L. Petersen: Siege Warfare and Military Organization in - H-Soz-Kult

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L. Petersen: Siege Warfare and Military Organization in - H-Soz-Kult
L. Petersen: Siege Warfare and Military Organization in the Successor St
Petersen, Leif Inge Ree: Siege Warfare and
Military Organization in the Successor States
(400–800 AD). Byzantium, the West and Islam.
Leiden: Brill Academic Publishers 2013. ISBN:
9789004251991; XXVII, 819 S.
Rezensiert von: Christian Scholl, Historisches
Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität
Münster
Mit dem Ende des weströmischen Reiches im
Jahr 476 setzte im technisch-kulturellen Bereich ein beispielloser Niedergang ein: Wo
sich zuvor römische Städte, Straßen und
Villen mit Fußbodenheizung erstreckt hatten, machte sich nun eine Zivilisationswüste breit, auf der das finstere und rückständige Mittelalter gründete. Dieser Verfall machte sich auch in militärischer Hinsicht bemerkbar, denn anstelle der technisch hochgerüsteten und disziplinierten römischen Legionen wurden die Schlachtfelder Europas fortan
von primitiven Barbarenhorden beherrscht,
die sich, in Felle gehüllt oder gar mit nacktem
Oberkörper kämpfend, ohne jede Ordnung
und Disziplin auf ihre Gegner stürzten. Über
Kenntnisse im Belagerungswesen, das ein hohes Maß an logistischer und vor allem technischer Expertise erforderte, verfügten diese
Barbaren natürlich nicht.
Diese Sichtweise vom radikalen Zivilisationsbruch, die nicht nur im populären Verständnis vom ‚Untergang des römischen Reiches‘ nach wie vor vorherrscht, sondern
jüngst auch in Teilen der angelsächsischen
Forschung wieder eine Renaissance erlebte1 ,
wird von der Studie Leif Petersens, die aus
einer Dissertation an der Norges teknisknaturvitenskapelige universitet (NTNU) hervorgegangen ist, am Beispiel des frühmittelalterlichen Belagerungswesens völlig widerlegt. Damit schließt Petersen zum einen eine Lücke im Hinblick auf die Erforschung
des Belagerungskriegs; denn während für die
griechisch-römische Zeit bereits eine Gesamtdarstellung zu diesem Thema vorliegt2 , wurde die Übergangsphase von der Spätantike ins Frühmittelalter bisher allenfalls kursorisch behandelt.3 Über den engeren Bereich
des Belagerungskriegs hinaus ist die Monographie von Petersen aber auch für all diejenigen von Interesse, die sich mit dem Epo-
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chenübergang von der Antike ins Mittelalter
im Allgemeinen und der damit zusammenhängenden Frage nach Kontinuitäten und
Brüchen befassen. Petersens Studie ist umso
wertvoller, als sie sich nicht auf die barbarischen Nachfolgereiche im Westen beschränkt,
sondern auch Byzanz und den islamischen
Machtbereich im östlichen Mittelmeerraum in
den Blick nimmt, sodass das Buch auch für
Leserinnen und Leser von Interesse ist, die
sich für den transkulturellen Vergleich und
Transferprozesse zwischen ‚Ost‘ und ‚West‘
interessieren.
Die voluminöse und quellengesättigte Studie lässt sich in drei Teile gliedern: Kapitel 1 bis 4 befassen sich mit der spätrömischen Militäradministration und deren Adaption durch die Barbarenreiche im Westen sowie das byzantinische Reich im Osten. Dabei
betont Petersen überaus stark die Kontinuitäten zwischen dem römischen Reich und seinen Nachfolgestaaten in West und Ost, die
seiner Ansicht nach dazu führten, dass sowohl die militärisch-administrativen Einrichtungen der Römer als auch deren belagerungstechnisches Wissen nahezu unverändert
in die Barbarenreiche und das byzantinische
Reich Einzug hielten. Kapitel 5 bis 8 sind dem
Belagerungskrieg im engeren Sinne gewidmet. Hier geht Petersen auf technische Fragen
ein (Typen von Belagerungsmaschinen) und
auf verschiedene Taktiken und Varianten des
Belagerungskriegs (Blockaden, Sturmangriffe, Gegenmaßnahmen der Verteidiger etc.).
Über diese ‚klassischen‘ Fragen einer militärgeschichtlichen Arbeit hinaus nimmt Petersen eine sozial- bzw. kulturwissenschaftliche
Perspektive ein, indem er sein Augenmerk
auf die Rolle der Stadtbevölkerung richtet.
Diese war während einer Belagerung einer
extremen psychischen Drucksituation ausgesetzt, die sie unter anderem durch verschie1 Der prominenteste Verfechter der These vom Zivilisati-
onsbruch ist aktuell wohl Bryan Ward-Perkins, The Fall
of Rome and the End of Civilization, Oxford 2005.
2 Nach wie vor unverzichtbar für die Beschäftigung
mit dem Belagerungskrieg der Antike ist Eric William
Marsden, Greek and Roman Artillery, 2 Bde., Oxford
1969–1971.
3 Neben einigen Spezialstudien ist hier insbesondere das
Kapitel 1 („After Rome“) aus Peter Purton, A History
of the Early Medieval Siege, c. 450–1220, Woodbridge
2009, S. 1–36, zu nennen.
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dene Rituale (Musik, Gebete, Prozessionen
etc.) zu meistern suchte. Die letzten beiden
Kapitel behandeln schließlich die Ausbreitung und den Transfer von Belagerungstechniken zwischen verschiedenen Regionen des
Mittelmeerraums. Abgerundet wird die Darstellung von einem Katalog (corpus obsidionum), in dem mehr als 500 Belagerungen zwischen dem 5. und frühen 9. Jahrhundert unter
Angabe der wichtigsten Quellen und Sekundärwerke zusammengestellt und beschrieben
werden.
Zweifelsohne stellt Petersens Darstellung
das neue Referenzwerk für den Belagerungskrieg in Spätantike und Frühmittelalter dar.
Wenn das Buch auch insgesamt ob seiner Informationsfülle zu loben und als überaus verdienstvoll anzusehen ist, so ergeben sich doch
einige Probleme im Detail. So macht es aus
Sicht des Rezensenten beispielsweise wenig
Sinn, im Hinblick auf die westlichen Barbarenreiche ausgerechnet die Vandalen auszuklammern, da diese schließlich während ihres
Zuges durch Nordafrika eine Reihe von Städten, darunter Karthago, mit Waffengewalt eroberten und daher zu den prominentesten Belagerern ihrer Zeit zu rechnen sind. Die Beschränkung auf die Reiche der Ost- und Westgoten, Langobarden und Franken wirkt daher
willkürlich.
Diskussionswürdig erscheint ferner die
auffällig starke Betonung von Kontinuitäten
zwischen dem römischen Reich und seinen
Nachfolgestaaten. Zwar besteht kein Zweifel
daran, dass es ein hohes Maß an Kontinuität
zwischen Spätantike und Frühmittelalter gab
und dass die Nachfolger der Römer eine Reihe von deren Institutionen und Wissen übernahmen, die ‚Barbaren‘ also mitnichten primitive ‚Wilde‘ waren, denen die Befähigung
zum hochkomplexen Belagerungskrieg fehlte. Petersens Darstellung erweckt allerdings
den Eindruck, als habe es nahezu überhaupt
keinen Wandel zwischen Antike und Mittelalter gegeben und als habe das gesamte Belagerungswissen der Barbaren auf Vorkenntnissen der Römer beruht, das sich die Barbaren entweder als Söldner in römischem Dienst
oder durch römische Gefangene angeeignet
hätten. So beschreibt Petersen auch stets nur
Transferprozesse von den Römern zu den Barbaren und konstatiert – natürlich völlig zu-
recht –, dass die Kriegführung der Barbaren
von den Römern beeinflusst wurde. Er verschweigt aber, dass dies umgekehrt genauso
der Fall war und dass es kaum eine Institution
wie die römische Armee gab, die so sehr darin
brillierte, auswärtige Techniken und Kampftaktiken zu übernehmen und für den eigenen
Gebrauch nutzbar zu machen.
Diese monodirektionale Sichtweise zeigt
sich besonders deutlich im letzten Kapitel, in
dem es um die Ausbreitung des TraktionsTrebuchets geht. Bisher ging die Forschung
davon aus, dass dieser auf dem Hebelarmprinzip beruhende Geschütztyp, der deutlich
leistungsstärker als die antiken Torsionsgeschütze war, in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts von den Awaren mit nach Europa
gebracht und dort von den Byzantinern übernommen wurde. Diese Sicht basiert zum einen darauf, dass das Hebelgeschütz bereits
in vorchristlicher Zeit in China zum Einsatz
kam; demnach erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass die Awaren mit dieser Technik in Asien in Berührung kamen und sie von
dort nach Europa exportierten. Gestützt wird
diese Vermutung dadurch, dass es nach Ausweis der Quellen die Awaren waren, die erstmals auf dem europäischen Kontinent Trebuchets einsetzten. Bei der Quelle, der wir diese Information und die erste eindeutige Beschreibung von Trebuchets außerhalb Chinas
verdanken, handelt es sich um die im frühen
7. Jahrhundert entstandenen „Miracula Sancti
Demetrii“ des Bischofs Johannes von Thessaloniki, der die Belagerung der Stadt durch die
Awaren im Jahr 586 schildert.
Im Gegensatz zur These vom awarischen
Ursprung des Trebuchets argumentiert Petersen, dass das Trebuchet bereits spätestens um
das Jahr 500 – und damit mehrere Jahrzehnte vor dem Einfall der Awaren – im östlichen
Mittelmeerraum bekannt war und vermutlich von den Römern selbst entwickelt wurde.
Er stützt sich dabei auf die Erwähnung von
Kriegsmaschinen durch Autoren wie Prokop,
Agathias und Josua Stylites. Allerdings lassen
deren Ausführungen zu Belagerungsmaschinen keinesfalls direkte Rückschlüsse auf Trebuchets zu. Diese Autoren beschreiben lediglich starke Belagerungsmaschinen, denen sie
zum Teil – wie später bei Trebuchets mitunter geschehen – Namen wie „Zerschmetterer“
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gaben. Bei Prokop genügt Petersen sogar ein
„hölzerner Turm“ als möglicher Hinweis auf
ein Trebuchet (S. 420). Konkrete Anhaltspunkte für Trebuchets finden sich jedoch nirgends.
Wenig überzeugend sind schließlich auch
Petersens Ausführungen zur Verbreitung des
Trebuchets im Mittelmeerraum. Den Transfer
der neuen Technik vom östlichen in den westlichen Mittelmeerraum bringt Petersen mit
einzelnen oströmischen Generälen wie Narses in Verbindung, die in die westlichen Barbarenreiche entsandt wurden. Quellenbelege,
dass diese Generäle Städte eroberten, sind für
Petersen dabei Beleg genug für die Ausbreitung des Trebuchets. Nach konkreten Hinweisen auf das Hebelgeschütz sucht man erneut
vergeblich. Im Hinblick auf die vermeintliche Verbreitung des neuen Geschütztyps nach
Spanien stützt sich Petersen zudem auf die
Etymologien des Isidor von Sevilla. Während
Petersen jedoch in Kapitel 3 noch zurückhaltend formuliert, Isidors Beschreibung könne
auf ein Trebuchet hindeuten (S. 174: „fundibulum, which may be a traction trebuchet“) –
was im Übrigen mit hoher Wahrscheinlichkeit
nicht der Fall ist –, sind diese Zweifel in Kapitel 8 beseitigt: „It [= the traction trebuchet]
was certainly brought there by the Romans
[. . . ] and known to Isidor of Seville in his Etymologies around 600, so the Visigoths must
have mastered its use before that“ (S. 422).
Abschließend lässt sich somit festhalten,
dass keine der Thesen Petersens zum Trebuchet von den Quellen gestützt wird und somit überzeugen kann: Weder vermag er zu
belegen, dass das Trebuchet bereits vor Ankunft der Awaren in der (ost-)römischen Welt
bekannt war, noch dass es sich im Laufe des
6. Jahrhunderts über den westlichen Mittelmeerraum ausbreitete. Im Hinblick auf Ursprung und Ausbreitung des Trebuchets hat
aus Sicht des Rezensenten somit nach wie
vor die bisherige Forschungsposition, die von
einer Vermittlung der neuen Technik durch
die Awaren und dem Auftreten des Trebuchets im Westen nicht vor dem Hochmittelalter
(erster bildlicher Beleg in einer Handschrift
aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhundert) ausgeht, die höchste Wahrscheinlichkeit. Für andere Behauptungen fehlen schlicht die Quellenbelege.
Diese Detailkritik soll die Vorzüge der Mo-
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nographie von Petersen jedoch nicht schmälern. Wer sich künftig mit dem Belagerungswesen in Spätantike und Frühmittelalter beschäftigt, wird an dieser Darstellung nicht
vorbeikommen.
HistLit 2015-1-195 / Christian Scholl über
Petersen, Leif Inge Ree: Siege Warfare and
Military Organization in the Successor States
(400–800 AD). Byzantium, the West and Islam.
Leiden 2013, in: H-Soz-Kult 25.03.2015.
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