Der Dorsch geht in den Ofen. Acht Minuten ab jetzt

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Der Dorsch geht in den Ofen. Acht Minuten ab jetzt
Auch das Auge isst mit: Sternekoch Jens Bomke richtet die Gerichte an.
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Fotos: Schwade
„Der Dorsch geht in den Ofen.
Acht Minuten ab jetzt“
Ein Blick in die Küche von Sternekoch Jens Bomke in Wadersloh
WADERSLOH ■ Von seinen
fünf Sinnen braucht Jens
Bomke an diesem Abend
nicht nur das Schmecken.
Das hat einer, der seit über
zwanzig Jahren den Michelin-Stern trägt, ohnehin im
Gefühl. Nein, das Sehen ist
entscheidend. Und seine
Augen sind offenbar überall: Bei Dennis, der Stangenbohnen blanchiert und von
Passepierre (essbare Meeresalgen) den holzigen Rand
abzupft. Bei Kim, der das
Marsala-Gelee mit Gänseleber von Hand hackt. Die
Französin Gabrielle, die um
die Ecke den Chicoree knisternd karamellisiert. Zu Servicekraft Aneta, die den Rosenkohl putzt und entblättert. Zu seinem Messer, von
dessen Güte er Tatjana zu
überzeugen versucht, während er an der zentralen Kücheninsel das Beef schneidet. Und im Rahmen der Adventskalender-Serie
wirft
auch unsere Zeitung einen
Blick auf das Geschehen in
der Sterneküche.
Familienbetrieb live:
Tochter guckt kurz rein
Das junge Team hier
braucht derweil vor allem
ein gutes Gehör. Wie auf einem Boot muss nämlich
auch in der Küche einer der
Kapitän sein. Jens Bomke
(51) gibt die grundsätzlichen Kommandos, kocht
und kontrolliert, ohne zu
drangsalieren. „Stell Dich
mal auf 21 Suppen ein – Bitte drei Jakobsmuscheln –
Der Dorsch geht in den
Ofen. Acht Minuten ab jetzt
– Tisch vier ist beim Dessert
noch unentschlossen – Pass
auf, der Speck verbrennt“,
so lauten die Anweisungen.
Der letzte Satz geht im Küchengeklapper unter, und
so ist der selbstgemachte
Pancetta hinüber; bei diesem Teil geht’s zurück auf
Los. Wie ein Heinzelmann
kurvt schon Spüler Moshiur
mit einer sauberen Pfanne
heran.
In den Dunst schneit
Tochter Carlotta rein: Die
15-Jährige
verabschiedet
sich zum „The-Voice-FinaleGucken“, kurze Diskussion,
morgen Schule, es ist eben
ein Familienbetrieb, weiter
mit Tisch eins. Warum soll
da der Hauptgang zu unterschiedlichen Zeiten serviert
werden? Irritation, Rücksprache zwischen Küche
und dem von Bomkes Frau
Christa geleiteten Service.
In einem Restaurant müssen diese beiden Seiten har-
Gabrielle und Kim vierteln die Physalis für das Dessert.
Der Chef sei ein großer
Meister seines Fachs, findet
Tatjana, die mit ihrer Ausbildung fast fertig ist. „Da
lässt man sich auch mal was
sagen.“ In ihrem Berichtsheft in der Schublade finden
sich kurze Notizen zu den
Rezepten. Die Lehrlinge besuchen die Elite-Klasse der
Jeunes Restaurateurs in Koblenz, mittags zaubern sie
bei Bomke im Hotel auch
für sich selbst was.
„Eine Küche ist auch ein
bisschen Chemielabor“, erklärt Jens Bomke beim abschließenden Glas Weißwein. Ein Labor, in dem seine Gerichte heute auch anders aussähen als vor zwanzig Jahren. Köche kämen international herum, arabische und afrikanische Einflüsse finden sich darum
auch am Kirchplatz in Wadersloh. Die Molekularküche hingegen sei nicht so
seins. Grundsätzlich gelte:
„Es muss schmecken, und
es muss auch ein Löffel voll
sein.“ ■ axs
monieren; die Speisenabfol- Stockente knuspert, Kerbelge bleibt wie vom Gast ge- knollen-Püree oder Topinambur-Chips (aus der
wünscht.
An allen Arbeitsplatten Wurzel einer Sonnenbluhat jemand zu tun, dennoch men-Verwandten) á la carte
wird es weder chaotisch überraschen und es im Binoch hektisch, die Gänge stro über den Schnitzeln ein
gehen zügig raus. Eine Kü- Champignon-Omelette oder
chenbrigade ist am Ende auch westfälisches Griebenschmalz gibt.
nämlich
ein
Man is(s)t hier
kreatives, aber
eben bei einer
organisiertes
Institution im
Produktionsteam – mit ArEine Küche ist Münsterland.
Etwa
eine
beitsteilung.
vor
Für seinen Be- auch ein bisschen Stunde
dem
ersten
reich
überGast war die
nimmt hier jeChemielabor
Mannschaft
der auch in
eingetrudelt –
jungen Jahren
rund
vier
schon VerantStunden späwortung, vom
ter verlässt ein
Abschmecken
bis zum möglichst regiona- letzter Tausendblätterkulen Einkauf. Fast alles lasse chen mit Mango, Karamellsich verwerten, erklärt Jens Schoko und gepfeffertem
Advent, Advent ... Auch für
Bomke. Gabrielle, die schon Lycheekompott die Küche.
un- sere Zeitung ist das ein
in Zwei-Sterne-Häusern ge- Und die glänzt wieder, noch
Anlass, mal hinter „die Kläppkocht hat und jetzt die deut- bevor der erste Gast geht:
chen“ zu schauen. Was versche Gastronomie kennen- Alle haben mit aufgeräumt
birgt sich dort? In unserer Selernen will, füllt just für und gewienert, nur für den
rie sind es Geschichten, Menden Gruß aus der Küche die Boden kommt morgen noch
schen, Orte, besondere TätigGrünkohlschaumsuppe in jemand extra. Jens Bomke
keiten, Arbeitsabläufe oder
kleine Gläser (durch einen spricht im Restaurant mit
andere Dinge, die nur selten
Trichter, so klappt das also den Gästen, von den Nachoder überhaupt nicht ans Licht
ohne Kleckser). Als Entre- wuchskräften fällt die Ander Öffentlichkeit kommen.
metier ist Dennis aktuell für spannung ab.
Gemüsezubereitung
und
sättigende Beilagen zuständig, Kim sorgt als Patissier
für die Desserts, der Chef
selbst übernimmt mit Tatjana gemeinsam Fleisch,
Fisch, Soßen, Fonds und
richtet die Speisen augenschmeichelnd auf gewärmten Tellern an. Von irgendwo kommt eine helfende
Hand dazu – ah, Dennis mit
den Bohnenbunden.
Viele Handgriffe sind so
getan, bis bei den Gästen das
Limonenöl den geangelten
Wolfsbarsch auf der Zunge Augen- und Gaumenschmaus: Rinderfilet unter der Ochsenmarkprickeln lässt, die Hasel- kruste auf Püree von Kerbelknolle und geschmelztem Ochsennussschmelze unter der schwanzknödel.
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“