Cicero, In Verrem II, 72ff. Raub der Dianastatue von Segesta (72) Er

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Cicero, In Verrem II, 72ff. Raub der Dianastatue von Segesta (72) Er
Latinumskurs Christian Bordin
Cicero, in Verrem
Cicero, In Verrem II, 72ff. Raub der Dianastatue von Segesta
(72)
Er verhielt sich in dieser Provinz drei Jahre lang so, dass man glauben konnte, er habe nicht
nur den Menschen, sondern auch den unsterblichen Göttern den Krieg erklärt.
Segesta ist eine sehr alte Stadt in Sizilien, ihr Richter; Aeneas habe sie, als er auf der Flucht
aus Troja in diese Gegend kam, gegründet, sagt man. Daher glauben die Segestaner, nicht nur
durch ein beständiges Bündnis und durch Freundschaft, sondern auch durch Verwandtschaft
mit dem römischen Volk verbunden zu sein.
Diese Stadt wurde einst, als die Bürger auf eigene Faust und aus eigenem Entschluss mit den
Puniern Krieg führten, von den Karthagern gewaltsam eingenommen und zerstört, und alles,
was einer Stadt zum Schmuck dinene konnte, brachte man von dort nach Karthago.
In Segesta gab es ein ehernes Bildnis der Diana, das seit ältester Zeit die höchste religiöse
Verehrung genoss und dazu noch mit einzigartiger Kunst und Geschicklichkeit gearbeitet war.
Dieses Bildnis, nach Karthago gebracht, wechselte nur den Ort und die Menschen, bewahrte
aber seine frühere religiöse Kraft. Denn wegen ihrer ausserordentlichen Schönheit schien die
Diana auch den Feinden der höchsten Verehrung würdig.
(73) Einige Jahrhunderte später hat P.Scipio im dritten Punischen Kriege Karthago erobert.
Nach seinem Siege - erseht daraus den Anstand und die Gewissenhaftigkeit dieses Mannes:
ihr sollt euch teils über unsere eigenen Beispiele glänzendster Lauterkeit freuen, teils aber die
unglaubliche Verwegenheit des Verres für desto verabscheuungswürdiger halten - beschied
Scipio alle Sizilier zu sich, weil er wußte, daß die Karthager Sizilien sehr lange und sehr oft
heimgesucht hatten. Er befiehlt ihnen, allem nachzuspüren; er verspricht, er wolle sich
angelegentlich darum kümmern, daß jede Gemeinde ihr Eigentum zurückerhalte. Damals
wurden die Dinge, die Himera einst eingebüßt hatte (ich sprach schon früher davon), den
Thermitanern zurückgegeben, und andere den Bewohnern von Gela, andere denen von
Agrigent, darunter auch der berüchtigte Stier, den
Stier, den Phalaris, der grausamste aller Tyrannen, besessen haben soll und in den er zur
Strafe lebende Menschen hinabsteigen zu lassen und Feuer darunter anzulegen pflegte.
Als Scipio den Agrigentinern diesen Stier zurückgab, soll er gesagt haben: es sei nur billig,
daß sie darüber nachdächten, was vorteilhafter für sie sei, Sklaven der eigenen Leute zu sein
oder dem römischen Volke zu gehorchen, da sie in dem gleichen Gegenstande ein
Wahrzeichen der Grausamkeit im eigenen Lande und unserer Milde hätten.
(74) Zu der damaligen Zeit wird auch den Segestanern mit größter Bemühung eben diese
Diana, über die wir hier sprechen, zurückgegeben; man schafft sie nach Segesta zurück, man
stellt sie zur größten Freude und unter dem Jubel der Bürger an ihrem alten Standort auf. Sie
stand nun in Segesta auf einem sehr hohen Sockel, auf dem mit großen Buchstaben der Name
des P. Africanus eingemeißelt war und geschrieben stand, daß er sie nach der Einnahme von
Karthago zurückgebracht habe. Sie wurde von den Einheimischen verehrt, von allen Fremden
besucht. Als ich Quaestor war, war sie das erste, was man mir zeigte. Es war ein ziemlich
großes und erhabenes Standbild mit einem lang herabwallenden Gewande. Doch trotz ihrer
Größe wirkte sie ihrem Alter nach und in ihrer Haltung wie ein junges Mädchen. Die Pfeile
hingen von der Schulter herab, in der linken Hand hielt sie den Bogen, mit der rechten
streckte sie eine brennende Fackel nach vorn. (75) Als Verres, der Feind und Räuber aller
heiligen Gegenstände und Kulte, sie sah, entbrannte er, wie wenn er von eben jener Fackel
getroffen wäre, in irrsinniger Gier; er befiehlt den Beamten, die Statue herunterzunehmen und
ihm zu geben; er gibt ihnen zu verstehen, es gebe nichts, was ihm erwünschter sei. Die
aber erklärten, das sei für sie ein religiöser Frevel, und sie fühlten sich durch die größten
Gewissensskrupel sowie durch die Furcht vor den Gesetzen und den Gerichten daran
gehindert. Verres richtete bald Bitten an sie, bald drohte er ihnen, bald suchte er Hoffnung,
Latinumskurs Christian Bordin
Cicero, in Verrem
bald Furcht in ihnen zu wecken. Sie aber machten öfter den Namen des P. Africanus dagegen
geltend, sie sagten, dem römischen Volke gehöre die Statue; sie hätten keine
Verfügungsgewalt über einen Gegenstand, der nach dem Willen des berühmtesten Feldherrn
nach der Einnahme der feindlichen Stadt ein Erinnerungszeichen an den Sieg des römischen
Volkes sein sollte.
(76) Da Verres nicht im mindesten davon abließ, ja sogar täglich noch viel heftiger in sie
drang, verhandelt man im Gemeinderat darüber. Alle erheben heftigen Widerspruch. So weist
man ihn damals bei seinem ersten Aufenthalt entschieden ab. Daraufhin legte er den
Segestanern mehr als den anderen jede Art von Belastungen auf, bei der Anforderung von
Seeleuten und Ruderern, bei der Anweisung, Getreide zu liefern, und forderte beträchtlich
mehr, als sie tragen konnten. Außerdem lud er ihre Beamten vor, ließ alle bedeutenden und
angesehenen Leute zu sich kommen, schleppte sie von Gerichtsstätte zu Gerichtsstätte in der
Provinz, kündete jedem einzeln an, er werde ihn ins Unglück stürzen, allen drohte er, er
werde ihre Stadt von Grund auf vernichten. Und so beschlossen die Segestaner schließlich,
durch die vielen Schikanen und durch den starken Druck bezwungen, sich dem Befehl des
Prätors zu fügen. Unter großem jammern und Seufzen aller Bürger, unter vielen Tränen und
Klagen aller Männer und Frauen schreibt man die Entfernung des Diana-Bildnisses aus.
(77) Seht, wie stark die Religiosität bei den Segestanern war. Ihr müßt nämlich wissen, ihr
Richter: es fand sich niemand, weder ein Freier noch ein Sklave, weder ein Bürger noch ein
Fremder, der das Standbild zu berühren gewagt hätte. Aus Lilybaeum hat man, müßt ihr
wissen, einige ausländische Arbeiter geholt. Erst diese - sie wußten ja nicht um die ganze
Sache und hatten keine religiösen Bedenken - entfernten das Standbild nach Erhalt des
Lohnes. Als es aus der Stadt geschafft wurde, welchen Auflauf der Frauen, glaubt ihr, hat es
da gegeben, welch Wehklagen der älteren Leute?