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Leseprobe 1
Traurige Gewissheit …oder alles nur ein böser Traum
Roman - nach einer wahren Begebenheit
1. Schockierende Entdeckung
Henning saß an seinem Schreibtisch, schrieb gerade wieder einmal
geheimnisvolle Mails an Freunde, wie ich vermutete, als er sich plötzlich mit
seinem Bürostuhl zu mir umdrehte. Nachdenkliche Falten kräuselten seine Stirn, er
schaute mich mit einem seltsam befremdlichen Gesichtsausdruck an, der mich
augenblicklich zusammenzucken ließ. Seine früher eher sanft wirkenden hellblauen
Augen glichen in dieser Minute mehr den Augen eines Raubvogels. Mit weit
geöffneter Pupille, einem irren starren Blick fixierte er mich, als wollte er mich
gleich anspringen. Ich spürte, wie mich sein Blick regelrecht durchbohrte. Ein
kalter Schauer lief mir über den Rücken. Mir kam es vor wie eine Ewigkeit, als
Henning endlich zu sprechen begann. Neuerdings liebte er es, Spannung zu
erzeugen, mich fragend, was los ist, stehen zu lassen. Nun endlich begann er zu
sprechen. Doch er wollte mir nur den nächsten Tiefschlag versetzen. Es nahm
einfach kein Ende mehr.
Sein Blick war fest auf meine Augen gerichtet, als er mir mit hasserfüllter
Stimme offenbarte: „Ich habe dich eigentlich nie wirklich geliebt. Nein, ich bin mir
sogar heute ganz sicher, dass ich dich nie wirklich liebte. Das weiß ich jetzt.“
Lieber Gott, wenn es dich überhaupt gibt, dann erklär mir bitte einmal, weshalb du mich
so dermaßen bestrafst? Was um alles in der Welt habe ich bloß verbrochen? sprach ich
schweigend vor mich hin, während ich in sein mir jetzt vollkommen unbekanntes
Gesicht schaute. Wer ist dieser sonderbare Mann nur mit dem irren Blick? Kenne ich ihn?
Wer ist das? Innerlich begann ich zu zittern. Wie konnte er so etwas sagen, nach
allem, was wir gemeinsam erlebt und durchlebt hatten?
„Willst du mir damit sagen, dass du mir in all den Jahren, in denen wir uns
mit großer Zärtlichkeit und Leidenschaft liebten, uns oft stundenlang aneinander
kuschelten, nur etwas vorgemacht haben willst, in Wirklichkeit aber gar nichts für
mich empfandst? Dass alles nur Theater war, alles nur eine einzige Lebenslüge?“
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„Wieso denn Lebenslüge? Ich hatte halt jetzt genügend Zeit darüber
gründlich nachzudenken und habe dir nun lediglich das Ergebnis meiner
Überlegungen mitgeteilt. Ich denke, du solltest das wissen.“
Wie eine Trotzburg saß er noch immer mit verschränkten Armen vor mir,
lehnte sich nun lässig zurück, streckte salopp und entspannt seine langen Beine vor
mir aus und schmunzelte mich kampfeslustig an. Mit kindlicher Bosheit genoss er
es unumwunden, mich erneut schockiert zu haben. Ja, es war nicht mehr zu
übersehen, wie viel Freude ihm all diese Gemeinheiten, die er sich ständig für
ausdachte, gefielen. Er ging förmlich in seiner neuen Rolle, der Rolle eines zweiten
J.R. Ewing auf. Dieser Blick, die Art wie er sich gebärdete, verriet mir seine
augenblickliche Wahrnehmung, die mich wie ein Peitschenhieb traf. Ohne jeden
Zweifel schlug mir in dieser Sekunde volle Verachtung entgegen. Henning war mir
nie fremder, wie in diesem Moment. Mein Puls beschleunigte sich, mein Magen
krampfte sich zusammen, ich fühlte mich in diesen Minuten so unbeschreiblich
hilflos und verlassen. Zumal ich überhaupt keinen blanken Schimmer hatte, wieso
er all das tat. Denn zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, welche
Erinnerungen an Miami sich in seinem Kopf manifestiert hatten.
Henning und ich teilten uns einen Büroraum in unserem Hotel an der Côte
d´Azur. Und seit unserer Rückkehr stürzte unser Leben in eine erschreckende
Richtung. Ich rang nach Luft. Auch wenn ich mir immer wieder sagte, Anna, es ist
die Krankheit, nicht er, die ihn solche schrecklichen Dinge sagen und veranstalten lässt. Trotzdem
treibt mich dieser Mistkerl noch in den Wahnsinn. Meinem Verstand war der Grund für
sein unausstehliches Verhalten durchaus bewusst, jedoch flüsterte mir mein
Bauchgefühl etwas anderes. Und auf mein Bauchgefühl war meistens verlass.
Dieser scheinbar laut ausgesprochene erneute Gedanke ließ mein Blut aus den
Adern fließen. Mir wurde regelrecht flau im Magen. Übelkeit und ein
Schwindelgefühl überfiel mich schlagartig, als säße ich in einer Achterbahn.
In den vergangenen Monaten entwich vieles seinem Mund, das unter die
Haut ging. Aber diese plötzliche Erkenntnis fühlte sich wie ein Dolch an, den er
mir geradewegs mitten ins Herz rammte. Nein, dieses Mal war er zu weit gegangen.
Nach der Übelkeit durchstrich ein ordentlicher Schuss Adrenalin meinen ganzen
Körper, der mir einen kleinen Moment lang eine angenehme Wärme verschaffte.
Doch schon bekam ich feuchte Hände und kalter Schweiß, der sich unmittelbar
auf meiner Stirn bildete, ließ mich frösteln. Und das, obwohl die Luft in unserem
Büro mindestens 27°C betrug.
Sehr aufmerksam und vergnügt, ja regelrecht triumphierend beobachtete er
nun jede meiner Regungen. Beinahe wie ein Wissenschaftler, der konzentriert ein
ganz winziges Insekt erfolgreich seziere. Rasierklingenscharf war sein Blick auf
mich gerichtet. Ihn schien mein entsetzter Gesichtsausdruck wunderbar zu
amüsieren. Unerbittlich genoss er diesen Triumpf über meine Gefühle, die er
einmal mehr mit Füßen trat. Nur mit Mühe konnte ich meine Tränen und die
erneut aufsteigende Wut zügeln. Alles drehte sich, der Boden schwankte und ich
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rannte nach draußen. Ich musste sofort raus aus dem Büro, um nicht die
Beherrschung zu verlieren. Außerdem wollte ich ihm nicht auch noch die
Genugtuung gönnen, mich weinen zu sehen. Eine schwere Zeit lag bereits hinter
uns. Bis zu diesem Zeitpunkt gab ich niemals die Hoffnung auf, eines Tages
meinen Henning wiederzubekommen. Doch einmal ist Schluss, da kommt einfach
der Moment, wo man erkennen und auch akzeptieren muss, dass nichts mehr so
sein wird, wie es einmal war. Meine lang genährten Hoffnungen zerplatzten in
diesen Minuten wie eine Seifenblase. Dazu gesellten sich die vielen Katastrophen,
die unsere geliebte Tochter nach ihrer Rückkehr aus England über uns brachte. Es
kam uns damals vor, als sei ein vollkommen anderer Mensch zurückgekehrt. War
so etwas vielleicht erblich? Mehr war für mich kaum noch zu ertragen, absolut
nicht mehr zumutbar.
Auf der Terrasse rang ich erst einmal nach Luft. Mein Puls war derartig
beschleunigt, dass es mir schier den Atem raubte. Ich starrte nach Saint Tropez
rüber, ließ meinen Blick über den Golf schweifen und hoffte mich damit irgendwie
ablenken zu können. Anna, ruhig atmen, atme tief durch, ich atme tief und langsam ein und
aus, ich bin ganz ruhig und atme tief und langsam ein und aus, versuchte ich meine
Erregung mit ein paar autogenen Atmungsübungen herunterzufahren. Ich sah
meinen Puls am linken Handgelenk deutlich sichtbar pulsieren, obwohl er seine
Arbeit sonst eher im Verborgenen verrichtete. Mein Blick ruhte auf Saint Tropez
und doch sah ich nichts. Nicht einmal der wundervolle Anblick der
vorüberziehenden Yachten vermochte meine Wut, meinen Hass und meine neu
aufflammenden Mordgelüste weder zu lindern, zu verscheuchen, noch zu
bändigen. Das Einzige, was ich vor mir sah, war Hennings blöd grinsendes
Gesicht. Verdammt, ich verfluche dich. Wozu habe ich dir dein Leben gerettet? Damit du mir
meins zerstörst?
Doch am meisten verfluchte ich mich selbst und schlug wütend mit der
Faust auf das Geländer, weil ich ihn nicht einfach in Curacao gelassen hatte.
Wieso musste ich dich unbedingt nach Miami bringen? Wenn ich das geahnt hätte…….
Während ich mich auf der Terrasse meinen Selbstvorwürfen und meinem
Selbstmitleid hingab, vernahm ich plötzlich ein lautes Geräusch, beinahe wie ein
Schuss. Ich zuckte ein weiteres Mal erschrocken zusammen. Der Knall entriss
mich abrupt meinen mörderischen Gedanken. Überraschend schlug die Haustür
heftig ins Schloss. Kurz darauf heulte der BMW-Motor auf. Sekunden später
entfernte sich das Motorengeräusch vom Haus. Henning hatte demnach ohne ein
weiteres Wort, ohne irgendeine Erklärung, noch eine Entschuldigung abzugeben,
das Haus verlassen. Wie angewurzelt stand ich noch immer auf der Terrasse. Was
hatte er vor? Ich hatte gehofft, dass er sich vielleicht dieses Mal entschuldigen
würde. Aber wieso sollte er sich auch entschuldigen? Für ihn war das nur ein Spiel,
ein bösartiges Spiel, das ihm neuerdings offenbar die allergrößte Befriedigung
verschaffte. Wieso tat er solche Dinge? Was verdammt noch mal ging in ihm vor sich? Wenn
ich bloß wüsste, was neuerdings in seinem Gehirn herumspukt? überlegte ich laut. Es gab
überhaupt keinen aktuellen Anlass für sein Handeln. Denn oft führten in letzter
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Zeit Kleinigkeiten, Unbedeutsamkeiten, eventuell ein falsches Wort, irgendeine
Geste oder ein unbedeutendes Ereignis dazu, ihn plötzlich ohne jede Vorwarnung
ausrasten zu lassen. Seine Aggressionen gegen mich steigerten sich von Tag zu
Tag. Genau wie seine irrationalen Handlungen, die immer mehr an Stärke
gewannen. Ich begann mich langsam vor ihm zu fürchten, denn er wurde mehr
und mehr unkalkulierbar.
Nachdem das Motorengeräusch gänzlich verstummt war, kam ich wieder zu
mir. Schlagartig wusste ich was zu tun war. Ich atmete noch einmal tief durch,
vergewisserte mich, dass er wirklich fort war, nicht wieder eines seiner miesen
Spielchen mit mir trieb. Dann ging ich sofort zurück ins Büro. Sein Computer war
ausnahmsweise auf Standby gegangen. Er hatte ihn offenbar vergessen
herunterzufahren. Oder gehörte das vielleicht wieder zu einem neuen
hinterhältigen Plan?
Vorsichtshalber hielt ich noch einen weiteren Moment inne und lauschte
konzentriert auf irgendwelche Geräusche im Haus. Ich beschloss, vorsichtshalber
nach oben zum Eingang und auf die Straße zu gehen, um mich zu vergewissern,
dass sein Auto wirklich fort war, nicht doch in der Nähe parkte. Oh verdammt, wie ich
das alles inzwischen hasse.
Erleichtert atmete ich auf, da war weit und breit nichts von ihm zu sehen,
noch zu hören. Nichts, außer dem fröhlichen Rufen einiger Turteltauben in den
Pinien, meiner Nachbarin, die gerade mit ihrem Jeep liebenswürdig kurz mit ihrer
Hupe grüßend und ihrer dreijährigen Tochter im Fond sitzend, vom Kindergarten
zurückkam und dem Rauschen der Palmen. Sein BMW konnte ich nirgends
ausmachen, er war offenbar wirklich fort. Ich atmete erleichtert auf. Ob unsere
Nachbarin weiß, was sich bei uns abspielt? überlegte ich kurz, während ich ihr freundlich
winkend nachsah, als sie ihre steile Auffahrt zum Haus hinauffuhr. Die Auffahrt
ihres Hauses führte so steil hinauf, dass, falls es jemals schneien sollte, sie keine
Chance hätte, mit einem Fahrzeug zu ihrem Haus zu gelangen. Sicher nicht einmal
mit ihrem Jeep.
Schnell ging ich zurück ins Haus und rannte die eine Etage hinunter zum
Büro. Unser Haus verlief über drei Etagen. Im Untergeschoss befanden sich
unsere Gästezimmer, die Küche, das Esszimmer und der große Salon. Von allen
Etagen und Zimmern schaute man aufs offene Meer und nach Saint Tropez. In
der ersten Etage befanden sich unsere Privaträume, eine große Bibliothek und
unser Büro.
Ich wollte keine Zeit verlieren. Denn so eine Chance, so eine gute
Gelegenheit, mal einen Blick in seinen Computer zu werfen, würde ich
wahrscheinlich sobald nicht wieder bekommen. Seit wir aus Miami zurück waren,
tat er immer sehr geheimnisvoll mit seinem Computer, ließ ihn normalerweise
niemals alleine zurück, ohne ihn nicht zuvor herunterzufahren. Deshalb war es mir
nicht ganz wohl bei dem Gedanken, an seinen Computer zu gehen. Es bestand
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immer noch die Möglichkeit, dass es gar kein Zufall war, sondern wieder nur eine
seiner perfiden Aktionen. Sicherheitshalber lauschte ich noch einmal ins Haus
hinein, hielt den Atem an und wartete einen weiteren Moment. Er war offenbar
tatsächlich fort. Schnell machte ich mich über seinen Computer her. Wieder
durchströmte Adrenalin meinen Körper, mein Herz pochte wie wild und meine
Hände zitterten vor Erregung. Ich mochte mir seine Reaktion gar nicht erst
vorstellen, sollte er mich hier an seinem neuerlichen Heiligtum erwischen.
Verdammt, der Kerl hat sein Passwort für sein Mailaccount geändert. Er will offenbar
verhindern, dass ich eines Tages in Augenschein nehmen könnte, was er seit neuestem so
konsequent vor mir verbarg, stellte ich schnell fest.
Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend stöberte ich in seinem
Computer herum, auch auf seinem Schreibtisch, in der Hoffnung, hier irgendeinen
Hinweis für seine neuerliche Aggression zu finden. Dabei hatte ich nicht den
Funken einer Ahnung, wonach ich überhaupt suchen sollte. Jeden Fetzen Papier,
jede Notiz auf irgendwelchen Schmierblättern studierte ich ausgiebig. Immer
wieder begab ich mich zwischendurch mit Herzklopfen in den Hausflur, um
sicherzustellen, dass ich wirklich alleine im Haus war. Auf seinen Email-Account
bekam ich ja leider keinen Zugriff mehr. Ich saß da und überlegte einen Moment,
welches Passwort er benutzt haben könnte. Dann fiel es mir wie Schuppen von
den Augen, dass er neuerdings Texte für Mails zuerst in Word schrieb, um sie
durch das Rechtschreibprogramm laufen zu lassen. Ich öffnete die zuletzt
verwendeten Dokumente und was sich mir dort offenbarte, entsetzte mich. Wie
konnte er nur so etwas schreiben? Was er an niederschmetternden Verleumdungen all
unseren Freunden schrieb, ließ mich blass werden.
Aha, jetzt verstehe ich auch das merkwürdige Verhalten einiger unserer Freunde, die
kaum noch Kontakt zu mir suchen, die angeblich immer gerade keine Zeit haben, wenn ich
anrufe, sprach ich zu mir selbst. Berichtete er hier wirklich von mir oder schrieb er
über eine andere Person? Starr vor Entsetzen ruhten meine Augen auf seinen
Texten. Nicht zu fassen, was ich dort las. Glaubte er das wirklich, was er hier
schrieb?
So schockierend es auch war, was ich hier las, es beantwortete nicht meine
derzeitige Frage. Ich hob seine Schreibmatte an, wo er gerne irgendwelche
Zettelchen deponierte. Leider blieb auch das ergebnislos.
Keinen einzigen Hinweis fand ich, der seine neue Erkenntnis begründen
konnte. Frustriert und erschöpft sackte ich in mich zusammen, ließ meine Arme
hängen und verfluchte mich einmal mehr dafür, dass ich tat, was ich getan habe.
Meine Kräfte waren aufgezehrt. Seit eineinhalb Jahren ging das nun schon so, seit
wir aus Miami zurück waren. Doch sein Zustand, jedenfalls der Geistige, wurde
statt besser, immer schlimmer. Es war beinahe unheimlich, wie sehr er sich
veränderte, jeden verdammten Tag seinem Vater ähnlicher wurde. Dabei hatte
Henning seinen Vater knapp dreißig Jahre für diese Art mit seinen Mitmenschen
umzuspringen, gehasst. Ja, er verachtete ihn dafür. Mir kam es so vor, als habe die
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Krankheit einen Schalter in seinem Gehirn umgelegt, um ein vollkommen neues
Programm aufzuspielen.
Mich überkam ein Gefühl der Leere, nicht mehr zu wissen, was dieses Leben
überhaupt noch für einen Sinn machte. Wie in Trance griff ich nach dem Telefon
und wählte die Nummer meiner Freundin. Es dauerte eine Weile, die mir wie eine
Ewigkeit vorkam, bis Claudine endlich den Hörer abnahm.
„Hallo Claudine, ich brauche dringend jemanden zum Reden, sonst platze
ich.“
„Was ist wieder passiert?“
„Das erzähl ich dir später. Ich weiß mir einfach keinen Rat mehr. Henning
wird immer unerträglicher und vor allem unberechenbarer.“
Und wieder musste ich gegen meine Tränen ankämpfen, die fordernd ins
Freie drängten.
„Ich brauche unbedingt deinen Rat und jemanden zum Reden. Ich bin
vollkommen fertig.“
„Reicht es dir, wenn wir uns in einer dreiviertel Stunde im Café Wafou
treffen? Ich muss dringend noch ein paar Kunden anrufen, aber dann habe ich
Zeit für dich.“
„Merci ma Cheri, du bist ein echter Schatz. Ich gehe schon mal runter in die
Stadt. Ich muss hier raus. Mein Gott bin ich froh, dass noch keine Gäste im Haus
sind, ich könnte sie jetzt nicht ertragen.“
„Kopf hoch Kleines, wir werden eine Lösung finden, da bin ich mir sicher,
wir finden eine.“
Wirklich? Würden wir tatsächlich eine akzeptable Lösung finden, mit der wir beide,
Henning und ich leben konnten?
Claudine war eine gute Freundin in Sainte Maxime, wo wir ein kleines Hotel
betrieben. Unser Haus lag auf einem Hügel, mit einem traumhaften Blick auf den
Golf von Saint Tropez, auf das offene Meer und natürlich konnte man von
unserem Haus aus direkt zur Stadt Saint Tropez hinüberschauen. Uns gegenüber
lag die Halbinseln von Saint Tropez, auf der viele Prominente ihre Supervillen
besaßen, wie Gunter Sachs, Brigitte Bardot, Paul Newman, Francois Mitterrand,
der Baulöwe Christian Krawinkel, sogar Nina Hagen, einige Sportprofis und
natürlich auch die Familie Al Fayed, um nur einige, wenige zu nennen. Unsere
Gäste saßen damals oft stundenlang mit Ferngläsern bewaffnet auf unserer
Terrasse und verfolgten die rauschenden Feste, wie auch das der Familie Al Fayed,
als die beiden frisch Verliebten, Dodi und Diana (Prinzess Di), dort einst mit
Dodis Motoryacht vor Anker lagen. Das war ein unbeschreiblich grandioses
Spektakel, sowohl für uns, wie auch für unsere Hotelgäste. Mit den Ferngläsern
konnte man sogar das Buffet und die extravagant gekleideten Besucher erkennen.
Jedes dieser Kleider kostete sicherlich so viel, wie ein Kleinwagen. Uns gegenüber
eröffnete sich eine andere Welt, zu der das normale Bürgertum keinen Zutritt
hatte.
„Kommt meine Kleinen, wir gehen spazieren.“
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Sofort sprangen meine beiden Hunde aus ihren Körbchen, wedelten wie wild
mit den Schwänzen und sprangen vor lauter Freude ein paar Mal an mir hoch.
Dann sausten sie die Treppe hinauf zur Haustür, wo sie verrückt bellend im Kreise
hüpften. Ich nahm zuerst unseren kleinen Chicco an die Leine, einen knuddeligen
Tibetterriermischling, den wir einst aus einem Tierheim in Gibraltar mitnahmen,
auf dem Weg in die Karibik. Eigentlich sollte uns unsere geliebte Labradorhündin
Susi in die Karibik begleiten. Doch noch bevor wir Gibraltar verließen, verstarb
unser größter Schatz an einem Gehirntumor. Danach kam Moustique an die Reihe.
Ein Cocker King Charles, ein Erbstück unserer Nachbarn, der wie aufgezogen
ungeduldig im Kreis herum lief, womit er mir das Anleinen erschwerte.
Meine unbändige Wut im Bauch trieb mich vorwärts wie ein Soldat. Zornig
marschierte ich großen Schrittes mit meinen kleinen Lieblingen in Richtung
Stadtzentrum. Das Auto ließ ich zurück. Ich musste mich dringend an der frischen
Luft bewegen. Denn beim Spazierengehen konnte ich immer schon wunderbar
abschalten, gute Ideen entwickeln, Wut abbauen oder einfach nur meine Gedanken
sondieren. Bis ins Zentrum waren es so nicht einmal fünfzehn Minuten zu Fuß,
insbesondere, weil es praktischerweise nur bergab ging. Im strammen Tempo
näherten wir uns dem Zentrum des Ortes. Meine Hunde waren von diesem
Sparziergang sicherlich nicht sonderlich erbaut, da ich ohne Zwischenstopp bis ins
Zentrum durchmarschierte. Sie hätten sicherlich lieber irgendwo schnuffeln und an
jedem zweiten Grashalm ihre Duftmarken hinterlassen wollen. Bei der letzten
Möglichkeit, bevor wir die Fußgängerzone erreichten, durften sie endlich ihre
Notdurft verrichten. Ich glaubte echte Erleichterung in ihren Augen zu erkennen.
„Tut mir leid meine Süßen, aber heute ist auch ein Scheißtag für mich.“
Beide schauten mich ängstlich an, denn so ein rüdes Verhalten kannten sie nicht
von mir.
Im Café Wafou schien wieder einmal die Hölle los zu sein, jeder Tisch
belegt. Als mein Lieblingskellner Bertrand mich sah, signalisierte er mir, mich kurz
zu gedulden. Chicco, Moustique und ich warteten also brav im Schatten eines
Olivenbaums, der vor der Terrasse des Cafés stand, bis der Kellner uns zuwinken
würde. Er signalisierte mir per Handzeichen, welchen Tisch er für mich reservieren
wird. Es dauerte nur wenige Minuten, dann saßen wir schon an einem kühlen
Plätzchen und ich bestellte mir einen Café au lait. Moustique und Chicco bekamen
von Bertrand eine Schüssel mit Wasser unter den Tisch gestellt. Meine Kaffeetasse
stand noch unberührt vor mir, als ich Claudine kommen sah. Ich war froh, dass es
Claudine gab, mit der ich einfach über alles offen sprechen konnte, die niemals
etwas weitertratschte. Das gehörte zu ihrem Berufsethos.
„Salut Anna, bin doch schneller fertig geworden, als ich dachte. Manche
Kunden sind echt schräg und nervig, sag ich dir. Die wollen immer das, was man
gerade nicht auf Lager hat oder haben Wünsche, die kaum erfüllbar sind. Aber nun
zu dir. Bist du schon lange hier?“
„Nein, auch erst ein paar Minuten, oder etwas länger. Ich habe nicht auf die
Uhr geachtet. Mir schwirrt gerade so viel durch den Kopf.“…………….
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„Anna, was ist wieder passiert?“
Kaum das ich ihr von dem Gespräch mit Henning berichten wollte, bahnten
sich die lange unterdrückten Tränen nun doch den Weg ins Freie. Ich schnappte
nach Luft und atmete ein paar Mal tief durch, um meine Tränen zum Rückzug zu
bewegen.
„Irgendwann erschlag ich ihn! Oder ersaufe ihn im Pool. Oder gebe ihm eine
Portion Arsen in sein Essen. Sein Verhalten ist kaum noch zu ertragen. Er macht
mich krank und fertig.“
Wieder rang ich nach Luft und mein ganzer Körper bebte.
„Nun beruhige dich doch erst einmal wieder.“
Claudine zog mich in ihre Arme, um mich zu trösten. Doch dadurch steuerte
ich geradewegs auf einen Weinkrampf zu, weshalb ich sie abwehrte. Ich musste
mir unbedingt zuerst alles von der Seele reden, andernfalls drohte ich daran zu
ersticken.
„Sorry Claudine, aber ich muss ohnehin dagegen ankämpfen, mich nicht in
einen Wasserfall zu verwandeln.“ Diese Aussage brachte uns beide kurz zum
Lachen.
„Schon gut Anna, das verstehe ich doch. Erzähl, was ist passiert?“
„Es ist kaum noch zu ertragen. Stell dir vor, heute sitzen wir im Büro, ich
arbeitete gerade an dem neuen Belegungsplan für die Saison, obwohl ich am
liebsten sämtlichen Gästen absagen würde. Unvermittelt wendet sich Henning von
seinem Schreibtisch ab. Ohne einen vorausgegangen Streit, ohne irgendein
Vorkommnis sagt er spontan, ich habe dich nie geliebt. Ich war wie vom Donner
gerührt. Da lebst du fünfundzwanzig Jahre mit einem Mann zusammen, gehst mit
ihm durch Dick und Dünn, bestehst ohne Blessuren die guten, aber auch die
schwierigen Zeiten, und dann erkennt der Kerl plötzlich nach einem viertel
Jahrhundert, dass er dich angeblich niemals wirklich liebte. Hast du eine Ahnung,
wie sich das anfühlt? Fünfundzwanzig Jahre meines Lebens mit einem Mann gelebt
zu haben, der einen offenbar niemals liebte? Vielleicht ist ja nicht alles auf die
Krankheit abzuwälzen. Ist es nicht möglich, dass er nur jetzt in diesem Zustand die
Wahrheit sagt, genau das ausspricht, was ihn wirklich bewegt? Wie bei
Betrunkenen und kleinen Kindern, die ja bekanntlich auch ihre Gedanken auf der
Zunge tragen?“
Nun kam meine Sonnenbrille zum Einsatz, da sich meine neuen Tränenergüsse
nicht mehr aufhalten ließen.
„Es tut so schrecklich weh.“
„Ich weiß, es wird dich in deiner derzeitigen Situation wenig trösten, aber das
ist wirklich nicht mehr der Mann, mit dem du ein viertel Jahrhundert zusammen
lebtest. Ich kenne euch nun schon so viele Jahre. Das ist nicht mehr dein Henning,
soviel ist sicher. Und ich glaube ganz ehrlich, dass dich dein Henning immer
abgöttisch liebte. Auf mich machtet ihr all die Jahre den Eindruck von frisch
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Verliebten. Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich stets um deinen Henning
beneidet habe?“
„Wirklich?“
„Denke nur mal an die vielen Rosen, die er dir jeden Sonntag vom Markt
mitbrachte. Ich kann mich kaum noch dran erinnern, wann Michel mir das letzte
Mal Rosen gekauft hat. Das liegt sicherlich mehr als zehn Jahre zurück. Das, was er
heute sagt, darfst du nicht überbewerten. Es ist wirklich die Krankheit, nicht mehr
er selbst.“
„Egal, ich musste die letzten Monate so viele Dramen durchleben, so viel
Gemeinheiten schlucken, so viele Erniedrigungen ertragen. Nein, es geht nicht
mehr. Ich kann einfach nicht mehr. Ich habe echt keinen Nerv mehr für seine
Widerwärtigkeiten. Es muss jetzt etwas geschehen, es muss sich etwas ändern.
Entweder ändert sich sein Charakter wieder oder es ändern sich die Gesichter. So
geht es jedenfalls nicht weiter. Sag du mir, was ich tun soll, bitte“, flehte ich
Claudine an.
„Komm, lass uns zahlen und am Hafen spazieren gehen“, schlug Claudine
vor.
Während wir mit meinen Hunden um den Hafen liefen, berichtete ich
Claudine vom Abend zuvor, als David aus London anrief. Ein weiteres Mosaik in
diesem Drama.
„Was war mit diesem David? Kenne ich ihn?“
„Sicher nicht. Gestern Abend läutete das Telefon und obwohl Henning
direkt davor saß, ließ er es einfach klingeln. Willst du nicht rangehen, fragte er
scheinheilig. Ich dachte natürlich, er hat nur keinen Bock, wegen seiner
Sprachstörungen ans Telefon zu gehen und nehme ab. Ein gewisser David von
einer Meadow Clinic aus London war dran. Ich sagte ihm, dass er sicherlich mit
Henning sprechen wolle, der sei krank, nicht ich. Daraufhin änderte sich sein
Tonfall so, als würde er mit einer Geisteskranken sprechen. Hi Anna, nein ich will
mit dir sprechen. Henning bat mich darum. Dein Problem ist nichts, wofür man sich schämen
müsste. Ich hatte keine Ahnung, wovon der gute Mann sprach. Wir haben hier sehr
gute Spezialisten und bereits ein Bett für dich reserviert. Wenn du willst, kannst du schon Ende
der Woche hier behandelt werden, berichtete er mir voller Stolz und mit einer
samtweichen Stimme. Behandelt werden? Ich? Ich dachte noch immer, dass er sich
nur in der Person irrte und versuchte ihn aufzuklären. Sorry David, aber hier liegt ganz
sicher ein Missverständnis vor. Nicht ich bin der Patient, vielmehr ist es mein Mann Henning.
Worauf ist die Meadow Clinic eigentlich spezialisiert? fragte ich ihn. Und er erklärte mir
beinahe flüsternd, sie seien eine Antisuchtklinik.“
„Wie bitte, Henning wollte dich in eine Antisuchtklinik einliefern lassen? Wie
kommt er auf so einen Unsinn?“………………………………..
„Das hört sich fast schon wie ein Rosenkrieg an.“ Claudine klang wirklich
besorgt.
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„Das ist noch nicht alles. Vor fünf Wochen erzählt er mir, er wolle nach
Köln zu seiner Mutter fliegen, die inzwischen in einer Altersresidenz lebt. Weißt
du, sie ist auch nicht mehr die Jüngste, geht schon auf die Neunzig zu. Er machte
sich angeblich Sorgen, dass ihn ein neuer Schlaganfall komplett außer Gefecht
setzen könne. Somit bestünde die Gefahr, seine Mutter nicht noch einmal
sprechen oder sehen zu können. Mein Gott, ich war so froh, ihn endlich mal eine
Zeit lang los zu werden, einfach meine Ruhe vor seinen Spielchen zu haben.
Deshalb sagte ich vollkommen ehrlich, das ist eine gute Idee, sie wird sich sicherlich sehr
freuen dich zu sehen. Ja, verbringe ein wenig Zeit mit ihr, dass wird euch beiden gut tun und das
meinte ich absolut aufrichtig. Er rastete sofort wieder aus, beschimpfte mich und
schrie lauthals, du willst mich bloß loswerden, gib es doch zu, damit du hier freie Bahn hast,
um mit andern Kerlen zu vögeln. Er widert mich inzwischen derartig an, das lässt sich
kaum noch in Worte fassen. Egal was ich sage, egal was ich mache, egal was ich
vorschlage, er legt alles so aus, wie er es braucht, um einen Streit zu provozieren,
mich zu erniedrigen oder mich anzugreifen. Ich ertrage das nicht mehr länger. Es
muss eine Lösung her und zwar schnell. Andernfalls bin ICH bald reif für die
Klapse. Das würde ihm sicher gefallen. Aber den Gefallen werde ich ihm ganz
bestimmt nicht tun. Vorher stoße ich ihn von den Klippen!“
„Und ist er tatsächlich nach Köln zu seiner Mutter geflogen?“
„Zuerst wohl schon, denke ich.“
„Was heißt das denn?“
„Ich denke, er war bei ihr, aber nur kurz. Nachdem ich ihn mit dem Auto
nach Nizza brachte, checkte er für den Flug nach Köln ein. Während der gesamten
Fahrt zum Flughafen sprachen wir Gott sei Dank kein einziges Wort miteinander.
Nachdem Henning die Passkontrolle passiert hatte und im Wartesaal verschwand,
war ich sicher, dass er nach Köln abfliegt und verließ das Gebäude.“
„Sag bloß, er ist dann doch nicht geflogen?“ ………………………………..
Die Tage rauschten nur so an mir vorüber, wie mein gesamtes Leben. Nach
dem Zwischenfall in unserer Küche, telefonierte ich nochmals mit einigen seiner
Ärzte, weil ich mir irgendeine Unterstützung erhoffte. Wie naiv von mir…………
(Einige Absätze Weiter)
Kurze Zeit später wollte ich ein paar Aktien verkaufen, die damals vor dem
Crash am neuen Markt exorbitant gestiegen waren. Unser Bankberater stammelte
seltsam nervös einige Freundlichkeiten vor sich hin und sagte schließlich, „ähm, tut
mir sehr leid Frau Porter“, er räusperte sich verlegen, „aber Ihr Mann, ähm, hat
Ihnen leider die Vollmacht entzogen. Es tut mir wirklich außerordentlich leid, das
müssen Sie mir glauben. Aber unter diesen Umständen, ähm, das verstehen Sie
sicher, darf ich keine Order mehr von Ihnen entgegen nehmen.“ Und abermals
räusperte er sich sichtlich nervös. „Bitte sprechen Sie mit Ihrem Gatten darüber.
Tut mir wirklich aufrichtig leid.“
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Dieser verdammte Mistkerl. Auf die Idee, dass er mir die Vollmacht für unser
gemeinsames Depot entziehen würde, kam ich gar nicht erst. Seine neuerliche
Aktion gegen mich, traf mich ein weiteres Mal vollkommen überraschend und ich
spürte augenblicklich, wie ich rot anlief. Nicht nur mein Unbehagen, sondern auch
das unseres Bankberaters, der mir diese Nachricht übermitteln musste, war beinahe
körperlich zu spüren.
Mir wurde heiß und wieder erfasste mich eine
Wahnsinnswut. Dieser gottverdammte Scheißkerl. Na, der wird sich noch wundern. Mein
lieber Freund, damit hast du endgültig den Bogen überspannt. Ich dachte, ich könnte es
verhindern. Aber du lässt mir keine Wahl, sprach ich in Gedanken zu Henning. Der
Rosenkrieg hatte also wirklich begonnen oder befand sich vielmehr im vollen
Gange. Wieder saßen wir beide in unserem Büro zusammen, als ich durch unseren
Bankberater von dem Entzug der Vollmacht erfuhr. Nur zu genau beobachtete ich
Hennings triumphierenden Gesichtsausdruck. Doch dieses Mal ließ ich mir nichts
anmerken, obwohl es in mir kochte und so antwortete ich lediglich lapidar, „aha,
na dann eben nicht.“
Denn dieses Mal sollte es ein Eigentor werden. Henning wusste es nur noch
nicht. Doch das würde sich bald ändern……………………………………
Leseprobe 2
2. Rückblende
In Hamburg wurde ich geboren, wo ich aufwuchs und eine
kaufmännische Ausbildung absolvierte. Nach meiner Ausbildung zog ich sofort
nach München. Denn ich dachte in meinem jugendlichen Wahn natürlich, dass
München die tollste Stadt Deutschlands und der Nabel der Welt sei. ………..
(Einige Absätze später)
Eines Tages führte mich mein Weg zu einer Zeitarbeitsfirma namens
Neuner, die dringend Phonotypistinnen suchte. Ich war jung und unerfahren
und hatte überhaupt keine Ahnung, was so eine Phonotypistin alles tun würde.
Doch ich war neugierig und so ging ich frohen Mutes zu dem angebotenen
Vorstellungsgespräch. Dort verlangte man zuerst einmal einen
Tippgeschwindigkeitstest von mir. Nichts hasste ich mehr, wie wenn mir
jemand beim Arbeiten von hinten über die Schulter schaute. Dort stand Frau
Armbruster, die Personalleiterin und diktierte mir einen Text.
„Nun würde ich Sie bitten, noch diesen kleinen Text abzuschreiben“, bat
sie mich anschließend. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich, wie Frau
Armbruster sich nach einer Kollegin umdrehte. Sie dachte offenbar, ich sähe es
nicht. Der Blick ihrer Kollegin verriet mir, dass meine Schreibgeschwindigkeit
offenbar nicht ihren Erwartungen entsprach. Naja, schließlich war das nicht
mein Beruf. Glücklicherweise benötigten sie jedoch dringend Sekretärinnen und
Phonotypistinnen. Schnelles schreiben war nicht so mein Ding, dafür
selbständiges Denken und eine schnelle Auffassungsgabe, die zu mir gehörten,
wie meine schnelle angeborene Aussprache. Für die wurde ich in meiner
Kindheit häufig getadelt und gehänselt, weshalb man mich oft mit der schnell
sprechenden Komödiantin Giesela Schlüter verglich. Mein damaliger
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Physiklehrer pflegte einmal zu sagen: „Wenn du mal stirbst, muss dein
Mundwerk extra totgeschlagen werden.“
Damals durfte man als Leiharbeitnehmer nicht länger als drei Monate in
einem Betrieb bleiben, dann musste rotiert werden. So rotierte ich zwischen
Siemens, Rhode & Schwarz, einem Elektronikkonzern für Messtechnik,
Rundfunk- und Funküberwachung und der Münchener Rückversicherung alle
drei Monate, was mir nicht ungelegen kam, wie ich gestehen muss. Im
Gegenteil, denn dort warteten drei interessante Aufgaben auf mich. Als
Phonotypistin habe ich höchstens fünf Wochen gearbeitet, dann setzte man
mich lieber für andere Aufgaben ein, für die ich wesentlich effektiver tätig sein
konnte. So konnte ich mir bei Siemens nach Feierabend noch gutes Geld dazu
verdienen, da bei den Ingenieuren eine technische Zeichnerin wegen
Schwangerschaft ausgefallen war. Später am Abend zogen einige Kollegen und
ich durch die Schwabinger Kneipen. Das war eine schöne Zeit, die ich auf gar
keinen Fall missen möchte.
Trotzdem studierte ich regelmäßig die Anzeigen für Stellenangebote, da
ich immer noch auf der Suche nach meinem Traumjob war, von dem ich zu
diesem Zeitpunkt nicht einmal wusste, welcher das sein würde. Eines Tages
stieß mir eine sehr witzige, jedoch total blöde Anzeige sofort ins Auge: Emil ist
stocksauer, weil er P & P nicht kennt. Danach folgte eine Telefonnummer.
„Hey Margret, hast du schon mal so eine dämliche Anzeige gesehen, was
soll der Quatsch bloß? Wieso erscheint so eine Anzeige unter der Rubrik
Stellenangebote?“
Meine Freundin Margret, bei der ich mich gerade zum Kaffeeklatsch
eingefunden hatte, stellte ihre Tasse auf den Tisch zurück, nahm die Zeitung
entgegen und las sich die Anzeige kurz durch. Sie reichte mir die Zeitung
zurück und meinte dann trocken, „geh doch mal vorbei und frag sie.“
„Gute Idee, du wirst lachen, aber genau das werde ich tun. Gleich
morgen früh. Wird bestimmt lustig.“
Wer hätte ahnen können, was aus dieser Begegnung werden würde. Den
Tag drauf nahm ich mir frei, angeblicher Arzttermin und besuchte die Firma P
& P Zeitarbeit in Schwabing. P & P stand für Porter und Partner, aber auch als
Synonym für prompt und präzise. Es war die Zeit der Minis und Maxis.
Minikleider, Miniröcke und Hotpants. Fast alles war erlaubt, Hauptsache es war
bunt, schräg und schrill. ………………………….
Als ich das Büro der Firma P & P Zeitarbeit betrat, empfing mich ein
sehr attraktiver und gut aussehender Mitarbeiter. Er schien Ende zwanzig,
Anfang dreißig zu sein, hatte sehr kurze dunkle Haare, grüne Katzenaugen, eine
ebene Haut und ein sehr charmantes Lächeln. Nachdem wir uns gegenseitig
begrüßt und vorgestellt hatten, setzte ich mich auf einen roten Plastikstuhl vor
seinem Schreibtisch. Sein Schreibtisch erschien mir extrem aufgeräumt. So, als
wolle er gerade Feierabend machen. An der linken Seite stand ein kleines Bild
von einer älteren Dame. Vor dem Bild stand ein kleines Glücksschwein aus
Marzipan, auf dem sich bereits eine kleine Staubansammlung breit machte. Ich
ging davon aus, dass es ein Foto seiner Mutter sei, mit der ihn offenbar ein sehr
warmherziges Verhältnis verband. Warum sonst sollte er in seinem Alter so ein
Foto auf seinem Schreibtisch aufstellen, anstatt eines Fotos seiner Freundin
oder Frau, überlegte ich kurz, während ich ihm von der Anzeige und meinen
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beruflichen Vorstellungen berichtete. Doch es war ein Foto seiner Großtante,
dem General.
Eine dunkelgrüne Schreibmatte nahm den Hauptteil seines Schreibtisches
ein. Davor befand sich eine schmale Schale, in der drei Bleistifte, alle scharf
angespitzt, ein Füllfederhalter und einige bunte Kugelschreiber wie brave
Soldaten in Reih und Glied lagen. Ein Pedant! Der ist sicher ein extremer Pedant,
kam es mir sofort in den Sinn. Was auch seinen so perfekt aufgeräumten
Schreibtisch erklären würde. Vor der Schale mit den Stiften lag eine große
Papierschere, die später eine große Rolle in einem Mordversuchsprozeß spielen
wird.
Hinter ihm an der Wand stand ein altmodischer Aktenschrank mit
Schiebetüren, die fest verschlossen waren. Ein einsamer dünner Ordner lag auf
der rechten Schreibtischecke, aus dem einige lose Blätter herausschauten.
Neben seiner Zimmertür gab es eine kleine Sitzgruppe aus drei gepolsterten
Stühlen und einem runden Glastisch, auf dem eine zierliche Vase mit frischen
Blumen stand. Die Bilder an den Wänden, die offenbar von großen namhaften
Firmen stammten, sollten wohl den Eindruck erwecken, dass diese zu ihren
Kunden zählten, was teilweise auch zutraf. Auf einer Pinnwand sah man bunte
Magnetplättchen mit merkwürdigen sonderbaren Zeichen daneben.
Die gesamte Zeit unserer Unterhaltung starrte mir der Mitarbeiter, der
Robert Küstner hieß, ungeniert auf meinen Busen. Natürlich trug ich, wie zu
dieser Zeit üblich, ein sehr kurzes, lindgrünes Trägerkleidchen, mit einem
Höschen darunter aus gleichem Material und Farbe, das bei bestimmten
Bewegungen neckisch unter dem Minikleidchen zum Vorschein kam. Mein
Gott, das war Anfang der siebziger Jahre weder ordinär noch obszön, noch
etwas Besonderes zu dieser Zeit. So etwas trugen damals fast alle, die es sich
leisten konnten, ich meine figurmäßig.
Die lüsternen Blicke des Mitarbeiters, der mich freundlich empfing,
verrieten mir seine Gedanken. Seine Anspielungen, sein gieriger Blick auf meine
Brüste, die Art, wie er sich über seinen Schreibtisch lümmelte, während wir uns
unterhielten, sprach eine klare Sprache. Wie sich später heraus stellen sollte,
legte er fast alles flach, was nicht schnell genug auf die Bäume kam. Robert
dieser Frauenheld ließ niemals etwas anbrennen. Auch wenn ich mich
geschmeichelt fühlte, ging mir seine aufdringliche Art doch recht schnell
ziemlich auf den Nerv.
Plötzlich sprang die Tür auf und Henning schaute herein. Einen Meter
vierundneunzig hoch, schlank, sehr gut aussehend, dunkelbraune Haare und
stahlblaue Augen. Für mich die perfekte Kombination für einen
gutaussehenden Mann. Er trug eine weiße Jeans, ein blau-weiß-gestreiftes
kurzärmeliges Hemd, rotbraune Slipper, dazu passend einen rotbraunen Gürtel
von Aigner. Er sah einfach nur umwerfend aus. Seine Haare waren zwar für
meinen Geschmack etwas zu lang, was in den Siebzigern modern war, mir
jedoch bei Männern nie gefiel. Egal ob modern oder nicht. Seine Haut zeigte
eine dezente Sonnenbräune, die seine blauen Augen erst richtig hervorstechen
ließen. Mein Herz schien auszusetzen. Wow, was für ein Mannsbild. Ob der schon
vergeben ist? Dummerle, natürlich ist der vergeben! So ein Bild von einem Mann bleibt sicher
nicht lange alleine, sagte ich zu mir selbst.
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„Robert, ich brauche mal kurz deine Hilfe bitte. Oh, hallo, ich bin
Henning Porter, der Chef hier und wer sind Sie?“
Er kam zu meinem Platz, - mein Herz schlug nun so heftig, dass ich
sicher war, er würde es sehen müssen - streckte mir zur Begrüßung seine warme
Hand entgegen, die sich wie ein Schraubstock um meine Hand legte. Mein Ring
drückte sich sofort unbarmherzig in meine Finger. Am liebsten hätte ich laut
aufgeschrien. Dann lockerte sich sein Schraubstock und ich war erlöst.
Trotzdem fühlte sich seine Hand irgendwie wunderbar an. Wenn es nach mir
gegangen wäre, hätte ich seine Hand nicht mehr loslassen wollen. Es war
plötzlich alles so schrecklich aufregend. Sein forsches Auftreten imponierte mir
auf Anhieb. Ein plötzliches Kribbeln breitete sich in meiner Magengegend aus,
sobald unsere Hände sich berührten. Wenn man nervös ist, schießt man bei
einer Unterhaltung leider nur allzu gerne über das Ziel hinaus. Und ich wurde
schlagartig nervös, hoffte, dass man es meiner Stimme nicht anhören möge, als
ich mich vorstellte: „Ich heiße Anna Lefka, ich wollte mal sehen, wer sich
solche total idiotischen Texte für eine Stellenanzeige ausdenkt. Und was sie
damit zum Ausdruck bringen wollen?“
Noch ehe ich meinen Satz beendet hatte, kam ich mir unbeschreiblich
bescheuert vor. Wie konnte ich nur so einen Stuss reden. Mein Gott, was wird er jetzt von
mir denken? Er muss doch denken, ich habe nicht alle Tassen im Schrank. Denn
eigentlich wollte ich etwas ganz anderes sagen. Aber das Kribbeln in meinem
Bauch irritierte mich so sehr, dass ich gar keinen klaren Gedanken mehr fassen
konnte. Wie hypnotisiert hielt ich ihm die Zeitung hin und er las seine Anzeige.
Henning lachte herzhaft über meine Reaktion, meinte dann, „ja, liebe Frau
Lefka, der Idiot bin ich höchst persönlich.“
Oh Gott, wie peinlich, dachte ich bei mir. Ich wünschte, ich wäre in diesem
Moment durchsichtig gewesen oder hätte mein vorlautes Mundwerk etwas
gezügelt. Dafür ist es nun zu spät, meine Liebe. Doch witzigerweise strahlte er mich
jetzt mit seinen leuchtenden Augen an. Mir wurde schlagartig heiß. Ist es hier
drinnen so schrecklich heiß oder nur mir? fragte ich mich im Stillen. Er schien
überhaupt nicht über meine freche Frage verärgert zu sein. Offenbar ganz im
Gegenteil. Er strahlte auf einmal so eine Nähe, so eine unglaubliche Wärme
aus, die in mir eine seltsame Sehnsucht nach mehr Hautkontakt auslöste.
Dann erwiderte er: „Immerhin hat Sie mein idiotischer Anzeigentext zu
uns geführt. Damit hat diese Anzeige ja wohl ihr Ziel erreicht. Das ist Sinn und
Zweck von Werbung“, belehrte er mich. „Werbung soll Aufmerksamkeit
schaffen. Und Sie sind auf sie aufmerksam geworden. Wollen wir unser
Gespräch nicht in meinem Büro weiterführen?“
Sein Mitarbeiter Robert war sofort angefressen. Er sah seinen frischen
Fang davonschwimmen.
„Hey Henning, das hier ist mein Gespräch.“
„Ich weiß, aber wann trifft man schon mal jemanden, der sich
offensichtlich bewerben will und gleich so mit der Tür ins Haus fällt. Ich habe
da noch ein paar werbliche Fragen, die ich gerne mit Frau Lefka abklären
würde. Sie scheint ihre Gedanken und eine ehrliche Meinung ohne Hemmung
auszusprechen. Wunderbar. So jemanden benötige ich gerade jetzt für meine
neue Werbekampagne.“
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Er wandte sich zum Gehen um, öffnete die Zimmertür, hielt mir seine linke
Hand entgegen, die mir signalisierte, ihm zu folgen. Und seine Aufforderung
duldete keinen Widerspruch.
„Kommen Sie mit mir. Und Robert, komm bitte nachher mal in mein
Büro, du musst mir bei einem technischen Problem helfen.“
Es war nicht zu übersehen, dass sein Mitarbeiter stinksauer war. Er hätte
mich wahrscheinlich zu gerne nach Feierabend abgeschleppt. Als Henning mir
die Tür aufhielt, um mich in sein Büro zu entführen, zwinkerte ich seinem
Mitarbeiter achselzuckend zu und schenkte ihm ein letztes Lächeln, bevor ich
brav seinem Chef hinterhertrottete. Es war Liebe auf den ersten Blick und zwar
auf beiden Seiten. Schon beim ersten Augenkontakt hatte es gefunkt. Nie hielt
ich das für möglich, hätte mir jemand erzählt, dass es so etwas tatsächlich gäbe.
Jeden hätte ich wohl der Lüge bezichtigt. Liebe auf den ersten Blick, ha, das
war doch nur so ein billiges Klischee aus Zeitungsartikeln, Filmen oder
Büchern, dachte ich bis zu diesem schicksalhaften Tag.
Wie sich später herauskristallisieren sollte, hatten wir unbeschreiblich
viele Gemeinsamkeiten, das war beinahe schon unheimlich. Oft überkamen uns
im selben Moment die gleichen Gedanken. Oder wenn einer von uns beiden
unterwegs war, in irgendeinem Hotel nächtigte, Fernsehen schaute und bei
einer bestimmten Szene den anderen auf diesen Film aufmerksam machen
wollte, wählten wir uns nicht selten gleichzeitig an. Es kam kein Klingelton
zustande, aber man hörte, dass jemand in der Leitung war. Wir hatten uns exakt
zum gleichen Zeitpunkt angewählt.
„Hallo, ist da jemand in der Leitung?“ fragte ich beim ersten Mal
verwundert.
„Anna, bist du das?“ wunderte Henning sich ebenfalls.
Es war wie Telepathie. Aber meistens schauten wir durch Zufall ohnehin
das gleiche Programm. Oder wenn wir längere Strecken fuhren, wechselten wir
uns jede Stunde beim Fahren ab. Wir waren beide begeisterte, sowie gute
Autofahrer. Und dieses System erlaubte uns, uns gegenseitig interessante
Artikel aus Zeitschriften vorzulesen, oder bei Dunkelheit zwischendurch ein
Nickerchen zu machen. Somit war man fast niemals, auch nicht nach acht
Stunden Fahrt, fix und fertig. Wie oft wurden wir darum beneidet, wie sehr wir
uns ergänzten und wie perfekt wir zusammen passten. Zu Beginn unserer Liebe
gab es nur zwei kleine Schönheitsfehler. Henning war seit einem Jahr mit einer
Zahnarzthelferin liiert, die bei seinem Zahnarzt arbeitete. Und er befand sich
gerade mitten in einer Wurzelbehandlung. Er fürchtete, wenn seine Freundin
erfuhr, dass er plane, ihr den Laufpass zu geben, würde sie ihren Chef dazu
bringen können, die Behandlung etwas schmerzvoller zu gestalten. Oder sie
würde heimlich weniger Betäubung in die Spritze füllen. Oder sich eine andere
Gemeinheit einfallen lassen.
Bei mir war es noch schlimmer, ich lebte bereits mit einem Mann
zusammen, dem ich nun klar machen musste, dass er eine neue Bleibe benötige.
Und das war keine leichte Sache, da er schon einmal mit Tabletten versuchte,
sich das Leben zu nehmen. So geschehen, als ich damals aus seiner Wohnung
auszog, um eine eigene Wohnung zu beziehen. Eines Tages stand er dann wie
ein Häufchen Elend mit Sack und Pack bei mir vor der Tür, heulte mir die
Taschen voll, dass er nicht mehr ohne mich leben könne und so weiter und so
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weiter. Und natürlich ließ sich mein weiches Herz sofort wieder einlullen,
womit er bei mir einzog. Doch meine Gutmütigkeit, Gutgläubigkeit und meine
Gott verdammte Großherzigkeit sollte mich Jahre später an den Rande des
Ruins führen.
Nach seinem Selbstmordversuch war jedoch jedes Gefühl für ihn
erloschen, über dem nun der Schatten von Mitleid lag. Seine Gegenwart und
Freundschaft genoss ich nach wie vor. Sex ließ ich notgedrungen über mich
ergehen. Doch immer öfter nahm ich mir eine Migräne oder Bauchschmerzen,
um nicht mit ihm schlafen zu müssen. Eigentlich wäre ich ihn gerne wieder
losgeworden, den Geist, den ich nicht rief. Doch die Angst, dass er sich erneut
etwas antun könne, vielleicht sogar beim zweiten Versuch mit Erfolg, hielt
mich davon ab, einen endgültigen Schlusspunkt unter unsere Beziehung zu
setzen. Nur hat Mitleid überhaupt nichts in einer Zweierbeziehung zu suchen.
Das begriff ich schlagartig, als ich mich Hals über Kopf in Henning verliebte
und wieder Schmetterlinge in meinem Bauch flatterten. Ja, so ein wunderbares
Gefühl von Schmetterlingen im Bauch kannte ich seit Jahren nicht mehr. Erst
Henning brachte mir dieses wundervolle Gefühl zurück. Bei der leichtesten
Berührung, oder wenn er mich auf eine ganz besondere Art anschaute,
explodierte in meinem Kopf und meinem ganzen Körper ein gewaltiges
Feuerwerk, wie ich es noch nie zuvor erlebte. Das war ein ganz neues
wunderschönes Gefühl. Und ich spürte bei jeder Berührung einen sehr starken
Drang, sofort mit ihm schlafen zu wollen, egal wo. Und plötzlich wird aus
dieser wunderbaren Beziehung ein schreckliches Drama, ein Rosenkrieg.
3. Drei Jahre später
Damals lebten Henning und ich etwas außerhalb von Hamburg, in der
Nordheide, wo wir wegen unserer Katzen ein kleines Häuschen auf dem Lande
mieteten. Nachdem wir von München nach Hamburg zogen, fanden wir zuerst
am westlichen Stadtrand von Hamburg eine wunderschöne geräumige
Wohnung in einer alten Stilvilla. Als dann jedoch einige Monate später
irgendein Tierschänder unsere Katzen zu töten versuchte, zogen wir
augenblicklich aufs Land. Außerdem pflegte unsere Vermieterin, eine
achtzigjährige Witwe, ständig während unserer Abwesenheit alte Fischreste mit
Gräten für unsere beiden Katzen offen in unseren Kühlschrank zu legen.
Einmal hatten wir die Nase voll davon und tauschten das Türschloss aus. Doch
sie ließ es sofort wieder von einem Schlüsseldienst entfernen. Mit ihr konnte
man aber nicht darüber reden. Sie war der Meinung, als Vermieterin das Recht
zu haben, in die Wohnung ihres Mieters zu jeder Zeit und ohne
Vorankündigung eintreten zu dürfen. Die Tötungsversuche unserer Katzen
brachte das Fass dann zum Überlaufen.
Wegen der Wirtschafts- und Ölkrise, aber hauptsächlich aus anderen Gründen,
verließen wir 1974 München, wickelten unsere damalige Firma ab, an der ich
inzwischen beteiligt war, verkauften die Eigentumswohnung und zogen nach
Hamburg………………………….
Denn in München hatte uns nicht nur die Ölkrise eiskalt erwischt,
sondern auch sein Freund und Partner Robert, der Frauenheld, wobei er ja in
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Wirklichkeit gar kein Partner war. Das war eigentlich der Hauptgrund, weshalb
wir damals in München unsere Zelte abbrachen. Eines Tages stellte sich
nämlich heraus, dass der gute Mann wohl schon längere Zeit in die eigene
Tasche wirtschaftete. Henning konzentrierte sich viel zu sehr nur auf das
Marketing der Firma, weshalb er überhaupt nicht checkte, was inzwischen in
der Firma vor sich ging. Doch ich war ein sehr genauer Beobachter.
„Henning, ich denke, da läuft was schief in unserem Laden?
„Wie kommst du darauf?“
„Ich weiß nicht, ich habe immer ein ganz merkwürdiges Gefühl, wenn
Robert bei Holger im Zimmer steht. Wann immer ich an Holgers Zimmer
vorbei gehe, stoppt die Unterhaltung. Danach reden beide sehr leise. Da ist
irgendetwas im Gange. Ich bin mir ziemlich sicher.“
„Und was soll das deiner Meinung nach sein?“
„Keine Ahnung im Moment. Aber irgendwie mauscheln die umeinander.
Keine Ahnung, um was es geht, aber es betrifft sicherlich die Firma, sonst
würden sie nicht so ein Geheimnis daraus machen.“
Henning gab zu, auch schon eine Weile das Gefühl zu haben, das Robert
irgendein eigenes Süppchen koche. Deshalb beschlossen wir die Nacht drauf,
der Sache mal auf den Grund zu gehen und öffneten gewaltsam seinen
Schreibtisch. Henning war eigentlich strikt dagegen, so einen Vertrauensbruch
zu begehen. Doch nachdem uns beide dasselbe merkwürdige Gefühl überkam,
war ihm die Tatsache des Vertrauensbruchs nicht mehr so wichtig. Unsere
Umsätze hatten in den vergangenen Monaten eine steile Talfahrt hingelegt. Das
war alleine schon Grund genug für diese Aktion, denn Robert gab Henning nie
eine plausible Erklärung für den Umsatzrückgang. Versprach ihm ständig, ihm
eine Aufstellung zukommen zulassen, die er dann schuldig blieb.
Robert war nur angestellt, und das auch nur inoffiziell, kein Partner der
Gesellschaft also, da er bereits Jahre zuvor mit einer eigenen Zeitarbeitsfirma
pleiteging. Ihm wäre bei offizieller Bezahlung fast alles gepfändet worden, was
er verdiente. Als er Henning irgendwann in einer Bar kennenlernte, überzeugt
er ihn von diesem Geschäft. Doch dabei verfolgte er scheinbar von Beginn an
einen ganz eigenen Plan. Henning war genau wie ich, viel zu gutgläubig und
großzügig, was bestimmte Menschen gut zu nutzen wussten. So auch Robert.
„Schau mal hier, dachte ich es mir schon. Ich hatte also Recht. Er und
Holger kochen hier ihr eigenes Süppchen. Hier schau mal.“
Ich hielt Henning den Kalkulationsordner hin.
„Dieses Schwein, das kann doch wohl nicht wahr sein. Ich beschäftige
ihn hier, bezahle seine Wohnung, sein Auto und der Kerl bescheißt mich. Das
glaube ich jetzt nicht.“
Henning war außer sich vor Wut. Wir zahlten pro Mann und Stunde
fleißig drauf. Mit einigen Firmen traf Robert wohl eine Sondervereinbarung. Er
verfolgte damit ganz eindeutig zwei Ziele, wie sich bald herausstellen sollte.
Zum einen kassierte er schwarz Bonuszahlungen, dafür zahlten die Firmen sehr
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niedrige Kosten für unser gemietetes Personal und wir zahlten pro Mann und
Stunde kräftig drauf. Das zweite Ziel, das er offenbar zielstrebig verfolgte, galt
unsere Firma zu ruinieren, um sie dann für nen´ Appel und nen´ Knopf zu
übernehmen. Ein altbewährtes Mittel für eine feindliche Übernahme.
„Der kann morgen was erleben, ich schmeiße ihn hochkantig raus, diesen
Mistkerl.“
Als Robert am kommenden Morgen zur Arbeit kam, sah er den gewaltsam
geöffneten Schreibtisch und seine Akten auf ihm liegen.
„Was geht denn hier ab?“ fragte er saufrech und provokant, sobald er
sein Büro betreten hatte.
„Ich möchte, dass du deine persönlichen Sachen packst und sofort das
Büro verlässt. Du bist hiermit fristlos entlassen.“
Robert lachte verächtlich. Doch kaum sprach Henning Robert die fristlose
Kündigung verbal aus, bekam Robert Flecken im Gesicht, seine Augen wurden
zu Schlitzen und er drohte Henning unverblümt: „So einfach machst du dir das
nicht, denn das hier ist auch meine Firma. Die Idee stammt von mir und ich
habe dir gezeigt, wie man dieses Business aufzieht. Auch wenn du alles
finanziert hast, aber ohne mich, mein Freund, gäbe es diesen Laden überhaupt
nicht. Du schmeißt mich hier sicher nicht raus, eher verschwindest du hier aus
dem Laden.“
Die Situation schien aus dem Ruder zu laufen. Blitzartig schoss sein Arm
nach vorne. Vollkommen überraschend schlug Robert Henning die Faust so
heftig ins Gesicht, dass Hennings Nase sehr stark zu bluten begann. Robert
zeigte plötzlich sein wahres Gesicht. Und er war gefährlich, denn er besaß den
schwarzen Gürtel in Karate. Alleine diese Tatsache war an sich schon
besorgniserregend. Er gehörte früher mal zu einer auch heute noch
umstrittenen privaten Sicherheitsfirma, den schwarzen Sheriffs. Mit denen war
nicht gut Kirschen essen.
Ich schrie: „aufhören, seid ihr verrückt geworden. Robert hör sofort auf
damit oder ich rufe die Polizei.“
Unsere Sekretärin Fräulein Dietrich stand wie gelähmt mit offenem Mund vor
der Zimmertür. Panik erfasste mich.
„Los, stehen Sie doch nicht so rum, rufen Sie die Polizei an, sofort“,
schrie ich ihr entgegen.
Die beiden Männer waren nicht mehr zu stoppen, es entstand ein heftiges
Handgemenge. Als Robert wieder ausholte, um nach Henning zu schlagen,
ergriff der die Papierschere von Roberts Schreibtisch und stach zu. Aber
Robert schien keinen Schmerz zu empfinden. Bei ihm war so viel Adrenalin
freigeworden, dass er offenkundig null Schmerzempfinden registrierte. Dann
ging alles so schnell, dass ich, obwohl ich direkt daneben stand, nicht mehr
sagen konnte, wie das passierte………………………..
(Einige Absätze weiter)
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Eines Nachts, es war drei Uhr morgens, läutete jemand penetrant an
unserer Haustür im dritten Stockwerk unseres Apartmenthauses gegenüber
dem Olympiagelände.
„Mach bloß nicht auf“, flüsterte Henning mir zu. „Der Scheißkerl hat uns
sicher wieder irgendein Taxi vorbeigeschickt.“ Henning hielt mich fest, da ich
vorsichtig am Spion nachschauen wollte, wer um diese Zeit an unserer Tür
läutete.
„Hoffentlich stehen nicht seine Schlägerfreunde vor der Tür. Wir sollten
nachsehen. Sonst müssen wir sofort die Polizei rufen. Für diese Typen ist es
sicherlich nur ein Kinderspiel, unsere Haustür aufzutreten.“
Ich hatte mehr Angst davor, nicht zu wissen, wer da vor der Tür stand,
als umgekehrt. Robert rief ständig die Taxizentralen an und ließ uns Taxis
schicken. Anfangs bezahlten wir aus Scham die Anfahrtskosten. Doch dann
erklärten wir den Taxifahrern, dass ein fristlos entlassener Mitarbeiter diese
Aktionen gegen uns durchführe, sie sollten sich ihr Geld von ihm holen und
übergaben jeweils den Taxifahrern seine Adresse, in der Hoffnung, dass sie ihm
einmal auflauern würden. Doch als es nun so heftig an der Tür pochte und das
auch noch mitten in der Nacht, überfiel uns echte Panik. Kurz nach Roberts
Taxiaktionen, hatten wir sämtliche Taxizentralen Münchens darüber informiert,
was Fakt war, ihnen die Situation erklärt und sie gebeten, niemals mehr Taxis
an unsere Adresse und Namen zu entsenden.
Doch das Klingeln hörte nicht auf. Es wurden nun sogar noch verstärkt
Fäuste vehement an die Tür gehämmert. Wir hörten, wie Türen der Nachbarn
auf- und sofort wieder zugingen. Das bedeutete nichts Gutes, soviel war sicher.
Wir waren uns nun beinahe sicher, dass Robert tatsächlich seine
Schlägerfreunde vorbeigeschickt hatte. Doch plötzlich ertönte eine energische
Männerstimme:
„Öffnen Sie sofort die Tür, hier spricht die Polizei. Wenn Sie nicht sofort
öffnen, zwingen Sie uns, die Tür gewaltsam zu öffnen“, vernahmen wir eine
sehr lautstarke Aufforderung. Nachts um drei Uhr in einem Betontreppenhaus,
das prima jeden Schall durchs gesamte Gebäude schallen ließ. So schreckte man
nicht nur die Bewohner unseres Hausflurs unsanft des Nachts um drei Uhr
hoch, sondern auch gleich die Leute aus dem Nachbargebäude. Was hatte das
jetzt wieder zu bedeuten? Auf leisen Sohlen huschten wir zur Tür, um
vorsichtig durch unseren Spion in der Haustür zu linsen. Tatsächlich, dort
standen vier schwerbewaffnete uniformierte Polizeibeamte, die aussahen, als
kämen sie von einem anderen Planeten und einige Herren in Zivil, die zwar
nicht nach einer Schlägertruppe aussahen, denen man aber sicherlich auch nicht
unbedingt im Dunkeln begegnen wollte. Noch immer ängstlich, ja beinahe
panisch, öffnete ich vorsichtig einen Spalt die Tür, mit vorgelegter Kette
natürlich. Mein Blutdruck schien in dieser Sekunde in den Keller zu rauschen,
ich fürchtete, jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren.
„Was wollen Sie hier mitten in der Nacht“
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„Öffnen Sie sofort die Tür oder Sie zwingen uns, die Tür aufzubrechen.“
Kaum hatte ich die Kette entfernt, um die Tür zu öffnen, wurde sie im gleichen
Moment sehr unsanft aufgestoßen. Eine sieben Mann starke Truppe stürmte
mit Maschinengewehren die Wohnung, wobei ein Beamter mich brutal beiseite
stieß, dann richtete ein anderer Beamter sein Gewehr auf uns. Wir waren wie
gelähmt……………………………
Ende der Leseprobe aus der Rückblende.
Leseprobe 3
7. Überraschung (ich hasse Überraschungen)
Inzwischen waren viele Monate vergangen, als ich aus verschiedenen
Gründen Frankreich für eine Weile verließ und mir ein Haus in Deutschland
mietete. Ich musste Abstand gewinnen. Henning lebte inzwischen im Sommer
in Pittsburgh USA und die Wintermonate verbrachte er nach wie vor auf
seinem Schiff in der Karibik.
Es geschah ein einem wundervollen Morgen. Der Morgentau hatte sich
gelichtet und die Sonne ließ sich nach wochenlangem Dauerregen endlich
wieder einmal blicken. In den vergangenen Schlechtwetterwochen mit extremen
Sturmböen, hatte sich eine Menge Müll in meinen Garten verirrt, den ich
gerade einsammelte, als dieser Anruf mich aufschreckte. Es war ja noch so früh
am Morgen. Kein normaler Mensch würde ohne Not so früh andere Leute
anrufen. Automatisch zuckte ich zusammen, da das Klingeln abrupt meine
Gedanken und Selbstgespräche, die ich gerade wieder einmal führte,
unterbrach. Mein Gott, wer ruft mich denn so früh am Morgen an, seltsam, dachte ich
noch, während ich den Müllsack aus meiner Hand gleiten und auf den Rasen
fallen ließ.
Mein erster Gedanke war, es muss etwas passiert sein. Wenn mich
jemand zu so früher Morgenstunde anrief, bedeutete das zweifelsfrei nichts
Gutes. Allenfalls etwas, das keinen Aufschub duldete. Deshalb ließ ich sofort
alles stehen und liegen und lief in Richtung Wohnzimmer. Jetzt war Eile
geboten. Denn war ich nicht schnell genug, quasselte mir die freundliche
Stimme des Anrufbeantworters dazwischen. Da die Betriebsanleitung offenbar
von einem koreanischen Legastheniker übersetz wurde, wie man in solchen
Fällen scherzhaft zu sagen pflegt, gelang es mir bis zum Kauf eines neuen
Gerätes nicht heraus zu finden, wie ich ein Gespräch auch nach dem fünften
Klingelton noch annehmen konnte, ohne von der elektronischen Stimme des
Anrufbeantworters unterbrochen zu werden. Bis zu dem Tag, an dem ich es
vertrauensvoll meiner Mülltonne anvertraute, lieferte ich mir regelmäßig mit
diesem Teil ein Wettlaufen. So auch an diesem Morgen. In letzter Sekunde
erreichte ich den Apparat und riss hastig den Hörer an mich. Huch, das war
knapp. Noch vollkommen außer Atem hauchte ich „hier Porter“ in die Muschel,
während Wassertropfen von meinen Füßen auf das Parkett kullerten. Eine
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Gänsehaut überzog meinen gesamten Körper, weil mir plötzlich saukalt wurde.
Meine nassen Füße verwandelten sich schlagartig in Eisklötze.
„Hier auch Porter“, schallte es mir wie ein Echo entgegen. Danach folgte
eine Pause. Im ersten Augenblick war ich total konfus. Ich hatte mich sicher
nur verhört. Deshalb fragte ich die Anruferin:
„Wie bitte, wieso auch Porter?“ Die Leitung schien plötzlich tot zu sein.
„Wer ist denn da?“
Ein unbestimmtes Gefühl sagte mir, dass noch jemand in der Leitung war.
Dann drang ein leises Atmen an mein Ohr. Erlaubte sich hier jemand so früh
am Morgen einen Scherz mit mir?
„Hallooo? Was soll der Unfug? Wer ist denn da?“
Mir war in dieser Sekunde absolut nicht bewusst, wer die Dame sein konnte.
Die Stimme klang mir nicht sehr vertraut. Als ich gerade auflegen wollte, schien
die Anruferin ihre Sprache wiedergefunden zu haben.
„Welche Porter, welche Porter, was ist das denn für eine Frage?“
entrüstete sie sich.
Es durchfuhr mich wie ein Stromschlag. Eine gewaltige Hitzewelle
breitete sich schlagartig in mir aus. Sofort hämmerte mein Herz so heftig, dass
es mir den Atem raubte. Überraschung! Schlagartig wusste ich wieder, weshalb
ich Überraschungen hasst e.
Augenblicklich hörte ich mein Blut in meinen Ohren rauschen, wie das
Wasser eines Wildbachs. Mein gesamter Körper schien in Aufruhr geraten. War
das möglich, dass sie mich tatsächlich anrief, auch noch hier in meinem neuen
Zuhause, hier in Deutschland? Das nach all den Ereignissen? Nach all den
Jahren der absoluten Funkstille? Doch diese typisch schnippische Art ließ
keinerlei Zweifel zu. Und im gleichen Moment, da mir bewusst wurde, wer
mich so früh am Morgen anrief, läuteten zeitgleich meine Alarmglocken. Beim
Klang ihrer Stimme sah ich sie direkt wieder vor meinem geistigen Auge, als sei
es erst gestern gewesen. Dabei waren seither Jahre, viele Jahre ins Land
gestrichen. Und trotzdem war es noch immer präsent, als sei es erst kürzlich
gewesen. Wie sie damals in das Café hereinstolziert kam, durchgestylt und
aufgebrezelt wie ein Mannequin. Glasklar sehe ich jetzt das Bild wieder vor mir,
wie sie mit ihrem eleganten kurzen roten Bouclé Blazer ins Café kam, den
auffallend edle schwarze, fein geschliffene und leicht gewölbte Glasknöpfe
zierten, die im Schein der Lichter wie Diamanten funkelten. Und wir bekamen
eine Ahnung über den Kaufpreis, den sie dafür hingeblättert haben musste.
Schließlich war es das letzte Bild von ihr, das sich mir in mein Gedächtnis
einbrannte. Darunter trug sie eine schwarze Bluse. An ihrem Hals erkannte ich
meine Goldkette mit einem in einer ovalen Goldfassung eingefassten Jadestein
wieder, die ich mir einst aus Hong Kong mitbrachte. Dazu trug sie eine eng
anliegende schwarze Hose von Rosner, die ihre sehr schlanke Figur ins rechte
Licht rückte. Ihre langen dunkelbraunen Haare glänzten im Schein des
einfallenden Sonnenlichts wie nasses Herbstlaub in verschiedenen rötlichen
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Farbtönen und schienen frisch geschnitten zu sein. Man hätte glauben mögen,
ein berühmter Star habe sich nur im Café geirrt. Während sie sich suchend im
Café zur Uni nach uns umschaute, warf sie einige Male ihr langes Haar gekonnt
mit einer eleganten Handbewegung über ihre Schulter zurück. Unter ihrem
rechten Arm eingeklemmt, verbarg sich eine schwarze sackähnliche Handtasche
aus feinstem Leder. Nicht einmal ich selbst leistete mir solche teuren
Klamotten oder Handtaschen.
Sie zog eine echte Show ab. Die Aufmerksamkeit vieler Gäste war ihr
sicher. Überhaupt schien sie ihren grandiosen Auftritt zu genießen. Es fehlte
eigentlich nur noch der Applaus der Cafébesucher. Dann entdeckte sie uns in
einer Nische am Fenster. Mit leicht schwingenden Hüften, als befände sie sich
auf einem Laufsteg, einem Gesichtsausdruck, schrecklich verbissen und
arrogant wie Sauerampfer, schritt sie auf uns zu. Alles glich dem Stil eines
dieser neuen Mannequins, bei denen man immer das Gefühl hat, als hätten sie
gerade in eine Zitrone gebissen. Als sie vor unserem Tisch zum Stehen kam,
schaute sie herausfordernd und verachtend zwischen Henning und mir hinund her. Sie begann nervös mit ihren künstlichen Fingernägeln die Tischplatte
zu bearbeiten. Ihr Gesichtsausdruck brachte uns beide schon auf die Palme.
Provokant fragte sie: „Ihr wolltet mich sprechen. Also, hier bin ich, was gibt es
so Wichtiges? Ich hab´ nicht viel Zeit.“
Uns stockte der Atem! Sie, die Studentin sprach mit uns, als sei sie eine
vielbeschäftigte Managerin, die von einem ihrer Untertanen gestört wurde. Wir
kamen extra aus Südfrankreich nach Düsseldorf geflogen, um mit ihr über
einige grundsätzliche Dinge zu sprechen, darüber, dass sie den Bogen ihrer
Eskapaden bei weitem überspannte, das Maß inzwischen mehr als voll war.
Und sie faselte davon, sie habe nicht viel Zeit für uns.
„Setz dich bitte und verschone uns mit derlei Dummgeschwätz. Ich fasse es
nicht, liebes Kind, alles was du trägst bezahlen wir, alles wovon du lebst
bezahlen wir, das Auto, das du fährst, bezahlen wir, inklusiv sämtlicher
Nebenkosten, wir bezahlen deine Wohnung plus Nebenkosten, dein Telefon,
einfach alles und du meinst, du hättest nicht viel Zeit für uns?“
Hennings Blick verdunkelte sich und auch mir fiel es weiß Gott schwer,
in diesem Moment ruhig auf meinem Platz zu bleiben. Denn ihr Auftritt war
mehr als grotesk und affig dazu. Einige der anwesenden Gäste schauten jetzt
leicht irritiert zu unserem Tisch herüber. Andere schüttelten den Kopf,
warteten wohl darauf, was passieren würde. Endlich kam mal etwas Schwung in
die ansonsten sehr dezenten Unterhaltungen der älteren Gäste, deren Tonlagen
verdammt an eine Trauergemeinde erinnerten. An diesem Tag eskalierte alles.
Ich sehe die gesamte Szene wieder vor mir, wie ein Theaterstück, das ich mir
zum zweiten Mal anschaue. Wie ein Déjà-vu Erlebnis. Nun rief sie mich nach
Jahren der Funkstille in meinem neuen Zuhause an. Ich spürte sofort, wie mich
meine Beklemmungsgefühle wieder in den Würgegriff nahmen, an denen ich
beinahe zu ersticken drohte. Mit einem großen Paukenschlag bahnten sich
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meine bereits verblasten Erinnerungen wieder den Weg an die Oberfläche, als
hätten die Jahre der Funkstille nie existiert. Schon ihr Tonfall verriet mir
augenblicklich, dass ihr Anruf, auch noch um diese Uhrzeit, mir den Tag
versauen würde. Ich überlegte: Von wem hatte sie wohl meine neue Telefonnummer
bekommen? Und durch wen hatte sie erfahren, dass ich nicht mehr in Frankreich lebe? Nicht
einmal Henning weiß es bis heute…………………………………..
(Einige Absätze weiter)
Eine seltsame Spannung, die sich über Jahre aufgestaut hatte, lag plötzlich
wieder in der Luft und zwischen uns, als könne man die Luft geradezu knistern
hören. Wie eine gefährliche Gaswolke, der nur ein winziger Funke fehlte, um zu
explodieren. Obwohl so viele Jahre seit unserem großen Krach verstrichen
waren, spürte ich diese starke Spannung zwischen uns, die nur darauf wartete,
sich mit voller Wucht entladen zu können. Zu viele Dinge blieben damals
unausgesprochen, wurden nie geklärt. Wir gingen im Zorn auseinander. Sollte
ich mich nicht eher über diese neue Kontaktaufnahme freuen? Über diesen
winzigen Funkenschimmer am sonst schwarz grauen Beziehungshimmel? Doch
sie, mein einziges Kind, war mir inzwischen längst fremd. Diese schmerzliche
Erkenntnis war erschreckend und ernüchternd zugleich. Mein Selbstschutz war
schon vor langer Zeit aktiv geworden. Hunderttausend Gedanken rasten gerade
in Schallgeschwindigkeit durch mein Gehirn, als Tatyana meinen
Gedankenfluss je unterbrach…………………
(Zwei Kapitel weiter)
9. Böses Erwachen
„Mama, ich brauche dringend deine Hilfe!“ erklang es beinahe wie ein
Befehl. Kaum hatte Tatyana diesen Satz ausgesprochen, riet mir meine innere
Stimme, sofort aufzulegen. Doch meine Neugier war bedauerlicherweise wieder
einmal größer als der Wunsch, mich vor neuen Enttäuschungen zu schützen.
Manches Mal denke ich, dass in mir ein kleiner Masochist haust.
„Du rufst MICH an, um ausgerechnet MICH um Hilfe zu bitten?“
„Mama, es ist wirklich sehr dringend. Ich hätte dich sonst nicht
angerufen, wenn es nicht so wichtig wäre.“
Typisch Tatyana, sie macht nicht lange Umwege, sondern kommt direkt gleich zur Sache,
überlegte ich. Selbst nach Jahren der Funkstille. Nur keine Zeitverschwendung mit
jedweden Höflichkeitsfloskeln wie, - wie geht es dir? Nett mal wieder deine Stimme zu hören?
– oder - tut mir leid, dass ich so gemein zu dir war nach allem….- oder vielleicht etwas
wie: - Es tut mir so leid, dass ich euch so viel Kummer bereitete. Tut mir echt leid, dass ich
mich euch gegenüber wie ein Chauvinist benahm. Es war nicht fair, wie ich mich euch
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gegenüber verhielt -. Es wäre auch eine schöne Geste gewesen zu sagen: Ich würde
gerne wieder etwas gut machen wollen.
Irgendetwas in dieser Art wäre doch wohl das Mindeste gewesen, was ich von
meiner Tochter erwarten durfte, wenn sie mich nach allem, was geschehen war
und nach all den vielen Jahren ohne jeglichen Kontakt, das erste Mal wieder
kontaktierte, gnädigerweise mit mir sprechen wollte. Schließlich hatten nicht
wir die Kommunikation zwischen uns verstummen lassen, sondern sie. Und
letztendlich hatte nicht ich mir eine neue Tochter gesucht, sondern Tatyana
sich eine neue Mutter.
Ich musste unwillkürlich an eine Mail denken, in der ich ihr einige Jahre
zuvor schrieb, dass ihr Vater einen Schlaganfall hatte und sie gerne wieder
einmal sehen und sprechen würde. Er befürchtete, es könnte eines Tages
vielleicht zu spät dafür sein. Ich schrieb ihr, dass ihr Vater und ich uns
inzwischen getrennt hatten, was sie natürlich längst wusste, wie ich zu meiner
Verwunderung feststellte. Inzwischen kommunizierten Henning und ich wieder
miteinander, wenn auch auf Sparflamme. Nachdem er damals auf sein Schiff in
die Karibik ging, versuchte ich noch ein paar Male, unsere Ehe irgendwie zu
retten. Dabei war mir lange bewusst, dass es für uns kein Happy End mehr
geben wird. Denn nach allem was geschehen war, nach all dem Gesagten, nach
all den Lügen, die er mir ständig auftischte, war das Vertrauensverhältnis ein für
alle Mal zerstört. Ich weiß überhaupt nicht, wieso ich noch versuchte, an dieser
Ehe irgendetwas retten zu wollen. Manchmal ist man einfach nur töricht. Also
flog ich mit Freunden acht Wochen später nach Martinique, wo wir uns in einer
traumhaften Bucht mit schneeweißen Stränden und dem typisch karibischen
türkisfarbenen Wasser von Saint Anne treffen wollten.
„Ich werde eine Woche nach deiner Ankunft in Martinique sein“, schrieb
er mir, nachdem ich ihm mitteilte, dass ich zirka vier Wochen in Martinique
sein werde und ihn gerne sehen wolle.
„Ich habe gut zahlende amerikanische Honeymoon-Gäste an Bord, die
nach Martinique segeln wollen. Ich melde mich, sobald ich in die Bucht von
Saint Anne einlaufe. Dann können wir was vereinbaren. Ich freue mich. Bis
bald, Henning“
Er kam nie an, hatte auch nie zahlende Gäste an Bord, sondern, wie ich von
anderen Seglerfreunden später erfuhr, eine neue Freundin, eine Kanadierin. Nix
mit zahlenden Honeymoon-Pärchen. Wieder eine Lüge. Doch irgendwie
konnte ich ihm nicht mehr böse sein. Denn das war nicht mehr mein
Henning.…………………
(Einige Absätze weiter)
Und nun dieser Anruf nach all den Geschehnissen und Jahren der
Funkstille, um ausgerechnet MICH um Hilfe zu bitten?.
„Wichtig für wen?“ frage ich etwas ungehalten.
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„Ich denke mir schon, dass du mir nicht nach so vielen Jahren Funkstille
diese Ehre gewährst, wenn es nicht einen wichtigen Grund für dich gäbe!“
„Ja sorry, ich weiß, ich habe mich dir gegenüber all die Jahre nicht fair
verhalten, Anna.“
Meine Tochter nennt mich seit unserem großen Streit nur noch bei meinem
Vornamen, auch wenn sie vor anderen Leuten über mich spricht. Das Wort
Mama kam ihr seit jenem Tag in Düsseldorf, als ihr Vater und ich uns mit ihr
zu einer ernsten Aussprache im Café zur Uni trafen, wo alles eskalierte, nie
mehr über die Lippen. Diese Tatsache hat mich jedoch nie wirklich gestört. Im
Gegenteil. Wenn sie mich aber plötzlich wieder mit Mama ansprach, steckte sie
mit Sicherheit einmal mehr in ernsten Schwierigkeiten.
„Nicht fair verhalten?“ entrüste ich mich, weil sich augenblicklich meine
anfängliche Freude und Überraschung in Zorn verwandelt, „das ist eine
ziemlich freundliche Umschreibung für all das, was du, meine einzige Tochter,
MIR angetan hast, mir, deiner Mutter. Wirklich eine sehr starke Untertreibung,
mein liebes Kind. Was willst du von mir? Was soll ich wieder für dich tun? Soll
ich dieses Mal deinen Freund für dich aus dem Weg räumen?“
„Mama, jetzt wirst du geschmacklos.“
„Mag sein, aber ich kann ihn heute genau so wenig leiden, wie damals.
Alleine der Gedanke an diesen Schmarotzer, weckt sehr schlechte
Erinnerungen, wie du dir sicher vorstellen kannst.“
Sie überhörte natürlich geflissentlich diese Bemerkung und setzte ihr Gespräch
stattdessen unbeirrt fort, mit dem seit vielen Jahren nicht mehr aus ihrem Mund
vernommenen Wort Mama, was mich sehr irritierte. Meine Alarmsensoren und
mein Abwehrsystem rebellierten und obwohl sich alles in mir gegen diese
Unterhaltung sträubte, legte ich nicht den Hörer nieder, was ich wohl besser
getan hätte.
„Mama, ich brauche dringend deine Hilfe, deine Unterstützung.“
Nun folgte eine Pause. Das sollte wohl ihrem Hilferuf mehr Bedeutung
verleihen. Oh Gott, ich hatte es fast befürchtet, dass sie mich nur deshalb anrief, weil sie
wieder einmal dringend meine Hilfe benötigte, wofür auch immer. Aber das würde ich wohl
gleich erfahren.
„Ich will mich endgültig von Martin trennen.“
Aha, da lag der Hund begraben. Und wieder machte sie eine kleine Pause, um
diesen Satz auf mich wirken zu lassen. Sie wusste nur zu genau, wie sehr ich
diesen Kerl verabscheute. Vielleicht erwartete sie jetzt eine Art Freudenschrei
von mir. Doch ich sagte nur:
„Na, dann tue es doch einfach. Dafür benötigst du sicherlich nicht
meinen Segen, den hättest du dann schon vor Jahren bekommen können.“
„Mama bitte, es ist auch so schon schwer genug für mich, mit dir darüber
zu sprechen, bitte unterlasse doch einfach deine spitzen Bemerkungen.“
Aber genau das fiel mir in diesem Moment unsagbar schwer. Jahrelang wollte
sie nichts mehr mit mir zu tun haben, behandelte mich wie ihren allergrößten
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Feind. Ich hatte als Mutter ausgedient und nun ruft sie mich an, nur weil sie
irgendeine Hilfestellung von mir braucht. Was glaubt dieses Kind eigentlich,
wer ich bin? Sei nicht dumm, leg auf, ermahnte mich erneut meine innere Stimme,
sie will nichts persönlich von dir, du bist ihr nach wie vor scheißegal, drum leg auf!,
versuchte mich meine innere Stimme zu warnen.………………….
(Nun folgt ein Auszug aus einer Rückblende aus Tatyanas Kindheit)
16. Böser Opa und der Tod
Im Alter von acht Jahren wollte Tatyana wissen, wieso sie eigentlich keinen
Opa hat.
„Wieso habe ich überhaupt keinen Opa? Alle meine Freunde haben Omas
und Opas, die sie verwöhnen, nur ich habe keinen einzigen Opa, wieso
eigentlich nicht?“
„Weißt du Tatyana, mein Vater, also dein Opa ist kein sehr freundlicher
Mensch. Ganz im Gegenteil. Dein Opa und ich sprechen schon seit vielen
Jahren kein Wort mehr miteinander, weil er immer böse zu mir war“, versuchte
Henning Tatyana eine Erklärung zu liefern. Fünfundzwanzig Jahre vermied
Henning beinahe jeglichen Kontakt mit seinem Vater. Auch so eine typische
Vater-Sohn-Beziehung.
„Aber nur weil du böse mit deinem Papa bist, muss ich doch nicht auf
meinen Opa verzichten. Das ist nicht fair. Ich habe doch nichts mit euren
Problemen zu tun. Ich bin ein Kind, ich bin sein Enkelkind! Wieso darf ich
nicht mit meinem Opa sprechen? Wieso nicht?“
Tatyana wurde zornig und war kurz davor in einen Weinkrampf zu geraten.
Sie brüllte uns förmlich an, dass sie aber mit ihrem Opa Kontakt haben will,
egal, wie wir zu ihm stünden.
„Das Problem ist nur, meine süße kleine Tatyana“, begann Henning
vorsichtig mit seiner Erklärung, „dass dein Opa aber nichts von dir wissen will,
weil du ein Mädchen bist.“
Sie schaute uns mit einem trotzigen Gesichtsausdruck an, ihre Blicke
wechselten ständig zweifelnd zwischen mir und ihrem Papa hin und her.
„Das glaube ich euch nicht“, schrie sie uns plötzlich an, „ihr seid alleine
Schuld daran, dass ich keinen Opa habe (mein Vater war ja bereits seit Jahren
Tod), nur weil ihr euch mit ihm gezankt habt, das finde ich ganz gemein von
euch. Ich will sofort mit meinem Opa sprechen. Ich glaube euch das nicht, dass
er mich nicht sehen will, nur weil ich ein Mädchen bin. Das ist doch egal, ob
ich ein Mädchen oder ein Junge bin.“
„Leider nein mein Schätzchen, dein Opa will dich nicht kennen lernen, weil
er sich einen Namensnachfolger wünschte, also einen Enkelsohn und keine
Enkeltochter. Ich sagte dir ja, dass dein Opa kein angenehmer Mensch ist und
auch niemals war. Glaube mir, das hat nichts mit mir oder deiner Mutter zu tun.
Gar nichts. So ist dein Opa nun einmal, ein böser Mensch.“
„Du lügst Papa, der weiß bestimmt nicht einmal, dass es mich überhaupt
gibt. Ihr wollt nur verhindern, dass ich meinen Opa kennenlernen kann.“
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Nun rollten schon die ersten Tränchen und wir nahmen sie in unsere Mitte,
um sie zu trösten. Doch sie stieß uns zornig von sich, weil sie uns nicht glauben
wollte. Wenn ich heute so darüber nachdenke, war sie eigentlich immer schon
selbstgerecht und selbstgefällig, auch schon als kleines Kind. Dieser Martin
brachte das Fass nur zum Überlaufen.
„Dein Opa weiß sehr wohl dass es dich gibt. Er bekam, genau wie alle
anderen Familienmitglieder eine Geburtsanzeige, auf die er sehr unverschämt
reagierte. Aber das erzähle ich dir später vielleicht einmal.“
„Wieso, was hat er denn zu meiner Geburt gesagt?“
„Nichts Nettes. Aber wenn du gerne mit deinem Opa selbst sprechen
möchtest, dann gebe ich dir, sobald du ausgeweint hast, die Telefonnummer
deines Opas und du kannst ihn anrufen. Bin selber gespannt, wie er auf dich
reagieren wird.“
Henning suchte nach seiner Telefonkladde und fand wenige Minuten später
die Nummer seines Vaters. Tatyana hatte sich wieder etwas beruhigt und war
nun finster entschlossen, der Sache selbst auf den Grund zu gehen. Sie wollte
ihren Opa zur Rede stellen. Ich dachte so für mich, na, wenn das mal gut geht.
Denn auch ich musste mir einige Unverschämtheiten dieses Mannes anhören,
bis mir der Kragen platzte und ich ihm einen wortgewaltigen Brief schrieb, der
ihn sehr verletzte und sehr aufregte. Ziel erreicht. So ein Brief war mehr als
überfällig gewesen. Denn Hennings Schwester betrieb jahrelang ein ganz mieses
Intrigenspiel und sein Vater wusste es, ließ sie jedoch gerne gewähren. Meine
Schwägerin erfand ständig irgendwelche Lügen über ihren Bruder, der ja so
weit entfernt lebte und sich nicht dagegen wehren konnte, nur um innerhalb
der Familie zu Punkten. Sie war ihr ganzes Leben lang eifersüchtig auf ihren
kleineren Bruder, weil sie ihr eigenes Leben überhaupt nicht in den Griff
bekam. Ihre Eifersuchtsattacken begannen schon in frühester Kindheit. Mit
dreieinhalb Jahren, versuchte sie einmal ihren kleineren Bruder im Bettchen mit
seinem Kissen zu ersticken.
Meine Schwiegermutter wollte nach Henning schauen, als sie ihre Tochter
noch rechtzeitig vom Bett wegreißen konnte. In allerletzter Sekunde vermochte
sie Schlimmeres zu verhindern. Zu ihrer Geburt kam ihr Vater nicht von der
Front aus dem Krieg zurück. Er war Kriegsberichterstatter und hatte relativ
viele Reisefreiheiten. Als er erfuhr, seine Frau habe eine Tochter zur Welt
gebracht, war er außer sich vor Wut. Damals wusste man es nicht besser, als
den armen Frauen die Schuld daran zu geben, ob ein Mädchen oder Junge, ob
das Kind lesbisch oder schwul zur Welt kam. Irgendwann kam er nach Hause,
würdigte seine Tochter kaum eines Blickes und schlief mit seiner Frau, die er,
wie sich später heraus stellte, nicht liebte, die er nur heiratete, um einen
gesunden Erben zu bekommen. In der Familie seiner ganz großen Liebe, die
von allen später Tante Annemarie genannt wurde, gab es eine Erbkrankheit, die
hauptsächlich die männlichen Nachkommen betraf. Sie wurden geisteskrank
und landeten nicht selten im Alter von zirka dreißig bis vierzig Jahren in
irgendwelchen Psychiatrien. Deshalb durfte Hennings Vater auf gar keinen Fall
Kinder mit der Frau zeugen, die er wirklich liebte. Doch Tante Annemarie
brachte es am Ende auch nicht das Glück, von dem sie zuvor träumte……….
Zurück zum Anruf bei Hennings Vater.
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Tatyana wählte die Nummer ihres Opas, der sich kurz darauf wie ein General
mit strenger Stimme meldete, die seine Herrschsüchtigkeit zweifelsfrei
erkennen ließ.
„Porter“, erschallte es laut und klar aus dem Hörer. Tatyana zuckte
zusammen, als habe man sie fürchterlich erschreckt. Im nächsten Moment
wurde sie steif wie ein Brett, ihr wich jede Farbe aus dem Gesicht. Der Tonfall
ihres Großvaters hatte sie so sehr eingeschüchtert, dass sie vor Schreck kein
einziges Wort heraus brachte.
„Wer ist denn da“, herrschte diese Stimme Tatyana an, die nun all ihren
letzten Mut zusammenraffte und mit piepsiger Stimme sagte: „Hier ist auch
Porter, deine Enkeltochter.“
Endlich war es heraus und Tatyana erhoffte sich nun wohl eine freudige
Begrüßung. Stattdessen brüllte ihr Opa in den Hörer, „na und, und weiter?“
Sie begann zu schluchzen, Tränen rannen die kleinen faden Kinderwangen
herunter, dann vernahmen wir ein lautes Knacken. Ihr Opa hatte den Hörer
einfach niedergeknallt.
„Ich will nie wieder etwas mit diesem bösen Opa zu tun haben“, schrie sie
in den Raum, dann floh sie in Hennings Arme und weinte so sehr, dass ihr
kleiner Körper sich schüttelte. Sie weinte den ganzen Abend und war kaum
noch zu beruhigen. Später, als wir sie zu Bett brachten, erzählten wir ihr noch
eine ausgedachte Fortsetzung der kleinen Pixibuchgeschichte, „Hilda, der
Putzteufel“, die sie so liebte. Irgendwann schlief sie ein und wir schlichen uns
wie Diebe aus ihrem Zimmer. In dieser Nacht ließen wir das Licht im Flur
brennen, weil wir befürchteten, sie würde höchstwahrscheinlich irgendwann in
der Nacht wach werden und zu uns ins Bett schleichen.
Nur ein Jahr später war mein Schwiegervater bereits bettlegerich. Er
erkrankte an Leberkrebs und da die Krankheit zu spät entdeckt wurde, weil er
weder Priester noch Ärzte an sich heran ließ, war es für eine Operation zu spät.
Hennings Schwester, aber unverschämterweise auch meine Schwiegermutter,
schienen verhindern zu wollen, dass Henning etwas von der tödlichen
Krankheit seines Vaters erfuhr. Wir wunderten uns sehr über den unerwarteten
Besuch meiner Schwiegermutter, den sie sehr kurzfristig ankündigte. So etwas
war ganz und gar nicht ihre Art……………..
Da er nur noch fünfundfünfzig Kilo wog, kaum noch etwas Essen konnte,
auf medizinische Hilfe und Hauspflege angewiesen war, versuchte er eines
Tages seine Tochter zu erreichen. Schließlich vermachte er ihr das gesamte
Vermögen, also hatte sie gefälligst die letzten Tage oder eventuellen Wochen an
seinem Krankenbett zu sitzen.
„Das sollte dir dein Erbe schon wert sein“, gab er ihr unmissverständlich zu
verstehen.
Sie reiste tatsächlich zwei Tage später an. Aber nicht, um ihrem Vater bis zum
letzten Atemzug zu Diensten zu sein. Sie hatte anderes mit ihm vor.
Als die treue Magda (Haushälterin meines Schwiegervaters), die ja in
unmittelbarer Nähe in einem Dienstbotenhaus lebte, ihren Wagen vorbei
fahren sah, wurde sie neugierig, zu neugierig. Magda war eine sehr liebenswerte
und herzensgute Person, die für jede nur erdenkliche Situation immer eine
kluge Lebensweisheit bereithielt. Kaum das sie das Haus meines
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Schwiegervaters erreichte, kletterte sie rasch auf einen Stein unterhalb des
Schlafzimmerfensters, um heimlich das Gespräch zu belauschen. Leider waren
die Steine um das Haus herum mit einer dünnen Moosschicht überzogen. Und
so kam es wie es kommen musste. Magda rutschte ab, fiel mit ihrem massigen
Körper zu Boden, sodass der Aufprall noch im ersten Stockwerk, im Zimmer
meines Schwiegervaters zu hören war. Sie jammerte schrecklich, denn ihr Arm
war gebrochen. Als mein Schwiegervater ihr Gejammer vernahm, schrie er
durch das Zimmer: „Was hat dieses verdammte Frauenzimmer dort draußen
vor dem Fenster zu schaffen? Wolltest du uns belauschen?“ ertönte seine
zornige Stimme aus dem offenen Fenster seines Fachwerkhauses.
„Seit wann hast du das nötig? Komm gefälligst ins Haus, wenn du etwas
sagen willst“, herrschte er sie weiter aus der ersten Etage an. Meine Schwägerin
rief einen Notarzt an, der die Haushälterin ins Krankenhaus fuhr. Sie bekam
dort einen wunderschönen Gipsarm verpasst. Später holte sie ihr Ehemann von
dort ab. Doch Magda hatte einiges gehört, was keinen Aufschub mehr duldete
und entschiedenes Handeln erforderte. Hier war jetzt rasch Eigeninitiative
angesagt. Sie nahm ihr Telefon zur Hand und rief bei uns im Schwabenländle
an. Auch wenn sie ihren kleinen Henning so viele Jahre nicht mehr sah, auf ihn
ließ sie nichts kommen.
„Porter, guten Tag“, meldete ich mich, als ich den Hörer abnahm.
„Hallo, ich bin Magda, de Haushälterin Ihret Schwiejervatters. Sind Se de
Anna, dem Henning sinn Fru“ fragte mich diese sonderbare Frau. Ich wusste
im ersten Moment gar nichts mit ihr anzufangen. Prompt fiel mir auf, wie
seltsam konzentriert sich meine Schwiegermutter verhielt, die in unserem
Schaukelstuhl saß, um einen bunten Pullover für unsere Tochter zu stricken. Sie
ließ mich seit ihrer unerwarteten Ankunft in unserem Hause nicht mehr aus
den Augen. Überhaupt benahm sie sich äußerst seltsam. Obwohl wir nie die
besten Freunde waren, suchte sie nun ständig meine Nähe. Als das Telefon
läutete, stoppten augenblicklich ihre Stricknadeln. Ein Gefühl signalisierte mir,
den Namen der Anruferin besser nicht zu erwähnen.
Ende Leseproben
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