Gesundheitliche Risiken durch Schichtarbeit?

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Gesundheitliche Risiken durch Schichtarbeit?
Aus der Forschung
Gesundheitliche Risiken durch Schichtarbeit?
Eine Übersicht der aktuellen Literatur
Volker Harth, Dirk Pallapies, Beate Pesch, Georg Johnen, Sylvia Rabstein, Monika Raulf-Heimsoth, Peter Welge, Thomas Brüning
Krebserkrankungen, insbesondere der Brust, haben als eine mögliche gesundheitliche Folge von Schichtarbeit
besondere Aufmerksamkeit erlangt, seitdem die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) im Jahre 2007
Schichtarbeit, die mit zirkadianen Störungen einhergeht, als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ eingestuft hat. Die Frage, ob Schichtarbeit, insbesondere Nachtschichtarbeit, zur Krebsentstehung beiträgt, ist bislang
nicht hinreichend geklärt. Für die Prävention ist es entscheidend, die Arten von Schichtsystemen zu identifizieren,
die sich nicht nachteilig auf die Gesundheit auswirken.
Aktuell arbeiten in Deutschland etwa 17 Millionen Erwerbstätige
in einer Form von Wechselschichtsystemen. Allein 2,5 Millionen in
Nachtschicht, davon 600 000 Frauen und 1,9 Millionen Männer (1).
Durch die Zunahme des Dienstleistungssektors und die Aufhebung
des Nachtarbeitsverbots stieg die Anzahl der erwerbstätigen Frauen
in Nachtschicht seit der Wiedervereinigung um 35 Prozent an, wobei
Arbeitsmarktforscher mit einer weiteren Zunahme rechnen.
Schichtarbeiter, insbesondere Nachtschichtarbeiter, die tagsüber
schlafen, leiden oft unter Schlafstörungen, da ihr Tagesrhythmus
weiterhin zu einem großen Teil von Faktoren wie Tageslicht sowie
sozialen und familiären Kontakten bestimmt wird. Der Schlaf am
Tage ist kürzer, störanfälliger, nicht so tief und somit insgesamt
weniger erholsam. Dies kann die Gesundheit des Arbeitnehmers
in verschiedener Hinsicht beeinträchtigen. Schlafstörungen führen
auch zu einer Reihe von unspezifischen gesundheitlichen Effekten, zu denen neben Konzentrationsschwäche, Nervosität und vorzeitiger Ermüdung auch Appetitlosigkeit und Magenbeschwerden
gehören. Verschiedene epidemiologische Studien geben Hinweise auf eine Beteiligung von Schichtarbeit an der Entstehung von
Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychischen Störungen. Bei der
Beurteilung der Ursachen erhöhter Gesundheitsrisiken von Schicht-
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arbeitern müssen als wesentliche Einflussgrößen jedoch auch der
soziale Status der Arbeitnehmer und die damit assoziierten Risikofaktoren (insbesondere Zigarettenrauchen und Übergewicht)
sowie die familiäre Situation berücksichtigt werden.
Neben diesen bekannten Problemen wird aktuell noch eine weitere Gesundheitsgefahr diskutiert: der mögliche Zusammenhang
zwischen Schichtarbeit und Krebserkrankungen, insbesondere
Brustkrebs. Dieses Thema rückte in den Fokus, als die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) im Jahre 2007 Schichtarbeit, die mit zirkadianen Störungen einhergeht, als „wahrscheinlich
krebserregend beim Menschen“ einstufte (2).
Brustkrebs und Nachtarbeit – die Epidemiologie
Die IARC bewertete die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen
Schichtarbeit und Krebs anhand der epidemiologischen Daten
bislang nur als beschränkt. Als wichtigstes Zielorgan wurde die
weibliche Brust angesehen. Eine generelle Häufung von Krebserkrankungen bei Schichtarbeitern wurde bisher jedoch nicht beobachtet (3).
maximale Ausschüttung erfolgt etwa um zwei Uhr nachts. Die Höhe
und der zeitliche Verlauf der physiologischen Melatoninsynthese
sind dabei auf genetischer Ebene programmiert.
Das Ausmaß von Schichtarbeit auf solche Parameter könnte durch
den individuellen Chronotyp (Früh- oder Spättyp) beeinflusst werden.
Wie die innere Uhr gesteuert wird
Alle Organismen und die meisten biologischen Prozesse haben eine
mehr oder weniger ausgeprägte zirkadiane Rhythmik, um wichtige
Vorgänge mit dem Aktivitätsmuster abzustimmen. Bereits Einzeller
haben sogenannte „Chrono-Gene“ entwickelt, die innerhalb der
Zellen als biologische Uhren wirken und in der Evolution konserviert wurden. Höher entwickelte Organismen haben zusätzliche,
hierarchisch organisierte Uhren, die von externen Zeitgebern wie
Licht gesteuert werden.
Für die Evaluation der Rolle von Schichtarbeit bei Brustkrebs wurden acht Studien von der IARC näher beschrieben (4-11), von denen fünf Studien einen geringen Anstieg des Brustkrebsrisikos bei
Schichtarbeiterinnen fanden – verglichen mit Frauen, die nie nachts
arbeiteten. In den zwei neueren Studien gab es keine Hinweise auf
ein erhöhtes Brustkrebsrisiko (10,11). Die Ergebnisse von Tynes et
al. (4) waren nicht eindeutig.
Besonders interessant sind die Ergebnisse von zwei umfangreichen
prospektiven Studien aus den USA mit insgesamt rund 200 000
Krankenschwestern (7, 8). Unter den Frauen mit der jeweils längsten Nachtschichttätigkeit von mehr als 20 beziehungsweise 30
Jahren wurden 15 beziehungsweise 58 Brustkrebsfälle beobachtet,
insgesamt 22 mehr als in Bezug auf die Vergleichsgruppe der Frauen ohne Nachtschicht zu erwarten war. Obwohl in diesen beiden
Studien eine Reihe möglicher Störfaktoren erfasst wurde, wäre es
auch denkbar, dass nicht erhobene berufliche Risikofaktoren wie
Strahlenexposition oder Umgang mit Chemotherapeutika die beobachteten Assoziationen beeinflusst haben könnten.
Nachtarbeit stört den biologischen Tag-Nacht-Rhythmus
Eine nachhaltige Störung der Synchronisation von internen biologischen Prozessen und externen Einflüssen, die mit einer Funktionsstörung verbunden ist, wird als Chronodisruption bezeichnet (12).
Dazu gehört beispielsweise auch ein gestörter Schlaf. Die „Kausalkette“ Nachtarbeit – Chronodisruption – Krebs ist wissenschaftlich
noch nicht ausreichend untersucht. Chronodisruption wird beispielsweise anhand von Phasenverschiebungen und Änderungen
in der Amplitude des Tageszyklus von Melatonin ermittelt.
Melatonin steuert maßgeblich den Tag-Nacht-Rhythmus des
menschlichen Körpers. Seine Synthese setzt mit der Dunkelheit
ein und wird durch Tageslicht oder künstliches Licht gehemmt. Die
Beschäftigte im Gesundheitswesen sind häufig von Schichtarbeit
betroffen.
Die zirkadiane Rhythmik wird beim Menschen im Nucleus suprachiasmaticus, einer Region im Hypothalamus, die als sogenannte
„Master clock“ fungiert, generiert und zeichnet sich – ohne die
Einwirkung externer Zeitgeber – durch eine bis zu 25 Stunden dauernde Periodik aus. Unter dem Einfluss externer, im 24-StundenRhythmus verlaufender „Zeitgeber“, wie dem natürlichen Wechsel
zwischen Tageslicht und Dunkelheit, wird die „innere Uhr“ auf den
uns bekannten Tag-/Nachtrhythmus synchronisiert.
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Flugbegleiter und Piloten– eine typische Berufsgruppe mit regelmäßiger Schichtarbeit.
Melatonin als effektives Antioxidans
Das bereits erwähnte Melatonin ist nicht nur ein Schrittmacher
im Hinblick auf chronobiologische Wirkungen, sondern auch ein
effektives Antioxidans, indem es reaktive Sauerstoffspezies abfängt. Es reguliert beispielsweise antioxidative Enzyme hoch und
oxidative Enzyme herunter. Aus In-vitro-Studien gibt es weiterhin
Hinweise auf onkostatische Effekte von Melatonin. So inhibiert es
in physiologischen Konzentrationen das Wachstum von humanen
östrogen-empfindlichen Brustkrebszellen (13).
Neben der Zentraluhr im Gehirn verfügt der Mensch in praktisch
allen Geweben und Zellen über Nebenuhren, die durch Hormone, Zytokine und Nervenimpulse mit der Zentraluhr synchronisiert
werden. Auch im Blut existieren periphere Uhren. Die meisten der
molekularen Uhren-Komponenten haben auch zusätzliche Funktionen in der Steuerung wichtiger zellulärer und physiologischer
Prozesse. Neben den Schlaf-/Wachzyklen werden beispielsweise
Metabolismus, Hormonsekretion, Immunabwehr, Körpertemperatur, Zellteilung, DNA-Reparatur, Abbau von Schadstoffen und Medikamenten sowie die Freisetzung von Stammzellen beeinflusst.
Zudem sind Gene der inneren Uhr und Gene, die direkt mit der Uhr
in Zusammenhang stehen, bei Krebserkrankungen häufig geschädigt oder fehlreguliert. Daher ist die Frage von besonderem Interesse, ob Nachtarbeit wichtige zu Krebs führende Grundprozesse
beeinträchtigt, so wie sie von Hanahan und Weinberg (14) näher
beschrieben wurden.
Krebserzeugende Wirkung nicht gesichert
Obwohl in einzelnen Studien ein leicht erhöhtes Brustkrebsrisiko
mit langjähriger Nachtschichtarbeit assoziiert wurde, rechtfertigen
die derzeit vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht,
eine krebserzeugende Wirkung von Nachtschichtarbeit für gesichert
zu halten. Für einen möglichen Mechanismus gibt es zwar theoretische Überlegungen, doch ist nicht hinreichend belegt, dass die
bislang diskutierten Mechanismen tatsächlich zu einer Krebserkrankung führen können und beim Menschen relevant sind. So ist
noch nicht ausreichend zuverlässig untersucht worden, ob ein bestimmtes Schichtarbeitsprofil tatsächlich zu dauerhaft erniedrigten
Melatonin-Konzentrationen führt und diese dann so sehr erhöhte
Östrogen-Spiegel hervorrufen, dass damit die Brustkrebsentstehung begünstigt wird – wie eine der Theorien postuliert.
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Klare Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Schichtarbeit
und Krebs wird man nur erhalten, wenn man in großen Kohorten
und am besten in verschiedenen Berufsgruppen eine präzise Erhebung der Schichtarbeitstätigkeit – idealerweise prospektiv mit
einem adäquaten umfassenden Fragebogen – vornimmt sowie die
Begleitumstände wie Schlafstörungen, Chronotyp und Lebensstilfaktoren berücksichtigt.
Weitere Parameter müssen genauer bestimmt werden
Ziel sollte es in Zukunft sein, wissenschaftliche Erkenntnisse zur
Chronodisruption infolge von Arbeit in unterschiedlichen Schichtsystemen zu gewinnen. Dazu müssen sowohl Parameter wie Lichtexposition, körperliche Aktivität und Schlafdauer/-qualität als auch
biologische Effektparameter im Zeitverlauf genauer bestimmt
werden. Diese Ergebnisse sollten in praktische Empfehlungen für
Schichtsysteme umgesetzt werden, die eine mögliche Chronodisruption minimieren.
Darüberhinaus könnte es sinnvoll sein, insbesondere mechanistische Fragen auch in Tierexperimenten zu untersuchen, bei denen
die Expositionen die Schichtarbeitsverhältnisse beim Menschen
besser widerspiegeln. Weiterhin können Zellkulturexperimente
und die Bestimmung von Biomarkern beim Menschen im Rahmen
molekular-epidemiologischer Studien helfen, Chronodisruption
pathophysiologisch besser zu definieren und frühe Veränderungen
in Richtung Brustkrebs zu detektieren.
Potenziell assoziierte Faktoren einbeziehen
Sollte sich ein kausaler Zusammenhang von Nachtschichtarbeit mit
Krebs bestätigen, ist zu klären, welche Rolle die mit Nachtschicht
potenziell assoziierten Faktoren wie Tätigkeitsprofil, Chronotyp,
Schlaf, Immunfaktoren, Ernährung, Freizeitverhalten, Risikobewusstsein und sozioökonomischer Status dabei spielen.
Deshalb wird es aus präventiver Sicht für die Zukunft am wichtigsten sein, diejenigen Schichtsysteme zu identifizieren, die mit den
geringsten nachteiligen Effekten für die Gesundheit verbunden
sind. Abhängig von der individuellen Prädisposition ist es sehr
wohl denkbar, dass man dabei zu individuell unterschiedlichen
Empfehlungen kommen wird.
Die Autoren
Prof. Dr. Thomas Brüning, Dr. Volker Harth, Dr. Georg Johnen,
Dr. Dirk Pallapies, Dr. Beate Pesch, Sylvia Rabstein,
Prof. Dr. Monika Raulf-Heimsoth, Peter Welge
IPA
Literatur
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