SZ-Archiv: A57741000

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SZ-Landkreisausgaben
Mittwoch, 6. August 2014
Bayern Region Seite 34DAH,EBE,ED,FS,FFB,München City,München Nord,München Süd,München West,STA,Wolfrhsn. Seite R16
Klingendes Hotel
Das Kronthaler in Achenkirch entwickelt sich zu einem Jazz-Szenetreff
Achenkirch – Es sind gerade Mal 80 Autokilometer von München nach Achenkirch.
Doch trotz Christlum-Skigebiet, dem malerischen Achensee und einem großen – allerdings auch ziemlich hässlichen – Campingplatz ist der Ort inmitten des Karwendels vielen Münchnern höchstens als Ausweichroute bekannt. Weit entfernt jedenfalls davon, ein Hotspot der Münchner
Schickeria wie Kitzbühel oder ein vorgelagertes Sport- und Ferienrevier wie der Gardasee zu sein. Ein bisschen soll und könnte
sich das jetzt ändern: Mit dem 2010 eröffneten Viereinhalb-Sterne „Design und
Alpine Lifestyle“-Hotel Kronthaler entwickelt sich gerade so etwas wie eine Alternative zu Orten wie Schloss Elmau.
Hotelier Günther Hlebaina, mit dem Kinder- und Familienhotel „Sporthotel Achensee“ am Ort seit 1992 sehr erfolgreich, übernahm 2008 das etwas heruntergekommene „Verwöhnhotel Achensee“ am Hang neben der Christlum-Talstation – in dem er
Anfang der Achtzigerjahre als Skilehrer angefangen hatte. Unter dem an die Gründerfamilie erinnernden Namen Kronthaler
ließ er es 2010 viel größer und in allen Details vom Komfort bis zur Ökologie nach
modernsten Standards neu erstehen. Von
Anfang an gehörten Kulturveranstaltungen zum Konzept. „Wir haben gleich mit einem kleinen Jazzfestival begonnen, aber
das war noch zu früh,“ berichtet Hlebaina.
„Bauverzögerungen, Kostensteigerungen,
Finanzkrise und örtliche Streitereien zwangen uns dazu, uns erst einmal aufs Kerngeschäft zurückzuziehen und den normalen
Hotelbetrieb ins Laufen zu bringen.“
Die Münchnerin Stefanie Boltz war da
freilich schon aufs Kronthaler und die in
ihm schlummernden Möglichkeiten aufmerksam geworden, als Jazzsängerin wie
als Betreiberin der eigenen Künstleragentur „fine artists“. Sie ließ nicht locker, Hlebaina eine von ihr organisierte Neuauflage
des Jazzfestivals schmackhaft zu machen.
Nachdem es ganz gut läuft, war die Zeit dafür jetzt gekommen: Dreimal im Jahr steht
das Kronthaler nun für ein langes Wochenende jeweils im März, im August und im November ganz im Zeichen des Jazz. Viel Zeit
und Mittel für das Startprogramm hatte
Boltz nicht, also arbeitete sie zunächst mit
Bordmitteln. Den Auftakt im März bestritt
sie mit „Le Bang Bang“ selbst, ihrem erfolgreichen, bislang auf zwei Alben dokumen-
tierten Duo mit dem Bassisten Sven Faller.
Der wiederum brachte sein nicht minder
erfolgreiches Trio Elf mit Pianist Walter
Lang sowie Schlagzeuger und Bandgründer Gerwin Eisenhauer, und für die jeweils
abschließende Sonntagsmatinee auch
noch sein Duo mit dem großartigen Vibrafonisten Tim Collins an den Start.
Die bayerisch-brasilianische
Kooperation war Ergebnis einer
lange bestehenden Freundschaft
Auch am vergangenen Wochenende hatte Faller die meiste Arbeit: Erst bei einer
bayerisch-brasilianischen
Connection,
dann wieder als Begleiter von Stefanie
Boltz bei der Präsentation ihres Debüt-Albums unter eigenem Namen „Love, Lakes
& Snakes“. Da war der Regensburger Gitarrist Paulo Morello der dritte im Bunde, der
dann für die Matinee den Staffelstab übernahm. Doch der Reihe nach.
Der bayerisch-brasilianische Auftakt
war Ausfluss einer lange bestehenden
Freundschaft und musikalischen Partnerschaft. Vor vielen Jahren hatte Pianist Walter Lang – ein großer Freund der brasilianischen Musik und regelmäßiger Besucher
Luftiges Vergnügen: Paulo Morello und
Helmut Nieberle.
FOTO: LENA SEMMELROGGEN
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des Landes – auf dem Jazzfestival in Belgrad den brasilianischen Perkussionisten
Marco Lobo kennengelernt. Seither pflegt
man eine der spannendsten Kollaborationen seiner Art. Lobo, in seiner Heimat ein
Star, ist mit seinem gewaltigen Arsenal an
Rasseln, Ketten, Schläuchen und selbst Ersonnenem und Gebautem wie den an die
Füße anschnallbaren Dosengurten oder einer zerlegbaren Berimbau nebst Timbales,
Cajon, Becken und Hang schon für sich eine echte Schau. Walter Langs Kompositionen – von den romantisch melodiegeschwängerten bis zu den härteren und serielleren fürs Trio Elf – verhilft er überdies
zu ganz neuer Dynamik und Farbigkeit.
In der Zeitlos-Bar des Kronthalers kam
das so gut zur Geltung, dass das Publikum
bis zum Schluss aufmerksam und zahlreich blieb – was mehr ist, als man von vielen Hotelkonzerten behaupten kann. Nicht
anders sah dies am Abend darauf in der
noch spektakuläreren Himmelnah-Bar
auf dem Dach aus. Akustisch der schwierigere Raum, bewältigte Stefanie Boltz mit
ihrer klaren, aber doch bluesigen, vor allem in den Übergängen eindrucksvollen
Stimme Standards und eigene Kompositionen überzeugend. Welche Möglichkeiten
das Kronthaler hat, wurde durch die Verlegung der Matinee auf die Terrasse deutlich: Paulo Morello und sein früherer Lehrer Helmut Nieberle – einer der Doyens der
deutschen Jazzgitarre und Lehrmeister vieler jüngerer Musiker – spielten ein ganz intimes Duett mit nach eigenem Gusto bearbeiteten Swing-Standards und brasilianischen Choros, bei dem man einmal die
sonst niederschwellige Kommunikation
und improvisatorische Abstimmung der
Musiker mitbekam.
Von 21. bis 23. November findet die Winter-Etappe des diesjährigen Hotelfestivals
statt, und auch die hat Boltz noch fest in
bayerischer Hand belassen: Mit den Weltmusik-Aufsteigern Levantino, dem Gitarrenduo Café del Mundo (an der Seite von Le
Bang Bang) und dem Duo der Quadro-Nuevo-Cracks Mulo Francel & Evelyn Huber
sind ausschließlich Kollegen vom Münchner GLM-Label dabei. Schon im kommenden Jahr aber soll sich der Horizont zum einen weiten, zum anderen thematisch verdichten; unter anderem mit einer von Herbert Pixner angeführten Alpenjazz-Edition.
oliver hochkeppel
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