Virtuelle Kamerabewegung: der konstruierte Kamerablick im
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Virtuelle Kamerabewegung: der konstruierte Kamerablick im
Virtuelle Kamerabewegung: der konstruierte Kamerablick im digitalen Film Florian Juri DIPLOMARBEIT eingereicht am Fachhochschul-Masterstudiengang Digitale Medien in Hagenberg im Juli 2011 © Copyright 2011 Florian Juri Diese Arbeit wird unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz Namensnennung–NichtKommerziell–KeineBearbeitung Österreich (CC BYNC-ND) veröffentlicht – siehe http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/ 3.0/at/. ii Erklärung Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und die aus anderen Quellen entnommenen Stellen als solche gekennzeichnet habe. Hagenberg, am 27. Juni 2011 Florian Juri iii Inhaltsverzeichnis Erklärung iii Kurzfassung vi Abstract vii 1 Einführung 1 2 Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 2.1 Kamerabewegung im Realfilm . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Stummfilmära . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Tonfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Computerunterstützte Kamerabewegung . . . . . 2.2 Kamerabewegung in der analogen Animation . . . . . . 2.2.1 Der überwiegend statische Betrachterstandpunkt 2.2.2 Gewinnung räumlicher Tiefe . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Integration der virtuellen Kamera . . . . . . . . . 2.3 Früher Einsatz der virtuellen Kamera . . . . . . . . . . . 3 Gestaltungsfelder der bewegten Kamera 3.1 Kategorisierung von Bewegungen . . . . . . . . . . . . . 3.2 Bewegungsarten der Kamera . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Einsatz der bewegten Kamera . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Gestaltungsmöglichkeiten des Zooms . . . . . . . 3.3.2 Gestaltungsmöglichkeiten der Schwenkbewegung 3.3.3 Gestaltungsmöglichkeiten der Kamerafahrt . . . 4 Virtuelle Kamerabewegung 4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Simulation im digitalen Zeitalter . . . . . . . . . 4.1.2 Realismus und digitales Filmbild . . . . . . . . . 4.1.3 Entmaterialisierung der Kamera . . . . . . . . . 4.1.4 Das Kamera-Objekt im dreidimensionalen Raum 4.2 Einsatz der virtuellen Kamera . . . . . . . . . . . . . . . iv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3 3 6 8 10 10 11 13 14 . . . . . . 16 16 17 18 19 20 21 . . . . . . 24 24 24 26 27 28 29 Inhaltsverzeichnis 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 v Prävisualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Perfekte Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschleunigte Fahraufnahmen . . . . . . . . . . . . . Unmögliche Visualisierungen . . . . . . . . . . . . . Skalierung von Raum und Zeit im digitalen Film . . TRON, TRON: Legacy – hybride Formen im Wandel Erkennbarkeit virtueller Kamerafahrten . . . . . . . . . . . . . . 5 Schlussbemerkungen 29 31 32 39 48 50 58 61 A Interviews 64 A.1 Interview mit Alvy Ray Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 A.2 Interview mit Anthony Shafer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 A.3 Interview mit Richard Taylor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 B Inhalt der CD-ROM/DVD B.1 Diplomarbeit . . . . . . . B.2 Referenzen . . . . . . . . . B.2.1 Literatur . . . . . B.2.2 Sonstiges . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 67 67 67 67 68 Kurzfassung Das Kernthema dieser Arbeit ist der Einsatz virtueller Kamerabewegung im digitalen Film. Filmschaffende, sowie Kritiker und Filmtheoretiker beschäftigen sich seit über einem Jahrhundert mit der bewegten Kamera als Gestaltungsmittel. Ihr Einsatz ist umstritten, doch sind heutige Filmproduktionen ohne den dynamisch veränderbaren Kamerablick meist nicht vorstellbar. Die Beweglichkeit des Betrachterstandpunkts verschiedener Medien war einer ständigen technischen Weiterentwicklung unterworfen und hat, wie hier behauptet, durch die Digitalisierung des Films und der Verwendung einer virtuellen Kamera ihr Endstadium erreicht. Der Arbeit liegt die Annahme zugrunde, dass hybride Bewegungsbilder, d. h. eine Kombination aus Realfilm und Computeranimation, durch eine uneingeschränkt bewegliche Kamera einem deutlichen Wandel unterzogen sind und Bildwelten erschaffen, die weder technischen noch physikalischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Anhand älterer und aktueller digitaler Filme, so auch TRON, TRON: Legacy, Star Wars: Episode I, Lord of the Rings: The Two Towers, Fight Club und Panic Room werden diverse Verwendungsformen der virtuellen Kamera untersucht. Ziel der Arbeit ist es, die bewegte virtuelle Kamera als kreatives Werkzeug und filmisches Mittel zu erforschen. Es soll geklärt werden, inwieweit die erhöhte Beweglichkeit der Kamera in Anspruch genommen wird und welche erweiterten erzählerischen Möglichkeiten sich daraus ergeben. Darüber hinaus soll die Frage beantwortet werden, wie gut sich virtuelle Kamerafahrten in real gefilmte Szenen eingliedern und ob eine eindeutige Identifikation der Bildquelle heutzutage überhaupt noch möglich ist. vi Abstract This Master’s thesis explores the application of virtual camera movement in digital film. For over one hundred years filmmakers, critics and theorists have explored the moving camera as a cinematic device. Its usage is still controversial, yet is the moving camera important and central to our experience of watching moving images. The mobility of the camera’s eye was constantly driven by a continuous development of technology and, as claimed by the author, has reached it’s final stage through digitization of film. The thesis underlying assumption is, that hybrid films, meaning the combination of live-action and computer animation, are accompanied by a constant change. They appear to create fictional worlds, which overcome both technical and physical limitations. The applicatoin of the virtual camera is examined by analyzing movies such as TRON, TRON: Legacy, Star Wars: Episode I, Lord of the Rings: The Two Towers, Fight Club and Panic Room. The intention of this thesis is to explore the virtual camera as a creative tool and cinematic device. It should be clarified to what extend the enhanced mobility of the camera is used by film directors and how it is applied as a storytelling device. Furthermore, it will be displayed how well virtual camera moves integrate with live-action scenes and if a conclusive identification of the image source is possible at all. vii Kapitel 1 Einführung Der Film ist ein komplexes Konstrukt, so bieten sich diverse Möglichkeiten, sich an ihm anzunähern, ihn zu erforschen. Diese Arbeit stützt sich auf einen einzigen stilistischen Parameter des Films: Kamerabewegung. Bereits im zwanzigsten Jahrhundert nutzten Filmschaffende die Kamerabewegung dafür, den Raum auf eine besondere Weise zu „dynamisieren“ [45, S. 18], und das tun sie auch noch immer. Die Geschichte des Films ist von technischen Innovationen geprägt. Kameras wurden immer kleiner und mobiler, Filmequipment wurde ständig weiterentwickelt, und so hat sich auch die Ästhetik der Bewegungsbilder im Laufe der Zeit dramatisch verändert. Durch die letztliche Digitalisierung des Films und durch den Einsatz einer virtuellen Kamera ist man nun nicht mehr zwangsläufig an den physischen Filmapparat gebunden, zudem kann die virtuelle mit nur wenigen „Klicks“ in Bewegung versetzt werden. Es eröffnen sich neue Möglichkeiten, den Blick des Betrachters zu lenken, neue Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen. Fanden Kritiker bereits im Realfilm häufig Gründe dafür, mobile Aufnahmen wegen ihrer Sinnlosigkeit und verwirrenden Wirkung zu kritisieren [58, S. 51], so liegt es nahe, dass virtuelle Fahrten heute noch weniger als früher in einer Form, die sie rechtfertigen, verwendet werden. Ob dem so ist, welchen Stellenwert die virtuelle Kamera in digitalen Produktionen einnimmt und ob sie den Film grundlegend veränderte, wird sich, wie ich hoffe, nach Abschluss der Arbeit herausgestellt haben. Um das Themengebiet einzugrenzen fokusiert sich die Arbeit zu Behandlung der virtuellen Kamera auf eine hybride Form: den digitalen Film, der Realfilmaufnahmen und Computergrafik kombiniert. Um sich der Thematik anzunähern, beginnt die Arbeit im Kapitel 2 genau dort, wo die Kamerabewegung auch ihren Ursprung hat: zum Zeitpunkt der Entstehung des Films. Bestehende Filmliteratur und diverse Filmproduktionen dienen hier als Grundlage. Es wird erklärt, welche technischen Innovationen die Beweglichkeit der Kamera vorantrieben und inwieweit Filmschaffende diese neuen Entwicklungen zu ihren Gunsten nutzten. In einem 1 1. Einführung 2 kurzen Exkurs werden auch Kamerabewegungen in der analogen Animation1 besprochen, stellen sie doch eigentlich eine frühe Form von virtueller Kamerabewegung dar. Der darauffolgenden Abschnitt stellt hybride Filmproduktionen vor, die während des Medienwechsels entstanden und erstmals virtuelle Kamerafahrten integrieren. Kapitel 3 widmet sich den Gestaltungsfeldern der bewegten Kamera im Allgemeinen. Es werden übliche Beweggründe dargestellt, den Zoom, die Schwenkbewegung sowie die Kamerafahrt einzusetzen. Im Kapitel 4 wird der Fokus auf die virtuelle Kamera gelegt. Nach einer einleitenden Diskussion der Begriffe Simulation und Realität in Bezug auf den digitalen Film, wird die Beweglichkeit der virtuellen Kamera zunächst theoretisch und anschließend anhand des virtuellen Kameraobjekts in einer Animationssoftware untersucht. Weiterführende Abschnitte stellen diverse Verwendungsformen der virtuellen Kamera vor, denen sich durch eine detaillierte Auswertung ausgewählter Filmproduktionen wie Star Wars: Episode I, Lord of the Rings: The Two Towers, Fight Club und Panic Room angenähert wird. Es wird zudem der Frage nachgegangen, ob die Freiheiten der virtuellen Kamera in neuen visuellen Phänomenen resultieren, die reinen Realaufnahmen bisher verschlossen blieben. Es wird untersucht, wie gut sich virtuelle Kamerabewegungen in Realfilm-Aufnahmen integrieren und ob eine Unterscheidbarkeit der beiden Bildquellen heutzutage noch möglich ist. Zudem werden die beiden thematisch sehr ähnlichen hybriden Formen TRON und TRON: Legacy einander gegenübergestellt, um in Folge möglicher Entwicklungen in der Umsetzung von virtuellen Kamerafahrten im digitalen Film vom Beginn des Medienwechsels bis zum heutigen Tag darzulegen. 1 Ich beziehe mich hier weniger auf die Bewegung der Aufnahmekamera, als vielmehr auf den illusionierten Betrachterstandpunkt, der durch die Transformation des Gezeigten erreicht wird. Kapitel 2 Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 2.1 Kamerabewegung im Realfilm Der folgende Abschnitt widmet sich dem historischen Wandel der Kamerabewegung, von den Entwicklungsphasen des Films bis zu einer anscheinenden „Entmaterialisierung“ [29, S. 47] der Kamera. Es wird zu klären sein, inwieweit technologischer Fortschritt einen direkten Einfluss auf die Handhabung der Kamera hatte und welche neuen Möglichkeiten sich dadurch ergaben. 2.1.1 Stummfilmära Charakteristisch für Aufnahmen in den frühen Jahren des Films waren der Einsatz von statischen Kameraeinstellungen und der auffällige Einsatz von Totalen, welche die gesamte Handlung einfingen. Diese Herangehensweise ist durchaus auf bereits existierende Kunstformen, wie etwa der Fotografie und dem Theater, zurückzuführen, bei denen der Betrachter im Normalfall eine statische Position relativ zum Dargestellten einnimmt. Bazin spricht von „gefilmtem Theater“ [4, S. 76] und Nelmes beschreibt den Prozess des Filmens wie folgt [47, S. 71]: “The camera was placed square onto the action, with actors moving in and out of the shot as if from ‘wings’ in the theatre.” Nach Deleuze befand sich der Film in einem Anfangsstadium, „in dem eher das Bild in Bewegung ist, als dass es Bewegungsbild wäre“ [15, S. 43f]. Und so kommt es, dass frühere Filmproduktionen sogar bis mindestens 1905 mitunter als „bewegte Fotografien“ [37, S. 49] bezeichnet wurden. Die Notwendigkeit einer Kamerabewegung kam in den meisten Fällen erst gar nicht auf [24, S. 2]. Filmszenen waren fix inszeniert und alle Handlungen waren vorgeplant. Statisch inszeniert waren zudem Filmszenen mit 3 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 4 Spezialeffekten, so auch The Execution of Mary, Queen of Scots (1895). Eine Bewegung des Kameraapparats hätte die glaubhafte Umsetzung des hier eingesetzten Stopp-Trick Verfahrens deutlich erschwert. Es ist darüber hinaus anzunehmen, dass das hohe Gewicht des damals vorhandenen Equipments einer mobilen Kamera im Weg stand. Aus diesem Grund waren Regisseure bei Kamerabewegungen auf Bewegungen von anderen Objekten, wie etwa Zügen oder Booten angewiesen. Abel ordnet den Ursprung der bewegten Kamera dem Lumier Kameramann Alexander Promio zu, so habe er bereits 1897 den Canal Grande in Venedig von einem bewegten Boot aus gefilmt [1, S. 133].1 Doch ist schon im Jahr 1896 in Leaving Jerusalem by Train eine Bewegung der Kamera erkennbar, die vom Zugende aus eine sich am Bahnsteig befindliche Menschenansammlung einfängt. Phantom Rides, Aufnahmen von auf Lokomotiven montierten in Fahrtrichtung gerichteten Kameras, waren zur Jahrhundertwende besonders populär. Einer der ersten Filme, der mit dieser Technik gefilmt wurde, ist Going Through the Tunnel (1898). Müller spricht in diesem Zusammenhang von einer „Ästhetik der Spannung“ [45, S. 18], die es in dieser Form zuvor nicht gegeben hatte. Jedoch machte hier, wie Müller weiter anmerkt, vielmehr die Art der Darstellung, als der Filminhalt selbst das eigentliche Erlebnis aus. Kameraschwenks waren zunächst technisch unmöglich, da die Kamera fest am Stativ montiert war. Doch bereits 1897 entwickelte Barry Salt einen schwenkbaren Stativkopf für Robert W. Paul. Dieser gab ihm eine weit höhere Flexibilität während der Dreharbeiten, so auch bei Filmaufnahmen für Königin Viktorias diamantenes Thronjubiläum [1, S. 134]. Einer der Hauptanwendungen des Schwenks war dazumal die Bemühung, Gefilmtes zentriert im Bild zu halten. Gartenberg beschreibt dies am Beispiel von The Heavenly Twins and Odds (1903). So wurde, als sich eines der Babies ungeplant aus dem Bild bewegte, der Kamerawinkel durch einen Schwenk leicht angepasst, um die weiteren Aktionen zu filmen [24, S. 2]. Doch setzten Filmschaffende den Schwenk bereits zu dieser Zeit narrativ ein, wie etwa in Edwin S. Porter’s Stolen by Gypsies (1904). Hier wurde nicht die Bewegung eines Schauspielers verfolgt, sondern, so Abel, vielmehr der Blick des Zuschauers auf eine narrativ wichtige Aktion gelenkt [1, S. 134]. Musser beschreibt die erzählerische Funktion des Schwenks in Execution Of Czolgosz with Panorama of Auburn Prison (1901) folgendermaßen [46, S. 189]: “Porter’s use of panoramas at the beginning of the film gives the narrative a context, a well-constructed world in which the action 1 Promios Aufnahmen finden eine interessante Parallele im direkten Vergleich mit den bewegten Panoramas aus dem frühen 19. Jahrhundert. Sie zeigen vorwiegend Landschaften, Städte und historische Kampfgeschehen [48, S. 6] und schieben sich mithilfe rotierender Spulen am Zuseher vorbei. 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 5 can unfold. This opening scene contains two shots: the first panning with a train as it approaches the prison; the second of a more foreboding facade. These shots distinguished this film from most reenactment films of the period by (consciously) heightening the reality of the recreation. At the same time, they are part of a drama that leads the audience step by step to a confrontation with the electric chair and a man’s death.” Etwa zur selben Zeit werden in Hooligan in Jail (1903) erstmals Dolly Fahrten eingesetzt [24, S. 3]. Man montierte dabei die Kamera auf einer auf Schienen oder Gummirädern bewegten Plattform, war somit deutlich mobiler und nicht mehr auf andere Fortbewegungsmittel angewiesen. Die erste populäre Produktion mit Dolly Einsatz ist Giovanni Pastrones Film Cabiria (1914). Doch waren hier Dolly Fahrten keineswegs nur für einzelne Szenen reserviert. Für diese Zeit unüblich, sind solche Fahraufnahmen überaus häufig zu finden und wurden, wie Müller es darstellt, vorallem dazu eingesetzt, um die Wirksamkeit der Filmarchitektur zu steigern [1, S. 135]. Dolly Fahrten wurden mit horizontalen, sowie vertikalen Schwenks kombiniert, und diese dauern bis über zwei Minuten. Eine wirkliche Motivation der Kamerabwegung ist jedoch nicht erkennbar, so hat diese auch einen gewissen automonen Charakter. Jedoch habe sich Pastrone beim Einsatz seiner Kamerafahrten zurückgehalten, um einer allzu negativen Kritik des Publikums zu entkommen [64, S. 162]. Pastrone hatte mit Cabiria großen Einfluss auf andere Regisseure, wie auch auf Griffith, der mit Intolerance (1916) viele seiner Ideen aufgriff und ihn sogar in vielerlei Hinsicht „übertrumpfte“ [45, S. 22]. Griffith setzte nämlich erstmals einen Kamerakran ein.2 Eine wahre „Entfesselung“ sollte die Kamera jedoch erst in einer deutschen Produktion, in Murnaus Film Der letzte Mann (1924) erfahren. Die Kameraführung zeugt von erstaunlicher Experimentierfreude und künstlerischer Freiheit, was schon in der Einstiegssequenz sichtbar wird, in der sich die Kamera mit dem Lift nach unten und, an einem Fahrrad montiert, durch die Empfangshalle in Richtung Eingang bewegt. Eisner erklärt, mit welcher Raffinesse am Filmset vorgegangen wurde: während der Vorbereitungen einer schwierigen Einstellung, in der sich Zigarettenrauch entlang eines Treppenaufgangs nach oben bewegen sollte wandte sich Murnau an Freund [20, S. 63]: „If only we could fly with the smoke [...]“. Nach kurzer Zeit, wie Eisner es schildert, saß Freud auf einer provisorischen Konstruktion bestehend aus einer Feuerwehrleiter und „flog mit dem Rauch“, so wie Murnau es sich zuvor vorgestellt hatte. Zeitweise habe Freud die Kamera sogar um seinen Bauch fixiert gehabt, doch Murnau war das scheinbar nicht genug. So gibt er in einer Notiz seinem Wunsch nach mehr Freiheit der Kamera Ausdruck [20, S. 2 movies.nytimes.com/movie/review?res=9801EED7113FEF34BC4851DFB166838A669EDE, Kopie auf CD-ROM (Datei literatur/Canby71.pdf vom 26.06.2011). 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 6 63]: “Father Christmas’s magic wand could create the instrument which is more important than any fortuious outside aid: a camera that can move freely in space. What I mean is one that at any moment can go anywhere, at any speed. A camera that outstrips present film technique and fulfils the cinema’s ultimate artistic goal.” Mit diesem Statement ist Murnau seiner Zeit voraus und verweist in seinem Wunschdenken scheinbar schon unbewusst auf den Einsatz einer virtuellen Kamerafahrt. 2.1.2 Tonfilm Obwohl schon 1895 in Dickinsons Experimental Sound Film und auch in späteren Produktionen erste Experimente mit paralleler Tonaufnahme zu erkennen sind, wird der Beginn der Tonfilmära auf das Jahr 1927 datiert. Am 6. Oktober dieses Jahres hatte The Jazz Singer seine Uraufführung im New Yorker Warner’s Theatre. In diesem sogenannten Talkie trat Al Jolson vor und richtete sein Wort ans Publikum: “You ain’t heard nothin’ yet” [45, S. 31], was einen buchstäblichen „Talkie-Boom“ mit sich zog. Die während der Stummfilmära erkennbaren ästhetischen Entwicklungen des Kinos, zu denen auch die Bewegung der Kamera gehört, konnten mit der entstehenden Dynamik nicht mithalten. Das sei darauf zurückzuführen, dass durch zusätzliches Equipment das Gewicht der Kamera extrem zunahm und so ein freies Bewegen der Kamera nur sehr schwer bis gar nicht möglich war [45, S. 31].3 Die Einführung der Arriflex 35 Reflexkamera4 im Jahr 1937 gab den Filmemachern schließlich wieder neue Einsatzmöglichkeiten und Freiheiten und erlaubte die Entstehung neuer Filmsprachen, deren Möglichkeiten jedoch erst in den 1950ern voll ausgeschöpft werden sollten. Spätestens ab Rope (1948) gewannen auch Long-Takes international an Popularität. Als Montageform wählt Hitchcock den unsichtbaren Schnitt, wodurch optisch der Eindruck einer einzigen, ununterbrochenen Kamerabewegung entsteht. Durch ein ausgeklügeltes Set mit verschiebbaren Wänden wurde die räumliche Bewegungsfreiheit des Kameramann erhöht. Hitchcock setzte mit Rope einen Meilenstein, und kommentierte den Einsatz der Kamera so [28, S. 310]: 3 Um zu vermeiden, dass Geräusche der Kameras bei der Tonaufnahme mit aufgenommen wurden, waren diese „geblimpt“ [8, S. 71], das heißt, mit zusätzlichen Metallgehäusen versehen. 4 Dieser Kameratyp hatte eine relativ geringe Masse von etwa 5,5 Kilogramm. 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 7 “I believe in using camera movement when it helps tell the story more effectively. I suppose the most outstanding example of that is a picture I made called ‘Rope’ [...] with a multitude of camera moves to achieve the various angles. It wasn’t actually very cinematic; it was really an extension of theatre. It was like giving the audience opera glasses, all of them, and letting them follow the characters around.” Natürlich stoßen experimentelle Herangehensweisen auch oft auf Kritik. So bezeichneten Millar und Reisz die Kamerabewegung in Rope als „bedeutungslos und psychologisch unpassend“ [51, S. 234], sie trage nicht zum dramatischen Effekt bei, sondern verzögere diesen lediglich. Doch dienen Experimente auch als Inspirationsquelle und so werden Long-Takes ein fester Bestandteil des Spielfilms. Als Long-Take gestaltet auch Welles die Introsequenz in Touch of Evil (1958) und stellt in einer über drei Minuten langen durchgehenden Einstellung die beiden Protagonisten vor. Die auf einem beweglichen Krangerüst montierte Kamera kombiniert Bewegungen des Paares und eines fahrenden Autos. Die harmonisch-ruhige Kamerabewegung endet mit einem Schnitt auf die Explosion der Bombe und wird durch eine typische unruhige Bewegung einer Handkamera ersetzt, womit sie direkt die Gemütsstimmung der Schauspieler widerspiegelt. Den Hand-held Stil, von dem Welles hier schon Gebrauch machte, sollte in Godards Breathless (1960) auf die Spitze getrieben werden. Godard gehörte mit Truffaut, Rohmer, Chabrol u.a., der französischen Nouvelle Vague an, einer Bewegung, deren Ursprung allgemein auf das Jahr 1957 datiert wird und sich durch ihre improvisierten Techniken definiert. Breathless – hier wurde fast durchgehend mit einer Handkamera gefilmt – und andere Filme dieser Bewegung hatten einen großen Einfluss auf Filmschaffende jener Zeit und der darauffolgenden Jahre. 1964 wurde in Soy Cuba kam eine Handkamera in Kombination mit einer frühen From einer Seilkamera zum Einsatz. Während des Trauerzugs hebt die Kamera von der Straße ab, dringt durch ein Fenster in ein Zimmer ein, durchfährt dieses und „fliegt“ wiederum durch eines der Fenster hinaus ins Freie wo sie sich über den Köpfen der Trauernden in luftiger Höhe gleichförmig fortwärts bewegt. Kameramann Calzatti beschreibt die technische Umsetzung in einem Interview wie folgt: “We used a special cable device which I built in Moscow before going to Cuba. We planned to fly the camera between two big buildings in a major street. [...] We used two cables and a small cart with eight wheels and a fork underneath where the camera was placed at the end of a handheld move. The secret of how we attached the camera to the cart was a magnet, part of which was in the cart and part of which was built on the camera.” 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 8 Man möge glauben, dass ein einziger Kameramann für die Ausführung des Szene verantwortlich war, doch waren es insgesamt drei. So sind neben typischen, auf den Hand-held Betrieb zurückzuführenden Unruhen vereinzelt auch stärkere Verwacklungen zu erkennen, die wohl bei der Übergabe der Kamera passierten. In den 1970ern folgte eine weitere, überaus wertvolle technische Innovation: die Steadicam – ein Halterungssystem für Kameras, das die Eigenbewegung des Kameramanns dämpft und somit ein stabilisiertes Filmen ermöglicht. Solch weiche Kamerafahrten waren bisher nur mit Dollies und Kränen erreichbar. Jedoch haben Aufnahmen einer Steadicam, wie hier behauptet, einen „menschlicheren“ Charakter, sind sie doch am Körper des Kameramanns montiert. Das zeigt sich allgemein durch niederfrequente Schwingungen mit geringen Amplituden sowie komplexeren Bewegungsverläufen. Der erhöhte Bewegungsfreiraum des Kameramanns und die daher scheinbar unendlichen neuen Wege der Raumerkundung inspirierten viele Filmschaffende dieser Zeit, so auch Stanley Kubrick, der ganz klar in The Shining (1980) die erweiterten Möglichkeiten der Steadicam ausschöpft. Im selben Jahr überzeugt Scorsese mit seiner technisch perfekt ausgeführten Introsequenz in Raging Bull. 2.1.3 Computerunterstützte Kamerabewegung Eine weitere Tendenz des technischen Fortschritts ging schließlich dahin, Kamerabewegungen elektronisch zu steuern. Die enorme Bedeutung dieser Entwicklung für Effektkünstler lässt sich mit einem kurzen Rückblick verdeutlichen. Wie Visual Effects Supervisor Barron Rickitt in einem Interview erklärt, wurden etwa Matte Paintings und Rückprojektionen seperat gefilmt, um eine gleichmäßige Belichtung zu erhalten [53, S. 257]. Durch eine bewegte Kamera wären solche Aufnahmen, die aus mehreren Komponenten bestanden, nur sehr schwer möglich gewesen. So waren Effektaufnahmen früher meist ohne jegliche Kamerabewegung (locked-off ) realisiert, da die zugrunde liegende Technik eine solche nicht erlaubte. Rinzler beschreibt, wie der Realismuseffekt einer Effektaufnahme durch diese Statik verloren gehen kann [54, S. 74]: “[...] the actors and objects, as well as the camera, would move about in a familiar way, and then suddenly everything would become still. Consciously or unconsciously, this would be a signal to the audience that something not occupying the same space as the actors was about to appear. But [George, Anm. d. Verf.] Lucas was adamant that he wanted his effects to occupy the same reality as his protagonists.” In Star Wars: Episode IV (1977) waren es in etwa 350 Einstellungen, die 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 9 je aus sieben oder acht einzelnen Elementen bestanden. Stellte sich später heraus, dass eines dieser Elemente fehlerhaft war, musste es möglich sein, etwa am nächsten Drehtag die zuvor verwendete Kamerabewegung exakt zu wiederholen. Mit dem Dykstraflex 5 Motion Control Verfahren, das in Star Wars: Episode IV erstmals zum Einsatz kam, war es nun möglich, Bewegungsabläufe der Kamera mit Hilfe von computergesteuerten Servomotoren exakt immer und immer wieder zu reproduzieren und dadurch Kompositionsebenen mit gleicher Kamerabewegung zu kombinieren. Diese Entwicklung legte den Grundstein für darauffolgende Innovationen und so ist Motion Control auch heutezutage für viele Filmschaffende ein unverzichtbares Element (s. auch Abschnitt 4.2). Mitte der 80er Jahre entwickelte Garrett Brown die SkyCam. Diese an vier Seilen geführte computergesteuerte und elektronisch stabilisierte Konstruktion ermöglichte sehr weiche „fliegende“ Filmaufnahmen auf weite Distanzen mit Geschwindigkeiten über 40 Kilometer pro Stunde [71, S. 35]. Die SkyCam kann somit durchaus als eine logische Weiterentwicklung der in Soy Cuba verwendeten Seilkamera gesehen werden. Sie bewährte sich einerseits bei Sportevents, doch auch bei Kinoproduktionen, wie Birdy (1984) oder The Boy Who Could Fly (1986). Weiterentwicklungen dieser Technik, wie FlyCam, SuperFlyCam werden auf Browns Internetplattform vorgestellt. Sie übertreffen einander in Geschwindigkeit, Leichtigkeit und Steuerbarkeit6 und werden auch heute noch für Sportübertragungen aber auch Spielfilmproduktionen eingesetzt. Es stellte sich heraus, dass die Beweglichkeit der Kamera ein Produkt technologischer Innovationen ist und gleichzeitig der Wunsch nach zusätzlicher Mobilität ihre Entwicklung vorantrieb. Es ist Fakt, dass die Kamera sehr schnell ihre statische Position verließ und schon sehr bald eine Art „Entfesselung“ [20, S. 62] erfuhr, die es ihr ermöglichte, bisher unerreichte Bewegungsbilder einzufangen. In den Entstehungsjahren des Films weigerten sich Filmschaffende, die Kamera überhaupt erst in Bewegung zu versetzen, da dies im Gegensatz zu einem fixierten Standpunkt des Betrachters, wie er im Theater herrscht, zu einer Verwirrung des Publikums führen könnte [7, S. 325]. Doch gewannen auch bewegte Perspektiven und akrobatische Höhenflüge der Kamera durch eine permamente visuelle Stimulation des Betrachters sehr bald an Akzeptanz. Die Verkleinerung und Mobilisierung der Filmkamera resultierte zunehmend in einer erhöhten Dynamisierung des Bildes. Zudem waren trotz technischer und physikalischer Gebundenheit der Kamera simple Ef5 Dykstraflex ist nach seinem Entwickler John Dykstra benannt und kann als erstes im großen Rahmen verwendetes Motion Control System gesehen werden. 6 vgl. www.garrettcam.com, Kopie auf CD-ROM (Datei literatur/Garrett11.pdf vom 26.06.2011). 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 10 fekte, wie die scheinbare Fahrt durch eine Glasscheibe7 durch Schnitttechnik schon sehr früh möglich. Die Entwicklung des Motion Control Verfahrens befreite schließlich auch Effektaufnahmen von ihren damals allzu verbreiteten statischen Darstellungen. Der folgende Abschnitt untersucht die Entwicklung des illusionierten Betrachterstandpunkts in der analogen Animation. Es zu prüfen, in welcher Form sich hier der Kamerablick im Laufe der Zeit entwickelte, stellen doch scheinbare Kamerafahrten in der Animation erste „virtuelle“ Kamerafahrten dar. 2.2 2.2.1 Kamerabewegung in der analogen Animation Der überwiegend statische Betrachterstandpunkt Ähnlich den Anfängen des Films sah man auch in den frühen Zeiten der analogen Animation die Kamera nicht als visuelles Ausdrucksmittel, sondern vielmehr als einen rein statischen Aufnahmeapparat. Frühe Produktionen ähneln in ihrer Inszenierung den Stummfilmen dieser Zeit und zeigen Geschehnisse von einem statischen Standpunkt aus. In folgendem Abschnitt werden Begriffe wie Kamera oder Kamerabewegung stellvertretend zur Verdeutlichung der entstehenden Illusion eines sich drehenden oder verschiebenden Betrachterstandpunktes verwendet. Der tatsächliche Aufnahmeapparat, der beim Fotografieren gezeichneter Einzelbilder Verwendung findet, wird hier allgemein als Aufnahmekamera bezeichnet. Ein Pionier dieser Zeit war zweifellos der französische Zeichner CharlesÉmile Reynaud, der bereits in den späten 1870ern mit seiner Entwicklung des Praxinoskops Animationen vorstellte. Reynaud bemalte für seine Pantomimes Lumineuses 8 Zellulidstreifen per Hand. Die Position der Kamera in Pauvre Pierrot verharrt durchwegs in einer statischen Position, das Näherbringen von Details wird durch ein Aneinanderreihen von Einstellungen erreicht. Diese Art der ersten Kamerafahrt im Trickfilm wurde 1906 von J. Stuart Blackton weiterentwickelt. In diesem Jahr produzierte er seinen ersten, beinahe dreiminütigen Trickfilm Humorous Phases Of Funny Faces. Die mit Kreide erstellten Zeichnungen stehen hier deutlich im Vordergrund, die Aufnahmekamera ist starr auf eine Tafel gerichtet. Die scheinbare Veränderung des Blickwinkels erreicht Blackton durch Montage sowie einer Transformation des Gezeigten. Dies legte den Grundstein für folgende Kamerabewegungen in der Zeichentrickanimation. Émile Cohl, französischer Karikaturist und Fotograf, produziert mit Fantasmagorie (1908) seinen ersten eigenen Zeichentrickfilm und damit auch den 7 vgl. Murnaus Entfesselte Kamera [20, S. 62]. Die Vorführung umfasste drei Teile – Pauvre Pierrot, Un bon bock und Le Clown et ses chiens – und wurde erstmals 1892 im Museé Grévin in Paris präsentiert. 8 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 11 ersten animierten Zeichentrick im heutigen Sinn.9 In seinen Filmen stand zweifellos die Darstellung der Animation und Transformation der Figuren und Objekte im Vordergrund. Es sind allerdings vereinzelte sehr kurz ausfallende Kamerafahrten erkennbar, die entweder den Handlungen der Charaktere folgen oder zusätzlichen Raum nach rechts oder links verschaffen und sich in ihrer Linearität und ihrem „ruckartigen“ Beginn und Stopp der Bewegung gleichen. Cohl schließt damit an die von Blackton etablierte Kamerabewegung im Trickfilm an und erweitert diese um simulierte Kamerafahrten in der Raumkonstruktion von Zeichentrickwelten Der regelmäßige Einsatz von Kamerafahrten im Trickfilm war damit aber keinesfalls gegeben. So kommt es, dass auch in den, für die Animationsgeschichte relevanten, Filmen How a Mosquito Operates (1912) aund Gertie the Dinosaur (1914) keine Kamerafahrten realisiert wurden. Winsor McCay hat für How a Mosquito Operates eine Abfolge statischer Einstellungen und für Gertie the Dinosaur sogar eine einzige Einstellung als Schnittkonzept verfolgt. Erst mit dem von Earl Hurd entwickelten Konzept des Cel Animationsverfahren in 1914 konnten Hintergründe, die zuvor mühsam für jedes Einzelbild neu gezeichnet werden mussten, auf eigenen Ebenen bestehen [25, S. 54]. Damit war es nun möglich, Charaktere am Stand zu animieren, und eine Hintergrundebene zu verschieben, was in einer scheinbaren Kamerafahrt mit Blickrichtung normal zur Bewegungsrichtung der animierten Figur oder eines Objekts resultierte.10 1922 kamen mit Walt Disneys Laugh-O-Grams [59, S. 34] Kamerabewegungen auf der z-Achse hinzu. Auch in späteren Disney Produktionen, wie Steamboat Willie (1928) sind solche Fahrten erkennbar, für welche eine erhöhte Anzahl an Einzelbildern angefertigt wurde, um die glaubhafte Verschiebung des Hintergrunds zu realisieren. Die tatsächliche Etablierung diverser Techniken, Kamerabewegungen darzustellen sollte jedoch erst später erfolgen. 2.2.2 Gewinnung räumlicher Tiefe Im Gegensatz zu dreidimensionalen Raumerkundungen unter Verwendung einer virtuellen Kamera, wird also im zweidimensionalen Zeichentrick die Illusion von Kamerabewegung meist durch eine Verschiebung der gezeichneten Inhalte erreicht. In der 3D Animation ist das natürlich ebenso möglich, jedoch stellt sich diese Konstellation nicht als Regelfall dar. Wahre Pionierarbeit leistete Lotte Reiniger mit der Herstellung ihres abendfüllenden Trickfilms Die Abenteuer des Prinzen Achmed (1926) und der dabei verwendeten Aufnahmetechnik. Reiniger setzte, noch bevor Disney es 9 10 Cohl zeichnete seine Figuren im Gegensatz zu seinen Vorgängern auf Papier. Ein frühes Beispiel dafür ist Hurds Animation Bobby Bumps (1915). 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 12 tat,11 eine Multiplane Kamera ein [23, S. 318], mithilfe derer durch Staffelung bemalter Platten12 die Illusion räumlicher Tiefe und einer Kamerabewegung erzeugt werden kann. Reiniger visualisierte auf diese Weise Achmeds Flug durch eine Wolkendecke, indem eine Hintergrundebene langsamer und eine Vordergrundebene schneller an der Kamera vorbeiziehen. Eine Bewegung der Kamera in z-Richtung ist hier nicht erkennbar. Disney entwickelte diese Technik weiter und setzte die Multiplane Kamera erfolgreich in Snow White and the Seven Dwarfs (1937) ein. In der Anfangssequenz bewegt sich die Kamera scheinbar vorwärts von einem Waldstück in Richtung des königlichen Schlosses. Die Relativbewegungen der tiefengestaffelten Zeichnungen erzeugen die Illusion einer Kamerabewegung. So revolutionär diese Technik auch sein mag, kann man doch keineswegs von einer wahren „Entfesselung“ der Kamera sprechen. Tiefengestaffelte Kompositionsebenen ermöglichen zwar eine Kamerafahrt in allen drei Freiheitsgraden, schränken die Kamera jedoch insofern ein, als dass sie komplexere Bewegungsarten prinzipiell ausschließen. Die Perspektiven der einzelnen Ebenen sind fixiert, so ist der Wechsel zu Seitenansichten, Unter- und Aufsichten, sowie Ansichten der „Rückseite“ der frontal gezeichneten Bäume schlichtweg unmöglich. So waren komplexere Kamerafahrten durch den virtuellen Raum des Zeichentricks bis zur Verwendung des Computers nur sehr aufwendig durch ein Aneinanderreihen von Einzelbildern möglich. Und genau so ging auch Caroline Leaf bei der Umsetzung ihres Werks The Street (1976) vor. Einzelbilder wurden auf eine Glasplatte gemalt und so transformiert, dass die Illusion einer Kamerabewegung entstand [33, S. 146f]: “It is astounding to most people that she animates all ‘camera moves’ (as they would be called in live-action filmmaking). A zoom, for example, is accomplished through manipulations in the artwork rather than by actually moving the animation camera. As a result the movement within the frame is free in the way that could never be accomplished through real camera moves. In Leaf’s work the viewer’s point of view is totally fluid.” Neben Zoom-Bewegungen setzt Leaf auch Schwenks sowie komplexere Kamerafahrten ein. Der von Laybourne angesprochene „flüssige“ Betrachterstandpunkt zeigt sich in einer ständig verschiebenden Perspektive. Anstatt des sonst üblichen harten Schnitts werden Szenenwechsel oftmals durch eine Art Morphing erreicht. 11 Im experimentellen Kurzfilm The Old Mill (1937) wird Disneys Multiplane Kamera erstmals vorgestellt. Walt Disneys erklärt Funktion und Einsatz dieser Technik für späteren Produktionen im Audiokommentar des Bonusmaterials von Snow White and the Seven Dwarfs (00:09:01 - 00:10:32). 12 Relativgeschwindigkeiten und Abstände der in die Tiefe gestaffelten transparenten Platten der Multiplane Kamera Disneys sind individuell regelbar. 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 13 Ein weiteres beeindruckendes Beispiel dafür, dass auch im traditionellen Zeichentrick der Kamerabewegung keine Grenzen gesetzt sind, ist Dianne Jacksons Kurzfilm The Snowman (1982), eine Geschichte eines Jungen und seinen Abenteuern mit einem zum Leben erweckten Schneemann. Der Film besticht durch seine fast vier-minütige Flugsequenz. Es werden statische Aufnahmen und diverse Fahraufnahmen, so auch rasante POV Aufnahmen der fliegenden Akteure montiert. Die Parallaxenverschiebungen so mancher Einstellung wirken nahezu korrekt, der entstehende räumliche Eindruck erinnert an eine dreidimensionale Computeranimation. Die Kamera folgt meist der Aktion im Bild, entwickelt aber oftmals eine gewisse Autonomität, in der sich der Betrachter kurzzeitig auf eine den Protagonisten ähnliche und doch sehr eigenständige Flugbahn begibt. Die nach der Überquerung des Ozeans durchflogene arktische Landschaft wird weitgehend durch eine sich kurvig vorwärts bewegende POV Aufnahme erschlossen. Trotz der scheinbaren perspektivischen Verschiebung der Landmassen bleibt ihre tatsächliche räumliche Konstellation rätselhaft. So scheint sich die Landschaft während der Fahrt „in sich“ zu verschieben. The Snowman orientiert sich einerseits an Kamerafahrten des Spielfilms, nimmt jedoch andererseits klar davon Abstand. Somit konnte mit Hilfe der Multiplane Kamera zwar die Illusion von Kamerabewegung erzeugt werden, aber die getreue Umsetzung von tatsächlichen Kamerafahrten benötigte nach wie vor ausgeklügelte und aufwendige Handzeichnungen. Diese rechneten sich aber eben aufgrund des großen Aufwands für die kommerzielle Studiofilmproduktion nicht. 2.2.3 Integration der virtuellen Kamera Um die Darstellungsgrenzen der Multiplane Kamera zu überwinden, setzten Firmen wie Disney auf digitale Animationswerkzeuge, die Animatoren neue Freiheiten zur Transformation der Kamera gaben. So wurden für die Verfolgungssequenz in The Great Mouse Detective (1986) Charaktere gezeichnet, Zahnräder im Hintergrund jedoch computeranimiert. Während eines Kameraschwenks wird die Raumwirkung deutlich erhöht, da sich Bildelemente perspektivisch korrekt verschieben [5, S. 98]. So kamen computeranimierte Hintergründe auch in Beauty and the Beast (1991) vermehrt zum Einsatz. Für eine komplexe sich ständig verändernde Perspektive während der Tanzszene im Ballsaal wurden wiederum handgezeichnete Charaktere mit einer digital erzeugten, dreidimensionalen Umgebung kombiniert. Eine solche durch virtuelle Kamerabeweung erzeugte Sequenz wäre mit traditionellen Techniken nur mühsam, oder vielleicht gar nicht möglich gewesen [13, S. 86]. Wie sich in der vorhergehenden Untersuchung herausstellte, wurden ähnlich dem Realfilm schon sehr bald auch in der Animation Kamerafahrten eingesetzt. Aufgrund der Funktionsweise des Cel Animationsverfahrens wurden allerdings größtenteils nur seitliche Verschiebungen der Kamera visualisiert. 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 14 Die Multiplane Technik, ermöglichte schließlich Kamerabewegungen in die Tiefe des Raums, unterlag jedoch ebenso deutlichen Limitationen: einfache Schwenkbewegungen der Kamera und Kreisfahrten um ein Objekt waren damit technisch unmöglich. Komplexere Kamerafahrten waren vorerst nur durch das Zeichnen von Einzelbildern und ab den 80ern unter Einsatz von Computergrafik und der virtuellen Kamera möglich. 2.3 Früher Einsatz der virtuellen Kamera Praktische Anwendung fand die virtuelle Kamerafahrt in den 70ern im militärischen Bereich. In Form einer ungeschnittenen POV -Einstellung des Piloten wurde der Flug eines Flugkörpers realitätsgetreu nachgestellt [67, S. 141]. Bereits 1977 setzte man in Star Wars virtuelle Kamerafahrten ein. Während einer Kampfszene wurden POV Aufnahmen eines Piloten and der Oberfläche des Death Star 13 nachgestellt. Jedoch waren computergenerierte Sequenzen in Kinoproduktionen dieser Zeit nur spärlich vertreten. Man findet allerdings etliche Demonstrationsvideos wissenschaftlicher Labors und Computerkünstler. So präsentierte Loren Carpenter 1980 mit Vol Libre seinen animierten Kurzfilm, der erstmals Fraktale zur prozeduralen Terraingenerierung verwendet. Virtuelle Kamerabewegungen haben in solchen technischen Demonstrationen meist keinen narrativen Wert und dienen vorwiegend zur reinen Darstellung technischer Innovationen.14 So kommt es, dass hier virtuelle Kameras eher willkürlich animiert sind und mit ihren schwindelerregenden Flugbahnen eine eher desorientierende Wirkung haben. 1982 setzte man in Star Trek II: Wrath of Khan eine virtuelle Kamera erneut als Gestaltungsmittel ein. Der Genesis Effect zeigt eine rasante Kamerafahrt entlang der prozedural erzeugten Oberfläche eines Planeten und distanziert sich in der Form seiner Inszenierung sehr deutlich von traditionellen Spielfilmen. Doch wurde die Kamera, so Alvy Ray Smith, keineswegs willkürlich eingesetzt – sie half, die Geschichte voranzutreiben, sie dramatisierte die Sequenz, doch sollte sie trotz ihrer hohen Geschwindigkeit nicht auf sich aufmerksam machen (s. Anhang A.1). Unverzichtbar war der Einsatz einer virtuellen Kamera auch in TRON (1982). Bill Kroyer, Storyboard Künstler und Animator für TRON erinnert sich an die Zeit der Preproduktion [60, T=01:01:45]: “We started recognize the unique possibilities of working in the computer and things that it would do for us—to have it free us from camera movement, free us from every kinds of constraints.” 13 Der Begriff Death Star bezeichnet eine fiktionale kugelförmige Raumstation im Star Wars Universum. 14 vgl. auch Adam Powers (1981) von Triple-I. 2. Entstehung und Meilensteine der bewegten Kamera 15 Die Entmaterialisierung des Betrachterstandpunkts ist in TRON sehr deutlich erkennbar. Unwirkliche Beschleunigungen, und „Kanten“ in den Animatonskurven der Kamera sind keine Seltenheit, auch hebt sich das hybride Filmbild sehr deutlich von rein computergenerierten Sequenzen ab. Im Abschnitt 4.2.6 werden Kamerabewegungen in TRON genauer untersucht und jenen in TRON: Legacy (2010) gegenübergestellt. Kapitel 3 Gestaltungsfelder der bewegten Kamera 3.1 Kategorisierung von Bewegungen Es gibt Filme, die ganz ohne Kamerabewegung auskamen. Chris Markers Produktion La Jetée (1964) verzichtete sogar gänzlich auf Bewegung und besteht nur aus Fotografien. Doch zweifellos ist Bewegung, egal ob die eines Darstellers oder der Kamera, ein unverzichtbares Element der meisten Filme. Block hält fest, dass Bewegung im Allgemeinen in vier Kategorien unterteilt werden könne: „actual, apparent, induced, and relative“ [6, S. 168]. Erstere Bewegung, die in dieser Arbeit als Effektivbewegung übersetzt wird, beschreibe, so Block, die eigentlichen Bewegungen in der realen Welt, Bewegungen, die wir also tagtäglich wahrnehmen. Wann immer also im folgenden Text von Effektivbewegung die Rede ist, wird damit immer auf die tatsächliche Bewegung der physischen Kamera oder aber die eigentliche Animation der synthetischen Kamera im dreidimensionalen Raum verwiesen. Um eine Verwirrung zu vermeiden, werden beide Verwendungen eindeutig markiert. Block beschreibt die zweite Ebene als die scheinbare Bewegung eines Objekts, die durch das Aneinanderreihen von Einzelbildern, wie es ja schon beim Filmdreh und der Projektion im Kinosaal, und natürlich auch beim Rendering computergenerierter Bewegtbilder oder etwa bei der Produktion analoger Animationen der Fall ist. Eine induzierte Bewegung trete nach Block hingegen dann auf, wenn ein bewegtes Objekt seine Bewegung auf ein anders im Blickfeld des Betrachters befindliches Objekt transferiere. Übertragen auf den Film könnte man dann durchaus sagen, dass die Effektivbewegung eines Objekts vor der Kamera die scheinbare Bewegung eines anderen Objekts induziert. Diese Form der Bewegung ist allgemein bekannt. Es handelt sich um eine Illusion, die jeder schon einmal am eigenen Leib erfahren hat. Sie tritt z.B. auf, wenn man 16 3. Gestaltungsfelder der bewegten Kamera 17 beim Abfahren eines, an das eigene Abteil angrenzenden Zuges das Gefühl hat, sich selbst in Bewegung zu befinden. Und so kann auch die Bewegung der Kamera dazu führen, dass man glaubt, sich selbst durch den Raum zu bewegen. Bei einem übertriebenen Einsatz kann sich dieser Effekt jedoch negativ auf die Gesamterfahrung eines Films auswirken. Bazin schreibt dazu [4, S. 41]: „So zum Beispiel verursacht es bekanntlich Schwindelgefühle, einen Filmstreifen zu sehen, der in sehr schneller Bewegung der Kamera aufgenommen worden ist. Dieser Schwindel entsteht weil die Augen in einer anderen Welt ‚mitmachen‘, als die Muskelgefühle des im Sessel ruhenden Körpers anzeigen; weil, nach den Augen zu urteilen, der Körper sich bewegt, während er nach der Meinung der Körper- und Gleichgewichtsgefühle ruht. Dieses Phänomen wird bei Stereoproduktionen sogar noch verstärkt. Daher wird ihm heute auch wieder vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Anthony Shafer merkt dazu an (s. Anhang A.2): “[...] based on my experience manipulating audiences’ sense of direction and balance, you can significantly induce this phenomenon with an audience member. Because stereo engages with the visual cortex more deeply than a flat projection, this can also work against the film and make people sick.” Die vierte Bewegungsart, die Relativbewegung, bezeichnet in Blocks Einteilung, wie der Begriff selbst ja schon andeutet, die Bewegung, die durch ein relatives Vorbeischieben eines Objekts an einem anderen Objekt wahrgenommen werde. Würde sich zum Beispiel ein gefilmtes Flugobjekt mit einer effektiven Geschwindigkeit vor einem monochromen Hintergrund bewegen, wäre diese Bewegung gar nicht wahrnehmbar, wenn sich das Objekt auch nicht in Relation zum Bildrand bewegte. 3.2 Bewegungsarten der Kamera Sowohl die scheinbare, die induzierte und auch die relative Bewegung resultieren direkt aus der Effektivbewegung eines Objekts oder einer Kamera. Man kann grundsätzlich zwei Arten dieser effektiven Bewegung der Kamera unterschweiden: den Schwenk und die Kamerafahrt. Als eine Sonderform gilt der Zoom, ist er doch keine effektive Bewegung der Kamera selbst. Bewegungsbilder, die durch reine Drehbewegungen und Dolly-Fahrten erzeugt werden, sind durchaus mit den alltäglichen visuellen Eindrücken der Menschen vergleichbar. So gingen Filmkritiker sogar davon aus, dass die Filmkamera zur exakten Reproduktion des menschlichen Blicks da sei [10, S. 218]. Doch schon 3. Gestaltungsfelder der bewegten Kamera 18 bei Betrachtung einer durch die Kranfahrt erzeugten Szene könnte sich diese Gleichstellung als schwierig erweisen. Wie sich bei den Untersuchungen im Abschnitt 2.1 bereits herausstellte, waren Kranfahrten nur der Anfang eines stetig fortschreitenden Prozesses der materiellen Loslösung der Kamera. Technische Entwicklungen brachten immer neuere Verfahren hervor, und so können Steadicam und Luftaufnahmen, sowie eine Reihe weiterer Ausführungen der Kamerafahrt zugeordnet werden. Man kann durchaus behaupten, dass Kamerabewegungen die menschlichen Eindrücke in technische Abläufe transformieren, die „auch mehr leisten können als nur eine technische Nachbildung menschlicher Blickveränderung“ [26, 63]. 3.3 Einsatz der bewegten Kamera Das Publikum betrachtet einen Film durchgehend aus der Sicht der Kamera. Das heißt also, dass jede ihrer Bewegungen sich auf die Wahrnehmung des Betrachters auswirkt, sei es bewusst oder auch unbewusst. Um die Filmillusion aufrecht zu erhalten sei es nach Mitry wichtig, dass jede Bewegung der Kamera begründet passiere – entweder „physisch, dramatisch oder psychologisch“ [43, S. 185]. Eine Kamerabewegung muss ein Ziel haben, einen eindeutigen Zweck erfüllen. Von einem übertriebenen Einsatz ist jedoch abzuraten, da dies eine große Anstrengung der Wahrnehmung bedeutet und daher zwangsläufig zu einer regelrechten Ermüdung des Betrachters führt [27, S. 15]. Der folgende Abschnitt wird der Frage nachgehen, welche Beweggründe dazu veranlassen, eine Kamera, egal ob physisch oder virtuell, in Bewegung zu versetzen. Die Untersuchung ist keineswegs als komplett anzusehen und gibt lediglich einen kleinen Einblick in dieses überaus komplexe Themengebiet. Chaplin brachte in seiner Autobiografie seine persönliche Abneigung gegen bewegte Filmeinstellungen zum Ausdruck und kritisiert dabei auch ganz klar Murnaus „entfesselte Kamera“ [12, S. 255]: „Ich persönlich verabscheue alle Tricks: eine Aufnahme durch das Kaminfeuer vom Blickpunkt eines Stücks Kohle aus oder die Fahraufnahme, mit der der Schauspieler durch eine Hotelhalle begleitet wird, als wenn jemand mit dem Fahrrad neben ihm herführe; mir kommt so etwas billig und zu dick aufgetragen vor. [...] Derartige pompöse Effekte stören die dramatische Handlung, sind langweilig und unerfreulich und werden fälschlicherweise mit dem strapazierten Wort ‚Kunst‘ bezeichnet.“ Chaplins Annahme, dass eine übertriebene Handhabung der Kamera den dramaturgischen Erzählbogen zerstört, trifft heute so gut wie damals zu, wenn auch die Akzeptanz des Publikums durch den erhöhten Medienkonsum 3. Gestaltungsfelder der bewegten Kamera 19 mit Sicherheit gesteigert wurde. Wie jedoch schon in Kapitel 2 erläutert, unterliegen Kamerabewegungen im Regelfall nicht vollkommener Willkür. Ihre Prinzipien und Funktionen scheinen allgemeingültig und doch überaus komplex zu sein, und dass eine bewegte Kamera fast schon „Magisches“ vollbringen mag, bringt Balázs wie folgt zum Ausdruck [2, S. 15]: „Die Kamera nimmt mein Auge mit. Mitten ins Bild hinein. Ich sehe die Dinge aus dem Raum des Films. Ich bin umzingelt von den Gestalten des Films und verwickelt in seine Handlung die ich von allen Seiten sehe.“ 3.3.1 Gestaltungsmöglichkeiten des Zooms Der optische Zoom ist ein eigener Typ von Kamerabewegung, er entspricht keiner vom Menschen durchführbaren Bewegung. Man kann behaupten, der Zoom stellt eine frühe „virtuelle“ Kamerafahrt dar. Er bewirkt nichts anderes, als eine relative Vergrößerung oder Verkleinerung der einzelnen Tiefenebenen. Aufgrund seiner, nicht der alltäglichen menschlichen Wahrnehmung entsprechenden Form der Bewegung galt der Zoom unter Filmregisseuren lange Zeit als verpönt. Auch heute wird in Kursen zur Kameraführung der Zoom meist nicht als klassisches Mittel einer Kamerabewegung für den Film gelehrt. Es haben sich jedoch diverse Anwendungsgebiete ergeben, die sich den Zoom als filmisches Mittel aneignen. Der „Handheld-Look“ beschreibt eine Gestaltungsart, die vor allem in TV-Serien, aber auch im Realfilm und Animationsfilm genutzt wird. Diese Form des Zooms beinhaltet wacklige Kameraaufnahmen, die gezielt amateurhaft wirken und zahlreiche kleinere Zoom Ins und Zoom Outs integrieren. Diese rapiden kleineren Zoombewegungen werden nach Block als snap zoom bezeichnet [6, S. 181]. Der „Weltraum-Zoom“ wurde zu einem häufig verwendeten Effekt seit dem Film Enemy of the State (1998). Hierbei werden Zoombewegungen einer im Orbit kreisenden Satellitenkamera, deren Blick zur Erde gerichtet ist vorgetäuscht. Im Film Enemy of the State wurde damit eine totale Überwachung aus dem All, die überall auf der Erde stattfindet, angedeutet. Dieser Zoom findet heute jedoch Einzug in alle möglichen Spielfilmformen, als effektvoller Einsatz einer Szene. Als ein weiteres filmisches Mittel ist der Vertigo-Effekt zu nennen. Er ist ein oft diskutierter Effekt, den Hitchcock, soweit bekannt, erfunden oder zumindest salonfähig gemacht hat. Monaco beschreibt in seinem Werk Film verstehen den Einsatz des Effekts im Film Vertigo (1958) ausführlich [44, S. 78]. Hier sei nur angemerkt, dass der Effekt gleichzeitig zur Zoombewegung eine Kamerabewegung in die entgegengesetzte Richtung benötigt und damit eine Mischform zwischen einer Zoom- und einer Kamerabewegung darstellt. Der Effekt wird bis heute in Filmen verwendet, um den Zuseher mit einer 3. Gestaltungsfelder der bewegten Kamera 20 Szene regelrecht zu erschlagen. Selten und gezielt eingesetzt oder in einer abgeschwächten Form1 erhöht er die Intensität einer Szene dramatisch. 3.3.2 Gestaltungsmöglichkeiten der Schwenkbewegung Der Kameraschwenk, der nach Mitry die „simpelste“ [43, S. 61] aller Kamerabewegungen sei, kann, wie schon im vorhergehenden Kapitel skizziert wurde, auf diverse Weise eingesetzt werden. Hickethier fasst es wie folgt zusammen [26, S. 63]: „Er verschiebt den Ausschnitt des Gezeigten und erweitert damit den Bildraum um das bis dahin Nichtgezeigte, aber zum Geschehen Dazugehörende. Er kann den Figuren in ihren Bewegungen folgen, ihnen vorauseilen usw. Schwenkbewegungen können ein Raumsegment abdecken, aber auch in einer Kreisbewegung einen Raum rundum zeigen [...]“ Das bei einer Schwenkbewegung entstehende Bewegungsbild orientiert sich an einer bei der Drehung des Kopfes entstehenden Blickveränderung. So kam in Dances with Wolves (1990) ein Schwenk zum Einsatz, um aus der Sicht Dunbars (Kevin Costner) den blutigen Operationstisch vor seiner bevorstehenden Behandlung zu streifen [65, S. 170]. Hier könne sich der Betrachter, wie Van Sijll es darstellt, in die Lage des Darstellers versetzen, um seine darauffolgenden Entscheidungen auch wirklich nachzuvollziehen. Andererseits kann eine eher hektische und unruhige Schwenkbewegung in einer POV -Aufnahme dazu gebraucht werden, „die Verfassung einer Figur erfahrbar zu machen“ [31, S. 60]. Der Schwenk wird zudem zur Täuschung des Betrachters eingesetzt. In Titanic (1997) setzte Cameron eine Neigung der Kamera dazu ein, die aufgrund technischer Einschränkungen limitierte Schräglage des Schiffdecks zu übertreiben. Eine besondere Art von Schwenk ist der Reißschwenk. Er kommt eher selten zum Einsatz, ist jedoch in bestimmten Situationen überaus hilfreich und wirkungsvoll. Dabei wird die Kamera so schnell verdreht, dass sich gezeigte Bilder bis auf ihre Unkenntlichkeit verwischen. So kam diese Form der Bewegung etwa in Children of Men (2006) zum Einsatz, um durch „unsichtbare“ Schnitte eine sehr lange, scheinbar ungeschnittene Sequenz zu erreichen. Wie Balázs schreibt, werde bei gelungener Identifikation mit der Kamera das Raumerlebnis auch dann nicht gestört, wenn „die Kamera springt oder in Reißschwenks rotiert“ [2, S. 210] und in diesem speziellen Fall funktioniert das auch sehr gut. Andererseits könne ein Reißschwenk, wie Mikunda anmerkt, äußerst dramatische Signale aussenden [41, S. 171]: 1 Fincher inszeniert in der Schlussszene in Panic Room (2002) einen ca. 30-sekündigen Vertigo-Effekt [T=01:43:26]Panic02. 3. Gestaltungsfelder der bewegten Kamera 21 „Denn nur in Augenblicken höchster Aufregung, etwa bei einem Sturz, erlebt man es, dass sich die ganze Umwelt um einen dreht. Deshalb sind diese Codes von vornherein fast ausschließlich auf die dramatisch-expressive Form der dramaturgischen Verwendung festgelegt. Im konkreten Fall des schnellen Schwenks aus dem Kriminalfilm entsteht Reizwechsel, den man als aggressiv empfindet.“ In Breaking The Waves (1996) wurden Reißschwenks hingegen dazu verwendet, anstatt des häufig angewandten Schuss/Gegenschuss Prinzips, sehr schnell zwischen Charakteren hin und her zu schwenken. Der Film, der im Zuge der Dogma-Bewegung2 entstand, erlangt dadurch einen gewissen dokumentarischen Stil, eine besondere Authentizität. 3.3.3 Gestaltungsmöglichkeiten der Kamerafahrt Neben Schärfentiefe und dem Spiel mit Licht und Schatten wurde schon bald auch die bei einer Verschiebung der Kamera entstehenden Parallaxenverschiebung als Hilfsmittel zur Steigerung von Räumlichkeit erkannt.3 So scheint die Tiefenwahrnehmung bei so manchen Produktionen, die für ihre Autonomität der Kamera kritisiert wurden, das Hauptargument dafür zu sein, die Kamera in Bewegung zu setzen. Abel erklärt sich Giovanni Pastrones Motivation in Cabiria folgendermaßen [1, S. 135]: “Here the camera movement frequently has an independence from the action and moves across the playing area, largely, it was claimed at the time, to increase a sense of the third dimension and to underscore the spectacular nature of the sets.” Dieser positive Effekt von Räumlichkeit bewährte sich aber nicht nur damals, in den frühen Jahren der Filmgeschichte, sondern gilt auch noch heute. So zitiert McBride Kameramann Zsigmond und spricht gleichzeitig die soeben erwähnte Tiefenwirkung an [39, 118]: “Steven [Spielberg, Anm. d. Verf.] realizes the moving camera is essential for movies. I feel the same way. That’s what gives you 2 Dogma 95 ist ein von Lars von Trier mitbegründetes Manifest, das sich von effektgeladenen Filmen distanziert und als eine von zehn Dogma-Regeln die Verwendung einer Handkamera verlangt. 3 Man möge meinen, dass beim Ausführen eines Schwenks diese zusätzliche Räumlichkeit im Verborgenen bliebe, da sich bei einer reinen Drehung der Perspektive um die Linse Objekte mit unterschiedlichen Abständen zur Kamera nicht zueinander verschieben. Das ist prinzipiell richtig, nur befinden sich die Rotationsachsen der Kamera bei einem Verdrehen des Schwenkstativs nicht an der Linse selbst, sondern eben in einem deutlichen Abstand zur Kamera, am Schwenkkopf. Die dadurch entstehenden Parallaxenverschiebungen fallen zwar gering aus, werden jedoch in der Computeranimation bewusst nachgeahmt, um die Kameraführung besonders „realistisch“ [68] zu gestalten. 3. Gestaltungsfelder der bewegten Kamera 22 the third dimension, which is the way movies should be. If you lock down the camera, it’s like seing everything with one eye.” Als ein weiterer Beweggrund, die Kamera in Bewegung zu setzen, gilt die reine Darstellung hoher Geschwindigkeiten, und daher war auch die Vorführung von Phantom Rides äußert populär. Die Faszination hoher Geschwindigkeiten ist kein neues Phänomen und lässt sich weit in die Geschichte der Menschheit zurückverfolgen. Nahm der Zuschauer im Kinosaal hingegen nur eine statische Position ein, erkannten auch Filmemacher sehr bald, dass auch bei Projektionen von Kamerafahrten induzierte Bewegungsreize entstehen. „This is Cinerama“ (1952) war mit 116 Minuten Laufzeit (USA) die erste abendfüllende Cinerama Produktion und präsentiert auf bisher unbekannte Weise das visuelle Anliegen eines neuen Formats, das genau auf diesem Effekt der induzierten Eigenbewegung aufbaut. Der Film zeigt in zwei Akten mitunter Achterbahnfahrten, Luftaufnahmen der Niagara-Wasserfälle und Gebirgslandschaften, Bootsfahrten aus Venedig, Wasserskisportler in Aktion und wurde fast ausschließlich mit bewegten Kameras gedreht. Das extreme Breitbild füllte einen sehr großen Bereich des menschlichen Blickfeldes aus und löste, so Mikunda, bei Betrachtern gesteigerte Bewegungsempfindungen aus, die man so nur von Fahrten mit Achterbahnen oder dem Fahrstuhl kenne [41, S. 201]. Mitreißende Geschichten wurden hier allerdings nicht erzählt, ästhetische Qualitäten des Kinos wurden zugunsten „reiner Sensation“ [43, S. 77] aufgegeben. Wie Hickethier es schon darstellte, dienen Kamerafahrten jedoch meist zur Verfolgung einer Aktion. Kameraverschiebungen, wie ein Dolly In oder Dolly Out werden allerdings auch dazu eingesetzt, die Emotion eines Charakters zu verdeutlichen. So kommt etwa in The Silence of the Lambs (1991) ein Dolly In zum Einsatz, um den dramatischen Moment hervorzuheben, in dem Jack (Scott Glen) erkennt, dass er das falsche Haus gestürmt hat, und dadurch Clarice (Jodie Foster) in Gefahr bringt [30, S. 51]. Andererseits kann sich eine Kamera auch von den Darstellern entfernen, um etwa Forrest und Jenny in Forrest Gump (1994) in einem besonders intimen Moment „nicht zu stören“. Kreisfahrten um Charaktere werden oft zur Dramatisierung von Liebesszenen eingesetzt. In A Beautiful Mind (2001) hingegen sei es nach Bordwell ein irreführendes Motiv, welches zunächst John Nashs (Russell Crowe) Schwindelgefühl an die Oberfläche bringe, jedoch letztlich mit seinen Erscheinungen der Schizophrenie assoziiert werde [9, S. 135f]. Auch für Long-Takes ist die Bewegung der Kamera meist ein unverzichtbares Element, sogar dann, wenn der Großteil der Produktion ausschließlich in einem Raum gefilmt wird.4 Angefangen bei Rope (1948), Goodfellas (1990) 4 vgl. Hitchcocks Rope (1948). 3. Gestaltungsfelder der bewegten Kamera 23 bis Children Of Men (2005) waren Long-Takes ein fester Bestandteil in Kinofilmen. Ihre Inszenierung unterscheidet sich jedoch sehr stark. Während in Goodfellas weiche Steadicam-Fahrten dominieren, ist es in Children of Men die Handkamera, als Mittel zur Steigerung der Authentizität. Die dargestellten Beispiele zeigen bereits, dass heutzutage die Einsatzmöglichkeiten der Kamerabewegung schon alleine im Realfilm nahezu unendlich sind. Man könnte behaupten, dass der voranschreitende Entmaterialisierunsgprozess zu einer gesteigerten Pluralität der Bewegungsarten der Kamera und ihrer Einsatzmöglichkeiten führte. Die Mobilität der Kamera hat wohl durch Computerunterstützung ihr Endstadium erreicht. Inwiefern sich dieser technologische Fortschritt auf die Bewegung der virtuelle Kamera im digitalen Film auswirkte und ob sich daraus auch neue Verwendungsformen ergeben, wird im folgenden Kapitel zu klären sein. Kapitel 4 Virtuelle Kamerabewegung 4.1 Einführung Vor der eigentlichen Untersuchung der virtuellen Kamera werden zunächst die beiden Begriffe Simulation und Realismus im Bezug auf das digitalisierte Filmbild diskutiert. Im darauf folgenden Abschnitt wird die Beweglichkeit der virtuellen Kamera zuerst unter Berücksichtigung theoretischer Ansätze besprochen und später anhand des virtuellen Kamera-Objekts im dreidimensionalen Raum untersucht. 4.1.1 Simulation im digitalen Zeitalter In Anagonie des Realen (1978) definiert Baudrillard den Begriff Simulation zunächst folgendermaßen [22, S. 276]: „Die Vortäuschung, die Verstellung von lat. simulatio: die Verstellung, die Heuchelei, die Täuschung, das Vorschützen (eines Sachverhalts), die Vorspiegelung, der Vorwand, der Schein, die Vorschiebung; lat. similis: ähnlich, gleichartig, gleich.“ Dieser Definitionsversuch hat sehr deutlich etwas Negatives an sich und so verwende er nach Flückiger den Begiff Simulation auch dazu, um „die kranke Kondition einer postmodernen, kapitalistischen Gesellschaft, die im Kern amoralisch ist und in der es keine Unterscheidung zwischen wahr und falsch mehr gibt“ [22, S. 277] zu beschreiben. Die Simulation bediene sich nach Baudrillard unterschiedlicher Modelle zur Erschaffung „eines Realen ohne Ursprung oder Realität“ [3, S. 7], was er auch als „Hyperrealität“ bezeichnet. Wie Flückiger anmerkt, ist es problematisch Baudrillards Aussagen zur Simulation, die sich ja auch gar nicht direkt auf digitale Abbildungen oder den digitalen Film beziehen, herauszulösen und auf einen spezifischen Bereich der Praxis anzuwenden. Daher stellt sich auch die Übertragung auf computergenerierte Bilder als sehr schwierig dar, da die Simulation nur dazu 24 4. Virtuelle Kamerabewegung 25 da wäre, „zu dissimulieren, dass auch die analogen Verfahren der Ordnung des Hyperrealen angehören“ [22, S. 278]. Das würde also in einem unendlichen Kreislauf enden. Seitdem nun aber der Computer der Ausgangspunkt der neuen Medienästhetik ist, bedeute der Begriff der „Simulation“ vielmehr, etwas „durch etwas anderes zu ersetzen, das mathematisch gesehen mit dem wirklichen System äquivalent ist“ [16, S. 517] Manovich sieht das ähnlich, wenn er in einem einführenden Kapitel in The Language of New Media (2001) anmerkt [34, S. 16]: “Simulation refers to various computer methods for modeling other aspects of reality beyond visual appearance—movement of physical objects, shape changes occuring over time in natural phenomena (water surface, smoke), motivations, behavior, speech and language comprehension in human beings.” Während der Film ein optisches Abbild der „äußeren Realität“ [34, S. 200] ist, arbeiten also computergenerierte Bilder hingegen „simulativ“ [29, S. 16]. Laut Rötzer komme das mitunter bei fotorealistischen Bildern zu tragen, nur dass nun das Reale nicht mehr optisch abgebildet, sondern „hergestellt“[56, S. 12] werde.1 Und genau hier wird das simulierte Bild, zumindest teilweise, wieder von der althergebrachten negativ anmutenden Bedeutung eingeholt, wenn Hoberg weiter schreibt [29, S. 16]: „Gegenüber dem photographischen Verfahren haftet den so erzeugten Bildern der negative Beigeschmack des Begriffs der Simulation an: sie erscheinen als Schwindel, als Verstellung, als eine Täuschung, die nicht mehr das ‚ähnlich wie‘ der Mimesis zur Substanz hat, sondern ein ‚so Tun als ob‘, das keine substantielle Verbindung zum Dargestellten aufweist.“ Nach Richter bestehe die wirklich radikale Transformation der Digitalisierung in der Zusammenstellung der Gesamtkomposition, einer Grafik, die er als „grenzenlos“ [52, S. 171] bezeichnet. Das heißt also, dass im Gegensatz zu den Bildern der physischen Kamera, die gezwungenermaßen durch den technischen Abbildungsprozess geprägt sind, durch digitale Bilder heutzutage alles Vorstellbare visualisierbar ist. Die durch Simulation entstehenden neuen Möglichkeiten des „Schwindels“ könnte man daher auch in umgekehrter Weise als positiv ansehen. Man möge es vielleicht sogar so formulieren, „dass es letztlich viel vorteilhafter ist, die Welt zu simulieren, anstatt sie direkt zu filmen“ [57, S. 47]. 1 Sogar bei automatischen bildbasierten Modellierungs- und Texturierungsverfahren, wie etwa in Autodesk Photofly, werden ja im Grunde genommen auch 3D-Modelle durch Aufnahmen der äußeren Realität erst durch einen Algorithmus hergestellt. 4. Virtuelle Kamerabewegung 4.1.2 26 Realismus und digitales Filmbild Im Realfilm werde nach Manovich ein kleiner Ausschnitt der äußeren Realität zuerst durch eine Linse gefiltert, die selbst schon einen begrenzten Schärfenbereich habe, und in weiterer Folge erneut durch die Körnung des Films. Und es sei genau dieses „verzerrte“ Bild, das das Filmpublikum nach vielen Jahren der Fotografie und Filmgeschichte als Realität akzeptiere, und daher habe auch, wie Manovich am Beispiel von Jurrasic Park oder Terminator 2 erklärt, die Computergrafik bei der Integration computergenerierter Elemente lediglich die Ästhetiken der Filmtechnologie aus dem zwanzigsten Jahrhundert nachgeahmt [34, S. 200]: “These two movies [...] dramatically demonstrated that total synthetic realism seemed to be in sight. Yet they also exemplified the triviality of what at first may appear to be an outstanding technical achievement—the ability to fake visual reality. For what is faked is, of course, not reality but photographic reality, reality as seen by the camera lens. In other words, what computer graphics have (almost) achieved is not realism, but rather only photorealism—the ability to fake not our perceptual and bodily experience of reality but only its photographic image.” Der im digitalen Film dargestellte Realismus sei also vermehrt ein Fotorealismus, ein Realismus der Kamera und Fotografie als Informationsquellen besitzt. Jedoch seien laut Rötzer der Realismus des Realfilms und der des computergenerierten Bildes deutlich zu unterscheiden [56, S. 12]: „Die computeranimierten Bilder sind trotz ihres Realismus nicht mehr dem Film gleich, der die ‚physische Realität‘ und die ‚sichtbare Welt‘ (Kracauer) rettet, sondern ihre Loslösung vom Abbildprozeß macht die wahrnehmbare Realität selbst zur Konstruktion, die auch ganz anders sein könnte.“ Viele mögen behaupten, dass synthetische Bewegungsbilder noch keineswegs so realistisch seien, wie die des Realfilms. Manovich sieht das allerdings grundlegend verschieden und behauptet, dass in genau umgekehrter Weise computergenerierte Bilder bereits heute „realistischer“ seien, als die der „alten“ optischen Medien. Er geht sogar soweit, zu behaupten, sie seien „zu realistisch“ [34, S. 202]. Realismus werde daher, so Manovich, nicht an einer optischen Linse oder dem menschlichen Auge selbst gemessen, denn computergenerierte Bilder gehen deutlich darüber hinaus und unterliegen keinen Begrenzungen durch Auflösung, Unschärfen oder Filmkörnung. Hoberg sieht das ähnlich [29, S. 17]: „Die Simulation von Körpern, materiellen Oberflächen, Bewegung, Lichtbrechung und Raumtiefe enthält jedoch gegenüber der 4. Virtuelle Kamerabewegung 27 Abbildung in jedem Fall das Moment der Derealisierung, wenn auch paradoxerweise das visuelle Ergebnis ‚realistischer‘ als eine Aufnahme wirken kann [...]“ Wie sich die Digitalisierung, die ja anscheinend durch Simulation das Filmbild deutlich verändert hat, auf die virtuelle Kamera und ihre Effektivbewegung auswirkt, soll im folgenden Abschnitt nachgegangen werden. 4.1.3 Entmaterialisierung der Kamera Bukatman weist darauf hin, dass die Filmkamera früher häufig als Apparatur zur Nachahmung des menschlichen Blick verstanden wurde. Er zitiert dabei Bordwell [10, S. 218]: “[...] it is usually impossible not to see camera movement as a substitute for our movement.” Manche Filmkritiker, so Bukatman, würden sogar behaupten, dass die Funktion der Kamera die exakte Reproduktion der menschlichen Wahrnehmung sei. Vertov, der schon im Jahr 1929 mit seinem experimentellen Werk Man with a Movie Camera die Möglichkeiten der Kamera zu erproben wusste, vertrat die Meinung, dass man den menschlichen Sehsinn nicht verbessern, die Kamera jedoch „unendlich vervollkommnen“ [66, S. 15] könne. Diese These prophezeit also vielmehr, dass die Kamera etwas neues konstruiere und den menschlichen Blick erweitere. Die Kamera schaffe daher, so Hoberg, „technisch und nicht organisch bestimmte Möglichkeiten“ [29, S. 43]. Hingegen sind in computergenerierten Bildern alle Bildpunkte jederzeit steuerbar und modifizierbar. Hoberg beschreibt dies als eine elektronisch gesteuerte Beweglichkeit des Bildes [29, S. 22]: „Die Bits, in denen die Information gespeichert ist, reisen schwerelos, mit Lichtgeschwindigkeit, sie sind universell verfügbar und übertragbar: dieser Beweglichkeit entspricht die Dynamisierung des Bildes durch die neue Technologie.“ Durch den zunehmenden Einsatz des Computers und die Verwendung einer virtuellen Kamera erreicht die Entfesselung des Kamerablicks schließlich ihren Höhepunkt. Expeditionen durch mikroskopisch kleine Räume und die Weiten des Weltraums, Aufnahmen, die schlichtweg „kameraunmöglich“ [67, S. 143] sind, gehören nun zum Repertoire des Regisseurs. Die Choreografie der Kamera orientiert sich nicht mehr am physisch und technisch Machbaren, sondern an der reinen menschlichen Vorstellungskraft, was, wie hier angenommen, die Ästhetik des Kinos dramatisch verändert. 4. Virtuelle Kamerabewegung 28 Es scheint neue Verwendungsformen zu geben, Überzeichnungen visueller Phänomene und eine erhöhte Dynamik, die den Betrachter aufs Neue herausfordern. So führen mit einer virtuellen Kamera eingefangene Bewegungsbilder „zu einer Steigerung der Illusionierung, zu erhöhter Reizdichte und zur Beschleunigung des filmischen Tempos“ [29, S. 202]. Nach Eder seien es doch nicht nur visuelle Sensationen, wie etwa fotorealistische digitale Charaktere oder atemberaubende Transformationen, die zur Begeisterung des Publikums führen, sondern in gleicher Weise die gesteigerte Beweglichkeit der Kamera [19, S. 202]: „Die hyperbewegliche Kamera ist ein generelles Kennzeichen vieler international erfolgreicher Filme des letzten Jahrzehnt, – auch vordergründig episch angelegte Filme wie Titanic oder Gladiator verdanken den Großteil ihrer Wirkung der virtualisierten Raumerfahrung durch synthetische Kameraperspektiven.“ Wie der Film von dieser erhöhte Mobilität der virtuelle Kamera profitieren kann, was eine virtuelle Kamera genau ist, was sie kann, und was sie von einer physischen Kamera unterscheidet, soll im nächsten Abschnitt näher untersucht werden. Hier scheint es zuallererst sinnvoll, sich an Kohlmanns Vorgehensweise [32, S. 135] anzulehnen und sich das virtuelle „Kamera-Objekt“ selbst in einem 3D-Animationsprogramm anzusehen. 4.1.4 Das Kamera-Objekt im dreidimensionalen Raum In heutigen Animationsprogrammen bieten sich einem 3D Artist in einer Benutzeroberfläche diverse Kontrollmöglichkeiten, die bei genauerer Prüfung denen des Kameramanns am realen Filmset gar nicht unähnlich sind. So hat ein 3D Artist ebenfalls die Möglichkeit, das Kamera-Objekt mit geringem Aufwand zu verschieben und zu rotieren, sowie Brennweite und Verschlusszeiten zu regeln. Man hat zudem auch die Möglichkeit, die virtuelle Kamera zu skalieren, erkennt aber sofort, dass sich das in keinster Weise auf das finale Rendering auswirkt. Das Kamera-Objekt, das sogar eine Skalierung von Null erhalten kann, ist nämlich lediglich ein Platzhalter, da eine virtuelle Kamera, wie auch Richter anmerkt, eine Software ist, mithilfe derer in einer Computeranimation diverse Parameter der Visualisierung gesetzt werden [52, S. 108]. Sie hat jedoch keine räumliche Ausdehnung, die bekanntlich nur einer physischen Kamera auferlegt ist. Doch kann man dann, in Anbetracht dessen, dass es sich ja um eine Software handelt, von einer Kamera sprechen? Kohlmann, der in seinen Untersuchungen den Abbildungsraum der virtuellen Kamera dem der physischen Kamera gegenüberstellt, zitiert dazu Foley [32, S. 134]: „Der Begriff der synthetischen Kamera hat sich bei der Erzeugung dreidimensionaler Szenen als hilfreiche Metapher erwiesen 4. Virtuelle Kamerabewegung 29 [...] Die Kamera wird bei Bedarf auch zu einer Filmkamera. Damit können wir eine animierte Sequenz erzeugen, die das Objekt in einer Vilzahl von Richtungen und Vergrößerungsstufen zeigt. Die Kamera ist natürlich nur ein Computerprogramm, das eine Darstellung auf einem Bildschirm erzeugt.“ Wie Kohlmann daraus schließt, könne eine virtuelle Kamera den Betrachterstrandpunkt im Raum definieren und in weiterer Folge die daraus resultierende Perspektive der Rendereinheit weitergeben. Zusammengefasst könnte man also sagen, dass die virtuelle Kamera eine Software ist, mit dessen Hilfe synthetische Filmbilder die Raumverschiebungen so erscheinen lassen, als seien diese von einer den Raum durchwandernden Filmkamera aufgenommen. So unterliegen auch virtuelle Kamerabewegungen der gleichen Kategorisierung, wie die der physischen Kamera. Man spricht also auch im virtuellen Raum bei einer reinen Drehung des Blickwinkels von einem Kameraschwenk und dementsprechend bei einer räumlichen Verschiebung von einer Kamerafahrt. Im folgenden Abschnitt wird die virtuelle Kamera als Werkzeug und filmisches Mittel untersucht. Es werden ausgewählte Sequenzen digitaler Filme ausführlich betrachtet und daraufhin überprüft, ob Regisseure die Freiheiten der entmaterialisierten Kamera in Anspruch nehmen oder sich bewusst an technischen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten orientieren. Zudem stellt sich die Frage, welche erzählerische Funktion virtuelle Kameras im digitalen Film haben, wie sie technisch umgesetzt sind und wie gut sie sich in real gefilmtes Material eingliedern. 4.2 4.2.1 Einsatz der virtuellen Kamera Prävisualisierung Viele Filme werden heutzutage prävisualisiert, was bedeutet, dass Szenen schon vor dem eigentlichen Dreh mithilfe computergenerierter Komponenten und virtueller Kameras entwickelt werden. Durch Prävisualisierung ist es möglich, sich komplexen Abläufen schon vorab anzunähern und die zeitliche Anordnung der Szenen, die Kameraplatzierung und -bewegung, sowie die Beleuchtung anhand eines dreidimensionalen Modells zu planen. Diese Technik könnte man als eine logische Weiterentwicklung des Storyboards2 bezeichnen, mithilfe dessen anspruchsvollere Bewegungsverläufe der Kamera jedoch nur sehr schwer in einer eindeutigen Form skizziert werden konnten. In Film Panic Room erwies sich Prävisualisierung in mehrerer Hinsicht als überaus hilfreich. Sie ermöglichte es Fincher, die Bewegungsabläufe der Schauspieler, sowie die Bewegung der Kamera für nahezu jede Szene bis ins kleinste Detail zu planen, was der gesamten Produktion eine gewisse 2 Disney nutzte Storyboards bereits in den 1920ern [55, S. 9]. 4. Virtuelle Kamerabewegung 30 „konstruierte Qualität“ (s. auch Abschnitt 4.2.4) verlieh – die Handlungen der Schauspieler, sowie die Führung der Kamera wirken choreographiert. Durch Prävisualisierung wusste man auch schon vor dem Bau des Sets3 welche Wände und Teile des Hauses zu welcher Zeit entfernt oder verschoben werden mussten, um bestimmte Perspektiven oder Bewegungsverläufe der Kamera ermöglichen zu können. Hätte man diese Entscheidungen erst während des Drehs getroffen, wäre die Produktionszeit deutlich angestiegen.4 Colin Greens erklärt, dass für eine Produktion dieses Ausmaßes normalerweise jedes Stockwerk des Sets oder zeitweise sogar nur kleine Teile eines Raumes nebeneinander platziert worden wären, um genügend Platz für das Equipment und das Team zu schaffen. Fincher wollte jedoch, wie Greens weiter anmerkt, das gesamte Haus zu jeder Zeit in seiner kompakten Form beibehalten.5 Für die Realisierung einer Verfolgungssequenz, während derer sich mehrere Schauspieler und Kameras auf unterschiedlichen Wegen durch das Haus bewegen, erwies sich diese Herangehensweise als besonders hilfreich. So konnten während des Prävisualisierungsprozesses alle Bewegungsabläufe, auch wenn viele davon letztlich gar nicht in der finalen Version zu sehen sind, in Echtzeit getestet werden. Und auch das Team für Spezialeffekte profitierte deutlich davon, dass die Gegebenheiten am Set, sowie ablaufende Prozesse bereits weit vor dem Dreh definiert waren. Während der Prävisualisierung wurden sogar jene Elemente des digitalen „Sets“ farblich markiert, die während des wirklichen Drehs nur teilweise oder gar nicht vorhanden waren und in digitaler Form ergänzt werden mussten. Diese gefärbten computergenerierten Modelle des Hauses, sowie Bewegungskurven der virtuellen Kamera dienten dann als Basis für etwaige Modellierarbeiten und Spezialeffekte.6 Zusammenfassend könnte man sagen, dass die Prävisualisierung zur Planung und Entwicklung einer gesamten Filmproduktion überaus hilfreich sein kann, vor allem dann, wenn Bewegungsabläufe der Charaktere und Kamerasysteme einer exakten Choreographie folgen sollen oder Bewegungsdaten der virtuellen Kamera für die Steuerung eines Motion Control Rig gebraucht werden.7 Für Panic Room war es wohl der ideale Weg, die komplexen Vorstellungen Finchers vorab zu skizzieren, für manch andere Produktionen wäre eine solche Fixierung jeder Einstellung vermutlich eher hinderlich als zielführend. 3 Das Filmset bestand aus einer komplexen Konstruktion eines vierstöckigen Hauses. Es wurde digital nachmodelliert und diente als Basis für den Prävisualisierungsprozess. 4 Nach Fincher dauerte jeder Ein- und Ausbau einer Wand etwa 45 Minuten (vgl. Audiokommentar mit Regisseur David Fincher [49, T=00:26:59]). 5 vgl. Audiokommentar mit Colin Green, Titel Multi-Angle Featurette [49]. 6 vgl. Titel Previz Demo im Bonusmaterial der Panic Room Special Edition DVD [49]. 7 Mithilfe exportierter Bewegungsdaten konnten die Positionen der einzelnen Kameras für den Bullet Time Effekt in Matrix (1999) durch einen elektronisch gesteuerten Laser Pointer exakt bestimmt werden (vgl. Bonusmaterial der Matrix DVD [38]). 4. Virtuelle Kamerabewegung 4.2.2 31 Perfekte Täuschung Die Hauptaufgabe der meisten hybriden Produktionen besteht darin, Bewegungsbilder unterschiedlicher Herkunft nahtlos zu verbinden und die Grenzen zwischen äußerer Realität und Simulation zu verwischen. So müssen bei der Kombination von Realfilmaufnahmen und Computergrafik innerhalb einer Szene die Kamerabewegungen beider Quellen exakt zueinander passen. Eine übliche Herangehensweise ist das Matchmoving Verfahren, womit bekanntlich die Bewegungsdaten des Films nach dem Dreh softwarebasiert extrahiert werden. Die Illusion ist daher perfekt, die virtuelle Bewegungskurve ist nicht von der des Ausgangsmaterials unterscheidbar. Eine weitere Möglichkeit der Integration ist das Motion Control Verfahren. Hierbei werden Bewegungsabläufe entweder am Filmset oder durch exportierte Animationspfade virtueller Kameras, etwa einer Prävisualisierungen, im Voraus definiert. Werden Realfilmaufnahmen und computergenerierte Szenen durch einen Schnitt getrennt, müssen sich Kamerabewegungen nicht unbedingt gleichen. In vielen Fällen ist es dennoch notwendig, dass virtuelle Kamerafahrten optisch nur wenig oder gar nicht von jenen des gefilmten Teils unterscheidbar sind (s. auch Abschnitt 4.2.6). Visual Effects Supervisor John Knoll geht bei der Umsetzung einer digitalen Szene überaus systematisch vor [17, S. 53]: “I’m just not a fan of things that couldn’t be done for real. When I’m doing a digital shot, I think about how we could do it if we were really shooting it. Would it be a helicopter shot? A crane? A car mount? OK, if it’s a car mount, there would be vehicular vibration on it, so we should put some low-amplitude, high-frequency vibration on the shot. OK, this is a helicopter shot, which means you can’t get too close to the subject, so there’s got to be a long lens, and there’s got to be a little float as the operator tries to follow the subject. Those little things add a lot of realism to a digital shot.” Knolls Denkprozess beinhaltet drei Eigenschaften, die als typische Merkmale diverser Reafilmaufnahmen verstanden werden können: • Verwacklungen des Bildausschnitts aufgrund äußerer Einflüsse auf die Kamera durch einen Kameramann, technisches Equipment oder kollidierende Objekte • Physikalische und technische Einschränkungen aufgrund der Bauweise und der räumlichen Ausdehnung von Kamera und sonstiger technischer Hilfsmittel • Verzögerte Reaktion auf eine Aktion im Bild bedingt durch die natürliche menschliche Reaktionszeit des Kameramanns 4. Virtuelle Kamerabewegung 32 So steht das analog entstehende Bewegungsbild in direktem Zusammenhang mit der vom Kameramann ausgeführten Choreographie am Filmset. Es ist direkt von den vorhandenen technischen Hilfsmitteln und den Gegebenheiten am Filmset abhängig. Im virtuellen Raum gibt es kein physisches „Filmset“ im herkömmlichen Sinn. Es gibt auch keine Dollies, Kräne, Steadicams oder auch Hindernisse, die aufgrund ihrer Bauweise und Platzierung das Aufnahmegerät in seiner Mobilität einschränken oder charakteristische Bewegungen hervorrufen. Trotzdem werden der virtuellen Kamerabewegung vermehrt „Fehler“ hinzugefügt, die man aus dem Spielfilm kennt und als Zuseher fast schon erwartet. Es werden Kamerakräne und Kamerawägen digital nachgebaut, um charakteristische Bewegungsabläufe solcher technischen Apparaturen nachzubilden. Mithilfe eines virtuellen Kamerasystems (s. auch Abschnitt 4.2.5) werden schließlich Bewegungsdaten erhalten, die exakt denen des Kameramanns entsprechen. Im digitalen Film zeigt sich daher vermehrt eine Kamera, deren Einsatz sich visuell nicht von jener des physischen Apparats unterscheidet. Dennoch gibt es, wie hier angenommen, virtuelle Kamerabewegungen, die aufgrund ihrer technischen oder physikalischen Unmachbarkeit als solche identifizierbar sind. In den folgenden Abschnitten werden diverse Verwendungsformen vorgestellt, die sich auf eine unterschiedliche Art von traditionellen Inszenierungsstrategien distanzieren. 4.2.3 Beschleunigte Fahraufnahmen Hohe Geschwindigkeiten, sowie deren visuelle Darstellung lockten schon sehr früh große Menschenmassen auf Vergnügungsparks oder ins Kino. So bietet Disneyland den Besuchern heutzutage auch ähnlich Spektakuläres an, in der Form eines Star Tours Ride, einer Attraktion, die mithilfe ungeschnittener virtueller Kamerafahrten und einer Effektivbewegung der Kabine den Teilnehmern das Gefühl vermittelt, sich selbst in rasanter Bewegung zu befinden. Bewegungssimulatoren sind offensichtlich reines Spektakel, werden hier doch keine wirkliche Geschichten erzählt. Welche Positionen beschleunigte Fahrten im digitalen Film einnehmen, soll im Zuge der folgenden Nachforschungen untersucht werden. Der folgende Abschnitt soll sich vorwiegend jenen Bildern widmen, die sich in ihrer visuellen Darstellung hoher Geschwindigkeiten, technischen Unmöglichkeit und Form des optischen Fließmusters8 ähnlich sind. Mikundas Ansatz, Filmaufnahmen ein Fließmuster zuzuordnen [41, S. 201-233] wird hier mit einem Fokus auf spezielle virtuelle Kamerafahrten mit einem überwiegend von innen nach außen oder von außen nach innen verlaufenden Fließmuster weiterverfolgt. 8 Wie Mikunda beschreibt, ergeben Netzhautprojektionen optische Muster. Wird eine Bewegung wahrgenommen, ziehen sich Lichtmuster über die Netzhaut [41, S. 204]. 4. Virtuelle Kamerabewegung 33 Pointierte Visualisierungsextreme Wie schon in der Einführung des Kapitels 4.1.3 theoretisch erklärt wurde, kann sich eine virtuelle Kamera beliebig schnell auf beliebigen Bahnen durch den Raum bewegen. Dass diese uneingeschränkten Möglichkeiten der Beschleunigung auch praktische Anwendung finden, wird im folgendem Abschnitt am Beispiel einer Sequenz des Films Star Wars: Episode I (1999) dargestellt. Mikunda erwähnt im Zuge seiner ausführlichen Erklärung optischer Fließmuster im Bewegungsbild, dass unter anderem die Sequenz des Pod Race das Publikum in einen regelrechten Geschwindigkeitsrausch versetze [41, S. 219]. Die Rennfahrzeuge rasen dabei mit enormen Geschwindigkeiten in sehr geringem Abstand über den Wüstenplaneten Tatooine, durch einen Parcours aus offenem Gelände, Schluchten und Höhlenlandschaften. Wie Mikunda richtig erkennt, besitzt der Wüstenboden eine markante Strukturierung, was die Wirkung des optischen Fließmusters deutlich verstärkt. Das gesamte Pod Race besteht aus einer Reihe unterschiedlicher Kamerabewegungen. Man wechselt mitunter häufig, jedoch nur kurzzeitig, auf rasante Fahrten, bestehend aus POV -Aufnahmen der Piloten und Nahaufnahmen der Vehikel in und entgegen der Fahrtrichtung, wobei erstere Szenen aufgrund ihres bildfüllenden Fließmusters eine deutlich intensivere Bewegungsempfindung zu erlangen scheinen. Durch das Hindurchfliegen höhlenartiger Räume und durch kurze rapide Richtungswechsel wird das Empfinden der Geschwindigkeit auf die Spitze getrieben. Solche Aufnahmen mögen in ihrer Inszenierung durchaus an so manche Cinerama Produktionen erinnern. Das Pod Race übertrifft das Breitbildformat der Fünfziger zwar deutlich in dargestellten Geschwindigkeiten, integriert diese allerdings nur sehr kurz und gezielt im Zusammenspiel mit Nahaufnahmen des Piloten oder etwa einer Totalen des Rennparcours. Lucas scheint hier, egal ob bewusst oder unbewusst, den „sicheren“ Weg zu gehen, da die Sehgewohnheiten des Massenpublikums, das, wie Kohlmann anmerkt, „nur pointiert Visualisierungsextreme akzeptiert“, dagegen sprechen. Es ist also durchaus kritisch, die Freiheiten der virtuellen Kamera auf eine übertriebene Weise zu zelebrieren. Um die Entmaterialisierung der Kamera zusätzlich zu kaschieren, integrierte Lucas klar ersichtlich Elemente, die man aus Realfilmproduktionen kennt. Die virtuelle Kamera täuscht eine räumliche Ausdehnung vor, wird durch vibrierende Fahrzeugteile, mit denen sie in so manchen Aufnahmen verbunden zu sein scheint, beeinflusst, was in einer Verwacklung des Bildausschnitts resultiert. Folgt die Kamera einem Vehikel, und ändert dieses schlagartig seine Richtung, wird überdies die durch eine gewisse Reaktionszeit des Kameramanns bedingte verzögerte Reaktion auf die Aktion, sprich eine etwas verspätete Veränderung des Blickfelds nachgestellt. So ist es bei einer Montage von Realfilmaufnahmen, rein computergenerierten Aufnah- 4. Virtuelle Kamerabewegung 34 men und hybriden Bildern nur zu erahnen, ob nun eine virtuelle Kamera zum Einsatz kam oder nicht. Tatsächlich wurden die meisten Einstellungen im Studio vor Blue Screen gedreht und die atemberaubende Fahrt erst später am Computer hinzugefügt. Wie die Sequenz des Pod Race exemplarisch zeigt, werden Visualisierungsextreme in digitalen Filmen durchaus eingesetzt, jedoch hier im Speziellen nur sehr kurz, was den Sehgewohnheiten des Betrachters mit Sicherheit zugute kommt. Die vorgetäuschte Materialität der Kamera und die Integration „menschlicher Fehler“ wird offenbar zu einer gesteigerten Glaubwürdigkeit einer Sequenz verwendet. Richter prägt in diesem Zusammenhang den Begriff „Realismuseffekt“ [52, S. 123]: „Die Anknüpfung an bekannte Inszenierungsstrategien, die als realistisch wahrgenommen werden, wird zum Realismuseffekt für die ‚unmöglichen‘ Bilder der virtuellen Kamera.“ Dramatisierung einer Sequenz Dass virtuelle beschleunigte Kamerafahrten auch länger ausfallen können, und vermutlich eher aus stilistischen Gründen zum Einsatz kommen, zeigt die Introsequenz des Films Lord of the Rings: The Two Towers.9 Eingeleitet wird das Setting durch eine Montage von Luftaufnahmen des Nebelgebirges. In einer durchgängigen, ungeschnittenen Sequenz wird von real gefilmtem Material auf eine virtuelle Fahrt überblendet, in der die Kamera ins Innere der Felswand eindringt und in weiterer Folge das Setting vorstellt. Bei dieser Tunnelfahrt wird das Blickfeld nicht verwackelt, die virtuelle Kamera schiebt sich ungehindert durch einen winzigen Spalt. Als Gandalf die Brücke unter Balrog zerschmettert, stürzen beide in den Abgrund. Die Kamera folgt ihnen zuerst langsam, in einer Totalen beginnend, und immer schneller werdend in die Tiefe. Diese weiche, leicht gekrümmte Fahraufnahme wird gegen Ende der Einstellung mit unregelmäßigen Wackelbewegungen überlagert und geht durch einen eingeführten Schnitt in einen Gegenschuss, mit Blick entgegen der Fallrichtung über. Als Gandalf schließlich das zuvor aus seinen Händen gerissene Schwert ergreift, wendet sich der Blick der Kamera durch eine von Gandalfs Fall eingeleitete Schwenkbewegung erneut nach unten. Auffällig sind die bereits am Beispiel des Pod Race eingesetzten grob strukturierten Raumbegrenzungen, die in einem hochfrequenten Wechsel von hellen und dunklen Farbflecken am Bildrand vorbeilaufen und damit die Wahrnehmung der hohen Relativgeschwindigkeit ermöglichen. Beinahe eine Minute verfolgt die Kamera in einem Sturzflug das Geschehen und fängt deren beider Kampf fast ausschließlich in Nahaufnah9 In der gezeigten Rückblende überquert die Gemeinschaft des Ringes die Brücke von Khazad-dûm, der einzigen Verbindung nach Osten, wo Gandalf bereits im ersten Teil der Triologie Balrog von Moria, einer in Flammen gehüllten Kreatur gegenübersteht. 4. Virtuelle Kamerabewegung 35 men ein, die sowohl in oder entgegen der Fallrichtung, als auch normal dazu ausgerichtet sind. In einer etwa neunsekündigen, statischen Totalen der Höhlenöffnung am Grunde des Caradhras 10 fallen Gandalf und Balrog ins Bild. Der entstehende Kontrast zwischen mobilen und statischen Aufnahmen ist hier auffallend stark ausgeprägt, da einerseits vorhergehende Aufnahmen besonders in die Länge gezogen sind und andererseits wahrgenommene Geschwindigkeiten durch virtuelle Fahrten zusätzlich beschleunigt werden. Des weiteren werden die räumliche Ausdehnung der Höhle, Größenverhältnisse und die in großer Entfernung zu erkennende langsame Fallbewegung durch diese Statik der Einstellung umso deutlicher wahrgenommen. Die Fallszene endet nach der darauffolgenden erneuten Nahaufnahme des Kampfes, vor dem Aufschlag der Kamera auf der Wasseroberfläche, durch einen harten Schnitt. In Tolkins Roman steht geschrieben [62, S. 128]: “[...] he [Gandalf, Anm. d. Verf.] sat silent, looking old as death. ‘Long time I fell,’ he said at last, slowly, as if thinking back with difficulty. ‘Long I fell, and he fell with me. His fire was about me. I was burned. Then we plunged into the deep water and all was dark [...]” Dass die Filmsequenz deutlich ausführlicher ausfällt und in einer Reihe spektakulärer Kamerafahrten gezeigt wird, ist vermutlich eine ganz bewusste Entscheidung des Regisseurs. In Jacksons Triolgie sind solch „vertigonöse“ Kamerafahrten keine Seltenheit und werden, wie Thompson feststellt, sowohl aus ästhetischen Gründen, als auch zur Intensivierung des Gezeigten eingesetzt. Thompson nennt es Jacksons typischen „großtuerischen Stil“ [61, S. 290]: “Combined with camera movement, bluescreen technology, and miniatures, the Isengard shot is typical of Peter Jackson’s ostentatious style, in which the aesthetics of scale, spectacle, and vertiginous (simulated) camera movement preduced by computergenerated imagery and special effects create some of the most striking visual set in The Lord of the Rings trilogy.” Der ästhetische Einsatz von Bewegung, so Thompson, zeige sich in Lord Of The Rings durch vier grundlegende Ansätze: • • • • 10 Luftaufnahmen Schwindelerregende Kamerabewegung Digitale Kamerabewegung (“swoop/flythrough”) Fallende Bewegung von Charakteren Der Begriff Caradhras bezeichnet einen Berg im Nebelgebirge. 4. Virtuelle Kamerabewegung 36 Die Gemeinsamkeiten aller vier Varianten sind eine beschleunigte Fahraufnahme der Kamera, ein vorwiegend konzentrisch verlaufendes optisches Fließmuster und ein gewisser spektakulärer Charakter. Manovich weist darauf hin, dass die Neuartigkeit im Zeitalter der digitalen Spezialeffekte bedeute, Vertrautes auf neue Weise zu visualisieren. Er nennt dazu exemplarisch die Aufnahme eines abstürzenden Bergsteigers und die sehr unterschiedliche Herangehensweise der Kameraführung vor und nach der Computerära. So hätte man eine solche Fallszene früher eher durch einen Schnitt von einem Close-Up des Bergsteigers auf eine Totale realisiert. Heutzutage „kann der Zuschauer verfolgen, wie der Held abstürzt – nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt“ [35, S. 153]. So wurde auch Gandalfs Absturz und anschließender Kampf fast durchgehend aus nächster Nähe gezeigt, und die Kamera folgte der Aktion mit einer auffällig hohen Präzision. Für eine gesteigerte Authentizität der Aufnahmen wurden teilweise Verwacklungen des Bildausschnitts vorgetäuscht. Die Beispielszene in Lord Of The Rings: The Two Towers verdeutlicht, dass die erweiterten Möglichkeiten der virtuellen Kamera beschleunigte und überaus präzise hybride Filmbilder erlauben, was in einem Maß genutzt wird, dass bestehende Sehgewohnheiten des Publikums herausgefordert und vielleicht sogar neu definiert werden. Wie Thomspons Angaben jedoch schon andeuten, war das Spektakel eine zentrale ästhetische Strategie, so auch in anderen Szenen des Films, wie Jackson anhand der Verwendung eines Miniatursets beschreibt [61, Thompson zitiert Jackson, S. 289]: “On a location or set, you’re locked to the laws of physics: how quickly can you push a dolly along, how quikcly can you move a crane through the air, and what can a helicopter do? But on the miniatures, I could be more dramatic with the camera moves, traversing a seemlingly huge area, which would have been impossible in reality.” Jackson nützt also die erweiterten Möglichkeiten durch die Illusion einer beschleunigten Fahrt am Miniaturset sowie durch computergenerierte Elemente vorwiegend zur Dramatisierung des Gezeigten. So wird auch im Gegensatz zu den Szenen des Pod Race dieser Fall Gandalfs überaus lange zelebriert, durch eine Aneinanderreihung beschleunigter Nahaufnahmen der Charaktere. Spektakuläre Eröffnungssequenzen als Long-Take Noch ein ganzes Stück länger fallen beschleunigte Kamerafahrten in so manchen Eröffnungssequenzen aus. So scheint es, als würden sich Regisseure immer wieder gegenseitig mit besonderen Long-Takes 11 übertreffen wollen. In 11 Sehr oft haben solche Aufnahmen einen gewissen autonomen Charakter. 4. Virtuelle Kamerabewegung (a) 37 (b) Abbildung 4.1: Virtuelle Kamerafahrt durch das Gehirn des Erzählers (a) und entlang seiner Hautoberfläche (b) in Fight Club, aus [21]. die Länge gezogene Expeditionen durch den Raum, angefangen bei Touch of Evil (1958), über Secret Window (2004) bis hin zu Tron: Legacy (2004) sind fester Bestandteil großer Filmproduktionen. Manchmal wird solchen „magischen Aufnahmen“ sogar die weitaus größte Aufmerksamkeit geschenkt, wie John Seale am Beispiel der einleitenden ungeschnittenen Sequenz des Films Poseidon (2006) beschreibt [69, S. 56]: “I’d rather spend extra time on the most important or dramatic shots of a scene, the ones that leave a lasting impression on the audience and therefore create the overall ‘flavor’ of the film, instead of equally distributing my resources across every shot and possibly blowing the schedule. And, generally, those magic shots in a scene are predetermined in a production such as this.” Verglichen mit frühen real gefilmten Aufnahmen präsentieren sich heutige mitunter sehr virtuos und beschleunigt. So zeigt sich auch die Titelsequenz in Fight Club (1999) besonders spektakulär und wurde sogar unabhängig vom Rest des Films finanziert. Sie beginnt mit einer rasanten Kamerafahrt durch das menschliche Gehirn (siehe Abb. 4.1 (a)), in einem synaptischen Spalt [36, S. 118] und setzt sich in ein Geflecht aus Nervenzellen fort. Die Kamera verlässt das Gehirn durch den Schädelknochen, durchläuft Fettzellen und tritt schließlich entlang eines Haarbalgs aus der Stirn des Erzählers (Edward Norton) aus. Darauf gleitet sie entlang der Hautoberfläche (siehe Abb. 4.1 (b)), weiter über seinen Nasenrücken und folgt einer Vertiefung am Lauf der Pistole, welche sich im Mund des Protagonisten befindet. Die Kamera kommt am Ende der Zielvorrichtung der Waffe zum Stillstand und erst durch einen darauffolgenden Establishing Shot werden dem Zuseher schließlich die Konstellationen der Szene eindeutig vor Augen geführt. Diese Vorspannsequenz, so Fincher, sollte im Angstzentrum des Protagonisten beginnen.12 Die virtuelle Kamera befindet sich in einer ständigen 12 vgl. Audiokommentar mit Regisseur David Fincher [21, T=00:00:40]. 4. Virtuelle Kamerabewegung 38 Rückwärtsbewegung, zu Beginn langsam zurückgleitend und nach etwa fünf sekündiger Fahrt schlagartig schneller werdend. Man stürzt sich scheinbar einer Denritenoberfläche entlang in die Tiefe, die Kamera löst sich in einer kombinierten Schwenkbewegung von der Wand und schießt durch das neuronale Netzwerk hindurch weiter nach hinten. Im Kontrast zu den später im Abschnitt 4.2.4 vorgestellten computeranimierten Bildern desselben Films, durchdringt hier die virtuelle Kamera niemals eines der Hindernisse. Sie weicht diesen in ständigen Schwenks und kurzen korrektiven Horizontalund Vertikalbewegungen aus, sodass sich die organischen Strukturen blitzschnell vom Bildrand in Richtung der Mitte verschieben. Ein solcher Effekt des plötzlichen Erscheinens markanter Objekte führt laut Mikunda zu einem „Augenkitzel“ [41, S. 157] des Betrachters, was bei gezieltem Einsatz13 zu einem lustvollen Empfinden einer Szene führen kann. Digital Domain Effekt Supervisor Kevin Mack merkt an, dass die gesamte Einstellung so gehandhabt wurde, als bewegte sich tatsächlich eine physische Kamera durch diesen verzweigten, mikroskopischen Raum [36, S. 118]. Im Laufe der Fahrt verändert sich der Maßstab ständig, was vermutlich einem Zuseher ohne entsprechender fachlicher Ausbildung nicht auffallen würde, jedoch erneut die von Richter dargestellte besondere „Raumbehandlung“ [52, S. 119] virtueller Räume verdeutlicht. Im Gegensatz zu ähnlich konstruierten computeranimierten Dokumentationsfilmen14 sind Verwacklungen des Bildauschnitts nicht erkennbar. Das von außen nach innen verlaufende optische Fließmuster ist omnipräsent und besonders hervorstechend beim Durchdringen des Haarkanals und der anschließenden Fahrt durch eine Rille am Pistolenlauf. Wohingegen Rückwärtsbewegungen der Kamera oftmals dafür eingesetzt werden, einen Raum zu eröffnen, um wichtige Elemente eines Settings preiszugeben,15 ist es in Finchers Werk eher die eigentliche Kamerafahrt selbst, die im Vordergrund steht. Charakteristische Merkmale der Kamerabewegung sind die erhöhte Geschwindigkeit, die vorgebliche, oftmals in abrupten Ausweichbewegungen resultierende, räumliche Gebundenheit der virtuellen Kamera, sowie das Fehlen von Bildverwacklungen. Hier fand also einerseits eine Entmaterialisierung der Kamera statt, die aber andererseits durch die Integration einer vorgetäuschten Limitierung wieder relativiert wurde. Das bildfüllende konzentrische Fließmuster würde die Möglichkeit einer induzierten 13 Mikunda nennt insgesamt vier Bedingungen, die ein visueller Reiz erfüllen muss, um einen lustvollen Augenkitzel auszulösen: „Sie sollen deutlich als Signale einer möglichen Bedrohung erkennbar sein, wie das schnelle Bewegungen und leise Geräusche sind. Weiters dürfen sie weder zu stark noch zu schwach ausfallen, sollen unerwartet auftauchen und sich ständig verändern, so dass man den Reizen gegenüber nicht abstumpft“ [41, S. 162]. 14 In der ersten Episode der TV Serie Inside the Human Body (2011) führt der dargestellte Strom von Körperflüssigkeiten zu einem Verwackeln des Bildausschnitts. Trotz der offensichtlich simulierten Visualisierung des Körperinneren, scheint die virtuelle Kamera auf Einflüsse von „Außen“ zu reagieren. 15 vgl. Stanley Kubricks Introsequenz in A Clockwork Orange (1971). 4. Virtuelle Kamerabewegung 39 Eigenbewegung des Betrachters sehr verstärken. Eingeblendete Textelemente machen jedoch immer wieder auf sich aufmerksam, lenken daher ab und der Effekt scheint an Wirkung zu verlieren. Diese virtuelle Kamerafahrt erfüllt zudem auch eine eindeutige narrative Funktion: dem Betrachter werden schon im Vorhinein Bewegungsbilder präsentiert, die darauf hindeuten, dass Teile des Films lediglich ein Konstrukt der Gedanken des Erzählers sind [40, S. 47]. Zusätzlich werden bereits schemenhaft relevante Eckpunkte der Handlung gezeigt, was in der letzten Filmsequenz zu einem regelrechten Déjà-vu-Erlebnis führt. 4.2.4 Unmögliche Visualisierungen Die drei vorhergehenden Fallbeispiele gleichen sich in ihrer rein technischen Unmöglichkeit der Umsetzung. Wie bereits bekannt, ist jedoch der Film von technischen Weiterentwicklungen und Innovationen geprägt und so wird es vermutlich realen Kameras in zukünftigen Filmen durchaus möglich sein, solch beschleunigte Fahrten durch engste Räume zu visualisieren, ja vielleicht sogar das Gehirn des Menschen zu durchfahren.16 Traditionell wurde der Position der Kamera der Standpunkt des Betrachters zugeordnet. Bordwell geht davon aus, dass die Kamera daran gebunden war, „die natürliche Wahrnehmung nachzuahmen“ [29, S. 8]. Die menschliche Wahrnehmung ist allerdings räumlich limitiert und so ist es auch die reale Kamera. Neben aufwändigen Kamerabewegungen stellte sich oftmals schon die reine Positionierung der Kamera als schwierig dar, was so manche Aufnahmen aufgrund der räumlichen Gegebenheiten am Filmset nur sehr schwer oder gar nicht möglich machte. Mitchell beschreibt den Nachteil des Fotografen gegenüber dem Computerkünstler wie folgt [42, S. 131]: “Computer perspectivists have far greater freedom in choosing viewing parameters than either painters or photographers [...] Photographers face the problems of finding physically possible places to stand, [...] But computer perspectivists can station themselves wherever they want in their virtual words and can set their virtual cameras in whatever ways they desire.” Director of photography Ellen Kuras erinnert sich in einem Interview von John Pavlus an den Dreh von Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2004) und die dabei auftretenden Schwierigkeiten, brauchbare Kamerabewegungen zu erreichen [50, S. 40]: 16 Wie schon erwähnt, sind die dargestellten Maßstäbe der Introsequenz in Fight Club keineswegs korrekt. Abgesehen davon, orientierte sich Fincher dank intensiver Rücksprache mit Dr. Mark Ellisman, Professor der Neurowissenschaften und Biotechnologie [36, S. 118], an biologischen Grundlagen. Durchfahrende Öffnungen gebe es daher auch tatsächlich in einem menschlichen Gehirn. 4. Virtuelle Kamerabewegung 40 “With all of that shifting, squatting and standing, working with the weight of 1,000-foot mags, and trying to slip between train seats with the assistant holding focus, the camera movement is not always the most graceful [...] In the final cut, not surprisingly, Michel [Gondry, Anm. d. Verf.] doesn’t use any of the moves.” Diese Problematik muss natürlich nicht zwangsläufig in einer geringeren Qualität einer Szene oder der gesamten Produktion resultieren, es zeigt jedoch exemplarisch, dass eingeplante mobile Aufnahmen aufgrund diverser unangenehmer Limitationen und Nebenerscheinungen verworfen werden müssen. Kuras hätte sich hier wohl zeitweise die Freiheiten und Kontrollierbarkeit einer virtuellen Kamera gewünscht. Ähnlich unterlief es auch Fincher beim Dreh von Fight Club. Die Szene, in der Tyler ein Bad nimmt, hätte, wie Fincher sich erinnert, laut Drehbuch eigentlich im Garten des Hauses stattfinden sollen. Laute Umgebungsgeräusche und Probleme bei der Platzierung der Kameras verhinderten jedoch eine zufriedenstellende Produktion, sodass Fincher sich schließlich dazu entschied, den Dialog ins Innere des Hauses zu verlegen.17 Die soeben geschilderten Fallbeispiele bestärken die zuvor angeführten Behauptungen, dass reale Filmkameras deutlichen technischen und physikalischen Limitationen unterworfen sind, was den Dreh erschweren kann und oftmals Improvisation verlangt. Wie sich in Kapitel 2 zeigte, wurden Versuche in Richtung einer scheinbaren Immaterialität schon sehr bald in den frühen Jahren der Filmgeschichte angestellt. Die scheinbar kontinuierliche Bewegung durch eine Fensterscheibe18 war ein häufig eingesetzter Effekt, und das ist er auch noch heute. Sehr viele „unmögliche“ Kamerafahrten lassen sich jedoch keineswegs nur durch einen unsichtbaren Schnitt verwirklichen, was die Integration computergenerierter Elemente oder ganzer dreidimensionaler Nachbauten des Filmsets unverzichtbar macht. Durch Computergrafik und den Einsatz einer virtuellen Kamera haben sich die Produktionsbedingungen deutlich verändert und scheinbar Unmögliches ist nun visualierbar. Der folgende Abschnitt wird sich rein jenen Kamerafahrten im digitalen Film widmen, die unter Verwendung einer physischen Kamera aufgrund sowohl technischer als auch physikalischer Limitationen schlichtweg unmöglich wären. Anhand exemplarischer Filmszenen und Sequenzen sollen diverse Visualisierungsstrategien solcher unmöglichen Kamerafahrten dargestellt und auf ihre erzählerische Funktion untersucht werden. Visualisierung eines Gedankenprozesses Das vorhergehende Filmbeispiel zeigt, dass virtuelle Kamerafahrten auf eine herausragende Weise genutzt werden können, um physikalisch „Unmögliches“ 17 18 vgl. Audiokommentar mit Regisseur David Fincher [21, T=00:37:50]. vgl. Murnaus Der Letzte Mann (1924). 4. Virtuelle Kamerabewegung 41 zu visualisieren. Eine große Herausforderung für die erfolgreiche Umsetzung des Film Fight Club (1999) war es, die im Roman vermittelte, leicht „verzerrte Realität“ [36, S. 116] in ein visuelles Kinoerlebnis zu übersetzen. Fincher integriert vier computergenerierte Einstellungen unterschiedlichen Inhalts, die sich jedoch in ihrer visuellen Umsetzung und erzählerischen Bedeutung überaus ähnlich sind und aufgrund ihrer speziellen Form der Kamerabewegung als physikalisch unmögliche Kamerafahrten bezeichnet werden können. In der ersten dieser besagten Aufnahmen werden Tyler (Brad Pitt) und der Erzähler (Edward Norton) durch eine Fensterscheibe von außerhalb eines Wolkenkratzers gezeigt, in dem sie die Sprengung mehrerer Gebäude erwarten. Während sich der Erzähler im Begleitkommentar den Aufbau der Sprengladungen vorzustellen beginnt, wendet sich die Kamera von der Gebäudefront ab, schwenkt zur Seite und beschleunigt in einem senkrechten Sturzflug hinunter in Richtung des Straßenbelags (siehe Abb. 4.2 (a)), durchdringt den Gehweg sowie mehrere Schichten des Fundaments und kommt in dem darunter befindlichen Parkhaus mit Blick auf einen parkenden Transportwagen beinahe zu Stillstand. Die Fahrt setzt sich fort, die Kamera beschleunigt erneut, jagt durch ein Einschussloch an der Windschutzscheibe des Fahrzeugs, um die dort mit Nitroglycerin gefüllten Container der pyrotechnischen Konstruktion zu enthüllen, verharrt kurz und rast, mit einem seitlichen Schwenk beginnend, in einer Rückwärtsbewegung seitlich durch die Wand des Lieferwagens. In Einklang mit den Gedanken des Erzählers schießt die Kamera weiter über eine Straße in ein weiteres Parkhaus, zu einer Zündvorrichtung. Hinsichtlich der Kamerabewegung zeichnet sich die soeben beschriebene Szene durch einen Wechsel an positiven und negativen Beschleunigungen, das Durchdringen von Objekten, sowie weiche, unverwackelte Blickwinkel aus. Es finden sich mehrere Fahraufnahmen transponiert, sowohl vorwärts, rückwärts und seitlich als auch kombinierte Schwenkbewegungen. In einer späteren computergenerierten Szene bewegt sich die Kamera vom Inneren eines bildfüllenden Getränkebechers rückwärts durch ein Geflecht ineinander verschachtelter Produktverpackungen, die durch das langsame seitliche Vorbeischieben an der Kamera riesig wirken und in ihrem Bewegungsfluss an so manche Science Fiction Einstellung aus dem Weltall erinnern mögen. Hinweis darauf, dass dieses scheinbare Gefühl einer „Raumfahrt“ durchaus beabsichtigt ist, liefern die Worte des Erzählers und parallele Audioeffekte. Ähnlich der im vorhergehenden Abschnitt vorgestellten Introsequenz durchdringt die Kamera keine sich von hinten nähernden Objekte, aktive Ausweichbewegungen bleiben hier allerdings aus. Am Ende der Einstellung verlässt die Anhäufung an Müll durch das Loch eines Becherhalters, und erst durch eine weitere Rückfahrt wird dem Betrachter schließlich klar, dass er sich gerade durch einen Mülleimer bewegte, und in Kombination mit der nächsten Einstellung sich durchwegs in der verträumten Subjektive des Erzählers befand. 4. Virtuelle Kamerabewegung (a) 42 (b) Abbildung 4.2: Visualisierung eines Gedankengangs. Die virtuelle Kamera stürzt auf den Straßenbelag zu (a) und kreist um das Kochfeld (b) in Fight Club, aus [21]. Die dritte hier vorgestellte Sequenz ist eine Montage aus mehreren Realfilmaufnahmen und vier computergenerierten Einstellungen, von denen hinsichtlich ihrer Inszenierung der Kamerabewegungen hier nur zwei als „unmögliche Fahrten“ gesehen werden und übrige daher nicht in die Betrachtung miteinfließen. Während der Erzähler zu berichten beginnt, wie sich die Polizei die Explosion seines Appartments erklärt habe, bewegt sich die Kamera auf den beschriebenen Gasherd zu und kreist in weiterer Folge um das Kochfeld (siehe Abb. 4.2 (b)). Im Kommentar wird beschrieben, dass der Herd aufgrund einer ausgefallenen Zündflamme etwas Gas verlor und allmählich den gesamten Raum damit füllte. Darauf entfernt sich die Kamera in einer zweiten „unmöglichen“ Fahrt vom Kochfeld des Herds hinter den Kühlschrank und entlang seiner Rückseite in einem vertikalen Sturzflug bis zum Kompressor der Kühlvorrichtung, durch dessen automatischen Anlauf und dabei entstehenden Funken sich das Gas entzündete. Der Bewegungspfad der Kamera gleicht den vorhergehend untersuchten Fahrten in ihrer Weichheit und Fincher konfrontiert den Zuseher erneut mit einer Gleichzeitigkeit gesprochenen Textes und visualisierter Objekte. Die letzte für diesen Abschnitt relevante Sequenz des Films Fight Club zeigt den Erzähler bei dem Versuch, die zu Beginn des Films gezeigte Bombe zu entschärfen. Er weiß, dass er selbst für den Bau des Sprengsatzes verantwortlich ist und versucht sich daran zu erinnern. In einer dreigeteilten animierten Einstellung fährt die Kamera durch das Innenleben der Bombe hindurch und vorbei an den darin befindlichen Verkabelungen, verharrt kurz in einer Nahaufnahme einzelner Elemente der Konstruktion und folgt weiter dem Verlauf der Kabel. Der virtuelle Blick löst sich hier erneut von jeglichen physikalischen Limitationen und fährt, ohne eine einzige Ausweichbewegung einzuleiten, durch jegliche Hindernisse hindurch. Die vier beschriebenen computergenerierten Sequenzen des Films Fight Club haben trotz offensichtlich unterschiedlicher Bewegungskurven und ver- 4. Virtuelle Kamerabewegung 43 schieden kombinierter Beschleunigungen etwas Entscheidendes gemeinsam – sie sind subjektive Einstellungen des Erzählers.19 Martin zitiert Fincher in einer sehr detaillierten vorwiegend technischen Abhandlung des Films [36, S. 116]: “For Fight Club demonstrating the narrator’s thought processes became an important part of my setup—those first fourty minutes when audiences are taught how to watch the film. Providing a ‘mind’s-eye’ view would help audiences understand the way this story was being told [...] We wanted an incredibly myopic framework, one that was valid given our intent to tell the story from the viewpoint of this particulary guy—who turns out to be crazy. We wanted to leap out-of-body, moving the camera in a very free way to visualize his all-over-the-place thoughts as he tries to work things out for himself.” Fincher suchte also nach Wegen, die Denkprozesse des Erzählers, seinen depressiven, dissoziativen Zustand zu visualisieren. In seiner vereinzelten Verwendung ist dies zwar nicht unbedingt ein Leitmotiv des Films, aber durchaus eine Andeutung dafür, wohin sich die Gedanken des Erzählers „bewegen“. Die Antwort auf die Frage, wieso sich Finchers Darstellung eines Denkprozesses von traditionellen Inszenierungsstrategien abwendet, scheint auf der Hand zu liegen. Gedanken sind nicht greifbar, sie sind abstrakt und gedachte, räumlich weit auseinanderliegende Örtlichkeiten können blitzschnell miteinander in Verbindung gebracht werden. So beschreibt auch Fincher in einem Interview mit Gavin Smith, dass er ganz bewusst völlig neue Herangehensweisen in Betracht zog:20 “I remember having a conversation early on when we were discussing what the feel of the first act should be. I was saying, it’s not a movie, it’s not even TV, it’s not even channel-changing, it’s like pulldown windows. It’s like, pffpp, take a look at it, pffpp, pull the next thing down—it’s gotta be downloaded. It’s gotta move quick as you can think. We’ve gotta come up with a way that the camera can illustrate things at the speed of thought.” Um den Betrachter an einer solchen subjektiven Realität einer Figur teilhaben zu lassen, hätte man früher wohl eine Rückblende verwendet, diese optisch, etwa durch eine andere Farbgebung deutlich vom Rest des Films abgehoben und zur Überbrückung großer räumlicher Distanzen verschiedene Szenen montiert. Der Einsatz der virtuellen Kamera kreiert hingegen neue Erzähltechniken, Gedanken und Erinnerungen eines Charakters auf eine kontrollierte und vor allem unmittelbare Weise zu skizzieren. 19 vgl. Audiokommentar mit Regisseur David Fincher [21, T=00:40:00]. vgl. www.edward-norton.org/fc/articles/filmcom.html, Kopie auf CD-ROM (Datei literatur/Smith99.pdf vom 26.06.2011). 20 4. Virtuelle Kamerabewegung 44 Die autonome, allwissende Kamera Autonome Kamerabewegungen werden oftmals kritisiert, würden sie doch zu sehr auf sich aufmerksam machen und von der eigentlichen Handlung ablenken. Dass eine gewisse Eigenständigkeit der Kamera, wenn diese denn motiviert ist, sogar in Kombination mit „unmöglichen“ Fahrten sehr gut funktioniert, lässt sich an folgendem Beispiel zeigen. Fincher zeigt in Panic Room (2002), dass eine unkonventionelle Handhabung der Kamera eine Produktion deutlich aufwerten und sich nahtlos in die Geschichte eingliedern kann. Die erzählerische Funktion der Kamera ist jedoch eine andere als in Fight Club und ihre Entmaterialisierung ist weniger aufdringlich eingesetzt. Die Geschichte in Panic Room ist linear erzählt und spielt bis auf die erste und letzte Sequenz ausschließlich innerhalb eines mehrstöckigen Hauses. Man möge daher meinen, dass die Kamera dadurch relativ eingeschränkt sei. Fincher gewann jedoch durch den Einsatz virtueller Aufnahmen und einer speziellen Konstruktion des Hauses eine besondere Freiheit während des Drehs. Realfilmaufnahmen wurden, abgesehen von der ersten und letzten Szene des Films, ausschließlich auf einem Set gedreht. Das Haus ist eine wahre technische Meisterleistung: einzelne Elemente und ganze Wände und Stockwerke konnten entfernt oder verschoben werden, um ähnlich der Dreharbeiten von Hitchcocks Rope der Kamera zusätzlichen Handlungsraum zu geben und die Ideen des Regisseurs verwirklichen zu können. Fincher selbst beschreibt seine Wahl der Kameraperspektiven und -bewegungen wie folgt [49, T=00:09:03]: “You are going to be granted access to viewing this place and these people in their life in a way that is all-access backstage passes to everything that you can possibly see.” Dialoge stehen keineswegs im Vordergrund, Fincher erzählt die Geschichte vorwiegend visuell. Die wohl beeindruckendste und auch teuerste Sequenz des gesamten Films zeigt in einer scheinbar ungeschnittenen, beinahe dreiminütigen Aufnahme den Einbruch in das Haus. Der Big Shot beginnt mit einer statischen Aufnahme in Megs (Jodie Foster) Schlafzimmer. Die Kamera wird allmählich in eine leichte Rückwärtsbewegung versetzt, zieht sich weiter aus dem Zimmer zurück und hält dabei die Protagonistin stets im Bild. Man bewegt sich weiter nach hinten durch ein Treppengeländer, dessen Sprossen sich am linken und rechten Bildrand vorbei in Richtung Bildmitte schieben. Die Kamera sinkt ab, schwenkt nach unten, durchfährt das Treppenhaus weiter ins Erdgeschoß des Hauses, wo sie schließlich frontal vor einem Fenster zum Stillstand kommt. Man erkennt, wie Burnham, einer der Einbrecher, den Vorgarten betritt und sich dem Haus annähert und sich weiter nach rechts in Richtung der Haustüre bewegt. In einer sanften seitlichen Fahrt folgt die Kamera seiner Bewegung und schiebt sich weiter in das Innere des 4. Virtuelle Kamerabewegung (a) 45 (b) Abbildung 4.3: Die virtuelle Kamerafahrt in das Türschloss (a) und durch die Küche (b) in Panic Room, aus [49]. Türschlosses hinein (siehe Abb. 4.3 (a)). Die ruckartigen Bewegungen des von außen eingeführten Schlüssels deuten darauf hin, dass dieser nicht passt. Die Kamera bewegt sich rückwärts aus dem Schloss heraus und weiter, den Einbrechern folgend, nach links. Sie geht über in eine Untersicht und zeigt Junior, einen der Komplizen, der durch das Fenster späht. Als sich Junior abwendet, dreht die Kamera nach links hinten ab und fährt auf einer perfekten Gerade mit gleichförmiger Geschwindigkeit durch die Küche auf die gegenüberliegende Fensterwand zu (siehe Abb. 4.3 (b)). Dabei streift sie nur knapp an den Arbeitsoberflächen und einem Stuhl vorbei, durchfährt den Henkel einer Kaffeekanne und kommt in weiterer Folge vor der Glastüre zum Stillstand. Fast zur gleichen Zeit erreicht auch Burnham diese Seite des Hauses und bewegt sich, nach erfolglosem Versuch, die Glastüre zu öffnen nach links und weiter über eine Wendeltreppe nach oben. Die Kamera versucht ihm zu folgen, durchfährt die Decke des Zimmers in das obere Stockwerk und erblickt Burnham, der wiederholt daran scheitert, eine Türe zu öffnen und über eine Feuerwehrleiter weiter nach oben klettert. Die Kamera durchstößt nochmals die Decke, schwenkt langsam nach rechts zurück zu Megs Schlafzimmer und fährt weiter, den Blick nach oben wechselnd, in das letzte Stockwerk des Hauses, wo sie in einer leichten Rollbewegung abermals Burnham einfängt, der durch das Glasdach nach unten ins Haus blickt. Er wendet sich ab, die Kamera folgt seiner Initialbewegung nach rechts, fährt weiter in einen Abstellraum, schwenkt hinauf zu einer Dachluke und kommt schließlich zum Stehen. Man sieht, wie Burnham die Verriegelung der Luke erfolgreich öffnet. Der Big Shot endet mit einem Schnitt auf die Alarmanlage des Hauses, die den Einbruch registriert. Im deutlichen Gegensatz zu Fight Club ist Panic Room ein Film, der von seiner Stille lebt, was sich in dieser frühen Sequenz sehr deutlich in der Bewegung der Kamera widerspiegelt. Fincher setzt hier bewusst auf eine langsame, „schleichende“ Bewegung der Kamera und zeigt dem Zuseher in einer spürbaren Nüchternheit das, was im Haus passiert. Unaufdringlich und neutral schleicht also die Kamera, ganz unbeeindruckt von traditionell vor- 4. Virtuelle Kamerabewegung 46 herrschenden Limitationen durch das Haus und ist, wie McClean erkennt, immer dort, wo sie sein muss, um die Erzählung voranzutreiben [40, S. 47]: “This omnipotent point of view, this transubstantiation, frees the storyteller, allowing images to flow smoothly and seamlessly, drawing the narrative point of view where it needs to go without limitations from the amount of film in the can, scope of a physical set, or location.” Die Kamera nimmt daher Positionen ein, die den Charakteren verborgen bleiben, sie ist allwissend, sie sieht alles, handelt einerseits autonom und erklärend und dient andererseits zur räumlichen Verfolgung der Darsteller. Fincher sah den Big Shot als interessante Möglichkeit, dem Betrachter darzulegen, wo sich ein Darsteller wann befindet, wie lange es dauert, von Megs Bett zur Straße oder zum Dachfenster zu gehen. Dies sind relevante Informationen, die für den weiteren Verlauf der Handlung sehr wichtig sind. Der gesamte Film ist bis ins kleinste Detail geplant, nichts ist dem Zufall überlassen. Wie schon im Kapitel 4.2.1 dargestellt, wurde der Film komplett prävisualisiert, Kamerafahrten also schon vor dem Dreh fixiert. Diese strikte Herangehensweise Finchers gab Panic Room eine gewisse Kälte und Perfektion, gab der gesamten Produktion eine konstruierte Qualität, eine spürende Schärfe, was sich auch sehr deutlich im Big Shot widerspiegelt. Finchers Gestaltung dieser Einstellung schließt eine menschliche Beteiligung beinahe aus [49, Finchers Audiokommentar, T=00:16:23]: “I like the precision because it’s not something that people can do. It’s so personality free. I think it is something about that that’s Terminator -like. It looks so mechanical, it tends to look like it’s made by machine and sort of tells you that it’s not real.” Diese Perfektion der Beweglichkeit in Panic Room, die den Filmemachern vor dem Medienwechsel prinzipiell unmöglich war, ist, wie Hoberg es benennt, „eine Funktion ihrer Entkörperlichung, ihrer Abstraktion von Materie und Mechanik.“ [29, S. 22] Die technische Umsetzung des Big Shot war, wie Haug es darstellt, eine sehr große technische Herausforderung, sowohl während des Drehs am Filmset als auch später in der Postproduktion. Die Finalisierung der gesamten Szene dauerte daher auch überdurchschnittlich lange: vierzehn bis sechzehn Monate, so Haug [49, Haugs Audiokommentar, T=00:10:57]. Es kamen diverse Techniken zum Einsatz: kombiniert wurden bewegte Bilder eines Technocrane,21 einer Motion Control Kamera und virtueller Kameras. In dieser 21 Ein Technocrane ist ein teleskopischer Kamerakran mit einem ferngesteuerten Kopf (Remote Head ). Ein Kameramann kann mit Hilfe eines Joystick das Ausfahren des Tele- 4. Virtuelle Kamerabewegung 47 hybriden Konstruktion werden stabilisierte Realfilmaufnahmen nahtlos mit computergenerierten Bildern überblendet, was die Illusion perfekt macht. Real gefilmte Teile des Big Shot wurden meist so oft neu aufgenommen, bis sie den Vorstellungen des Regisseur entsprachen, wurden allerdings nachträglich unter Verwendung des Computers stabilisiert. Auch scheinbar unmögliche Kamerabewegungen wurden teilweise mit physischen Kameras gedreht, wie etwa das Durchfahren des Treppengeländers.22 Diese spezielle Aufnahme wurde allein durch das nachträgliche Einfügen computergenerierter Objekte realisiert. Visual Effects Supervisor Kevin Haug erklärt, dass viele Teile des Hauses komplett digital nachmodelliert wurden, da sowohl Kranfahrten, als auch Aufnahmen der Motion Control Kamera das Bild in unerwünschte Vibrationen versetzten. Man möge glauben, dass sich eine Motion Control Kamera auf einer perfekten Gerade durch den Raum bewegen kann. In Wahrheit waren jedoch, wie Haug anmerkt, kleinste Schwingungen vorhanden, die bei einer Stabilisierung des Materials trotzdem leichte hochfrequente Perspektivenverschiebungen hervorrufen würden und etwa beim Durchfahren eines Henkels der Kaffeekanne umso deutlicher wären. Die Visualisierung des Durchquerens der Küche wurde daher größtenteils durch eine virtuelle Kamerafahrt umgesetzt.23 Es wurden insgesamt acht einzelne „Takes“ zu einer scheinbar durchgehenden hybriden Sequenz zusammengefügt. Im Gegensatz zu Rope waren dank der bildbasierten Modellierung und Texturierung sowie durch digitales Compositing keine manuellen Tricks, wie ein Reißschwenk, vonnöten. So waren auch „unmögliche“ Fahrten, wie etwa das Eindringen in ein Schlüsselloch, oder das Durchstoßen der Decke von einem zum anderen Stockwerk möglich. Diese einzelnen „Takes“ und die Performance der Schauspieler mussten dafür perfekt aufeinander abgestimmt sein. Haug beschreibt die Herausforderung an Beispiel des erneuten Vorbeifahrens an Megs Schlafzimmer [49, Haugs Audiokommentar, T=00:10:57]: “There was a number of complicated things that had to happen just right: the boom had to move, the dolly had to move, the camera had to pan and tilt, she [Meg] had to roll over. All these things had to happen at exactly the right point.” Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Eingliederung des Big Shot in die Gesamtproduktion sehr gut funktioniert. Die Kamerabewegung ist in gewisser Weise autonom, drängt sich jedoch dem Zuseher nicht wirklich auf skop sowie Rotationsbewegungen der am Remote Head montierten Kamera steuern, während ein zweiter Kameraoperator für die Drehung des gesamten Kranarms verantwortlich ist [14, S. 235]. 22 Der Effekt des Vorbeischiebens des Treppengeländers verursacht mitunter, ähnlich der Titelsequenz in Fight Club, einen von Mikunda beschriebenen „Augenkitzel“. 23 vgl. Titel The Break-In im Bonusmaterial der Panic Room Special Edition DVD [49]. 4. Virtuelle Kamerabewegung 48 und verstärkt durch ihre Form der Bewegung die gesamte kühle Atmosphäre des Films. Sie ist für Panic Room ein unverzichtbares Element, sie erklärt und verknüpft wichtige Elemente der Geschichte auf elegante Weise. Der Film beinhaltet eine Reihe weiterer „unmöglicher“ Kamerafahrten, die sich in ihrer weichen Form der Fahraufnahme, sowie ihrer Integration in real gefilmte Bilder sehr ähnlich sind. Virtuelle Kamerafahrten wurden präzise mit Aufnahmen von Kamerakränen und Motion Control Kameras kombiniert, was eine Identifikation der einzelnen Elemente nur noch sehr schwer oder gar nicht möglich macht. Teilweise wurde scheinbar Unmögliches, wie etwa das Durchdringen des Treppengeländers, allein durch physische Filmkameras und der nachträglichen Integration fotorealistischer 3D-Modelle visualisiert, was also bedeutet, dass solche Darstellungen nicht ausschließlich der virtuellen Kamera vorenthalten sind. Die vorhergehenden Untersuchungen zeigen schon sehr deutlich die erweiterten Einsatzmöglichkeiten einer virtuellen Kamera im digitalen Film: Angefangen bei der Prävisualisierung, über die glaubhafte Nachbildung „realer“ Kameras bis hin zu technisch und physikalisch unmöglichen Visualisierungen, präsentiert sich ihre Anwendbarkeit überaus vielfältig. Die Freiheiten der virtuellen Kamera werden jedoch im Regelfall auf keine übertriebene Weise zelebriert. So nehmen etwa rasante Kamerafahrten in Star Wars: Episode I oder physikalisch unmögliche Aufnahmen auch nur einen relativ kleinen Teil der Gesamtproduktion ein und sie erfüllen durchwegs einen eindeutigen Zweck. 4.2.5 Skalierung von Raum und Zeit im digitalen Film Der folgende Abschnitt widmet sich zwei weiteren Verwendungsformen der virtuellen Kamerafahrt, ihrer Bewegung bei skaliertem Raum und skalierter Zeit. Raumskalierung mithilfe eines virtuellen Kamerasystems Unter Verwendung eines virtuellen Kamerasystems werden Bewegungsdaten einer vom Kameramann bedienten Dummy-Kamera erfasst und in Echtzeit an eine computergenerierte Szene übertragen. Diese Technik ist mit dem allgemein bekannten Motion Capure Verfahren vergleichbar, mithilfe dessen menschliche Bewegungen aufgezeichnet werden. Bei Verwendung einer herkömmlichen Filmkamera entspricht die effektive Bewegungskurve der Kamera exakt den Bewegungen im finalen Bewegungsbild. Ein virtuelles Kamerasystem eröffnet neue Möglichkeiten, die Effektivbewegung des Eingabegeräts in den virtuellen Raum überzuführen. Die Raumdimensionen des virtuellen Raums lassen sich nach Belieben dehnen und verzerren, da ein definierter Raum am Set auf einen beliebigen virtuellen Raum abgebildet werden kann. Demnach könnte ein tatsächlich zurück- 4. Virtuelle Kamerabewegung 49 gelegter Weg der Kamera von einem Meter im virtuellen Raum auf mehrere hundert Meter ausgedehnt werden oder auch nur wenige Zentimeter einnehmen. Natürlich sind Längenangaben in einem virtuellen Raum subjektiv und müssen daher in Relation zu anderen Objekten gesehen werden. Bei der Produktion von Avatar (2009) ermöglichte diese Technik einem Kameramann etwa das Hinabstürzen der Kamera mit enormer Geschwindigkeit und das Verfolgen akrobatischer Flugbahnen eines Mountain Banshee.24 Durch den Einsatz eines virtuellen Kamerasystems ergeben sich somit erweiterte Möglichkeiten, die Effektivbewegung der virtuellen Kamera in Echtzeit beliebig zu skalieren. Brauchte man früher noch Kräne, Cable-Cams oder andere technische Hilfsmittel, so hat ein Kameramann heute die Möglichkeit, große räumliche Distanzen nur durch seine Eigenbewegung zu überbrücken. Das verleiht der Kamerafahrt, wenn diese nicht zu sehr stabilisiert wird, einen gewissen menschlichen „Charakter“. Virtuelle Kamerafahrten und Momentaufnahmen Durch den Einsatz diverser Techniken konnten bekanntlich schon sehr früh25 Bewegungsabläufe verlangsamt dargestellt werden. Bei einer Zeitlupe wird das realgefilmte Material nachträglich manipuliert und demnach die Effektivbewegung der Kamera lediglich zeitlich verzerrt. In Matrix (1999) kam zur Darstellung skalierter Zeit hingegen ein Spezialeffekt names Bullet Time zum Einsatz. Im Gegensatz zur Zeitlupe wird dieser Effekt jedoch nicht durch eine effektive Bewegung einer einzigen Kamera erreicht, sondern mithilfe mehrerer in Reihe angeordneter Kameras. Entsprechend des benötigten Effekts werden die Kameras entweder zeitlich leicht versetzt oder gleichzeitig ausgelöst. Die Illusion einer Kamerabewegung wird lediglich nachträglich durch die Aneinanderreihung der Einzelbilder erreicht. Visual Effects Supervisor John Gaeta erklärt, dass der Effekt in Matrix eine starke digitale Nachbearbeitung verlangte.26 Da mehrere Bilder erst nachträglich interpoliert wurden, um etwa eine zusätzliche Zeitdehnung zu erreichen, kann nicht jedem Einzelbild der finalen Komposition ein tatsächliches Einzelbild der Aufnahmekamera zugeordnet werden. Nicht nur skaliert, sondern komplett „eingefroren“ scheint die Dimension der Filmzeit im Werbespot Carousel (2009) von Philips. So wurde in einer über zweiminütigen scheinbar ungeschnittenen Sequenz ein Raubüberfall inszeniert. Die Kamera befindet sich dabei in ständiger Bewegung, während die Darsteller in ihrer Position verharren. Durch die Integration computergenerierter, statischer Elemente wird der Effekt eines Zeitstillstands zusätzlich 24 In der Filmwelt von Avatar benennt der Begriff Mountain Banshee große, vogelartige Kreaturen, die als Flugtiere benutzt werden. 25 Als Erfinder der Zeitlupe habe August Musger schon 1904 die zugrunde liegenden Prinzipien als Patent angemeldet [70, S. 452]. 26 vgl. Titel What is Bullet-Time? im Bonusmaterial der Matrix DVD [38]. 4. Virtuelle Kamerabewegung 50 verstärkt. Wie Post Production Supervisor Richard Lyons erklärt, waren es insgesamt sieben einzelne real gefilmte Aufnahmen, die später in der Postproduktion bestmöglich zusammengefügt wurden.27 Wie auch bei Panic Room, stellten besonders die Übergänge zwischen diesen einzelnen Takes eine große Herausforderung dar. Gelöst wurde dieses Problem, so Lyons, durch 3D Projektion, Dissolves und Warping, und auch die Verwacklungen im Bild wurden nachträglich am Computer stabilisiert. Das Ergebnis ist eine virtuelle durchgehende Kamerafahrt. Unter Verwendung von Bewegungsmessung, bildbasierter Modellierung und einer virtuellen Kamera kam in Fight Club ein ähnlicher Effekt zum Einsatz. Martin recherchierte die technische Umsetzung der Erotik-Sequenz: Ausgehend von Fotografien der Darsteller habe das französische Studio BUF texturierte und animierte 3D-Modelle rekonstruiert. Martin erklärt den Einsatz der virtuellen Kamera folgendermaßen [36, S. 118]: “Once fully textured, the CG subjects could be recorded by a virtual camera that was capable of moving freely—in both space and time—around the subject, defying physical laws and introducing an element of the fantastic to reality-base imagery.” Die Zeit scheint skaliert, ein kurzer Moment auf eine längere Zeitspanne gedehnt, und die Kamera hält auf weichen Kreisbahnen das Geschehen ständig im Blickfeld. Entsprechende Anwendung fand dieselbe photogrammetrische Methode in jener Einstellung, in der der Protagonist seine doppelte Identität Tyler durch einen Kopfschuss zerstört. Die soeben dargestellten Fallbeispiele zeigen, dass virtuelle Kamerabewegung in diversen Produktionen und in vielseitiger Weise zur Darstellung skalierter Zeit Verwendung findet. Die in Matrix eingesetzte Technik erlaubte die zeitskalierte Wiedergabe eines Moments, die Bewegungskurve der Kamera war vordefiniert. Durch den Einsatz von Computergrafik sind nun auch den Bahnen der virtuellen Kamera während solcher Momentaufnahmen keine Grenzen mehr gesetzt. 4.2.6 TRON, TRON: Legacy – hybride Formen im Wandel Im folgenden Abschnitt werden zwei thematisch sehr ähnliche Kinoproduktionen mit einem Fokus auf deren virtuelle Kamerabewegung einander gegenübergestellt. Es wurden bewusst die Filme Tron und Tron: Legacy ausgewählt, da deren Zeitpunkt der Fertigstellung sehr weit auseinanderliegen, um in Folge mögliche Veränderungen in der visuellen Umsetzung virtueller Kamerafahrten vom Beginn des Medienwechsels bis zum heutigen Tag 27 vgl. http://media.fxguide.com/fxguidetv/fxguidetv-ep057.mov, Kopie auf CD-ROM (Datei sonstiges/fxguidetv-ep057.mov vom 26.06.2011). 4. Virtuelle Kamerabewegung 51 zu suchen. Gesucht wird einerseits nach auffälligen gemeinsamen Visualisierungsstrategien und andererseits definitiv unterschiedlichen Herangehensweisen. Demnach soll die Frage beantwortet werden, ob sich während dieser fünfzehn Jahre ein gewisser Wandel abzeichnete. Die detaillierte Betrachtung aller Einstellungen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es werden daher nur besonders auffällige Verwendungen der Kamera genauer untersucht und restliche in einer zusammengefassten Form präsentiert. TRON, eine Science Fiction Produktion, war die erste abendfüllende Spielfilmproduktion, in der eine nennenswerte Anzahl komplett computergenerierte Sequenzen, sowie kombinierter Realfilmaufnahmen und Computerbilder integriert wurde. Die Gesamtdauer der rein animierten Szenen beträgt in etwa fünfzehn Minuten, was zu dieser Zeit vor allem aufgrund der wenig ausgereiften Hardware mit unglaublichen Schwierigkeiten verbunden war. Inhalt: Flynn, Progatonist des Films, findet sich im virtuellen Raum des Master Computers wieder, nachdem er in der Form von Datenpaketen in das Innere der Maschine eindringt, um nach dem Beweis zu suchen, dass ihm einst mehrere seiner eigens programmierten Computerspiele gestohlen wurden und damit auch der ihm zustehende Platz in der Firma ENCOM. In dieser virtuellen Welt des Datenflusses „finden brutale Motorradrennen und Verfolgungsjagden statt, die den Zuschauer in Analogie zum Helden in das Innere von Videospielen hineinziehen sollen.“ [29, S. 113] Durch die schließliche Deaktivierung des MCP (Master Control Program) wird der Schwindel aufgedeckt und Flynn erlangt seinen Posten als Präsident der Firma. TRON: Legacy erhält die grundlegende Idee des Cyberspace aufrecht und setzt dort ein, wo TRON geendet hat. In seiner Vorgeschichte setzt Flynn seine technologische Forschung fort, verschwand schließlich 1989 in die digitale Welt und ließ seine Familie, mitunter seinen Sohn Sam hinter sich. Regisseur Kosinski erklärt [18, S. 124]: “We pick up the story in 2010 when his son, Sam Flyn, gets a clue as to where and why his father disappeared. He follows that clue back to Flynn’s Arcade, discovers his father’s secret laboratory where he was conducting experiments, and fins himself pulled into the world of Tron, where he tries to find his father and get back home.” Nachfolgend werden mehrere Bereiche beider Produktionen genauer betrachtet und mögliche Differenzen in Bezug auf die Bewegung der Kamera gesucht. Titelsequenzen: Die Titelsequenz in TRON wird durch einen Blitzeffekt eröffnet, gefolgt von einem abstrahierten Lichttunnel mit konzentrischem optischen Fließmuster, deren Struktur der äußeren Begrenzung nur wenig 4. Virtuelle Kamerabewegung 52 erkennbar ist und daher nur bedingt das Gefühl einer Fahrt in die Tiefe des Raumes vermittelt. Während dieser Einstellung bewegen sich abstrakte Geometrien vom Bildrand zur Mitte der Aufnahme und formen in weiterer Folge eine humanoide, aus leuchtenden Linien bestehende Figur. Nach einem weiteren Blitzeffekt erscheint der Filmtitel „TRON“, welcher durch eine kombinierte Fahraufnahme und Drehbewegung der virtuellen Kamera immer näher auf den Betrachter zufährt. Man bewegt sich schließlich durch einen Buchstaben, der seine ursprüngliche massive Form verliert, hindurch und weiter durch mehrere Schichten eines Netzwerks farbiger Raster und Bahnen, die in ihrem Zusammenschluss mehrere übereinanderliegende elektronische Leiterplatten zu visualisieren scheinen. Während dieser Durchfahrt befindet sich die Kamera in einer ständigen langsamen Drehung und wechselt von einem rein senkrecht zu den Schichten stehenden Blickwinkel zu einer leicht schräg dazu stehenden Vogelperspektive, wodurch sich die Dimension der untersten Schicht offenbart und eine abstrahierte Stadt erkennbar wird. Die Sequenz wird durch eine weiche Überblendung auf einen statischen Establishing Shot der Spielehalle Flynn’s beendet. Die in TRON: Legacy zu sehende Titelsequenz beginnt mit einem Top Shot 28 eines zweidimensionalen Rasters, des Grid. Die Kamera fährt parallel dazu nach rechts, leuchtende Linienpfade schieben sich vom Bildrand beginnend entlang der Oberfläche. Ihre fortschreitenden Bewegung und Richtungswechsel ähneln denen der Light Cycles aus dem Jahr 1982. Sie werden sehr bald durch eine dritte Dimension erweitert und entwickeln sich zu einem komplexeren Konstrukt, das sich letztendlich als ein Drahtgittermodel einer Stadt entlarvt. Die Kamera verharrt weiterhin in einer gleichförmigen Fahraufnahme nach rechts und intensiviert dadurch die Tiefenwahrnehmung des Betrachters. Nachdem die Rasterlinien nahtlos mit einer fotorealistischen Visualisierung einer Stadt überblendet werden, folgt ein Kameraschwenk um 90 Grad nach rechts und damit ein horizontales von der Bildmitte nach außen verlaufendes optisches Fließmuster. Die Kamera fährt nun frontal auf das Filmlogo zu, geht über in eine Rollbewegung nach rechts und schießt durch die Lücke zwischen zwei Buchstaben hindurch, mit gleichförmiger Geschwindigkeit nach vorne. Die Kamera, die mittlerweile waagrecht ausgerichtet ist, sinkt über der Straße langsam ab, überfliegt in stetigem Tempo eine Wasseroberfläche und nähert sich allmählich Flynns Haus. Kurz vor dem Erreichen des Ufers bremst die Kamera ab und bewegt sich weiter auf die Fassade zu. Sie beginnt einen weiteren langsamen Schwenk nach rechts, fährt scheinbar durch eine Glastüre hindurch und kommt letztendlich in einer Totalaufnahme von Flynn und seinem Sohn Sam zum Stehen. Beim direkten Vergleich der soeben beschriebenen Sequenzen lassen sich einige Ähnlichkeiten ausfindig machen. Sowohl TRON, als auch TRON: Le28 Ein Top Shot bezeichnet eine spezielle Form einer Kameraperspektive, bei der Geschehnisse in einem rechten Winkel zum Objekt von oben gefilmt werden. 4. Virtuelle Kamerabewegung 53 gacy realisieren ihre einführende Sequenz durch eine spektakuläre und doch sehr weiche Kamerafahrt durch den Raum. Beide Male entlarvt sich eine abstrahierte, ursprünglich zweidimensional wahrgenommene Struktur durch die fortschreitende Bewegung der Kamera als eine dreidimensionale und in weiterer Folge räumliche Darstellung einer Stadt. In einem Punkt unterscheiden sich beide Eröffnungssequenzen jedoch sehr: während in TRON die Überleitung von computergenerierten zu realgefilmten Bildern durch einen Schnitt erreicht wird, passiert dies in TRON: Legacy unmerklich in einer durchgehenden Kamerafahrt. Zu Beginn der 80er Jahre wäre ein solch nahtloser Überblendungseffekt aufgrund technischer Limitationen nahezu unmöglich gewesen. An diesem ersten Vorzeigebeispiel lassen sich schon sehr klar die heutzutage erweiterten Möglichkeiten der Kameraführung erkennen. Bewegung der Kamera in Hybridbildern: Bei hybriden Filmbildern in TRON, bestehend aus einer Kombination von Realfilmaufnahmen mit Computergrafik und Backlit-Elementen, ist eine besonders statische Kamera zu beobachten. Auf Schwenks, um etwa Charakteren in ihren Bewegungen zu folgen, und auf komplexere Kamerabewegungen wurde prinzipiell verzichtet. Vereinzelte scheinbare Bewegungen der Kamera wurden lediglich durch das Verschieben der Gesamtkomposition als auch der Hintergrundebene vorgetäuscht. Die Ursache für diese durchgängige Statik lässt sich hier wiederum in der damals wenig ausgereiften Technik finden. So fehlte dem Effekt-Team von TRON geeignete Software, die es ermöglichte, Bewegungskurven der Kamera in einfacher Weise zu beschreiben und in irgendeiner Form für die Steuerung eines Motion Control Rig zu exportieren. Zum anderen existierten auch keine geeigneten Matchmoving Verfahren, um aus gefilmten Realfilmaufnahmen die Raumkoordinaten und Bewegungsdaten der Kamera zu extrahieren. Visual Effects Supervisor Harrison Ellenshaw erinnert sich an ein weiteres Problem, das sich beim Kombinieren von Realfilmaufnahmen und CGElementen ergab [60, T=01:01:10]: “Nothing seemed to match up. Our only solution was basically to slip and slide things, make things work and do whatever we could, because what the computer at that time was not able to take into account was lens distortion.” Durch eine eingeführte Kamerabewegung würden sich nur zusätzliche Fehlerquellen ergeben, die Produktion umso mehr erschweren und in einer Vervielfachung der Renderzeiten resultieren. Beinahe dreißig Jahre später präsentieren sich Hybridbilder in TRON: Legacy eindeutig verschieden. Ein Teil davon wurde unter Verwendung von Tracking Markern in der Blue Box mit realen Kameras gefilmt (siehe Abb. 4. Virtuelle Kamerabewegung (a) 54 (b) Abbildung 4.4: Bluebox-Aufnahme während des Drehs von TRON:Legacy (a) und finale Komposition (b), aus [63]. 4.4 (a)29 ). Mithilfe des Matchmoving Verfahrens konnten Realfilmaufnahmen mühelos um computergenerierte Elemente erweitert werden. Und so kamen unter anderem auch Kamerakräne, Schwenkstative und Dollies zum Einsatz. Neben offensichtlichen Fortschritten in der Computergrafik kam es in TRON: Legacy sehr sichtbar zu einer regelrechten Entfesselung der Kamera, deren Choreographien in hybriden Filmbildern von jenen in reinen Realfilmaufnahmen nicht verschieden sind. Schwere Kontrollierbarkeit von Bewegungskurven: Bei der Produktion von TRON war es außerordentlich schwierig, Bewegungspfade der virtuellen Kamera zu definieren. Es mussten für jedes einzelne Standbild der Animation die dementsprechenden Koordinaten und zusätzlichen Rotationswerte30 händisch eingegeben werden, was somit bei einer Animationsdauer von lediglich zehn Sekunden einer Gesamtanzahl von 1500 Werten entsprach. Um sich bei kurvigen, komplexeren Kamerabewegungen nicht jede einzelne Position auszurechnen, kam, wie Kroyer anmerkt, ein primitives Computersystem von Disney zum Einsatz, womit es möglich war, auf Basis mehrerer Kontrollpunkte Spline-Kurven zu errechnen und deren Werte am Bildschirm auszugeben.31 Erstellte Bewegungspfade der Kamera konnten jedoch nur Einzelbild für Einzelbild und keineswegs in Echtzeit überprüft werden. Die einzige Möglichkeit, Szenen in Realzeit zu sehen, um etwa das Timing der Animation zu kontrollieren, war die Ausbelichtung auf 70mm Film und 29 Fotografiert von Chris Oben - IATSE 669, Copyright: Disney Enterprises, Inc. All rights reserved. Bild aus http://chrisoben.blogspot.com/2011/04/tron-legacy-3d-canadiancinematographer.html, Kopie auf CD-ROM (Datei literatur/Oben11.pdf vom 26.06.2011). 30 Der Datensatz pro Einzelbild, der für eine Kamerabewegung in TRON benötigt wurde bestand aus insgesamt sechs Zahlenwerten: jeweils drei Raumkoordinaten für die Positionierung und weitere drei Rotationswerte (pan, tilt, roll). 31 Es gab in diesem Fall allerdings weder die Möglichkeit, diese Koordinaten herunterzuladen noch auszudrucken. Kroyer musste daher die Zahlenwerte von einem Computermonitor abschreiben. 4. Virtuelle Kamerabewegung 55 Projektion auf der Leinwand der Tonbühne von Disney.32 Man konnte also virtuelle Kamerabewegungen nicht interaktiv verändern und verschiedene Versionen testen, was in dieser Form in einer heutzutage unvorstellbaren Denkarbeit resultierte. Bei der Produktion von TRON: Legacy standen den beteiligten Teams technisch sehr ausgereifte Softwarepakete zur Verfügung, die prinzipiell jede erdenkliche Bewegung der virtuellen Kamera ermöglichten. Natürlich war es damit auch möglich, Ausschnitte in Echtzeit zu betrachten, sowie die Animationskurven jederzeit und interaktiv zu editieren. In welcher Form sich diese Unmittelbarkeit der Darstellung und der um ein Vielfaches beschleunigte Arbeitsablauf auf die Inszenierung der Bilder auswirkte, wird in einem späteren Abschnitt untersucht. Überwindung physikalischer Limitationen: Trotz technischer Schwierigkeiten und zeitintensiver Arbeitsprozesse wurde die Überwindung physikalischer Limitationen und technischer Gebundenheit der virtuellen Kamera auch in TRON deutlich zelebriert. Extreme positive und negative Beschleunigungen der Kamera, sowie abrupte Veränderungen des Blickwinkels sind keine Seltenheit und stehen in deutlichem Kontrast zur durchgängigen Statik der hybriden Bilder. Bukatman spricht von “cyberkinesis”, von einer Bewegung der Kamera, die der menschlichen deutlich verschiedenen ist [11, S. 27]: “TRON’s cyberkinesis, radically distinct from bodily movement, hyperbolizes the identification with the camera—although, in this case, the ‘camera’ is a fiction—it’s a virtual camera, moving about in a virtual world. In TRON and other computergenerated works, the space is the fiction. Still, the ‘camera’ gives the viewer a place in this virtual world, a place defined almost solely in terms of spatial penetration and kinetic achievements.” Effekt Supervisor Richard Taylor erinnert sich, dass diese sichtliche Loslösung von Einschränkungen durchaus beabsichtigt war (s. Anhang A.3): “I tried to make moves that could not be done with any physical camera system at that time. Also it was the first view of cyber-space and I wanted it to have a whole new feel, to be different from any real world camera [...] It should remind you of something you’ve never seen before.” Doch beinahe drei Jahrzehnte später scheint das Interesse an solch neuen, nie gesehenen Kamerabewegungen geschwunden zu sein. Joseph Kosinski, 32 vgl. www.drawn2gether.com/blog/2008/12/18/bill-kroyer-one-of-the-first-computeranimators/, Kopie auf CD-ROM (Datei sonstiges/BillKroyer-64K.mp3 vom 31.05.2011). 4. Virtuelle Kamerabewegung 56 Regisseur von TRON: Legacy nimmt davon deutlich Abstand33 und sieht eine authentische Kameraführung vor: “My big goal was to really make it feel real. I wanted it to feel like we took motion picture cameras into the world of TRON and shot it.” Im nächsten Abschnitt werden diverse Herangehensweisen der Sequenzen des Light Cycle Rennens beider Produktionen genauer betrachtet und einander gegenübergestellt. Light Cycle Sequenzen Während eines Rennens in TRON treten mehrere Spieler in fiktionalen, Motorrädern sehr ähnelnden Fahrzeugen – sogenannten Light Cycles – gegeneinander an. Sich auf einem begrenzten Spielfeld in ständiger Bewegung befindend ziehen sie leuchtende Wände hinter sich auf und versuchen durch gekonnte Richtungsänderungen ihre Kontrahenten aus dem Spiel zu werfen. Die Veränderung der Fahrtrichtung passiert abrupt und exakt im rechten Winkel. In einer Montage von vier Einstellungen begeben sich die teilnehmenden Spieler in Wettkampfposition und wie auch in anderen Hybridbildern verharrt die Kamera in einer statischen Position. Darauf folgende Szenen vereinen eine Vielzahl unterschiedlicher Kamerabewegungen, deren Ausführung oftmals an so manche Kran- und Luftaufnahmen des Realfilms erinnern mag und sich größtenteils in absolut weichen Fahrten zeigt. Solche Kamerafahrten dienen meist zur Verfolgung der Spieler und unterliegen daher vereinzelt einem direkt aus der Bewegung der Fahrzeuge resultierendem, schlagartigen Richtungswechsel. Dieses Phänomen entfaltet seine größte Wirkung in POV Aufnahmen der Rennfahrer und zeigt ganz deutlich, welch neuartige und unwirkliche Bewegungsbilder die virtuelle Kamera zu erschaffen vermochte. Bei genauer Betrachtung der Light Cycle Sequenz in TRON lassen sich weitere Auffälligkeiten erkennen. In eine Fahraufnahme versetzte virtuelle Kameras, die während einer Einstellung zum Stehen kommen, laufen einerseits in vielen Fällen keineswegs weich aus, sondern werden von einem Einzelbild zum anderen angehalten. In heutigen Produktionen würde man eine solche Handhabung der Kamera, wenn diese nicht merklich durch eine Kollision mit einem Hindernis passiert, vermutlich als „ungeschickt“ bezeichnen. Darüber hinaus werden Kamerapositionen durch ungewöhnlich schnelle „Kranfahrten“ während des Bruchteils einer Sekunde versetzt. Nach dem Verlassen des Spielfelds und während der anschließenden Verfolgungsjagd sind die Fahrzeuge nicht mehr daran gebunden, Richtungswechsel ausschließlch im rechten Winkel zu vollziehen. Ihre Animation scheint sich 33 vgl. Bonusmaterial der TRON: Legacy DVD, Abschnitt Visualizing TRON [63, T=00:02:59]. 4. Virtuelle Kamerabewegung 57 jedoch keineswegs an physikalischen Gesetzen zu orientieren, Ausweichbewegungen passieren befremdend schnell und so auch simulierte Reißschwenks. Dieses Verhalten überträgt sich direkt auf die Bewegung der Kamera, die das Geschehen stets einzufangen versucht. Bei komplexeren Kamerafahrten auf kombinierten, kurvigen Bewegungspfaden lassen sich deutliche „harte Kanten“ in Animationskurven erkennen, die im Gegensatz zu dem zuvor dargestellten Beispiel hier ohne erkennbare Motivation, autonom passieren. Unterbrochen werden diese mobilen Bilder durch regelmäßig wiederkehrende statische Aufnahmen, die fast ausschließlich in Untersichten gezeigt werden. Kamerabewegungen der in TRON: Legacy zu sehenden Rennsequenz sind deutlich verschieden umgesetzt. Richtungsänderungen der Vehikel sind auch während des Wettbewerbs an keine Limitationen gebunden. Das Fahrverhalten ist zwar beschleunigt, Bewegungsverläufe sind jedoch durchaus glaubhaft umgesetzt und sind denen eines realen Motorrads nicht unähnlich. In dieser Hinsicht distanziert sich TRON: Legacy eindeutig von den Darstellungen in TRON, was sich direkt in einer grundlegend andersartigen Kameraführung auswirkt. Abgehakte Richtungswechsel, sowie schlagartiges Abbremsen der Kamera ohne sichtbare Kollision mit einem Objekt sind nicht erkennbar. Eine der wohl signifikantesten Veränderung von Bewegungsarten der Kamera kann wohl beschrieben werden als eine gesteigerte stilistische Vielfalt. TRON: Legacy integriert eine weit höhere Anzahl unterschiedlichster Kamerafahrten. Nahaufnahmen der Kontrahenten, die nun nicht mehr rein statisch umgesetzt sind, werden sooft, um etwa den beschleunigten Bewegungen der Fahrzeuge zu folgen mit nachfolgenden Schwenks kombiniert und gehen fließend in eine Totale über. Wie auch in TRON dient die Kamera in TRON: Legacy vorwiegend dazu, die Aktivitäten am Spielfeld im Blickfeld zu behalten. Sie vermag es auch, während einer Einstellung ihren Interessenfokus zu verändern, um zusätzliche Informationen preiszugeben. Kreisfahrten um das Geschehen, vereinzelte Zoombewegungen und der Wechsel zu Aufsichten erweitern die Palette der Einstellungen zusätzlich, wobei die letztere Anwendung vor allem aus der Dreidimensionalität des Parcours resultiert. Was sowohl TRON, als auch TRON: Legacy von ähnlichen Sequenzen34 anderer Produktionen unterscheidet, ist das Fehlen nieder- bis mittelfrequenter Schwingungen der Kamera, die in Realfilmaufnahmen etwa durch den Einsatz spezieller auf Fahrzeugen montierter Kamera-Rigs erstehen. Die im Realfilm vor allem bei Schwenkbewegungen zu sehende leichte zeitliche Verzögerung bleibt ebenso bei beiden Produktionen aus. Das heißt allerdings nicht, dass sich Kamerafahrten in TRON: Legacy nicht an Realfilmaufnahmen orientieren. So werden hier im deutlichen Gegensatz zu TRON sehr regelmäßig Bildausschnitte verwackelt, die durch ein hochfrequentes Vibrieren der Fahrzeuge, visualisierte Schockwellen, sowie durch einzelne Kollisionen hervorgerufen werden. 34 vgl. Jokers Verfolgungsjagd in The Dark Knight (2008). 4. Virtuelle Kamerabewegung 58 Ergebnisse: Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Handhabung der Kamera in TRON und TRON: Legacy deutlich verschieden ausfällt. Am eindeutigsten lassen sich diese Unterschiede bei einer Gegenüberstellung hybrider Bilder, der Kombination von Realfilmaufnahmen und computergenerierten Elementen, erkennen. Hier steht die statische Kamera in TRON in deutlichem Kontrast zu restlichen Realfilmaufnahmen und rein synthetischen Bildern des Films, als auch zu hybriden Bildern in TRON: Legacy, deren Umsetzung sich unmerklich in andere Szenen eingliedert. Erklärt werden kann dies durch den Fortschritt der Technik und die dadurch erweiterten Möglichkeiten der Bewegungsmessung zur nahtlosen Kombination der Bilder. Komplett computergenerierte Szenen in TRON heben sich nicht nur rein optisch, bei der Prüfung eines Standbilds sehr deutlich hervor, sondern auch in der Animation der virtuellen Kamera, etwa durch unwirkliche Beschleunigungen. Starke Einschränkungen bei Erstellung der Animationskurven, sowie die Unmöglichkeit eines unmittelbaren Feedbacks und der interativen Kontrolle der geleisteten Arbeit verlangsamten die Arbeitsprozesse sehr.35 Dank heutiger Softwarepakete lassen sich in TRON: Legacy, abgesehen von den Möglichkeiten der fotorealistischen Visualisierung, die Bewegung einer virtuellen Kamera nahezu unmöglich von jener in Realfilmaufnahmen unterscheiden. Im deutlichen Gegensatz zu TRON, setzt Kosinski auf eine „realistische“ Kamerabewegung. Taylor, der die uneingeschränkte Mobilität der Kamera einst als Vorteil sah, ist davon nur wenig begeistert (s. Anhang A.3): “There are no physical limits in cyber-space. That’s why I give Legacy a 4/10. That wasn’t cyber-space.” Ein Kontrast zur Welt außerhalb des Cyberspace wurde in Tron: Legacy vielmehr durch gezieltes Set-Design erreicht, in keinster Weise jedoch durch eine grundlegend verschiedene Choreographie der Kamera. 4.2.7 Erkennbarkeit virtueller Kamerafahrten Computergenerierte Bilder oder einzelne Bildelemente, wie Charaktere und visuelle Effekte erlagen sehr häufig enormen Limitationen, was in einer gewissen „synthetischen“ Erscheinung resultierte. Diese Eigenschaft entfaltete sich vor allem bei fotorealistischen Visualisierungen im sterilen Erscheinen oder gering entwickelter Beweglichkeit und Ausdrucksstärke und demnach nicht selten in einer allgemeinen Unglaubwürdigkeit. Das muss nicht heißen, dass sterile Kulissen oder abgehakte Charakteranimation als „missraten“ anzusehen sind, ganz im Gegenteil: Darstellungen dieser Art können durchaus als Stilmittel Verwendung finden. Dennoch kann in so manchen Produktionen, 35 Ein wenig verwunderlich ist das jedoch schon, wurde doch auch für Star Trek II: Wrath of Khan (1982) eine virtuelle Kamera entlang einer Spline-Kurve animiert (s. Anhang A.1). 4. Virtuelle Kamerabewegung 59 wie etwa Beowulf, der Versuch der fotorealistischen Erzeugung menschlicher Charaktere als „missglückt“ bezeichnet werden. Der folgende Abschnitt soll der Frage nachgehen, ob auch Kamerabewegungen in irgendeiner Form „synthetisch“ wirken, sich von Realfilmaufnahmen abheben und als virtuelle Fahrten enttarnt werden können. Während im Realfilm selbst bei stabilisierten Steadicam Aufnahmen leichte Unruhen zu erkennen sind, bewegt sich eine virtuelle Kamera in erstaunlich vielen Computeranimationen auf perfekten Bahnen. Bei der Frage nach der Ursache dieser Erscheinung scheint allein die Einfachheit der Umsetzung der Animation Antwort genug zu sein. Die Erstellung weicher Kamerafahrten und Bewegungen gleichförmiger Geschwindigkeiten stellen in einer Visualisierungs- und Animationssoftware keine große Herausforderung dar: bei linearen Fahrten genügen lediglich zwei Keyframes. Unregelmäßigkeiten, die während des Handkamerabetriebs entstehen würden, müssen zusätzlich animiert werden. Ob sich eine solche Linearität der Bewegung positiv oder negativ auf eine Filmproduktion auswirkt, ist pauschal nicht zu beantworten. Fincher setzte in Panic Room Fahraufnahmen auf perfekten Bahnen sehr erfolgreich ein. Ihr Einsatz ist absolut berechtigt, sie sind ein unverzichtbares Element des Films und unterstützen den Fluss der Erzählung. Auf der Suche nach weiteren Hinweisen, dient ein Zitat Michells als richtungsweisendes Element [42, S. 295]: “So, unless you are trying for some reason to simulate live video or film footage, there is no need to move and adjust a virtual camera in traditional patterns: computer-generated animations can have a completely different look. The virtual camera should not, however, sweep around aimlessly like a bumblebee on speed.” Nicht unbedingt ziellos, jedoch kaum durchdacht zeigen sich die Kamerafahrten in der Introsequenz der Low-Budget Produktion Hoodwinked. Wechselnd beschleunigt, in ständiger Rollbewegung nach links und rechts, oben und unten pendelnd rast die Kamera durch eine ebenso lieblos umgesetzte Visualisierung eines Waldes auf ein Haus zu, vor dem sie abrupt zum stehen kommt. In der gesamten Produktion scheinen Kamerabewegungen willkürlich vermischt. Hoodwinked ist ein Märchen, das keinesfalls stilsicher auftritt und durchaus das Produkt eines fehlenden Verständnisses von traditionellen filmischen Verhaltensweisen ist. Ungeschickt und teilweise durchaus übertrieben zeigen sich auch Kamerafahrten in diversen Studentenarbeiten und Animationen selbsternannter 3D-Künstler. „Kanten“ in Animationskurven, sowie rasante Fahraufnahmen ohne erkennbare Motivation stellen keine Seltenheit dar und mögen sogar an so manche Kamerafahrt in TRON erinnern. Die Akzeptanz solch vertigonö- 4. Virtuelle Kamerabewegung 60 ser Flugbahnen hat sich im Laufe der Filmgeschichte durchaus gesteigert, doch wird ein übertriebener Einsatz durchaus als „unecht“ bezeichnet. Man möge behaupten, dass Kamerafahrten, die sich nicht nach den Gesetzen der Physik verhalten als virtuell zu entlarven sind. Vermehrt liegt man damit durchaus richtig. Doch bereits die Untersuchung des Big Shot zeigte, dass heutzutage scheinbar unmögliche Fahrten alleine durch digitale Erweiterung visualisiert werden können. So wurden auch in The Fast and the Furious virtuelle Kameraaufnahmen in einer schnell geschnittenen Sequenz „geschickt verpackt“. Special Effects Supervisor Bill Taylor erklärt den Einsatz wie folgt [17, S. 48]: “You can do an impossible shot in the course of a very tightly cut, fast-paced car race—such as shots we did in The Fast and the Furious—and it doesn’t stand out. There’s a shot in the race that is literally impossible. We got in between two cars, when there was no way we could have put a camera operator—or even a robot camera—in that space. [...] But it doesn’t stand out in the context of that race sequence.” Es stellt sich heraus, dass virtuelle Kamerafahrten meist gar nicht eindeutig als solche erkennbar sind, vor allem deswegen, weil auch Kamerasysteme für Realfilmproduktionen ständig weiterentwickelt werden und heutzutage überaus mobil und wendig sind. Motion Control Kameras und die softwarebasierte Bildstabilisierung sind fester Bestandteil hybrider Bewegungsbilder und ermöglichen äußerst weiche und präzise Kameraverschiebungen, die man früher vermutlich als „künstlich“ klassifiziert hätte. Darüber hinaus wird dem Betrachter durch digitale Set-Erweiterungen offenbar technisch und physikalisch Undurchführbares vorgeführt. Durch einen schnellen Szenenwechsel wird eine Entlarvung des Virtuellen zusätzlich erschwert. Real gefilmte Aufnahmen werden nahtlos in computergenerierte Szenen überblendet, was eine eindeutige Identifizierung der Bildquelle nahezu unmöglich macht. Kapitel 5 Schlussbemerkungen Dieser Arbeit lag die Annahme zugrunde, dass sich die Kamerabewegung in hybriden Bewegungsbildern durch eine Digitalisierung des Films deutlich veränderte. Wie sich herausstellte, haben sich die Herstellungsprozesse einer Kamerafahrt zwar deutlich verändert, doch ist dieser Wandel für den Betrachter eigentlich weniger deutlich spürbar. Seit der Geburt des Films hat sich die Kamera durch eine Vielzahl technischer Innovationen von einem simplen statischen Aufnahmeapparat zu etwas viel Größerem entwickelt, als man vermutlich zuerst gedacht hatte. Sie verfolgt nicht nur eine Aktion, sie erzählt auch Geschichten, löst Emotionen aus und erklärt Zusammenhänge. Kameras wurden immer mobiler und besser kontrollierbar. So waren auch komplexere, stabilisierte Kamerabewegungen spätestens in den 1970ern durch die Entwicklung der Steadicam möglich. Filmschaffende übertrafen sich gegenseitig mit immer spektakuläreren Aufnahmen, überraschten den Betrachter ständig aufs Neue. Wie auch in der analogen Animation erkannte man schon bald für den Spielfilm, dass durch Computerunterstützung diverse Arbeitsschritte erleichtert werden konnten. So wurden etwa Effektaufnahmen durch die Entwicklung des Motion Control Verfahrens von ihrer früher üblichen statischen Darstellung befreit. Der schlussendliche Einsatz einer virtuellen Kamera ist die logische Fortsetzung dieser Entwicklungsschritte. Die virtuelle Kamera wurde einerseits zu einem wichtigen „Werkzeug“ in der Vorproduktion des Films, sowohl für reine Realfilmproduktionen, als auch für hybride Formen. Die Prävisualisierung ist heutzutage ein für viele Filmproduktionen unverzichtbares Element, um sich bereits vorab komplexen Abläufen anzunähern oder daraus wichtige Datenpakete, so auch Bewegungspfade für Motion Control Kameras zu erhalten. Die virtuelle Kamera wird andererseits dazu verwendet, den physischen Aufnahmeapparat als bilderzeugendes Element zu ersetzen. Ihre Beweglichkeit hat durch die Digitalisierung des Films ihr Endstadium erreicht. Die Choreographie der Kamera ist nun nicht mehr an technische und physika61 5. Schlussbemerkungen 62 lische Gesetzmäßigkeiten gebunden, sondern orientiert sich vielmehr an der reinen Vorstellungskraft der Filmschaffenden. Es mag Regisseure geben, die von dieser Zügellosigkeit der Kamera allzu sehr Gebrauch machen, doch stellen solche Verwendungen mit Sicherheit nicht den Regelfall dar. Wie die Untersuchung der Filmbeispiele ergaben, werden virtuelle Fahrten nicht in übertriebener Weise verwendet. Rasante Fahraufnahmen und sichtbar „unmögliche“ Visualisierungen werden daher vorwiegend kurz und gezielt eingesetzt, würde doch ein allzu exzessiver Einsatz den Zuseher zu sehr überfordern. Man kann solche Visualisierungsextreme durchaus als „Effektaufnahmen“ bezeichnen, die sich über kurze Teile der Gesamtproduktion erstrecken. Das heißt jedoch nicht, dass solche Extreme reines Spektakel sind. Ganz im Gegenteil, verfolgen sie doch meist eindeutige Ziele, sei es allein zur Dramatisierung eines Moments oder zur Visualisierung abstrakter Gedankengänge. Als eine Ausnahme können allgemein Introsequenzen gesehen werden. Rasante Fahrten und nun auch unmögliche Visualisierungen werden hier deutlich länger eingesetzt, stellten sie doch scheinbar immer schon eine Möglichkeit dar, das Publikum und andere Filmschaffende zu beeindrucken. Es stellte sich zudem heraus, dass trotz dieses unendlich erweiterten Repertoires an Visualisierungsmöglichkeiten sehr oft jene Strategien der Umsetzung integriert werden, die auf traditionellen filmischen Verhaltensweisen beruhen. Eine räumliche Ausdehnung wird vorgetäuscht, es werden Bildauschnitte verwackelt oder „menschliche“ Fehler hinzugefügt. Unter Verwendung eines virtuellen Kamerasystems werden schließlich die Bewegungen eines Kameramanns direkt erfasst. Mithilfe des Matchmoving Verfahrens werden „reale“ Bewegungsverläufe aus dem Filmmaterial ausgelesen. In den 1980ern, wie etwa in TRON, waren hybride Filmbilder aufgrund technischer Limitationen noch durchgehend statisch. Heutzutage kommen in solchen hybriden Formen vermehrt virtuelle Kamerafahrten zum Einsatz, die sich visuell nur äußerst schwer oder gar nicht von jenen des real gefilmten Anteils unterscheiden. Doch ist eine Identifikation der Bildquelle auch daher sehr schwierig, weil sich auch physische Kamerasysteme ständig weiterentwickelten. Motion Control Kameras ermöglichen überaus weiche, kontrollierte Bewegungsabläufe, auch werden reale Kamerafahrten durch nachträgliche Bildstabilisierung „künstlich“ verfremdet. In einer sich so rasant entwickelnden Entertainmentindustrie, in der bisher unerreichbare und physikalisch unmögliche Aufnahmen den Kinobesuchern „unmerklich“ untergejubelt werden, scheinen sich die Grenzen zwischen analogen und digitalem Medien zu verwischen. Der kontruierte Kamerablick im digitalen Film wird also zunehmend zu einer kombinierten Ästhetik des Realfilms und computergenerierten Aufnahmen. Kamen virtuelle Kamerafahrten früher vor allem im Science Fiction Film zum Einsatz, der seine „Unwirklichkeit“ allein schon durch das Gezeigte verriet, verstecken sie sich nun auch in Filmen, die sich als „real“ verkaufen. Jedoch macht es die nahtlose Überblendung real gedrehter und virtueller Kamerafahrten meist unmöglich, die Realität eindeutig als solche 5. Schlussbemerkungen 63 zu erkennen. Die Annahme, dass sich durch die Digitalisierung des Films die Bewegung der virtuellen Kamera in hybriden Formen deutlich von Realfilmaufnahmen unterscheide, hat sich demnach nur bedingt bestätigt. Neben einem deutlichen Wandel der Herstellungsprozesse einer Kamerafahrt, schränken sich Regisseure doch meist ganz bewusst ein und es bleibt auch, bis auf wenige hier behandelte Beispiele, eine „gemäßigte“ Kameraführung Standard. Visualisierungsextreme kommen meist nur kurz und gezielt zum Einsatz. Und das ist auch gut so, geht es doch primär darum, eine Geschichte zu erzählen, den Betrachter mitunter durch die Bewegung der Kamera zu führen und nicht darum, ihn damit zu überfordern. Anhang A Interviews A.1 Interview mit Alvy Ray Smith Autor: “Today computer generated imagery plays an important role in the movie industry. How have the endless possiblilities of moving a virtual camera in 3D space helped you to sell your ideas?” Alvy Ray Smith: “You’ve probably heard this story by now: When I landed the Genesis Demo shot in Star Trek II, I assembled my crew at Lucasfilm and told them that we would design a shot that would satisfy Paramount and make the theater goers happy, but what we were really doing was creating a 60-second commercial aimed at George Lucas, who didn’t get who we were and had not asked us to be in any of his movies. I told my group that I knew that George watched movies in a different way than most of us do (or can). He was ALWAYS aware of the camera—what decisions the cameraman made, whether medium, long, or short shot etc., and was not sucked in by the emotion of the scene (just try it, it’s hard to do and is a failure by the director if you can do it). So we would design a camera move that would ‘blow George’s socks off’ because he would know that no real camera could possibly do what ours did BUT (and this addresses your point I think) it would not be a gratuitous computer graphics 3D shot, done just for the CG fun of it. It would make perfect narrative sense, heighten the drama, etc., and in general be an effective, not effusive, storytelling device. That’s what we did. The camera shot was a 6D spline (for all six degrees of freedom) with something like 150 ducks on it. The camera did amazing things, but most 64 A. Interviews people are not (or should not) be aware of it. George Lucas, as hoped, was completely aware of it. The day after the premiere of STII, he stepped briefly into my office and said, ‘Great camera move!’ and included us, finally, in his next movie, The Return of the Jedi. And told his buddy Steven Spielberg about us, who included us in HIS next movie, The Young Sherlock Holmes. It was our big break. In summary, although virtual cameras can do anything, I am not a fan of simple CG jerking around. In fact, I think you might find Pixar’s use of cameras a little fancier than you might imagine, but always in service of the story, not of the technicians and their prowess. I find the ‘infinite esophagus’ shots boring—you know, the rollercoster rides—and I’ve seen A LOT of that meme.” A.2 Interview mit Anthony Shafer Autor: “You might have heard about the effect of ‘induced movement’— the observer’s illusion of moving himself caused only by visual stimulation. Do you think this phenomenon can be amplified in stereoscopic films?” Anthony Shafer: “Absolutely—based on my experience manipulating audiences’ sense of direction and balance, you can significantly induce this phenomenon with an audience member. Because stereo engages with the visual cortex more deeply than a flat projection, this can also work against the film and make people sick.” A.3 Interview mit Richard Taylor Autor: “How have you developed the camera movement for 3D animated shots in TRON ? Have you been guided by live-action films?” 65 A. Interviews Richard Taylor: “I tried to make moves that could not be done with any physical camera system at that time. Also it was the first view of cyberspace and I wanted it to have a whole new feel, to be different from any real world camera. My expression was ‘It should remind you of something you’ve never seen before.’ There are no physical limits in cyber-space. That’s why I give Legacy a 4/10. That wasn’t cyber-space.” 66 Anhang B Inhalt der CD-ROM/DVD Format: CD-ROM, Single Layer, ISO9660-Format B.1 Diplomarbeit Pfad: / Florian_Juri_DA.pdf . B.2 B.2.1 Diplomarbeit Referenzen Literatur Pfad: /literatur Canby71.pdf Garrett11.pdf Oben11.pdf . Smith99.pdf B.2.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . New York Times Artikel über Intolerance Garret Browns Kamerasysteme Bilder zum Dreh von TRON: Legacy Interview mit David Fincher, Auszug aus der Zeitschrift Film Comment Sonstiges Pfad: /sonstiges BillKroyer-64K.mp3 . . fxguidetv-ep057.mov . . Interview mit Bill Kroyer Making of Carousel 67 Literaturverzeichnis [1] Abel, R.: Encyclopedia of early cinema. Routledge, Abingdon, 2005. [2] Balázs, B.: Der Geist des Films. Suhrkamp Verlag, Berlin, 3. Aufl., 2001. [3] Baudrillard, J.: Agonie des Realen. Merve Verlag, Berlin, 1978. [4] Bazin, A.: Theater and Cinema, Part I. In: Gray, H. (Hrsg.): What Is Cinema?: Volume I, Kap. 6, S. 76–94. University of California Press, Berkeley, 1995. [5] Beck, J.: The Animated Movie Guide. Chicago Review Press, Chicago, 2005. [6] Block, B.: The Visual Story: Creating the Visual Structure of Film, TV and Digital Media. Focal Press, Burlington, 2. Aufl., 2008. 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