Das Gehirn. Eine Einführung

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Michael O’Shea
Das Gehirn
Eine Einführung
Übersetzt von
Manfred Weltecke
Mit 19 Abbildungen
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Philipp Reclam jun. Stuttgart
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Titel der englischen Originalausgabe:
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Michael O’Shea: The Brain. A Very Short Introduction.
Oxford / New York: Oxford University Press, 2005
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Für meine Kinder Annie und Jack. Und für meine Tochter
Linda, die starb, weil man noch nicht genug darüber wusste,
was zu tun ist, wenn im Gehirn schwere Funktionsstörungen
auftreten. Ich hoffe, dass unser Wissen eines Tages dazu
ausreichen wird.
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RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 18477
Alle Rechte vorbehalten
© für die deutschsprachige Ausgabe
2008 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
Die Übersetzung erscheint mit Genehmigung
von Oxford University Press, Oxford. The Brain – A Very Short
Introduction was originally published in English in 2005.
This translation is published by arrangement with Oxford University Press.
© Michael O’Shea 2005
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Printed in Germany 2008
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken
der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
ISBN 978-3-15-018477-6
www.reclam.de
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Inhalt
Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 Nachdenken über das Gehirn . . . . . . . . . . .
2 Von Körpersäften zu Zellen: Bestandteile
des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 Weiterleitung von Signalen: Verbindungen
herstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 Vom Urknall zum Großhirn . . . . . . . . . . . .
5 Empfinden, Wahrnehmen und Handeln . . . . . .
6 Der Stoff, aus dem Erinnerungen sind . . . . . . .
7 Geschädigte Gehirne: Erfindungen und Eingriffe
8 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . .
Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . .
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Danksagungen
Ich danke Annalie Clark für ihren klugen Rat. Besonders
hat sie mir dabei geholfen, die Verständlichkeit schwieriger
Textstücke zu verbessern. Außerdem danke ich Dr. Liz
Somerville für ihre kundige Einführung in das Fachgebiet der versteinerten Vorläufer des menschlichen Schädels. Jenny danke ich für ihre Ermutigung.
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Nachdenken über das Gehirn
Nehmen wir uns einen Moment Zeit, über ein ganz besonderes Organ nachzudenken: unser Gehirn. Es wiegt
nur etwa 1,2 Kilogramm. Keine einzelne der hundert Milliarden Nervenzellen, aus denen es besteht, weiß, wer oder
was wir sind. Schon die bloße Vorstellung, dass eine einzelne Zelle einen Gedanken fassen könnte, scheint lächerlich. Dafür ist sie ein viel zu einfaches Gebilde. Bewusste
Erfahrung des eigenen Selbst hat jedoch genau dies zur
Voraussetzung: Nervenzellen, die über hundert Billionen
Verbindungen miteinander kommunizieren. Denkt man
darüber nach, so gehört diese Tatsache zu den rätselhaftesten des Lebens. Die Vermutung, dass ein solches Organ
über wundersame Eigenschaften verfügt, mag daher nicht
völlig abwegig erscheinen. Während jedoch die Welt voller
Geheimnisse steckt, hat die Wissenschaft keinen Platz für
Wunder, und die größte Herausforderung für die Wissenschaft des 21. Jahrhunderts besteht darin, die Funktion
des Gehirns in rein materiellen Begriffen zu erklären.
Das Nachdenken über unser Gehirn stellt selbst eine
rätselhafte Angelegenheit dar, weil wir nur mit unserem
Gehirn über unser Gehirn nachdenken können. Die seltsame Zirkelhaftigkeit dieses Rätsels wird deutlich, wenn
man sich die aus dieser Zirkularität folgende Konsequenz
klarmacht, dass nämlich unser Gehirn das komplizierteste
und bewundernswerteste Objekt im gesamten uns bekannten Universum ist. Dies ist offensichtlich – und mag
letztlich nicht mehr sein als – die Meinung des Gehirns
über sich selbst, die Ansicht des Gehirns über das Gehirn.
Es scheint demnach der Fall zu sein, dass wir in dem logischen Paradox eines selbstbezüglichen, und in diesem Fall
sogar von sich selbst besessenen, Systems gefangen sind.
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Vielleicht besteht die einzige zuverlässige Schlussfolgerung dieses Gedankenexperiments darin, dass sich das Gehirn so viel wie nur eben möglich auf sich selbst einbildet!
Ungeachtet dieser wohlentwickelten Eitelkeit des Gehirns müssen wir dennoch zugeben, dass es seinem Besitzer einige höchst spezielle Fähigkeiten verleiht. Seine
Funktionen laufen im Hintergrund sämtlicher menschlicher Handlungen, Empfindungen und Gedanken ab. Es
erlaubt uns, lebhaft über die Vergangenheit nachzudenken, fundierte Urteile über die Gegenwart zu fällen und
rationale Handlungsabläufe für die Zukunft zu planen. Es
verleiht uns die scheinbar mühelose Fähigkeit, Bilder vor
unserem geistigen Auge auftauchen zu lassen, Musik durch
Hintergrundgeräusche hindurch herauszuhören, zu träumen, zu tanzen, uns zu verlieben, zu weinen und zu lachen. Vielleicht am bemerkenswertesten ist es jedoch,
dass das Gehirn eine bewusste Aufmerksamkeit erzeugen
kann, die uns davon überzeugt sein lässt, dass wir frei
wählen können, was wir als Nächstes tun werden.
Wir haben keinerlei Vorstellung davon, wie Bewusstsein
in einem rein materiellen System entsteht. Es ist also sehr
wohl möglich, dass wir es bei dem Versuch zu verstehen,
wie genau dies im Gehirn geschieht, mit dem schwierigsten aller Probleme der Wissenschaft zu tun haben. Damit
soll nicht behauptet werden, dass das Problem prinzipiell
unlösbar ist, sondern nur, dass das Gehirn ein Organ mit
begrenzten Fähigkeiten darstellt und dass seine Verstehensmöglichkeiten daher vermutlich ebenfalls begrenzt
sind. Wo liegen jedoch die Grenzen seiner intellektuellen
Fassungskraft, und können wir innerhalb dieser Grenzen
nicht dennoch unbeantwortbare Fragen über das Gehirn
stellen? Neurowissenschaftler geben zu, dass sie mit einem Ehrfurcht gebietenden Problem konfrontiert sind.
Das zunehmende Tempo, in dem die Neurowissenschaften neue Erkenntnisse gewinnen, beweist jedoch, dass wir
uns noch längst nicht in der Nähe einer möglicherweise
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existierenden oberen Grenze unserer Verstehensmöglichkeiten befinden. Statt also angesichts der Grenzen des
menschlichen Intellekts zu verzweifeln, sollten wir optimistisch sein, was unsere Bemühungen betrifft, ein umfassendes Verständnis des Gehirns und seiner äußerst rätselhaften Eigenschaften (etwa Bewusstsein oder das Gefühl
zu haben, dass unser Wille frei ist) in rein physikalischen
Begriffen zu erlangen.
Obwohl wir dieses kurze Buch kaum begonnen haben,
ist uns bereits in der Art und Weise, auf die wir uns auf
»das Gehirn« bezogen haben, ein grundsätzlicher begrifflicher Fehler unterlaufen. Das Gehirn ist keine unabhängige Einheit, die für sich in großartiger Abgeschottetheit
und erhabener Überlegenheit in unserem Schädel residiert.
Vielmehr handelt es sich um einen Teil eines größeren Systems, dessen Ausläufer bis in jeden Winkel und jede Extremität unseres Körpers reichen, um diese zu durchdringen, zu beeinflussen und von ihnen beeinflusst zu werden.
Als Rückenmark, aus dem in regelmäßigen Abständen
Nerven hervorwachsen, die an jeden Teil unseres Körpers
Informationen senden und von dort empfangen, reicht
unser Gehirn fast die gesamte Länge der Wirbelsäule hinab. Es gibt fast nichts, das außerhalb seiner Reichweite
läge. Jeder unserer Atemzüge oder Herzschläge, jedes Gefühl, jede Bewegung, einschließlich der unwillkürlichen
Bewegungen (wie z. B. das Aufstellen der Nackenhaare
oder die Bewegung des Speisebreis durch das Verdauungssystem), kurz: all diese Körperfunktionen unterstehen der
direkten oder indirekten Kontrolle des Nervensystems,
dessen wichtigster Teil das Gehirn ist.
Unter diesem Blickwinkel gesehen stellt sich das Gehirn
nicht einfach als eine Befehlszentrale dar. Es wird selbst
mit einer ständigen Informationsflut aus dem Körper und
der Außenwelt bombardiert. Spezialisierte Zellen, die man
als »sensorische Rezeptorneurone« bezeichnet, versorgen
das Nervensystem über sensorische Nerven mit Informa-
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tionen. Sie liefern dem Gehirn Daten in Echtzeit (also fast
ohne Verzögerung) über den Zustand des Körpers und
der Außenwelt. Außerdem gelangen Informationen nicht
nur über Nervenzellen in das Gehirn bzw. vom Gehirn in
den Körper. Etwa 20 % des Hirnvolumens werden von
Blutgefäßen eingenommen, über die Sauerstoff und Glukose für den außerordentlich hohen Energiebedarf des
Gehirns herbeigeschafft werden. Der Blutstrom stellt einen alternativen Kommunikationsweg zwischen Gehirn
und Körper sowie in umgekehrter Richtung dar. Die über
den gesamten Körper verteilten endokrinen Drüsen geben
Hormone an das Blut ab. Diese Hormone informieren das
Gehirn über den Status einzelner Körperfunktionen, während das Gehirn über eigene Hormone Anweisungen in
das Blut abgibt, damit dieses Blut die entsprechenden hormonellen Befehle an alle Teile des Körpers weitergibt. Behaupten wir also, das Gehirn führe x oder y aus, steht
»das Gehirn« als Abkürzung für all die wechselseitig voneinander abhängigen, interaktiven Prozesse eines komplexen dynamischen Systems, das aus dem Gehirn, dem Körper und der Außenwelt besteht.
Das menschliche Gehirn stellt eine höchst entwickelte
und äußerst komplexe »Maschine« dar, die häufig mit der
kompliziertesten der von Menschen hergestellten Maschinen, mit dem digitalen Computer, verglichen wird. Ein Gehirn und ein Computer unterscheiden sich jedoch grundlegend voneinander. Ein Gehirn ist eine am Endpunkt
einer Entwicklung stehende biologische Einheit, die aus
solch kleinen organischen Molekülen wie Proteinen, Lipiden, Kohlehydraten, einigen Spurenelementen und einer
ziemlich großen Menge salzigen Wassers besteht. Ein moderner Computer wird aus elektronischen Komponenten
und Schaltern zusammengebaut, die aus Silizium, Metall
und Plastik bestehen. Kommt es also darauf an, woraus
eine Maschine besteht? Im Falle von Computern lautet die
Antwort »Nein«. Die Funktionen eines Computers sind
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unabhängig von dem Medium, in dem sie ausgeführt werden. Dies bedeutet, dass jeder Rechenvorgang prinzipiell
in einem beliebigen Medium durchgeführt werden kann,
solange dazu Komponenten verwendet werden, die aus einem entsprechend geeigneten Material hergestellt wurden.
Deshalb könnten Zahnräder und Hebel oder sogar hydraulische oder optische Geräte an die Stelle der elektronischen Bausteine moderner Computer treten. Dies würde
zwar die Rechengeschwindigkeit und Einfachheit der Verwendung, nicht jedoch die Rechenfähigkeit des Computers beeinträchtigen. Es scheint äußerst unwahrscheinlich,
dass das Gehirn nur Algorithmen berechnet oder dass
umgekehrt Denkvorgänge ebenso gut von Zahnrädern
und Hebeln anstelle von Nervenzellen ausgeführt werden
könnten. Vielleicht können wir aus diesem Grund von
Computern nicht erwarten, dass sie wie Gehirne arbeiten,
es sei denn, wir fänden einen Weg, sie aus biologischen
Bausteinen herzustellen (siehe Kapitel 7).
Von Farbspuren zur Bedeutung
Im Folgenden werde ich kurz eine Leistung des Gehirns
unter die Lupe nehmen, die mit einer vertrauten Aktivität
des alltäglichen Lebens zu tun hat, um auf diese Weise ein
Verständnis für die Fragen zu gewinnen, die sich bezüglich unseres Gehirns stellen lassen und nach einer Antwort verlangen, und um spätere Kapitel vorzubereiten.
Betrachten wir etwas genauer, was wir selbst zurzeit tun:
Wir lesen diesen Text. Doch was genau leistet unser Gehirn in diesem Moment? Was für eine Aktivität ist das Lesen, und was muss das Gehirn tun, um diese Aktivität auszuführen?
Offensichtlich muss das Gehirn zunächst lernen, wie
man liest, und ebenso offensichtlich ist das Lesen selbst
eine Lernmethode. Lesen regt zusätzlich unsere Einbil-
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bryo zunächst angelegt. Die beiden Hauptbestandteile des
zentralen Nervensystems, das Gehirn und das Rückenmark, leiten sich von einem Streifen embryonaler Haut,
der »Neuralplatte«, auf der dorsalen Mittellinie ab. Etwa
drei Wochen nach der Befruchtung faltet sich die Neuralplatte zusammen und bildet eine Rinne. Daraufhin
schließt sich das dorsale Ektoderm über der Neuralröhre,
die sich vom Ektoderm ablöst und sich nunmehr im Inneren des Embryos befindet. Die Röhre reicht von einem
Ende des Embryos bis zum anderen. Zu beiden Seiten der
Neuralplatte befindet sich ein Bereich des Ektoderms, den
man als »Neuralleiste« bezeichnet. Die Zellen der Neuralleiste vermehren sich und bilden später das periphere Nervensystem, das vegetative Nervensystem sowie die sensorischen Neurone der Dorsalwurzeln des Rückenmarks.
Die Zellen des Neuralrohres vermehren sich ebenfalls.
Aus ihnen entstehen die Neurone und Gliazellen, die das
Gehirn und das Rückenmark bilden. Zunächst ist das
Neuralrohr über seine gesamte Länge gleichförmig. Im
Laufe der weiteren Entwicklung vermehren sich die Zellen am Vorderende des Neuralrohres jedoch wesentlich
stärker als an seinem hinteren Ende. Deshalb vergrößert
sich das Vorderende, und später wird aus ihm das Gehirn.
Das Hinterende des Neuralrohres ist dazu bestimmt, das
Rückenmark zu bilden.
An seinem Vorderende schwillt das Neuralrohr zu drei
Vesikeln an, aus denen die Hauptabschnitte des Gehirns
entstehen: das Vorder-, Mittel- und Hinterhirn. Diese Abschnitte differenzieren sich weiter aus, und aus ihnen entstehen die Vorläufer der Hauptbestandteile des später voll
entwickelten Gehirns. Zum Beispiel zeigt sich an seinem
vorderen Ende zu beiden Seiten des Vorderhirns eine Blase. Aus diesen Vorwölbungen entstehen später die beiden
Hemisphären des Gehirns (das sogenannte »Telencephalon«). Diese Auswölbungen auf beiden Seiten des Gehirns
rollen sich in Richtung Hinterseite zusammen, bevor sie
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wieder zur Vorderseite, ähnlich wie die Hörner eines Widders, wachsen. Der hinterste Teil des Vorderhirns umgibt
daher das Mittelhirn. Gleichzeitig differenzieren sich die
embryonalen Vesikel des Mittel- und Rautenhirns. Aus ihnen entstehen sämtliche Teile des End- oder Stammhirns.
Vom Rückenmark zur Großhirnrinde
Das Rückenmark weist eine relativ einfache Struktur auf:
Es besteht aus einem zentralen grauen Bereich, in dem
sich Synapsen und die Zellkörper der Neurone befinden.
Dieser Bereich wird von einer weißen Substanz umgeben.
Diese besteht aus Axonen, die Informationen in beide
Richtungen des Rückenmarks weiterleiten. Das Rückenmark ist aus Segmenten aufgebaut, von denen jedes über
zwei Wurzelpaare verfügt: ein ventrales und ein dorsales,
die das Rückenmark mit dem Körper verbinden. Die ventralen Wurzeln enthalten die efferenten (herausführenden)
Axone von Motorneuronen, die dorsalen Wurzeln die afferenten (eintreffenden) Axone von sensorischen Neuronen. Die Zellkörper der sensorischen Neurone liegen in
Schwellungen in der Nähe des Rückenmarks, den »dorsalen Wurzelganglien«. Die Zellkörper der motorischen
Neurone befinden sich in der ventralen grauen Substanz.
Sie sind in funktional verwandten Gruppen gebündelt.
Motorische Neurone, die einen bestimmten Muskel mit
Nerven versorgen, sind daher in Gruppen zusammengefasst. Dabei befinden sich motorische Neurone der Gliedmaßen an den Seiten des Rückenmarks, während diejenigen Neurone, die die Muskeln des Rumpfes versorgen,
näher zur Mitte des Rückenmarks liegen. Dadurch, dass
die Neurone entsprechend ihrer Funktion gruppiert sind,
ist es leichter, Muskelgruppen zur Erzeugung koordinierter
Bewegungen der Reihe nach zu aktivieren. Interneurone
im Rückenmark verbinden die eingehenden sensorischen
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und die abgehenden motorischen Impulse. Außerdem formen sie jene neuronalen Schaltkreise, die einfachen Reflexen zugrunde liegen, wie zum Beispiel dem bekannten
Kniesehnenreflex.
Man kann sich die drei Unterabschnitte des Gehirns
wie eine geordnete Hierarchie vorstellen, in der das Vorderhirn das Mittelhirn und dieses wiederum das Rautenhirn steuert. Das Stammhirn (Mittel- und Rautenhirn)
dient lebenswichtigen, jedoch nicht kognitiven Körperfunktionen, wie z. B. der Atmung, der Blutstromregulation sowie der Koordination der Fortbewegung. Außerdem
werden durch die Strukturen des Mittelhirns auch sensorische Informationen vorverarbeitet. Eine komplexere Verarbeitung dieser Daten erfolgt jedoch dann, wenn diese
teilweise verarbeiteten Informationen durch die Hierarchie an das Vorderhirn weitergegeben werden. Das Vorderhirn kann als »Kommandobrücke« angesehen werden,
die die sensorischen Informationen der verschiedensten
Art berücksichtigt und daraufhin Befehle gibt, Entscheidungen trifft und Urteile fällt, die auf den sensorischen
Daten und der Erfahrung basieren. Die im Vergleich zu
anderen Tieren größere Komplexität und Flexibilität unseres Verhaltens kann auf die höhere Cephalisation zurückgeführt werden, d. h. auf den Erwerb neuer neuronaler
Funktionen, die mit den vordersten Teilen unseres Gehirns in Zusammenhang stehen. Dies zeigt sich daran, dass
die relative Größe unseres Vorderhirns im Laufe der Entwicklung vergleichsweise stark zugenommen hat. Bei Fi-
Abb. 8. Entwicklung des Vorderhirns. Während der Embryonalentwicklung des Säugetiergehirns vergrößert sich der vorderste Teil
des Gehirns, das Telencephalon, überverhältnismäßig stark. Bei
Primaten vergrößert sich das Telencephalon, indem es zunächst
nach hinten und dann nach vorne wächst, bis es schließlich den
Rest des Vorderhirns und das Mittelhirn vollständig umschließt.
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schen, Amphibien und Reptilien stellt das Vorderhirn nur
einen sehr kleinen Teil des Gehirns dar, während es bei
Säugetieren sehr viel größer ist. Beim Menschen wird es
schließlich so groß, dass es nur unter der Voraussetzung in
den Schädel passt, dass es sich einfaltet. Auf diese Weise
entsteht das charakteristische äußere Erscheinungsbild unseres Großhirns.
Das Rautenhirn besteht aus der sogenannten »Medulla
oblongata«, der Brücke und dem Kleinhirn. Die im Folgenden beschriebene Brücke, die Medulla und die zahlreichen Abschnitte des Mittelhirns werden als das »Stammhirn« bezeichnet. Ein beträchtlicher Anteil der Medulla
besteht aus Bündeln auf- und absteigender Axone, die den
Informationsaustausch zwischen dem Gehirn und dem
Rückenmark gewährleisten. In der Medulla wechseln die
von der Großhirnrinde absteigenden Axone von der linken auf die rechte Seite, und umgekehrt. Dies hat zur Folge, dass die beiden Hemisphären die Bewegungen der jeweils anderen Körperseite steuern. Zahlreiche viszerale
automatische Körperfunktionen, einschließlich der Atmung, des Herzschlags und des Schluckens, werden von
neuronalen Zentren in der Medulla gesteuert. Direkt vor
der Medulla befindet sich die Brücke (die »Pons«), die an
der Übergangsstelle zwischen Mittel- und Hinterhirn
liegt. Auch dieses Hirnareal steuert viszerale Funktionen
und spielt eine wichtige Rolle bei der Steuerung des Gesichtsausdrucks. Die Brücke enthält ferner wichtige sensorische Zentren, unter anderem die sogenannten »Gleichge-
Abb. 9. Cephalisation. Im Laufe der Vertebratenevolution wird
der vorderste Teil des Gehirns immer stärker begünstigt. Die relative Größe des Vorderhirns hat in der Evolution am vergleichsweise stärksten zugenommen. In der Evolution der Hominiden hat
die präfrontale Großhirnrinde (also der vorderste Teil des Vorderhirns) in nur zwei Millionen Jahren seine Größe verdreifacht.
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wichtskerne« (die »nuclei vestibulares«), die Informationen über die räumliche Orientierung des Körpers unter
Berücksichtigung der Schwerkraft und der Beschleunigungskräfte erhalten.
Der komplizierteste Teil des Rautenhirns ist das Kleinhirn (das sogenannte »Cerebellum«). Es ist auf die Koordination von Bewegungsbefehlen spezialisiert. Bezüglich
seiner Größe wird das Kleinhirn nur von den beiden
Großhirnhälften übertroffen. Es befindet sich genau an
der Stelle, an der das Gehirn in das Rückenmark übergeht.
Von dieser strategisch wichtigen Position aus kann es
überwachen, auf welche Weise komplexe Bewegungen
ausgeführt werden. Das Kleinhirn hat ein sehr markantes
Aussehen. Seine Oberfläche besteht aus zahlreichen,
durch tiefe Fissuren voneinander getrennten, blattförmigen Windungen (»folia cerebelli«). Es wird mit sensorischen Informationen über die Position und die Bewegung
des Körpers bestens versorgt und kann entsprechend Informationen leicht kodieren und speichern, die benötigt
werden, um komplexe, vorher erlernte Fähigkeiten einzusetzen. Es ist dem Hirnstamm aufgelagert und ist mit dem
Mittelhirn, der Brücke und der Medulla über drei paarige
Kleinhirnstiele (»pedunculi«) verbunden. Diese bestehen
aus Bündeln von Axonen. Das Kleinhirn verfügt über keine direkte Verbindung mit der Großhirnrinde, und obwohl es ebenfalls an der Bewegungssteuerung beteiligt ist,
steuern seine Seiten anders als die Großhirnrinde jeweils
die eigene Körperhälfte.
Das Mittelhirn besteht aus der »Substantia nigra«, den
hinteren und vorderen Hirnhügeln (»colliculi inferiores«
und »superiores«) sowie aus einem Teil des als »Formatio
reticularis« bezeichneten Neuronennetzwerks, das sich
auch bis in die Medulla oblongata hinein fortsetzt. Die
Substantia nigra ist wesentlich an der Einleitung und
Durchführung willkürlicher Bewegungen beteiligt. Wurde
dieser Teil des Gehirns in irgendeiner Form geschädigt,
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zeigen sich die Symptome der Parkinsonkrankheit. Charakteristisch für diese Krankheit ist ein Muskelzittern.
Außerdem haben diese Patienten Probleme damit, sich zu
Handlungen aufzuraffen. Die hinteren Hirnhügel stehen
mit der Geräuschwahrnehmung in Zusammenhang, während die vorderen Hirnhügel ein Zentrum für die Verarbeitung visueller Daten sind und die Bewegungen der Augen steuern. Der Formatio reticularis fällt eine Hauptrolle
bei der Aufgabe zu, den Wachzustand des Gehirns zu
steuern und zu regulieren.
Die beiden wichtigsten Unterabschnitte des Vorderhirns bilden das »Telencephalon« (die Großhirnrinde und
die Basalganglien) sowie das evolutionär ältere »Diencephalon« (Teile des limbischen Systems, der Thalamus und
der Hypothalamus). Im Diencephalon befindet sich, tief
im Gehirn, eine als »Thalamus« bezeichnete paarig angelegte Struktur. Hierbei handelt es sich um eine Zwischenschaltung für visuelle, akustische und körpersensorische
Informationen auf dem Weg zur Großhirnrinde. Mehr
ventral gelegen befindet sich an der Verbindungsstelle von
Thalamus und Mittelhirn der Hypothalamus. Trotz seiner
geringen Größe ist dieses Hirnzentrum an der Steuerung
einer ganzen Reihe wichtiger Körperfunktionen beteiligt,
etwa an der Steuerung der Sexualfunktion, der Emotionen
sowie der Deutung von Gerüchen. Außerdem reguliert es
die Körpertemperatur und steuert Hunger- und Durstgefühle. Zusätzlich verbindet der Hypothalamus das Gehirn
mit dem Hormonsystem des Körpers und gibt eine Reihe
von Hormonen in den Blutstrom ab, die im gesamten
Körper verteilt werden.
Der Hypothalamus wird normalerweise einer Reihe
verwandter Strukturen zugerechnet, die zuammen das
»limbische System« ausmachen. Das Adjektiv »limbisch«
bezieht sich dabei auf diejenigen Teile des Vorderhirns, die
einen Saum (lat. limbus) um die Brücke (»Corpus callosum«) zwischen den beiden Großhirnhälften bilden. Zu
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diesem System gehören die Amygdala und der Hippocampus, also jene im Laufe der Evolution zuerst entstandenen
Teile des Vorderhirns. Die Funktion dieser Strukturen hat
sich im Verlauf der Evolution jedoch geändert. Bei den
niederen Wirbeltieren, wie z. B. bei den Reptilien, ist der
Amygdala der Geruchssinn zugeordnet. Beim Menschen
hingegen ist die olfaktorische Funktion der Amygdala nur
minimal vorhanden. Man nimmt an, dass dieses Areal im
menschlichen Gehirn hauptsächlich mit der Steuerung
der Emotionen zu tun hat. Der Hippocampus stellt ein
weiteres Beispiel für die Funktionsänderung im Laufe der
Evolution dar. Bei Reptilien regelt diese Struktur wahrscheinlich Reaktionen des Verhaltens (wie z. B. Flucht
oder Paarung) auf Geruchsreize. Bei Säugetieren und dem
Menschen spielt der Hippocampus eine wichtige Rolle bei
der Bildung von räumlichen Erinnerungen. Die Gürtelwindung (»Gyrus cinguli«), ein weiterer Teil des limbischen Systems, stellt eine Verbindung zwischen dem limbischen System und der Großhirnrinde her.
Der vorderste und in der Evolution zuletzt entstandene
Teil des Vorderhirns besteht aus den Basalganglien und
den sie umschließenden Großhirnhälften. Die Basalganglien liegen unter den zwei Hemisphären verborgen. Sie
bestehen aus einer Ansammlung von drei paarig gelagerten Neuronengruppen. Ihre Aufgabe besteht darin, willkürliche Bewegungen, die in der Großhirnrinde initiiert
wurden, zu steuern und zu regulieren. Mehr als irgendeine
andere Hirnstruktur macht uns die Großhirnrinde zu
Menschen. Hier werden Pläne ersonnen und willkürliches
Verhalten ausgelöst. Auch die neuronale Grundlage der
Sprache befindet sich in der Großhirnrinde. Außerdem
werden hier die Sinnesdaten zu bewussten Wahrnehmungen zusammengesetzt. Sie ist der Ort unserer gesamten
schöpferischen Intelligenz und unserer Einbildungskraft.
Sollte unser Wille tatsächlich frei sein, dann wird sein Geheimnis in der Großhirnrinde zu finden sein.
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Die Großhirnrinde ist die eingefaltete Oberfläche der
beiden Großhirnhälften. Sie besteht aus einer zusammenhängenden, etwa zwei bis vier Millimeter dicken Schicht.
Der Fluss von Informationen an die bzw. aus der Großhirnrinde erfolgt über etwa eine Million Ein- und Ausgabe-Neurone. Es existieren jedoch über zehn Milliarden interne Verbindungen. Die Hirnrinde verbringt den größten
Teil ihrer Zeit daher in einer Art Selbstgespräch, bei dem
ein Teil mit anderen Teilen Daten austauscht. Die sehr
ausgedehnte, starke Einfaltung der Hirnrinde macht es
möglich, dass eine vergleichsweise große Hirnoberfläche
im vergleichsweise kleinen Schädel Platz findet. Würde
die Oberfläche der linken und rechten Großhirnhälfte
»glatt gezogen«, ergäbe sich auf diese Weise eine Fläche
von 1,6 Quadratmetern. Das entspräche etwa dem Vierfachen der Oberfläche des Großhirns eines Schimpansen.
Eine tiefe Furche in der Mitte des Großhirns, die »Fissura
longitudinalis«, teilt es in die linke und rechte Hemisphäre. Beide Seiten sind in vier Hauptlappen unterteilt, die
nach den über ihnen liegenden Schädelknochen benannt
sind. Die frontalen Hirnlappen sind die größten. Sie machen etwa 40 % der Gesamtoberfläche aus. Die temporalen, parietalen und occipitalen Hirnlappen machen demgegenüber jeweils etwa weitere 20 % der Hirnoberfläche
aus. Die Ränder der Oberflächeneinfaltungen werden als
»Gyri« bezeichnet, die diese trennenden Furchen als »Sulci«. Die tieferen von ihnen bezeichnet man als »Fissuren«.
Dem ersten Eindruck nach scheinen die linke und rechte
Seite des Großhirns symmetrisch aufgebaut zu sein. Auch
funktional gesehen scheinen sie einander weitgehend zu
entsprechen. Es bestehen jedoch einige wichtige Unterschiede zwischen der linken und rechten Hirnhälfte, die
mit kognitiven, wie z. B. den für die Sprache erforderlichen Leistungen in Zusammenhang stehen.
Die tiefe Fissura longitudinalis, welche die beiden Hirnhälften entlang der Mittellinie scheinbar trennt, verdeckt
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eine wichtige, als »Corpus callosum« bezeichnete Struktur, die von größter Bedeutung für die bilaterale Koordination der Großhirnrindenfunktion ist. Das Corpus callosum stellt die Kommunikationsbrücke zwischen den beiden Hemisphären des Großhirns dar. Es besteht aus einem
Strang von über einer Million Nervenfasern, deren eine
Hälfte von Neuronen in der rechten und deren andere
Hälfte von Neuronen in der linken Hemisphäre ausgeht.
Die Axone des Corpus callosum lassen die linke Hirnhälfte wissen, was die rechte tut, getan hat und möglicherweise als Nächstes tun wird, und umgekehrt. Wird das Corpus callosum durchtrennt, wie dies manchmal bei der
Behandlung von Epilepsien, die auf keine andere Therapie
ansprechen, durchgeführt wird, so können die beiden
Großhirnhälften unabhängig voneinander arbeiten. Nach
derartigen Operationen konnte mit solchen »Split-BrainPatienten« der definitive Beweis dafür erbracht werden,
dass die beiden Hemisphären beim Sprechen eine unterschiedliche Rolle spielen. Split-Brain-Patienten waren in
der Lage, in der rechten Hand gehaltene, für sie nicht direkt sichtbare, jedoch fühlbare Objekte zu benennen. Für
diese Benennung wird die linke Hemisphäre verwendet,
da sensorische Informationen von der rechten Körperseite
von der linken Hirnhälfte verarbeitet werden. Mit der
rechten Hirnhälfte konnten Patienten jedoch nicht benennen oder schildern, was sie in der linken Hand hielten.
Diese Beobachtungen bestätigten die anfangs geäußerten
Vermutungen: Obwohl beide Hemisphären über ein klares Bewusstsein der Dinge verfügen, drückt nur die linke
Hemisphäre dieses Bewusstsein auch sprachlich aus.
Die stark eingefaltete Oberfläche des menschlichen
Großhirns kann in eine Reihe funktionaler Bereiche unterteilt werden. Am grundlegendsten und einfachsten ist
jedoch eine Unterteilung in Bereiche, die sensorischen,
und solche, die motorischen Funktionen dienen. Sensorische Bereiche werden anhand der Art der Informationen
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definiert, die sie empfangen. Verschiedene Areale des Gehirns sind auf das Empfangen und die Verarbeitung von
Informationen spezialisiert, die von bestimmten Sinnesorganen und Strukturen ausgehen. So werden beispielsweise
Informationen, die von den Augen eintreffen, zum hintersten Bereich des Occipitallappens geleitet. Man bezeichnet diesen Bereich als »primären visuellen Kortex«.
Informationen aus dem Körper und von der Haut, sogenannte »somatosensorische Informationen«, werden zu einem Streifen des Parietallappens weitergeleitet, dem somatosensorischen Kortex.
Ein wichtiges Prinzip der Anordnung dieser sensorischen kortikalen Bereiche bildet das sogenannte »Mapping« bzw. ihre jeweilige Zuordnung. Der Kortex erstellt
Karten, räumliche Darstellungen der sensorischen Welt,
die ihm von den Sinnesorganen übermittelt werden. Die
am einfachsten verständliche Karte ist die Karte der visuellen Welt. Sie ist zweidimensional und entsteht ursprünglich im Auge, das ein Bild der Außenwelt auf die Retina
projiziert. Eine neuronale Darstellung dieser Karte bleibt
erhalten, während sie von der Retina zum Thalamus und
von dort zum primären visuellen Kortex weitergeleitet
wird. Die Karte wird für verschiedene Unterabschnitte
des Kortex, die auf unterschiedliche Aspekte der visuellen
Wahrnehmung spezialisiert sind, mehrfach neu aufgebaut.
Auch die linke und rechte Oberfläche des eigenen Körpers wird auf den rechten und linken Hemisphären abgebildet. Diese werden als »somatosensorische Karten« bezeichnet. Sie finden sich in den breiten Kortexstreifen, die
direkt hinter der Zentralfurche (dem »sulcus centralis«)
liegen.
Die Bewegungen des Körpers werden vom primären
motorischen Kortex gesteuert. Bei diesem handelt es sich
um ein Spiegelbild der oben beschriebenen sensorischen
Darstellung der Körperoberfläche. Der linke motorische
Bereich steuert die rechte Körperseite und umgekehrt.
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Abb. 10. Homunculus: Diese verzerrte Darstellung des menschlichen Körpers gibt die relative Größe des Kortexbereichs wieder,
der den sensorischen und motorischen Funktionen der verschiedenen Teile des Körpers zugeordnet ist.
Die motorischen Bereiche befinden sich in den Streifen
der Großhirnoberfläche, die direkt vor dem zentralen Sulcus liegen. An dieser Stelle befindet sich auch eine motorische Karte, eine Karte der Muskeln. Sie entspricht der verzerrten Darstellung des Körpers in den somatosensorischen Karten.
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Keine dieser kortikalen Karten bildet den Körper maßstabsgetreu ab, sondern sie sind auf verschiedene Art verzerrt. Die Verzerrung spiegelt dabei den Umfang der neuronalen Verarbeitungsleistung wider, der den verschiedenen Bereichen zugeordnet ist. Dies erklärt das groteske
Aussehen der menschlichen Gestalt (Penfields berühmten
Homunculus), die sich bei der Übersetzung der sensorischen Karte in die menschliche Körperform ergibt.
Ein großer Teil des Kortex, der häufig »Assoziationskortex« genannt wird, ist weder direkt mit den motorischen Steuerungssystemen noch mit den Vorstufen der
sensorischen Informationsverarbeitung verbunden. Generell gilt, dass sich die Funktion eines kortikalen Bereichs
umso weniger genau definieren lässt, je weiter er von den
direkten motorischen und sensorischen Funktionen entfernt liegt.
Wie die Großhirnrinde des Menschen
derartig groß wurde
Verfolgen wir die Evolution des menschlichen Gehirns
zurück, so zeigt sich schnell, dass die Frontallappen des
Kortex, die etwa 40 % des Gesamtkortex ausmachen, im
Vergleich am stärksten und am schnellsten gewachsen
sind. Bei unseren nächsten lebenden Verwandten, den
Schimpansen, macht der frontale Kortex etwa 17 % des
gesamten Kortex aus. Die evolutionären Linien, die zum
modernen Menschen und zu den anderen lebenden Primaten, einschließlich der Schimpansen, führen, haben sich
vor etwa 14 Millionen Jahren abgezweigt. Die ältesten
Hominiden mit aufrechtem Gang (die vor 3,9 bis 2,5 Millionen Jahren lebten), hatten ein Hirnvolumen von 400 bis
500 Kubikzentimetern, also nur 100 Kubikzentimeter
mehr als ein Schimpanse. Homo habilis, der vor 2,5 bis 2
Millionen Jahren lebte und wahrscheinlich als erster Ho-