Brutal geschächtete Schmetterlinge 30.10.2011 – Michael Krieger

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Brutal geschächtete Schmetterlinge 30.10.2011 – Michael Krieger
Brutal geschächtete Schmetterlinge
30.10.2011 – Michael Krieger
Obwohl es Ende Oktober ist und ich das Fenster nur selten länger als zwanzig Minuten geöffnet
habe, schafften es doch drei Fliegen, eine Spinne, vierzehn Marienkäfer und zwei Schmetterlinge
in meine Wohnung. Alle zusammen sind schon etwas schlapp auf den Rippen. Der Winter ist nah,
der Tod für die Insekten auch.
Die Marienkäferplage, auf dem Balkon saßen noch gut zehn weitere Tiere, sie wurden wohl von
der Wärme in die Wohnung gelockt, finde ich noch ganz süß. Direkt putzig, wenn sich die kleinen
Racker in die Lüfte erheben und wie Hubschrauber durch die Wohnung düsen. Einer machte es
aber nicht lange, ich trat ihn – aus Versehen – zu Tode als die ich Spinne – mit voller Absicht – zu
Tode getreten hatte. Das ekelige Vieh darf hier nicht bleiben.
Die Fliegen sind nach wenigen Minuten wieder von selbst in den sonnengelben Oktobernachmittag
entflohen. Eine laue Brise legte sich über die Stadt. Ein herrlicher Tag.
Es blieben nur noch die zwei Schmetterlinge. Ein Zitronenfalter und ein Tagpfauenauge. Der gelbe
der beiden war noch ganz frisch und flatterte munter Kreise um die Deckenlampe. Das Auge lag
schon eher müde auf dem Fensterbrett. Die Flügel zusammengepresst. Als die Sonne wieder
hinter einem Wölkchen hervor blinzelte breitete es seine Schwingen aus um sich in der Sonne zu
räkeln.
Ich suchte nach einer Kamera. Ich wollte das Schauspiel festhalten. Wann hat man schon einmal
zwei Schmetterlinge in der Bude? Das kommt wirklich nicht oft vor. Wie viele Spinnen sich aber
noch in dunklen Ecken, hinter Möbeln und hinter der Bücherwand befinden, dass weiß nur Gott.
Ich nehme an, das es Milliarden sein müssen. Wenn nicht sogar Billionen. Schließlich findet man
immer nur die toten Spinnenkörper, wenn man staubsaugt und das ist schon eine beachtliche Zahl
pro Monat. Es hört sich immer so an, als würde man lauter Kieselsteinchen über das Rohr hinauf
saugen. Dabei splittern dann die trockenen Spinnenkörper in tausend Teilchen, so das aus den
Billionen Spinnen Billiarden Spinnenteilchen werden. Eine Vorstellung, die mich schauern lässt.
Ich wühle in meinen Schubfächern, irgendwo muss doch diese verdammte Kamera sein. Ich
zerdrücke schon wieder einen Marienkäfer als ich den Laden zurück in den Schrank schubse.
Gelbe Innereien fließen über das Nussholzimitat. Es sieht ölig aus. Obwohl ich es widerlich finde,
muss ich doch hinein fassen. Ziemlich schmieriges Zeug. Es riecht auch wie Oma unterm Arm
nach fünf Tagen ohne Waschen. Ein vollgeschnäuztes Taschentuch muss her, es lag auf dem
Schreibtisch, die Marienkäfersuppe wird hinein gewischt und ab damit in die Kloschüssel. Und
tschüß. Die Spülung reißt es mit sich.
Auf den Weg zurück ins Wohnzimmer, zu meinen beiden neuen Freunden, dem Zitronenfalter und
Tagpfauenauge. Die Kamera blinzelt mich doch glatt im Flur an. Ich suchte wie ein Irrer und das
Ding lag die ganze Zeit so mir nichts dir nichts im Flur und vergammelte vor sich hin. Na ja. Ich
nehme sie mit, putze mit einem frischen Taschentuch die Linse ab und suchte nach den
Schmetterlingen. Der Zitronenfalter war schon nah an der Balkontür und wollte wohl bald davon.
Ich scheuchte ihn mit einem Puster wieder weiter in den Raum.
In der Luft konnte ich ihn nicht fotografieren, soviel stand fest. Mein Können in Fotografie ist dafür
einfach zu schlecht und meine Kamera auch damit völlig überfordert. Ich warte vor mich hin, bis
sich der Zitronenfalter doch endlich irgendwo nieder setzen möchte. Da fiel mir ein, dass auch
noch das Auge da ist. Ich drehe mich zum Fensterbrett um. Die Flügel hat es wieder geschlossen,
obwohl Sonne hin scheint. Wieder puste ich drauf los, keine Reaktion. War es vielleicht schon
verstorben? Zum Test schieße ich trotzdem ein paar Fotos. Ein Marienkäfer nimmt neben dem
Tagpfauenauge Platz und wenn der blöde Falter nun noch seine Schwingen öffnen würde, dann
ergäbe das Fotos, die sich perfekt für eine Hochglanzwerbeanzeige eignen würden. Soweit kommt
es aber nicht.
Der Zitronenfalter schwirrt an mir vorbei und flattert auf die Balkontür zu, die immer noch offen
steht. Ich haste dem Falter hinterher und reiße die eine Tür zu. Du entkommst mir nicht! Der
Schmetterling lässt sich davon nicht irritieren und hüpft weiter durch die Luft auf die andere Seite
der noch offenen Balkontür zu. Es sind nur noch Zentimeter und er ist davon. Ich schlage die
zweite Tür zu und erwische dabei das Tier. Ich reiße ihm den Kopf ab. Der Falter fällt zu Boden
und ist tot. Na toll! Ein von mit brutal geschächteter Schmetterling. Ich räume die Überreste weg.
Das Tagpfauenauge ist inzwischen auch tot, wie ich später feststellen werde. Altersschwäche.