Power and Beauty. Renaissance and Baroque Bronzes from the
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Power and Beauty. Renaissance and Baroque Bronzes from the
AUSSTELLUNGEN 30 11. juni 2010 / nr. 12 / kunst und auktionen london The Wallace Collection | Power and Beauty Ein Minenfeld D ie Wallace Collection gilt als eines der schönsten Museen Londons. Das große Stadthaus des vierten Herzogs von Manchester aus dem 18. Jahrhundert, nahe dem Oxford Circus gelegen, beherbergt eine der erlesensten Kunstsammlungen. Seit über hundert Jahren ist es mit kompletter Einrichtung für das Publikum als Gesamtkunstwerk zu erleben. Neu gestaltete Räume im Untergeschoss bieten Platz für kleine Sonderausstellungen, derzeit sind dort dreißig Bronzeskulpturen aus der Sammlung des Amerikaners Peter Marino zu sehen sind. Marino, der immer in schwarzes Leder gekleidet, mit Bart, Sonnenbrille, Tätowierungen und Silberschmuck auftritt, ist ein erfolgreicher Innenarchitekt. Bekannt ist er für seine Gestaltung der weltweit agierenden Modeboutiquen von Chanel, Dior, Louis Vuitton und anderen Luxusfirmen. Im letzten Jahr stattete er Ausstellungsräume im Dresdner Zwinger neu aus. Andy Warhol und Yves Saint Laurent zählten in den 70er Jahren zu seinen ersten Auftraggebern. Die beiden waren es auch, die Marinos Sammelleidenschaft auslösten. Inzwischen lebt er seine Obsession aus. Die Interessengebiete sind breit gefächert: antike Kunst, französisches und chinesisches Porzellan, Bücher, Photographie und zeitgenössische Kunst. Dass Marino seit 25 Jahren auch italienische, französische und deutsche Bronzen der Renaissance und des Barock sammelt, wusste jedoch kaum jemand. Jeremy Warren, der Kurator und akademische Direktor der Wallace Collection, überredete ihn, sie öffentlich zu zeigen. Die kleinformatigen Skulpturen sind zwischen 1550 und 1750 vornehmlich in Florenz, Rom und Paris entstanden. Sie stammen von den führenden Bildhauern der Zeit, die heute allerdings nicht mehr gemeinhin bekannt sind: Ferdinando Tacca, Giovanni Battista Foggini, Robert Le Lorrain oder Corneille van Clève. Große Künstlernamen fehlen. Es handelt sich um Szenen aus der klassischen Mythologie, der Bibel, und Darstellungen historischer Ereignisse. Eine der frühesten, dunkel glänzenden Plastiken ist „Samson und der Philister“ (Florenz, um 1555), die Baccio Bandinelli zugeschrieben wird (Abb.). Samson, eine Figur aus dem Alten Testament, erschlägt einen Philister mit dem Kieferknochen eines Esels (laut Bibeltext metzelte er tausend). Die Komposition ist voller Dynamik. Das Zentrum der Skulpturengruppe wird von einer rautenförmigen Öffnung beherrscht. Die ausladenden Gesten, die verlängerten Gliedmaßen und die Dramatik der Szene führen vor Augen, dass die Renaissance mit ihren wohlproportionierten Kompositionsschemata überwunden und die neue Zeit des Manierismus angebrochen war. Der klassische griechisch-römische Contrapposto – das idealisierte Gleichgewicht – wurde zugunsten einer gewissen Instabilität aufgegeben. Eine modifizierte zweite Version dieser Bronze befindet sich im Bayerischen Nationalmuseum. Ein anderer herausragender Guss, bei dem es auch um Totschlag geht, ist „David und Goliath“ (Florenz, um 1722) von Giovanni Battista Foggini. Die Dreieckskomposition lässt an Donatellos Großplastik „Judith“ von 1455 denken, die auf der Piazza della Signoria in Florenz aufgestellt war. Aber auch in der Detailgestaltung machte Foggini einen bewussten Rückgriff auf die ruhmreiche Zeit der Florentiner Renaissance. Goliaths Schild und Schwert zeigen große Ähnlichkeit zum historischen Waffenarsenal der Medici-Familie. Da sich die Rüstungen von Cosimo I. de’ Medici in der Sammlung der Wallace Collection befinden, kann nun sein Schwert (um 1550) neben der Bronze den Vergleich belegen. Neben den starken Männern – Samson, Herkules, Apollo, Laokoon und Flussgöttern – kommt in der Londoner Präsentation auch die Schönheit in Gestalt der anmutigen Figuren von Diana, Venus, Andromeda und Ariadne zum Ausdruck. Bronzegießereien gab es in vielen europäischen Städten. Einen ersten Höhepunkt dieser Technik sah Florenz zu Beginn des 15. Jahrhunderts mit Schöpfungen von Lorenzo Ghiberti und Donatello. Viele der Skulpteure waren gelernte Goldschmiede. Gearbeitet wurde mit dem Verfahren der „Verlorenen Form“. Ab 1500 hatte man die Methoden so weit entwickelt, dass von einem Modell mehrere Güsse angefertigt werden konnten. Der erste Künstler, der den Markt mit großer Stückzahl von erlesenen Statuetten bedienen konnte, war Giambologna in Florenz in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Peter Marino stimulieren unter all seinen Sammelgebieten die Bronzen des 16. bis 18. Jahrhunderts am meisten. Er vergleicht sie mit einem Minenfeld, das es immer wieder neu zu überqueren gelte. Die Expertenmeinungen zur Zuschreibung, Entstehungszeit, Echtheit etc. gingen zuweilen weit auseinander. Der finanzielle Einsatz sei inzwischen hoch und jeder Fehler schlage teuer zu Buche. Ob ein Guss auf 1630 oder 1830 datiert wird, kann einen Preisunterschied bis zum Zehnfachen bedeuten. Seine Kunstwerke erwirbt Marino im internationalen Handel oder auf Auktionen. Für die beste Qualität muss er bereit sein, über 1 Mio $ zu gehen. Freilich hatte er auch schon das Glück, vermeintliche Kopien des 19. Jahrhunderts zu kaufen, die sich später als Originale herausstellten. Natürlich hat der Innenarchitekt auch bei der Gestaltung seiner Ausstellung maßgeblich mitgewirkt. Der erste Raum, die „Schatzkammer“ mit den goldpatinierten Bronzen, ist mit roter Tapete, der zweite mit gelber und der letzte, die französischen Bronzen beherbergend, mit grüner ausstaffiert. In der Wallace Collection fühlt sich Marino wie zuhause. Statt mit Rubens und Fragonard wie hier kombiniert er die Plastiken in seinen privaten Wohnräumen in New York mit Gemälden von De Kooning und Robert Ryman. Mit seinem Londoner Auftritt hat er Gelegenheit, sich in die Tradition der großen Sammler zu stellen. Porträt von Peter Marino in seiner Sammlung, Foto Manolo Yllera, courtesy Peter Marino Baccio Bandinelli (1488–1560) zugeschr., Samson und der Philister, Bronze, 1550–60, H. 48,8 cm., Foto Maggie Nimkin, courtesy of Peter Marino sabina fliri ausstellung „Power and Beauty. Renaissance and Baroque Bronzes from the Collection of Peter Marino“, The Wallace Collection, Hertford House, Manchester Square, UK–London W1, www.wallacecollection.org, bis 25. Juli. katalog hrsg. von Jeremy Warren, London, Paul Holberton Verlag, 288 S. mit 300 Farbabb., 25 £.