Zahl dementer Menschen steigt
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Zahl dementer Menschen steigt
12 BAYERISCHER BEZIRKETAG FREITAG, 18. SEPTEMBER 2015 BAYERISCHE STAATSZEITUNG NR. 38 VERÖFFENTLICHUNG DES BAYERISCHEN BEZIRKETAGS KOLUMNE: „Bayern ist auch ein Experten rechnen bis zum Jahr 2030 mit einer Million zusätzlicher Patienten sagenhaftes Land der Kultur“ Zahl dementer Menschen steigt Von Hannes Burger Da Summa is ummma sagt ein Volkslied. Das Bauernjahr ist weithin vorbei: Weizen und Mais, Heu und Silage, Hopfen und Gerste, Kartoffeln und Kraut sind größtenteils geerntet. Es fehlt noch der Almabtrieb und die späte Weinlese. Das Kirchenjahr feiert dazu Erntedank und Kirchweih. Im benediktinisch geprägten Bayern heißt es „ora et labora!“ – frei nach meinem Latein: „Arbeiten, Beten, Caritas üben und den Herrgott beim Feiern mit hochleben lassen.“ Bayern ist sagenhaft – im doppelten Wortsinn. Dass es sich hier gut arbeiten, leben und feiern lässt, weckt nicht nur in Deutschland viel Neid, sondern das hat sich auch auf dem Balkan, in Afrika und in Asien herumgesprochen als Traum von Seehofers Sage vom „Vorgarten zum Paradies“. Das Oktoberfest beschließt mit großem Gepränge die regionalen Bier- und Weinfeste. Bilder von saufenden und schmausenden „Trachten-Bayern“ gehen weiter um die Welt als die von lernenden, arbeitenden oder pflegenden Fachkräften. In Bayern wird sagenhaft fleißig, kompetent und verlässlich gearbeitet, was globale Firmen anzieht; politisch wird die Wirtschaft hier gefördert statt wie anderswo behindert. Daher sind Volksfeste in Bayern biblisch gerechtfertigt: „Du sollst dem dreschenden Ochsen das Maul nicht verbinden!“ (5.Mos.25,4). Aber Volksfeste stehen oft im Zusammenhang mit kulturellen Festen aller Bezirke. Schauspiele oder Konzerte mit Profis und Laien gemischt, Festzüge mit Musikkapellen, historischen Kostümen und Figuren bedeuten aber mit Vorbereitung und Proben viel Freizeit-Arbeit. Das ist „Do-ityourself-Kul-tur“ – im Gegensatz zur teuren „Hochkultur“ der Metropolen, die vom Staat hoch subventioniert wird. Die Kultur der Bezirke wird aus Umlagen der Kommunen und Stiftungen finanziert. Das heißt: selber malen, singen, musizieren, Theater spielen, Kostüme nähen und die Geschichte seiner Region und Religion studieren. In kaum einem anderen Land finden so viele historische Festspiele, Musik-Festivals und Umzüge statt wie in Bayern. Regionale Archivare müssen in der Geschichte forschen, ob es nicht heidnische Sagen von Drachen und Dämonen, mittelalterliche Ritterdramen oder kriegerische Überfälle gibt. Wo eine Hexe verbrannt, ein Eremit erschlagen, ein Wildschütz gemeuchelt oder eine betrogene Gräfin auf der Burgruine spukt, da wird die Sage gespielt, gefeiert und als TouristenAttraktion aufbereitet. Bayerns Sozialstaatssekretär Johannes Hintersberger (CSU) hat auf dem Bezirketag in Amberg gesagt: „Bayern lebt von seiner regionalen Vielfalt. Gleichwertigkeit der Lebenschancen muss deshalb im Zentrum unserer politischen Ziele stehen.“ Da hat er recht. Die- Burgers Bayern se Vielfalt hat aber viel mit regionaler Kultur zu tun. In Bayern identifizieren sich die Menschen stark mit ihrer Heimat: mit der schönen Natur, legendenreichen Geschichte, christlichen Überlieferung, Bräuchen, Denkmälern, Musik, Trachten und der sagenhaften Vielfalt unserer Wirtschaft. Bayerns Bezirke sind mit die Träger und Garanten dieser Kultur. Ohne die regionale Förderung von Musikschulen, Volksmusik, Museen, Brauchtum und Trachten gäbe es längst den „Einheitsbayern“ wie ihn Medien gern karikieren und viele Deutsche sich uns „Seppels“ vorstellen. Die Stärke der regionalen Identität und Kultur beruht aber nicht allein auf Festspielen, sondern auf Lernen, Üben und Proben das Jahr über. Das fördern die Bezirke, denn von nix wird nix. D as Problem ist von erheblicher politischer und gesellschaftlicher Dimension: Nach Einschätzung von Fachleuten wird die Zahl pflegedürftiger Menschen in Deutschland bis zum Jahre 2030 um weit über eine Millionen steigen. Ähnliche Zahlen liegen auch für die Formen verschiedener Alterserkrankungen, insbesondere im Bereich der Demenz, vor. Um dieser drängenden Herausforderung begegnen zu können, fordert Mittelfrankens Bezirkstagspräsident Richard Bartsch seit langem die im ambulanten Bereich tätigen Pflegekräfte bei den Pflegediensten auch gerontologisch weiterzubilden. Darüber hinaus werde es auch für die dritte kommunale Ebene und deren Facheinrichtungen immer wichtiger werden, die enge Zusammenarbeit mit den Angehörigen all jener zu pflegen, die an Alzheimer oder ähnlichen Demenz-Erkrankungen leiden. Denn die meisten Menschen, die so erkranken, treibt die Sorge, ja die Angst um, alsbald ein Pflegefall zu werden und somit in ein Pflegeheim gehen zu müssen. Dabei, so besagen es verschiedene Studien, ist eine rasche Aufnahme solcher Menschen in entsprechende Heime nur selten geboten. Zumeist gelingt es, die Demenz-Patienten doch noch über eine längere, oft sogar lange Wegstrecke in ihrer vertrauten privaten und auch familiären Umgebung belassen zu können. Die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft schätzt, dass derzeit rund 1,5 Millionen Menschen an Demenz erkrankt sind. Doch die Dunkelziffer ist auch hier hoch – und die Zahl derer, die neu erkranken, steigt von Jahr zu Jahr. Bis zum Jahre 2050 könnten danach bis zu 2,5 Millionen Menschen – andere Experten sprechen sogar weit über drei Millionen – ein solches Krankheitsbild entwickeln. Auch Bezirketagspräsident Josef Mederer hat vor diesem Hintergrund die gewaltige Aufgabe, vor der hier die Bezirke medizinisch und in ihrer Versorgungsstruktur stehen, seit Langem erkannt. „Deshalb werden wir verstärkt bestens ausgebildete und hoch motivierte „Arbeit“ als Thema auf der Nürnberger Messe ConSozial Das Psychiatrie-Museum Haar feiert zehnjähriges Bestehen Passender könnte das Motto für die Fachmesse ConSozial am Mittwoch, 21., und Donnerstag, 22. Oktober, in Nürnberg aus der Warte der Bezirke kaum sein: Selbstbestimmt leben – Inklusion gestalten – Soziales pflegen. Umso mehr sieht Bezirketagspräsident Josef Mederer in der Teilnahme des Verbandes eine neuerliche Chance, auf die Herausforderungen und Chancen der Inklusion aufmerksam zu machen. „Hier erfüllt die ConSozial einen ganz wichtigen Auftrag, weshalb wir die beiden Tage nutzen werden, um unsere Positionen zu verdeutlichen, wo Inklusion heute steht, und was auf die Gesellschaft hier im Sinne der UN-Konvention für Menschen mit Behinderung in den nächsten Jahren zukommt“, so Mederer mit Nachdruck. Das Fach-Forum als Beitrag der dritten kommunalen Ebene zur Messe gestaltet dieses Mal der Bezirk Schwaben. Er nimmt sich des Themas Auf dem Weg – Chancen und Möglichkeiten für Menschen mit Behinderungen und psychisch Erkrankte auf dem Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt an. Am Podium werden u.a. eine Sozialpädagogin, ein Vertreter der Unterallgäuer Werkstätten, der Geschäftsführer einer Integrationsfirma und ein EX-In Genesungsbegleiter ihre Erfahrungen erläutern. Arbeit, als elementarer Baustein der Inklusion, ist somit ein wichtiger Faktor für die Betroffenen für ein autarkes Leben in Eigenverantwortung. > U.L. „Sie haben ein Schatzkästchen geschaffen, das seinesgleichen sucht – ihr Einsatz ist vorbildlich“ lobte Josef Mederer, Präsident des Bayerischen Bezirketags, Alma Midasch, Ulrich Ferdinand und Günther Goller. Denn seit genau zehn Jahren sammeln die drei ehrenamtlichen Mitarbeiter (und ehemaligen Beschäftigten) Gegenstände aus dem Klinikum Haar, um diese den Besuchern zeigen zu können. Gelohnt hat sich das persönliche Engagement in jedem Fall: Mehr als 18 000 Interessierte haben seither das Museum besucht und sich über die Geschichte des Klinikums, aber auch über die Fachdisziplin Psychiatrie informiert. „Besonders freut mich, dass Sie auch Führungen für junge Menschen und Schulklassen anbieten. Sie stellen damit die Geschichte des Klinikums mit all seinen Facetten lebendig vor. Dabei erinnern Sie auch an das dunkelste Kapitel der Geschichte, die NSZeit. Die Erinnerung an die damals deportierten und später ermordeten Patienten ist unerlässlich, gerade für die jüngere Generation“, betonte Mederer. Johannes Thalmeier, Vertreter der Krankenhausleitung, erinnerte daran, wie wichtig der Wissenstransfer für die junge aber auch die ältere Generation ist: „Geschichte muss erzählt werden, damit Menschen sie verstehen können.“ Auch Gabriele Müller (SPD), die Bürgermeisterin der Gemeinde Haar, hob hervor, wie sehr das Klinikum in Persönliche Zuwendung ist bei der Betreuung dementer Menschen besonders wichtig. Pflegekräfte brauchen, um den alten, kranken und pflegebedürftigen Menschen eine Betreuung und Pflege zu teil werden zu lassen, die ihrem Anspruch, eine menschlich erstklassige Pflege zu sein, auch gerecht wird.“ Deshalb unterstützt Mederer auch alle Initiativen und Bemühungen – etwa seitens des Bayerischen Sozialministeriums – vermehrt auf junge Menschen zuzugehen und diese für den Beruf des Altenpflegers zu gewinnen. Die „Herzwerker-Kampagne“ etwa, in deren Mittelpunkt auch Aufklärung, Information und Werbung für diesen Beruf an bayerischen Schulen steht, ist dafür ein beredtes Beispiel. Dabei weiß aber auch Josef Mederer um die Notwendigkeit, den Pflegeberuf finanziell attraktiver zu gestalten. „Allein nur über eine bessere Bezahlung von Pflegekräften, insbesondere auch in der Altenpflege, werden wir zwar auch nicht die große Menge junger Menschen für diesen Beruf begeistern, aber sicher muss auch hier auf Dauer etwas geschehen, damit dieser Beruf, der mehr als manch anderer eine Berufung darstellt, auch angemessen entlohnt wird“, betont der Bezirketagspräsident. Nach Überzeugung von Richard Bartsch, der seit vielen Jahren im Umfeld der Gerontologie politisch aktiv ist, werde aber gleichwohl die Gerontopsychiatrie allein in Zukunft auch nicht mehr eine ausreichende Versorgungsstruktur leisten können. Immer wieder plädiert er daher dafür, dass sich diese mehr und mehr zu einem „Kompetenzzentrum Altenpflege“ fortentwickeln müsse. Dies gilt insbesondere auch vor dem seelischen Hintergrund von Demenzerkrankungen. Denn fast immer lebten diese Menschen in ihrer ganz eigenen Gedanken- und Gefühlswelt. Während die entfernte Vergangenheit lebhaft präsent FOTO DPA sei, würden die jüngere Vergangenheit und Ereignisse der Gegenwart nur noch unzureichend – und im späteren Stadium der Erkrankung fast gar nicht mehr – erlebt und widergespiegelt. So werden im Verlauf der Krankheit selbst nahe Angehörige kaum noch erkannt, was eine längerfristige häusliche Pflege zusätzlich erschwere und irgendwann dann unmöglich mache. Die Angehörigen selbst reagieren darauf oft zunächst mit Verwunderung, dann Irritation und schließlich auch mit Enttäuschung. „Und nicht selten ist dann doch eine Aufnahme des Patienten in ein Heim der letzte Ausweg“, sagen Fachleute. Umso mehr bleiben gerade auch die Bezirke gefordert, alle Möglichkeiten ambulant, stationär und vor allem auch finanziell auszuschöpfen, um dieser bedrohlich „tickenden Zeitbombe“ begegnen zu können. Das ist eine Aufgabe fraglos für Jahrzehnte. > ULRICH LECHLEITNER MELDUNGEN „Ein Schatzkästlein, das seinesgleichen sucht“ Professor falsch zitiert In dem am Freitag, 19. Juni 2015, auf den Seiten des Bayerischen Bezirketags erschienenem Artikel Das Angebot reicht nicht wird Professor Franz-Joseph Freisleder, Ärztlicher Direktor des kbo-Heckscher-Klinikums München, falsch zitiert. Die Zahlen sind wie folgt zu korrigieren: 1997 wurden zirka 490 (nicht 4900) junge Patienten stationär im Heckscher Klinikum behandelt. 2014 waren es bereits zirka 1650 (nicht 16 900) Patienten. Die Zahl hat sich somit verdreifacht. > M.K. Wenn Mehr als 18 000 Besucher verzeichnete das Museum seit seiner Eröffnung. der Kommune verankert sei. „Ich wünsche mir deshalb, dass noch mehr Bürger das Museum besuchen und sich vor Ort informieren“. Dies gelingt bislang gut, da ein großer Teil der Besucher aus ganz Oberbayern und darüber hinaus kommt. „Das freut uns umso mehr. Wir haben uns die Bekanntheit wirklich erarbeitet. Gerade die persönlichen Führungen der Gruppen geben uns die Möglichkeit, gezielt auf alle Fragen eingehen zu können“, so Midasch. Darauf verwies auch Martin Spuckti, bei der Gründung einst Krankenhausdirektor des Klinikums und heute Vorstand von kbo: „Gerade die persönliche und jahr- zehntelange Erfahrung des Museumsteams, wird bei den Besuchen und Führungen auf beste Weise erfahrbar.“ Günther Goller richtete seinen Blick in die Vergangenheit und in die Zukunft: „Wir verstehen uns als einen Ort der Begegnung und des Dialogs. Unser Ziel und unser Wunsch ist es, irrationale Vorstellungen und Ängste der Menschen vor der Psychiatrie weiter abzubauen.“ Gegründet wurde das Psychiatrie-Museum, eines von zweien in Oberbayern, im Jahr 2005, anlässlich des 100. Geburtstages der Einrichtung. Es gibt einen eindrucksvollen Eindruck in Bezug auf 100 Jahre Psychiatrie in Haar. Therapie FOTO BEZIRK OBERBAYERN und Behandlung haben sich seither stark gewandelt, und dies wird beim Rundgang durch das Museum auch spürbar. Alte und neue Fotos, Dokumente und Akten zeigen diesen Wandel. Erlebbar werden auch die Arbeitsbedingungen für Ärzte und Pflegekräfte, die heute nicht mehr vergleichbar sind mit jenen von einst. Aber auch die Krankengeschichten von berühmten Patienten wie zum Beispiel Oskar Maria Graf, der in Haar behandelt wurde, werden im Museum vorgestellt. Sowohl der Bezirk Oberbayern als auch das Klinikum unterstützen das Museum finanziell und personell. > HENNER LÜTTECKE Wenn von Inklusion die Rede ist, geht es meist um schulische Belange oder auch um soziale Fragen. Doch der Begriff Inklusion kann und muss viel breiter gefasst werden. Menschen mit Behinderungen haben ebenso ein Anrecht auf kulturelle Teilhabe. Der Bayerische Bezirketag veranstaltet deshalb zusammen mit dem Bezirk Mittelfranken und der Behindertenbeauftragte der Staatsregierung eine Tagung zum Thema „Inklusion und Kultur“. Dabei soll die Frage im Mittelpunkt stehen, wie Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen selbst kulturell aktiv werden bzw. wie sie Kulturangebote nutzen können. Die Veranstaltung findet am 19. und 20. Oktober 2015 in Nürnberg statt. Weitere Infos im Internet: www.inklusionskultur2015.de > M.K. VERANTWORTLICH für beide Seiten: Bayerischer Bezirketag, Redaktion: Ulrich Lechleitner