Piercings, Duzen und Tattoos: Was geht und was
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Piercings, Duzen und Tattoos: Was geht und was
Knigge für die Lehre Piercings, Duzen und Tattoos: Was geht und was geht nicht? Der Elektrikerlehrling erscheint eines Tages mit einer Irokesenfrisur zur Arbeit – die Lehrtochter im Service trägt plötzlich einen Ring in der Lippe. Wie sollen Lehrpersonen darauf reagieren? Ein neuer «Knigge für die Lehre» gibt Ratschläge. Text Hans Rechsteiner Eines Montagmorgens überrascht ein Elektrikerlehrling seine Berufskollegen mit einem giftgrünen Irokesenkamm. Diese reagieren mit Gelächter oder Kopfschütteln. Sein Chef lässt sich vorerst nichts anmerken. Doch der Lehrling rückt an diesem Tag nicht wie vorgesehen zu einer Renovation aus, sondern wird in einen Neubau beordert, wo er vorwiegend Kabelkanäle ausfräsen muss. Eine staubige Angelegenheit. Überhaupt fällt ihm auf, dass er jetzt immer häufiger ins Lager zugewiesen wird. Bis ihm nach drei Wochen der Kragen platzt und er seinen Chef darauf anspricht. Dieser erklärt ihm trocken, «Akzeptieren kann ich höchstens einen kleinen Diamanten seitlich auf der Nase.» Hanspeter Schaerz, Gastwirt dass sein 30-Mann-Unternehmen ein Image pflege, zu dem neben der Firmenfarbe Rot für Autos und Overalls auch das individuelle Auftreten gehöre. Er müsse verstehen, dass er einen Lehrling mit dieser Frisur nicht zu den Kunden schicken könne, argumentiert der Unternehmer. Noch am selben Abend hat der junge Mann seine Frisur korrigiert. Der Elektrounternehmer hat aus seiner Erfahrung heraus richtig reagiert und dem Lehrling auf wirksame Art auf die Sprünge geholfen. Nicht alle Lehrmeister handeln so souverän. Für sie hat der Kaufmännische Verein Schweiz eine nützliche Wegleitung herausgegeben, den «Knigge für die Lehre – vom Piercing bis zur Handynutzung». Der «Leitfaden für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner» zählt die wichtigsten Regeln im Zusammenspiel von Arbeitgebern und Personal auf. Er plädiert dafür, Verständnis Foto: Ruedi Lehner Verständnis zeigen – aber auch klare Grenzen setzen Ein dezentes Piercing ist bei jungen Frauen mittlerweile salonfähig – alles andere sollte von vornherein mit dem Arbeitgeber besprochen werden. 11_2009 der arbeitsmarkt 16 Foto: RDB/Christian Lanz Wer allzu auffälligen Gesichtsschmuck trägt, bekommt möglicherweise Ärger am Arbeitsplatz. zu zeigen, aber klare Grenzen zu setzen. In der achtseitigen Broschüre werden Empfehlungen abgegeben zu Kleidervorschriften, zur Handy- und SMS-Nutzung während der Arbeitszeit, zur privaten Nutzung des PCs und zu Ähnlichem. Die Autoren Vera ClassBachmann, Ralf Margreiter, Andrea Ruckstuhl und Ingo Boltshauser raten aus langjähriger Erfahrung, allfällige Probleme frühzeitig zu erkennen und zu regeln – möglichst bevor sie entstehen. Dass durchaus Bedarf besteht an einer solchen Wegleitung, bestätigt Hanspeter Schaerz, Gastwirt im Unruhestand aus dem aargauischen Widen. Dem in jahrelanger Berufs-, Ausbildungs- und Verbandsarbeit geschulten Fachmann stellte sich einmal ein Jüngling vor, der auffällige Piercings trug. «Akzeptieren kann ich aber neben dezentem Ohrschmuck höchstens einen kleinen Diamanten seitlich auf der Nase», sagt Schaerz bestimmt. «Ich habe dem jungen Mann klargemacht, dass er in seiner Freizeit aussehen könne, wie er wolle. Aber dass er mit diesen Ringlein in der Lippe nicht in meine Küche komme. Er hat die Lehrstelle abgelehnt.» Der «Knigge für die Lehre» rät zu Ähnlichem, denn «Piercing ist nicht gleich Piercing». Es sei Augenmass gefragt. Der dezente Nasenstecker bei Frauen sei mittlerweile salonfähig, gegen ihn lasse sich nur schwer argumentieren. Zungenpiercings, durch stochene Lippen und Augenbrauen oder «Muniringe» sehe man aber in vielen Betrieben nicht gern. Täglich mit solchen Knigge-Fragen muss sich Paul Nussbaumer, Direktor der Zürcher Hotelfachschule Belvoirpark, in der Praxis auseinandersetzen. Die Norm an seiner international renommierten Schule ist einfacher, salonfähiger Schmuck, durchaus nach dem aktuellen Modetrend. Das gehe aber tatsächlich nur bis zum Nasenstecker. «Zungenpiercing gibt es nicht, ebenso wenig wie im Gesicht, in den Unterarmen oder Händen, auffällige Tattoos werden abgedeckt. Wir sind eine Branche, in der dezentes Auftreten geschätzt und verlangt wird», sagt Nussbaumer. Der Gast könnte sich durch übertriebenen Körperschmuck ablenken lassen. Unangepasster Ausdruck der eigenen Persönlichkeit sehe rasch unästhetisch und unsauber aus und könnte auf den Gast abschreckend und unappetitlich wirken, genauso wie zu viel Gel im Haar. Tabus sollten vor Lehrantritt angesprochen werden Um eine Nuance toleranter sei man beim Koch, erklärt der Belvoirpark-Direktor und fügt im Scherz an: «Und höchstens noch beim Appenzeller, der halt sein traditionelles Ohrringli trägt.» Hingegen gehe die Tendenz im Gastgewerbe dahin, dass vermehrt auch der Koch an die Front müsse. «Dort ist er genauso Visitenkarte des Betriebes wie der Kellner», hält Nussbaumer fest. In der «Wenn sich ein Lehrling weigert, den Anweisungen des Lehrmeisters Folge zu leisten, wird es schwierig.» Rainer Mössinger, Rechtsdienst des Kaufmännischen Vereins Schweiz Küche aber gebe es ausser einfachstem Ohrschmuck nur schon aus Gründen der Hygiene kein Pardon: «Ringe und auffälliger Ohrschmuck müssen einfach weg.» Wie sollen Lehrmeister auf Käppli, bauchfreie Kleidung, Flip-Flops, übertriebene Schminke und Ähnliches reagieren? «Auch in diesen Bereichen ist die Betriebskultur entscheidend», schreiben die Autoren des «Knigge für die Lehre». «Wo eine legere Kleiderordnung herrscht, sollen auch die Lernenden sich ihrem Geschmack und ihrer Persönlichkeit entsprechend anziehen dürfen – auch mit Attributen der Jugendkultur. Tabus sollten jedoch vor Lehrantritt angesprochen werden.» 11_2009 der arbeitsmarkt 17 Belvoirpark-Direktor Paul Nussbaumer zeigt viel Verständnis für die Lehrlinge, welche die eigene Identität suchen, die eigene Persönlichkeit entwickeln müssen und sich von allzu strengen gesellschaftlichen Normen lösen wollen. «Wichtig fürs Betriebsklima ist aber, dass für Lehrlinge weder strengere noch laschere Bedingungen gelten als für die anderen Mitar beitenden.» Und da hülfen eben nur klare Hausregeln weiter. «Das Beste ist eine beidseitig akzeptierte Regelung vor Antritt eines Lehr- oder Anstellungsverhältnisses.» Wie man sich unter Menschen verhalte, sei eine Imagefrage und werde im Unterricht an der Hotelfachschule intensiv behandelt. «Allgemeines Auftreten und gutes Benehmen werden bei uns genauso thematisiert wie Fragen der Hygiene, der Kosmetik und der Körperpflege. Wir üben den Smalltalk am Esstisch und wissen, dass Tabu themen wie beispielsweise Religion niemals angesprochen werden. Genauso wenig steht man einfach vom Tisch auf und geht hinaus zum Rauchen.» Ob Schmuck oder Piercings erlaubt sind, ist jedoch in einigen Fällen nicht nur eine Frage der Betriebskultur. «In allen Betrieben, Anzeige wo offene, leicht verderbliche Lebensmittel verarbeitet werden, beanstanden wir Händeschmuck sowie das Tragen von Uhren und Armbändern. Einzig der Ehering wird toleriert», sagt Erich Sager, Lebensmittelinspektor beim Amt für Verbraucherschutz im Kanton Aargau. Explizit geklärt werde die Frage für oder wider Tattoos und Piercings weder im Gesetz noch im Muster-Lehrvertrag. Zur Personalhygiene und -schulung äussert sich dagegen die Hygieneverordnung. «Im Grundsatz gilt die Anforderung, dass Kontaminationen von Lebensmitteln verhindert werden müssen», zitiert Sager daraus. «Lange Haare müssen zusammengebunden werden. Die Arbeitskleidung muss sauber sein und in der Garderobe getrennt von Strassenkleidern aufbewahrt werden.» Reibungsflächen zwischen Lehrling und Lehrmeister bieten indes nicht nur Piercings und Tattoos. Auch eine schnoddrige Sprache oder unangebrachtes Duzen können zu Spannungen im Lehrbetrieb führen. Zum Duzis mit Lernenden meint der «Knigge für die Lehre»: «Wenn sich alle im Betrieb duzen, fühlen sich Lernende ausgeschlossen, wenn sie weiterhin mit dem förmlichen ‹Sie› angesprochen werden. Anson- sten ist Zurückhaltung angesagt. Was gar nicht geht, ist, die Lernenden zu duzen und von ihnen das ‹Sie› zu verlangen. In den Berufsfachschulen werden die Lernenden mit dem Vornamen, jedoch in der Sie-Form angesprochen, was allerdings viele Jugend liche als antiquiert erleben.» Kann man einem fehlbaren Mitarbeitenden kündigen? Wenn selbst geduldigstes Vorgehen nach Knigge-Vorbild nichts nützt und der Lehrling renitent bleibt, stellt sich die Frage nach den Sanktionen. «Festgeschrieben sind sie weder im Obligationenrecht, noch sind sie Bestandteil von Lehr- und Arbeitsverträgen», erklärt Mario Fedeli, Verantwortlicher Rechtsdienst der Gewerkschaft Comedia in Bern. Der Arbeitgeber verfüge aber über ein gewisses Weisungsrecht und könne bei groben Verstössen durchaus kündigen. Einerseits sei festzustellen, wie stark das betriebliche Interesse an Einschränkungen tatsächlich sei, und anderseits müssten die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Rainer Mössinger vom Rechtsdienst des Kaufmännischen Vereins Schweiz stellt fest, dass ein Lehrvertrag befristet sei und fristlos nur aus wichtigen Gründen gekündigt werden könne. «Ein Piercing genügt da nicht. Die Frage stellt sich, wieweit der Lehrling Kundenkontakt hat. Wenn er einen wesentlichen Bestandteil seiner Ausbildung deswegen nicht absolvieren kann und er sich weigert, den Anweisungen des Lehrmeis ters Folge zu leisten, wird es schwierig», so Mössinger. Nach Berufsbildungsgesetz muss dann das Lehrlingsamt schlichten und bei einer allfälligen Umplatzierung des Lehrlings mithelfen. «Arbeitnehmern mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag kann man ordentlich kündigen», erklärt Rainer Mössinger den Unterschied. Missbräuchlich sei eine Kündigung, wenn sie wegen persönlicher Eigenschaften – wie eines Piercings – erfolge, es sei denn, die Zusammenarbeit im Betrieb sei wesentlich beeinträchtigt. «Viel besser ist es, die Arbeitsbedingungen schon vor einer Anstellung schriftlich zu regeln. Alles andere ergibt nur Futter für Anwälte und für die Arbeitsgerichte», resümiert Mario Fedeli. Damit dies bereits auf Ebene der Lehrlingsausbildung gelingt, ist der «Knigge für die Lehre» da. ❚ «Knigge für die Lehre» von Vera Class-Bachmann, Ralf Margreiter, Andrea Ruckstuhl und Ingo Boltshauser. Kaufmännischer Verein Schweiz (Hg.), Zürich 2009. Bisher erschienen als Leitfäden für Berufsbildner Innen neben dem «Knigge für die Lehre» die Broschüren «Arbeitsbedingungen für Lernende», «Arbeitsrecht für die Lehre» und «Das Lehrzeugnis». Weitere Leitfäden sind geplant. [email protected] 11_2009 der arbeitsmarkt 18