): Konzentrierte Sachbearbeitung „Intensivtäter“, Az.: -1113
– 30.00/32.11 -, (gültig bis zum 30.06.2011), n.v., MI SH 2011.
6.3.13.1 Ziele des Programms
„Ziel dieses Konzeptes ist es, Intensivtäter rechtzeitig zu erkennen und eine
personenorientierte konzentrierte Sachbearbeitung bei der Polizei sicherzustellen“ (MI S.-H. 2011, S. 2). Daneben liegt der Schwerpunkt in der Zusammenarbeit mit anderen Behörden, wobei das Programm davon ausgeht, dass, „die
Kooperation, z.B. mit Verantwortlichen […] der Jugendhilfe und der Justiz“ dazu
beiträgt, „frühzeitig intensive und umfassende Interventionen“ einleiten zu können (a.a.O.).
6.3.13.2 Definition des Intensivtäters
„Als jugendliche Intensivtäter gelten Kinder, Jugendliche und Heranwachsende
bis zu einem Höchstalter von 21 Jahren, die eine besondere kriminelle Energie
oder eine erhöhte Gewaltbereitschaft gezeigt haben“ (a.a.O.). Dabei wird nach
Anzahl und Art der Delikte unterschieden. Erfasst werden Täter, die entweder
fünf oder mehr Delikte insgesamt oder zwei und mehr Gewaltdelikte begangen
haben. Der Betrachtungszeitraum umfasst die vergangenen zwölf Monate
(a.a.O.). Ergänzend wird empfohlen, gegebenenfalls auch „junge Intensivtäter“
„bis zur Vollendung des 29. Lebensjahres in die konzentrierte Sachbearbeitung
aufzunehmen“ (a.a.O.).
61
6.3.13.3 Sachbearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Eine Einordnung der Mehrfachtäter als Intensivtäter „erfolgt in regelmäßigen
Besprechungen der Kriminalpolizeistelle“ (a.a.O., S. 3). Die Grundlage bildet die
Auswertung der polizeilichen Auskunftssysteme oder der Kriminalakten (a.a.O.,
S. 2). Der Leiter der Kriminalpolizeidienststelle „gewährleistet die frühzeitige
Information der zuständigen Staatsanwaltschaft“ (a.a.O., S. 3). Er ist auch für
„die Aufhebung oder Veränderung“ der Entscheidung über den Status „Intensivtäter“ verantwortlich (a.a.O.).
Dem „Intensivtäter“ wird ein Sachbearbeiter zugewiesen, der für die Bearbeitung aller Straftaten verantwortlich ist (a.a.O.). „Wird die Kriminalitätslage in
einer Region durch die Kriminalität von Intensivtätern geprägt, bietet sich die
Einrichtung einer speziellen Ermittlungsgruppe Intensivtäter an“ (a.a.O.).
Welche polizeilichen Maßnahmen im Rahmen der konzentrierten personenorientierten Sachbearbeitung ergriffen werden, wird im Konzept nicht weiter ausgeführt.
6.3.13.4 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
Die Zusammenarbeit mit anderen Behörden ist in Schleswig-Holstein nicht
einheitlich festgelegt. Die Polizeidirektionen /-inspektionen „gestalten eigenständig die notwendige regionale Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden, Institutionen und Einrichtungen, insbesondere der Justiz und Jugendhilfe“
(a.a.O., S. 4). Weiterführende Informationen über die Art und Weise der Zusammenarbeit sind dem Konzept nicht zu entnehmen.
6.3.13.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Die Berücksichtigung eines Migrationshintergrundes bei der „konzentrierten
Sachbearbeitung“ kann nur angenommen werden, da es im Konzept nicht erwähnt wird.
6.3.13.6 Evaluation
Evaluationen haben nicht stattgefunden.
62
6.4
Vergleich der Programme
Zu den besonderen Merkmalen der Intensivtäterprogramme zählt (so auch
Bindel-Kögel/ Karliczek, 2009, S. 98)

erstens, dass die „gängige deliktsorientierte Ermittlung durch eine täterorientierte Ermittlung abgelöst wird“ mit dem Ziel einer effizienteren
Überführung der Täter.

Zweitens gehört zu den besonderen Merkmalen, dass die Mehrfachtäter
nicht mehr von unterschiedlichen Dienststellen bearbeitet werden, sondern (um Mehrfachermittlungen auszuschließen) zentral vorgangsunabhängig von festen Ansprechpartnern (Jugendsachbearbeiter/ spezielle
Kommissariate usw.).

Drittens zählt zu den besonderen Merkmalen „die Kontaktaufnahme und
teils auch Zusammenarbeit mit anderen Behörden, wie Staatsanwaltschaft, Jugendamt und Schule“, weil es sich um einen ganzheitlichen
Ansatz handelt, der das Ziel hat, repressive Maßnahmen durch präventive Maßnahmen zu ergänzen.
Wesentlich ist „die Angleichung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeiten
der beteiligten Institutionen“ (vgl. Haus des Jugendrechts Stuttgart 2009, S. 10).
6.4.1
Definition und Statistik
Eine für alle Polizeidienststellen verbindliche Definition des Intensivtäters fehlt
(so z.B. Steffen 2003, S. 152 ff. und Bindel-Kögel/ Karliczek 2009, S. 87). Deshalb gibt es auch keine Bundesstatistik, die für eine kriminalpolitische Lagebeurteilung wichtig sein dürfte: z.B für den Aufbau landesgrenzenüberschreitende
polizeiliche Aktivitäten.
Die für die einzelnen Bundesländer geltenden Konzepte beziehen sich nicht nur
auf Intensivtäter, sondern zum Teil auch auf Schwellentäter, also solche, die an
der Grenze zum Intensivtäter stehen (so Berlin, Niedersachsen und SachsenAnhalt). Berlin erfasst speziell noch den „Kiezorientierten“ Mehrfachtäter. Bis
auf Baden-Württemberg werden Gewaltintensivtäter nicht gesondert in einem
Programm erfasst.
In die Definition des Intensivtäters gehen – unterschiedlich in den Landeskonzepten berücksichtigt – folgende Kriterien ein:
63

eine (variierende) Zahl von bestimmten Straftaten in einem bestimmten
Zeitraum von 6, 12 oder 24 Monaten (quantitative Einordnung),

die Art und Schwere bzw. Gefährlichkeit (kriminelle Energie, Rücksichtslosigkeit bei der Tatdurchführung) der Delikte (qualitative Kriterien), die nur schwer operationalisierbar sind, sowie

das kriminelle Vorleben und die Zukunftsprognose (Wiederholungsgefahr), die sich auch auf

Merkmale des sozialen Umfelds (delinquente Freunde, Suchtverhalten
usw.) beziehen.
Zunächst ist die Zahl der Straftaten in allen Programmen ein wichtiges Auswahlkriterium. Dabei unterscheiden sich die „Betrachtungsräume“. In Hessen
sind es „mehr als zehn Straftaten innerhalb der letzten zwei Jahre“, in Mecklenburg-Vorpommern mindestens 10 Straftaten (davon mindestens eine Gewaltstraftat) „innerhalb der letzten zwei Jahre“. In Schleswig-Holstein kommt es auf
zwei oder mehr Gewaltdelikte in einem Betrachtungszeitraum von 12 Monaten
„unabhängig vom Kalenderjahr“ an. Im Schnitt kann man, bezogen auf Gewaltstraftaten, feststellen, dass mindestens zwei Gewaltstraftaten (im Jahr) für die
Einordnung als (Gewalt-) Intensivtäter ausreichen sollen.
Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bremen orientieren sich an einem
Punktesystem. Als Intensivtäter gilt in Niedersachsen, wer eine Punktzahl von
35 erreicht. Fünf Punkte bringen z.B. Raubtaten, drei Punkte gefährliche Körperverletzungen und zwei Punkte eine einfache Körperverletzung. In NordrheinWestfalen und Bremen wird eine Rangliste nach „Faktoren“ in ähnlicher Weise
gewichtet (vgl. Anhang: Pkt. 9.4.3)
6.4.2 Aufnahme in eine Intensivtäterliste und Folgen der Aufnahme
Wer als Intensivtäter eingestuft wird, wird in eine Intensivtäterliste aufgenommen. An der Erstellung dieser Liste ist in der Regel auch die Staatsanwaltschaft
beteiligt, die eng mit der Polizei zusammenarbeitet. Niedersachsen betont, dass
die Staatsanwaltschaften darauf achten müssen, dass wie bei der Polizei, in
Intensivtäterverfahren immer die Zuständigkeit derselben Dezernenten begründet wird. Deshalb wird dafür Sorge getragen, dass alle betrauten Staatsanwälte
über eine aktuelle Intensivtäterliste verfügen. Bremen weist darauf hin, dass
64
Intensivtätervorgänge grundsätzlich im Sinne der Verfahrensbeschleunigung
(vor allem in Jugendstrafverfahren) vorrangig zu bearbeiten sind, „um nicht nur
repressive, sondern auch präventive Wirkungen zu entfalten“: Abschreckung als
Präventionsmaßnahme (siehe Pkt. 6.4.3). In Baden-Württemberg wird das für
den Wohnort des Intensivtäters zuständigen Polizeirevier und die Fahrerlaubnisbehörde verständigt. Nicht nur in Nordrhein-Westfalen (Köln) führt die Polizei
eine „Gefährderansprache“ durch, zu der, wenn es sich um einen Jugendlichen
handelt, die Erziehungsberechtigten hinzuzuziehen sind. Die Jugendsachbearbeiter der Polizei sollen in einem möglichst frühen Stadium intervenieren: z.B.
durch Beratungs- und Hilfsangebote. Welche das im Einzelnen sind, wird nicht
ausgeführt. Zu weiteren Folgemaßnahmen vgl. Übersicht im Anhang Nr.
gehören in Bremen anlassbezogene Kurzobservationen, die sofortige Vollstreckung von Intensivtäterhaftbefehlen; in Betracht kommen auch „Ausstiegshilfen“. In Hamburg legen die Sonderdezernenten der Staatsanwaltschaft
„Täterakten“ an, die dem Jugendgericht zusammen mit Anklageschrift und
Verfahrensakten übersandt werden. Diese „Täterakten“ enthalten Informationen
über die „Lebens- und Familienverhältnisse, den Werdegang und alle weiteren
Umstände, die erforderlich erscheinen, um die Person des Täters zu beurteilen
und eine geeignete erzieherische Maßnahme einleiten zu können“.
6.4.3
Täterorientierte Kriminalitätsbekämpfung
Ziel nicht nur der hessischen „Richtlinien“ (siehe Pkt. 6.3.5) ist es, den IntensivTäterkreis einer konsequenten Strafverfolgung zuzuführen, um durch eine
nachdrückliche und intensive Sachbearbeitung den Abbruch krimineller Karrieren zu erzielen, einen nachhaltigen Abschreckungseffekt zu erreichen und
dadurch mittel- bis langfristig eine Verbesserung sowohl der objektiven Sicherheitslage als auch des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung zu bewirken. In allen
Bundesländern ist grundsätzlich von „Täterorientierter Kriminalitätsbekämpfung“
die Rede. Dazu gehört die Einteilung fester Sachbearbeiter bei Polizei und
Staatsanwaltschaft im Zuge des Beschleunigungsgebots. Ziel ist nicht nur ein
repressives Vorgehen, sondern auch die Prävention. Dafür müssen (so der
niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann 2009) „sämtliche Bereiche,
die mit der Kinder- und Jugendhilfe sowie mit der Gefahrenabwehr und Kriminalitätsbekämpfung befasst sind, ihre Maßnahmen zu Intensivtätern aufeinander
abstimmen“. Inwieweit das geschieht, wird nicht mitgeteilt.
65
6.4.4
Zusammenarbeit von kommunalen und staatlichen Behörden
Schünemanns Lagebeurteilung wird von anderen Bundesländern geteilt. So
gehört auch in Nordrhein-Westfalen zu den „maßgeblichen Bausteinen“ (des
Intensivtäterkonzepts) nicht nur die „enge Verzahnung von Polizei und Staatsanwaltschaft“, sondern auch die „Zusammenarbeit mit Partnern“, die in Hessen
„Komplementärstellen“ heißen. Zu diesen gehören z.B. Schule, Schulamt, Bewährungshilfe, Jugendgerichtshilfe, Ausländeramt und Jugendgericht, aber
auch der Präventionsrat der Stadt (z.B. in Köln und Berlin) oder ein „Familieninterventionsteam“ (in Hamburg) (vgl. Pkt. 6.3.4). Man trifft sich (in Köln) auf Einladung
der
Polizei
grundsätzlich
an
jedem
Donnerstag
im
Monat
(„Fallkonferenzen“). Regelmäßig werden zwei neue Fälle behandelt. Die Einladung dazu erfolgt in Sachsen nicht durch die Polizei, sondern durch die zuständige StA. In Sachsen-Anhalt „trägt das Jugendamt oder der Allgemeine
Sozialdienst bei der Einzelfallbesprechung die jugendhilferechtlichen Maßnahmen vor, die bereits getroffen wurden oder noch einzuleiten sind“.
Erwähnt werden die Möglichkeiten des JGG und des KJHG (SGB VIII). Dementsprechend werden z.B. im Hamburger Programm folgende Hilfen zur Erziehung
erwähnt:
Erziehungsberatung,
soziale
Gruppenarbeit,
intensive
sozialpädagogische Einzelbetreuung und als „ultima ratio“ die geschlossene
Heimunterbringung. Hamburg und Rheinland-Pfalz gehören zu den wenigen
Bundesländern, die auf Ursachen einer kriminellen Karriere eingehen; genannt
werden z.B. gestörte Familienverhältnisse, innerfamiliäre Gewalt („Kreislauf der
Gewalt“) und Schul- und Ausbildungsdefizite, soziale Ausgrenzungen, Identifizierung mit gewaltlegitmierenden Männlichkeitsnormen, gewalttätige Freundeskreise, Nutzung von Gewaltvideos- und spielen schon in jungen Jahren. In
NRW wird der besondere Einfluss von peer groups herausgestellt und die Bedeutung von „Rädelsführern“ betont.
In Rheinland-Pfalz werden die Forschungsergebnisse des Kriminologischen
Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) wiederholt, z.B. die „Nutzung von
Gewaltvideos und Gewaltspielen schon in jungen Jahren“.
6.4.5 Berücksichtigung des Migrationshintergrunds
Bei einem Großteil (siehe Pkt. 5.2 und 7.1.1) der (Gewalt-) Intensivtäter handelt
es sich um jugendliche Täter mit Migrationshintergrund. Deshalb fällt auf, dass
der Migrationshintergrund im Rahmen der vorgestellten Konzepte grundsätzlich
66
nur im Zusammenhang mit Fallkonferenzen erwähnt wird. Ausnahmen: Berlin,
Hamburg, Baden-Württemberg und Bremen. In Bremen kann in der Intensivtäterliste „bei Bedarf“
nach ethnischem Hintergrund differenziert werden.
Dadurch sollen „zielgruppenorientierte Maßnahmen“ erleichtert werden, wie der
Einsatz von interkulturellen Kompetenzen bei bestimmten Tätern mit Migrationshintergrund.
In Berlin gibt es im LKA eine täterorientierte Ermittlungsdienststelle, die sich mit
Straftaten ausgewählter, ethnischer Gruppen befasst. In Sachsen-Anhalt heißt
es nur, dass „bei ausländischen Jugendlichen […] die Prüfung ausländerrechtlicher Maßnahmen anzuregen ist“. Der Verfasser geht aber davon aus, dass der
Migrationshintergrund bei den „Fallkonferenzen“ eine Rolle spielt, weil Probleme der Migration zu den Bedingungsfaktoren der Gewaltbereitschaft gezählt
werden müssen.
6.5 Ergebnisse der Evaluation
Unter Evaluation ist die systematische Überprüfung kriminalpräventiver Projekte
zu verstehen. Unterscheiden kann man Prozessevaluationen (siehe Pkt. 6.5.1)
und Wirkungsevaluationen (siehe Pkt. 6.5.2).
6.5.1 Prozessevaluationen
Prozessevaluationen beziehen sich auf die Umsetzung (Implementierung) von
Programmen. Solche Implementierungen liegen aus Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Berlin vor.
6.5.2 Wirkungsevaluationen
Wirkungsevaluationen befassen sich mit der Effizienz von Programmen, z.B. im
Sinne eines „Vorher-Nachher-Vergleiches“. Soweit Verf. recherchieren konnte,
liegen dazu erst drei Untersuchungen vor.
6.5.2.1 Stärkung sozialer Fähigkeiten
Die erste, zu der erst ein (2011 veröffentlichter) Zwischenbericht vorliegt, führt
das Institut für Sozialpädagogik und Soziologie der Universität Kassel bezogen
auf die Maßnahmen des „Trainingscamps Kannenberg“ durch (Prof. Dr. Galuske) (siehe Pkt. 6.6.1). Danach laufen die Wirkungen dieses Programms auf die
Stärkung sozialer Fähigkeiten hinaus: Mehr Selbstdisziplin, stärkeres Selbstbe67
wusstsein, Erhöhung der Frustrationstoleranz und Verbesserung des Durchsetzungsvermögens.
6.5.2.2 Delinquenzreduktion
Ein zweiter, „Vorher- Nachher- Vergleich“ (befragt wurden 5894 Probanden),
der aber noch nicht veröffentlicht wurde, bezieht sich auf drei Kreispolizeibehörden von Nordrhein-Westfalen. Es handelt sich um eine Untersuchung des
Kieler Instituts für Psychologie (Prof. Dr. Bliesener und Mitarbeiter) aus der Zeit
vom Oktober 2007 bis April 2010 (Riesner, Thomas, Bliesener). Texttafeln
(Power-Point-Folien) eines Vorabvortrags der Institutsmitarbeiter auf einer BKA
Veranstaltung vom 17. November 2010 (Bliesener et. al. 2010) kann man entnehmen, dass mit den JMIT-Programmen gegenüber einer Vergleichsgruppe,
eine leichte Delinquenzreduktion erreicht werden konnte, die jedoch auf der
Ebene der einzelnen Kreispolizeibehörden unterschiedlich ausgeprägt ist. Das
Kieler Institut für Psychologie empfiehlt jedoch Folgestudien „mit längeren
Follow-Up Zeiträumen“ mit Wirkungsevaluationen, die sich auf Einzelmaßnahmen beziehen (BKA).
In der dritten Wirkungsevaluation (Prof. Dr. Kerner) wird in Bezug auf Hessen
kritisch betont, dass Intensivtätermaßnahmen eine Kenntnis der Ursachen
voraussetzen, sonst könne man Ergebnisse „nicht einmal ansatzweise diskutieren“ (siehe Pkt. 6.3.5).
6.6
Programme der therapeutischen Jugenderziehung
Um die Übersicht zu vervollständigen, sollen aus der Vielzahl solcher Ansätze
noch zwei Programme der therapeutischen Jugenderziehung kurz vorgestellt
werden.
6.6.1
Das „Trainingscamp Lothar Kannenberg“
Dieses Modell gehört zu den „vollzugsöffnenden Maßnahmen“ nach § 13 Abs. 3
des Hessischen Jugendstrafvollzugsgesetzes. In diesem Rahmen stellt das (3,5
km von Rhoden am Waldrand gelegene) Trainingscamp auch ein Jugendhilfeangebot dar (§ 34 SGB VIII bzw. KJHG), in dem sich Elemente sozialpädagogischer
Trainingskurse,
der
Erlebnispädagogik
und
der
Heimerziehung
miteinander verbinden (Trainingscamp Kannenberg 2007, S.3).
68
Betreut werden 14 bis 17jährige männliche Täter aller Nationalitäten mit spezieller Problematik (Mehrfachdelinquente, gewalttätige Jugendliche), „die eine
Unterbringung in einer herkömmlichen Erziehungshilfemaßnahme nicht mehr
sinnvoll erscheinen lässt“ (a.a.O., S. 4).
Das Trainingscamp besteht aus neun Häusern. Darunter befinden sich in
„Blockhaus-bauweise“ unter anderem ein Küchen- und Speisesaal, ein Aufenthaltsgebäude, zwei Schlafhäuser, ein Schul- und ein Bürogebäude, eine Sporthalle und eine Tischlerwerkstatt. Auf dem 13 500 qm großen Areal sind auch
Sportplätze vorhanden: gedacht ist der Sport als Ventil (Handlungsalternative)
für aufgestaute Emotionen. Sicherheitsmaßnahmen wie Zäune oder Mauern
gibt es nicht. Jugendliche, die entweichen, werden nicht wieder aufgenommen
(a.a.O)
Träger ist ein „Verein Durchboxen im Leben e.V. .“ Dementsprechend besteht
das Programm, in dem die Jugendlichen bis maximal 6 Monate verbleiben
können, vor allem aus einem Boxtraining (a.a.O., S. 6). Nach der Eigendarstellung des Camps (a.a.O., S. 7) soll „die sportliche Disziplin und das „Fair Play“
die Jugendlichen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen […]. Die Jugendlichen lernen (so wird es zumindest erwartet) beim Boxen, Regeln einzuhalten, diszipliniert am Sandsack zu arbeiten und ihr Gegenüber zu
respektieren. Die Jugendlichen, die dann einen Boxkampf austragen, bekommen Anerkennung und Beifall – egal, ob sie als Sieger oder Verlierer den Ring
verlassen. Die professionelle Begleitung ist durch ausgebildete Boxtrainer gesichert“.
Der Sport zu dem auch Krafttraining und Geländeläufe (einschließlich Gepäckmärsche) gehören, „bildet zwar die Basis aller Aktivitäten“, das Angebot (oder
Pflicht?) der Einrichtung wird aber auch durch handwerkliche Tätigkeiten ergänzt. Dazu zählen Projekte mit den Materialen Holz, Stein und Metall. Diese
„Projekte vermitteln den Jugendlichen neue Erfahrungen mit dem Thema Lernen von Grundfertigkeiten im Umgang mit Werkzeugen“. Erfolgserlebnisse
hätten (a.a.O.) „die Jugendlichen auch mit einfachen Renovierungsarbeiten, die
in kleinen Gruppen mit einem Erwachsenen durchgeführt werden“. Einzelgespräche werden geführt, „wenn Jugendliche an ihre Grenzen kommen und
individuelle Unterstützung brauchen“. Alkohol- und Drogenkonsum sind verboten. Der Tagesablauf ist nach einem Tagesplan streng strukturiert. Auf die Einhaltung von Tischsitten wie auf die Einhaltung von Ritualen wird geachtet.
69
In der Broschüre (a.a.O., S. 12) heißt es, dass die Methode Kannenberg eng
mit einem straff strukturierten Tageplan verbunden ist. Geweckt wird um 5.55
Uhr, die Bettruhe beginnt um 22.30 Uhr.
Gesamtleiter des Trainingscamps ist der Gründer des Boxcamps Philippinenhof
Lothar Kannenberg, der auf 10jährige erfolgreiche Jugend-Sozialarbeit hinweist
und darauf, dass er selbst als Jugendlicher ein Gewalt-Intensivtäter mit Knasterfahrung war. Sein Motto: „Wenn ich mich verändern kann, kannst Du es
auch“ (Presseinformation „Camp-Botschaft 1/2008 vom 17.03.2008, S. 1).
6.6.2
Die GITW des Caritas-Sozialwerks in Lohne
Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Modellen betreuen die Mitarbeiter der
„Geschlossenen intensivtherapeutischen Wohngruppe“ (GITW) verhaltensauffällige Jugendliche im strafunmündigen Alter von 10 bis 14 Jahren, also um
Schwellentäter im Kindesalter. Als charakteristisch für solche Täter werden
folgende Problemlagen eingeordnet (Caritas Lohne 2010, S. 23):

Schulverweigerung und ständiges Weglaufen,

hohes Aggressionspotential: Impulskontrollstörung,

Suchtmittelmissbrauch,

Einbindung in peer- groups mit krimineller Tendenz,

massive Beziehungskonflikte mit den Eltern.
Vorrangige Ziele des Aufenthalts in der GITW sind (a.a.O., S. 24):

Umsetzung, Akzeptanz klarer Regeln und notwendiger Grenzen,

Erlernen von Konfliktlösungsstrategien/ Anti- Aggressionstraining,

Förderung der Stärken des Kindes und Aufbau von Selbstvertrauen,

Aufbau von Beziehungsfähigkeit,

Aufbau von Beschulbarkeit und

Stärkung und Förderung der sozial –emotionalen Kompetenz.
Zu den Endzielen gehört die Rückführung in die Familie bzw. die Hinführung in
die eigene Selbstständigkeit. Für die Durchführung dieser Ziele steht ein interdisziplinäres Team zur Verfügung, das sich aber erst im Aufbau befindet. Erwartet wird eine „intensive pädagogische und therapeutische Arbeit“. An
70
stationären Plätzen stehen aber nur sieben zur Verfügung. Eine Wirkungsevaluation kommt in diesem Stadium noch nicht in Frage, wohl aber eine Prozessevaluation, die jedoch fehlt (a.a.O., S. 25).
7.
Interviews mit Gewaltintensivtätern
Bei den Intensivtäterprogrammen geht es um die Prävention des gewalttätigen
Verhaltens. Prävention sollte sich an den Ursachen kriminellen Verhaltens
orientieren. Durch qualitative Interviews soll nun geklärt werden, worauf die
betroffenen Gewaltintensivtäter selbst ihr kriminelle Karriere zurückführen.
7.1 Bereits vorhandene Befragungsergebnisse
Dazu werden zwei Untersuchungen angeführt.
7.1.1 Befragungen in Berliner Strafanstalten
Aus Berlin liegen die Ergebnisse einer Intensivtäterbefragung vor, die der Berliner Kriminologe Prof. Claudius Ohder (und Mitarbeiter) in der Zeit zwischen Juli
2006 und März 2007 in Berliner Strafanstalten in Form von Interviews durchgeführt hat (Berliner Forum Gewaltprävention 2007, S. 9).
Befragt wurden (a.a.O.) „sowohl verurteilte und in der Jugendstrafanstalt Berlin
einsitzende Jugendliche (14 Personen) als auch Jugendliche in Untersuchungshaft, die im U- Haft- Bereich Kieferngrund bzw. in der Justizvollzugsanstalt Lichtenberg untergebracht waren (13 Personen). Von diesen waren 26
männlich im Alter von 14 bis 18 Jahren. 23 der Probanden hatten einen Migrationshintergrund“. Überwiegend stammten die Befragten aus sozialstrukturell
benachteiligten Bezirken wie Neukölln, Tiergarten, Marzahn, Kreuzberg oder
Wedding (a.a.O., S. 13).
Der Ohder- Bericht stellt zunächst fest, dass „Migration fast durchgehend mit
sozialen Belastungen verbunden ist“ (a.a.O., S. 14). „Soziale Beziehungen
bestehen überwiegend bzw. besonders intensiv zu Personen der gleichen ethnischen Gruppe“ (a.a.O.). Die größten (Herkunfts-) Familien mit „11, 12 und 13
Kindern wiesen einen Migrationshintergrund auf“ (a.a.O., S. 15), die wirtschaftlich zum Teil in „vollständiger Abhängigkeit von staatlichen Leistungen“ lebten
(a.a.O.).
Lag der „Migrationszeitpunkt länger zurück, sind insbesondere die Mütter des
Deutschen nur eingeschränkt mächtig“ (a.a.O., S. 16). Der Vater „erscheint in
71
der Darstellung der Jugendlichen als Respektsperson, während die Mutter […]
im Zusammenhang mit erzieherischen Maßnahmen in Reaktion auf Verhaltensverfehlungen unsichtbar bleibt“ (a.a.O.). Auffällig ist, dass dem ersten Sohn,
dem Stammhalter, eine „traditionelle Sonderrolle“ zuerkannt wird, zu der auch
gehört, „dass problematischem Verhalten keine Grenzen gesetzt werden […]
bzw. erforderliche therapeutische Maßnahmen unterbleiben“ (a.a.O., S. 17). Auf
der anderen Seite räumten Jugendliche ein, „dass die Eltern und Familien durch
Straftaten ihrer Kinder durchgängig alarmiert waren […]. In einigen Fällen kam
es zu massiven körperlichen Misshandlungen“ (a.a.O., S. 13). Befragt, was sie
tun würden, wenn (später einmal) „eines ihrer Kinder straffällig würde“ kam die
Antwort, dass sie „in ein Umfeld mit weniger Ausländern umziehen würden“
(a.a.O., S. 20).
Über einschlägige Maßnahmen der Jugendgerichts- bzw. Jugendbewährungshilfe haben sämtliche Jugendlichen berichtet. Der „Erfolg von Einzelfall- und
Familienhilfe wurde (allerdings) vernichtend beurteilt […]. Von nachhaltig positiven Wirkungen hat kein einziger Jugendlicher berichtet“ (a.a.O., S. 21): Vgl.
dazu auch Kirsten Heisig (Pkt. 5.2).
Bei „fünf Befragten kam es bereits zum Ende der Grundschulzeit zu so massiven Problemen und Ausfällen, dass von einem Abbruch der Schulkarriere gesprochen werden muss“ (a.a.O., S. 22). Nur insgesamt sechs Befragte
besuchten die Schule bis zu ihrer Inhaftierung mehr oder weniger regelmäßig
(a.a.O., S. 23). Im Alter von 12 bis 14 Jahren schlossen sich die Befragten
Jugend- und Peer- Gruppen an, die jedoch „keiner scharfen ethnischen Segregation“ unterlagen (a.a.O., S. 23). Die „Gruppenkohäsion entstand durch gemeinsame Aktivitäten. […] Einen deliktischen Schwerpunkt bildeten die sog.
Abziehertaten bzw. Raubtaten, mit denen […] auch Stärke, Dominanz und
Maskulinität demonstriert und zelebriert werden“ sollten (a.a.O.). In diesem
Sinne beschrieb ein Jugendlicher, „durch die Erniedrigung anderer habe er sich
cool gefühlt, krass stark“ (a.a.O., S. 27). Das dürfte auch für Körperverletzungen gelten.
7.1.2
Befragungen in hessischen Strafanstalten
In Hessen hat der Tübinger Lehrstuhl von Prof. Dr. Kerner (Tübingen), der mit
der „Projektbeschreibung“ beauftragt war (Koch-Arzberger et. al. 2010, S. 4) in
einer „qualitativen Analyse“ die Intensivtäter auch selbst befragt. Gegenstand
72
des Interesses war die Erfassung der Lebensgeschichte (a.a.O., S. 23). Die
Interviewpartner waren im hessischen Strafvollzug inhaftiert. Ihre Auswahl „erfolgte anhand der Variablen Alter, Nationalität, Deliktsgruppen und Anzahl der
Straftaten (a.a.O., S. 24).
Interviewt wurden insgesamt 63 (55 männliche und acht weibliche) MIT. Die
Gespräche fanden in Räumlichkeiten der jeweiligen JVA unter Zusicherung der
Anonymität „unter vier Augen statt (Interviewer und Täter)“ (a.a.O., S. 25).
Die nachfolgenden Antworten der befragten Probanden wurden vom Verfasser
auf dem exemplarischen Wege nach dem Kriterium ihrer Aussagekraft ausgewählt. Sie beziehen sich auf folgende Lebensbereiche: „Aufwachssituation und
familiäres Umfeld“ (a.a.O., S. 34), Migrationshintergrund (a.a.O., S. 39), schulische Bildung (a.a.O., S. 45), Ausbildungsgang und berufliche Laufbahn (a.a.O.,
S. 47), „Einstieg in den Konsum von Drogen und Alkohol“ (a.a.O., S. 54) und
kriminelle Karriere (a.a.O., S. 69).
Aufwachssituation und familiäres Umfeld: Dazu heißt es (a.a.O., S. 34): „Während in der gesellschaftlichen Meinungsbildung verbreitet die schlechte Herkunft
und das Versagen elterlicher Erziehung dafür verantwortlich gemacht werden,
dass jemand auf die schlechte Bahn gerät, kann dies für die MIT aus wissenschaftlicher Sicht nicht so eindimensional bestätigt werden. Knapp die Hälfte
der in Hessen registrierten MIT (45,9 %) ist in einer Familie im traditionellen
Sinne, d.h. mit leiblichen Eltern aufgewachsen“. Die Interviews zeigen jedoch
auch andere Fälle. Beispiel:
„Mutter bei der Geburt des Probanden 16 Jahre, später berufstätig, bis abends
mit Geschwistern allein zu Haus: „ Da hat es schon auch mal Schläge gegeben,
natürlich. Ja, es war nicht einfach, sag ich mal so, öfters auch, teilweise auch
grundlos, weiß ich nicht, ob sie gefrustet war oder die Lebenssituation überhaupt, gab es auch Schläge, klar. Kenn ich nicht anders. Und ich bin dann auch
schon auf der Straße, mehr oder weniger mit den anderen Jungs oder mit den
anderen Kindern, wie auch immer, so Konflikte verbal lösen, das habe ich erst
sehr spät im Erwachsenenalter erst gelernt […] Ich habe mir mehr oder weniger, ich hab mit diese familiäre Geborgenheit oder die Anerkennung, was man
so als Kind braucht, das habe ich mir halt bei den Jungs geholt“.
73
Migrationshintergrund: Insgesamt wiesen rund 49 % der männlichen MIT einen
Migrationshintergrund auf. Die häufigsten Herkunftsländer waren die Staaten
der ehemaligen Sowjetunion, die Türkei und Polen (a.a.O., S. 39). Beispiel aus
den Interviews:
„ Ach, das war in Polen. Wenn man’s hier macht, gibt’s gleich ´ne Anzeige, in
Polen gibt’s so was nicht. Also ich schlag’ dich heute, morgen schlägst du mich,
da gibt’s keine Anzeige, da geht keiner zur Polizei“ (a.a.O., S. 42).
Schulische Bildung: Dazu heißt es auf S. 45: „Die schulische Bildung der MIT
befindet sich im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung auf dem deutlich niedrigeren Niveau. Etwa jeder Dritte (34,5 %) hat die Schule ohne einen Abschluss
verlassen (Gesamtbevölkerung: 5,2 %).
Auf der Hauptschule „habe ich angefangen zu kiffen. Danach bin dreimal sitzen
geblieben in der siebten Klasse […] Wegen dem Kiffen, ich bin nie zur Schule
gegangen, ich habe geschwänzt“ (a.a.O., S. 46).
Ausbildungsgang und berufliche Laufbahn: Entsprechend der geringen Schulbildung „verfügen nur etwa 23 Prozent der MIT überhaupt über eine abgeschlossene
Ausbildung,
während
knapp
26
Prozent
ihre
Ausbildung
abgebrochen und fast 38 Prozent nie eine Ausbildung begonnen haben“
(a.a.O., S. 47). Dazu aus den Interviews:
„Wenn man so eine hohe Lebensqualität durch Straftaten erreicht hat, denkt
man nicht an arbeiten“.
Einstieg in den Konsum von Drogen und Alkohol: Das Einstiegsalter der MIT in
den Drogenkonsum erfolgte in der Regel zwischen 14 und 18 Jahren. „Prozesse, die dabei eine Rolle spielen, sind häufig das Lernen am Vorbild bzw. am
Modell […]. Das Trinkverhalten wird meist im Elternhaus – z.B. durch das negative Vorbild des Vaters, oft schon in der Kindheit – vorgeprägt, verselbstständigt
sich als männlich“ (a.a.O., S. 55). Auch beim Drogenmissbrauch spielt die peergroup eine Rolle. Beispiel:
74
„In der kritischen Zeit ist dann der Haschischkonsum dazugekommen, also ich
hab dann halt oft zum Joint gegriffen […] Damit man wieder so den Anschluss
findet, hat man dann halt mitgeraucht, weil, man ist ja gebunden an die Freunde, und man hat halt gedacht: Ja, gut, wenn ich jetzt mitrauche, dann gehöre
ich dazu. Wenn ich aber nicht rauche, dann bin ich immer alleine“ (a.a.O., S.
56).
Kriminelle Karriere: Auf S. 70 wird festgestellt, dass „der frühe Beginn der kriminellen Laufbahn für die Gruppe der MIT geradezu kennzeichnend ist. Bei fast
einem Drittel der MIT wurde das erste Delikt schon im Kindesalter von unter 14
Jahren registriert“. Aus der Gruppe der in Deutschland geborenen Ausländer
„sind bei ihrer ersten Tat (sogar) etwa 40 Prozent noch unter 14 Jahre, während
dieser Anteil für die Gruppe aller MIT nur bei gut 28 Prozent liegt“ (a.a.O., S.
71). Bei der ersten Tat handelt es sich allerdings (im Hellfeld) nur bei „gut 17
Prozent“ um Gewaltdelikte. Es dominiert noch der einfache Diebstahl („gut 32
Prozent“). Aus den Interviews:
„Ja, weil, man muss die Drogen auch finanzieren. Wenn man am Tag fünf bis
zehn Gramm konsumiert, also am Tag gehen schon tausend Euro drauf. Und
man muss ja das Geld von irgendwo bekommen, und ob ich jetzt eine Oma
überfalle oder so was, habe ich halt gedealt. Weil, da tue ich meiner Meinung
nach keinem weh“ (a.a.O., S. 73).
„Das fing schon in der Schule an. Wir haben Geld in der Schule verlangt, dass
wir die in Ruhe lassen. Manche haben sich zwar geweigert zu zahlen, haben
wir entweder Fahrrad weggenommen oder Handys“ (a.a.O., S. 75).
Ein weiterer Proband führte zum Gruppenzwang aus, dass man „gerade bei
Schlägereien seinen Freunden habe eben helfen müssen, wenn diese Probleme gehabt hätten. Damals bei den Körperverletzungen habe es schon gereicht,
wenn einer „dumm geschaut“ hätte. Dann habe dieser eben eine drauf bekommen“ (a.a.O., S. 77). Ein anderer (a.a.O., S. 81) berichtete, „dass es ihm Spaß
gemacht hat, andere zu verprügeln oder ihnen die Brieftasche zu klauen. Aber
irgendwann sei aus Spaß Ernst geworden“.
75
7.2 Eigene Befragungen
Die eigenen Befragungen sollen Themen abdecken, die in den bisherigen Befragungen keine oder eine nur untergeordnete Rolle gespielt haben. Außerdem
werden über die Antworten der Probanden Bezüge zu den Kriminalitätstheorien
hergestellt. Drittens besteht das Ziel darin, den an sich eher trockenen Stoff für
den Leser anschaulicher werden zu lassen. Die Interviews dienen auch insoweit
der qualitativen Aufhellung der Thematik. Ein Anspruch auf Repräsentativität
wird nicht erhoben. Das ist auch im Ohderbericht und in der Koch-ArzbergerStudie nicht anders.
Weil der Verfasser in Niedersachsen tätig ist, kamen als Befragungsorte die
niedersächsischen Strafvollzugsanstalten Hameln und Vechta in Frage. In der
Jugendanstalt (JA) Hameln sitzen 14-21jährige Delinquenten ein, in der JVA
Vechta 21-25jährige Täter (Jungtäteranstalt).
7.2.1 Modalitäten
Für die Befragungen wurde ein „Interviewleitfaden“ der KriminalistischKriminologischen Forschungsstelle (KKFoSt) zugrunde gelegt (vgl. Anhang:
Pkt. 9.4.7). Der Verfasser hat sich darüber hinaus an einem Gesprächsleitfaden
der Ruhr-Universität Bochum orientiert (abgedruckt in BKA 2001, S. 372 ff.).
Der Bochumer Lehrstuhl für Kriminologie und Polizeiwissenschaft hat der eigenen Befragung zugestimmt, aber verlangt, dass entsprechende Zugangsgenehmigungen der Justizvollzugsanstalten eingeholt werden. Das ist geschehen.
Der Kriminologische Dienst in Celle (geregelt in § 166 StVollzG) hat sich mit
dem Vorhaben und der eingereichten Projektbeschreibung ebenfalls einverstanden erklärt.
Die JA Hameln hat der Verfasser am 26.10 und 03.11.2011 aufgesucht, die
JVA Vechta am 19.09.2011. Zusätzlich wurden Interviews im Trainingscamp
Kannenberg durchgeführt (14-17jährige Täter), weil dort auch ausnahmsweise
unter 14jährige Täter betreut werden. In Hameln konnten sieben Probanden
befragt werden (H 1 bis 7), in Vechta drei (V 1 bis 3) und im Trainingscamp
Kannenberg sieben (K 1 bis 7). Im Rahmen einer vorgeschalteten Pilotbefragung in der GITW Lohne wurden zusätzlich zwei Probanden (L 1 und 2) befragt,
Lohne hat der Verfasser schon am 18.09.2011 aufgesucht. Interviewt wurden
also insgesamt 19 junge Gewaltintensivtäter. Tabellen zu Alter und Migrationshintergrund befinden sich im Anhang unter Pkt. 9.4.8 .
76
Methodik zu den qualitativen Interviews
Befragt wurden 19 junge Gewaltintensivtäter mit Hilfe eines standardisierten Interviews nach dem Vorbild der hessischen KKFoSt im
Rahmen einer Täterbefragung. Die Auswahl, auf die der Verfasser
keinen Einfluss hatte, erfolgte auf Grund der niedersächsischen
Definition des Gewaltintensivtäters (vgl. Pkt. 6.3.7). Eine Pilotstudie
wurde vorangestellt. Alle Gespräche wurden (mit Zustimmung der
Gefangenen) auf Band aufgenommen. Benutzte Literatur zur Methodik:
Diekmann 2009, Walter 2009 und Häder 2010.
7.2.2 Typische Beispiele aus den Antworten
Für alle anfangs vorgestellten Kriminalitätstheorien (vgl. Pkt. 5.1.1) und Kriminalisierungstheorien (vgl. Pkt. 5.1.2) lassen sich in den Antworten der Probanden
anschauliche und typische Belege finden.
Die Vermutungen der Sozialisations- und Kontrolltheorien, nach denen Kriminalität auf Erziehungsdefizite zurückgeführt werden kann, werden z.B. durch folgende Aussagen der Befragten bestätigt:
„Seitdem ich 15 bin, wohne ich nicht mehr zu Hause […] teilweise hab ich auch
mir selber ein Hotel bezahlen können […] durch Drogenverkauf, ich hab Marihuana verkauft, teilweise habe ich auch im Wald geschlafen“ (V-1).
„Ich bin dann zur Schule gegangen, da bin ich in der 3. Klasse rausgeflogen,
weil ich mich mit anderen Kindern schon geschlagen habe, ja dann bin ich nach
Mainz gezogen zu meiner Oma, da habe ich dann sechs Jahre gelebt und dann
bin ich aber von da, ich habe Schule regelmäßig gemacht, ein paar Mal habe
ich geschwänzt, da hab ich so angefangen Drogen zu nehmen, Koks zu ziehen,
Pep, Joints rauchen, alles dies das und dann bin ich mit 13 Jahren ins Heim
gekommen. Da hat s auch nicht geklappt, da hab ich auch Drogen genommen,
da haben die mich rausgeschmissen“ (K-1).
Lerntheorie: kriminelles Verhalten wird erlernt bzw. werden negative Vorbilder
(insbesondere in der Familie) nachgeahmt.
77
„Hab bisschen von meinem älteren Bruder abgeguckt, mein Vater hat ein bisschen aggressiv an mir ausgelassen […] so hat sich das entwickelt […] er hat
mich geschlagen, dann hab ich mir das einfach angeguckt, dann hab auch
andere Leute geschlagen, oder mein Bruder hat Scheiße gebaut, mein älterer,
dann hab ich auch Scheiße gebaut, ich hab einfach abgeguckt, was die gemacht haben, das hab ich einfach nachgemacht“ (H-6).
„Ja meine Clique hat auch immer viel Scheiße gebaut, und die haben immer
gefragt, kommste mit, am Anfang hab ich eigentlich so gesagt, mehr so nein
kein bock, so aus Stress und so, irgendwann habe ich dann gedacht scheiß
drauf, passiert sowieso nichts, dann habe ich mit denen Scheiße gebaut, habe
andere Leute zusammengeschlagen, Waffen verkauft, Drogen“ (K-1).
„Man wollte cool dastehen vor den Freunden, wenn die sich geschlagen haben
oder irgendwas erzählt haben und so hab ich gesagt, ja ich hab das und das
gemacht, ich hab den auch geschlagen, ja zeig mal irgendwann, wenn du wen
schlägst oder so und dann hat man immer extra so gesagt, wenn irgendwer
ankommt, ey guck nicht so oder so, dann ist man direkt hingegangen und hat
sich geschlagen mit dem, nur das die Freunde sehen, boah guck mal, der kann
es auch und so, obwohl das gar nichts gebracht hat im Nachhinein“ (K-5).
Im Rahmen der Lerntheorie spielt auch der Gruppendruck eine Rolle:
„Ich hatte ziemlich scheiß Freunde, die haben auch ziemlich viel getrunken,
wenn die zum Beispiel gesagt haben, lass uns den und den geschlagen, dann
ich war dabei, ich wollt dazugehören, dann hab ich das gemacht“ (H-7).
„Das waren die Freunde einfach nur, das war, das cool sein, man wollte einfach
nur cool sein, man wollte einfach nur sehen, guck mal der, der schlägt sich
immer, der hat gewonnen, guck mal der hat ihn zusammengeschlagen oder so,
es waren einfach die Freunde, man wollte cool dastehen, es gab nie so wirkliche Gründe, wie guck mal der guckt oder so, es gab nie richtige Gründe, warum
ich mich geschlagen habe. Einfach so aus freier Lust“ (K-5).
78
Kulturkonfliktstheorie: Normen der Herkunftsländer oder der Religion (Ehrbegriff, Kopftuch, Männlichkeitsgehabe) und soziale Benachteiligungen fördern
Gewalt.
„Da wo ich herkomme, aus dem Stadtteil in Hannover, wohnen halt sehr sehr
viele Deutsche, also gibt’s sehr wenig Ausländer und in meiner Kindheit waren
wir glaub ich neben zwei oder drei anderen Familien die einzigen Ausländer im
Ort. Es fing in der Schule schon an, dass ich Probleme, also ab erster Klasse
schon, dass ich Probleme mit anderen Schülern hatte, hab mich halt irgendwie
ausgegrenzt gefühlt“ (V-1).
„Wenn’s anfängt über Familie herzuziehen, fallen bei mir die Scheuklappen
runter und es ist vorbei, dann kassieren die Leute und rennen zur Polizei und
ich sitze vor Gericht“ (V-2).
Theorie der sozialen Desorganisation: sozialer Zusammenhalt zerfällt in verwahrloster Umwelt (Abfall liegt herum, unbewohnte verfallende Häuser, abgewrackte Autos, Bettelei, öffentliches Alkoholtrinken, Drogenmissbrauch).
„Unsere Gegend ist asozial, wie soll ich sagen, da sitzen schon Kinder mit 13
Jahren und saufen Bier und so, überall liegt Müll rum, ist nicht gepflegt der
Plattenbau, ich weiß nicht, eben asozial“ (K-1).
„Da wird man schnell kriminell […] das ist ein Plattenbau, uralte Häuser, wo
Junkies drinnen wohnen und alles. Dann habe ich so eine Gruppe kennengelernt, die nennt sich jekuza, da bin ich reingekommen, da hat’s angefangen, das
erste Mal Diebstahl, Körperverletzung, räuberische Erpressung. Wenn man in
so nen Viertel kommt, dann wird man auf jeden Fall kriminell Ich glaube nicht,
dass ein normaler Mensch, der vorher noch nie was gemacht, von solchen
Leuten fernhalten kann“ (K-6).
Anomietheorie: Perspektivlosigkeit und Frust treiben in Kriminalität, Alkohol und
Drogen.
79
„Da haben wir halt, ja, wenn jemand irgendwie vorbeikam und man hatte kein
Geld, dann hat man ihm einfach sein Handy weggenommen, weil man einfach,
ja, das die beste Lösung für einen war, an Geld zu kommen, so, vielleicht auch
weil man ein bisschen so, also ich zumindest ein bisschen gefrustet war von
mehreren Sachen, so, einfach Wut rauslassen“ (V-1).
„Die meisten Straftaten sind einfach dadurch entstanden, dass ich Wut rauslassen wollte, das ich einfach der Welt zeigen wollte, wenn ihr so weitermacht,
passiert was“ (V-1).
Lebensstilkonzept: Freizeitverhalten (Disco, Sport?), Arbeitslosigkeit, Herumlungern (Langeweile), Alkoholkonsum, Drogen, Medienkonsum, Schwarzarbeit.
„Ich bin morgens aufgestanden, hab eine Kopf geraucht, also gekifft, manchmal
auch zwei, hab mich wieder hingelegt bis mittags, also so bis 12-1, ich hab mir
teilweise auch morgens nen Wecker gestellt um 4-5 Uhr, um Kopf zu rauchen
um mich wieder hinzulegen. Bin dann irgendwann mittags um 12-1 aufgestanden […] bin dann sofort raus, dann mit Kollegen getroffen […] bis halt spät
genug wird, bis was los ist“ (V-1).
„Morgens um 10 Uhr hat es angefangen mit einer Flasche Mixery, dann erstmal
nichts mehr, dann gewartet bis meine Kollegen von der Schule zurückkommen
[…] dann sind die halt schon gekommen mit ner Kiste Bier oder so. Das war
dann zu wenig, weil wir eine große Clique mit fast 40 Mann und dann sind wir
halt auf Wodkaflaschen drauf, Korn, Stroh80 und so […]. Drogen war auch
jeden Tag, Marihuana zum Einschlafen, Pillen für Partys, Heroin war aus Versehen, das ich das eine Mal geraucht habe. Koks war normal bei einer Schlägerei und Pep halt für die Nacht“ (K-3).
„Dann war man halt mit ein paar Leuten täglich unterwegs und ja hat halt seine
so Sachen gemacht, man hat geklaut, gekifft, irgendwo abgehangen und halt
auch viel Leute angemacht ohne Grund und so was und Leute ausgeraubt“ (V1).
80
Routine Activity Theorie: motivierte Täter suchen geeignete Opfer, die nicht
hinreichend geschützt sind.
„Ich hab einfach so geschlagen, weil ich bock und Lust hatte […] ich bin auf
Partys gegangen, haben getrunken und so auch, da hab ich auch einfach bock
gehabt, da hab ich mir einfach ein Opfer gesucht, hab zu ihm gesagt, was
guckst du so dumm, auch wenn er nicht geguckt hat, da hat er gesagt, ich hab
nicht geguckt, ich so, laber keinen Scheiß so, immer weiter hochgespielt und so
und dann hab ich ihm eine rübergegeben“ (H-6).
„Wir sind rumgelaufen, da kamen einfach so, sagen wir 3-4 Jungs oder maximal
zwei Jungs, wenn man das so sieht, die sehen so, als ob die Geld haben aus,
so Jack and Jones sachen G-Style airmax an, gehen wir hin haben sie angesprochen, haben wir gefragt wie spät es ist, haben die ihr Handy rausgeholt,
zack Handy genommen, wollten die uns angreifen, haben wir sie angegriffen“
(K-6).
Theorie der rationalen Wahl: Abwägung zwischen Kosten (gefasst werden bei
Körperverletzung) und Nutzen (Spaß an der Gewalt: Stärkung des Selbstwertgefühls).
„Ich empfinde es immer als Spaß mich zu schlagen, aber da ist auch ein bisschen Angst davor, dass die Polizei einen erwischt, aber deswegen sind wir
immer maskiert“ (K-1).
„Wenn ich weiß bei der Schlägerei erkennt man mich, dann wird’s für die halt
schlimm enden, das er entweder von anderen so zusammengeschlagen wird,
dass er sich an nichts erinnert oder das mit der Polizei, ich finde es einfach nur
cool, wenn ich vor der Polizei abhauen muss. Einfach nur rennen und nicht
erwischt werden“ (K-3).
„Erst wenn du den Polizeizettel in der Hand hast, wo die Anzeige drauf steht,
dann denkst du erst richtig nach, warum hab ich das gemacht […] Wenn das
dann noch mal so, und dann noch so nen Zettel, dann kommt erst Mitleid auf,
beim ersten Zettel nicht […] kriminell heißt, man ist stark und zeigt keine
81
Schwächen, also kann man dann bei so nem Zettel auch keine Schwäche zeigen, ich hab erst Schwäche bei dem fünften Zettel, dann hab ich auch Mitleid
bekommen wegen meinen Eltern“ (K-6).
Neutralisierungsansatz: Entwickeln die Täter Empathie mit dem Opfer? Wie
beruhigen sie das eigene Gewissen? Gibt es Hemmschwellen?
„Wenn ich Mitleid empfunden hätte, dann hätte ich das gar nicht gemacht […]
Meiner Meinung ist, wenn man mit irgendjemand Mitleid hat, dann zieht man die
Sache nicht durch, dann merkt man das in dem Moment und bricht dann ab“ (V1).
„Bei den Taten hatte auch keiner Mitleid mit mir gemacht, dann habe ich auch
kein Mitleid mit denen“ (V-3).
„Mitleid hat nie ne Rolle bei mir gespielt so, wenn jemand am Boden lag, hab
ich einfach noch mal reingetreten, war mir egal, hab ich mir gedacht, dann hab
ich mein Geld wieder gemacht […] hab ich Geld gesehen, haben die Augen
geglitzert direkt so, bin ich durchgedreckt, also Geld war die Hauptsache von
allem, nur Geld […] ich hab jeden Tag von zu Hause 50 EUR gekriegt plus mein
Geld noch, was ich selber gemacht hab […] in der Woche hat ich 300-400
EUR, ich wollt immer mehr“ (K-5).
Die Antworten auf die Fragen bestätigen auf dem exemplarischen Wege, dass
die Einflüsse, die Gewalt fördern, vielfältig sind. Ausschließlichkeitsansprüche
kann keine der zitierten Theorien erheben (dazu Schwind 2011, S. 90). Das ist
auch das Ergebnis im Mainstream der empirischen Forschung (vgl. Pkt. 5.3 ff.).
Es gibt jedoch einige Einflussfaktoren, die schwerer als andere wiegen. Dazu
zählen kulturelle Normeneinflüsse, die sich z.B. in Berlin-Neukölln deutlich
zeigen (vgl. Pkt. 5.2) und der Alkohol mit seinen enthemmenden Wirkungen
(vgl. Pkt. 7.3.1). Fast alle der befragten Probanden sind auch mehr oder weniger drogenabhängig und in Beschaffungskriminalität verstrickt.
Turning points, die sich auf die kriminelle Karriere beziehen, konnten nicht ausgemacht werden. Dafür waren die erreichbaren Probanden auch noch zu jung.
82
Auch für den Labeling Approach hat der Verfasser keine Anhaltspunkte gefunden.
7.3
Alkohol- und Drogeneinflüsse
Die Beobachtungen, dass Alkohol- und Drogeneinflüsse bei den Gewaltdelikten
der Intensivtäter eine wesentliche Rolle spielen, entspricht den Erfahrungen, die
im „Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht“ (PSB) der Bundesregierung
(BMI/BMJ 2006, S. 45 ff.) referiert werden.
7.3.1
Alkoholeinflüsse
Im Zweiten PSB heißt es (2006, S. 47), dass „Alkohol und Kriminalität eng miteinander zusammenhängen, vor allem bei Gewaltdelikten“. Diese Aussage wird
auch durch die PKS bestätigt (PKS 2010, S. 83). Danach wurden 2009 insgesamt 33,1 % der aufgeklärten Gewaltstraftaten unter Alkoholeinfluss verübt. Bei
den gefährlichen und schweren Körperverletzungen waren es 36,2 %; beim
Zechanschlussraub sogar 63,3 %. Spezielle Zahlen zu Gewaltintensivtätern
fehlen. Antworten aus den eigenen Interviews:
„Das fing an mit dem Alkohol trinken, dann bist halt jeden Tag mit denen unterwegs, die sind halt schon so drauf, dass sie soviel trinken, irgendwann trinkst
du dann die ganze Zeit mit, dann findet man halt es cool wenn du jünger bist,
dann kommt halt mal irgendwann einer zu dir an, willst du mitkiffen, willst du
das mal nehmen willst du das mal nehmen, und nach und nach nimmt man halt
alles […] erst mit Kiffen angefangen, erstes Mal Ecstasy genommen, Pep,
Koks, dann habe ich auch angefangen, durch einen Kollegen, Medikamente zu
nehmen, Morphium, dann steigert sich halt alles“ (H-1).
„Am Wochenende habe ich sehr viel getrunken, es kam schon mal vor, dass ich
eine 1 l Flasche Jack Daniels alleine weggehauen habe“ (V-1).
„Und dann wo ich angefangen habe Alkohol zu trinken […] da fing es richtig an
mit Körperverletzungen, mit Messer mit Allenmögliches“ (H-6).
83
7.3.2
Drogeneinflüsse
Die Zusammenhänge zwischen kriminellen Verhalten und Drogenmissbrauch
hat ausführlich Rautenberg (1998) dokumentiert. Die Drogenabhängigkeit spielt
vor allem bei der Beschaffungskriminalität (Raubtaten) eine Rolle (Kreuzer et.
al.1991; BKA 1991) Auch das haben die Befragungen in Strafanstalten bestätigen können. Antworten aus den eigenen Interviews.
„Mir waren meine Freunde wichtiger, Drogen auch natürlich, wenn ich keine
Alkohol oder Drogen nehme, bin ich ein vernünftiger Typ, aber wenn ich Drogen
nehme, werde ich sofort wieder aggressiv oder Alkohol. Das hat das immer
ausgelöst. Wenn ich besoffen war zum Beispiel und wenn jemand zu mir
Scheiße labert, habe ich sofort zugehauen“ (K-4).
„Ich hab immer so gedacht, kiffen, klauen, schlagen wäre cool“ (V-1).
7.4
Einstellungen zu strafrechtlichen Sanktionen
In den Antworten spiegelt sich auch die Erfahrung wieder, dass aus der Sicht
der Befragten manche Sanktionen wenig bewirken, insbesondere dann, wenn
sie zu spät kommen. Das gilt vor allem für die Rechtsfolge der Sozialstunden,
sowie für das soziale Training, aber auch für „Kettenbewährungen“. Beispiele
aus den Befragungen:
„Wenn ich einer von der Justiz wäre, ich würde viel früher handeln, also nicht
erst jemanden bestrafen, wenn er richtig Scheiße baut, sondern gleich wenn er
klaut oder so, denn dann kommt es bei den meisten Leuten gar nicht so weit“
(H-1).
„Dann fing es halt an, Arbeitsstunden, das hat auch keinen interessiert, dann
hast du Wochenendarrest bekommen, dann bist du Samstag reingekommen,
wenn du kein Terror gemacht hast, dann bist du Sonntag Nachmittag wieder
rausgekommen, das waren ein bisschen mehr als 24 Stunden, das ist wie eine
Ausnüchterungszelle, das schreckt keinen ab“ (H-1).
„Arrest hat nichts gebracht für mich, da lernt man einfach noch mehr Scheiße,
die einen erzählen einen, wie man noch besser einbrechen kann, wie man
84
Kreditkartenbetrug und so anstellt, also es schreckt einfach nicht ab, man lernt
eher dazu […] dadurch kam ich erst auf den Trip Raubüberfälle“ (H-1).
„Soziales Training sollte ich dann machen, so Anti-Aggressions-Training, Projekt Regenbogen hieß das, da muss man halt so labern, dies das, warum wir
das so machen, das bringt eigentlich gar nichts, das ist einfach nur Schwachsinn einfach“ (H-5).
„Ich habe drei Bewährungen bekommen […] das hat eigentlich nichts gebracht,
die hätten mich nach dem ersten Mal schon gleich reinstecken sollen“ (H-5).
„2008 war ich sieben Mal vor Gericht, jedes Mal Bewährung bekommen […] so
wo ich das bekommen hab zum ersten Mal, hab ich mir gedacht, ach egal
komm, mach einfach weiter und nächstes Mal als ich zum Gericht gekommen
bin, hab ich richtig Schiss gehabt, da hab ich mir auch fast in die Hosen gemacht, habe gehofft, dass ich Bewährung bekommen würde, jedes Mal wo ich
Bewährung bekommen habe und rausgelaufen bin, hab ich das wieder vergessen und habe einfach weitergemacht und jedes Mal, wo ich vor Gericht saß, da
ich mir fast in die Hosen gemacht oder so ne, aber sonst hat mich das noch nie
interessiert, nur als ich vor Gericht saß“ (H-6).
„Ich dachte mir kann eh nichts passieren, weil die mich ja nie wirklich in Haft
gesteckt haben, da hab ich gedacht, die drücken ja eh immer ein Auge zu, da
kann ich mir solche Sachen erlauben“ (H-7).
In die gleiche Richtung zielen Ergebnisse, die von Koch-Arzberger et al. aus
Hessen berichtet werden. Dort ist festgestellt worden, dass über 90 % aller MIT
Einträge ins Erziehungsregister und ebenfalls über 90 % Einträge ins Bundeszentralregister aufweisen (Koch-Arzberger et. al. 2008, 141 ff.).
Von 1328 MIT hatten bereits mehr als die Hälfte (54,7 %) eine Jugendstrafe
erhalten, 132 mehr als drei, 47 mehr als vier. Diesen Jugendstrafen waren
meist Diversionen sowie jugendrichterliche Weisungen und Zuchtmittel vorausgegangen (a.a.O., S. 145). Diese Misserfolge haben die hessische Justiz veranlasst, die „rote Karte“ deutlicher zu zeigen. In 39 % der Fälle wurde eine
85
„kontinuierliche Steigerung der Sanktionshärte“ festgestellt (a.a.O., S. 147).
Eine Abnahme der Straffälligkeit nach der Sanktionierung wurde aber nur für
durchschnittlich 2-11 % der Fälle ermittelt.
7.5
Einschätzungen zum Dunkelfeld der Kriminalität
In Hessen (Koch-Arzberger 2010, S 124) „schätzten die meisten interviewten
MIT, dass nur 10-20 % ihrer bisherigen Straftaten polizeilich bekannt geworden
sind. Damit würde die Mehrheit ihrer Straftaten im Dunkelfeld bleiben“ (vgl. Pkt.
4.2). In der Tendenz wurde dieses Ergebnis durch die vom Verfasser befragten
Probanden bestätigt. Dabei wurde deutlich, dass die Täter damit rechnen, dass
die Opfer die erlittene Straftat nicht zur Anzeige bringen. Beispiele:
„Ja, die meisten, also die, die Opfer, zeigen so was doch gar nicht an. Wenn
doch, dann knall ich denen noch härter eine. Das haben die davon. Vielleicht
jede 20igste“ (H-4).
„jede Zehnte, ich weiß es nicht. Die Dullys gehen doch nicht zur Polizei“ (K-5).
„Auf eine Anzeige, kamen, ich glaube, 30 bis 40 Sachen dazu, oder sogar
mehr, weil ich hab immer versucht abzuhauen, erst Bam bam bam, kurz bearbeitet und dann weggelaufen, also die Polizei hat mich nicht gekrieg“ (V-3).
„Vielleicht 10 % wurden angezeigt, die haben wirklich fast gar nichts, also nur
wirklich, wenn die nen Videobeweis hatten oder irgendwer mich angezeigt hat
[…] also vieles gemacht, was nicht angezeigt wurde […] wenn du jemand
schlägst und der kennt deinen Namen nicht, dann kommt das auch nicht raus“
(H-1).
„Weiß nicht, auf jeden Fall, also ich meine nicht viele, wir sind in Stadtteile gegangen und haben Opfer ausgesucht, die uns nicht kannten“ (K-5).
86
8.
Zusammenfassung und Ausblick
Die Masterarbeit geht, wie schon in der Einleitung (Pkt. 1.1) betont wird, von
einem ganzheitlichen Ansatz aus. Damit ist gemeint (vgl. dazu Kerner unter Pkt.
6.3.5.6), dass sich Präventionsprogramme, wenn sie effektiv arbeiten sollen, an
den Bedingungsfaktoren orientieren müssen, die zu einer kriminellen Karriere
geführt haben. Es genügt also nicht zu definieren, wer Intensivtäter bzw. Gewaltintensivtäter ist und die entsprechenden Strafverfahren zu beschleunigen.
Genauso notwendig ist es zu überprüfen, inwieweit die Zusammenarbeit mit
anderen Behörden bzw. Institutionen effizient im Sinne der Rückfallverhütung
ist. Insoweit fällt auf, dass in den meisten Landeskonzepten die Ursachenfrage
noch nicht einmal erwähnt wird. Das könnte man ändern (1. Vorschlag des
Verfassers).
Begrenzt wird der Umfang der Arbeit in vierfacher Weise: Nur junge Täter, nur
männliche Täter und nur solche, denen Körperverletzungen und /oder Raubtaten zur Last gelegt wurden. Außerdem wurden grundsätzlich nur Landesprogramme in die Untersuchung einbezogen.
Zusammengefasst werden in den folgenden Abschnitten, die Ergebnisse der
Vergleiche der vorgestellten Landeskonzepte und die Resultate der Befragungen von Gewaltintensivtätern. Daran schließt sich ein Ausblick an, der sich auf
die „demografische Lücke“ bezieht.
8.1
Fazit und Vorschläge zu den Länderprogrammen
Im Hauptteil der Arbeit werden die Inhalte der Länderprogramme über ein spezielles Prüfschema erfasst. Diese Vorgehensweise hat der Verfasser in der
bisherigen Literatur nicht gefunden.
Im Vordergrund der Programme steht die Zusammenarbeit von Polizei und
Staatsanwaltschaft, von der man sich zweierlei erhofft: Eine Verfahrensbeschleunigung mit Abschreckungseffekten und Synergieeffekte. Darüber, ob
diese Ziele in der Praxis erreicht werden, fehlen in den Landeskonzepten Hinweise. Das sollte sich ändern (2. Vorschlag). Vorbildlich scheint (der Verfasser
formuliert bewusst vorsichtig) die Kooperation in den Häusern des Jugendrechts, in denen Polizei und Staatsanwaltschaft „unter einem Dach“ zusammenarbeiten, zu sein. Manche Bundesländer, wie Rheinland-Pfalz, NordrheinWestfalen, Baden-Württemberg und Hessen, arbeiten mit diesen effektiv zu-
87
sammen. Wenn das so ist, sollte man solche Häuser in allen anderen Bundesländern einrichten (3. Vorschlag).
Im Übrigen hat sich gezeigt, dass sich die Zielsetzung der Landesprogramme
zwar ähneln, die Details aber zum Teil erheblich voneinander abweichen. Es
gibt noch nicht einmal eine bundeseinheitliche Definition des Gewaltintensivtäters. Deshalb fehlt auch eine Bundesstatistik, die die Basis für eine realistische
Lagebeurteilung abgeben könnte. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass
der Zweite Periodische Sicherheitsbericht der Bundesregierung (2006, S. 354)
feststellt, dass sich „eine Zunahme gravierender Formen der Delinquenz junger
Menschen in Gestalt von erhöhten Zahlen von Mehrfach- und Intensivtätern
nicht nachweisen lässt“. Wegen der unterschiedlichen Definitionen in den Bundesländern, kann man auch deren Statistiken nicht zuverlässig miteinander
vergleichen. Vergleichen lassen sich nur die Zahlen, die innerhalb der einzelnen
Bundesländer registriert werden. Die Zahlen, die Steffen dazu mitgeteilt hat
(2009, S. 49) ergeben ein unterschiedliches Bild. So weiß man nicht, wie groß
das Problem tatsächlich ist. Den Mangel zu beheben ist der 4. Vorschlag des
Verfassers. Es kann auch unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu vertreten,
dass ein Gewalttäter in einem Bundesland als Gewaltintensivtäter geführt wird
(mit allen Folgen), in einem anderen aber nicht, weil er dort die Voraussetzungen nicht erfüllt (vgl. dazu auch die Stellungnahme der Bund-Länder-AG 2008,
S. 29).
Mit anderen Stellen, insbesondere mit der Jugendhilfe, von der man Prävention
erwartet, wird in „Fallkonferenzen“ anlassbezogen nach der besten Lösung
gesucht. Diese kann repressiv (bis hin zur Jugendstrafe) oder präventiv (nach
den Vorschriften des JGG bzw. des KJHG) ausfallen. Über nähere Einzelheiten
fehlen Informationen. Das könnte man auf dem Erlasswege ändern (5. Vorschlag). Gegenstand könnte auch die Durchführung von Workshops nach dem
Beispiel von Baden-Württemberg (Pkt. 6.3.1) sein (6. Vorschlag)
Außerdem fällt auf, dass es bis auf Baden-Württemberg keine speziellen Programme für wiederholende Gewalttäter gibt. Auch daraus ergibt sich ein Veränderungsbedarf (7. Vorschlag). Denn diese Risikogruppe ist die eigentliche
Problemgruppe der Kriminalpolitik (Boers 2009, S. 49).
Auffällig ist ferner, dass in den Länderkonzepten der Migrationshintergrund nur
selten außerhalb der Fallkonferenzen thematisiert wird. Steffen (siehe Pkt.
5.3.3) erwähnt den Migrationshintergrund überhaupt nicht. Dabei handelt es
88
sich zumindest bei einem nicht unbedeutenden Teil der Gewaltintensivtäter, um
solche mit ausländischen Wurzeln (siehe Pkt. 2.5, 5.2 und 7.1.2). Ohder (Pkt.
6.1.1) stellt dazu heraus, dass „Migration fast durchgehend mit sozialen Belastungen verbunden ist“. Auch die Bund-Länder AG (2008, S.32) hat die Problematik erkannt und gefordert, „zukünftig auch den Migrationshintergrund von
Tatverdächtigen mit zu erheben“. Dieser Anregung sollte gefolgt werden (8.
Vorschlag). Die Bund-Länder AG weist in diesem Zusammenhang darauf hin
(a.a.O.), dass die entsprechenden Informationen „zielgruppenorientierte Integrations- und Präventionsmaßnahmen unterstützen könnten“. So könnte das
„Ausweisen des Migrationshintergrundes bei Tatverdächtigen als Hilfsmittel zur
Lokalisierung von besonderen Problemkumulationen dienen“ (a.a.O.): z.B. in
Berlin-Neukölln.
In grundsätzlich allen Programmen hat das Wort „Prävention“ durch andere
Beteiligte einen hohen Stellenwert erhalten. Daraus ergibt sich, dass sich die
Erkenntnis durchgesetzt hat, dass sich das Phänomen des Gewaltintensivtäters
bzw. des Intensivtäters nicht allein mit polizeilichen Mitteln erfolgreich eindämmen lässt.
In keinem der Programme taucht hingegen der Begriff des „Dunkelfeldes“ auf.
Dabei kann man in allen Lehrbüchern der Kriminologie und Kriminalistik nachlesen, dass ein Großteil der Straftaten gar nicht bekannt wird. Darauf weist auch
das BKA in der PKS ausdrücklich hin (2010, S. 7). Zu Recht wird deshalb (z.B.
von Dörmann schon 1988, S. 403 ff.) kritisiert, dass es (anders als z.B. in den
USA und in den Niederlanden) in Deutschland noch keine statistikbegleitende
Dunkelfeldforschung gibt. Der Forderung von Dörmann (a.a.O.), die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, schließt sich der Verfasser
an (9. Vorschlag). Mit finanziellen Engpässen könnte auch zu tun haben, dass
wenige Programme evaluiert worden sind. Das ist problematisch, weil die Programme eine Rückmeldung brauchen, um sich eventuell anders ausrichten zu
können. Evaluationen sind unabdingbar (10. Vorschlag).
8.2
Fazit und Vorschläge im Kontext der Befragungen
Befragungen der betroffenen Intensivtäter haben auch Ohder in Berlin (siehe
Pkt. 7.1.1) und Koch-Arzberger et. al. in Hessen (siehe Pkt. 7.1.2) im Sinne
einer ganzheitlichen Betrachtung durchgeführt.
89
Zu den besonders auffälligen Resultaten der eigenen Befragungen in Niedersachsen gehört, dass die Gewaltintensivtäter selbst von einem großen Dunkelfeld ausgehen. Das kann bedeuten, dass die Programme nur einen Teil der
Gewalttäter tatsächlich erreichen. Wahrscheinlich ist aber eher, dass die erfassten MIT mehr kriminalitätsbelastet sind, als die an den Programmen beteiligten
Institutionen annehmen. Wenn das der Fall ist, stellt sich die Frage, ob die „rote
Karte“ der Inhaftierung (immer auf den Einzelfall bezogen) nicht früher und öfter
gestellt werden müsste (vgl. dazu Entorf 2008). Manche Gewalttäter sind offenbar überrascht, wie pfleglich mit ihnen umgegangen wird. Eine „nachhaltige
Abschreckung“ (siehe Pkt. 6.2.2) im Sinne von Prävention durch Repression
wird offenbar oft nicht erreicht: etwa bei bloßen Sozialstunden und bei der „Kettenbewährung“. Diese Rechtsprechung muss forschungsgestützt überdacht
werden (11. Vorschlag). Zumindest besteht die Gefahr, dass das Gegenteil der
Sanktion erreicht wird: Auch dafür sprechen Ergebnisse der Befragung. Außerdem sollte überdacht werden, inwieweit die Hilfen des Jugendamtes bzw. der
Jugendgerichtshilfe geeignet sind, rückfallverhütend zu wirken. Die betroffenen
Probanden äußern sich zum Teil abfällig.
Als Ursachen ihres kriminellen Verhaltens nannten die Befragten selbst folgende Einflussfaktoren: Gewalt in der Herkunftsfamilie („Kreislauf der Gewalt“),
Migrationsprobleme im Sinne von Chancendefiziten, Leistungsversagen durch
Überforderung, Abhängigkeit von Alkohol und illegalen Drogen, Einflüsse der
peer- group und „Spaß an der Gewalt“. Auffällig ist, dass die Ursachen des
kriminellen Verhaltens von den Kriminalitätstheorien und der empirischen Forschung ähnlich beurteilt werden. Das Mitleid mit den Opfern hält sich eher in
Grenzen bzw. fehlt Gewaltintensivtätern offenbar vollständig. Der Opferbegriff
ist aus Tätersicht danach negativ besetzt. Das geht so weit, dass die Ansicht
vertreten wird, dass die Opfer „selbst schuld“ seien. Für die Programme bedeutet dieses Resultat, dass die Empathiefähigkeit verstärkt werden muss bzw.
dass das Tatgeschehen besser aufgearbeitet werden sollte (12. Vorschlag).
8.3
Ausblick
Gewaltintensivtäter sind ein gesellschaftliches Problem, das sich auch auf die
Kriminalitätsfurcht der Bevölkerung auswirken kann. Solche Ängste, nämlich ein
beeinträchtigtes Sicherheitsgefühl und Viktimisierungserwartung, beziehen sich
auch auf das Dunkelfeld (Schwind 2011, S. 421), das in der öffentlichen Dis90
kussion (z.B. in dem eingangs zitierten SPIEGEL-Artikel) nur selten bzw. gar
nicht problematisiert wird.
Bringt die demografische Lücke Entlastung? Bevölkerungsvorausberechnungen
suggerieren, dass nicht nur die Zahl junger Menschen überhaupt, sondern
damit auch der jungen Straftäter abnehmen wird. Heinz/ Spieß (2005, S. 9 ff.)
gehen davon aus, dass die Jugendkriminalität ab 2010 um jährlich 10 % abnehmen wird. Tatsächlich haben sich die Zahlen von 2009 bis 2010 bei den
gefährlichen und schweren Körperverletzungen um 4,3 % vermindert. Fraglich
erscheint dem Verfasser jedoch, ob auch die Zahl der Gewaltintensivtäter abnehmen oder wegen negativer Einflussfaktoren aus dem sozialen Bereich (zunehmende Erziehungsdefizite, zunehmende Perspektivlosigkeit, zunehmende
Integrationsprobleme) im Gegenteil eher noch zunehmen wird. Davon geht z.B.
auch Schwind aus (2010, S. 478 ff.). Die Gewaltintensivtäterprogramme der
Bundesländer werden deshalb ihre Bedeutung erhalten. Auch Experten gehen
von dieser Annahme aus.
So fasst der Fachbereich der Kriminologie der Deutschen Hochschule der Polizei (Görgen/ von der Brink/ Taefi/ Kraus 2010, S. 55) die Ergebnisse einer umfangreichen Expertenbefragung wie folgt zusammen:
„Im Hinblick auf die viel diskutierte Problematik jugendlicher Intensivtäter nahmen 40 % der Experten trotz der in der kommenden Dekade zurückgehenden
Zahl junger Menschen in der ersten DELPHI-Befragung einen Anstieg der Zahl
der Mehrfach- und Intensivtäter bis zum Jahr 2020 an. Weitere 39 % erwarteten
eine gleichbleibende Anzahl und nur jeder fünfte Befragte ging von einer zurückgehenden Zahl jugendlicher Intensivtäter aus“.
Zum Kreis der befragten Experten gehörten „99 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, 30 Angehörige der Justiz, 24 im Bereich der Kriminalprävention
tätige Personen, 36 Polizistinnen und Polizisten, sowie 49 Personen aus dem
Bereich Sozialarbeit/ Jugendhilfe“ (a.a.O., S. 43). Bei der Jahreszahl 2020 geht
es um eine von drei Zukunftsvarianten, die aber nicht näher erklärt werden
(a.a.O., S. 34).
91
9.
Verzeichnisse und Anhang
9.1
Literatur
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9.3
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Gelingt der Wissenstransfer zwischen kriminologischer Forschung und
polizeilicher Praxis?
http://www.bka.de/kriminalwissenschaften/veroeff/sonstiges_pdf/12_24
_tagung_mehrfach_intensivtaeter_vortraege.pdf. ,zuletzt besucht am
02.11.2011.
Die Quellen zu den einzelnen Landesprogrammen werden zu Beginn des
jeweiligen Kapitels genannt.
96
9.4
Anhang
9.4.1
Spiegel Grafik
Quelle: Der Spiegel 18/2011, S. 36
9.4.2
Focus Grafik
Quelle: Focus 35/2011. S. 55
97
9.4.3
Übersicht Definition (Gewalt-) Intensivtäter
Bundesland
Alterseingrenzung
>=18
BetrachtungsZeitraum
12 Monate
Art der Delikte
Gewaltdelikte
Zahl der
Delikte
>=3
>=14
>=14
14-25
altersunabhängig
altersunabhängig
12 Monate
12 Monate
12 Monate
24 Monate
unbestimmt
Gewalt- Eigentumsdelikte
Gewaltdelikte
Unbestimmt
>=10
>=5
>=2
>=10
24 Monate
(1) >=20
(2) >=10
12 Monate
12 Monate
Punktesystem
>=7
Rheinland-Pfalz
altersunabhängig
altersunabhängig
<18
(1) unbestimmt
(2) unbestimmt (mind.
eine Gewaltstraftat)
Punktesystem
12 Monate
Saarland
<21
12 Monate
Sachsen
<18
12 Monate
Sachsen-Anhalt
SchleswigHolstein
<21
<21
12 Monate
12 Monate
(1) unbestimmt
(2)Gewaltdelikte
(1) unbestimmt
(2) Gewaltdelikte
(1) unbestimmt
(2) Gewaltdelikte
unbestimmt
(1) unbestimmt
(2) Gewaltdelikte
(1) >=5
(2) >=2
(1) >=5
(2) >=2
(1) >=5
(2) >=2
>= 9
(1) >=5
(2) >=2
BadenWürttemberg
Berlin
Bremen
Hamburg
Hessen
MecklenburgVorpommern
NordhreinWestfalen (Köln)
Niedersachsen
>=5
Quelle: Darstellung des Verfassers in Anlehnung an die Länderprogramme
98
9.4.4
Anschreiben an die Landeskriminalämter
Damme,
Jan-Volker Schwind
Stud. jur. Ruhr-Universität Bochum
Haferkamp 20
49401 Damme
Tel.: 05491-975139
Fax: 03222-1160807
E-Mail: [email protected]
An das Landeskriminalamt
Betreff: Intensivtäterprogramme
Sehr geehrte Damen und Herren!
Zu meiner Person: Ich habe die Polizeiakademie Oldenburg (früher FH) mit Erfolg
absolviert und studiere zur Zeit im letzten Semester an der Juristischen Fakultät der
Ruhr-Universität Bochum im Studiengang Kriminologie und Polizeiwissenschaft.
Das Thema meiner Masterarbeit lautet:
Intensivtäter und Intensivtäterprogramme der Polizei - bezogen auf
Gewalttätigkeiten junger männlicher Rechtsbrecher
Mein Anliegen: Wäre es möglich, mir Unterlagen über das Intensivtäterprogramm in
Ihrem Bundesland zu übersenden?
Beispiele: Aus Baden-Württemberg habe ich das Konzept „Täterorientiertes Vorgehen
gegen Mehrfach- und Intensivtäter- Gewaltkriminalität“ (MITG) und aus Hessen die
„Gemeinsamen Richtlinien zur Strafverfolgung von Mehrfach-/Intensivtäter und
Mehrfach-/Intensivtäterinnen“ (MIT) erhalten.
Ist Ihr Programm evaluiert worden? Wenn ja, durch wen und mit welchem Resultat?
Oder ist eine Evaluation geplant?
Ich möchte mich für Unterstützung schon im Voraus bedanken und verbleibe mit
freundlichen Grüßen.
Ihr
Jan-Volker Schwind
Anlage
Zulassungsschreiben (Masterarbeit)
99
9.4.5 Ablehnende Rückmeldungen (Bayern und Nordrhein-Westfalen)
1/2
100
2/2
101
9.4.6 Genehmigung Kriminologische Forschungsstelle (Celle)
102
9.4.7 Fragebogen Hessen
103
Quelle: Koch-Arzberger 2010, S. 237-240
104
9.4.8 Alter/ Migrationshintergrund der Probanden
Probanden (GITW Lohne)
Bezeichnung
Alter
Migrationshintergrund
L-1
14 Jahre
serbo-kroatisch
L-2
16 Jahre
türkisch
Probanden (JVA Vechta)
Bezeichnung
Alter
Migrationshintergrund
V-1
20 Jahre
-
V-2
19 Jahre
türkisch
V-3
22 Jahre
russisch
Probanden (JA Hameln)
Bezeichnung
Alter
Migrationshintergrund
H-1
19 Jahre
-
H-2
19 Jahre
syrisch
H-3
18 Jahre
vietnamesisch
H-4
20 Jahre
-
H-5
19 Jahre
libanesisch
H-6
20 Jahre
-
H-7
19 Jahre
-
Probanden (Trainingscamp Kannenberg)
Bezeichnung
Alter
Migrationshintergrund
K-1
16 Jahre
rumänisch
K-2
13 Jahre
armenisch
K-3
17 Jahre
-
K-4
18 Jahre
-
K-5
15 Jahre
-
K-6
16 Jahre
albanisch
K-7
15 Jahre
spanisch
105
Ehrenwörtliche Erklärung
„Ich versichere durch meine Unterschrift, dass ich die vorstehende Arbeit
selbstständig und ohne fremde Hilfe angefertigt und alle Stellen, die ich wörtlich
oder annähernd wörtlich aus Veröffentlichungen entnommen habe, als solche
kenntlich gemacht habe, mich auch keiner anderen als der angegebenen Literatur oder sonstiger Hilfsmittel bedient habe. Die Arbeit hat in dieser oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegen“.
Damme, 12.01.2012
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(Jan-Volker Schwind)
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