Erfahrungsbericht PJ NU x

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Erfahrungsbericht PJ NU x
Susanne Schulz
Erfahrungsbericht PJ – Chirurgie
Northwestern Feinberg School of Medicine, Chicago
Plastic and Reconstructive Surgery & General Pediatric Surgery
26.04.2011-17.06.2011
1. Allgemeines:
Chicago
Chicago ist eine wunderbare Stadt mit enormer Lebensqualität. Das kulturelle Angebot ist
schier endlos und ab Mai wird es schwierig, bei all den kostenlosen Straßenfesten und
Konzerten den Überblick zu behalten.
Sightseeing-Tipps: Art Institute, Lincoln Park, Loop, Sportveranstaltung, Second City,
Fahrradtour über den Lakefront Path bis nach Kenwood, Architektur, Architektur, Architektur.
Sehr hilfreich ist der Lonely Planet Chicago.
Sprachkurs
Es gibt einen sehr guten Kurs "English for Students of Medicine" am Sprachenzentrum der
HU. Eine intensive Beschäftigung mit SOAP-Notes und medizinischen Abkürzungen ist sehr
empfehlenswert.
Visum
B1/B2. Aufwendig und nervenaufreibend. Aber es lohnt sich.
Flug
Mit British Airways via London Heathrow. Aufgrund der teilweise recht sportlichen
Transitzeiten ist ein Direktflug empfehlenswert. In Chicago gibt es ab O'Hare eine
komfortable Anbindung an die CTA-Lines.
Telefon/Internet
Eine prepaid SIM-Karte gibt es bei AT&T in der East Chicago Ave. Sie kostet 15 USD und
man kann diesen Betrag abtelefonieren. Man zahlt auch, wenn man angerufen wird. Wenn
absehbar ist, dass man sehr viel telefonieren wird, lohnt sich deshalb eine Flatrate (ab 35
USD, z. B. bei der Telekom). Es gibt keine Internet-Cafés. Ein eigener Laptop ist
empfehlenswert. Darüber hinaus gibt es im Krankenhaus von fast jedem der zahlreich
vorhandenen Rechner aus einen freien Internetzugang.
Krankenversicherung
Von der Northwestern Health Insurance muss auch ich abraten, da sie sehr teuer ist und den
Zeitraum vor und nach den rotations nicht abdeckt. Wer früher kommt und länger bleibt ist in
dieser Zeit nicht krankenversichert. Das ist dann etwas für den forgeschrittenen thrill-seeker.
Wohnen
In bequemer Nähe zum Krankenhaus lässt sich etwa ab 1000 USD/Monat ein Zimmer
finden. Auf www.rotatingroom.com kann man die Gast-Uni eingeben und sich dann in einer
Karte zeigen lassen, wo die angebotenen Quartiere liegen, was sie kosten und auch gleich
Kontakt aufnehmen. Mit der Charité-Mailadresse sollte eine Nachricht zu schreiben sein,
ansonsten hilft der admin weiter, was aber in paar Tage dauern kann.
Near North/Navy Pier, Goldcoast und Lincoln Park sind sehr schöne Stadtteile. Die ersten
beiden liegen zentral, Lincoln Park liegt etwas weiter nördlich, ist aber der schönste Stadtteil
von allen und bietet mit dem Rad über den Lakefront Path ohne Zweifel den spektakulärsten
Anfahrtsweg nach Downtown. In anderen Stadtteilen gibt es evt. bereits ab 500 USD
Angebote. Notfallmäßig findet sich auch bei beds4meds eine Unterkunft im Illinois Medical
District. Das ist allerdings eine zumindest nachts nicht ganz unbedenkliche Gegend. Im
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Rahmen eines Chirurgie-Tertials lohnt es sich, bei der Wahl des Quartiers die Arbeitszeiten
zu berücksichtigen.
Lebensmittel
Man kann hungern, verzweifeln oder es positiv sehen: neben den Kosten für Nahrungsmittel
verblassen die Ausgaben für die Playoff-Tickets sämtlicher Sportveranstaltungen. Halbwegs
erträgliche Preise gibt es bei Trader Joe's von den Aldi-Brüdern in der East Ontario Street
sowie bei Treasure Island in der East Huron Street.
Transport
Eine zentrale Unterkunft hat auch den Vorteil, dass man alles vor Ort hat und kein
Monatsticket der CTA kaufen muss. Fürs Sightseeing reichen dann Einzeltickets. Die CTAKarten können an jeder Station gekauft und problemlos dort aufgeladen werden. Der ganze
Monat kostet ca. 90 USD. Ein Fahrrad ist sehr empfehlenswert. Entweder man leiht es sich
von einem netten WG-Mitbewohner, bei Bobbys Bike Hike oder Bike Chicago, oder man
kauft sich eins günstig und verkauft es dann wieder, z. B. über craigslist.
Computer-Schulung
Die Einführung in die elektronischen Patientenakten habe ich als etwas langatmig und über
das Ziel hinaus schießend empfunden. Relevant waren die Infos zu den progress-, pre-op
und post-op-notes sowie zur Erstellung von Patientenlisten.
LPA-Bescheinigung
Die Bescheinigung für das LPA stellen die Kliniksekretariate aus.
Abschließend der link zum offiziellen Northwestern Downtown-guide:
groups.northwestern.edu/bmegs/bme_downtown_guide.docx
2. Die Rotationen:
Wer sich für Chirurgie interessiert, dem ist ein Chirurgie-Tertial an der NU nur zu empfehlen.
Ich habe die Arbeitsatmosphäre als sehr kreativ, konstruktiv und fokussiert erlebt. Auf
Höflichkeit wurde größter Wert gelegt. Die Assistenzärzte und Studenten sind immer fair
behandelt worden. Schön war es auch zu sehen, dass die Chirurgen die meiste Zeit des
Tages im OP verbrachten.
Dem riesigen OP-Trakt waren pre-OP-Bereiche mit zahlreichen "Buchten" und verglasten
Einzelzimmern vorgeschaltet. Hier wurden die Patienten auf die OP vorbereitet und auch
nochmal persönlich von den Operateuren begrüßt. Der Eingriff wurde erneut besprochen und
das OP-Gebiet markiert. Familienangehörige konnten sich hier bis zum OP-Beginn
aufhalten. Den sehr persönlichen Kontakt des Operateurs zu den Patienten habe ich als sehr
angenehm und sinnvoll empfunden. Sinnvoll auch deswegen, weil er dazu beiträgt,
Verwechslungen zu vermeiden und Ängste zu reduzieren.
Da die OP-Trakte riesig groß sind und auch bei den morgendlichen ward rounds teilweise
ganz ordentliche Strecken zurückgelegt werden empfiehlt es sich unbedingt bequeme
Joggingschuhe zu tragen. Die Joggingschuhe darf man dann tatsächlich auch im OP
anbehalten. Die Hygienevorschriften sind überhaupt in vielen Details anders als man es aus
Deutschland kennt. Zum "Einwaschen" wird z. B. eine sehr angenehme Desinfektionslotion
in die Haut einmassiert, die keine Hautreizungen verursacht.
Die Lehre ist sehr gut und hat einen hohen Stellenwert. Als Student ist man immer Teil des
Teams und nie unsichtbar. Fragen dürfen immer gestellt werden. Die Prozeduren sind
spannend bis spektakulär und auch die Routineeingriffe werden oft ein bisschen anders
durchgeführt, als man sie aus Deutschland kennt. Die inhaltliche Vorbereitung der
Operationen des Folgetags ist natürlich empfehlenswert. Hierfür ist ein englischsprachiges
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Anatomiebuch hilfreich. Die englische Nomenklatur ist etwas anders und deutlich
pragmatischer. In der Buchhandlung in der Abbott Hall gibt es immer wieder günstige
Angebote gebrauchter Exemplare.
Auch die Weiterbildungen sind vorbildlich strukturiert, sodass es unter den Assistenten eine
klare Hierarchie gibt und - zumindest nicht offensichtlich - um Prozeduren gekämpft werden
muss. Jeder Assistenzarzt im ersten Jahr weiß, dass er nicht immer Assistenzarzt im ersten
Jahr bleiben wird und dass die grind work ein Ende hat. Jeder Assistenzart der NU in
chirurgischer Weiterbildung kennt das Enddatum seiner Ausbildung. Auch die Stationen die
im Verlauf passiert werden stehen von Beginn an fest.
Die hierarchische Ordnung und Organisation ist insgesamt anders als in Deutschland und ich
habe dies als durchweg positiv erlebt. Jeder Facharzt (attending) behandelt eigene Patienten
und hat eigene clinic days, im Rahmen derer er neue Patienten rekrutiert und Nachkontrollen
durchführt. Jeder Facharzt ist also im Prinzip sein eigener Oberarzt. Das führt einerseits zu
flachen Hierarchien und erfordert andererseits eine straffe und qualitativ sehr hochwertige
Weiterbildung, die ein solches eigenverantwortliches Arbeiten nach sechs Jahren überhaupt
erlaubt. In allen Bereichen arbeiten speziell ausgebildete Krankenschwestern und PAs
(physician assistants), die teilweise mit dem Laptop zur morgendlichen Visite erscheinen und
den Chirurgen alle möglichen Arbeiten abnehmen. Ich habe an der NU kein Blut
abgenommen und ich habe auch keinen Chirurgen dabei beobachtet.
Was ich persönlich auch sehr schön fand: schwangere Chirurginnen dürfen im Prinzip bis
zum Einsetzen der Wehen operieren. Das hat natürlich auch wirtschaftliche Gründe, aber
immerhin wird die Schwangerschaft nicht generell pathologisiert.
Die Arbeitszeiten in der Chirurgie sind mit extensivem Sightseeing nicht unbedingt gut zu
vereinbaren. Für uns Studierende begann der Tag zwischen 5:00 und 5:30 Uhr und endete i.
d. R. nicht vor 18:00 Uhr, in der plastischen Chirurgie oft deutlich später. Auch die
Wochenenden wurden aufgeteilt, so dass pro Rotation und abhängig von der Anzahl der
Studierenden zusätzlich mit ein bis zwei Wochenenden im Krankenhaus zu rechnen war. Es
lohnt sich deshalb etwas Zeit vor oder nach den Rotationen einzuplanen um einerseits die
Chirurgie und andererseits Chicago in Ruhe genießen zu können.
2.1 - Plastic and Reconstructive Surgery
Von der komplexen Brust- über neuartige Bauchwandrekonstruktionen und Lappenplastiken
bis zum Facelifting war das gesamte Spektrum der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie
anzusehen. Auch wurden immer wieder große Eingriffe mit anderen Fachbereichen
zusammen durchgeführt, insbesondere mit der Orthopädie. Jeden Freitag wurden bei den
grand rounds besondere Fälle von den fellows präsentiert und mit allen attendings und dem
chief besprochen.
Die Operationen fanden in drei verschiedenen Gebäudekomplexen statt, im NMH, im Olson
Pavillion und im Prentice Women's Hospital, wo ein großer Teil der Brustrekonstruktionen
durchgeführt wurde. Die Gebäude sind über überirdische Glastunnel und Keller miteinander
verbunden und recht gut ausgeschildert.
Im OP hatte man sofort Nähzeug in der Hand. Es wurde einfach erwartet, dass man
mitmacht. Das Team der Plastischen Chirurgie ist sehr groß, so dass es Gelegenheit gab,
sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und Operationsstile kennen zu lernen. Auch dies ist
meiner Meinung nach ein weiterer Vorteil des attending-Systems, in dem nicht ein einzelner
Professor im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.
Ansonsten gehört es zum Job dazu, den Anästhesisten dabei zu helfen, den Patienten in
den OP zu fahren, umzulagern, das Bett rauszuschieben und weitere Vorbereitungen zu
treffen und nach OP-Ende natürlich auch beim Rausfahren zu helfen. Von den Anästhesisten
lässt man sich dann auch die numbers geben, das sind die Informationen über Blutverluste
und Infusionsmengen. Diese Zahlen fließen dann in die post-OP-Notiz ein, eine wirklich sehr
kurze Zusammenfassung der Operation.
In den clinics wurden wir Gaststudenten nicht eingesetzt. Die Tage begannen daher immer
mit der morgendlichen Zusammenfassung der Vitalparameter, der Wundsekretion und
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möglichen Infektzeichen. Im Anschluss folgten die ward rounds mit zahlreichen
Wundinspektionen und Verbandswechseln. Danach wurde gemeinsam in der großen
Cafeteria gefrühstückt und dann verteilten sich alle auf die OP-Säle. Wenn eine OP vorbei
war, konnte man auch immer schauen, ob andere OPs noch liefen und mindestens zusehen,
meistens auch mitmachen. Auch die fellows haben sich gegenseitig bei den OPs besucht
und immer gefragt, ob sie den Kollegen noch helfen können. Es war wirklich eine sehr
schöne Arbeitsatmosphäre.
2.2 - General Pediatric Surgery
Aufgrund der anderen Ausbildung in den USA unterscheidet sich die Kinderchirurgie in den
Staaten in einigen Punkten ziemlich deutlich vom deutschen Modell. Jeder Kinderchirurg
wird zunächst Allgemeinchirurg und muss sich nach zwei anschließenden Jahren in der
Forschung um eine zweijährige fellowship in der Kinderchirurgie bewerben. Inhaltlich
bedeutet dies eine Fokussierung auf Bauch- und Thoraxchirurgie. Um die kleinen Knochen
kümmern sich die Kinder-Orthopäden und um den Urogenitalbereich die Kinder-Urologen.
Mit den Kinder-Urologen arbeiten die Kinderchirurgen aber sehr eng zusammen und führen
komplexe Eingriffe, z. B. bei großen Bauchwanddefekten auch gemeinsam durch.
Am ersten Tag bekamen wir Studenten einen detaillierten Plan für die Rotation
ausgehändigt. Es gab einige feste Lehrveranstaltungen sowie wöchentliche RadiologieBesprechungen, in denen außergewöhnliche Fälle diskutiert werden, was immer sehr
interessant war. Hervorragend waren auch die Weiterbildungen für die fellows an denen wir
Studenten teilnehmen durften. Da es bei den Kinderchirurgen nur zwei fellows gab hatten die
Veranstaltungen einen recht privaten Charakter.
Jedem Studenten war ein persönlicher Mentor zugeteilt, für dessen OP-Tag man fest
eingeplant war und den man einmal pro Woche in die clinic begleitete, um neue Patienten
anzusehen oder Nachuntersuchungen durchzuführen. Für den Kliniktag galt: no scrubs und
keine Turnschuhe. Die Patienten konnte man auch zuerst ansehen und dann mit dem
Mentor besprechen. Auch in der clinic war die Atmosphäre sehr gut und die Mitarbeiter sehr
hilfsbereit. Es war auch möglich, mit einem fellow die Patienten auf der Kinder- und der
Neugeborenen-ITS zu visitieren und akute Fälle in der Rettungsstelle anzusehen.
Allein aufgrund der Größe der Patienten und des damit beschränkten OP-Feldes gab es wie
in Deutschland auch nicht bei allen Eingriffen die Möglichkeit zum scrubben. Trotzdem gab
es reichlich Gelegenheit bei Operationen mitzumachen. Ein absolutes Highlight waren die
komplexen leberchirurgischen Eingriffe und Transplantationen. Für den OP galt auch hier,
dass Hilfe beim Transport und der Vorbereitung der kleinen Patienten immer willkommen
war, aber das sollte ja selbstverständlich sein.
Auf Station haben wir Studenten uns jeweils zwei Patienten ausgewählt und jeden Morgen
deren Vitalparameter und Verlauf über die letzte Nacht recherchiert und dann bei den ward
rounds präsentiert. Im Anschluss haben wir dann die SOAP-Notes geschrieben, kurze
Patientenberichte über die letzten 24 Stunden. Diese wurden dann von einem Chirurgen bei
Gelegenheit gelesen, ggf. korrigiert und freigegeben. Ich habe dieses System als sehr
sinnvoll empfunden, da es uns Studenten ermöglicht hat, tatsächlich eigene Patienten zu
betreuen und auch Behandlungspläne aufzustellen.
3. Fazit
Acht Wochen lang habe ich wenig Tageslicht gesehen und meinen Vitamin-D-Haushalt
strapaziert. Trotzdem oder genau deswegen habe ich bereits in der ersten Woche meine
Tage gezählt und befunden, dass die Zeit zu schnell vorbeigeht.
Da ich mich beruflich zuvor fünf Jahre lang mit der Arbeits(un)zufriedenheit von Ärzten in
Deutschland und dem schwindenden Interesse Medizinstudierender an der Chirurgie
beschäftigt hatte, war meine Reise auch im Hinblick darauf eine sehr wertvolle Erfahrung.
4/5
Mein Einblick in den US-amerikanischen Alltag war sicher limitiert und Chicago ist fraglos
eine besondere Stadt - deren Besuch ich jedem nur wärmstens empfehlen kann. Gerade in
diesen Zeiten war diese Reise aber eine willkommene Gelegenheit ein vielleicht etwas
differenzierteres, vor allem aber persönlicheres Bild der USA zu entwickeln.
Aus sehr unterschiedlichen Gründen war diese Reise deshalb eine großartige Erfahrung.
Vielen herzlichen Dank den Chirurginnen und Chirurgen der NU,
Jennifer Banys, Regine Wood, Pamela Glowacki und Miriam Ulmer
sowie Birgit Heller und dem ganzen ChiC-Team!
5/5