Im Lager Allach: “Die Ratten fraßen uns das Brot weg” - mensch
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Im Lager Allach: “Die Ratten fraßen uns das Brot weg” - mensch
6 Lokales KARLSFELD · LANDKREIS Wochenende, 7./8. Juni 2008 | Nr. 131 . SCHMELZTIEGEL KARLSFELD: DIE DN-SERIE ÜBER FLÜCHTLINGE, VERTRIEBENE UND GASTARBEITER ............................................................................................................................ Ratten fraßen den Menschen das Brot weg Haus.“ Nach Krappitz sollte es gehen, auf die andere Seite der Oder, die man für eine natürliche Grenze hielt, über die die Russen nicht kommen würden. „Aber die Oder war zugefroren und sie fuhren mit ihren Panzern drüber“, erinnert sich Maria Seiter. Nach einer dreitägigen Geisterfahrt landeten die vier in Neustadt. Krappitz war unter Beschuss Seit sie bei der Flucht aus Hindenburg von ihrer Schwester getrennt wurde, war Maria Schega für deren drei kleine Kinder verantwortlich. Die ledige und kinderlose Lehrerin musste Anfang 1945 Schlesien mit ihnen verlassen, erreichte Österreich und schließlich Karlsfeld. Maria Seiter, eines der Kinder, erinnert sich. „Die sanitären Verhältnisse waren unmenschlich, die Betten voller Wanzen“ VON SUSANNE DREISBACH Karlsfeld – Zu Besuch auf den Bauernhof der Großeltern nach Krappitz zu fahren, war für Maria Seiter aus der schlesischen Kohlestadt Hindenburg nichts Ungewöhnliches. Die Zehnjährige und ihre vier älteren Brüder verbrachten die Ferien immer auf dem Land. Dass an diesem Montag im Januar 1945 kein Zug mehr Krappitz erreichen würde und dass sie ihre Heimatstadt 35 Jahre nicht mehr wiedersehen würde, das konnte das Mädchen nicht ahnen. „Als Kind erlebt man die Gefahr nicht so wie als Erwachsener“, erklärt Maria Seiter 63 Jahre später, während sie – Fotos und Landkarten auf dem Schoß - in ihrem Haus in der Wehrstaudenstraße 21 neben ihrem Mann Martin im kühlen Wohnzimmer auf dem Sofa sitzt. Die Russen hatten Schlesien erreicht. Millionen von Menschen mussten fliehen oder wurden vertrieben. Für Maria Seiter begann eine Irrfahrt, die sie zwölf Jahre lang von ihrer Mutter trennte und die in Karlsfeld enden sollte. „Erst hier habe ich wieder ein Zuhause gefunden“, gesteht die 73-Jährige, „obwohl ich die ganzen Jahre geglaubt habe, einmal vor Heimweh nach Schlesien sterben zu müssen.“ Die schmerzliche Sehnsucht nach der Heimat ihrer Kindheit habe sich erst ein wenig gelegt, als sie 1980 mit einer Gruppe Münchner Jesuiten nach Schlesien gefah- Mai 1946 habe ich Bayern betreten“, erinnert sich Maria Seiter. Sie kamen nach Allach, in eine Baracke, in die es hereinregnete und in der Ratten den Menschen das wenige Brot weg fraßen. Wieder besann sich Marias Tante auf ihren Beruf – sie suchte Arbeit. Nur wenig später hatte die starke Frau eine Anstellung in Röhrmoos gefunden und ent- Maria Seiter und ihr Mann Martin mit dem Bild der geliebten Tante. FOTO: SUS Die Schlesier haben viele Nationalitäten angenommen Die Schlesier haben im Laufe ihrer Geschichte viele Nationalitäten angenommen. Im Mittelalter gehörte das weitgehend von Slaven besiedelte Gebiet an der Oder zu Polen, dann zu Böhmen. Im 16. Jahrhundert wurde es habsburgisch, im 18. preußisch. Deutsch war spätestens ab dem 19. Jahrhundert die meistgesprochene Sprache. 1918 fiel Schlesien fast in Gänze an das neu geschaffene Polen und zu einem kleineren Teil an die Tschechoslowakei. Die Nationalsozialisten ren und Hindenburg, das da schon lange Zarbrze hieß, wiedergesehen habe. „Meine Mutter sollte uns aufs Land in Sicherheit bringen, hatte uns der Vater gewarnt, als er uns am Sonntag, es war der 21. Januar 1945 und der letzte Tag, an dem ich ihn sehen sollte, für ein paar Stunden besuchte. Er wusste, der Russe würde bald da sein. Dann kehrte er in seine Kaserne zurück. Er war preußischer Offizier beim Volkssturm. Er hätte niemals desertiert“, erinnert sich Maria Seiter an ihren Vater, einen gut aussehenden Mann in Uniform, der ein wenig steif vom Familienfoto lächelt. Nur Wochen später geriet der Va- verleibten das Gebiet dem Deutschen Reich wieder ein. 1945 wurde das östlich der Oder-NeißeLinie gelegene Gebiet Schlesiens unter polnische Verwaltung gestellt. Es wurde administrativ in den polnischen Staat eingegliedert, die deutschen Ortsnamen polonisiert und die deutsche Bevölkerung größtenteils vertrieben. Mit Inkrafttreten des deutsch-polnischen Grenzvertrages 1991/92 gehört Schlesien auch völkerrechtlich zu Polen. sus ter in seiner eigenen Stadt, in Hindenburg, in Gefangenschaft, aus der er nicht mehr zurückkehren sollte. „Fahrt Ihr vor, ich komme mit Karl im nächsten Zug nach“, hatte die Mutter ihr am Bahngleis noch zugerufen. Dann lief sie los, den Sohn suchen, der es mit dem großen Koffer nicht in die Straßenbahn zum Bahnhof geschafft hatte. Gemeinsam mit der Tante bestieg Maria den Zug. Ob die beiden anderen, Wendel und Thomas, es ebenfalls hineingeschafft hatten? Das sollten Tante und Nichte erst am nächsten Tag erfahren, als ihr Zug irgendwo in der oberschlesischen Winterlandschaft anhielt und die Tante die hungrigen und durstigen Brüder beim Schnee-Essen vor dem Zug fand. Zu viert reisten sie weiter. Maria Schega, eine ledige und kinderlose 54-jährige Lehrerin, mit den zehn-, elfund 13-jährigen Kindern ihrer Schwester. Zwölf Jahre lang sollte diese Frau nun verantwortlich sein für ihre Neffen und die kleine Nichte. „Ohne meine Tante wären wir verwahrlost“, sagt Maria Seiter und zeigt auf die Schwarz-WeißFotografie einer gütig blickenden Frau mit braunem, zum Dutt gebundenen Haar. „Sie ist, auch wenn sie schon 1964 gestorben ist, immer noch der gute Geist in diesem und wurde nicht mehr angefahren. Hier in Neustadt, 70 Kilometer westlich von Hindenburg, galten die Tante und die Kinder bereits als Flüchtlinge. Lebensmittelkarten gab es für die schon bald keine mehr. So musste Maria Schega nach nur wenigen Wochen das Haus der Kollegin verlassen, die sie und die Kinder aufgenommen hatte. Es gab nicht genug zu essen für alle. Von ihrer Schwester und ihrem Neffen Karl hatte Maria Schega noch immer keine Nachricht. Die ersten Flüchtlingstransporte in Neustadt wurden zusammengestellt. Die Tante und die drei Kinder wurden nach Österreich transportiert, wo sie erst bei Privatleuten und danach in Flüchtlingslagern unterkamen. „Die sanitären Verhältnisse waren unmenschlich, die Betten voller Wanzen“, erzählt Maria Seiter. Eineinhalb Jahre nach ihrer Flucht gelang es ihnen, einen Brief an die Mutter zu schicken, der sie tatsächlich erreichte und ihr endlich Gewissheit gab, Schwester und Kinder lebten. Sie selbst und der Sohn Karl hatten Hindenburg nicht mehr verlassen können. Maria Schega und die Kinder hatten mit dem letzten Zug die Stadt verlassen, bevor die Russen einmarschierten. Der Beruf der Tante ermöglichte der Familie im Mai 1946 schließlich die Rückkehr nach Deutschland. Sie, die Lehrerin, durfte einen Kindertransport des Roten Kreuzes begleiten. „Am 11. ging damit dem Schicksal vieler anderer Vertriebener, jahrelang im Allacher Lager zu vegetieren. Zehn Jahre lang sollte sie, die „Preißnschickse“, als Lehrerin unterrichten und sich durch Verstand und Verständnis den Respekt und die Zuneigung der Röhrmooser erkämpfen. Vor allem aber finanzierte sie die Ausbildung ihrer Nichte und Neffen. „,Ich will, dass Ihr eine weiterführende Schule besucht“, hat sie damals gesagt und sich alles vom Munde abgespart. Und tatsächlich konnte das Mädchen damals im ausgebombten München die Schule besuchen und später eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester und Fürsorgerin absolvieren. Maria Schega war Anfang 60, als sie in Karlsfeld Baugrund erstand und ein Haus für sich und die Kinder bauen ließ. Im August 1956 zogen sie ein, und bereits im September folgte die Mutter, der die Polen endlich gemeinsam mit dem Sohn Karl die Ausreise nach Bayern erlaubt hatten. Heute wohnt Maria Seiter noch immer mit ihrem Mann in dem Haus, das ihr nach zwölf heimatlosen Jahren endlich auch ein Zuhause war. „Noch einmal wäre ich nicht fort gegangen, so laut der Rangierbahnhof nebenan auch sein kann“, sagt Maria Seiter und lacht. Sohn und Tochter und die fünf Enkel wohnen in der direkten Nachbarschaft. „Sie alle sind echte Karlsfelder“, ist Maria Seiter überzeugt. REDAKTION KARLSFELD Erwin Kottermeier Tel. (0 81 31) 5 63 24 Fax (0 81 31) 5 63 50 dah-nachrichten@ merkur-online.de AKTUELLES IN KÜRZE KARLSFELD St. Anna: Wallfahrt nach Lourdes Die Karlsfelder Pfarrei Sankt Anna veranstaltet vom 1. bis 6. September zum Jubiläum der Erscheinungen eine Wallfahrt nach Lourdes. Abreise mit dem Bus ist am Montag, 1. September über Ars. Übernachtet wird in Villefranche-sur-Saone. Am Dienstag erfolgt abends die Teilnahme an der Lichterprozession, am Mittwoch werden der Heilige Bezirk und die Stadt besichtigt. Am Donnerstag stehen ein Gottesdienst an der Erscheinungsgrotte und Beten des Kreuzwegs am Kalvarienberg auf dem Programm, am Nachmittag geht es in die Bergwelt der Pyrenäen. Am Freitag ist eine Fahrt nach Nevers geplant. Dort findet ein Gottesdienst am Grab der Heiligen Bernadette statt (mit Übernachtung). Am Samstag, 6. September, erfolgt die Rückreise über Beaune. Ankunft in Karlsfeld ist gegen Abend. Nähere Auskünfte und Anmeldung im Pfarrbüro, Telefon 0 81 31/59 39 33, oder bei Elena Pfeifer (0 81 31/ 9 75 76). Radwanderung wird nachgeholt Die wegen des schlechten Wetters ausgefallene Radwanderung des Treffpunkt 60 nach Gut Häusern wird am Dienstag, 17. Juni, nachgeholt. Die Fahrstrecke ist etwa 50 Kilometer lang. Abfahrt ist um 9 Uhr an der Kirche St. Josef in Karlsfeld. Nähere Auskünfte erteilt Gerlinde Steuer unter der Telefonnummer 0 81 31/9 30 71. as ................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. Kinderpark im Bürgerhaus Petershausen – Einen offenen Kinderpark gibt es ab sofort jeden Montagnachmittag von 15.30 bis 17 Uhr im Gruppenraum der Nachbarschaftshilfe im Bürgerhaus Petershausen. Die Kinder sollten ein bis zweieinhalb Jahre alt sein. Die Gebühr liegt bei drei Euro pro Kind mit Elternteil, Geschwisterkinder zahlen einen ermäßigten Beitrag. Nach einer Eingewöhnungszeit können die Kinder auch alleine betreut werden. Eltern und Kinder können gerne reinschnuppern, der erste Besuch ist kostenlos. Gruppenleiterinnen sind Angie Lisac und Dorothea Möhrlen. hwa Erinnerungen an die Kindheit Petershausen – Einen besonderen Seniorennachmittag veranstaltet die evangelischlutherische Kirchengemeinde Kemmoden-Petershausen am Mittwoch, 11. Juni, ab 14 Uhr, im Gemeindehaus in Vierkirchen an der Bahnhofstraße 25. Dr. Manfred Sommerer und Friedel Habermeier, zwei Autoren aus Petershausen, lesen Geschichten aus der Kindheit und Jugend – auch als Einladung an alle Besucher, sich bei Kaffee und Kuchen über die eigene Kinderzeit auszutauschen. Im Fünf-Sterne-Stall haben Pferde ein schönes Leben Beim „Tag des Laufstalls“ haben sich die vielen Gäste, die zum Teil bis aus Norddeutschland und Österreich angereist waren, davon überzeugen können, dass der Stall, den Sigrid Koch im Hilgertshauser Ortsteil Pirket betreibt, alle Kriterien erfüllt, die sich die Laufstall-Arbeitsgemeinschaft e.V. für eine artgerechte Pferdehaltung wünscht. HILGERTSHAUSEN TANDERN PETERSHAUSEN JETZENDORF Tel. (0 81 31) 56 30 Fax (0 81 31) 5 63 50 dah-nachrichten@ merkur-online.de AKTUELLES IN KÜRZE HIRSCHENHAUSEN Oldtimertreffen mit Frühschoppen VON JOSEF OSTERMAIR Pirket – Der bundesweit eingetragene Verein hat seit kurzem seinen Sitz im ehemaligen Postgebäude von Hilgertshausen und wird von Sigrid Koch geleitet. Sie führte ihre Besucher nach einem Sektempfang in der neuen LAG-Geschäftsstelle durch ihre mit fünf Stall-Sternen ausgezeichnete Ranch. Kein Pferd steht in einer engen Box. Stattdessen können sich die Tiere frei bewegen und haben jederzeit Zugang zu Raufutter und Tränke. Was man bei der Anlage eines solchen Laufstalls berücksichtigen muss, wie man neue Pferde in eine Gruppe integriert, und welche Fütterungstechniken sinnvoll sind, REDAKTION Auf großes Interesse stießen die Führungen durch die Stallanlage der Old Wheel Ranch. das waren die Themen des Tages. Passend zum Schwerpunktthema „Integration neuer Pferde in die Herde“ referierte Koch, die DiplomAgraringenieurin ist, über diverse Möglichkeiten, ein neues Pferd mit der Gruppe bekannt zu machen. So macht es zum Beispiel einen großen Unterschied, ob der Neuzugang in eine getrennt-, oder gemischt-geschlechtliche Herde kommt, ob es sich um ein ranghohes oder rangnied- riges Tier, um ein Pony oder ein Vollblut handelt. Auch die Jahreszeit spielt hier eine entscheidende Rolle. Die LAG berät ihre derzeit 1300 Mitglieder vor allem beim sachgerechten Bau von Lauf- und Bewegungsställen und deren Ausstattung. Deshalb waren in Pirket auch Vertreter von ausgewählten Firmen vor Ort, die Fragen zu Zaunbau und Tränketechnik, engmaschige Heunetze und Fütterungstechnik beantwor- teten. So gibt es computergesteuerte Fütterungsanlagen, die den Dauerfresser Pferd den ganzen Tag über mit kleinen Portionen Kraft- und Raufutter versorgen. Damit werde Koliken und anderen Erkrankungen vorgebeugt. Koch betonte, dass die LAG die erste und einzige Organisation sei, die sich als Hauptziel in ihrer Satzung die Förderung der artgerechten Pferdehaltung verschrieben hat. Um die Verbesserung der FOTO: OST Pferdehaltung voranzutreiben, hat die LAG bereits 1992 eine Qualitätsplakette eingeführt. Diese Plakette werde nach einer gründlichen Stallinspektion durch jeweils zwei erfahrene „LAG-Inspekteure“ nach strengen Gesichtspunkten verliehen. Anerkannte LAG-Ställe von null bis fünf Stall-Sternen gebe es mittlerweile in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Italien, Frankreich und Schweden. Am Sonntag, 29. Juni, wird es in Hirschenhausen wieder viel zu sehen geben, was Oldtimerherzen höher schlagen lässt: Neben alten Bulldogs, Autos und Motorrädern sind auch historische Standmotoren ausgestellt. Auch ein Teilemarkt findet statt, und es werden Hubschrauberrundflüge sowie eine ganztägige MiniTruck-Vorführung angeboten. Für das leibliche Wohl aus eigener Küche ist bestens gesorgt. Das Oldtimertreffen beginnt um 9 Uhr mit einem bayerischen Frühschoppen. Der Eintritt ist frei. Nähere Auskünfte gibt es unter der Telefonnummer 0 82 50/ 92 81 88 oder unter www.oldtimerfreunde-hirschenhausen.de.