Ostereier-Kunst - LandLiebe Radio.

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Ostereier-Kunst - LandLiebe Radio.
Ostereier-Kunst
Alles geritzt
Leondine Ryf aus Selzach SO ritzt filigrane Blumen und Tiere in
schwarz getuschte Ostereier. Damit schafft sie Unikate, die das
Herz berühren. Die LandLiebe hat ihr über die Schulter geschaut.
Text Corinne Schlatter Fotos Martina Meier Styling Karin Messerli
Blumen, Ornamente,
Enten, Güggel und vor
allem Hasen – jedes
einzelne von Leondine
Ryfs geritzten Eiern ist
ein kleines Kunstwerk.
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«Ich versuche, den Tieren
Leben einzuhauchen»
A
m Fuss der Hasenmatt oberhalb
von Selzach SO lebt
Leondine Ryf mit
ihrem Mann Beat, den
sie seit einem Schlaganfall vor fünf
Jahren liebevoll pflegt. Einen passen­
deren Namen als diesen Flurbegriff
der südlichsten Jurakette kann sich
die 77-Jährige für ihr Wohngebiet
nicht vorstellen. Hasen haben es
der Solothurnerin nämlich speziell
angetan. «Ja», sagt sie, «ich habe
sie in mein Herz geschlossen.»
Leondine Ryf ist Ostereier-Künst­
lerin. Wobei sich die bescheidene
Frau, die in ihrem Haus ausserhalb
des Dorfes ein Bed and Breakfast
betreibt, selber nie so bezeichnen
würde. Sie habe zwar immer gern
gebastelt und ein gewisses Talent fürs
Zeichnen gehabt. «Aber Künstlerin? –
Das ist doch schon noch etwas
ande­res», sagt die Mutter von fünf
erwach­senen Söhnen und mehr­
fache Gross­mutter. Wer Leondine
Ryfs dekorative Eier sieht, besteht
indes auf dem «Kunst»-Begriff.
In die schwarz gefärbten Eierschalen
hat sie Blumen, Ornamente und
Tiere geritzt: Hühner, Enten, ja ganze
Gänse­märsche, aber auch Sommervögel oder Kühe. Und vor allem
Hasen. Kein Tier ist gleich wie das
andere, doch alle sind beeindruckend
­natürlich und reizend getroffen:
mit lebendigem, berührendem Ausdruck – mit einer Seele halt. «Ich
versuche, den Tieren Leben einzuhauchen», erklärt sie das Geheimnis
ihrer Unikate, die sie aus Freude und
nicht zum Geldverdienen fertigt.
Die Inhaberin des Blumengeschäfts
Floridea in Selzach sowie der Florist
Martin Grossenbacher aus Zürich
sind von Leondine Ryfs geritzten
Eiern allerdings derart begeistert,
dass sie sie vor Ostern jeweils in ihr
Verkaufssortiment aufnehmen.
Die Künstlerin verkaufte auch schon
an Ostereiermärkten – dieses Jahr
verzichtet sie darauf.
der Umgebung. Als Erstes müssen
die Eier ausgeblasen werden –
ein Vorgang, den sie anfänglich
mit einer Schlauchbootpumpe
ausführte, bevor sie ihren Arzt
nach einer grossen Spritze fragte
(siehe Anleitung in der Box rechts).
Nach dem Ausblasen müssen
vor allem die grobporigen Gänse­
eier vorsichtig mit Schleifpapier
poliert werden. Danach werden
alle Eier in einem ZwiebelschalenSud ­grundiert. Da die Eierschalen
unterschiedlich beschaffen sind,
nehmen sie den rostroten Farbton
verschieden intensiv an. Dies
macht jedes geritzte Ei einzigartig.
Wer möchte, kann bereits aus
den rotbraun grundierten Eiern
weisse Ornamente oder andere
Sujets ritzen. «Der Effekt ist auf
schwarzen, mit Tusch überzogenen
Eiern aber weit grösser», sagt die
Frau mit ihrem liebenswürdigen,
gewinnenden Wesen.
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Von der Natur inspiriert
Technik selber erlernt
Die Meisterin und ihr Werk: Leondine Ryf mit einem Osternestchen.
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Gravierte oder geritzte Eier zu Ostern
als Symbole des Lebens stammen
ursprünglich aus Oberschlesien.
Es war denn auch Leondine Ryfs
polnische Schwieger­tochter, die
vor fünfzehn Jahren solche Gänse­
eier aus ihrer Heimat mit in die
Schweiz brachte. Die kunstvollen
Erzeugnisse inspirierten die kreative
Schwiegermutter, die Technik selber
auszuprobieren. «Meine ersten Eier
waren furchtbar», erinnert sie sich
und fügt an, dass sie erst durch
­wiederholtes Ausprobieren wichtige
Grundregeln herausgefunden habe.
Angefangen bei der Beschaffung:
«Die Schalen der Hühnereier sind
meist zu wenig stabil, um geritzt zu
werden», sagt Ryf, die lange suchen
musste, um Lieferanten der weniger
empfindlichen Enten- und Gänse­
eier zu finden. Letztere erwirbt sie
via Blumenläden auf der Blumenbörse, die kleineren Enteneier erhält
sie von einigen Entenbesitzern aus
Die wahre Kunst ist das Ritzen.
Ihre Motive schaut Leondine Ryf
direkt der Natur ab, vor allem im
Garten, wo sie Blumen hegt und
pflegt, oder hinter dem Haus auf dem
freien Feld. Die Hasen empfindet sie
Albrecht Dürers Aquarellen nach
Metalldornen,
Strick­nadeln oder
Fleisch­spiesschen
fixieren. Darauf
lassen sich die Eier
stecken und mit
Tusch bemalen.
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Enten- und Gänseeierschalen sind
stabiler als jene der Hühnereier.
Schritt für Schritt zum Kunstwerk
1 Ausblasen Mit einer Nadel, einem Dremel
3 Schwärzen mit Tusch Die rot grundierten
oder einem Minibohrer ein kleines Loch in
Eier auf Fleischspiesschen, Stricknadeln
das Ei bohren, danach mit einer Spritze erst
oder Metalldornen aufspiessen und diese in
Luft, dann Wasser ins Ei blasen. Das Wasser
eine fixierende Unterlage stecken oder in
vermischt sich mit Eiweiss und Dotter und
kleine Flaschen stellen. Danach werden die
läuft als Emulsion aus dem Ei heraus.
Eier mit schwarzem Tusch (Nr. 17) überzogen.
2 Grundieren im Zwiebelschalen-Sud
Dazu verwendet man einen Pinsel, denn das
100 Gramm Zwiebelschalen (bereits abgelöste
Pinselchen des Tuschfässli ist zu fein, zu klein.
Schalen sind in der Zeit vor Ostern beim
4 Trocknen Die schwarz getuschten Eier
Gross­verteiler erhältlich) mit 2 Liter Wasser
sehr gut trocknen lassen.
ansetzen und einige Minuten köcheln. Die
5 Motive übertragen Die Umrisse der Motive
ausgeblasenen Eier mit warmem Wasser
werden ab Original auf Häuschenpapier
füllen und in den Sud legen. 15 bis 20 Minuten
verkleinert, danach auf Pauspapier übertragen
ziehen lassen, bis die Färbung intensiv ist.
und mit Bleistift auf das schwarze Ei gepaust.
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«Die Hasen habe ich fest in
mein Herz geschlossen»
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(zum Beispiel «Feldhase», Aquarell
und Deckfarben). Die Bilder des
deutschen Malers (1471–1528) hat
sie vor einigen Jahren im alten Lehr­
band «Wild und Hund» entdeckt.
Seither hält sie in Bibliotheken
oder Antiquariaten Ausschau nach
Biologie- und Jagd-Lehrbänden mit
Illustrationen von Feldhasen und
Wildkaninchen. Damit das Fell der
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Hasen natürlich aussieht und die
Darstellung des Tieres plastisch
wird, ritzt Leondine Ryf dreimal
am selben Ei – Strich für Strich, mal
feiner, mal stärker, bis die rotbraun
gefärbte Eierschale oder das Weiss
zum Vorschein kommt. Insgesamt
arbeitet sie fünf bis sechs Stunden an
einem Ei – ausblasen, färben und
mit Tusch überziehen inklusive. C
6 Ritzen Die Umrisse des
Motivs mit weissem Farbstift
nachzeichnen. Danach mit einem
Dremel-Ritzer, der in ein Minenbleistift geklemmt wird, feine und
dickere Striche ins Ei ritzen, bis
sich – wie auf der Vorlage – Fell
und Gesicht des Tieres füllen. Das
fertige Ei mit Ganzlack besprayen.
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