Gelingensfaktoren des Spracherwerbs im Fachunterricht, Text als pdf

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Gelingensfaktoren des Spracherwerbs im Fachunterricht, Text als pdf
Gelingensfaktoren des Spracherwerbs für Schülerinnen und
Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache im Fachunterricht –
Workshop – 4. Berliner DaZ-Tage, 26.02.07
Prof. Wilhelm Grießhaber – WWU Münster
Im Workshop sollte insbesondere die in der Vorlesung entwickelte
Position, dass sich fachliches Wissen und Fachsprache aus der
alltagssprachlichen Verbalisierung von Sachverhalten und Ereignissen
entwickelt (s. Gibbons 2006), vertieft und an Beispielen konkret behandelt
werden. Dieser Auffassung liegt die Beobachtung zugrunde, dass die
verwendete Sprache jeweils funktional an die kommunikativen Bedürfnisse
angepasst ist. Für den Fachsprachunterricht wird demnach unterschieden
zwischen (a) praktischen Experimenten und der dabei verwendeten
Sprache, (b) einem mündlichen Bericht an eine Zuhörerschaft, die bei den
Experimenten nicht direkt beteiligt war und (c) einer schriftlichen
Fixierung der im Experiment gewonnenen Erfahrung für unbestimmte
Rezipienten und für spätere Verwendungen.
Diese Schritte wurden am Beispiel des Bindens einer Krawatte praktisch
vollzogen (s. Grießhaber 2003-2007). Zunächst beschrieb eine
Teilnehmerin den Anwesenden beim Binden, wie sie die Krawatte bindet
(a); anschließend leitete sie eine Teilnehmerin beim Binden der Krawatte
an (b). An Transkriptionen aus vergleichbaren Handlungstypen wurde
deutlich, dass bei diesem Vorgehen das zu manipulierende Stück kaum
versprachlicht wird, während sich die Sprache auf die Richtung, in die das
Stück bewegt wird – meist ohne Verben - mit direktionalen Ausdrücken
aus Präpositionen und Demonstrativa bezieht. Eine fremde Person könnte
nach dieser Anleitung keine Krawatte binden. Bei der Anleitung zum
Binden stehen ebenfalls Richtungen im Zentrum, ergänzt durch eindeutige
Markierungen der jeweiligen Handlungsschritte. Auch mit diesen
Anleitungen könnte man keine Krawatte binden. Erst bei den schriftlichen
Anleitungen zu einer bildlich dargestellten Handlungsfolge werden Texte
produziert, die einen Fremden zum Binden befähigen.
In Gruppenarbeit wurden sodann sechs verschiedene Anleitungstexte von
nichtdeutschsprachigen Studierenden der Germanistik untersucht. Beim
anschließenden Vergleich des in einer Zeitschrift publizierten Texts zu der
bildlichen Anleitung und weiteren Texten von dH Studierenden wurden
einige Probleme erarbeitet, die L2-Lerner bei der verbalen Beschreibung
von Vorgängen haben. Die ndH Studierenden verwenden kaum
Komposita, die dH Studierende auch ad hoc bilden, die verwendeten
Verben sind spezifisch auf den Sachverhalt bezogen. Die einzelnen
Handlungsschritte sind mit Konjunktionen logisch zueinander in Beziehung
gesetzt. Die räumliche Orientierung und die Abgrenzung einzelner
Handlungsschritte mittels Sprache gelingt meist. Dagegen weisen die ndH
Texte in diesen Bereichen mehr oder weniger große Defizite auf, so dass
das Binden nach den Anweisungen in mehreren Fällen nicht gelingt.
Vergleichbare Probleme haben auch Schülerinnen und Schüler ndH im
Fachunterricht.
Sie können zwar Experimente mitvollziehen, es fehlen ihnen aber wie den
Studierenden die Mittel zur präzisen Verbalisierung. Dies wurde an
Beispielen aus dem Artikel von Gibbons 2006 verdeutlicht. Dabei wurde
des weiteren die Funktionalität der Sozialform für die Erarbeitung
fachlicher Inhalte behandelt. Ähnlich wie beim Krawattenbinden
unterscheidet sich die handlungsbezogene Sprache grundlegend von der
mündlich berichtenden und der schriftlich zusammenfassenden. Dabei
wurde auch deutlich, dass dem kommunikativen Zweck der Sprache eine
zentrale Rolle zukommt: wenn bei Gruppenarbeitsphasen alle dasselbe
machen, gibt es anschließend kaum eine echte Mitteilung unter den
Lernenden. Zentraler Adressat ist die Lehrperson. Ihr gegenüber besteht
jedoch keine kommunikative Notwendigkeit, sich verständlich
auszudrücken und so an der Form der Äußerung zu arbeiten, dass ein
Verstehen erreicht wird – die Lehrperson verfügt ja schon über das
Wissen. Dagegen wird bei einer Mitteilung über die in einer Gruppe mit
speziellen Materialien oder Aufgabenstellungen gemachten Erfahrungen
den übrigen Lernenden etwas Neues mitgeteilt. Dementsprechend steigt
auch der kommunikative Aufwand, die Erfahrungen verständlich
mitzuteilen. Bei der schriftlichen Ausarbeitung findet eine Abstraktion
statt. Das gewonnene Erfahrungswissen wird systematisiert. In Gibbons
Beispiel werden nicht mehr nur die Materialien aufgezählt, sondern nach
ihrer Substanz in Klassen zusammengefasst. In diesem Prozess entwickelt
sich mit dem fachlichen Wissen auch die zur Kommunikation dieses
Wissens geeignete Sprachform.
Abschließend wurde aus einem Beispiel aus dem gymnasialen
Chemieunterricht (Forthaus u.a. 1998) die Bedeutung des Tafelanschriebs
behandelt. Die bei Lernenden dH ausreichende abkürzend verknappte
Beschriftung abstrahiert von den sprachlichen Elementen, die die
Beziehung zwischen den Größen darstellen. Dagegen werden diese zum
Verständnis zentralen Mittel bei einer Ausformulierung in ganzen Sätzen
deutlich. Auf der Seite der Lernenden kommt der textuellen Ausarbeitung
von Beobachtungen und Beziehungen in ganzen Sätzen eine große Rolle
zu. Die eigenständige explizite Versprachlichung von Ursache-FolgeBeziehungen führt zu einem fachlichen Verständnis und zur Entwicklung
der dafür erforderlichen Sprache. Der Deutschunterricht kann dies
unterstützen, indem abgestimmt z.B. typische grammatische
Konstruktionen (z.B. Passiv) behandelt werden.
Literatur
Forthaus, Ursula & do Carmo Kuparinen, Maria & Marquardt, Dorothee
(1988) Zweisprachige Erziehung am Max-Planck-Gymnasium in
Dortmund. In: Deutsch lernen 2/88, 67-81
Gibbons, Pauline (2006) Unterrichtsgespräche und das Erlernen neuer
Register in der Zweitsprache. In: Mecheril, Paul & Quehl, Thomas (Hgg.)
(2006) Die Macht der Sprachen. Englische Perspektiven auf die
mehrsprachige Schule. Münster u. New York: Waxmann, 269-290
Grießhaber, Wilhelm (2003-2007) Handlungen beschreiben/anleiten. URL:
http://spzwww.uni-muenster.de/~griesha/eps/wrt/krw/index.html (Abruf:
16.02.07)
Grießhaber, Wilhelm (2005) Sprache im zweitsprachlichen
Mathematikunterricht. Verbale und nonverbale Verfahren bei der
Vermittlung mathematischen Wissens. In: Braun, Sabine & Kohn, Kurt
(Hgg.) (2005) Sprache(n) in der Wissensgesellschaft. Proceedings der 34.
Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik. Frankfurt/M.
u.a.: Lang, 65-77