Herzerkrankungen beim Hund - Medizinische Kleintierklinik

Transcription

Herzerkrankungen beim Hund - Medizinische Kleintierklinik
Expertenroundtable
Nina Ruge
Moderatorin,
Autorin und Tierbesitzerin
Privatdozent Dr. Gerhard Wess
Oberarzt für Kardiologie der Medizinischen Kleintierklinik der LMU München
Privatdozentin Dr. Petra Kölle
Ernährungsberaterin der Medizinischen
Kleintierklinik der LMU München
ROUNDTABLE
Herzerkrankungen beim Hund
Expertenroundtable
Dr. Korbinian Pieper
Oberarzt der Anästhesie der Chirurgischen und Gynäkologischen Kleintierklinik der LMU München
Prof. Dr. Andrea Meyer-Lindenberg
Lehrstuhl der Chirurgischen und
Gynäkologischen Kleintierklinik der LMU
München
Tina Kunze
Hundetrainerin in Martin Rütter´s
D.O.G.S. Team München
E
in Großteil aller Hunde kleiner Rassen in höherem Alter leidet an einer Mitralklappenendokardiose, einer degenerativ
bedingten Verdickung der Herzklappe, die eine Undichtigkeit und damit einen Blutrückfluss innerhalb des Herzens
zur Folge hat. Bei großen Hunderassen ist es die dilatative Cardiomyopathie, die den Hunden und dabei insbesondere
Dobermännern zu schaffen macht. Die Pumpleistung des Herzmuskels ist zu schwach um ausreichend Blut in den Körper zu
pumpen. Die Hunde sind leistungsschwach und schlapp.
Nina Ruge hat sich auch diesmal wieder schlau gemacht und sich im Rahmen unserer Roundtable-Diskussion mit Experten
über dieses interessante Thema unterhalten.
Foto: ©agency animal picture
Nina Ruge
Zunächst herzlich willkommen und vielen Dank für Ihre Teilnahme an unserem
Expertenroundtable. Beginnen möchte
ich mit der Frage, wie viele Hunde überhaupt betroffen sind? Wie viele Prozent
der 5,4 Millionen Hunde in Deutschland
werden irgendwann einmal herzkrank?
PD Dr. Gerhard Wess
Das hängt von der Rasse ab. Kleine
Rassen unter 15 Kilogramm bekommen
vor allem Klappendegenerationen und
je nach Rasse und Alter liegt die Prävalenz der Krankheit zwischen 5 und fast
100 Prozent. Die Klappe wird dick und
schließt nicht mehr richtig, sodass Blut
zurück in den Vorhof strömt.
Nina Ruge
Ist das im Fachjargon eine Mitralklappenendokardiose?
PD Dr. Gerhard Wess
Ja. Betroffen sind vor allem Hunde
kleiner Rassen, wie Dackel, Chihuahuas,
Pudel, Shi Tzu, Yorkshire Terrier und
Cavalier King Charles Terrier. Betrachtet
man zum Beispiel ältere Cavalier King
Charles Terrier, so haben fast alle alten
Cavliere eine im Ultraschall feststellbare
Undichtigkeit an der Klappe, die aber
nicht zu klinischen Symptomen führen
muss. Aber bei 10 bis 30 Prozent aller
Cavaliere entwickeln sich klinische
Symptome, wie Husten oder Wasser in
der Lunge, wenn sie etwa fünf Jahre alt
sind. Und das sind relativ Viele. Auch
beim Dackel gibt es sicher mehr als 20
Prozent herzkranke Hunde. Betrachtet
man aber generell alle Hunde, dann
kann man sagen, dass im Durchschnitt
10 - 20 Prozent betroffen sind.
Nina Ruge
Bei den großen Rassen ist es doch vor
allem die dilatative Cardiomyopathie
(DCM), die vorkommt?
Welche Rassen sind davon besonders
betroffen?
PD Dr. Gerhard Wess
Die häufigste Rasse ist der Dobermann.
Dobermänner bekommen eine spezielle
Form der dilatativen Cardiomyopathie. ▶
Expertenroundtable
Es treten zunächst nur Herzrhythmusstörungen auf, die der Besitzer aber
nicht erkennt. Er denkt, er hätte einen
ganz normalen Hund. Deshalb nennt
man dieses Stadium der Erkrankung
auch das „okkulte Stadium“. Ein Drittel
der betroffenen Dobermänner fallen
einfach tot um. Sie sterben am Sekundentod. Die Krankheit beginnt etwa
mit zwei bis drei Jahren, die Symptome treten aber erst mit vier bis sechs
Jahren auf. Die Herzrhythmusstörungen
nehmen zu, ebenso wie die Häufigkeit
des Sekundentodes. Fallen die Hunde
nicht tot um, entwickeln die meisten
eine Herzpump- bzw. Herzmuskelschwäche. Der Besitzer geht zum Tierarzt, weil der Hund schweratmig und
leistungsschwach ist, Husten, Atemnot
und manchmal auch Wasser im Bauch
Prof. Dr. Gerhard Wess
Nina Ruge
hat. In diesem Stadium ist die Krankheit für den Tierarzt relativ einfach zu
diagnostizieren. Das okkulte, also verborgene Stadium, ist aus der Sicht des
Besitzers zu betrachten, denn der denkt
ja, er hätte einen ganz normalen Hund.
Wir forschen seit über zehn Jahren auf
diesem Gebiet und haben festgestellt,
dass jeder zweite Dobermann die
Krankheit eines Tages bekommen wird.
Dobermänner haben hier leider einen
genetischen Defekt.
Nina Ruge
Welche großen Rassen sind noch betroffen?
PD Dr. Gerhard Wess
Zum Beispiel Boxer. Das ist in Deutschland allerdings selten und tritt eher bei
Boxern in England und Amerika auf.
Auch betroffen sind Doggen, Neufundländer und Irische Wolfshunde.
Nina Ruge
Gibt es einen Gentest, den zum Beispiel
Züchter machen können?
PD Dr. Gerhard Wess
Es gibt genetische Tests, die momentan
in Amerika angeboten werden, die aber
nicht wirklich gut funktionieren. Die EU
hat vor ein paar Jahren das so genannte Lupa-Projekt gestartet, an dem viele
europäische Universitäten beteiligt
waren, unter anderem auch wir. Ziel
ist es dabei, diese Gendefekte beim
Hund zu finden. Die Hoffnung war, die
gefundenen Defekte auf den Menschen
übertragen zu können, um so das Gen
zu entschlüsseln, das für Herzerkrankungen beim Menschen verantwortlich
ist. Man nimmt dabei das Genom von
50 gesunden Hunden und vergleicht es
mit dem Genom von 50 kranken Hunden. Dann überprüft man, an welcher
Stelle es in diesem Genom ein Signal
gibt. Man kann das mit einer Autobahn
vergleichen. Wenn ich irgendwo auf der
Autobahn mein Handy verliere, weiß ich
zwar auf welcher Autobahn, aber nicht
auf welchem Rastplatz. Beim
Dobermann haben wir nun
auf Chromosom 5 das Signal
gefunden, wissen also jetzt
die Autobahn, aber noch
nicht die Raststätte. Aber wir
forschen danach.
Nina Ruge
Welche Symptome können
mir aber als Hundehalter
den Hinweis geben, dass
mein Hund eine Herzerkrankung haben
könnte?
Nina Ruge
Und bei großen Rassen?
PD Dr. Gerhard Wess
Bei großen Hunden mit dilatativer
Cardiomyopathie wären Schlappheit
und Leistungsabfall typische Erkrankungsmerkmale. Allerdings haben die
Hunde nicht unbedingt ein Herzgeräusch, sodass die Diagnostik für den
Tierarzt schwieriger ist. Man muss beim
Dobermann z. B. ein 24-Stunden-EKG anfertigen, um festzustellen, ob der Hund
Herzrhythmusstörungen, also Extrasystolen aufweist. Beim reinen Abhören
kann scheinbar alles in Ordnung sein,
weil der Hund nicht ständig Extrasystolen hat. Bei den meisten anderen Rassen
ist der Herzultraschall der bessere
Screening-Test.
Nina Ruge
Welche Rolle spielen Entzündungsprozesse?
PD Dr. Gerhard Wess
Diese Herzerkrankungen sind eher
degenerativ bedingt. Entzündungsprozesse als Ursache sind selten.
Nina Ruge
Gibt es noch andere Herzerkrankungen?
PD Dr. Gerhard Wess
Die Mitralklappenendokardiose und
die dilatative Cardiomyopathie sind die
häufigsten erworbenen Herzerkrankungen. Es gibt aber natürlich auch
angeborene Herzerkrankungen. Diese
PD Dr. Gerhard Wess
Die Mitralklappenendokardiose der
kleinen Rassen ist so häufig, dass die
Experten empfehlen, mit dem Hund ab
vier Jahren, einmal pro Jahr
zum Tierarzt zu gehen und
das Herz abhören zu lassen.
Ist der Hund krank, ist ein
Herzgeräusch zu hören. Vom
klinischen Bild her ist für
den Besitzer im Frühstadium
nichts zu erkennen. Alarmsignale später sind Husten
und Atemnot. Der Besitzer
Nina Ruge
kann die Atemfrequenz ganz Prof. Dr. Gerhard Wess
einfach zählen während der
kann der Tierarzt sehr früh erkennen,
Hund schläft. Die Atmung sollte in
da betroffene Hunde in den allermeisRuhe unter 40 Züge pro Minute sein.
ten Fällen ein Herzgeräusch aufweisen.
Entwickelt der Hund Wasser in der LunJedes Herzgeräusch bei einem jungen
ge, steigt die Frequenz über 40 an. Bei
Hund sollte unbedingt weiter abgeklärt
herzkranken Hunden, arbeiten wir über
werden. Zu nennen sind zum Beispiel
ein Atemtagebuch mit den Besitzern
die Aortenzusammen. So erkennen wir frühzeitig
stenose, die Pulmonalstenose und der
eine Verschlechterung und können
Ductus arteriosus Botalli (PDA). Das
die Medikamente besser dosieren. Die
ist eine Verbindung zwischen HauptAtemtagebücher gibt es beim Tierarzt
schlagader und Lungenschlagader, die
und inzwischen sogar als kostenlose
sich nach der Geburt nicht verschlossen
App.
Expertenroundtable
hat. Dadurch gelangt das Blut noch
einmal zusätzlich durch die Lunge,
sodass das Herz irgendwann sehr groß
wird. Der PDA lässt sich operativ leicht
beheben, sodass der Hund ein ganz
normales Leben führen kann.
Nina Ruge
Was passiert bei den beiden erworbenen Erkrankungen, wenn diese nicht
behandelt werden? Wieviel Zeit bleibt
dem Hund zwischen dem Auftreten der
ersten deutlichen Symptome bis zum
Tod?
PD Dr. Gerhard Wess
Wenn massive Symptome auftreten und
sich Wasser in der Lunge gebildet hat,
bleibt dem Hund nach Diagnosestellung
bei guter Behandlung etwa ein Jahr.
Wird nicht behandelt, stirbt der Hund
innerhalb weniger Tage bis Wochen.
Das sind aber Durchschnittszahlen! Es
können auch Jahre vergehen, bis sich
bei der Mitralklappenendokardiose
überhaupt Symptome entwickeln. Und
nicht bei allen Hunden treten Symptome auf.
Fotos: © agency animal picture
Nina Ruge
Was kann man medikamentös tun? Gibt
es überhaupt Medikamente?
PD Dr. Gerhard Wess
Im Frühstadium empfehlen wir momentan keine Medikamente, da es keine
Medikamente gibt, die den Verlauf der
Mitralklappenendokardiose verlangsamen. Allerdings werden gerade
neue Medikamente für dieses Stadium
untersucht, sodass evtl in Zukunft auch
schon früher therapiert werden kann.
Bei der dilatativen Cardiomyopathie ist
das anders. Hier gibt es neuere Studien,
die zeigen, dass Medikamente den
Verlauf hier tatsächlich verlangsamen
können, weil sie im Frühstadium die
Pumpkraft unterstützen. Eine aktuelle
Studie hat gezeigt, dass sich die Zeit
bis zum Herzversagen damit im Schnitt
um acht Monate verlängern lässt.
Treten Symptome auf, dann müssen bei
beiden Erkrankungen Medikamente
gegeben werden, die entwässern und
die Pumpkraft stärken.
Nina Ruge
Thema Ernährung. Ist es wichtig, dass
bei Herzerkrankung eine bestimmte
Ernährung eingehalten wird?
PD Dr. Petra Kölle
Vom diätetischen Management her soll-
te der Hund drei, vier oder
sogar fünf Mal pro Tag mit
kleineren Mengen gefüttert
werden. Rein mechanisch
kann ein voller Magen die
Herzfunktion beeinträchtigen, deshalb mehrmals
kleine Portionen füttern. Es
ist auch wichtig den Hund
schlank zu halten, denn viel
Körpermasse belastet den
Kreislauf. Im fortgeschrittenen Stadium ist das jedoch anders. Der
Hund entwickelt dann eine kardiale
Kachexie, magert also bedingt durch
die Herzerkrankung ab und muss daher
unbedingt bei Kräften gehalten werden.
Die Überlebenszeit von Hunden mit
einem höheren Körpergewicht ist im
fortgeschrittenen Stadium höher. Liegt
eine kardiale Kachexie vor, geht man
im Proteingehalt sehr hoch, damit die
Hunde wieder Muskulatur aufbauen.
Wichtig sind auch Fette, jedoch keine
tierischen, die gesättigte Fettsäuren
enthalten, sondern solche, die Omega3-Fettsäuren enthalten, denn nur diese
haben einen positiven Effekt. Barfen
sollte man mit Herzpatienten nicht,
weil dabei der Anteil an Innereien und
Bindegewebe meist sehr hoch ist und
das belastet die Verdauung.
Nina Ruge
In welcher Form gibt man denn
Omega-3-Fettsäuren am besten und
wie dosiert man sie?
PD Dr. Petra Kölle
Man gibt sie meist in Form von Fischöl.
Für die Dosierung gibt es verschiedene
Empfehlungen. Gibt man Kapseln, die
es für Menschen gibt, dann entspricht
dies einer Dosis für vier bis fünf Kilogramm Tier pro Tag. Man kann auch
Nachtkerzenöl oder Leinöl geben,
jedoch ist der Gehalt an Omega-3-Fettsäuren beim Fischöl am höchsten. Liegt
eine kardiale Kachexie vor, dann kann
man Pflanzenöl auch löffelweise geben,
denn Hunde und Katzen haben eine
sehr gute und effektive Fettverdauung.
Empfohlen wird auch Carnitin und
Taurin. Taurin ist eine Aminosulfonsäure,
die für Katzen essentiell ist. Ein Taurinmangel kann bei Katzen ein Auslöser
für eine Cardiomyopathie sein. Es gibt
auch Hunde wie den American Cocker,
die genetisch bedingt einen Taurinmangel entwickeln und deshalb Taurin über
das Futter aufnehmen müssen. Taurin
ist in Großsäugerfleisch, wie Rind, Schaf
und Lamm nicht enthalten, deshalb
PD Dr. Petra Kölle
Prof. Dr. Gerhard Wess
sollte man keinesfalls eine Reis-LammDiät bei herzkranken Tieren füttern.
Nina Ruge
Ist also Taurin- oder Carnitinmangel ein
Auslöser für Herzerkrankungen?
PD Dr. Gerhard Wess
Beim Taurinmangel absolut ja. Bei jedem Cocker Spaniel kann es zur Taurinmangel-Cardiomyopathie kommen. Bei
diesen Hunden lohnt es sich auf jeden
Fall im Blut den Taurinspiegel zu messen. Ist der Spiegel sehr niedrig, lässt
sich das durch Taurinkapseln meisten
sehr gut ausheilen. Carnitinmangel ist
eher kein Auslöser für eine Herzerkrankung. Früher war Carnitin sehr modern,
deshalb hat man dem Cocker Spaniel
Taurin und Carnitin gegeben. Da die
Hunde besser wurden, dachte man,
dass Carnitin gut wirkt. In Wirklichkeit
ist es aber das Taurin, das hier Wirkung
zeigt. Ein Carnitinmangel ist selten
und schwer nachzuweisen. Insgesamt
gibt es weltweit nur sechs Hunde, bei
denen ein Carnitinmangel tatsächlich
festgestellt wurde, und das sind alles
Boxer. Die überwiegende Mehrheit der
Kliniker vertritt den Standpunkt, dass
Carnitin keinen positiven Effekt hat. Es
schadet zwar auch nicht, ist aber relativ
teuer.
Nina Ruge
Sollte man prophylaktisch Omega3-Fettsäuren geben?
PD Dr. Gerhard Wess
Prophylaktisch würde ich sie nicht
geben.
PD Dr. Petra Kölle
Im kommerziellen Hundefutter sind
Omega-3-Fettsäuren drin. Sie gehören
zu den essentiellen Fettsäuren und müssen somit von außen zugeführt werden.
Das sind ungesättigte Fettsäuren, die
nur in pflanzlichen Ölen und Fischöl enthalten sind. Füttere ich dem Hund nur
Fleisch, ist der Bedarf an ungesättigten
Fettsäuren nicht gedeckt. ▶
Expertenroundtable
Dr. Korbinian Pieper
PD Dr. Gerhard Wess
Wenn der Hund im Herzversagen ist,
muss das Futter auch unbedingt salzarm
sein. Deshalb sagen wir den Besitzern
von Anfang an, dass es wichtig ist,
darauf zu achten, dass das Futter wenig
Salz enthält. Also auch unbedingt nur
salzarme Leckerlis geben.
PD Dr. Petra Kölle
Käse wird gerne als Leckerli verwendet,
ist aber extrem salzreich. Deshalb Käse
unbedingt vermeiden.
PD Dr. Gerhard Wess
Ein Hund im Herzversagen sollte aber
keinesfalls Stress haben. Deshalb muss
man mit der Futterumstellung vorsichtig
sein. Der Hund sollte zuerst mit Medikamenten wieder stabilisiert werden,
bevor man mit der Ernährungsumstellung beginnt.
Nina Ruge
Nun kann es ja passieren, dass ein
herzkranker Hund operiert werden muss.
Wann kann ein solcher Hund keiner
Anästhesie mehr ausgesetzt werden?
Dr. Korbinian Pieper
Das ist eine Frage des Schweregrades.
Wir sind aber schon in der Lage, für
die Mehrzahl der Fälle eine adäquate
Anästhesie anbieten zu können. Das
Problem ist, dass wir in der Anästhesie
einen Effekt im zentralen Nervensystem
erreichen wollen, die Anästhesie aber
immer auch Nebeneffekte im Kardiovaskulären System mit sich bringt. Das heißt,
dass wir gerade bei schwer herzkranken
Patienten eine Narkose anstreben, die
am Kardiovaskulären System so wenig
wie möglich durcheinander bringt. Man
kann Herzpatienten aber nicht über
einen Kamm scheren, sondern muss die
Narkose individuell auf den Patienten
und seine Erkrankung abstimmen.
Nina Ruge
Wichtig ist also, dass der Besitzer mit
seinem Hund zum Spezialisten geht.
PD Dr. Gerhard Wess
Ja, vor allem, wenn
mehrere Fachgruppen
zusammenarbeiten. Selbst
wenn ein Patient schon im
Herzversagen ist, können
wir diesen Patienten in
Zusammenarbeit mit
einem guten Anästhesisten in Narkose legen. Wir
versuchen dann zunächst
das Wasser aus der Lunge
zu bekommen und den Patienten zu
stabilisieren. Dann können wir dem
Anästhesisten sagen, wie die Pumpkraft,
der Rhythmus des Herzens usw. ist und
darauf stimmt er die Anästhesie ab.
Besonders vorsichtig muss auch mit
Infusionsmengen umgegangen werden,
weil große Flüssigkeitsmengen das
Herz zusätzlich belasten können.
stand hatte und die Kardiologen haben
während der Reanimation implantiert.
Nina Ruge
Gibt es viele Tiere, die einen Herzschrittmacher brauchen?
PD Dr. Gerhard Wess
Bei uns im Institut haben wir schon
relativ viele. Das liegt aber sicher daran,
dass es in Europa nur wenige Zentren
gibt, die das anbieten können.
Insgesamt ist es aber keine sehr häufige
Indikation.
Nina Ruge
Sind bestimmte Rassen dafür prädestiniert?
PD Dr. Gerhard Wess
Es gibt verschiedene Ursachen, warum
man einen Herzschrittmacher braucht.
Es gibt zum Beispiel das Sick-Sinus-Syndrom, eine Herzleitungsstörung. Betroffen sind Minischnauzer, West Highland
White Terrier und Cocker Spaniel. An
diese Erkrankung würde man denken,
wenn zum Beispiel ein Minischnauzer
Nina Ruge
Hatten Sie schon einmal richtige Probleme mit einem herzkranken Hund in
der Anästhesie?
Dr. Korbinian Pieper
Leider ja. Wir haben regelmäßig sehr kranke Patienten
in Zusammenarbeit mit den
Kardiologen, bei denen wir
einen operativen Eingriff
nicht verschieben können,
weil das den Zustand des
Patienten noch verschlimmern würde. Und da treten
natürlich schon auch Probleme auf.
Nina Ruge
Dr. Gerhard Wess
Zum Beispiel bei Patienten, mit einem
ganz langsamen Herzschlag, einem so
genannten AV-Block mit einer Herzfrequenz von 20 bis 40 Schlägen pro
Minute. Diese Hunde werden dann oft
ohnmächtig und brauchen einen Herzschrittmacher. Der Herzschrittmacher
muss also implantiert werden, obwohl
es dem Hund nicht gut geht. Das ist für
den Anästhesisten nicht immer einfach.
Inzwischen gibt es aber Medikamente
oder externe Schrittmacher, die die
Herzfrequenz unterstützen, während
wir den Schrittmacher einsetzen.
Dr. Korbinian Pieper
Diese Möglichkeit gibt es allerdings
noch nicht sehr lange. Ich kann mich an
OP’s erinnern, bei denen wir die Schrittmacher unter laufender Reanimation
eingebracht haben. Wir haben reanimiert weil der Hund einen Herzstill-
Tina Kunze
Ohnmachtsanfälle bekommt. Die Diagnose erfolgt dann über ein 24-Stunden
EKG.
Nina Ruge
Dass Herzpatienten sich schonen sollen,
ist ja beim Menschen genau das falsche
Rezept. Wie ist das beim Hund? Was
empfehlen Sie? Wie gehe ich zu Hause
mit einem herzkranken Hund um?
Tina Kunze
Man sollte den Hund auf keinen Fall in
Watte packen, denn der Hund hat trotz
Krankheit das Bedürfnis ausgelastet
zu werden. Das sollte natürlich in dem
Rahmen erfolgen, wie es die Krankheit
zulässt. Man kann durchaus ruhige ausgedehnte Spaziergänge mit dem Hund
machen. Wichtig ist ja, den Kreislauf in
Takt zu halten und die Muskulatur nicht
abbauen zu lassen. Man kann auch
Ballspiele mit dem Hund machen, sollte
Expertenroundtable
Foto: ©agency animal picture
PD Dr. Petra Kölle
PD Dr. Gerhard Wess
Nina Ruge
Tina Kunze
Dr. Korbinian Pieper
dabei aber darauf achten, dass man
ihn nicht weiter animiert, wenn er an
seiner Leistungsgrenze angekommen ist.
Machen kann man also alles, darf es nur
nicht übertreiben.
legen lassen, Absitzen lassen, Bällchen
verstecken und suchen lassen. Aber
auch Fährtenarbeit ist gut. So kann man
den Hund auslasten, ohne ihn übermäßig zu belasten.
PD Dr. Gerhard Wess
Wobei natürlich die Krankheiten zu
unterschieden sind. Mit einer Mitralklappenendokardiose darf der Hund
eigentlich alles machen, was er will.
Wenn der Hund Symptome entwickelt,
wird er von selbst leistungsschwach
und braucht erstmal Medikamente. Bei
dilatativer Cardiomyopathie würde ich
eher vorsichtig sein, denn diese Hunde
sind deutlich leistungsschwach. Für uns
steht die Lebensqualität des Hundes
immer im Vordergrund. Besitzerwünsche nehmen wir zur Kenntnis, aber ich
bin Tierarzt geworden, weil ich will, dass
es dem Tier gut geht. Und das bis zur
letzten Entscheidung wann wir aufhören
müssen, auch wenn es schwer fällt.
Nina Ruge
Gibt es aus der Perspektive des Chirurgen noch etwas Wichtiges bei Diagnose
und Therapie von herzkranken Hunden
zu berücksichtigen?
Tina Kunze
Es gibt ja auch ruhige Spielformen, die
man dem Hund anbieten kann. Also
nicht hundertmal Bällchen schmeißen,
sondern eher Kopfarbeit einsetzen. Ab-
Nina Ruge
Muss denn ein Hund bei der Operation
am offenen Herzen immer an die HerzLungen-Maschine?
Prof. Dr. Andrea Meyer-Lindenberg
Prof. Dr. Andrea Meyer-Lindenberg
Von der therapeutischen Seite her ist
es so, dass viele chirurgische Eingriffe
heute minimal invasiv gemacht werden
können. Es gibt aber natürlich auch
Herzerkrankungen, wie etwa Missbildungen oder Ergüsse im Herzbeutel, die
nur durch einen größeren operativen
Eingriff behandelt werden können.
Wichtig ist dabei natürlich die Anästhesie, denn so ein Patient muss während
des Eingriffes stabil gehalten werden.
Prof. Dr. Andrea
Meyer-Lindenberg
Am offenen Herzen operieren
wir Hunde nicht routinemäßig. Wir operieren in der Regel
am schlagenden Herzen nach
Eröffnung des Brustkorbes
oder wenn es geht, wie
erwähnt, minimal invasiv via
Katheter. Bei Missbildungen
wie z. B. einer Rechtsaorta, operiert man nicht im
Prof. Dr. Andrea Meyer-Lindenberg
Herzen sondern nur am Herzen. Bei einer
Rechtsaorta z. B. wird die Speiseröhre
durch eine Missbildung zwischen der
rechten Aorta, dem Ligamentum arteriosum (Band), der linken Pulmonalarterie
und der Herzbasis eingeklemmt. Dieses
Band muss operativ in direkter Nähe der
Herzbasis durchtrennt werden. Daher ist
diese Operation nicht ganz einfach.
Nina Ruge
Gibt es denn Bereiche, in denen zurzeit
ganz intensiv geforscht wird?
Also können zum Beispiel künstliche
Herzklappen eingesetzt werden ohne
am offenen Herzen operieren zu müssen?
Prof. Dr. Andrea Meyer-Lindenberg
Sicherlich wird das entscheidende Forschungsgebiet sein, künstliche Herzklappen zukünftig minimal invasiv operieren
zu können. Grundsätzlich ist es auch
beim Hund möglich, Operationen am
offenen Herzen mit einer Herz-Lungenmaschine vorzunehmen. Das sind neue
Therapiemöglichkeiten, die wir vielleicht
in Zukunft anbieten können. Aber alles
was wir minimal invasiv operieren können ist ein Fortschritt und wird sicherlich
vorangetrieben.
Nina Ruge
Ich bedanke mich für das wieder sehr
interessante Gespräch und denke, man
kann auf jeden Fall feststellen, dass die
Universitätstierklinik München im Bereich Herzerkrankungen zu den weltweit
führenden Instituten gehört. Und es ist
natürlich beruhigend zu wissen, dass wir
in Deutschland ganz vorne mit dabei
sind.