Gletscher, Hochebenen und die höchstgelegenen

Transcription

Gletscher, Hochebenen und die höchstgelegenen
HÜT
HTÜETTE
ATSATS
s MON
de MO
s N
de
Brunnenkogelhaus
Oberetteshütte
ährend der Nacht ist
die Temperatur zum
ersten Mal in diesem
Sommer in den Minusbereich gerutscht.
Morgens bedeckt Raureif die abgegrasten
Weiden. Laut Kalender ist noch Sommer,
doch auf den Glieshöfen hat er sich schon
verabschiedet. Josef Heinisch, der Alt-Bauer, schiebt seinen Filzhut in den Nacken,
seine Sarnerjacke hat er zugeknöpft. Er
ist auf dem Weg zur Matscher Alm, zur
Almkäsverteilung. Der Sommer sei mäßig
gewesen, brummt er: späte Auffahrt, frühe
Heimkehr. „Ah, du willsch zun Edwin?“,
fragt er mich. Skeptisch mustert er meine
leichte Wanderkleidung und den Tagesrucksack. Edwin, einer der vielen Heinischs
im Matscher Tal, betreibt seit 2010 mit seiner Frau Karin und Mutter Margareth die
Oberetteshütte auf 2670 Meter. Nachdem
sich die Pächter in den letzten Jahren die
Klinke in die Hand gegeben haben, hofft der
Alpenverein Südtirol nun auf Kontinuität.
Zunächst mache ich mich zur Valvelspitze auf, die auf der gegenüberliegenden
Talseite der Oberetteshütte liegt. „Schönes
Tal“ bedeutet Valvel auf Rätoromanisch,
jener Sprache, die bis ins 18. Jahrhundert
im Obervinschgau gesprochen wurde und
in Hof- und Flurnamen weiterlebt. Die
Gipfel umhüllt ein Schweigen, das hin und
wieder vom Poltern kollernder Steine gestört wird. Mit intensivem Kartenstudium
und geschickter Kraxelei erreiche ich über
steile Geröllhalden den Gipfel. Am höchsten Punkt liegt eine runde Marmorplatte.
„Touristentisch, gewidmet von Hr. Dr.
Ludwig Windecker und Gemahlin Erna
aus Berlin 1902“, lese ich. Der Deal des
Bergsteigerpaars soll gewesen sein, dass
sie zum Gipfel steigt, wenn er ihr dort ein
W
Einsamer Stützpunkt und ideale Basis
für Weißkugel-Besteiger: die gemütliche Oberetteshütte in ihrem riesigen
Geröllkessel.
Gletscher, Hochebenen
und die höchstgelegenen
Seen Südtirols, die Weißkugel immer im Blick –
ein Wochenende auf der
Oberetteshütte garantiert
alpine Höhepunkte. Das
Beste daran: Bergsteiger haben das Panorama
der umliegenden Gipfel
meistens für sich.
Text und Fotos: Andrea Kuntner
Frühstück wie im Tal zubereitet. Mein
Blick wandert über die nahen und fernen
Bergketten, ich suche die Moränenhänge
ab, doch mein Nachtquartier kann ich von
hier aus noch nicht sehen.
Die Oberetteshütte ist eine junge Unterkunft. Ihre Wurzeln reichen als Karlsbader Hütte der Sektion Prag zwar bis 1883
zurück, ihre Geschichte als spätere Höllerhütte endet jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem Brand. Erst in den 1960er
Jahren entsteht in Matsch der Wunsch
nach einer neuen Bergunterkunft, 1982 ist
die Umsetzung beschlossene Sache.
In einjährigen Abständen wird zwischen
1983 und 1988 das zweistöckige Gebäude errichtet. Außen weist eine Steinhülle
Wind und Wetter ab, innen sorgen Wände und Decken aus Holz für Behaglichkeit.
Besucher betreten die Hütte über eine
ausladende Treppe und eine kleine Terrasse. Im ersten Stock sind Küche und der
Speisesaal mit Kachelofen, groß genug, um
90 Bergsteigern Platz zu bieten. Im zweiten Stock reihen sich am Gang entlang die
neun Vier-, Sechs- und Achtbettzimmer,
die Gäste an den handgeschriebenen Namensschildern oder der Farbe der Bettwäsche unterscheiden können.
VON DER VALVELSPITZE hinab zum Sal-
durbach sind es mehr als tausend Höhenmeter, und die spüre ich in den Knien. Der
anschließende Gegenanstieg zur Hütte
fällt mir schwer. Ich wähle den neu angelegten Weg, der sich im Zickzack den steilen Hang hochzieht. Der neue Anstieg war
notwendig, nachdem in den letzten Jahren
die Erosion den alten unbegehbar gemacht
hatte. Nassgeschwitzt und müde komme ich schließlich an der Oberetteshütte
Seit 2010 als Wirtsleute auf der Oberetteshütte: Edwin und Karin Heinisch.
54
5/11
HÜTTE
ATS
s MON
de
Oberetteshütte
i
BERGTOUREN RUND UM DIE
OBERETTESHÜTTE
Das Matscher Tal, Tal der höchstgelegenen Seen, schwindenden Gletscher
und einsamen Gipfel.
ANREISE Mit dem Pkw: Von Landeck
Und weit und breit kein Mensch: auf den Wegen in der Umgebung der Oberetteshütte.
an. Hüttenwirt Edwin drückt mir einen
kräftigen Begrüßungsschnaps in die Hand,
die Kasnocken vom Matscher Almkäse
und Braten vom Laugenrind lassen nicht
lange auf sich warten. Alles heimische
Produkte, betont Edwin. Die Nachspeise
weckt Erinnerungen an längst vergangene
Zeiten: An jedem Tisch teilen sich die Gäste eine dampfende Eisenpfanne mit gestocktem Getreidebrei. Das „Muas“, eine
traditionelle Tiroler Bauernmahlzeit, mit
Zucker und Zimt versüßt, löffeln sie fast
andächtig.
Edwin und Karin Heinisch legen ohnehin viel Wert darauf, Traditionen in der
Gegenwart weiterzuführen. Hüttenwirtin
Karin, eine Lehrerin mit Kurzhaarschnitt,
schließt gerade ihr Geschichtsstudium
ab. Ihre Liebe zur Kultur bestimmt den
Hüttenalltag. Ihr ist es zu verdanken, dass
rockige Klänge über die Moränenhänge
schallen, während die Gäste bei der Bierverkostung auf der Terrasse sitzen. Oder
dass ein Schriftsteller ihnen aus seinem
jüngsten Werk vorliest, um kurz danach
mit seinen Zuhörern zum Bildstöckljöchl
weiterzuziehen.
Neu ist die Idee der Symbiose von
Berg und Kultur unter der Höllerscharte
aber nicht. Roman Burgo, 2009 verstorbener Bergphilosoph und von 1990 – 1996
Wirt der Oberetteshütte, hat sie bereits
gelebt. Er hat im Matscher Tal viele einsame Wege erkundet und sie fotografiert.
Sein Geist lebt im Tatendrang des jungen
Ehepaars Karin und Edwin fort. Begeistert
erzählen sie von dem Klettergarten, den sie
in Hüttennähe bauen wollen, oder von dem
Klettersteig auf das Schönblickköpfl. Den
56
5/11
über den Reschenpass oder von Innsbruck über den Brenner nach Bozen,
die Schnellstraße MeBo nach Meran
und in das Vinschgau. Kurz vor Mals
liegt das Dorf Tartsch, wo die Bergstraße nach Matsch abzweigt, die bis
zu den Glieshöfen im hintersten Matscher Tal führt.
Mit Bahn und Bus: Von München bis
nach Bozen, weiter nach Meran und
dann mit der Vinschgerbahn bis nach
Mals. Von dort gibt es eine Busverbindung ins Matscher Tal und ein Wandertaxi bis zu den Glieshöfen.
www.vinschgerbahn.it
www.ferienregion-obervinschgau.it
wollen sie in den nächsten Jahren anlegen.
Kurz vor der Hüttenruhe erzählt mir Edwin, dass er eigentlich Bergführer werden
wollte, sich dann aber mit seiner Frau für
die Hütte entschied. Nach Karin ist das
Haus seine zweite große Liebe. Es habe
ihm schon immer gefallen, wie harmonisch
es sich in die Umgebung einfügt. „Nun
heißt es halt Knödel rollen statt bergsteigen“, sagt er und lacht.
HÜTTENZUSTIEG Von den Glieshöfen
NACH EINER NACHT IN DER „SUITE“,
I-39028 Schlanders, Tel. + 39 0473
737000, www.vinschgau.is.it
wie auf der Hütte das rot eingebettete
„Schwemserzimmer“ heißt, und einem ausgedehnten Frühstück geht es für mich in
Richtung Namenlose Scharte. Vom Schnalstal über das Bildstöckljöchl kommen mir auf
der dünnen Schneeschicht zwei Bergsteiger
entgegen: Eduard und Josef, die kaum begangene, schwierige Übergänge lieben. Die
beiden sind die einzigen Wanderer, die ich
treffe – und zwar während der gesamten
Zweitagestour.
über den Waldweg oder den gesperrten
Fahrweg an der Materialseilbahn vorbei
zum neu angelegten sicheren Steig,
2 ½ Std.
Roman Burgo hat über Jahrzehnte
den Vinschgau und insbesondere das
Matscher Tal fotograisch dokumentiert und viele einsame Wege
beschritten.www.seilschaft.it
DIE TOUREN
Gesamtzeit I Höhenmeter I Schwierigkeit
1 SALDURSEEN, 2750 m
4 – 5 STD. I 1050 HM I MITTEL
Zur höchstgelegenen Seengruppe
Südtirols, wo kein See dem anderen
gleicht.
Beste Zeit: Ende Juni – September.
Talort: Matsch, 1580 m.
Ausgangspunkt: Oberetteshütte,
2680 m.
Route: Von der Hütte auf markiertem
Weg zur namenlosen Scharte (1 Std.).
Am ersten See vorbei bergab und
zu weiteren der insgesamt sechs
Seelein (30 Min.). An der Südspitze
des großen Sees kurz bergan, über
Felsen und Grashänge zum Saldurbach und weiter steil hinab zur Alten
Alm (1 ½ Std.). Rückweg zur Hütte
(2 Std.).
2 VALVELSPITZE, 3350 m
7 STD. I 1400 HM I SCHWER
Wohl einzigartig: die Marmortischplatte zum Ausbreiten der Gipfeljause, nach anstrengendem, weglosem Aufstieg.
Beste Zeit: Juli – September.
Route: Von der Hütte hinab in die
Klamm und auf der gegenüberliegenden Talseite zum Matscher Höhenweg und zum Semblerstein. Nun
weglos nach W durch ein weites Tal
hoch bis auf 3000 m, dann nach
NW in eine Scharte (3 Std.). Nicht
direkt am Grat zum Gipfel, sondern
südwestlich auf der Planeiler Seite
ca. 100 Meter hinab und über den
steilen Südhang zum Gipfel (1 Std.).
Rückweg wie Hinweg (3 Std.).
3 MATSCHERJOCHSEE, FREIBRUNNERSPITZE, 3350 m
7 STD. I 1400 HM I SCHWER
Einsame Wege: alter Übergang,
zauberhafter Jochsee, schwindender
Minigletscher.
Beste Zeit: Juli – September.
Route: Zur Klamm hinab und den
Bach entlang auf Steigspuren und
mithilfe der Markierung Richtung
N, auf ca. 2600 m nach links in
Serpentinen, dann über Schotter
hinauf zum Joch und zum See
(3 Std.). Über den nordöstlichen
Gletscherrest – evtl. mit Steigeisen
– in ca. 45 Min. zur Freibrunnerspitze. Variante: Aufstieg zum
Rabenkopf (3400 m) in 1 Std.
4 SCHÖNBLICKKÖPFL,
3175 m
3 STD. I 600 HM I LEICHT
Hüttenumrundung auf 3000 m,
ideal zur Tourenplanung.
Beste Zeit: Juni – September.
Route: Hinter der Hütte links
steil hinauf zur Scharte und zum
Spaiktsee (1 Std.). Nun rechts zum
Schönblickköpl und weiter über
den Felsgrat zur Höllerscharte
(1 Std.). Auf Moränenhügeln hinab
zur Hütte (1 Std.).
5 WEISSKUGEL, 3739 m
6 STD. I 1200 HM I SCHWER
Der einsamste Anstieg zum zweithöchsten Gipfel der Ötztaler Alpen.
Beste Zeit: Juli – September.
INFO Tourismusverband Vinschgau,
BERGFÜHRER Alpinschule Ortler,
Sulden, Tel. +39 0473 613004,
www.alpinschule-ortler.com
KARTEN Tabacco, 1 : 25 000, Blatt
043, Vinschgauer Oberland;
Kompass-Wanderkarte, 1: 50 000,
Blatt 52,Vinschgau.
ALPIN TIPP Der inzwischen verstorbene Hüttenwirt und Bergphilosoph
ALPIN STECKBRIEF
OBERETTESHÜTTE, 2670 m
AVS Sektion Mals, Ortsstelle Matsch
KONTAKT Karin u. Edwin Heinisch, Matsch 30,
I-39024 Mals, Tel. Tal +39 0473 842721,
mobil +39 340 6119441, www.oberettes.it
GEÖFFNET Mitte Juni bis Anfang Oktober.
SCHLAFEN 95 Schlafplätze; 8 Zimmer, 4 Lager.
ESSEN Gerstsuppe, Gulasch vom heimischen
Rind, hausgeselchter Speck, Almkäse.
KOMFORT Dusche (2,60 €), Warmwasser,
einmalige Aussicht und absolute Ruhe.
ÖKO-CHECK Versorgung Auto bis zur Materialseilbahn; Energie Wasserturbine,
Notstrom-Aggregat, Brennholz; Wasser Quelle; Abwasser Abwasserfilteranlage.
FAZIT Gemütliche Hütte mit Lokalkolorit, in der für Leib und Seele gesorgt wird.
Route: Von der Hütte nach links
über eine Brücke und steil hoch zur
Scharte, hinab zum Matscher Ferner
(1 ½ Std.) und über den Gletscher
zunächst in der Mitte, später in
einem Linksbogen bis zum Hintereisjöchl. Weiter zum „Matscher
Wandl“ und über den ausgesetzten
Felsgrat zum Gipfel (2 Std.).
ANZEIGE
„ERFAHRUNG KANN MAN NICHT
KAUFEN – MAN MUSS SIE SELBER
MACHEN.“
HANWAG SIRIUS GTX®
Fester Alpinstiefel, der höchste Ansprüche von Bergprois erfüllt:
Den Sirius GTX haben wir auf Anregung unseres Pro-Teams entwickelt.
Versehen mit einer Materialkombination aus stabilen Bergrindleder und
Cordura, umlaufenden Geröllschutzrand und GORE-TEX® DurathermFutter, der neue „Star“ unter den Alpinstiefeln. Für Leute, die jeden
Tag vielseitiges, wasserdichtes und stabiles Schuhwerk
mit fester Sohle benötigen.
HANWAG GMBH | WIESENFELDSTR. 7 | 85256 VIERKIRCHEN | TEL: 0 81 39 / 93 56 0
WWW.HANWAG.DE