Gotteslehre (1): Magritte „Le Rossignol“ („Die Nachtigall“ oder „Der

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Gotteslehre (1): Magritte „Le Rossignol“ („Die Nachtigall“ oder „Der
Gotteslehre (1): Magritte „Le Rossignol“ („Die Nachtigall“ oder
„Der Ladenhüter“)
Rene Magritte: Le Rossignol (1962)
Rene Magritte: Le Rossignol (1962)
Gotteslehre (2): Tilmann Moser
Dr. phil. Tilmann Moser, Jahrgang 1938, ist Psychoanalytiker und
Körperpsychotherapeut. Er praktiziert seit 1978 in Freiburg im
Breisgau und bietet für praktizierende Therapeuten Seminare zum
Thema Psychoanalyse und Körpertherapie, seelische Spätfolgen von
NS-Zeit und Krieg sowie Psychotherapie und Religion an.
1976 veröffentlicht er sein Buch
„Gottesvergiftung“, in dem er mit dem
Gottesbild seiner Kindheit und Jugend
streitet.
Gotteslehre (2): Gottesvergiftung (T. Moser)
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Neulich war ich auf einem gruppentherapeutischen Training, und es ging um das
Ausmaß von Hemmungen, das jeder mit sich herumträgt. Da fragte der Trainer,
welche Sätze uns in unserem Leben am meisten eingeschüchtert hätten. Weißt du,
was bei mir zum Vorschein kam als die mich domestizierende, einengende,
schachmatt setzende stereotype Phrase: »Was wird der liebe Gott dazu sagen?«
Durch diesen Satz war ich früh meiner eigenen inneren Gerichtsbarkeit
überlassen worden. Im Grunde mussten die Eltern gar nicht mehr sehr viel
Erziehungsarbeit leisten, der Kampf um das, was ich tun und lassen durfte,
vollzog sich nicht mit ihnen als menschliche Instanz, mit der es einen gewissen
Verhandlungsspielraum gegeben hätte, sondern die »Selbstzucht«, wie das
genannt wurde, war mir überlassen, oder besser, der rasch anwachsenden
Gotteskrankheit in mir.
Du hast mir dann kaum noch Chancen gelassen, mit mir selbst ein auskömmliches
Leben zu führen. Weißt du, welches Wort mich mit einer abenteuerlich tiefen
Angst erfüllt hat? Aussätzigkeit. Dir ist es doch tatsächlich gelungen, dass ich
mich wegen meiner kleinen Durchschnittssünden jahrelang aussätzig fühlte. Und
die Aussätzigen auf den biblischen Bildern wurden isoliert, an langen Stangen
ließ man ihnen die Mahlzeiten reichen, sie mussten mit Klappern herumlaufen,
damit niemand durch sie angesteckt wurde.
Über seelische Vorgänge, gar über Ängste, wurde in unserer Familie nicht
geredet. So war ich deinem Wüten in mir ausgeliefert und hatte nicht einmal den
Gedanken daran, dass es irgendwo Entlastung geben könnte. Dein
Hauptkennzeichen für mich ist Erbarmungslosigkeit. Du hattest so viel an mir
verboten, dass ich nicht mehr zu lieben war. Deine Bedingungen waren zu hoch
für mich, und niemand hat sie gemildert, weil von einem bestimmten Punkt an
nicht mehr davon die Rede war. Ich habe dich flehentlich gebeten, mich auf die
Seite der »Schafe« zu nehmen, doch ich wusste, dass ich zu den »Böcken«
gehörte. Es war mir als Kind so selbstverständlich, dass die Welt, die jetzige und
die spätere, aus Geretteten und aus Verdammten bestand; das Fürchterliche war
nur, dass ich, wie es auf manchen Bildern zu sehen ist, immer über dem Abgrund
der Verdammnis hing und niemals wusste, wie lange der schmale Steg noch
halten würde, der mich trug. Als im Religionsunterricht die Prädestinationslehre
besprochen wurde, nach der es durch deinen unerforschlichen Ratschluss den
Menschen von Anbeginn an bestimmt ist, ob sie zu den Geretteten oder den
Verdammten gehören, überfiel mich eine entsetzliche Lähmung, weil alles
ausweglos erschien. Mich faszinierte es, wie viele Mittel meinen katholischen
Schulfreunden gelassen wurden, um sich doch noch zu retten, um Ablass zu
erhalten. Ich lauschte oft atemlos ihren Berechnungen, wenn sie, vor und nach
der
Kommunion,
ihre
Sünden
und
die
Strafen
und
die
Wiedergutmachungsforderungen berechneten, und wenn ihnen die Lage nicht
aussichtslos erschien.
Seit dieser Niederschrift ist ein Jahr vergangen, und sie hat mich tatsächli ch ein
Stück geheilt von dir. Ich habe sogar einige Seiten an dir neu entdeckt, für die ich
45 dir dankbar bin. Das jahrelange Ringen mit dir früher hat mich stärker gemacht,
mir ein Gefühl von innerer Kontinuität und seelischem Zusammenhang gebracht.
Manchmal - so sehe ich es heute - war die Illusion auch wichtig, dass du mich
siehst oder kennst. Die Menschen um mich her haben zu wenig von mir
verstanden, oder ich konnte mich ihnen nicht verständlich genug machen, um
50 nicht froh über die Fiktion zu sein, dass du in mir Bescheid wüsstest. Auch die
Gespräche mit einem Toten können nützlich sein, wenn er so gegenwärtig ist wie
du es warst und man vorübergehend annimmt, er interessiere sich für die eigene
Person.
Manches in mir ist durch dich erst innerlich zusammengesetzt worden, sagen wir
55 einmal: das Gefühl der Identität, der Wirklichkeit vieler Gefühle und Gedanken,
oder überhaupt: die innere Dimension, die Seele, der innere Raum, das
Bewusstsein, dass innen genauso viel Welt ist wie außen. Anderes hast du auf
eine schreckliche Weise auseinandergeteilt, am schlimmsten: den Körper und die
Seele. Tiefe Brüche hast du da angerichtet, quer durch die eigene Natur, so dass
60 sie kaum noch zu handhaben war. Aber ich wollte dir ja sagen, inwieweit du, die
große Krankheit, auch dein Gutes gehabt hast: Dich überstanden zu haben gibt
mir Selbstbewusstsein; von der riesigen Krücke nicht erschlagen worden zu sein,
ein Gefühl von Kraft. Zutrauen werde ich nie mehr zu dir haben können. Aber ich
weiß auch, dass du anderen freundlicher begegnet bist. Soweit sie dich brauchen,
65 um nicht noch mehr zu leiden, werde ich nicht gegen dich sprechen. Es genügt
mir, dass ich dich nicht mehr brauche. Wieviel Gewicht dir andere belassen
wollen, darin will ich ihnen nicht dreinreden.
Aber was wird an deine Stelle treten, die riesigen Leerstellen füllen, wo du dich
ausgebreitet hattest? Nicht alle müssen gefüllt werden. Das Haus kann
70 schrumpfen, es war unnötig groß. Und was du für dich an wunderbaren
Eigenschaften gepachtet hattest, werde ich bei den Menschen wiederfinden.
Wenn ich in manche Gesichter sehe, empfinde ich keinen Verlust mehr, und
menschliche Gesichter werden deines ersetzen, weil deines unmenschlich war.
Meine Augen lernen sehen, seit du mir nicht mehr den Horizont verdunkelst.
Aus: T. Moser: Gottesvergiftung. Frankfurt 1976, S. 17-20; 99-101
Aufgabe: Erläutert der zweiten Gruppe das Gottesbild, mit dem sich Tilmann Moser
auseinandersetzt! Formuliert hierzu Stichworte!
(Tilmann Moser)
Gotteslehre (3): Gottesbilder im Wandel der Zeit
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Bild
„Ladenhüter“
Gott versteht alles, nimmt nichts
krumm. Bei Versagen klopft er einem
gedanklich gleichsam auf die Schulter
und sagt „halb so wild“.
Dieser Gott sieht alles, kontrolliert
alles und wartet nur darauf, zu strafen,
wenn etwas danebengeht.
Wenn alle Stricke reißen, oder wenn
ich Angst habe, schicke ich ein
Stoßgebet zu ihm. Ansonsten vergesse
ich ihn wieder.
Ich begegne ihm im Mitmenschen,
besonders im Armen in der „Dritten
Welt“, im Aidskranken, Ausländer, …
Er wird vor allem gebraucht bei Feiern
und Veranstaltungen, um einen
besonders würdigen Rahmen zu
gewährleisten (z.B. Hochzeiten).
Dieser Gott ist gut, um bestehende
Machtverhältnisse in Gesellschaft und
Politik zu stabilisieren. Er hilft vor
allem den Mächtigen.
Dieser Gott ist ganz nah bei großen
Veranstaltungen (z.B. Weltjugendtag).
Man hat das Gefühl, es könnte einen
nichts mehr umwerfen.
Dieses Gottesbild geht nicht von
einem personalen Gott aus, sondern
von einer „kosmischen Kraft“, die
einfach da ist.
Er ist ein Gott für Erfolgreiche. „Hilf
dir selbst, dann hilft dir Gott!“ ist ein
bewährter Spruch.
Dieser Gott straft alle Sünden sofort
oder im Jenseits und ist in der
Erziehung ein verlängerter Arm der
Eltern.
Nicht nur Kinder stellen sich Gott als
einen alten, weisen Mann mit Glatze
und weißem, langen Bart vor. Ein
„guter Mensch“, harmlos und lieb.
„modern“
Aufgabe: Beurteile, ob die einzelnen Gottesbilder überholt („Ladenhüter“ Magritte) oder
durchaus „modern“ sind und begründe deine Entscheidungen.
Gotteslehre (3): Frau Bertholds wechselhafte Beziehungen zum
lieben Gott (S. Kilian)
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Als Frau Berthold noch ein kleines Mädchen war und noch Lotte Gebhard hieß, waren
ihre Beziehungen zum lieben Gott gut. Überhaupt stellte sie ihn sich so vor: erst mal
und vor allen Dingen lieb. Als alten weißhaarigen Mann mit ebenso weißem
Rauschebart. Irgendwie ähnelte das Bild, das sie sich von ihm machte, ein wenig dem
Weihnachtsmann.
Dass er auch zornig sein konnte, erfuhr sie später. Als sie in den Kommunionunterricht
ging und lernte, dass Sünden, wie zum Beispiel das Lutschen eines geklauten Bonbons
oder das Essen von Fleisch an einem Freitag, gebeichtet und gesühnt werden müssen.
Da fingen ihre Beziehungen zum lieben Gott an, wechselhaft zu werden. Manchmal
liebte sie ihn: Wenn sie in der Kirche war, und der Weihrauch duftete und der
Kirchenchor sang, und alles war festlich und feierlich im Flackern der Kerzen und
Murmeln der Gebete.
Manchmal fürchtete sie ihn: Wenn sie ihre kleinen Kindersünden beichten musste und
sich schon im Fegefeuer büßen sah wegen einer ungehorsamen Antwort gegen die
Mutter. Oder noch viel schlimmer: sich in der Hölle in einem großen Topf braten sah.
(Jedenfalls stellte sie sich das damals so vor.) Besonders schwere Strafen für besonders
schwere Vergehen.
Trotzdem. Lotte Gerhard war nicht gerade ein frommes Kind. Zu ihrer Zeit ging man
eben jeden Sonntag in die Kirche. Das gehörte sich so. Und dass man zur Kommunion
oder Konfirmation zu gehen hatte, verstand sich auch von selbst. Da wurde nicht viel
gefragt. Schon gar nicht die Kinder.
Und als aus Lotte Gerhard dann Frau Berthold -wurde - klar, nicht nur Standesamt, nein:
weiße Hochzeit mit Schleier, Myrtenkranz und allem Drum und Dran in der Kirche.
Nun war Frau Berthold erwachsen. Der liebe Gott ihrer Kindheit rückte in imitier
fernere Himmel. Sonntags hatte sie keine Zeit mehr, in die Kirche zu gehen. Da waren
die kleinen Kinder, die sie versorgen musste. Ihre Beziehungen zum lieben Gott
schliefen ein bisschen ein. Ein Kirchbesuch zu Weihnachten, mal einer zu Ostern. Hier
und da ein bitteres Gebet, wenn sie gar nicht weiter wusste. Manchmal dann, wenn das
Übel vorbei war, ein Dankgebet. Voll schlechten Gewissens, weil sie so wenig an Gott
dachte.
Aber ihre Kinder waren getauft. Sie gingen jeden Sonntag zur Kirche. Das gehörte sich
so. Das musste so sein. „Also, was ihr später macht, das ist eure Sache. Aber solange ihr
Kinder seid, habt ihr jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. Das schadet euch nicht. Das
kann euch nur nützen", pflegte sie zu ihren Kindern zu sagen, wenn die maulten. Ja.
Je älter Frau Berthold wurde, desto blasser und blasser wurde das Bild, das sie sich vom
lieben Gott machte. Überhaupt, lieb war er schon lange nicht mehr für sie. Er war
einfach Gott. Und es war ihr sehr, sehr zweifelhaft, ob es ihn überhaupt gab. Da
brauchte sie nur an das schreiende Unrecht und die schweren
Schicksale zu denken, die es überall in der Welt gibt. Wenn es einen lieben Gott gäbe,
dann dürfte er so etwas überhaupt nicht zulassen.
Jedem, der es hören wollte, sagte sie: „Also, nehmen Sie doch mal unsere Kirche. Da
bezahlen wir Kirchensteuer. Und was machen sie damit? Paläste von Kirchen bauen sie.
Immer neue. Und der Bischof läuft rum, behängt von oben bis unten mit Zierrat und
Gold. Und in den Kirchen ist auch ein Reichtum wie Gott weiß was! Und die Armen?
Würden sie lieber für die was tun! Schließlich ist unser Herr Jesus in 'nein ärmlichen
Stall geboren. Ohne Prunk und Pracht. Wenn der gewusst hätte, was die mal für ' nen
Protz draus machen! Nein, nein, die ganze Kirche mit allem was dazugehört, kann mir
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gestohlen bleiben. Das ist meine Meinung! Jawohl!" Für eine Zeitlang war Gott aus dem
Leben Frau Bertholds ganz verschwunden. Später waren ihre Kinder verheiratet. Der
Sohn in Amerika. Die Tochter in einer anderen Stadt. Alle beide weit, weit weg von ihr.
Sie hatte Enkelkinder. Aber die kannte sie fast nur von Fotos. Da starb ihr Mann. Sie
war allein. Ganz allein.
Und dann wurde sie auch noch krank. So, dass sie sich nicht mehr allein versorgen
konnte und in ein Pflegeheim musste. Es war ein preiswertes, von Nonnen geleitetes
Heim. Ein anderes hätte sie sich gar nicht leisten können. Und überall hingen
Heiligenbilder und Kreuze, und eine Kapelle gab es auch. Jeden Sonntag wurde dort
eine Messe gelesen für die Kranken. Ausschließen konnte sie sich da nicht. Auch nicht,
wenn morgens, mittags und abends vor und nach dem Essen gebetet wurde. Das ging
einfach nicht. Die Nonnen waren so nett. Und Frau Berthold mochte sie nicht kränken
und außerdem: Sie war jetzt so allein. Und einsam.
Manchmal, in der Nacht, wenn sie wach lag und nicht wieder einschlafen konnte, quälte
sie der Gedanke, dass sie nicht mehr gesund werden würde. Dass sie bald sterben
müsste. Der Tod machte ihr solche Angst.
Sie fühlte sich schwach und hilflos wie ein winziges Kind. Und hoffte nur eins: es gibt
ihn, den lieben Gott. Er wird mir verzeihen, dass ich eine Zeitlang ungläubig war. Er
wird mich hoffentlich in den Himmel kommen lassen. Wird er das?
Der Gedanke an den alles verzeihenden, lieben, gütigen Gott ihrer Kindertage in einem
hellen, lichten, fröhlichen Himmel war ihr einziger Trost, Für Frau Berthold gab es ja
sonst nichts mehr. Ihre Beziehungen zum lieben Gott, einmal wieder aufgenommen,
wurden so gut wie niemals zuvor. Jedenfalls von ihrer Seite.
Gotteslehre (4): Angelus Silesius*: „Der Cherubinische
Wandersmann“
Man kann den höchsten Gott mit allen Namen nennen,
man kann Ihm wiederum nicht einen zuerkennen.
Was du von Gott bejahst, dasselb´ ist mehr erlogen
Als wahr: weil du Ihn nur nach dem Geschöpf erwogen.
Gott ist ein laut´rer Blitz und auch ein dunkles Nicht,
das keine Kreatur beschaut mit ihrem Licht.
Gott ist ein Geist, ein Feu´r, ein Wesen und ein Licht,
und ist doch wiederum auch dieses alles nicht.
Was Gott ist, weiß man nicht: Er ist nicht Licht, nicht Geist,
nicht Wahrheit, Einheit, Eins, nicht was man Gottheit heißt,
nicht Weisheit, nicht Verstand, nicht Liebe, Wille, Güte,
kein Ding, kein Unding auch, kein Wesen, kein Gemüte:
Er ist, was ich und du und keine Kreatur,
eh´ wir geworden sind, was ER ist, nie erfuhr.
Gott ist nur eigentlich, Er liebt und lebet nicht,
wie man von mir und dir und andern Dingen spricht.
Das überlichte Licht schaut man in diesem Leben
Nicht besser, als wenn man ins Dunkle sich begeben.
*Angelus Silesius (1624-1677) ist einer der bekanntesten schlesischen Barockdichter.
Die „analoge Rede“ von Gott
Wenn wir philosophisch von etwas „Nicht-Empirischen“ sprechen
sollen, dann geht das nur vom „Empirischen“ aus, das in einem
bestimmten Verhältnis zum „Nicht-Empirischen“ steht. Dies geschieht
in der analogen Rede!
Empirisches Nicht-Empirisches
Es gibt zwei Varianten der analogen Rede:
1. Die Proportionsanalogie
Gott =
Gerecht
Gütig
allwissend
Allmächtig
Schöpfer
 gerecht/ungerecht
 gut/böse
 wissend/unwissend = Mensch
<-- mächtig/ohnmächtig
 schöpferisch
Prinzip: Ähnlichkeit bei noch größerer Unähnlichkeit
2. Die Proportionalitätsanalogie
Die metaphorische Rede bedient sich der Proportionalitätsanalogie
(z.B. Gleichnisse)
Beispiel: Der Mensch verhält sich zu Gott wie das Vieleck zum
Kreis (N. v. Kues)
Gotteslehre (6): Ludwig Feuerbach (1804-1874)
Gott war mein erster Gedanke,
die Vernunft mein zweiter,
der Mensch mein dritter und
letzter Gedanke!
Gotteslehre (6): Religionskritik I - Die Projektionstheorie von
Ludwig Feuerbach (1804-74)
Und hier gilt daher ohne alle Einschränkung der Satz: Der Gegenstand des Menschen ist
nichts anderes als sein gegenständliches Wesen selbst. Wie der Mensch denkt, wie er gesinnt
ist, so ist sein Gott: so viel Wert der Mensch hat, so viel Wert und nicht mehr hat sein Gott.
Das Bewusstsein Gottes ist das Selbstbewusstsein des Menschen, die Erkenntnis Gottes, die
Selbsterkenntnis des Menschen. Aus seinem Gotte erkennst Du den Menschen, und wiederum
aus dem Menschen seinen Gott; beides ist eins. Was dem Menschen Gott ist, das ist sein
Geist, seine Seele, und was des Menschen Geist, seine Seele, sein Herz, das ist sein Gott: Gott
ist das offenbare Innere, das ausgesprochene Selbst des Menschen; die Religion die feierliche
Enthüllung der verborgenen Schätze des Menschen, das Eingeständnis seiner innersten
Gedanken, das öffentliche Bekenntnis seiner Liebesgeheimnisse.
Kernthese 1:
Und unsere Aufgabe ist es eben, nachzuweisen dass der Gegensatz des Göttlichen und
Menschlichen ein illusorischer, d. h., dass er nichts anderes ist als der Gegensatz zwischen
dem menschlichen Wesen und dem menschlichen Individuum, dass folglich auch der
Gegenstand und Inhalt der christlichen Religion ein durchaus menschlicher ist.
Die Religion, wenigstens die christliche, ist das Verhalten des Menschen zu sich selbst, oder
richtiger: zu seinem Wesen, aber das Verhalten zu seinem Wesen als zu einem anderen
Wesen. Das göttliche Wesen ist nichts anderes als das menschliche Wesen oder besser: das
Wesen des Menschen, abgesondert von den Schranken des individuellen, d. h. wirklichen,
leiblichen Menschen, vergegenständlicht, d. h. angeschaut und verehrt als ein anderes, von
ihm unterschiedenes, eigenes Wesen - alle Bestimmungen des göttlichen Wesen sind darum
Bestimmungen des menschlichen Wesens.
Kernthese 2:
In Beziehung auf die Prädikate, d.h. die Eigenschaften oder Bestimmungen Gottes wird dies
denn auch ohne Anstand zugegeben, aber keineswegs in Beziehung auf das Subjekt, d.h. das
Grundwesen dieser Prädikate. Die Verneinung des Subjekts gilt für Irreligiosität, für
Atheismus, nicht aber die Verneinung der Prädikate. Aber was keine Bestimmungen hat, das
hat auch keine Wirkungen auf mich; was keine Wirkungen, auch kein Dasein für mich. Alle
Bestimmungen aufheben, ist soviel als das Wesen selbst aufheben. Ein bestimmungsloses
Wesen ist ein ungegenständliches Wesen, ein ungegenständliches Wesen ein nichtiges Wesen.
Wo daher der Mensch alle Bestimmungen von Gott entfernt, da ist ihm Gott nur noch ein
negatives, d.h. nichtiges Wesen.
Beweis:
1. Voraussetzung:
2. Voraussetzung:
3. Schluss:
Nicht die Eigenschaft der Gottheit, sondern die Göttlichkeit oder Gottheit der Eigenschaft ist
das erste wahre göttliche Wesen. Also das, was der Theologie und Philosophie bisher für
Gott, für das Absolute, Wesenhafte galt, das ist nicht Gott; das aber, was ihr nicht für Gott
Quelle: L. Feuerbach Das Wesen der Religion, hrsg. von A. Esser. 3. Auflage Heidelberg 1979, S.
galt,95-98.
das gerade ist Gott - d. i. die Eigenschaft, die Qualität, die Bestimmtheit, die
Wirklichkeit überhaupt. Ein wahrer Atheist, d.h. ein Atheist im gewöhnlichen Sinne, ist
daher auch nur der, welchem die Prädikate des göttlichen Wesens, wie z. B. die Liebe, die
Weisheit, die Gerechtigkeit nicht sind, aber nicht der, welchem nur das Subjekt dieser
Prädikate nichts ist. Und keineswegs ist die Verneinung des Subjekts auch notwendig
zugleich die Verneinung der Prädikate an sich selbst. Die Prädikate haben eine eigene,
selbständige Bedeutung; sie drängen durch ihren Inhalt dem Menschen ihre Anerkennung
auf; sie erweisen sich ihm unmittelbar durch sich selbst als wahr: sie betätigen, bezeugen sich
selbst. Güte, Gerechtigkeit, Weisheit sind dadurch keine Chimären, dass die Existenz Gottes
eine Chimäre, noch dadurch Wahrheiten, dass diese eine Wahrheit ist. Der Begriff Gottes ist
abhängig vom Begriffe der Gerechtigkeit, der Güte, der Weisheit, - ein Gott, der nicht gütig,
nicht gerecht, nicht weise, ist kein Gott - aber nicht umgekehrt.
Eine Qualität ist nicht dadurch göttlich, dass sie Gott hat, sondern Gott hat sie, weil sie an
und für sich selbst göttlich ist, weil Gott ohne sie ein mangelhaftes Wesen ist. Die
Gerechtigkeit, die Weisheit, überhaupt jede Bestimmung, welche die Gottheit Gottes
ausmacht, wird durch sich selbst bestimmt und erkannt, Gott aber durch die Bestimmung, die
Qualität; nur in dem Falle, dass ich Gott und die Gerechtigkeit als dasselbe, Gott unmittelbar
als die Wirklichkeit der Idee der Gerechtigkeit oder irgendeiner anderen Qualität denke,
bestimme ich Gott durch sich selbst. Wenn aber Gott als Subjekt das Bestimmte, die Qualität,
das Prädikat aber das Bestimmende ist, so gebührt ja in Wahrheit dem Prädikat, nicht dem
Subjekt der Rang des ersten Wesens, der Rang der Gottheit.
Quelle: L. Feuerbach Das Wesen der Religion, hrsg. von A. Esser. 3. Auflage Heidelberg
1979, S. 97 f., 110 f.
Kernthese 3:
Aufgabe: Arbeite aus dem Text die drei Kernthesen und den Beweis der dritten
These heraus!
Gotteslehre (7): Religionskritik I - Die Projektionstheorie von
Ludwig Feuerbach (1804-74) (2)
„Der Mensch glaubt Götter nicht nur, weil er Phantasie und
Gefühl hat, sondern auch, weil er den Trieb hat, glücklich zu sein. Er
glaubt ein seliges Wesen, nicht nur, weil er eine Vorstellung der
Seligkeit hat, sondern weil er selbst selig sein will; er glaubt ein
vollkommenes Wesen, weil er selbst vollkommen zu sein wünscht; er
glaubt ein unsterbliches Wesen, weil er selbst nicht zu sterben
wünscht. Was er selbst nicht ist, aber zu sein wünscht, das stellt er
sich in seinen Göttern als seiend vor; die Götter sind die als wirklich
gedachten, die in wirkliche Wesen verwandelten Wünsche des
Menschen; ein Gott ist der in der Phantasie befriedigte
Glückseligkeitstrieb des Menschen. Hätte der Mensch keine Wünsche,
so hätte er trotz Phantasie und Gefühl keine Religion, keine Götter.
Und so verschieden die Wünsche, so verschieden sind die Götter, und
die Wünsche sind so verschieden, als es die Menschen selbst sind. Der
Trieb, aus dem die Religion hervorgeht, ihr letzter Grund ist der
Glückseligkeitstrieb, und wenn dieser Trieb etwas Egoistisches ist,
also der Egoismus.
aus: L. Feuerbach: Das Wesen der Religion. 1841. Zit. Nach der Ausgabe Reclam Verlag,
Stuttgart 1969, S. 53ff.
Gotteslehre (7): Schaubild der Projektionstheorie von Ludwig
Feuerbach
Gotteslehre (7): Religionskritik I – Die Projektionstheorie von
Ludwig Feuerbach (3)
„Wenn die Götter Wunschwesen sind,
so folgt daraus für ihre Existenz
oder Nicht-Existenz
gar nichts!“
(Eduard v. Hartmann)
Feuerbach hat seinen Atheismus auch geschichtsphilosophisch
begründet: Er verkündet, dass die Zeit des Christentums
unwiderruflich abgelaufen sei und wir in einer „Periode des
Untergangs des Christentums“ lebten:
„An die Stelle des Glaubens
ist der Unglaube getreten,
an die Stelle der Bibel die Vernunft,
an die Stelle der Religion und Kirche die Politik,
an die Stelle des Himmels die Erde,
des Gebetes die Arbeit,
der Hölle die materielle Not,
an die Stelle des Christen der Mensch.“
(L. Feuerbach: Sämtliche Werke, hrsg. v. Bolin-Jodl Bd. II
(Stuttgart 1904), S. 217)
Gotteslehre (7): Kritik an der Religionskritik Feuerbachs I
Nun ist es ganz richtig, dass darum etwas noch nicht
existiert, weil man es wünscht, aber es ist nicht richtig, dass
darum etwas nicht existieren könne, weil man es wünscht. ...
Wenn die Götter Wunschwesen sind, so folgt daraus für ihre
Existenz oder Nichtexistenz gar nichts.“ (Eduard v.
Hartmann)
1.Beantworten Sie mit Hilfe des Zitates von Hartmann sowie der unten angeführten
Skizze die folgende Frage:
Ist Brot lediglich/ausschließlich eine Projektion des Hungers,
weil es dem menschlichen Wunsch nach Sättigung entspricht?
2.Entwerfen Sie analog zu der obigen Skizze eine Skizze über das Verhältnis
Mensch und Gott!
3. Verwenden Sie die erarbeiteten Informationen und halten Sie in einigen
Stichpunkten fest, inwieweit sich hieraus eine Kritik an Feuerbachs Theorie ableiten
lässt.
Gotteslehre (7): Kritik an der Religionskritik Feuerbachs II
„...der von den Menschen sehnsüchtig erwartete Messias
wurde als Obdachlosenkind im Stall geboren und am
Kreuz als politischer Aufrührer unschuldig hingerichtet.“
(Peter Kliemann)
Quelle: http://www.spiegel.de/img/0,1020,338456,00.jpg
1. Welche Eigenschaften des christlichen Gottes kommen im Zitat/ Bild zum
Ausdruck?
2. Erklären Sie in wenigen Stichpunkten, weshalb diese Eigenschaften des
christlichen Gottes im Kontrast zur Theorie Feuerbachs stehen!
Zitat entnommen aus:
Kliemann, Peter: Glauben ist menschlich. Argumente für die Torheit vom gekreuzigten Gott. Stuttgart
²1990. S. 28.
Gotteslehre (7): Kritik an der Religionskritik Feuerbachs III
„Der Glaube an die gute Menschennatur und den menschlichen
Fortschritt steht selber unter Projektionsverdacht.“ (Hans Küng)
„Wenn Feuerbach das Bild eines mündigeren, tatkräftigeren Menschen
der Zukunft malt, projiziert er außerdem selbst, er ‚hängt sein Herz’ an
einen Fortschrittsglauben, der im 19.Jahrhundert auf viele Menschen
faszinierend wirken musste, dessen negative Auswirkungen heute aber
niemand mehr übersehen kann.“ (Peter Kliemann)
1. Auf welchen Gedanken Feuerbachs beziehen sich die beiden Textauszüge?
2. Erklären Sie in einigen Stichpunkten, weshalb der Verdacht der Projektion
gegen Feuerbach selbst erhoben werden kann.
Zitate entnommen aus:
Küng, Hans. Zitiert nach: Marggraf, Eckhart; Eberhard, Röhm: Gottes verborgene Gegenwart. (=
Oberstufe Religion 19). Stuttgart 1988. S.49.
Kliemann, Peter: Glauben ist menschlich. Argumente für die Torheit vom gekreuzigten Gott. Stuttgart
²1990. S. 28.
Gotteslehre (8): AB zur Religionskritik von Freud
Z. 1-24: _Religion =_______________________________________________________
Beispiele:
Z. 25-39: _______________________________________________________________
Aspekte:
Z. 40ff.: __Analogie von_____________________________________________
Beispiele:
Konsequenzen:
Gotteslehre (8): Die Religionskritik von S. Freud (1856-1939) I:
Was ist eine Illusion?
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Eine Illusion ist nicht dasselbe wie ein Irrtum, sie ist auch nicht notwendig ein Irrtum.
Die Meinung des Aristoteles, dass sich Ungeziefer aus Unrat entwickle, an der das
unwissende Volk noch heute festhält, war ein Irrtum, ebenso die einer früheren
ärztlichen Generation, dass die Tabes dorsalis die Folge von sexueller Ausschweifung
sei. Es wäre missbräuchlich, diese Irrtümer Illusionen zu heißen.
Dagegen war es eine Illusion des Kolumbus, dass er einen neuen Seeweg nach Indien
entdeckt habe. Der Anteil seines Wunsches an diesem Irrtum ist sehr deutlich. Als
Illusion kann man die Behauptung gewisser Nationalisten bezeichnen, die
Indogermanen seien die einzige kulturfähige Menschenrasse, oder den Glauben, den
erst die Psychoanalyse zerstört hat, das Kind sei ein Wesen ohne Sexualität.
Für die Illusion bleibt charakteristisch die Ableitung aus menschlichen Wünschen, sie
nähert sich in dieser Hinsicht der psychiatrischen Wahnidee, aber sie scheidet sich,
abgesehen von dem komplizierteren Aufbau der Wahnidee, auch von dieser. An der
Wahnidee heben wir als wesentlich den Widerspruch gegen die Wirklichkeit hervor, die
Illusion muss nicht notwendig falsch, d. h. unrealisierbar oder im Widerspruch mit der
Realität sein.
Ein Bürgermädchen kann sich z. B. die Illusion machen, dass ein Prinz kommen wird,
um sie heimzuholen. Es ist möglich, einige Fälle dieser Art haben sich ereignet. Dass
der Messias kommen und ein goldenes Zeitalter begründen wird, ist weit weniger
wahrscheinlich; je nach der persönlichen Einstellung des Urteilenden wird er diesen
Glauben als Illusion oder als Analogie einer Wahnidee klassifizieren. Beispiele von
Illusionen, die sich bewahrheitet haben, sind sonst nicht leicht aufzufinden. Aber die
Illusion der Alchemisten, alle Metalle in Gold verwandeln zu können, könnte eine
solche sein. Der Wunsch, sehr viel Gold, soviel Gold als möglich zu haben, ist durch
unsere heutige Einsicht in die Bedingungen des Reichtums sehr gedämpft, doch hält die
Chemie eine Umwandlung der Metalle in Gold nicht mehr für unmöglich.
Wir heißen also einen Glauben eine Illusion, wenn sich in seiner Motivierung die
Wunscherfüllung vordrängt, und sehen dabei von seinem Verhältnis zur Wirklichkeit
ab, ebenso wie die Illusion selbst auf ihre Beglaubigungen verzichtet.
Aus: S. Freud: Die Zukunft einer Illusion. 1927, S. 97f.
Aufgabe: Erläutere an selbst gewählten Beispielen den Unterschied zwischen Illusion, Irrtum
und Wahnidee nach Freud!
Gotteslehre (8): Die Religionskritik von S. Freud - Grundbegriffe
Irrtum
Kriterium
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Illusion
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Gotteslehre (8): Die Religionskritik von S. Freud (1856-1939) II
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In vergangenen Zeiten haben die religiösen Vorstellungen trotz ihres unbestreibbaren
Mangels an Beglaubigung den allerstärksten Einfluss auf die Menschheit geübt. Das ist
ein neues psychologisches Problem. Man muss sich fragen,
- worin besteht die innere Kraft dieser Lehren,
- welchem Umstand verdanken sie ihre von der vernünftigen Anerkennung
unabhängige Wirksamkeit?
Ich meine, wir haben die Antwort auf beide Fragen genügend vorbereitet. Sie ergibt
sich, wenn wir die psychische Genese der religiösen Vorstellungen ins Auge fassen.
Diese, die sich als Lehrsätze ausgeben, sind nicht Niederschläge der Erfahrung oder
Endresultate des Denkens, es sind Illusionen, Erfüllungen der ältesten, stärksten,
dringendsten Wünsche der Menschheit; das Geheimnis ihrer Stärke ist die Stärke dieser
Wünsche. Wir wissen schon, der schreckende Eindruck der kindlichen Hilflosigkeit hat
das Bedürfnis nach Schutz - Schutz durch Liebe - erweckt, dem der Vater abgeholfen
hat, die Erkenntnis von der Fortdauer dieser Hilflosigkeit durchs ganze Leben hat das
Festhalten an der Existenz eines - aber nun mächtigeren Vaters - verursacht. Durch das
gütige Walten der göttlichen Vorsehung wird die Angst vor den Gefahren des Lebens
beschwichtigt, die Einsetzung einer sittlichen Weltordnung versichert die Erfüllung der
Gerechtigkeitsforderung, die innerhalb der menschlichen Kultur so oft unerfüllt
geblieben ist, die Verlängerung der irdischen Existenz durch ein zukünftiges Leben stellt
den örtlichen und zeitlichen Rahmen bei, in dem sich diese Wunscherfüllungen
vollziehen sollen. Antworten auf Rätselfragen der menschlichen Wissbegierde, wie nach
der Entstehung der Welt und der Beziehung zwischen Körperlichem und Seelischem
werden unter den Voraussetzungen dieses Systems entwickelt; es bedeutet eine
großartige Erleichterung für die Einzelpsyche, wenn die nie ganz überwundenen
Konflikte der Kinderzeit aus dem Vaterkomplex ihr abgenommen und einer von allen
angenommenen Lösung zugeführt werden.
Wenn ich sage, das alles sind Illusionen, muss ich die Bedeutung des Wortes abgrenzen.
(…)
Wenden wir uns nach dieser Orientierung wieder zu den religiösen Lehren, so dürfen
wir wiederholend sagen: Sie sind sämtlich Illusionen, unbeweisbar, niemand darf
gezwungen werden, sie für wahr zu halten, an sie zu glauben. Einige von ihnen sind so
unwahrscheinlich, so sehr im Widerspruch zu allem, was wir mühselig über die Realität
der Welt erfahren haben, dass man sie - mit entsprechender Berücksichtigung der
psychologischen Unterschiede - den Wahnideen vergleichen kann. Über den
Realitätswert der meisten von ihnen kann man nicht urteilen. So wie sie unbeweisbar
sind, sind sie auch unwiderlegbar. Man weiß noch zu wenig, um ihnen kritisch näher zu
rücken. Die Rätsel der Welt entschleiern sich unserer Forschung nur langsam, die
Wissenschaft kann auf viele Fragen heute noch keine Antwort geben. Die
wissenschaftliche Arbeit ist aber für uns der einzige Weg, der zur Kenntnis der Realität
außer uns führen kann. Es ist wiederum nur Illusion, wenn man von der Intuition und
der Selbstversenkung etwas erwartet; sie kann uns nichts geben als - schwer deutbare
Aufschlüsse über unser eigenes Seelenleben, niemals Auskunft über die Fragen, deren
Beantwortung der religiösen Lehre so leicht wird. (…)
Es ist nicht gut, Begriffe weit weg von dem Boden zu versetzen, auf dem sie erwachsen
sind, aber wir müssen der Übereinstimmung Ausdruck geben. Über das Menschenkind
wissen wir, dass es seine Entwicklung zur Kultur nicht gut durchmachen kann, ohne
durch eine bald mehr, bald minder deutliche Phase von Neurose zu passieren. Das
kommt daher, dass das Kind so viele der für später unbrauchbaren Triebansprüche nicht
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durch rationelle Geistesarbeit unterdrücken kann, sondern durch Verdrängungsakte
bändigen muss, hinter denen in der Regel ein Angstmotiv steht. Die meisten dieser
Kinderneurosen werden während des Wachstums spontan überwunden, besonders die
Zwangsneurosen der Kindheit haben dies Schicksal. Mit dem Rest soll auch noch später
die psychoanalytische Behandlung aufräumen.
In ganz ähnlicher Weise hätte man anzunehmen, dass die Menschheit als Ganzes in
ihrer säkularen Entwicklung in Zustände gerät, welche den Neurosen analog sind, und
zwar aus denselben Gründen, weil sie in den Zeiten ihrer Unwissenheít und
intellektuellen Schwäche die für das menschliche Zusammenleben unerlässlichen
Triebverzichte nur durch rein affektive Kräfte zustande gebracht hat. Die Niederschläge
der in der Vorzeit vorgefallenen verdrängungsähnlichen Vorgänge hafteten. der Kultur
dann noch lange an. Die Religion wäre die allgemein menschliche Zwangsneurose, wie
die des Kindes stammte sie aus dem Ödipuskomplex, der Vaterbeziehung. Nach dieser
Auffassung wäre vorauszusehen, dass sich die Abwendung von der Religion mit der
schicksalsmäßigen Unerbittlichkeit eines Wachstumsvorganges vollziehen muss, und
dass wir uns gerade jetzt mitten in dieser Entwicklungsphase befinden.
Unser Verhalten sollte sich dann nach dem Vorbild eines verständigen Erziehers
richten, der sich einer bevorstehenden Neugestaltung nicht widersetzt, sondern sie zu
fördern und die Gewaltsamkeit ihres Durchbruchs einzudämmen sucht. Das Wesen der
Religion ist mit dieser Analogie allerdings nicht erschöpft. Bringt sie einerseits
Zwangseinschränkungen, wie nur eine individuelle Zwangsneurose, so enthält sie
anderseits ein System von Wunschillusionen mit Verleugnung der Wirklichkeit, wie wir
es isoliert nur bei einer Amentia, einer glückseligen halluzinatorischen Verworrenheit,
finden. Es sind eben nur Vergleichungen, mit denen wir uns um das Verständnis des
sozialen Phänomens bemühen, die Individualpathologie gibt uns kein vollwertiges
Gegenstück dazu.
Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden (von mir und besonders von Th. Reik), bis
in welche Einzelheiten sich die Analogie der Religion mit einer Zwangsneurose
verfolgen, wie viel von den Sonderheiten und den Schicksalen der Religionsbildung sich
auf diesem Wege verstehen lässt. Es stimmt dazu auch gut, dass der Frommgläubige in
hohem Grade gegen die Gefahr gewisser neurotischer Erkrankungen geschützt ist; die
Annahme der allgemeinen Neurose überhebt ihn der Aufgabe, eine persönliche Neurose
auszubilden. (…)
Je mehr die Schätze unseres Wissens den Menschen zugänglich werden, desto mehr
verbreitet sich der Abfall vom religiösen Glauben.
Gewiss wird der Mensch sich dann in einer schwierigen Situation befinden, er wird sich
seine ganze Hilflosigkeit, seine Geringfügigkeit im Getriebe der Welt eingestehen
müssen, nicht mehr der Mittelpunkt der Schöpfung, nicht mehr das Objekt zärtlicher
Fürsorge einer gütigen Vorsehung. Er wird in derselben Lage sein wie das Kind,
welches das Vaterhaus verlassen hat, in dem es ihm so warm und behaglich war. Aber
nicht wahr, der Infantilismus ist dazu bestimmt, überwunden zu werden? Der Mensch
kann nicht immer Kind bleiben, er muss endlich hinaus, hinaus ins „feindliche Leben“.
Aus: S. Freud: Die Zukunft einer Illusion. 1927
Aufgabe: Lest aufmerksam den Text und unterteilt ihn in drei, höchstens 4 Sinnabschnitte und
formuliert zu diesen Abschnitten Überschriften!
Arbeitsblatt zur Religionskritik von Marx
Zeile
Inhalt
1 - 12
Basis der Religionskritik:
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- Mensch =
Religion =
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46
- Religionskritik =
Was meint Marx mit „Kette“ (Z. 33f.) und mit der Entlarvung der
„Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten“ (Z.43f.)?
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- Konsequenz: Kategorischer Imperativ =
Gotteslehre (9): Die Religionskritik von K. Marx
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Für Deutschland ist die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt, und die Kritik der
Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.
Die profane Existenz des Irrtums ist kompromittiert, nachdem seine himmlische oratio
pro aris et focis widerlegt ist. Der Mensch, der in der phantastischen Wirklichkeit des
Himmels, wo er einen Übermenschen suchte, nur den Widerschein seiner selbst
gefunden hat, wird nicht mehr geneigt sein, nur den Schein seiner selbst nur den
Unmenschen zu finden, wo er seine wahre Wirklichkeit sucht und suchen muss.
Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion
macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewusstsein und das
Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon
wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes
Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät. Dieser Staat, diese
Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewusstsein, weil sie eine
verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr
enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer
Point-d'honneur ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung,
ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische
Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre
Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen
jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.
Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die
Protestation gegen, das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten
Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie
ist das Opium des Volks.
Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung
seines wirklichen Glücks: Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand
aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die
Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein
die
Religion
ist.
Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch
die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die
lebendige Blume breche. Die Kritik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er
denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter, zu Verstand
gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne
bewege. Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt,
solange
er
sich
nicht
um
sich
selbst
bewegt.
Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit
verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Es ist zunächst die Aufgabe
der Philosophie, die im Dienste der Geschichte steht nachdem die Heiligengestalt der
menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen
Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der
Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die
Kritik der Politik.
Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den
Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in
denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches
Wesen ist, Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als durch einen Ausruf
eines Franzosen bei einer projektierten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie
Menschen behandeln.
(Aus Marx/Engels-Werke, Bd. 1, 378ff.)
oratio pro aris et focis: Rede für Altäre und Herdstellen
Point-d'honneür: der Ehrenstandpunkt
Gotteslehre (9): Das Basis-Überbau-Schema bei K. Marx
5
In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte,
notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse,
die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen.
Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der
Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Oberbau erhebt
und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die
Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen
Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein,
sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.
10 Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der
Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was
nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren
sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen
diese Verhältnisse in Fesseln derselben um: Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution
15 ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure
Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muss
man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu
konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den
juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz,
20 ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewusst werden und
ihn ausfechten. Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es
sich selbst dünkt, ebenso wenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem
Bewusstsein beurteilen, sondern muss vielmehr dies Bewusstsein aus den Widersprüchen
des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen
25 Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären. Eine Gesellschaftsformation
geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und
neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen
Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet
worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann,
30 denn genauer betrachtet wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo
die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess
ihres Werdens begriffen sind. In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und
modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen
Gesellschaftsformation bezeichnet werden. Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse
35 sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses,
antagonistisch nicht im Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den
gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervor wachsenden Antagonismus,
aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte
schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit
40 dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen
Gesellschaft ab.
Aus: MEW, Bd. 13, S. 8/9.
Aufgabe:
Stelle die Theorie von Basis und Überbau in einem Schaubild dar!
Baue in dieses Schaubild folgende Begrifflichkeiten ein: Produktivkräfte,
Produktionsverhältnisse, Staat, Recht, Kultur, Philosophie, Religion, Basis, Überbau ...
Gotteslehre (9): Die Religionskritik von K. Marx
„Feuerbach löst das religiöse Wesen in das
menschliche Wesen auf.
Aber das menschliche Wesen ist kein
dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum.
In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble
gesellschaftlichen Verhältnisse.“
der
(K. Marx: 6. These über Feuerbach)
Gotteslehre (10): Zusammenfassende Kritik des
Atheismus von Hans Küng (geb. 1928)
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Die entscheidenden Argumente für seinen persönlichen Atheismus hat Freud im
wesentlichen von Feuerbach und dessen Nachfolgern übernommen : "Ich habe bloß dies ist das einzig Neue an meiner Darstellung - der Kritik meiner großen Vorgänger
etwas psychologische Begründung hinzugefügt", sagt Freud bescheiden und richtig
zugleich. Schon bei Feuerbach, so sahen wir, findet sich eine psychologische
Begründung des Atheismus: Wünsche, Phantasie oder Einbildungskraft sind für die
Projektion des Gottesgedankens und der ganzen religiösen Schein- oder Traumwelt
verantwortlich. Wie schon die Opiums-Theorie von Marx, so gründet auch die
Illusions-Theorie Freuds in der Projektions-Theorie Feuerbachs. Neu ist im
Wesentlichen nur Freuds psychoanalytische Vertiefung.
Aber das bedeutet nun für die Kritik des Freudschen Atheismus: Die Gründe, die
gegen Feuerbachs (und Marx) Atheismus, insbesondere gegen seine psychologischen
und geschichtsphilosophischen Beweisgänge angeführt werden mussten, treffen auch
für den Atheismus Freuds zu. Und insofern sich der Atheismus Feuerbachs (und
Marx') als eine letztlich nicht stringent begründete Hypothese erwiesen hat, muss nun
auch der Atheismus Freuds als eine letztlich nicht stringent begründete Hypothese
erscheinen...
Es sei dies aber doch kurz im Hinblick auf Freuds zentrale religionskritische Aussage
konkretisiert: "Die religiösen Vorstellungen sind Erfüllung der ältesten, stärksten,
dringendsten Wünsche der Menschheit." Ganz richtig, so kann auch der
Gottesgläubige sagen. Und zugleich wird er zugeben: Gewiss kann Religion, wie
Marx aufzeigt, Opium, ein Mittel sozialer Beschwichtigung und Vertröstung
(Repression), sein. Aber: sie muss es nicht. Gewiss kann Religion, wie Freud aufzeigt,
Illusion, Ausdruck einer Neurose und psychischer Unreife (Regression), sein. Aber:
sie muss es nicht. Gewiss enthält alles menschliche Glauben, Hoffen, Lieben - auf
einen Menschen, eine Sache oder auf Gott bezogen - ein Moment der Projektion.
Aber: deshalb muss ihr Objekt nicht nur Projektion sein.
Gewiss kann der Glaube an Gott stark von der Einstellung des Kindes zum Vater
beeinflusst sein. Aber: deshalb kann Gott doch existieren.
Also: Nicht dass der Gottesglaube psychologisch erklärt werden kann, ist das
Problem. Psychologie oder nicht Psychologie ist hier eine falsche Alternative.
Psychologisch gesehen weist der Gottesglaube immer Strukturen und Gehalte einer
Projektion auf oder kann als reine Projektion verdächtigt werden. Auch jeder Liebende
projeziert notwendig sein eigenes Bild auf seine Geliebte. Aber heißt das, dass seine
Geliebte nicht existiert oder nicht doch wesentlich so existiert, wie er sie sieht und
sich denkt? Kann er sie mit seinen Projektionen nicht vielleicht sogar tiefer erfassen
als der, der sie als neutraler Beobachter von außen zu beurteilen versucht? Das Faktum
der Projektion also entscheidet nicht über Existenz oder Nicht-Existenz des Objekts,
auf das sie sich bezieht.
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Und hier hat auch der Freudsche Schluss vom Anomalen auf das Normale, vom
Neurotischen auf das Religiöse bei aller Berechtigung seine entschiedenen Grenzen.
Religion ist menschliches Wunschdenken? Und deshalb darf Gott nur ein
menschliches Wunschgebilde, eine infantile Illusion oder gar nur eine neurotische
Wahnidee sein? Dem Wunsch nach Gott, so argumentierten wir schon gegen
Feuerbach, kann durchaus ein wirklicher Gott entsprechen. Diese - noch eingehend zu
diskutierende - Möglichkeit hat auch Freud nicht ausgeschaltet. Und warum sollte man
das Wunschdenken ganz allgemein disqualifizieren? Ist Wünschen nicht ganz und gar
menschlich. Wünschen im Kleinen wie im großen, Wünschen in Bezug auf die Güter
dieser Erde, die Mitmenschen, die Welt und vielleicht doch auch - Gott?
Freilich steht es schlimm um einen religiösen Glauben, wenn er keine echten Gründe
hat oder in einer psychoanalytischen Behandlung keine Gründe übrig bleiben; das
wäre, auch wenn er sich noch so fromm gebärdet, ein unreifer, infantiler, unter
Umständen gar neurotischer Glaube. Aber ist ein Glaube schon darum schlecht und
spricht es schon gegen seine Wahrheit, weil in ihm - wie doch auch in der
Psychoanalyse! - alle möglichen triebhaften Motive, libidinösen Neigungen,
psychodynamischen Mechanismen, bewusste und unbewusste Wünsche mitspielen?
Aus: H. Küng, Existiert Gott? München 1978, S. 46ff., 338 f.
Auch der Atheismus lebt somit aus einem unabweisbaren Glauben: sei es der Glaube
an die Menschennatur (Feuerbach) oder der Glaube an die künftige sozialistische
Gesellschaft (Marx) oder der wissenschaftlichen Entwicklung (Freud). (…) So kann
jeder Atheismus gefragt werden, ob nicht er selbst eine begreifliche Projektion des
Menschen (Feuerbach), eine interessenbedingte Vertröstung (Marx) oder eine infantile
Illusion (Freud) sei.
Freilich: Weil der Atheismus sich als letztlich nicht begründet erweist, ist der
Gottesglaube noch keineswegs als begründet erwiesen: Lässt sich denn der
Gottesglaube seinerseits begründen, verifizieren? Wir scheinen erneut in einer PattSituation zu stehen.
Aus: H. Küng: 24 Thesen zur Gottesfrage. 1979, S. 46ff.
Gotteslehre (11): Einteilung der Gottesbeweise
Modelle zum
Vernunft
M1: Glaube und
Vernunft widersprechen
sich!
GI
VI
Verhältnis
M2: Glaube und
Vernunft ergänzen
sich!
Glaube
und
M3: Glaube und
Vernunft stimmen
überein! M3.1
GI
VI
M3.2
Einteilung der Gottesbeweise
Name
Prämissen
basieren
auf
Beispiele
Apriorische Gottesbeweise
Begriffliche oder logische Wahrheiten
Aposteriorische Gottesbeweise
Beobachtbare Phänomene
Ontologischer Gottesbeweis
Kosmologischer Gottesbeweis
Teleologischer Gottesbeweis
Kontingenzbeweis
Moralischer Beweis
Induktives Gottesargument
Mentales Argument
Wunderargument
Gotteslehre (11): Biographie Anselms von Canterbury
Im Leben Anselms von Canterbury, des großen Philosophen und Theologen aus dem 11.
Jahrhundert, geht es immerfort stürmisch zu. Das beginnt schon früh. Der Fünfzehnjährige
wünscht ins Kloster einzutreten. Aber der Vater, ein lombardischer Edelmann - von dem man
übrigens nicht viel mehr weiß, als dass er, im Gegensatz zu seiner sparsamen Frau, arg
verschwendungssüchtig ist -, wendet sich dagegen. Da sinnt der junge Anselm auf eine
fromme List. Er bittet Gott, ihn krank werden zu lassen, damit der Abt des Klosters gerührt
werde und seinem Wunsch willfahre. Anselm fällt auch wirklich in eine schwere Krankheit.
Der Abt, aufgestachelt vom Vater, lässt sich jedoch nicht erweichen. So bleibt Anselm nichts
übrig, als wieder gesund zu werden. Was denn auch tatsächlich rasch geschieht.
In reiferen Jahren tritt Anselm dann doch in die Abtei Bec in der Normandie ein und wird
rasch Prior und Abt. In seinen Amtsgeschäften bewährt er sich sehr, weil er, wie sein
zeitgenössischer Biograph berichtet, infolge seiner Erkenntnis Gottes auch eine große
Menschenkenntnis besitzt; nur dass er den Klosterschülern lateinische Deklination beibringen
muss, ärgert Anselm. Schließlich wird er Erzbischof von Canterbury und damit der führende
Kopf der englischen Kirche. Auch das vollzieht sich nicht ohne dramatische Begleitumstände.
Anselm will das Amt ablehnen. Da inszenieren seine geistlichen und weltlichen Freunde eine
Art von überfall. Als er sich am Krankenlager des Königs befindet, halten sie ihn fest, öffnen
ihm mit Gewalt die Faust und drücken ihm den Krummstab in die Hand. Dann tragen sie ihn
in die Kirche und stimmen das Tedeum an. Aller Protest Anselms hilft nichts. Am Ende muss
er gute Miene zum bösen Spiel machen und Erzbischof werden.
übrigens hat Anselm allen Grund, sich vor der erzbischöflichen Würde zu scheuen. Er wird
damit notgedrungen in die hohe Politik verwickelt, und das bringt ihm fast nichts als
Streitigkeiten ein. Es geht vor allem um die Frage, ob der König das Recht habe, den
Bischöfen die Investitur zu erteilen. Dadurch kommt Anselm, dem König und dem Papst
zugleich verpflichtet, in eine schwierige Lage; immerzu ist er von der Absetzung bedroht.
Gegen Ende seines Lebens wird er sogar für einige Zeit aus England verbannt. Die Situation
spitzt sich so zu, dass der König, als Anselm nach Rom reist, sein Gepäck untersuchen lässt,
unter dem Verdacht, er wolle Geld oder Wertsachen ins Ausland bringen. Schon vorher
schreibt Anselm verzweifelt an den Papst: »Nun bin ich schon vier Jahre Erzbischof und habe
gar nichts erreicht; ich habe unnütz in ungeheuren und abscheulichen Wirren meiner Seele
gelebt, so dass ich täglich eher wünsche, fern von England sterben zu dürfen, als dort leben zu
müssen.«
Umso bewundernswürdiger ist, dass Anselm in all diesen Stürmen Zeit und Ruhe findet, seine
gewichtigen Schriften zu verfassen. Mit ihnen legt er den Grund für die mittelalterliche
Philosophie und Theologie, und dies so sehr, dass man ihn in späteren Zeiten als den »Vater
der Scholastik« bezeichnet. Vor allem zwei Gedankenkreise sind es, in denen diese
Grundlegung sich vollzieht: Das Verhältnis des Denkens zum Glauben wird ins Reine
gebracht, und Anselm versucht sich an Beweisen für das Dasein Gottes.
Was zunächst das Verhältnis von Glauben und Denken angeht, so behauptet Anselm, angeregt
durch Augustinus, keine dieser beiden Fähigkeiten des Menschen reiche für sich genommen
aus, um die Wahrheit zu erfassen. Das bloße Wissen könne nicht zum Wesentlichen
vordringen; es müsse im Glauben wurzeln. Aber auch das bloße Glauben sei unzulänglich,
solange es sich nicht mit dem Wissen verbinde; es komme entscheidend darauf an, dass der
Glaube sich selbst durchsichtig werde. Darum lautet der Grundsatz Anselms: »Ich glaube,
damit ich einsehe«; im gleichen Sinne redet er von dem »Glauben, der nach Einsicht sucht«.
Der Glaube also bildet den unumgänglichen Ausgangspunkt alles tieferen Wissens, und vom
Glauben her wird der Mensch notwendig zum Wissen gedrängt.
Aus: W. Weischedel: Die philosophische Hintertreppe. 1975, S. 86f.
Gotteslehre (11): Anselm v. Canterbury (1033-1109)
- Theologe und Philosoph der „Scholastik“
- 1093 Erzbischof von Canterbury
- Im „Proslogion“ (1078) formuliert er
den ontologischen Gottesbeweis
Grundsatz:
„fides quaerens intellectum“
(„Der Glaube verlangt nach Einsicht“)
Gotteslehre (12): Der ontologische Gottesbeweis von
Anselm v. Canterbury (1033-1109)
Das zweite Hauptwerk „Proslogion“ (Anrede) hatte ursprünglich die Überschrift „fides
quaerens intellectum“ (Der Glaube, der nach der Einsicht verlangt). Die verbale Form des
Programms heißt: „credo, ut intelligam“ (ich glaube, damit ich einsehe). Das fides quaerens
intellectum ist dann in der Scholastik zum Programm der Theologie überhaupt geworden. In
dieser Schrift „Proslogion“ geht es vor allem um den „ontologischen Gottesbeweis“.
„Herr, der du dem Glauben Einsicht verleihst, gib mir also die Einsicht, so weit
du sie mir schenken kannst, dass du bist, wie wir glauben, und dass du so bist,
wie wir dich glauben. Wir glauben aber, dass du das Größte bist, was gedacht
werden kann. Oder sollte es etwa kein Wesen dieser Art geben, da der Tor in
seinem Herzen spricht, es gibt keinen Gott? Aber gewiss ist, dass auch der Tor
beim Anhören dieser meiner Worte sich unter dem Größten, was gedacht werden
kann, etwas denkt, wenn er es hört. Und das, was er denkt, ist in seinem
Intellekt auch dann, wenn er nicht einsieht, dass es existiert. (…)
Nun kann sicherlich das Größte, das überhaupt denkbar ist, nicht allein im
Intellekte sein; denn wenn es allein im Intellekte wäre, so könnte noch
hinzugedacht werden, dass es auch in Wirklichkeit existierte: das Größte wäre
noch größer. Wenn also das Größte, das denkbar ist, im Intellekte allein existiert,
so wäre noch etwas Größeres denkbar als das Größte, das denkbar ist. Das ist
aber sicher nicht möglich. Also existiert zweifellos das Größte, das gedacht
werden kann, sowohl im Intellekt als auch in Wirklichkeit. (…)
So gibt es also wirklich etwas so Großes, dass nichts Größeres gedacht werden
kann, ja, dass es überhaupt nicht als Nichtsein gedacht werden kann: und das
bist du, Herr unser Gott!
Quelle: Anselm von Canterbury: Über die Existenz Gottes („Proslogion“). 1078
Gotteslehre (12): Arbeitsblatt zum ontologischen Gottesbeweis
Argumentationsstruktur des ontologischen Gottesbeweises
1. Definition
2. 1. Prämisse
3. 2. Prämisse
4. Schluss
Gotteslehre (14): Die fünf Wege des Thomas von Aquin
Gruppe 1: Der kosmologische Gottesbeweis – die ersten
beiden Wege
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Die Existenz Gottes lässt sich auf fünf Wegen beweisen.
Der erste und nächstliegende Weg ist der, der sich aus der Bewegung ergibt. Es ist
nämlich gewiss und steht durch die sinnliche Wahrnehmung fest, dass sich manches in
dieser Welt bewegt. Alles aber, was sich bewegt, durch durch anderes bewegt. Nichts
nämlich wird bewegt außer dadurch, dass es in potentia ist in bezug auf das, auf das hin
es bewegt wird, es bewegt aber etwas dadurch, dass es in actu ist. Bewegen nämlich ist
nichts anderes, als etwas aus der potentia (= Möglichkeit) in den actus ( = Wirklichkeit)
überführen. Aus der potentia aber kann nichts in den actus überführt werden, es sei denn
durch ein in actu Seiendes. Wie die Hitze in actu, z.B. das Feuer, das Holz, das Hitze in
potentia ist, zur Hitze in actu macht. Dadurch bewegt und ändert sie es. Es ist aber nicht
möglich, dass ein und dasselbe gleichzeitig in bezug auf dasselbe in actu und in potentia
ist, sondern nur in bezug auf Verschiedenes, was nämlich Hitze in actu ist, kann nicht
zugleich Hitze in potentia sein, sondern es ist zugleich Kälte in potentia. Es ist also
unmöglich, dass in bezug auf dasselbe und in derselben Weise etwas bewegt und bewegt
wird, oder dasses sich selbst bewegt. Also muss alles, was bewegt wird, von etwas
anderem bewegt werden. Wenn sich also das bewegt, von dem etwas anderes bewegt
wird, so muss es selbst auch von etwas anderem bewegt werden, und das wiederum von
etwas anderem. Hier aber kann man nicht in infinitum fortschreiten, weil dann nichts das
erste Bewegende wäre, und demgemäss wäre nichts da, was etwas anderes bewegen
würde, da die nachfolgenden Bewegenden nicht bewegen außer dadurch, dass sie durch
das erste Bewegende bewegt werden. Wie der Stab sich nicht bewegt außer dadurch, dass
er von der Hand bewegt wird. Daher ist es notwendig, zu einem ersten Bewegenden
(primum movens) zu kommen, welches von nichts bewegt wird, und dieses erkennen alle
als Gott.
Der zweite Weg ergibt sich aus dem Wesen der Wirkursache (causa efficiens).
Wir finden nämlich in jenen sinnlich wahrnehmbaren Dingen eine Ordnung von
Wirkursachen. Es lässt sich jedoch nicht finden und ist nicht möglich, dass etwas die
Wirkursache seiner selbst sei, weil es ja dann früher als es selbst wäre, was unmöglich ist.
Es ist aber nicht möglich, bei den Wirkursachen in infinitum fortzuschreiten, denn bei
jeder Reihe von Wirkursachen ist das Erste die Ursache des Mittleren, das Mittlere die
Ursache des Letzten, seien die Mittleren viele oder eins. Mit der Ursache fällt aber auch
die Wirkung. Wenn es also kein Erstes bei den Wirkursachen gäbe, gäbe es auch nicht
Letztes noch Mittleres. Aber wenn man mit den Wirkursachen in infinitum fortschritte,
gäbe es keine erste Wirkursache, was offensichtlich falsch ist. Also ist es notwendig, eine
erste Wirkursache (prima causa efficiens) zu setzen, die alle Gott nennen.
Aufgaben:
1) Stellt die Argumentation von Thomas in einem Schaubild dar.
Veranschaulicht diese Argumentation mit Hilfe von
Dominosteinen!
2) Beurteilt die Argumentation!
Gruppe 2: Der Kontingenzbeweis – der dritte Weg
Der dritte Weg ergibt sich aus dem Möglichen (possibile) und dem Notwendigen
(neccesarium), und zwar folgendermaßen: Wir finden bei den Dingen nämlich einige, die
die Möglichkeit haben zu sein und nicht zu sein, denn man sieht, dass einige Dinge
werden und vergehen und deshalb sein können und nicht sein können. Es ist aber
5 unmöglich, dass alles, was so beschaffen ist, immer ist, weil das, was die Möglichkeit
hat, nicht zu sein, irgendwann einmal nicht ist. Wenn also alles die Möglichkeit hat, nicht
zu sein, ist bei den Dingen irgendwann einmal nichts gewesen. Wenn das wahr ist, wäre
auch jetzt nichts, denn was nicht ist, fängt nicht an zu sein außer durch etwas, was ist.
Wenn also nichts seiend gewesen ist, ist es unmöglich gewesen, dass etwas zu sein
10 angefangen hat, und auf diese Weise wäre nichts, was offensichtlich falsch ist. Also ist
nicht alles Sein (nur) möglich, sondern es muss unter den Dingen etwas geben, was
notwendig ist. Alles Notwendige aber hat die Ursache seiner Notwendigkeit von
woanders her, oder es hat keine. Es ist aber nicht möglich, bei dem Notwendigen, das
eine Ursache seiner Notwendigkeit hat, in infinitum fortzuschreiten, wie man das auch
15 nicht – wie bewiesen - bei den Wirkursachen kann. Es ist also notwendig, etwas zu
setzen, was aus sich heraus notwendig ist (per se necessarium), was die Ursache seiner
Notwendigkeit nicht von woanders her hat, sondern was die Ursache der Notwendigkeit
für anderes ist. Das nennen alle Gott.
Aufgaben:
1) Arbeitet die einzelnen Schritte im Beweis heraus und tragt diese
in ein Flussdiagramm:
1. Es gibt Dinge, die sein und nicht sein können.
2. ...
2) An welcher Stelle des Beweises findet sich ein logischer Fehler?
Gruppe 3: Das Argument von den Seinsstufen – der vierte Weg
Der vierte Weg ergibt sich aus den Seinsstufen (ex gradibus), die in den Dingen zu finden
sind. Es findet sich nämlich in den Dingen etwas mehr und etwas weniger Gutes, Wahres,
Edles usw. Aber „mehr“ und „weniger“ wird über Verschiedenes gesagt in Hinblick
darauf, dass es sich auf verschiedene Weise einem Maximalen nähert. So wie dasjenige
5 wärmer ist, das sich mehr dem maximal Warmen nähert. Es gibt also etwas, was das
Wahrste, das Beste, das Edelste und demnach das Seiendste (maxime ens) ist. Denn was
das Wahrste ist, ist das Seiendste, wie in der II. Metaphysik (des Aristoteles) gesagt wird.
Was aber das so beschaffene Maximum in irgendeiner Art genannt wird, ist die Ursache
von allem, was in dieser Art ist; wie das Feuer, das die maximale Wärme ist, die Ursache
10 aller Wärme ist - wie in demselben Buch gesagt wird. Also gibt es etwas, was für alles
Seiende die Ursache des Seins (causa esse) und de Gutseins (bonitas) und jedweder
Vollkommenheit ist, und das nennen wir alle Gott.
Aufgaben:
1) Stellt das Argument von Thomas grafisch dar!
2) Beurteilt das Argument!
Gruppe 4: Der teleologische Beweis – der fünfte Weg
5
Der fünfte Weg ergibt sich aus der Lenkung der Dinge (gubernatio). Wir sehen nämlich,
dass einiges, was der Erkenntnis entbehrt – nämlich die natürlichen Körper – auf ein Ziel
hin handelt; das erhellt daraus, dass sie immer oder häufiger auf dieselbe Weise handeln,
weil sie dem folgen, was das Beste ist. Deshalb ist es offenbar, dass sie nicht aus Zufall,
sondern durch eine Absicht zum Ziel gelangen. Diejenigen aber, die keine Erkenntnis
haben, streben zum Ziel nur, indem sie von einem Erkennenden und mit Verstand
Begabten geführt werden wie der Pfeil vom Bogenschützen. Also gibt es etwas, was
Verstand hat (aliquid intelligens), durch das alle natürlichen Dinge zum Ziel hingeordnet
werden, und das nennen wir Gott.
Aufgaben:
1) Erläutert die Argumentation von Thomas mit Hilfe eines
selbstgewählten Beispiels!
2) Beurteilt den teleologischen Beweis!
(Textauszüge aus: Thomas von Aquino, Summa Theologiae, Editio altera emendata,
Ottawa/Canada 1953, Tomus I, Pag. 13b-14b. Übersetzung: Brigitte Galling. Entnommen:
Göttinger Quellenhefte, Heft 1: Gottesbeweise und ihre Kritik (bearbeitet von D.-D.
Matschke), Göttingen (o.J.), S. 4-6)
Gotteslehre (14): Thomas von Aquin (1225-1274)
Unter einem Philosophen pflegt man sich einen Menschen von abgezehrtem Leibe
vorzustellen, mit hageren, eingefallenen Wangen, so, als habe der in ihm residierende Geist
die Leiblichkeit fast völlig aufgezehrt. Von solcher Statur mag etwa Immanuel Kant gewesen
sein. Will man sich dagegen die äußere Gestalt des Thomas von Aquino, dieses bedeutenden
Denkers aus dem 13. Jahrhundert, vor Augen halten, dann muss man umlernen. Er ist von
einer imposanten Leibesfülle gewesen. An seinem Pult - so wird überliefert - muss ein runder
Einschnitt angebracht werden, damit er überhaupt daran sitzen und studieren kann. Man darf
das erwähnen, ohne den Respekt vor dem großen Manne zu verletzen; denn Thomas selber
hat sich gelegentlich selbstironisch über seine ungeheure
Leiblichkeit geäußert.
Dem etwas ungeschickten Äußeren entspricht die Art, wie sich
Thomas unter den anderen Menschen bewegt. Er redet kaum;
seine Kommilitonen nennen ihn den stummen Ochsen. Seine
Schweigsamkeit aber kommt nicht davon her, dass er nichts zu
sagen hätte. Sie entspringt vielmehr dem Wunsche, um keinen
Preis aufzufallen. Dass in ihm mehr steckt als in einem
gewöhnlichen Adepten der Theologie und Philosophie, kommt
nur durch einen Zufall heraus. Ein Mitstudent nämlich meint, er
müsse diesem unbeholfenen Kommilitonen Nachhilfeunterricht
geben, und entdeckt dabei, dass dieser die Dinge besser erklären
kann als er selber, ja sogar als der hochmögende Professor.
Thomas aber bittet den Kommilitonen inständig, er möge diese
seine Entdeckung nur ja geheimhalten.
Darin kommt ein charakteristischer Zug des Thomas zum Ausdruck. Er macht sich nichts aus sich selber. Ihn interessiert nur
die Sache, nicht die eigene Person. Das geht soweit, dass er
gelegentlich sogar in Situationen, in denen das höchst unpassend
ist, ins Nachdenken versinkt und seine Umwelt völlig vergisst. Es gibt darüber eine
kennzeichnende Anekdote. Thomas ist vom französischen König Ludwig dem Heiligen zur
Tafel geladen. Er schweigt wie üblich, schlägt dann aber plötzlich mit der Faust auf den Tisch
und schreit: "So muss man gegen die Häresie der Manichäer argumentieren.« Man kann sich
das erstarrte Verstummen der Höflinge denken. Der König aber erweist sich in diesem
Augenblick wahrhaft als der
künftige Heilige. Er zitiert einen Schreiber herbei und lässt das Argument gegen die Lehre der
Manichäer, das dem Thomas soeben eingefallen ist, aufzeichnen.
Die selbstlose Hingabe an die Sache zeichnet schon die Jugend des. Thomas von Aquino aus.
Er stammt aus einem vornehmen süditalienischen Geschlecht, das sich der Verwandtschaft
mit den Staufenkaisern rühmen kann: So stehen ihm die glänzendsten Laufbahnen offen. Die
Familie bestimmt ihn, den jüngsten Sohn, für den geistlichen Stand; da soll er zumindest Abt
eines reichen und angesehenen Klosters werden. Aber Thomas setzt sich in den Kopf, zu den
Bettelmönchen zu gehen; er tritt in den eben erst gegründeten Orden der Dominikaner ein.
Anstelle alles äußeren Glanzes erwartet ihn hier das Ideal der Armut. Aber eben dieser
asketische Zug der neuen Bewegung, dieser Versuch, inmitten einer satt gewordenen
Christenheit ein Leben nach dem Evangelium zu führen, ist es, was die lebendigsten Köpfe
unter der damaligen Jugend, und darunter nun auch Thomas, unwiderstehlich anzieht.
Die Zugehörigkeit zu einem solchen Bettelorden ist freilich mit viel Selbstverleugnung
verbunden. Thomas muss all seine Reisen, die ihn mehrere Male von Neapel und Rom nach
Paris führen, zu Fuß unternehmen. Ja, der Orden kann ihm nicht einmal genügend Papier für
die Niederschrift seiner Werke zur Verfügung stellen, so dass er oftmals gezwungen ist, seine
Gedanken auf kleine Zettelchen zu notieren. Hinzu kommt, dass die neue und als revolutionär
empfundene Bewegung sofort die Kräfte des Alten und Beharrenden auf den Plan ruft.
Thomas selber bekommt davon einiges zu spüren. Die vornehme Pariser Universität
verweigert ihm die Aufnahme in ihren Lehrkörper und verbietet den Studenten den Besuch
seiner Antrittsvorlesung.
Die gleiche Feindschaft der konservativen Kräfte zeigt sich schon im Augenblick seines
Entschlusses, in den Orden der Dominikaner einzutreten. Die Familie ist über soviel Verrat an
der Standesehre entsetzt. Die Brüder überfallen Thomas unterwegs und halten ihn auf einem
einsamen Schloss gefangen. Dort versuchen sie, ihn seinem Vorhaben abspenstig zu machen,
freilich mit .Mitteln, die beweisen, dass sie wenig von der Entschlossenheit ihres Bruders
begreifen. Sie schicken ihm eine hübsch aufgemachte Kurtisane ins Zimmer: Die junge
Dame, die sich ein Schäferstündchen erwartet, mag nicht wenig erschrocken sein, als ihr der
riesige junge Mann entgegentritt, ein brennendes Holzscheit in der erhobenen Hand, das er
aus dem Kamin gerissen hat.
Aus: W. Weischedel: Die philosophische Hintertreppe. 1986, S. 90f.
Gotteslehre (16): AB zu Swinburnes Wissenschaftstheorie
Swinburne teilt induktive Argumente ein in
Kennzeichen:
Kennzeichen:
Beziehung zwischen diesen beiden Argumenten:
Induktive Argumente müssen drei Kriterien erfüllen, um ihre
Hypothesen eine signifikante Wahrscheinlichkeit zu verleihen:
1.
2.
3.
Gotteslehre (15): Richard Swinburne (*1934 )
- Professor für Religionsphilosophie in Oxford
(Karikatur entnommen aus: http://www.theage.com.au/news/national/christ-thelogic/2005/07...html. Zugriff: 07.05.2007
Gotteslehre (16): Swinburnes wissenschaftstheoretischer Ansatz
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Ich glaube nicht, dass apriorische Argumente für die Existenz Gottes, wie das traditionelle ontologische Argument, überzeugend sind. Unter apriorischen Argumenten verstehe ich diejenigen, deren Prämissen logische oder begriffliche Wahrheitsansprüche
enthalten. Wertvolle Argumente sind aposteriorisch, d.h. sie setzen bei beobachtbaren
Phänomenen an. Meiner Meinung nach gibt es keine guten deduktiven aposteriorischen
Argumente für die Existenz Gottes; also Argumente, die von wahren Prämissen
ausgehen und ihre Konklusion notwendig erzwingen (so dass es selbstwidersprüchlich
wäre, die Prämissen zu bejahen, aber die Konklusion zu verneinen). In dieser Hinsicht
hatten die Kritiker der natürlichen Theologie recht. Dennoch möchte ich Sie davon
überzeugen, dass es gute induktive Argumente für die Existenz Gottes gibt. Unter einem
guten C1-induktiven Argument verstehe ich ein' Argument, das von wahren Prämissen
zu einer Konklusion führt, wobei die Prämissen die Konklusion in der Weise begründen,
dass sie sie wahrscheinlicher machen, als sie es andernfalls (d.h. ohne die Prämissen,
A.K.) wäre; ein gutes P-induktives Argument führt von wahren Prämissen zu einer
Konklusion, die aufgrund der Prämissen insgesamt wahrscheinlich wird, d.h.
wahrscheinlicher als ihre Negation. Wenn die Argumente gute C-induktive Argumente
sind, dann lassen sie sich »addieren«. Jedes Phänomen macht für sich genommen die
Konklusion insgesamt noch nicht wahrscheinlich, aber mehrere Phänomene
zusammengenommen können dies, so dass sie - nach meiner Terminologie - ein gutes Pinduktives Argument ergeben. Diese Form eines induktiven Arguments wird sehr häufig
in der Wissenschaft, der Geschichte und auf allen anderen Gebieten menschlichen
Forschens verwendet. Beispielsweise findet ein Detektiv verschiedene Hinweise: Johns
Fingerabdrücke auf einem ausgeraubten Safe; einen hohen Geldbetrag, den John in seinem Haus versteckt hält; außerdem wurde John zu dem Zeitpunkt, an dem der Raub statt
fand, am Tatort gesehen. Der Detektiv geht nun davon aus, dass die verschiedenen Hinweise normalerweise nicht zu erwarten wären, wenn John den Safe nicht ausgeraubt
hätte, obwohl dafür grundsätzlich auch andere Erklärungen möglich sind. Jeder einzelne
Hinweis bildet ein Indiz dafür, dass John den Safe ausgeraubt hat, bestätigt also die Hypothese, dass er den Safe ausgeraubt hat; die Indizien sind dabei kumulativ - zusammengenommen machen sie die Hypothese wahrscheinlich.
Bezeichnen wir induktive Argumente dieser Art als Argumente für eine gute Erklärung.
Wissenschaftler verwenden diese Argumentationsstruktur, um auf die Existenz unbeobachtbarer Entitäten als Ursachen für die von ihnen beobachteten Phänomene zu
schließen. Beispielsweise beobachteten Wissenschaftler zu Beginn des 19. Jahrhunderts
mehrere unterschiedliche Phänomene chemischer Wechselwirkungen, wie etwa dass
Substanzen in einem ganz bestimmten Gewichtsverhältnis neue Substanzen bilden (z.B.
bilden Wasserstoff und Sauerstoff stets Wasser in einem Gewichtsverhältnis von 1 zu
8). Im Anschluss daran behaupteten sie, dass diese Phänomene zu erwarten wären, wenn
es an die hundert unterschiedliche Arten von Atomen gäbe, also Teilchen, die so klein
sind, dass sie unsichtbar sind, und auf bestimmte einfache Weisen Verbindungen
eingehen. Ihrerseits postulierten Physiker daraufhin Elektronen, Protonen, Neutronen
und andere Teilchen, um damit sowohl dem Verhalten der Atome als auch größeren
beobachtbaren Phänomenen Rechnung zu tragen; gegenwärtig postulieren sie Quarks,
um das Verhalten der Protonen, Neutronen und der meisten anderen Teilchen zu
erklären.
Argumente dieser Art verleihen ihren Hypothesen eine signifikante Wahrscheinlichkeit,
sofern sie drei Kriterien erfüllen: Erstens dürfen die Phänomene, die als Beweismaterial
Anmerkung des Übersetzers: C steht für confirmation (Bestätigung); P für probability (Wahrscheinlichkeit)
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dienen, im Rahmen des normalen Ablaufs der Dinge nicht sehr wahrscheinlich sein. Das
Beispiel vom Raub hat gezeigt, dass verschiedene Hinweise, wie etwa Johns Fingerabdrücke auf dem Safe, im Rahmen des normalen Ablaufs der Dinge nicht zu erwarten
waren (d.h. wenn John den Safe nicht ausgeraubt hat). Zweitens müssen die Phänomene
eher erwartet werden bzw. wahrscheinlicher auftreten, wenn die Hypothese wahr ist.
Wenn John den Safe ausgeraubt hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass seine
Fingerabdrücke darauf zu finden sind. Drittens muss die Hypothese einfach sein. Das
heißt, sie muss die Existenz und die Wirksamkeit von wenigen Entitäten, wenigen Arten
von Entitäten, mit wenigen leicht beschreibbaren Eigenschaften postulieren, die sich auf
mathematisch einfache Weisen verhalten. Wir könnten immer eine Menge neuer
Entitäten mit komplizierten Eigenschaften postulieren, um damit alles, was wir
vorfinden, zu erklären. Unsere Hypothese wird allerdings nur dann durch das
Beweismaterial unterstützt, wenn sie wenige Entitäten postuliert, die uns die
verschiedenen Phänomene, welche als Beweismaterial dienen, erwarten lässt. So
könnten wir in dem Detektivbeispiel auch vermuten, dass Brown die Fingerabdrücke
von John auf dem Safe anbrachte, dass Smith sich verkleidete, um am Tatort wie John
auszusehen, und dass, völlig unabhängig davon, Robinson das Geld in Johns Haus
versteckte. Diese neue Hypothese würde uns genauso die vorliegenden Phänomene
erwarten lassen wie die Hypothese, dass John den Safe ausraubte. Aber die Indizien
unterstützen diese Hypothese, nicht jene; und zwar deshalb, weil die Hypothese, dass
John den Safe ausgeraubt hat, ein Objekt postuliert, nämlich John, das eine Tat
vollbringt, eben den Safe auszurauben, die uns die verschiedenen vorfindlichen Phänomene erwarten lässt. Wissenschaftler postulieren stets so wenig neue Entitäten (z.B.
subatomare Teilchen) wie nötig sind, um uns die vorhandenen beobachteten Phänomene
erwarten zu lassen. Außerdem postulieren sie, dass diese Entitäten sich nicht auf eine
unberechenbare Weise verhalten (an einem Tag auf diese Weise, am anderen Tag auf
jene), sondern dass sie sich in Übereinstimmung mit einem mathematischen Gesetz
verhalten, das so einfach und gleichmäßig ist, wie es die Beobachtungen zulassen. Eine
alte lateinische Redensart besagt: simplex sigillum veri, »Das Einfache ist das Zeichen
des Wahren«. Um aufgrund des Beweismaterials wahrscheinlich zu erscheinen, müssen
Hypothesen einfach sein. Ohne das Kriterium der Einfachheit wäre die Wissenschaft
völlig unfähig dazu, auch nur einen Schritt über die beobachtbaren Daten hinaus zu
gelangen. Denn man kann sich immer eine unbegrenzte Anzahl sehr unterschiedlicher
Hypothesen vorstellen, die uns allesamt die Daten eher erwarten lassen, als wenn jede
einzelne von ihnen nicht der Fall wäre. Ohne das Kriterium der Einfachheit gäbe es
keine Möglichkeit, zwischen ihnen zu wählen. Nun ist Wissenschaft aber möglich, wir
können gerechtfertigte Voraussagen treffen, und daher ist Einfachheit ein Indiz für
Wahrheit.
Aus: R. Swinburne: Argumente für die Existenz Gottes. In: MThZ 45 (1994), S. 35-38
Gotteslehre (17): R. Swinburnes induktives Argument
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Die meisten traditionellen Argumente für die Existenz Gottes setzen entweder bei sehr
evidenten allgemeinen Beobachtungsphänomenen an oder bei einem eher
außergewöhnlichen Phänomen, das sich ereignet haben soll, und behaupten dann, dass
das Vorkommnis des jeweiligen Phänomens durch Gottes Handeln erklärt wird und dass
Gott daher existieren muss. Zu diesen Argumenten gehören das kosmologische
Argument, Versionen des teleologischen Arguments und das Argument aus dem
Bewusstsein2. Alle diese Argumente gehen von sehr evidenten, allgemein beobachtbaren
Phänomenen aus. Daneben gibt es Argumente, die von Wundern und religiösen
Erfahrungen ausgehen, also von besonderen Phänomenen innerhalb der Welt. Jedes
dieser Argumente kann entweder als induktives oder als deduktives formuliert werden.
Die Argumente sind aber wesentlich plausibler, wenn wir sie als induktive verstehen und
als solche werde ich sie auch formulieren. Ich bin davon überzeugt, dass jedes dieser
Argumente für sich genommen ein gutes C-induktives Argument darstellt und dass sie
zusammen ein gutes P-induktives Argument ergeben. (...)
Für alle Dinge sollten wir nach Erklärungen suchen. (...) Diese Beobachtungsphänomene
sind wissenschaftlich entweder überhaupt nicht oder kaum erklärbar. Wenn also der
Atheismus wahr wäre, so wären all diese Phänomene äußerst unwahrscheinlich. (...) Gott
könnte allerdings eine Erklärung liefern. Die theistische Erklärung führt die
Beobachtungsphänomene auf die Absicht Gottes zurück. Wenn die theistische Hypothese
wahr wäre, dann sind die genannten Phänomene eher zu erwarten als andernfalls. Die
Hypothese der Existenz Gottes ist die Hypothese der Existenz einer Person mit der
einfachsten Beschaffenheit, die möglich ist. Eine Person ist ein Wesen mit Macht,
bestimmte Wirkungen zu erzielen, dem Wissen. wie man dies macht, und der Freiheit zu
wählen, welche Wirkungen erzielt werden sollen. Gatt ist per definitionem eine
allmächtige, allwissende und vollkommen freie Person; er ist eine Person, deren Macht,
Wissen und Freiheit durch nichts - mit Ausnahme der Logik - begrenzt sind. Die
Hypothese, dass ein solcher Gott existiert, ist wesentlich einfacher als die Hypothese,
dass es einen Gott mit einer irgendwie begrenzten Macht gibt. Sie ist auf die gleiche
Weise einfacher wie die Hypothese, dass ein bestimmtes Teilchen eine Null-Masse oder
eine unendliche Geschwindigkeit hat, im Vergleich zu der Hypothese, dass es eine Masse
von 0,32147 irgendeiner Einheit oder eine Geschwindigkeit von 221.000 km/sek hat. Im
Gegensatz zum Unendlichen verlangt eine endliche Begrenzung nach einer Erklärung für
das Vorliegen gerade dieser Begrenzung.
aus: R. Swinburne: Argumente für die Existenz Gottes, in: MthZ 45 (1994), 35--47
2
Dieses Argument geht von der Tatsache aus, dass Tiere und Menschen Bewusstsein haben und bestimmt Gott
als Ursache dafür, dass aus bestimmten Gehirnvorgängen bestimmte mentale Ereignisse entstehen, damit Tiere
und Menschen ihre Welt kennenlernen und kontrollieren können.
Gotteslehre (17): AB zur Argumentation Swinburnes
1. Hypothese:
2. C-induktive Argumente, die diese Hypothese bestätigen:
3. Überprüfung der drei Kriterien für diese C-induktiven Argumente:
3.1
3.2
3.3
Die Summe der C-induktiven Argumente ergeben ein gutes Pinduktives Argument:
Gotteslehre (18): B. Pascal „Die Wette“
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Wer also wird die Christen tadeln, wenn sie keinen Beweis ihres Glaubens erbringen
können, sie, die einen Glauben bekennen, den sie nicht beweisen können? Sie erklären,
wenn sie ihn der Welt darlegen, dass er ein Ärgernis der Vernunft sei, stultitiam; und
da beklagen Sie sich darüber, dass sie ihn nicht beweisen! Bewiesen sie ihn, so hielten
sie nicht Wort: grade da ihnen Beweise fehlen, fehlt ihnen nicht der Sinn. „Zugegeben, das mag die entschuldigen, die ihn derart lehren, und sie von dem
Vorwurf entlasten, keine Gründe aufzuführen, es entschuldigt nicht die, die ihn ohne
Beweise annehmen." - Prüfen wir das also, nehmen wir an: Gott ist oder er ist nicht.
Wofür werden wir uns entscheiden? Die Vernunft kann hier nichts bestimmen: ein
unendliches Chaos trennt uns. Am äußersten Rande dieser unendlichen Entfernung
spielt man ein Spiel, wo Kreuz oder Schrift fallen werden. Worauf wollen sie setzen?
Aus Gründen der Vernunft können sie weder dies noch jenes tun, aus Gründen der
Vernunft können sie weder dies noch jenes abtun. Zeihen Sie also nicht die des
Irrtums, die eine Wahl getroffen, denn hier ist nichts zu wissen. -„Nein, aber ich werde
sie tadeln, gewählt zu haben, nicht diese Wahl, sondern eine Wahl, denn mögen auch
beide, der, der Kreuz wählte, und der andere den gleichen Fehler begehen, so sind doch
beide im Irrtum, richtig ist überhaupt nicht auf eines zu setzen."
Ja, aber man muss auf eines setzen, darin ist man nicht frei, Sie sind mit im Boot. Was
werden Sie also wählen? Sehen wir also zu, da man wählen Muss, wobei Sie am
wenigsten wagen? Zwei Dinge haben Sie zu verlieren: Die Wahrheit und das höchste
Gut; und zwei Dinge haben Sie einzubringen: Ihre Vernunft und Ihren Willen, Ihr
Wissen und Ihre Seligkeit, und zweierlei haben Sie von Natur zu meiden: den Irrtum
und das Elend. Ihre Vernunft ist nicht mehr betroffen, wenn sie sich für das eine oder
das andere entscheidet, da man sich mit Notwendigkeit entscheiden muss. Das ist
ausgemacht, wie ist es dann mit Ihrer Seligkeit? Wägen wir Gewinn und Verlust für
den Fall, dass wir auf Kreuz setzen, dass Gott ist. Schätzen wir diese beiden
Möglichkeiten ab. Wenn Sie gewinnen, gewinnen Sie alles, wenn Sie verlieren,
verlieren Sie nichts. Setzen Sie also, ohne zu zögern, darauf, dass er ist. - Um Ihnen
aber zu beweisen, dass Sie dadurch dorthin gelangen, dass das die Leidenschaften
mindern wird, die Ihre großen Hindernisse sind, usw. Ende dieser Rede. - Nun, was
könnte Ihnen Schlimmes geschehen, wenn Sie diesen Entschluss fassen? Sie werden
treu, rechtschaffen, demütig, dankbar, wohltätig, Freund, aufrichtig, wahrheitsliebend
sein. Allerdings die verderblichen Vergnügungen, Ruhm, Genüsse werden Sie nicht
haben, aber werden Sie nicht anderes dafür haben? Ich sage Ihnen, Sie werden dabei in
diesem Leben gewinnen und mit jedem Schritt, den Sie auf diesem Wege tun, immer
mehr die Gewissheit des Gewinnes und die Nichtigkeit des Einsatzes erkennen, so dass
Sie endlich begreifen, dass Sie auf eine unendlich sichere Sache setzten und dass Sie
nichts dafür gegeben haben.
Aus: B. Pascal: Pensees. 1978
Gotteslehre (19): Das Theodizeeproblem
Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht,
oder er kann und will es nicht,
oder er kann es und will es.
Wenn er nun will und nicht kann,
dann ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft.
Wenn er kann und nicht will,
dann ist er missgünstig, was Gott ebenso fremd ist.
Wenn er nicht will und nicht kann,
dann ist er missgünstig und schwach und dann auch nicht Gott!
Wenn er aber will und kann, was sich allein für Gott ziemt,
woher kommen dann die Übel,
und warum nimmt er sie nicht weg?
(Epikur, 341-70 V.Chr.)
Die zwei Arten von
Übel
Gotteslehre (20): Hiob
Hanns H. Heidenheim, Ijob, Holzschnitt 1965/66.
Theodizee (2): Hiob (J. Roth)
1930 erschien ein Roman des österreichischen Schriftstellers Joseph Roth
(1894-1939) mit dem Titel „Hiob - Roman eines einfachen Mannes“. Er geht auf den
biblischen Hiob-Stoff zurück. 1п der Bibel ist Hiob ein frommer und gottesfürchtiger
Mann, den plötzlich ein Schicksalsschlag nach dem anderen trifft: Er verliert seinen
Besitz, seine Familie und wird von schweren Krankheiten befallen. Аm Anfang
trauert Hiob gottergeben (Hiob 1,20-22; 2,10). Er kann sich sein Unglück nicht
anders erklären, als dass Gott ihn verurteilt hat. Aber er ist sich keiner Schuld
bewusst. Hiob will einen fairen Prozess vor Gott und fordert Gründe für sein Leid.
Nach dem Scheitern aller menschlichen Argumente kann nur Gott selbst die Antwort
geben. Hiob bekommt vor Gott Recht, aber auf andere Weise, als er gedacht hat.
Joseph Roths Roman gliedert sich formal in zwei Teile: Der erste Teil spielt zu
Beginn des 20.Jahrhunderts in dem russischen Städtchen Zuchnow, der zweite
während des Ersten Weltkriegs in Amerika. Hauptperson des Romans ist Mendel
Singer, ein frommer Jude, der in Ostgalizien zunächst ein bescheidenes Leben als
Dorfschullehrer führt. Меndеl Singer ereilt ein Schicksalsschlag nach dem anderen:
Er verliert seine Heimat, seine gesamte Familie und bleibt schließlich einsam in
seiner kleinen New Yorker Wohnung zurück. Zornig entschließt er sich, die
Beziehung zu Gott zu kündigen. Dass er seine Gebetsriemen verbrennt, können
seine Freunde gerade noch verhindern.
Die Freunde
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Joseph Roth
Als die Freunde kamen, beruhigte sich Mendel wirklich. Er schob den Riegel zurück
und ließ sie eintreten, der Reihe nach, wie sie immer gewohnt waren, in Mendels Stube
zu treten, Меnkes, Skowronnek, Rottenberg und Groschel. Sie zwangen Mendel, sich
aufs Bett zu setzen, setzten sich selbst neben ihn und vor ihn hin, und Menkes sagte:
„Was ist mit dir, Меndеl? Warum machst du Feuer, warum willst du das Haus
anzünden?“
„Ich will mehr verbrennen als nur ein Haus und mehr als einen Menschen. Ihr werdet
staunen, wenn ich euch sage, was ich wirklich zu verbrennen im Sinn hatte. Ihr werdet
staunen und sagen: Auch Mendel ist verrückt, wie seine Tochter. Aber ich versichere
euch: Ich bin nicht verrückt. Ich war verrückt. Mehr als sechzig Jahre war ich verrückt,
heute bin ich es nicht.“
„Also sag uns, was du verbrennen willst!“
„Gott will ich verbrennen.“
Аllеn vier Zuhörern entrang sich gleichzeitig ein Schrei. Sie waren nicht аllе fromm und
gottes-fürchtig, wie Mendel immer gewesen war. Аllе vier lebten schon lange genug in
Amerika, sie arbeiteten am Sabbat, ihr Sinn stand nach Geld, und der Staub der Welt lag
schon dicht, hoch und grau auf ihrem alten Glauben. Viele Bräuche hatten sie vergessen,
gegen manche Gesetze hatten sie verstoßen, mit ihreп Köpfen und Gliedern hatten sie
gesündigt. Aber Gott wohnte noch in ihren Herzen. Und als Mendel Gott lästerte, war es
ihnen, als hätte er mit scharfen Fingern an ihre nackten Herzen gegriffen.
„Lästere nicht, Mendel“, sagte nach langem Schweigen Skowronnek. „Du weißt besser
als ich, denn du hast viel mehr gelernt, dass Gottes Schläge einen verborgenen Sinn
haben. Wir wissen nicht, wofür wir gestraft werden.“
„Ich aber weiß es, Skowronnek“, erwiderte Mendel. „Gott ist grausam, und je mehr man
ihm gehorcht, desto strenger geht er mit uns um. Er ist mächtiger als die Mächtigen, mit
dem Nagel seines kleinen Fingers kann er ihnen den Garaus machen, aber er tut es nicht.
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Nur die Schwachen vernichtet er gerne. Die Schwäche eines Menschen reizt seine
Stärke, und der Gehorsam weckt seinen Zorn. Er ist ein großer grausamer Isprawnik.3
Befolgst du die Gesetze, so sagt er, du habest sie nur zu deinem Vorteil befolgt. Und
verstößt du nur gegen ein einziges Gebot, so verfolgt er dich mit hundert Strafen. Willst
du ihn bestechen, so macht er dir einen Prozess. Und gehst du redlich mit ihm um, so
lauert er auf die Bestechung. In ganz Russland gibt es keinen böseren Isprawnik!“
„Erinnere dich, Меndеl“, begann Rottenberg, „erinnere dich an Hiob. Ihm ist Ähnliches
geschehen wie dir. Er saß auf der nackten Erde, Asche auf dem Haupt, und seine
Wunden taten ihm so weh, dass er sich wie ein Tier auf dem Boden wälzte. Auch er
lästerte Gott. Und doch war es nur eine Prüfung gewesen. Was wissen wir, Mendel, was
oben vorgeht? Vielleicht kam der Böse vor Gott und sagte wie damals: Man muss einen
Gerechten verführen. Und der Herr sagte: Versuch es nur mit Меndеl, meinem Knecht.“
„Und da siehst du auch“, fiel Groschel ein, „dass dein Vorwurf ungerecht ist. Denn Hiob
war kein Schwacher, als Gott ihn zu prüfen begann, sondern ein Mächtiger. Und auch
du warst kein Schwacher, Mendel! Dein Sohn hatte ein Kaufhaus, ein Warenhaus, er
wurde reicher von Jahr zu Jahr. Dein Sohn Menuchim wurde beinahe gesund, und fast
wäre er auch nach Amerika gekommen. Du warst gesund, dein Weib war gesund, deine
Tochter war schön, und bald hättest du einen Mann für sie gefunden!“
„Warum zerreißt du mir das Herz, Groschel?“, entgegnete Mendel. „Warum zählst du
mir auf, was alles gewesen ist, jetzt, da nichts mehr ist? Meine Wunden sind noch nicht
vernarbt, und schon reißt du sie auf.“
„Er hat Recht“, sagten die übrigen drei, wie aus einem Munde.
Und Rottenberg begann: „Dein Herz ist zerrissen, Mendel, ich weiß es. Weil wir aber
über alles mit dir sprechen dürfen und weil du weißt, dass wir deine Schmerzen tragen,
als wären wir deine Brüder, wirst du uns da zürnen, wenn ich dich bitte, an Menuchim
zu denken? Vielleicht, lieber Mendel, hast du Gottes Pläne zu stören versucht, weil du
Menuchim zurückgelassen hast? Ein kranker Sohn war dir beschieden, und ihr habt
getan, als wäre es ein böser Sohn.“ Es wurde still. Lange antwortete Mendel gar nichts.
Als er wieder zu reden anfing, war es, als hätte er Rottenbergs Worte nicht gehört; denn
er wandte sich an Groschel und sagte:
„Und was willst du mit dem Beispiel Hiobs? Habt ihr schon wirkliche Wunder gesehen,
mit euren Augen? Wunder, wie sie am Schluss von Hiob berichtet werden? Soll mein
Sohn Schemarjah aus dem Massengrab in Frankreich auferstehen? Soll mein Sohn Jonas
aus seiner Verschollenheit lebendig werden? Soll meine Tochter Mirjam plötzlich
gesund aus der Irrenanstalt heimkehren? Und wenn sie heimkehrt, wird sie da noch
einen Mann finden und ruhig weiter leben können wie eine, die niemals verrückt
gewesen ist? Soll mein Weib Deborah sich aus dem Grab erheben, noch ist es feucht?
Soll mein Sohn Menuchim mitten im Krieg aus Russland hierher kommen, gesetzt den
Fall, dass er noch lebt? Denn es ist nicht richtig“, und hier wandte sich Mendel wieder
Rottenberg zu, „dass ich Menuchim böswillig zurückgelassen habe und um ihn zu
strafen. Aus andern Gründen, meiner Tochter wegen, die angefangen hatte, sich mit
Kosaken4 abzugeben - mit Kosaken -, mussten wir fort. Und warum war Menuchim
krank? Schon seine Krankheit war ein Zeichen, dass Gott mir zürnt - und der erste der
Schläge, die ich nicht verdient habe.“
„Obwohl Gott alles kann“, begann der Bedächtigste von allen, Menkes, „so ist doch
anzunehmen, dass ег die ganz großen Wunder nicht mehr tut, weil die Welt ihrer nicht
mehr wert ist. Und wollte Gott sogar bei dir eine Ausnahme machen, so stünden dem die
Sünden der andern entgegen. Denn die andern sind пicht würdig, ein Wunder bei einem
Gerechten zu sehen, und deshalb musste Lot auswandern, und Sodom und Gomorrha
Isprawnik = Kreispolizeichef. Im Zarenreich der Inbegriff der Willkür.
Kosaken = sozial wenig angesehene Halbnomaden, als Reitersoldaten berüchtigt und gefürchtet.
gingen zugrunde und sahen nicht das Wunder ап Lot. Heute aber ist die Welt überall
bewohпt - und selbst wenn du auswanderst, werden die Zeitungen berichten, was mit dir
geschehen ist. Also muss Gott heutzutage nur mäßige Wunder vollbringen.
Aber sie sind groß genug, gelobt sei sein Name! Deine Frau Deborah kann nicht
80 lebendig werdеn, dein Sohn Schemarjah kann nicht lebendig werden. Aber Menuchim
lebt wahrscheinlich, und nach dem Krieg kannst du ihn sehn. Dein Sohn Jonas ist
vielleicht in Kriegsgefangenschaft, und nach dem Krieg kannst du ihn sehn. Deine
Tochter kann gesund werden, die Verwirrung wird von ihr genommen werden, schöner
kann sie sein als zuvor, und einen Mann wird sie bekonцnen, und sie wird dir Enkel
85 gebären. Und einen Enkel hast du, den Sohn Schemarjahs. Nimm deine Liebe
zusammen, die du bis jetzt für аllе Kinder hattest, für diesen einen Enkel! Und du wirst
getröstet werden.“
„Zwischen mir und meinem Enkel“, erwiderte Меndеl, „ist das Band zerrissen, denn
Schemarjah ist tot, mein Sohn und der Vater meines Enkels. Meine Schwiegertochter
90 Vega wird einen andern Mann heiraten, mein Enkel wird einen neuen Vater haben,
dessen Vater ich nicht bin. Das Haus meines Sohnes ist nicht mein Haus. Ich habe dort
nichts zu suchen. Meine Anwesenheit bringt Unglück, und meine Liebe zieht den Fluch
herab, wie ein einsamer Вaum im flachen Felde den Blitz. Was aber Mirjam betrifft, so
hat mir der Doktor selbst gesagt, dass die Medizin ihre Krankheit nicht heilеn kаnn.
Jonas ist wahrscheinlich gestorben, und Menuchim war krank, auch wenn es ihm besser
ging. Mitten in Russland, in einem so gefährlichen Krieg, wird еr bestimmt zugrunde
gegangen sein. Nein, meine Freunde! Ich bin allein, und ich will allein sein. Alle Jahre
habe ich Gott geliebt, und еr hat mich gehasst. Аllе Jahre habe ich ihn gefürchtet, jetzt
kann er mir nichts mehr machen. Аllе Pfeile aus seinem Köcher haben mich schon
getroffeп. Er kann mich nur noch töten. Aber dazu ist er zu grausam. Ich werde leben,
leben, leben.“
„Аber seine Macht“, wandte Groschel ein, „ist in dieser Welt und in der аndern. Wehe
dir, Меndеl, weпn du tot bist!“
Da lachte Mendel aus voller Brust und sagte: „Ich habe keine Angst vor der Нöllе,
meine Haut ist schon verbrannt, meine Glieder sind schon gelähmt, und die bösen
Geister sind meine Freunde. Аllе Qualen der Нöllе habe ich schon gelitten. Gütiger als
Gott ist der Teufel. Da er nicht so mächtig ist, kann ег nicht so grausam sein. Ich habe
keine Angst, meine Freunde!“
Da verstummten die Freunde. Aber sie wollten Mendel nicht allein lassen, und also
blieben sie schweigend sitzen.
(1930) (Joseph Roth: Hiob. Roman eines einfachen Mannes, Köln 1992, S. 163ff)
Arbeitsblatt:
Skowronnek
Erklärungen
für das
Leid
Rottenberg
Groschel
Erwiderungen
Mendels