Immer mehr Eltern in Hamburg unter Verdacht - Bündnis Kinder

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Immer mehr Eltern in Hamburg unter Verdacht - Bündnis Kinder
http://www.abendblatt.de/hamburg/article123052260/Immer-mehr-Eltern-in-Hamburg-unterVerdacht.html
18.12.13
Kindeswohlgefährdung
Immer mehr Eltern in Hamburg unter
Verdacht
Zahl der gemeldeten Fälle von Kindeswohlgefährdung steigt auf 10.811. Behörden loben
wachsende Sensibilität. Insbesondere der "tragische Tod" der elfjährigen Chantal habe eine
bundesweite Diskussion ausgelöst.
Von Jana Werner
Foto: pa/dpa
Hamburg. Jeden Tag werden Kinder und Jugendliche in Hamburg mit Problemen und Gewalt
konfrontiert. Sie werden vernachlässigt, allein gelassen, geschlagen und missbraucht. Während
besonders tragische Fälle wie der Methadon-Tod der elfjährigen Chantal bekannt werden, bleiben
etliche Fälle im Dunkeln.
Links
• Misshandlungen: 38.000 Kinder gefährdet - nur Hamburg liefert keine Daten
• Nach Methadon-Vergiftung: Die Lehren aus dem Tod von Pflegekind Chantal
Aus dem aktuellen Kinderschutzbericht der sieben Bezirksämter geht hervor, dass 2012 in Hamburg
deutlich mehr Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung gemeldet wurden als im Jahr davor.
Demnach ist die Zahl von 9013 (2011) auf 10.811 (2012) gestiegen, wie der Wandsbeker
Bezirksamtsleiter Thomas Ritzenhoff am Dienstag sagte. Das entspricht einem Anstieg um knapp
20 Prozent. Den prozentual stärksten Zuwachs gab es in Altona mit 41,6 Prozent und Bergedorf mit
35,8 Prozent. In Eimsbüttel ist die Zahl mit minus sieben Prozent rückläufig.
Für den Leiter des Fachamtes für Jugend- und Familienhilfe, Christoph Exner, sind die Zahlen kein
Beleg dafür, dass sich die Lage der Kinder in der Stadt verschlechtert hat: "Wir verzeichnen schon
seit 2005 und mit dem Einsetzen des Projektes 'Hamburg schützt seine Kinder' und den dort
getroffenen Maßnahmen jedes Jahr höhere Meldezahlen im Zusammenhang mit
Kindeswohlgefährdung." Er führe dies darauf zurück, dass sich die Sensibilität in der Bevölkerung
sowie die "Kooperationsdichte" zwischen Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen und den Schulen
erhöht habe. "Das hat im Laufe der Jahre dazu geführt, dass das Wohl der Kinder immer mehr in
den Blick dieser Stadt genommen wird", sagte Exner. Immer öfter würden Anliegen den
zuständigen Institutionen und Behörden gemeldet.
Auch im Hinblick auf die Zahl der "Inobhutnahmen" registrierten die Bezirksämter einen Anstieg.
Während die Behörden 2011 noch 923 Kinder aus den Familien herausgenommen hatten, waren es
2012 schon 1632. Allerdings gab es statistische Probleme: "Wir haben im letzten Jahr
Auswertungen der Bezirksämter und des Kinder- und Jugendnotdienstes gehabt. Da ist es zu
Doppelzählungen gekommen, weshalb die Zahlen nicht wirklich vergleichbar sind", sagte die
Koordinatorin für Kinderschutz in Wandsbek, Gabriele Fuhrmann.
Zählt man alle Meldungen zusammen, die 2012 beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), dem
Familieninterventionsteam (FIT) oder beim Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) eingegangen
sind, so ergibt sich ebenfalls ein dramatischer Zuwachs: Waren es 2011 noch 28.617 Anliegen, so
waren es 2012 schon 33.825. Das ist ein Anstieg um 15,4 Prozent.
"Da melden sich auch Menschen, die nur danach fragen, wo die nächste Erziehungsberatungsstelle
ist", erklärte Fuhrmann. Nicht alle Meldungen erfolgten mit einem Verdacht auf
Kindeswohlgefährdung. "Und wir können bisher leider noch nicht sagen, in wie vielen Fällen sich
dieser Verdacht auch bestätigt", betonte Fuhrmann. Das sei nicht auswertbar. Nach Einschätzung
des Wandsbeker Bezirksamtsleiters Ritzenhoff hängt der Anstieg der Fälle 2012 auch damit
zusammen, dass es unter den Bezirksämtern bislang keine einheitliche Definition zu einem
Anliegen, einer Klärung und einem wirklichen Fall gebe. Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich
derzeit damit, eine solche Definitionen zu erarbeiten.
Insbesondere der "tragische Tod" der elfjährigen Chantal habe eine bundesweite Diskussion
ausgelöst und bereits zu politischen Entscheidungen geführt, betonte Ritzenhoff. Chantal war 2012
in der Obhut ihrer drogensüchtigen Pflegeeltern an einer Überdosis Methadon gestorben. In der
Folge wurden alle Pflegeverhältnisse in Hinblick auf Suchterkrankungen und Straftaten überprüft.
Ein Lageplan zur Situation im ASD wurde erstellt. Zudem wurde den Angaben zufolge ein
umfangreiches Qualitätsentwicklungssystem beschlossen.
Ferner wurde im Mai 2012 eine neue Computersoftware mit dem Namen JUS-IT im Jugendamt
eingeführt. Diese integriert die Fachkräfte des Kinder- und Jugendnotdienstes, die nun ihre
Anliegen direkt in das System eingeben. Zudem gibt es jetzt eine elektronische Schnittstelle mit
dem System der Polizei, die entsprechende Meldungen zu Kindeswohlgefährdung einspeisen kann.
"Unser Ziel muss sein, dass wir aufschlüsseln können, welche Meldungen von
Kindeswohlgefährdung wir hatten, wie mit ihnen verfahren wurde, welche Maßnahmen ergriffen
wurden und wobei es sich tatsächlich um eine Kindeswohlgefährdung handelte. Das kriegen wir im
Augenblick datenmäßig noch nicht zusammen", so Ritzenhoff. Er sagte ganz offen: "Ja, dieser
Bericht hat Schwächen. Aber wir wollen die Zahlen nennen, die wir kennen, so ungenau sie an
bestimmten Stellen aufgrund von Doppelzählungen auch sind." Bislang gebe es keine hinreichende
Vereinbarung zwischen den Bezirksämtern und der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und
Integration, was ein Anliegen und was ein Fall sei. "Das wird jetzt geklärt, denn auch an dieser
Stelle muss es eine Einheitlichkeit geben", sagte der Bezirksamtsleiter.